«Jetzt heisst es, Nerven behalten und warten bis man den Überblick hat»
Interview im «Tages-Anzeiger» vom 16. März 2011 mit Matthias Chapman zur Schweizer AKW-Politik
Herr Blocher, Sie kennen Japan von der Firma Ihrer Tochter her. Stehen Sie in Kontakt mit Leuten der EMS-Chemie dort?
EMS hat regelmässig Kontakt.
Was hören Sie von dort?
Die Fabrik steht südöstlich von Tokio, ist also nicht betroffen. Büros hat EMS in Tokio. Die Mitarbeiter mit Familien in Tokio können meines Wissens ins Werk, wenn sie wollen. Aber im Moment gibt es dazu keine zwingenden Gründe.
Mit den Geschehnissen in Japan wird die Debatte für und wider neue AKW erneut heftig debattiert. Was sagen Sie dazu?
Jetzt müssen wir zuerst einmal abwarten. Während Katastrophen darf man keine langfristigen Entscheide treffen, die nicht nötig sind. Es heisst: Warten bis man den Überblick hat, bis man sieht, was passiert ist. Dann werden die Erkenntnisse geprüft, um herauszufinden was das für unsere Kraftwerke und Energieversorgung heisst. Nerven behalten!
Halten Sie es für möglich, dass hiesige Kraftwerke geschlossen werden müssen?
Die Situation in Japan ist ganz anders, das weiss man. Japan ist eine Erdbebenregion.
Vieles ist wegen des Tsunami zerstört, das kann es in der Schweiz nicht geben. Schweizerische Anlagen halten zudem Erdbeben bis Stärke 7 jedenfalls aus. Das ist viel, weil wir weniger Erdbebengefährdet sind. Die Sicherheit unserer Anlagen wird ja laufend überprüft. Vielleicht muss dies nach Erkenntnissen aus Japan verbessert werden. Möglich ist natürlich immer alles. Aber es muss auch sinnvoll sein.
Sie waren quasi Totengräber des Projekts für ein neues Kernkraftwerk in Kaiseraugst. Wurden sie damals plötzlich zum AKW-Gegner?
Nein, überhaupt nicht. Es ging um ein “sittliches Begräbnis”: Die Situation war so verfahren, dass der Bau des AKW Kaiseraugst unmöglich war.
Sie meinen den Widerstand des Volkes?
Das auch. Aber noch mehr die Tatsache, dass dadurch die ganzen Verfahren in der Bürokratie steckengeblieben sind. Man kam einfach nicht mehr weiter. Zudem war die geplante Anlage inzwischen schon technisch veraltet. Es machte schlicht keinen Sinn mehr. Darum sagte ich: Wenn man das AKW Kaiseraugst nicht bauen kann, dann muss man es beerdigen.
AKW-Gegner feierten das damals als ihren eigenen Sieg.
Für mich ging es weder um eine Feier noch um einen Sieg.
Was hiess der Stopp damals für die Schweizer Energiepolitik?
Wir kauften danach in Frankreich Kernenergiestrom, konnten langjährige Lieferverträge vereinbaren, und so die Stromlücke schliessen. Bis heute! Aber die Abhängigkeit wurde erhöht. Meines Wissens laufen die Verträge in rund 10 Jahren aus, dann wird es kritisch, v.a. wenn Beznau I und II sowie Mühleberg nicht erneuert werden sollten.
Eben erst schien es, als könnten Mehrheiten für neue AKW zustande kommen. Befürchten Sie, dass es damit schon wieder vorbei ist?
Wenn das Volk entscheidet, dass es keine neuen AKW will, dann gilt es und dann muss es auch mit den Konsequenzen leben. Das heisst Stromknappheit, sicher höhere Preise für den Strom, grosse negative Folgen für Wirtschaft, Löhne, Arbeitsplätze, Mietausgaben etc.
Ist es richtig, dass Bundesrätin Doris Leuthard die laufenden Bewilligungsverfahren sistierte?
Ich hätte das Wort sistieren zwar nicht verwendet. Die Gefahr ist, dass die Beamten dies als Arbeitsstopp verstehen. Aber, dass man die Erkenntnisse Japans bis ins Detail miteinbezieht und berücksichtigt, da hat sie recht.
Welche Strompolitik verfolgen Sie und Ihre Partei?
Unsere Bedingung ist: Sichere, genügende und kostengünstige Energie. Zur Sicherheit gehört nicht nur die technische Sicherheit, sondern auch die grösstmögliche Unabhängigkeit. Oel kommt aus Lybien, Saudiarabien, Gaslieferungen aus Russland!
Wir sind für alle Energieformen zu haben, die das Ziel erreichen. Es besteht in absehbarer Zeit kein äquivalenter Ersatz zu Kernkraftwerken.
Es muss also nicht um jeden Preis ein neues AKW her?
Wir, ich meine die SVP, hängen nicht an der Kernenergie als solches. Bis jetzt zeichnet sich einfach kein anderer Weg ab.
Es gibt Szenarien für die Energiewende.
Das ist noch weit weg. Das erfolgreichste auf lange Frist ist die Nutzung von Erdwärme. Aber bis es wirtschaftlich gereift ist, dauert es noch lange. Andere – z.Bsp. Photovoltaikstrom – ist sehr teuer. Der Preis ist nicht gleichgültig.
Wären Sie gerne Uvek-Vorsteher gewesen?
Im Moment schon. (lacht). In dieser schwierigen Situation, würde ich mich gerne in diese Probleme einlesen und sie lösen. Was ist passiert in den japanischen Kraftwerken? Was sind Erdbebenschäden? Was Tsunami? Und was heisst das für die Schweizer Anlagen? Ich weiss: Neues Leben blüht aus den Ruinen!
Kommt es nach den Gesamterneuerungswahlen im Bundesrat vom kommenden Dezember zu einem Gerangel um das Uvek?
Nein. Das glaube ich nicht. Das mit der Zukunft der Schweizer Kernenergie ist ja für viele auch eine undankbare Geschichte. Das sah ich schon damals bei SP-Bundesrat Willy Ritschard. Er war in den 70er Jahren überzeugter AKW-Befürworter. Musste die Kernenergie gegen seine eigene Partei verteidigen. Da kam ihm manchmal der Verleider.
Wie wichtig wird das Thema „neue AKW in der Schweiz“ im Wahlkampf?
Es gibt jetzt nichts zu entscheiden. Und weil alle die Situation prüfen wollen, gibt es keinen Kampf. Eine Diskussion unter Gleichgesinnten ist relativ langweilig!
Können Sie sich eine Zukunft ohne Atomstrom vorstellen?
Ich schaue nicht in die Steckdose, was da rauskommt (lacht). Wie gesagt: Sollten wir auf anderem Weg zu sicheren, genügendem und günstigem Strom kommen, dann brauchen wir keine AKW mehr. Bis jetzt konnte uns dies niemand zeigen.
Herr Blocher, treten Sie nun zu den Wahlen im Herbst an?
(lacht) Wie gesagt, das wird erst Ende April entschieden.
Machen Sie ihre Entscheidung vom Ausgang der Zürcher Wahlen abhängig?
Nein. Aber man soll erst entscheiden, wenn es nötig ist. Wie bei den AKW.
Sie wissen es schon, aber sagen es noch nicht.
Meine Frau würde sagen, „solche Dinge schiebt er stets vor sich her“.
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