Will die Schweiz wirklich ein durchlöchertes Patentrecht?
Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Generalversammlung SGCI Chemie Pharma Schweiz, 1. Juni 2007, in Basel
01.06.2007, Basel
Basel. Bundesrat Christoph Blocher hat sich an der Generalversammlung der SGCI Chemie Pharma Schweiz gegen einen Abbau des Patentschutzes und gegen Parallelimporte für patentgeschützte Waren ausgesprochen. Die weltweit führende Rolle der schweizerischen Forschung gerade auf dem Gebiet der Chemie und Pharma gelte es zu behaupten, sagte der Justizminister. Daher müssten die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung in der Schweiz erhalten und weiter verbessert werden.
Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.
Sehr geehrte Damen und Herren
Ich freue mich, der SGCI Chemie Pharma Schweiz die Glückwünsche des Bundesrats zum 125-jährigen Bestehen zu überbringen. Ich bin besonders gerne zu Ihnen gekommen, denn meine frühere unternehmerische Tätigkeit verbindet mich persönlich mit Ihnen und Ihrer Gesellschaft.
Ausgerechnet an Ihrer Jubiläumsgeneralversammlung fragen Sie mich besorgt und zu Recht „Will die Schweiz wirklich ein durchlöchertes Patentrecht?“.
1. Einleitung
Wir alle hier drin wissen: Das Patentrecht ist für ein Land wie die Schweiz von allergrösster Bedeutung. Die Schweiz hat keine Bodenschätze. Sie ist ein rohstoffarmes Land. Wir verfügen über keinen allzu grossen Binnenmarkt. Da unser Land an kein Meer anstösst, müssen auch lange Transportwege für Güter in Kauf genommen werden.
Gerade die schweizerische Chemie- und Pharmaindustrie ist eine Branche, die in besonderer Weise die Bedeutung von Forschung und Entwicklung und die Bedeutung und die Notwendigkeit des Schutzes des geistigen Eigentums für die wirtschaftliche Tätigkeit kennt. Die derzeitigen Versuche im Parlament – und publizistisch begleitet vom „Blick“ bis zur „NZZ“ – die Patentrechte unter dem Stichwort „Parallelimporte“ auszuhöhlen, sind tatsächlich schwer verständlich, angesichts der Tatsache, dass die erfolgreichen Branchen der Schweizer Wirtschaft (wie Chemie und Pharma, die Uhrenindustrie, die innovativen Firmen der Biotechnologie und des Apparatebaus, welche einen Grossteil der Wertschöpfung in der Schweiz ausmachen) auf die Forschung und Entwicklung und damit auf einen wirksamen Schutz des geistigen Eigentums angewiesen sind.
Allein die chemische und pharmazeutische Industrie ist mit einem Anteil an den schweizerischen Gesamtexporten von 34 % von allen Industriezweigen die wichtigste Exportbranche und steigerte von 1980 bis 2006 ihren Export um jährlich durchschnittlich 24,7 %! Allein in den letzten 10 Jahren stieg die Produktion um 124 %. (Als Vergleich dazu dient der Maschinenbau mit einem Produktionswachstum von lediglich 7,3 %). Die Unternehmen der schweizerischen chemischen und pharmazeutischen Industrie gehören zu den weltweit innovativsten Unternehmen der Branche. Sie investieren einen erheblichen Anteil ihres Umsatzes in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Verfahren. In der Spezialitätenchemie sind es rund 4 %, bei den Pflanzenbehandlungsmitteln 8 % des Umsatzes, beim Saatgut 12 % und bei den pharmazeutischen Produkte 18 % des Umsatzes. Von den 9,7 Milliarden privaten firmeninternen Forschungsausgaben in der Schweiz fallen rund 4.3 Milliarden oder die Hälfte auf Chemie und Pharma. Jetzt habe ich hier nur von Zahlen gesprochen. Von der volkswirtschaftlichen Bedeutung und von der Bedeutung für die Beschäftigungssituation, das heisst für den Werk- und Arbeitsplatz Schweiz, habe ich noch gar nichts gesagt! Geradezu gespenstig muss für Menschen, die wissen, dass eine starke Wirtschaft uns nicht einfach in den Schoss fällt, die jetzige Diskussion um die Abschaffung der nationalen Erschöpfung erscheinen!
2. Chemische Industrie
Die weltweit führende Rolle der schweizerischen Forschung gerade auf dem Gebiet der Chemie und Pharma gilt es zu behaupten. Das erfordert nicht nur Anstrengungen der Unternehmen, sondern auch des Staates! Daher müssen die Rahmenbedingen für die Forschung und Entwicklung in der Schweiz erhalten und weiter verbessert werden. Ohne Patente gäbe es hier keine durch Unternehmen finanzierte Forschung.
Bei der jetzigen Patentrechtsrevision handelt es sich um eine zentrale wirtschafts- und gesellschaftspolitische Vorlage, denn sie passt das Patentrecht dem technologischen Fortschritt und den internationalen Entwicklungen der vergangenen Jahre an. Ziel ist, das innovative Klima sowie das Wirtschaftswachstum in der Schweiz zu erhalten und zu fördern. Und dazu gehört vor allem Ihre Branche.
3. Schutz von Biotech-Erfindungen
Schwerpunkt der jetzigen Revision ist darum der Patentschutz der Bio- und Gentechnologie. Sie stellt einen angemessenen Patentschutz für biotechnologische Erfindungen sicher.
4. Schutzumfang bei Gensequenzen
Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es allerdings einen schwierigen Diskussionspunkt. Dieser betrifft den Schutzumfang bei Gensequenzen. Der vom Bundesrat vertretene Lösungsansatz ist ein Kompromiss innerhalb der Wirtschaft.
Die forschende Industrie auf der einen Seite wollte einen möglichst umfassenden Schutz. Die Forschungsinstitute und mehrheitlich auch die kleinen und mittleren Unternehmen auf der anderen Seite sprachen sich für weitgehende Einschränkungen aus. Sie fürchteten, durch Patente zu stark in der Forschung behindert zu werden.
Nach langem Ringen konnten sich Industrie, Forschungsinstitute und KMU auf einen Ansatz verständigen.
Nunmehr ist diese wirtschaftspolitische Vorlage aber auf gutem Weg. Die Opposition seitens der Grünen, Sozialdemokraten und Fundamentalisten wird auch in einer Volksabstimmung unterliegen. Da bin ich überzeugt.
5. Parallelimporte
In den Medien werden diese wirtschaftlich wichtigen Reformen in Kernbereichen des Patentrechts kaum mehr erwähnt. Hingegen wird ein anderes Phantom an die Wand gemalt, das der Parallelimporte. Dabei wird die Preisinsel Schweiz bemüht!
Und hier – meine Damen und Herren – droht eine veritable Durchlöcherung des Patentrechtes.
Dabei tut man so, als ob die nationale Erschöpfung im Patentrecht schuld an den wirklich oder angeblich zu hohen Preisen in der Schweiz sei.
Darum wird ein Wechsel zur internationalen Erschöpfung gefordert. Ein Preissenkungspotenzial in Milliardenhöhe wird herbeigeredet.
Packen wir doch den Stier an den Hörnern: Haben wir höhere Preise und wenn ja, warum? Ist das wirklich auf das Patentgesetz zurückzuführen?
Hier ist klar zu stellen:
1. Die Schweiz ist ein wohlhabendes, hoch entwickeltes Land. Solche Länder haben ein hohes Preisniveau. Sudan hat tiefe Preise, die Schweiz hat hohe! Wollen Sie tauschen?
2. Im weiteren wissen Sie aus Ihrer Tätigkeit mit Ihren Produkten: Jedes Land hat ein anderes Preisniveau. Kein Produkt verkauft man in jedem Land zum gleichen Preis.
3. Dass viele Detailhandelspreise in der Schweiz auch ein höheres Preisniveau als die umliegenden Länder haben, hat viele Gründe:
o Der Detailhandel ist von ganz wenigen Gross-Detailhandels-Unternehmen mit sehr hohemMarktanteil beherrscht! Dadurch wird die Schweiz von vielen nicht beliefert: Was bei Migros und Coop nicht im Sortiment ist, wird oft gar nicht in unser Land geliefert.
o Im landwirtschaftlichen Bereich gibt es mit vielen Produkten einen Schutz vor Tiefpreisen!
o Eine der Hauptgründe sind aber Sondernormen, die man erlassen hat, um den Konsumenten eine hohe technische Sicherheit, Gesundheit, Umweltschutz und vieles mehr tatsächlich oder angeblich zu gewährleisten, was der Bundesrat mit dem Projekt: „Abschaffung technischer Handelshemmnisse oder Cassis de Dijon-Prinzip“ nun zu umgehen versucht.
o Unbedeutend für die Konsumpreise ist dagegen der Abbau des Patentschutzes und der gesetzliche Zwang Parallelimporte für patentgeschützte Waren zuzulassen. Dafür würde die wirtschaftliche Gestaltungsfreiheit des Eigentümers massiv gesetzlich eingeschränkt. Man hofft, dies würde für die Konsumenten zu billigeren Produkten führen. Kurzfristig mag dies sogar zutreffen. Wenn Sie jemandem Eigentum ganz oder teilweise wegnehmen – sei dies geistiges oder Sacheigentum – und es verteilen, bringt es den Nutzniessern dieser Verteilung – mindestens kurzfristig – einen Vorteil. Das haben die Kommunisten anfänglich auch gemerkt. Wenn aber der Staat das Eigentum nicht mehr schützt, verliert jeder das Interesse Eigentum zu erarbeiten. Allgemeine Verarmung und wirtschaftlicher Niedergang sind die logische Konsequenz. Auch hier lässt der Kommunismus grüssen.
Die Gegner des umfangreichen Patentschutzes rufen jetzt nach der internationalen Erschöpfung. Dass sich so viele Parlamentarier daran beteiligen, ist umso erstaunlicher, als kein einziges Industrieland auf der Welt eine solche internationale Erschöpfung kennt. Nur Länder, die wirtschaftlich rückständig sind, haben die internationale Erschöpfung. Es ist erstaunlich, dass das Parlament dies für die Zulieferprodukte in der Landwirtschaft bereits ins Landwirtschaftsgesetz aufgenommen hat und sich eine Verbilligung der landwirtschaftlichen Produktionskosten erhofft.
Der Bundesrat hat sich in den letzten Jahren intensiv mit den verschiedenen Argumenten, für und wider die nationale Erschöpfung auseinandergesetzt. Er ist immer zum gleichen Schluss gekommen:
Ein Systemwechsel bei der Erschöpfung würde vor allem dem Forschungs- und Entwicklungsstandort Schweiz schaden. Der ökonomische Nutzen, der im besten Fall erwartet werden könnte, ist unbedeutend und würde die Nachteile eines Wechsels nicht aufwiegen. Deshalb sprach sich der Bundesrat immer für die nationale Erschöpfung aus. Diese Haltung bekräftigte er seither mehrfach.
Wohlverstanden: Der Bundesrat befürwortet nicht die hohen Preise in der Schweiz. Er ist für einen Abbau der Hochpreisinsel Schweiz, soweit dies staatlich möglich ist. Doch will er diesen durch gezielte, spürbare und sinnvolle Massnahmen und nicht durch Enteignung privater Rechte erreichen.
6. Schluss
Der Bundesrat befürwortet die nationale Erschöpfung im Patentrecht. Sie ist für ihn ein Garant für den Innovationswettbewerb und damit auch ein wichtiges Element einer wohlfahrtsfördernden Wirtschaftpolitik. Der Eingriff in die nationale Erschöpfung im Bereich der Landwirtschaft weist in eine falsche Richtung.
Meine Damen und Herren, der Bundesrat ist bereit, sich für den Patentschutz einzusetzen. Er allein kann aber nicht die ganze Überzeugungsarbeit leisten. Wenn Ihnen daher am Pharmastandort Schweiz gelegen ist, sollten Sie ebenfalls gegen Löcher im Patentschutz ankämpfen. Beteiligen Sie sich an der jetzt laufenden Vernehmlassung zur Frage der Erschöpfung im Patentrecht. Rechte und Errungenschaften gilt es zu verteidigen und – falls man die Rechte nicht hat – dafür zu kämpfen!
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