Das ist intellektueller Terrorismus
Interview im «Der Sonntag» vom 30. Juli 2011 mit Patrik Müller und Othmar von Matt
Herr Blocher, mit der „Initiative gegen die Masseneinwanderung“ legen Sie sich mit der Wirtschaft an. Die SVP gefährde den Standort Schweiz, sagt economiesuisse. Warum wollen Sie keine Wirtschaftspartei mehr sein?
Christoph Blocher: Wir sind und bleiben die Wirtschaftspartei – aber nicht immer eine Wirtschafts-Verbandspartei. Ich muss mich nicht zum erstenmal grundsätzlich im Interesse der Wirtschaft mit den Verbänden anlegen. So unter anderem bei der Abstimmung über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Hätte die Schweiz damals auf die Verbände gehört, wäre sie heute mit Sicherheit Mitglied der EU zum Schaden der Wirtschaft!
Ist die Personenfreizügigkeit für Sie ein ähnlicher Kampf wie der EWR 1992?
Es gibt Parallelen. Wieder will man die Schweizerische Unabhängigkeit – diesmal in der Ausländerpolitik – aufgeben. Auch das ist zentral! Die Folgen der Preisgabe sind zu negativ. Das muss man korrigieren.
Niemand bestreitet, dass es bei der Einwanderung Probleme gibt. Aber alle Unternehmen sagen, die Freizügigkeit sei enorm wichtig. Sind das alles Verirrte und nur Sie allein haben recht?
1992 war ich – mit Otto Fischer zusammen – auch anfänglich allein. Damals plagten mich manchmal in der Nacht starke Zweifel, ob ich mit meinem EWR-Nein richtig liege. Heute habe ich keine Zweifel, dass die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung für die Schweiz das Erfolgreichere ist.
Das ist ziemlich anmassend.
Warum? Ich weiss: Eine unkontrollierte Einwanderung ist für die Manager einfacher. Aber zu kurzsichtig gedacht. Wir haben das Gesamtinteresse und das langfristige wirtschaftliche Interesse des Landes im Auge: Mit der Rezession, die absehbar ist, wird es zusätzliche grosse Belastungen für die Sozialwerke und soziale Spannungen geben. Die Schweiz soll wieder selber bestimmen können, wer unter welchen Voraussetzungen einreisen kann. Dabei soll der Vorrang der Schweizer gelten.
Deswegen darf man doch nicht riskieren, die Bilateralen als Gesamtpaket zu gefährden.
Wir verlangen die Anpassung der Verträge und nicht die Kündigung. Sollte die EU eine Anpassung aber grundsätzlich ablehnen, müsste man eine Kündigung wohl in Kauf nehmen, um sie neu auszuhandeln. Das wäre keine Katastrophe. Die Schweizer Geschichte zeigt: Druck auf unser Land ist eine Konstante. Die Frage ist nur, ob man die Kraft und den Willen hat, Widerstand zu leisten. Die Schweiz hat bewiesen, dass sie das erfolgreich kann. Sogar für die schlimmsten Fälle hat sie darum eine Armee.
Eine militärische Aktion aus der EU gegen die Schweiz? Das ist grotesk.
Dass ein EU-Land die Schweiz besetzt, ist sicher unwahrscheinlich, kann aber nie ausgeschlossen werden. Die Geschichte lehrt: Politiker werden schnell zu Dieben. Und Staaten, die Hunger haben, werden zu Raubrittern. Da muss man wachsam bleiben.
Was, wenn die EU mit der Kündigung der Bilateralen Ernst macht?
Holland, Deutschland und Italien würden mit Sicherheit gegen eine Kündigung intervenieren. Wegen des Nord-Süd-Verkehrsvertrags – des wichtigsten Vertrags, den die EU mit uns hat.
Vertreter der Mitte-Parteien wollen die Einwanderungsprobleme angehen, ohne gleich die Bilateralen zu gefährden. Warum arbeiten Sie nicht mit denen zusammen?
Es ist gut, wenn sie die Probleme endlich angehen. Im Parlament haben sie unsere Vorstösse alle abgelehnt – und das Problem verneint. Aber wenn sie mit einer noch besseren Lösung die Masseneinwanderung stoppen können, macht die SVP mit.
Sie wären zu einem Rückzug der Initiative bereit?
Falls das Problem anders und besser gelöst wird, ja. Bundesrat Schneider-Ammann machte einen ersten – erfolglosen – Versuch mit einer Neuverhandlung betreffend Ventilklauseln, das wäre letztlich nichts anderes als Kontingente.
Der Bundesrat müsste mit Brüssel eine Ventilklausel verhandeln?
Wir können hier nicht über Kompromisse fachsimpeln. Aber klar ist: Es geht der SVP darum, die Masseneinwanderung – legale und illegale – zu stoppen. Die Lösung des Problems steht im Vordergrund.
Wäre das der Fall, müssten Sie nicht Stimmungsmache betreiben. Auf den SVP-Inseraten sieht man dunkle Gestalten, welche die Schweiz betreten. Sie bringen diese Sujets ausgerechnet nach dem Massenmord an den Jungsozialisten in Oslo.
Das Inserat bringt die Sache auf den Punkt: Es zeigt eindrücklich die Masseneinwanderung in die Schweiz.
Nach Oslo wirkt es geschmacklos.
Das entsetzliche Attentat in Oslo wird jetzt instrumentalisiert. Ich hätte nicht gedacht, dass das so plump geschieht. Das ist ja intellektueller Terrorismus.
Die ausländerfeindlichen SVP-Kampagnen vergiften das Klima und schüren Hass. Das kann der Nährboden sein für Gewalt.
Massenmord ist ein Verbrechen – unabhängig des Motivs. Aber in welchem politischen Klima gedeihen solche Extemisten? Dort, wo Probleme verniedlicht oder unter den Tisch gewischt werden, wie etwa bei der Migration oder dem Islam. Das bildet Nährboden für die für Terroristen bezeichnenden Ohnmachts- und Wahn-sinnstaten. In der Schweiz haben wir einen unbedeutenden Rechtsextremismus. Dies verdankt die Schweiz sowohl der SVP, die die Probleme benennt, als auch der direkten Demokratie, welche die Politiker zwingt, darüber zu reden. Demokratie und Offenheit entziehen den Nährboden für Extremismus.
Wollen Sie damit sagen, Norwegen habe Probleme verniedlicht?
Norwegenkenner bestätigen dies, obwohl Norwegen mit 12% Ausländer viel weniger Ausländer hat, als die Schweiz, ist die Stimmung gereizt.
Sie behaupten: Dank der SVP konnte in der Schweiz rechtsaussen nie etwas Gefährliches entstehen?
Man kann dies natürlich nie ausschliessen. Aber zumindest entsteht so kein vergiftetes Klima! Extremistischen Gruppierungen wird der Nährboden entzogen. Darum: Rechts von der SVP darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.
Wäre die SVP eine 10-Prozent-Partei bernischer Prägung geblieben, gäbe es dann heute eine rechtsextreme Partei?
Ehemals bernischer Prägung! Das ist sicher nicht auszuschliessen.
Manche halten die SVP selbst für rechtsextrem. Im deutschen Magazin „Spiegel“ wird sie in einem Atemzug mit Le Pen in Frankreich und Geert Wilders in Holland genannt.
Diese Medien holen ihre unqualifizierten Einschätzungen natürlich bei Journalisten in der Schweiz, denen die SVP nicht passt.
Wie stellen Sie sicher, dass es in der SVP keine rechtsextremen Mitglieder gibt?
Extremisten gibt es in allen Parteien. Wenn man eine klare Parteilinie verfolgt wie die SVP, treten gefährliche Extremisten gar nicht bei. Ich bin aber dagegen, dass man jede extreme Meinung aus einer Partei ausschliesst. Bei leitenden Funktionen und Ämtern muss man streng sein. Aber bei normalen Mitgliedern bin ich gegen Gesin-nungschnüffelei. Ausschlüsse, weil jemand nicht der political corectness entspricht, führt nur dazu, dass sich diese Leute radikalisieren und gefährlich extremistisch werden.
Was halten Sie davon, dass die SVP-Politiker Ulrich Schlüer und Oskar Freysinger sich international vernetzen und eine anti-islamische Allianz schmieden – etwa mit Geert Wilders?
Unsere Nationalräte können Kontakte pflegen mit wem sie wollen. Aber ich sagte Oskar Freysinger, er solle aufpassen, denn die Gefahr besteht, dass man sich mit fragwürdigen Spinnern einlässt. Ich würde Vorsicht walten lassen.
Der Attentäter von Oslo, Anders Breivik, nennt die SVP in seinem Manifest eine „gute Partei“. Das muss Ihnen zu denken geben.
Er bezeichnet auch Emanuel Kant, die Freimaurer, die Zionisten, alle Islamkritiker, die wahre katholische Kirche, und alle nicht linken Parteien als gut. Er ist ein Wirrkopf und vor allem ein Mörder und Verbrecher! Aber warum wurde Breivik zum Terroristen? Wir wissen es (noch) nicht genau. Terroristen sind Machtlose, denen herrschende Zustände zu Recht oder Unrecht nicht passen, die ihre eigene Meinung auch mit kriminellen Taten durchzusetzen versuchen. Derjenige, mit dem niemand spricht und der nicht ernstgenommen wird und über kriminelle Energie verfügt, ist gefährlich. Seien dies Terroristen, die in das World Trade-Center in New York flogen, oder der Terrorist in Oslo. Attentäter aber sind nie auszuschliessen – auch nicht in der Schweiz. Es grenzt an ein Wunder, dass unser Land verschont blieb.
Ein Wunder?
Einmal erlebte ich eine gefährliche Stimmung in der Schweiz: Nach dem EWR-Nein, das der Bundesrat nicht anerkannte. Da spürte ich an Versammlungen: Ich könnte den Leuten eine Fackel in die Hand geben um das Bundeshaus anzuzünden. Da muss man Verantwortung zeigen und beruhigen. Ich bin ohnehin gegen Revolutionen. Revolutionen reissen nur herunter, sie bauen nichts auf.
Teil Nationalbank für Wirtschaftsbund
Wie dramatisch ist die Lage der Schweizer Exportwirtschaft wegen des starken Frankens?
Es ist vor allem das Tempo der Aufwertung, das die Unternehmen trifft. Weil namentlich für die Exporteure das Kostenniveau Schweiz steigt. Aber solche Phasen gab es in der Geschichte immer wieder, und langfristig konnte dies überwunden werden und es hat die Wirtschaft sogar gestärkt.
Aber auch Sie haben kein Rezept gegen die schnelle Aufwertung.
Der Frankenkurs widerspiegelt das Vertrauen der Märkte in unser Land. Verschlechtert sich die Wirtschaftslage in der Schweiz, wird sich der Franken abschwächen. Die Unternehmen werden alles tun, um die Kosten zu senken, wo immer möglich: Rationalisieren, längere Arbeitszeiten bei gleichem Lohn, billiger einkaufen usw. Aber der Staat kann auch einen grossen Beitrag leisten, indem er die staatlichen Kosten für Unternehmen endlich senkt: Die Transportkosten auf Strassen und Bahn z.Bsp. sind viel zu teuer, die Stromtarife ebenfalls, und Unternehmen zahlen happige Abgaben und Gebühren. Auch die Bürokratie kostet. Hier sollte man entlasten. Von den Steuern nicht zu reden.
Diese Forderungen hört man seit Jahren.
Nötig wäre wieder einmal ein Revitalisierungsprogramm des Staates. Das verlangt die SVP. Das gab es zuletzt nach dem EWR-Nein. Der starke Franken hat das Kostenproblem verschärft. Weil man die Devisenmärkte nicht beeinflussen kann, muss der Staat die Unternehmen dort entlasten, wo er kann: Eben bei den staat-lichen Kosten.
Das hilft doch nicht gegen die schleichende Desindustrialisierung.
Doch, doch. Das sind bedeutende Rahmenbedingungen. Uebrigens: Wenn die EU-Schuldenkrise sich nicht massiv ausweitet, gehe ich von einem Euro-Kurs von 1.20 bis 1.30 aus. Hätte die Nationalbank nicht schon alles Pulver verschossen, könnte sie jetzt möglicherweise – vielleicht glaubwürdiger – intervenieren, sodass es nicht zu einer weiteren Aufwertung käme. Aber sicher ist auch das nicht.
Jetzt sollte die Nationalbank Devisen kaufen?
Wenn man zuunterst ist – bei 1.14 könnte man das überlegen – es wäre prüfenswert. Aber die Frage erübrigt sich, da die Nationalbank das Geld ja schon bei hohem Eurokurs verloren hat. Es darf doch nicht sein, dass das Direktorium in Eigenregie 200 Milliarden Devisen aufkaufen kann. Das muss unterbunden werden. Der Auftrag der National-bank ist die Geldversorgung und die Preisstabilität – hier soll sie unabhängig sein.
Gemäss Verfassung muss sie auch eine Währungspolitik im Interesse des Landes betreiben.
Aber sicher nicht, indem sie spekulativ und unüberlegt Devisen kauft. Die Nationalbank soll dort nicht mehr völlig unabhängig sein, wo es nicht um ihren Hauptauftrag geht. Zum Beispiel könnte man festlegen: Bei Devisenkäufen ab einer bestimmten Summe muss die Nationalbank eine Genehmigung einholen, von Bundesrat, Parlament oder einem neu zu schaffenden Organ. Wie das bis in die 70er-Jahre hinein der Fall war. Dazu reicht eine einfache Änderung des Nationalbankgesetzes.
Die SNB soll, ganz nach Blocher-Prinzip, einen Antrag stellen müssen?
Ja. Das hat den Vorteil, dass der Antragsteller eine Begründung liefern muss und die Sache dann geprüft und – vor allem – erörtert wird. Mit diesem System hätte das Schweizervolk sicher nicht so viele Milliarden verloren. Es braucht eine Aufsicht über das Nationalbank-Direktorium. Kein Staatspräsident, kein Nationalbankpräsident der Welt kann so frei schalten und walten wie Herr Hildebrand. Nicht einmal Obama könnte wohl einfach 200 Milliarden ausgeben!
Sie forderten schon im Januar seinen Rücktritt. Das verpuffte.
Ich war im Albisgüetli zurückhaltender und sagte: Ich würde an seiner Stelle zurücktreten. Inzwischen komme ich zum Schluss: Er ist untragbar. Der Bundesrat hat ihn gewählt – also soll er nun auch handeln. Hildebrand verhält sich wie ein Spekulant und ist damit auch nicht qualifiziert für diese Aufgabe.