Führen durch Vorbild – in Wirtschaft, Politik, Armee und Erziehung
Referat von Bundesrat Christoph Blocher bei der Staatsbürgerlichen Gesellschaft Bern und Umgebung, 13. September 2007, Ittigen BE
13.09.2007, Ittigen
Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.
Meine Damen und Herren
1. Karriere
Die Karriere war für mich nie massgebend in meinen Entscheidungen. Aber umso mehr das Motiv, einen messbaren Erfolg zu erzielen: Ein Unternehmen retten, Gewinn zu erwirtschaften, neue Produkte zu entwickeln, etc.
Den Vorsatz, sich politisch zu engagieren, um ein bestimmtes Amt zu erlangen, also Karriere zu machen, halte ich für falsch.
Den Vorsatz, im Militär eine Offizierslaufbahn einzuschlagen, um sich vielleicht berufliche Vorteile zu verschaffen, halte ich ebenso für falsch.
Auch der Vorsatz, Unternehmer zu werden, um reich zu sein, ist verfehlt. Viele Unternehmer werden und sind nicht reich. Der Unternehmer ist einer, der etwas Bestimmtes unternimmt. Wenn er es gut macht, wird er in der Wirtschaft meistens reich. Ich hatte trotz aller Mühsal immer Freude daran, ein Unternehmen erfolgreich zu führen. Mein Ziel war jedoch nicht, reich zu werden. Aber in der Folge wurde ich reich. Deshalb halte ich auch von diesen einfältigen Karriereplanungs-Seminaren nichts.
Wer mit dem Vorsatz antritt Karriere zu machen um reich und angesehen zu werden, der wird in der Aufgabe selbst meist scheitern.
2. Erfolg
Erfolg stellt sich dann ein, wenn man eine Sache richtig macht. Wie man eine Sache richtig macht, ist eine Frage der richtigen Führung. Gute Führung ist in erster Linie eine Folge der richtigen Lebenseinstellung!
Ich spreche hier nur über meine Erfahrungen:
Ich dachte in meinem Leben nie daran, Unternehmer und schon gar nicht Bundesrat zu werden.
Aber ich habe Zeit meines Lebens immer an meinen Grundsätzen festgehalten und angepackt, was mir im Augenblick nötig schien. Ich wurde auf exotischem Weg Unternehmer, obwohl ich diesen Weg nie geplant habe. In wirtschaftlich sehr schlechte Zeiten, Textil- und Erdölkrise, wollte EMS praktisch niemand mehr besitzen.
EMS stand wirtschaftlich vor dem Abgrund. Niemand hatte die Firma kaufen wollen, weil niemand mehr an einen Erfolg glaubte. Nur deshalb und mit hohen persönlichen Schulden konnte – oder vielmehr musste ich sie übernehmen.
Aber ich glaubte an die Firma und war überzeugt, dass bei guter Führung ein Erfolg möglich sei! Die Übernahme gab mir die Führungskraft, denn ich war zum Erfolg verdammt! Der Auftrag war gewaltig.
3. Auftrag
Ich lernte die Bedeutung des Auftrages kennen:
Nach dem Auftrag in einer ganz bestimmten Sache an einem ganz bestimmten Ort zu einer ganz bestimmten Zeit etwas ganz Bestimmtes zu tun, um etwas ganz Bestimmtes zu erreichen. Zweck der Führung ist, den Auftrag zu erfüllen.
Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die innere Grundhaltung, welche anerkennt, dass ein Vorgesetzter immer auch Untergebener ist.
Denn jeder Vorgesetzte hat sowohl einen Auftrag zu erfüllen als auch Aufträge zu erteilen. Ein Auftraggeber ist also stets auch Auftragsempfänger und damit Untergebener.
Unter diesen Voraussetzungen wird man fähig, ein Problem zu erkennen und zu analysieren. Man gewinnt die Kraft zu entscheiden und den Mut, seine Untergebenen auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören und mit diesen das Ziel zu erreichen.
Darauf basieren die Führungsgrundsätze, und darin gründet schliesslich eine wirkungsvolle Führungstechnik.
Je mehr Führungserfahrung ich habe, desto bedeutsamer scheint mir die Orientierung am eigenen Auftrag!
4. Vorbild
Am einfachsten führt man durch das Vorbild. In der Erziehung sind es die Kinder, im Betrieb die Untergebenen, im Leben die Freunde und im Staat viele Beobachter, die erkennen, ob man selber macht, was man verkündet – und das wirkt ansteckend.
Führen durch Vorbild heisst nicht, dass einen jemand äusserlich nachahmt. Führen durch Vorbild bedeutet viel mehr: Es umfasst zunächst viel Kleines, Alltägliches, Praktisches. Aber es zeigt sich auch in der Einstellung, der inneren Haltung, der Ernsthaftigkeit, z. B. eben der Treue zur Sache.
Führen durch Vorbild geschieht meist unbewusst. Darum braucht man für diese Führungsmethode keine Zeit. Ich habe unsere Kinder oftmals auf Geschäftsreisen – bis nach China – und in unsere Fabriken mitgenommen. Ich tat es, weil ich in den Anfangsjahren keine Zeit für Ferien hatte. Erst heute, nachdem die Kinder selbstständige Unternehmer sind, merke ich, wie viel sie dadurch gelernt haben. Das betrifft nicht nur konkrete Vorgehensweisen, sondern auch die Einstellung, z. B. gegenüber der Arbeit, gegenüber den Arbeitern, gegenüber dem Unternehmertum und vieles mehr. Beigebracht habe ich es den Kindern nicht. Aber sie haben es mitbekommen.
Ein kleines Beispiel aus der Politik. Es gab Zeiten, da wurden die Bundesfeiern abgewertet. Anfangs der neunziger Jahre, als einmal kein einziger Bundesrat an einer 1. August-Feier sprach, fand ich dies nicht in Ordnung. So stellte ich mich demonstrativ für 1. August-Feiern zur Verfügung. Ich erinnere mich, dass ich anlässlich des Nationalfeiertags einer der Wenigen war, der im Land herumreiste und auftrat.
Heute reissen sich sozialdemokratische Politiker darum, auf dem Rütli am Nationalfeiertag eine Rede zu halten. (Es ist allerdings interessant zu sehen, dass sich die gleichen Politiker nicht darum reissen, am 1. Mai, am Tag der Arbeit, aufzutreten.)
Fernsehen, Radio und Medien stellten dies fest und fragten: Überlässt der Bundesrat den Nationalfeiertag eigentlich dem Blocher? Seither treten die Bundesräte wieder auf an den 1. August-Feiern, und sogar sozialdemokratische. Hier hatte ich eine Vorbildfunktion. Natürlich werden die Bundesräte dies bestreiten. Es ist auch belanglos. Hauptsache ist, dass es geschieht.
Viele handeln eben unbewusst nach einem Vorbild. Wenn man so sehr im öffentlichen Interesse steht, ist das auch eine Verantwortung, die man zu tragen hat.
5. Ein vorbildlicher Bundesrat?
Die meisten Führungsleute geben nicht gerne zu, dass ihnen irgendjemand oder irgendetwas Vorbild gewesen sei. Aber natürlich spielt in jeder Führungsposition die Vorbildsfunktion eine Rolle. Somit auch im Bundesrat.
Ich habe ja über mehr als zwei Jahrzehnte den Bundesrat als Parlamentarier, als Nationalrat begleitet, gelobt und kritisiert.
Dabei habe ich von Anfang an die Macht der Verwaltung kritisiert und auch stets die Ausgaben der öffentlichen Hand für zu hoch empfunden.
Nun hat mich der politische Weg in den Bundesrat geführt. Es wäre doch eigenartig, würde ich mit dem Eintritt in die Regierung plötzlich alles anders sehen.
Was für einen Unternehmer einem Kulturschock gleichkam, war das schlecht entwickelte Kostendenken in der Bundesverwaltung. Aber statt dauernd eine Änderung zu predigen, musste ich im eigenen Bereich vorangehen. Also ordnete ich in meinem eigenen Bereich Kostensenkungsmassnahmen an und zog diese durch.
Wie weit es Vorbildfunktion hatte, ist hier nicht zu fragen.
Ich wandte dies aber auch im eigenen Unternehmen an. Als kleines Beispiel: Ich hatte als oberster Chef immer ein relativ kleines Büro. Dies aber nicht aus Selbstkasteiung, sondern um zu zeigen, dass es auch bescheiden geht. Das hatte zur Folge, dass sich kein Direktor innerhalb des Betriebes getraute, sich ein grösseres Büro einzurichten. Bei der Planung von Büroräumen wussten die Architekten – ohne, dass man etwas anordnete – bei EMS gibt es keinen Luxus.
6. Verantwortung wahrnehmen
Letztlich geht es in jedem der genannten Bereiche, ob Politik, Wirtschaft, Armee oder Familie, darum, Verantwortung zu übernehmen. Jeder sollte seinen klar umrissenen Verantwortungsbereich kennen. Wo die Verantwortung verwischt wird – und gerade im Staat ist das häufig der Fall – stellt sich kein Erfolg ein, drohen Schlendrian und Verschleuderung. Ein schlecht geführtes Unternehmen geht zugrunde. Beim Staat werden Fehler viel zu lange mit Steuergeldern zugedeckt, weil keiner wirklich gerade stehen muss.
Führung übernehmen, Verantwortung wahrnehmen ist kein bequemes Unterfangen. Doch wer weiss, worum es geht und was er erreichen will, nimmt diese Mühen auf sich. Denn er stellt die Sache ins Zentrum und nicht sich selber und seine Befindlichkeit. Der Lohn ist die Befriedigung darüber, dass ein Auftrag erfüllt werden kann, dass sich Erfolg einstellt.
Nur: Der Abschluss einer Aufgabe ist immer auch der Beginn einer neuen. Das Leben, die Wirklichkeit trägt uns immer wieder neue Aufgaben zu. Ich wünsche Ihnen den Mut, die Aufgaben anzugehen, die Ihnen das Leben bereithält.
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