Liberal-konservativ aus Überzeugung
Festrede von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich des Jubiläums 50 Jahre SVP Bezirk Meilen, 8. März 2007, in Herrliberg
08.03.2007, Herrliberg
Herrliberg. Anlässlich ihrer Jubiläumsfeier sprach Bundesrat Christoph Blocher über Gründung und Entwicklung der SVP-Bezirkspartei Meilen, seinen eigenen politischen Werdegang und die Grundsätze der SVP.
Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.
1. Mit Stolz und Dankbarkeit
Wir dürfen heute ein besonders schönes Jubiläum feiern: 50 Jahre SVP-Bezirkspartei Meilen. Ein solches Ereignis bietet immer auch eine Gelegenheit, uns auf die Ursprünge der Partei zu besinnen.
Was hat die Gründer damals wohl bewogen, zu den zwei bestehenden bürgerlichen Parteien (Freisinnige und Demokraten) in Zürich eine dritte zu bilden? Worin bestanden denn die Grundsätze unserer Vorgänger? Haben Sie vielleicht andere Ziele verfolgt als wir?
Und was können wir schliesslich aus der Vergangenheit lernen für die Zukunft unserer Partei? Damit wir dereinst mit Stolz und Dankbarkeit das hundertjährige Jubiläum feiern dürfen, so wie wir heute mit Stolz und Dankbarkeit diese 50-Jahr-Feier begehen.
2. Konstanz des Denkens
Wenn wir uns den Anfängen zuwenden, fällt uns die Konstanz des Denkens auf. Die Zürcher SVP ist bereits im Jahre 1917 aus der Taufe gehoben worden – damals allerdings noch unter dem Namen “Bauernpartei”. Es handelte sich bei der neuen Partei um eine Abspaltung vom Freisinn, dessen Politik die mittelständisch-gewerblich und landwirtschaftlich ausgerichtete Bevölkerung mehr und mehr enttäuschte.
Im einem der Flugblätter kurz nach der Gründung forderte die Partei einen gesunden Finanzhaushalt des Staates, sie trat der übermässigen Verschwendung von Steuergeldern entgegen, verlangte den Schutz für die wirklich Schwachen, aber eine harte Hand gegen “Nachlässige und Faulenzer”, sie strebte eine Politik an, die das Handwerk und Gewerbe fördert und sie hielt ihre schützende Hand über den Bauernstand. Wenn wir diese Postulate lesen, so könnten wir heute, rund 90 Jahre später, mit fast den gleichen Themen in den Wahlkampf steigen. Das zeigt uns, dass wir einerseits auf dem richtigen Weg sind. Andererseits ist es aber auch beelendend zu sehen, wie wir uns immer wieder neu gegen die alten Gelüste und Fehlentwicklungen zu wehren haben. Aber so ist die Politik: Wer aufgibt, verliert. Wer durchhält – man könnte auch sagen, wer stur bleibt – wird gewinnen.
Auch die Bezirkspartei Meilen hielt sich an unsere liberal-konservativen Grundwerte. Und sie fand immer wieder Exponenten, die diese Haltung verkörperten und auf allen politischen Ebenen einbrachten. Ich erinnere an einen der markantesten BGB-Politiker, nämlich Dr. h.c. Rudolf Reichling sen. von Stäfa, der zum Nationalratspräsidenten und zum langjährigen Präsidenten des Schweizerischen Bauernverbandes aufstieg. 1959, also bereits zwei Jahre nach ihrer Gründung, bestritt die Bezirkspartei die ersten Kantons- und Nationalratswahlen mit achtbarem Erfolg. Auch an den jeweiligen Bezirks- und Gemeindewahlen nahm die Partei fortan mit jeweils grossem Einsatz teil. Im Zuge der sechziger Jahre und damit der Hochkonjunktur und regen Bautätigkeit kämpfte die ländlich geprägte BGB gegen Stagnation und Wählerverlust. In der Person von Rudolf Reichling jun. stellte sie aber in den siebziger und achtziger Jahren wieder einen bedeutenden Vertreter auf Kantons- und Bundesebene, der sowohl das kantonale wie das eidgenössische Parlament präsidierte. Auf diesem Fundament konnte die SVP Meilen und die SVP des ganzen Kantons Zürich zur wählerstärksten Partei aufsteigen. Und mit der Jubiläumspräsidentin Theres Weber hat das rechte Zürichseeufer wiederum eine tüchtige und standfeste Streiterin für unsere Sache gewonnen. Und “unsere” Sache meint immer: Das Wohl von Land und Leuten.
3. Woher kommt der Erfolg?
Wie ist der Erfolg erklärbar? Wir hielten an den Grundwerten fest, die unser Land stark und erfolgreich werden liessen: Wir standen ein für die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz, wo sich keiner mehr für diese Fragen stark machte. Wir politisierten für jene Menschen im Land, die Leistung zeigen und in Eigenverantwortung leben, wo alle anderen auf den Staat und die Umverteilung setzten. Wir wollen einen freiheitlichen und schlanken Staat und nicht einen Staat, der ausgerechnet die tüchtigsten Bürger mit einer Unzahl von Steuern und Abgaben bestraft – bis es dem Letzten noch verleidet tüchtig zu sein. Diesen Grundsätzen waren wir verpflichtet bei der Gründung der SVP Zürich 1917, bei der Gründung der SVP Bezirkspartei Meilen 1957 und diesen Grundsätzen sind wir auch heute, im Jahr 2007, verpflichtet. Und falls Sie sich jetzt allzu selbstzufrieden zurücklehnen: Auch unser Misserfolg ist erklärbar – und auch den gibt es. Nämlich immer genau dann, wenn wir eben zurücklehnten, wenn wir unsere Grundwerte vernachlässigten, wenn wir uns dem vorherrschenden Konsens anschlossen, wenn wir so waren wie die anderen, uns anlehnten, die Harmonie suchten, nachgaben – dann bestrafte uns die Wählerschaft umgehend. Und das zu Recht.
Solange wir aber durchhalten und unsere Grundsätze leben, solange wir unsere Überzeugungen in die Politik tragen und sie wachsen lassen – von unten nach oben, von den Ortsparteien, über die Bezirke bis hinauf in die höchsten Gremien, solange wir standhielten, honorierte der Wähler unsere Arbeit. Darum ist jeder von uns aufgerufen, ja geradezu verpflichtet, diese Grundsätze zu vertreten. In welcher Funktion auch immer. Ich habe meine politische Arbeit in Meilen, im Gemeinderat, begonnen und ich habe mich damals von den selben Überzeugungen leiten lassen. Später dann als Zürcher Kantonsrat und darauf während 24 Jahren im nationalen Parlament. Und ich versichere Ihnen: Der EINtritt in den Bundesrat 2003 war für mich nie gleichbedeutend mit einem AUStritt aus der SVP. Nein, ich bin und bleibe Vertreter der SVP im Bundesrat und damit vertrete ich auch die Grundsätze unserer Partei in der Regierung. So wie Sie alle an Ihrem Ort die Inhalte und Grundsätze unserer Partei vertreten.
4. Die Grundsätze bleiben
Die Ursprünge der SVP Zürich gehen, wie gesagt, noch weiter zurück als die Geschichte der Bezirkspartei Meilen. Gegründet wurde die Partei als “Zürcher Bauernpartei” im Jahre 1917 und sie versuchte, die Interessen der Landbevölkerung zu bündeln, um sie erfolgreicher gegen den “roten und goldenen Internationalismus” behaupten zu können. Denn sowohl die Sozialisten wie auch die Freisinnigen schielten nach aussen, strebten nach Grösse und waren bereit die Werte der Schweiz zu verraten bzw. zu verkaufen. Das war 1917. Und manches davon kommt uns leider heute noch bekannt vor.
Die Zürcher Bauernpartei hielt diesen Trends stand und formierte sich als Partei des “vaterlandstreuen und bodenständigen Zürchervolkes”, kämpfte für die Gesundhaltung der Familie, für den Schutz des Privateigentums, für die demokratische Staatsform und für die Erhaltung eines starken Mittelstandes.
Mag uns auch der eine oder andere Begriff heute etwas ungewohnt erscheinen. So sprachen unsere Vorväter von “Vaterlandstreue”. Wir meinen aber dasselbe, wenn wir heute konsequent für die Unabhängigkeit und Freiheit der Schweiz eintreten. Wir kämpfen für das gleiche Ziel, wenn wir die Neutralität unseres Kleinstaates hochhalten, wenn wir für unsere Volksrechte einstehen, wenn wir den Föderalismus – also den Aufbau des Staates von unten nach oben – bewahren wollen. Wir stehen für die gleichen Werte, wenn wir für die Familie, für die Eigenverantwortung, für Leistung, Fleiss und Ordnung politisieren.
Mag auch die Zürcher Bauernpartei heute Zürcher SVP heissen: die Grundsätze sind die gleichen geblieben. Denn Sie können nicht ein Jahr für die Volksrechte sein und im nächsten Jahr plötzlich dagegen – nur weil Sie vielleicht eine Abstimmung verloren haben. Sie können auch nicht einmal für die Selbstbestimmung der Schweiz eintreten, aber dann wieder dagegen – nur weil Sie vielleicht ein paar Franken mehr oder einfacher verdienen könnten. Denn man legt seine Überzeugungen nicht einfach ab wie Hut und Mantel an der Garderobe.
5. Es geht nicht ohne Kampf
Unsere Grundsätze sind wie ein Kompass. An diesem Kompass wollen wir uns orientieren. Unsere Leitlinien lauten: Die Unabhängigkeit der Schweiz, die Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger und die grösstmögliche Freiheit für alle. Zur Freiheit gehört auch die freie Meinungsäusserung. Denn die Demokratie lebt von kontroversen Ansichten. Demokratie heisst auch Streit und Kampf und Auseinandersetzung. Da müssen wir uns nichts vormachen. Wer glaubt, in der Demokratie sei nur Kuscheln und Gemütlichkeit angesagt, täuscht sich. Die Demokratie ist ein Wettbewerb von Ideen und Lösungen. Wir stellen uns diesem Wettbewerb. Ich hatte nie ein Problem, wenn jemand andere Ansichten als ich vertrat. Trotzdem bekämpfe ich Ansichten, die ich für falsch halte – aber nicht, indem ich sie verbiete. Nicht, indem ich andere Meinungen moralistisch aburteile. Nicht, indem ich meine Gegner mundtot mache. Und schon gar nicht, indem ich Andersdenkende hinter Schloss und Riegel zu bringen versuche.
Unser Land krankt nicht an zu viel Meinungsfreiheit. Im Gegenteil. In einer Demokratie muss es möglich sein, alle Themen auf den Tisch zu bringen. Auch die unbequemen Fragen. Darum halte ich die Meinungsfreiheit für die entscheidende Voraussetzung einer Demokratie. Besonders in der Schweiz, wo auch Sachthemen zur Abstimmung kommen. Hier muss jeder sagen können, was er denkt, ohne dass man ihn gleich verhaftet, oder ohne dass er für seine Meinung Nachteile im beruflichen oder öffentlichen Leben befürchten muss.
Die 90er Jahre führten zu einem Klima der Einschüchterung. Wer über Ausländerkriminalität sprach, wurde sofort als Fremdenfeind abgestempelt oder gar mit dem Richter bedroht. Warum soll man nicht zugeben: Ja, wir haben Integrationsprobleme. Wer diese Probleme leugnet oder tabuisiert, löst die Probleme nicht. Nein. Er macht alles noch viel schlimmer. Wichtige Debatten wurden (und werden) mit der Moralkeule unterdrückt: Wer die Entwicklungshilfe in Afrika hinterfragt, wird als “Unmensch” oder gar “Rassist” bezeichnet. Dabei ist es dringend notwendig, sich über die Wirksamkeit solcher Gelder zu unterhalten. Wer den Sozialmissbrauch thematisiert, wird umgehend als “Populist” abgetan. Dabei wäre viel getan für die wirklich Bedürftigen, wenn sie geschützt würden vor jenen, die diese Hilfe zu Unrecht erschleichen. Wo immer einer auf den tausendfachen Asylbetrug hinwies, reichte die Reaktion von “Hetze”, “Schande” bis “politische Propagandaaktion”. Heute geben selbst unsere Gegner indirekt den Missbrauch zu. Nur sagen sie, man könne ohnehin nichts dagegen tun. Mit einer solchen Einstellung tatsächlich nicht. Wer schliesslich den überbordenden und letztlich nicht mehr finanzierbaren Sozialstaat anspricht, dem schallt unisono der Begriff “Kaputtsparer!” entgegen. Dabei müsste allen klar sein: Unser Staat kann nur dann den Bedürftigen helfen, wenn wir auf eine freie Wirtschaft, auf Wachstum und Wohlstand bauen.
6. Unser Auftrag
So kommen wir nicht weiter. Wie sollen wir zu Lösungen kommen, wenn nicht einmal das Problem selbst benannt werden darf? Es braucht wieder mehr Klartext im Land. Denn wer die Meinungsfreiheit scheut, scheut meist nur die Argumente, denen er sich stellen müsste.
Sehen Sie: Hier war und ist unser Auftrag. Wir stehen für Grundsätze. Wir leben diese Grundsätze und wir kämpfen unsere Grundsätze. Der Kampf gehört dazu.
Machen wir uns nichts vor: Die SVP wurde von Anfang an angefeindet, namentlich von der uns nicht eben gut gesinnten Presse. Daran hat sich nichts geändert. Es ist nun einmal so, dass man einen lästigen Konkurrenten am liebsten los wird, indem man ihn mundtot machen will.
Machen wir uns nichts vor: Von Anfang an bedeutete das Einstehen der SVP für die Schweiz, das Partei nehmen für unser Land und seine Bürger – auch den Kampf gegen die Feinde der Schweiz zu führen, gegen all jene, die unser Land und seine Qualitäten kaputt machen wollen. So ist die Politik. Man muss Kämpfe ausfechten.
Von Anfang an hat sich unsere Partei nicht gescheut, diesen Kampf gegen links zu führen. Und es ist noch heute eine Qualität der SVP, dass sie sich nicht scheut, in die Arena zu steigen. So wenig die Partei sich scheut, die heissen Eisen anzufassen. Sei es der Asylmissbrauch, sei es die Schuldenpolitik, sei es die Aushöhlung der schweizerischen Werte, sei es die Leistungsfeindlichkeit und Dekadenz der 68er, sei es die antiautoritäre Erziehungspolitik, deren Auswüchse wir heute tragen müssen, wie sie beispielsweise im massiven Anstieg der Jugendkriminalität zum Ausdruck kommt.
So wollen wir den Schwur auf unsere Grundsätze erneuern:
Wir nehmen Partei für die Schweiz und wir nehmen Partei für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.
Diese Grundsätze halten wir hoch. 1917, 1957, 2007. Und auch in Zukunft.
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