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History

18.01.2013

Persévérer – Celui qui ne lâche pas prise gagne!

Discours de l'Albisgüetli du 18 janvier 2013

02.01.2013

Würdigung grosser Toggenburger Persönlichkeiten

Neujahrsanlass vom 2. Januar 2013 in Wattwil

29.12.2012

In den Urgrund hinabsteigen

Interview mit Rolf App, St. Galler Tagblatt vom 29. Dezember 2012 Christoph Blocher betreibt nicht nur Politik mit Energie. Er interessiert sich auch intensiv für die Geschichte unseres Landes. Seit einigen Jahren würdigt er in Vorträgen grosse Persönlichkeiten einzelner Regionen. Am Mittwoch tritt er in Wattwil auf, doch vorher stellte er sich und sein Geschichtsbild unseren Fragen. (Rolf App) Männedorf, Kugelgasse 22. Hier hat Christoph Blocher sein Büro. Das Sitzungszimmer ist eine kleine Galerie. Eine prachtvolle Landschaft von Giovanni Giacometti beherrscht die eine Seite, daneben, geschmackvoll arrangiert, kleinere Bilder. «Dieses hier hat Adolf Dietrich vom Untersee gemalt», erklärt er. «Und das habe ich gekauft, weil es den Zürichsee zeigt. Es stammt von Gottardo Segantini, dem Sohn von Giovanni Segantini. Da steckt nicht mehr die Kraft des Vaters drin.» Ja, kraftvolle Persönlichkeiten sind es, die Blocher faszinieren. Drei von ihnen will er am 2. Januar in Wattwil ehren. Drei Toggenburger Persönlichkeiten. Herr Blocher, Ihr Parteipräsident Toni Brunner hat uns auf Ihren Auftritt im Toggenburg hingewiesen mit der Bemerkung, es handle sich um eine unpolitische Rede. Geht das überhaupt bei Ihnen? Christoph Blocher:  Ja, die aktuelle politische Situation wird nicht zur Sprache kommen. Aber ich kann mich natürlich nicht verleugnen, der Mensch ist ja ein Ganzes. Sie sind schon im Berner Seeland aufgetreten, im Emmental, im zürcherischen Niederglatt. Warum wählen Sie denn jedes Jahr eine andere Region? Blocher: Ich habe diese Veranstaltungen 2009 ins Leben gerufen, weil wir Politiker uns zu sehr mit der Oberfläche beschäftigen. Wir sind aber letztlich das Produkt unserer Geschichte. Jede Schweizer Region verfügt über historische Persönlichkeiten, die eine grosse Wirkung entfaltet haben, auch für die heutige Schweiz – und meist darüber hinaus, ja für die ganze Welt. Diese Persönlichkeiten sind wertvoll, deshalb vermittelt meine Rede auch eine Wertvorstellung. Im Toggenburg bringen Sie drei Persönlichkeiten ins Gespräch: Huldrych Zwingli, Ulrich Bräker, Anna Barbara, genannt Babeli Giezendanner. Fangen wir mit Huldrych Zwingli an und mit seiner Bedeutung. Blocher: Zwingli hat die ersten sechs Jahre in Wildhaus gelebt, seine Bedeutung kann gar nicht genug geschätzt werden. Von allen Schweizern hat er wohl die grösste weltpolitische Wirkung entfaltet. Denn die Reformation Zwinglianischer Prägung hat sich – dann vor allem durch Calvin – bis in die USA ausgebreitet und wirkt heute noch nach. Zwingli war durch und durch Theologe, aber seine Glaubens- und Sittenlehre hat gesellschaftlich und politisch durchgeschlagen. Der frühere Zürcher Stadtpräsident Sigmund Widmer – ein Historiker – erklärt in seiner Geschichte über die Stadt Zürich, dass die Reformation das Bruttosozialprodukt verdreifacht habe. Was trennte denn Zwingli von Luther? Blocher: Luther musste die Fürsten überzeugen, Zwingli den Kleinen und den Grossen Rat: Da schlägt die schweizerische Demokratie durch. Sowohl Zwinglis Vater wie sein Grossvater waren Gemeindammann in Wildhaus und schon vor 500 Jahren vom Volk gewählt. Das prägte Zwingli. Gut sichtbar wurde der Gegensatz in der Disputation in Marburg. Da: Professor Doktor Martin Luther, der grosse Deutsche und dort der Leutpriester Zwingli, in Nagelschuhen. Luther wollte Latein sprechen, Zwingli deutsch. Das Volk müsse es verstehen. Sie zeichnen von Zwingli ein durchaus positives Bild. Aber blenden Sie dabei nicht ein paar sehr dunkle Punkte aus? Dass Zwingli Krieg führte und auch im Krieg starb zum Beispiel. Und dass er die Täufer blutig verfolgen liess. Nach heutigen Massstäben muss man ihn wohl als religiösen Fundamentalisten bezeichnen. Blocher: Ihre Ansicht hat durchaus etwas für sich. Zwingli wollte zu viel, er hat den Zweiten Kappelerkrieg gegen die Innerschweiz angezettelt und dafür auch mit dem Leben bezahlt. Die Täufer hat er nicht nur aus religiösen Gründen verfolgt, sondern weil sie als Staatsfeinde galten. Ich halte Zwingli nicht für makellos, aber mich interessiert sein Werk. Nicht der Gutmensch, sondern das Gute ist entscheidend. Die Toggenburger haben Grund, auf Zwingli stolz zu sein. Sind die Toggenburger stolz genug auf Ulrich Bräker? Blocher: Ich glaube nicht. Obwohl Bräkers Bedeutung woanders liegt. Er war ja ein wirklich origineller Schriftsteller mit einer minimalen Schulbildung. Man muss ihn als Gotthelf des Toggenburg bezeichnen. Anders als Gotthelf hat er aber sein eigenes Leben erzählt, deshalb ist er authentischer. Auch Bräker ist keine makellose Figur: Alles andere als ein  ordentlicher Ehemann, seine Frau hatte einiges durchzumachen. Er aber hat sie sehr schlecht geschildert. Welche Geschichte verbindet Sie denn mit Ulrich Bräker? Blocher: 1998 habe ich zu Bräkers 200. Todestag das Shakespeare-Theater ins Toggenburg gebracht. Dann wollten es die Toggenburger nicht. Jetzt steht es im Europapark Rust. Auch für den Schweizer Auftritt an der Frankfurter Buchmesse war Bräker damals leider kein Thema. Das sei keine Kultur, tönte es aus dem Bundesamt für Kultur! Babeli Giezendanner ist die unbekannteste Ihrer drei Personen. Blocher: In Bern habe ich den Berner Albert Anker gewürdigt, in Niederglatt den Stadtzürcher Rudolf Koller. Von beiden besitze ich Bilder. Von Babeli Giezendanner nicht. Ihre Kunst ragt aber aus  der «Art brut» der ganzen Region heraus. Sie malte und ging mit ihren Bildern von Haus zu Haus. Diese Bilder werden zu recht zu immer höheren Preisen gehandelt. Im letzten Jahr haben Sie über Gottfried Keller und Alfred Escher gesprochen – und mit Ihrer Darstellung den Widerspruch des Historikers Jo Lang herausgefordert. Sie reduzierten Gottfried Kellers Leben auf eine Demonstration von Nation, Freiheit und Unabhängigkeit, hat er geschrieben. Und: «Aus Eschers Werk und Schicksal schnitzt er ein Ebenbild seiner selbst.» Hat Jo Lang recht? Blocher: Nein. Jo Lang ist ein stark linker, grüner Politiker, der Escher sicher anders schildern würde als ich. Escher ist voller Tragik, hat zwei Mal Konkurs gemacht und in seiner Macht- und Ämterfülle Verträge mit sich selber abgeschlossen – als Zürcher Regierungspräsident, als Nationalratspräsident, als Unternehmer. Trotzdem gäbe es Zürich so nicht ohne ihn. Ihm verdanken wir die Gotthardbahn, die Kreditanstalt, die Südostbahn und vieles mehr. Escher war eine Zeit mit vielen Möglichkeiten geschenkt. Und Gottfried Keller war ein liberaler Geist, das passt Jo Lang naturgemäss nicht. Trotzdem wirft gerade der Fall Escher die Frage auf, ob Sie den Einzelnen nicht überschätzen. Ob es also nicht mehr auf die Zeit ankommt, in der jemand lebt. Blocher: Man muss die Menschen in ihrer Zeit sehen. Zwingli verfolgte die Täufer in seiner Zeit. Aber die Zeit war reif für die Reformation. Dies zu würdigen, geht erst aus einer gewissen Distanz. Zu Lebzeiten sieht man zu viele Nebensächlichkeiten, die Wesensart zählt zu viel. Der SP-Nationalrat Andreas Gross unterstellte Ihnen vor ein paar Jahren ein sehr hierarchisches Führungsverständnis. Und sagte: «Er glaubt, einen Auftrag zu haben von Gott oder vom Volk.» Steckt dieses Denken nicht auch in Ihrer Würdigung grosser Persönlichkeiten? Blocher: Wer führt, kommt um die Hierarchie nicht herum! Führen heisst ja, mit anderen Menschen ein Ziel zu erreichen. In meiner Führungslehre gibt es einen bekannten Satz: Es gibt keine schlechten Mitarbeiter, es gibt nur schlechte Chefs. Ein guter Chef macht aus schlechten gute Leute – oder er ersetzt sie. Die Verantwortung ist das Wesentliche. Erfolgreich ist nur die Auftrags-bezogene Führung. Der Auftrag, nicht der Mensch steht im Zentrum. Was Gott betrifft: Natürlich frage ich mich jeden Tag, was denn das Richtige ist. Ich weiss, alles ist nur Gnade Gottes. Das gilt zum Glück auch für Andreas Gross. Aber verdeckt Ihr Personenkult nicht die Tatsache, dass es Entwicklungen gibt, die ganz unabhängig vom Wollen des Einzelnen geschehen? In unseren Zeiten zum Beispiel die Globalisierung. Blocher: Das ist so zu allen Zeiten. Deshalb kommt es auch so sehr darauf an, dass man im Kleinen anfängt und im eigenen Bereich wirkt.  Zwingli hat in der Kirche gepredigt. Die Wirkung und Ausbreitung – später über Calvin und Bulliger hinaus – lag nicht in seinen Händen. Bräker hat als Schriftsteller grosse schriftstellerische Leistungen vollbracht. Und Babeli Giezendanner hat als Senntumsmalerin Bewundernswertes bewirkt. Ich schaue, was das für Menschen waren. Und frage: Aus welchen Wurzeln spriesst dies alles? Und welcher Region sind sie entsprungen? Das Werk zählt. Gilt Ihr Respekt vor allem Menschen, die es aus einfachen Verhältnissen zu etwas gebracht haben. Blocher: Auch. Aber ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Es ist etwas aus diesen Menschen geworden. Wenn alles Gnade ist, dann auch dies. Zwingli kam nicht aus ärmlichen Verhältnissen, Escher sowieso nicht. Und einfach hatten sie es schon gar nicht, im Gegenteil. Der alte Escher wurde gemieden, Huldrych Zwingli sogar gevierteilt. Man darf nicht glauben, dass sie zu ihrer Zeit besonders geschätzt wurden. Vor einem Jahr haben sie in der NZZ gesagt, die Demokratie sei die Staatsform der Mittelmässigkeit, und das sei gut so. Blocher: Ja, das stimmt. Das ganz Exzellente ist in der Demokratie nicht möglich, aber das ganz Schreckliche auch nicht. Braucht es da grosse Einzelne? Blocher: Die Demokratie braucht eine Elite, damit der Durchschnitt stimmt. Als Bundesrat habe ich gemerkt: Die Schweiz ist  eine gut organisierte Anarchie. Das hat meinen Regierungskollegen nicht gefallen, aber es ist so. Das Volk ist der oberste Gesetzgeber. Das Volk will keine starke Regierung, die zu sehr führt oder verführt. Was wollen Sie bewirken? Blocher: Den Menschen das Bewusstsein verschaffen, dass viel aus ihrem Boden kommt. Diesmal aus dem Toggenburg. Gerade in unserer oberflächlichen Zeit ist es wichtig, hinabzusteigen in den Urgrund. Das Bedürfnis, dies zu erfahren, gibt es: Beim ersten Mal haben die Journalisten gefragt, wer überhaupt komme an einem 2. Januar, noch dazu am Morgen. Dann sind Hunderte gekommen. Bedeutet das nicht, dass sie die guten Seiten der Geschichte sehen und die weniger schmeichelhaften ausblenden wollen? Etwa die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg? Blocher: Ach, das hört man doch jeden Tag an unserem Staatsradio. Von den grossartigen Seiten aber hören die Menschen wenig. Ich halte es da mit Albert Anker. der gesagt hat: «Ich stelle die Schönheit der Welt dar.» ENDE

03.12.2012

«Ich stand ja eher am Rande der Partei und musste immer drohen»

Interview Migros-Magazin Online vom 3.12.2012 mit Ralf Kaminski zum Thema 20 Jahre EWR/EU-Nein Christoph Blocher, Sie waren vor 20 Jahren der grosse Sieger der EWR-Abstimmung. In einem anderen Interview haben Sie aber eingestanden, dass Sie im Abstimmungskampf manchmal auch Zweifel hatten, ob Ihr Kurs richtig war. Vor allem nachts. Was war es, dass Sie zweifeln liess? Versetzen Sie sich zurück in die Zeit damals. Der Wirtschaft ging es schlecht, Anfang 1992 zeigten Umfragen, dass 80 Prozent der Bevölkerung für den EWR-Vertrag war, ebenso wie alles, was Rang und Namen hatte in Politik, Wirtschaft und Medien. Auch meine Partei war eher dafür. Die Schweiz gehe unter, wenn man nicht zustimme, hiess es überall. Ich stand anfänglich gemeinsam mit Otto Fischer ganz alleine dagegen. Da lag ich schon manchmal nachts im Bett und dachte: Das kann doch gar nicht sein, dass wir allein Recht haben und alle anderen falsch liegen. Aber wenn die Sonne aufging, wusste ich dann schon wieder, wer Recht hat. Wieso hat die Sonne geholfen? Nachtstunden sind die schlimmsten Stunden für intuitive Menschen wie ich einer bin. Da werden alle Entscheide immer und immer wieder hinterfragt. Und nachts, wenn alles schwarz und man allein ist, dann kommen die Zweifel. Das ist auch bei anderen Fragen so, aber bei dieser besonders, mit Angsträumen und allem drum und dran. Der Tag heilt aber viel. Nun, 20 Jahre später liegt der Beweis auf dem Tisch: Wir sahen klar. Es war richtig. Weshalb waren Sie schon damals überzeugt, dass Sie Recht hatten? Ich war mir einfach sicher, dass das Konstrukt der Europäischen Gemeinschaft –  wie die EU damals noch hiess –, nicht funktionieren kann. Man kann nicht so viele Länder über den gleichen Leisten schlagen, das ist eine intellektuelle Fehlkonstruktion. Ausserdem ist die Unabhängigkeit eine der Staatssäulen der Schweiz. Seit 1848 ist fest verankert: Wir bestimmen selbst, wo es lang geht. Mit dem EWR wäre das nicht mehr gegangen. Auch das hatte also viel mit Gefühl und Intuition zu tun. Aber auch mit Erfahrung. Ich kannte doch schon damals vom Geschäftsleben her die Italiener, ich konnte einfach nicht glauben, dass sie all die Regeln einhalten, welche die EG ihnen auferlegt. Genauso wie ich wusste, dass viele in Griechenland keine Steuern zahlen. Das sollte sich plötzlich ändern? Und dass die Deutschen viel zahlen müssen in den „Nachkriegsjahren“, das muss ja auch einmal aufhören. Europa ist der Kontinent der diversifizierten Staaten. Die Verschiedenheit macht es aus. Es ist ein Fehler zu glauben, das alles vereinheitlichen zu müssen. Wieso ist Ihnen eine Mehrheit der Stimmbürger am Ende gefolgt? Wir haben an unseren Vorträgen und Veranstaltungen klar gemacht, was ein EWR-Beitritt tatsächlich bedeuten würde, nämlich einen enormen Verlust an Einfluss und Mitsprache des Volkes - und schlussendlich den EU-Beitritt. Die Versammlungen wurden dann immer grösser, oft kamen so viele, dass gar nicht mehr alle Platz hatten. Ich kann mich erinnern, im Toggenburg hat mir der Abwart den Zugang zu einer Turnhalle verweigert, weil dort schon doppelt so viele Menschen drin waren als erlaubt. Ich sagte: „Aber Sie, ich muss doch da rein und reden.“ Wir einigten uns dann drauf, dass wir Lautsprecher auf die Fenstersimse stellten, damit die draussen auch hören konnten, was drinnen gesagt wurde. Rudolf Strahm sagte uns, es sei Ihnen damals gelungen, ein im Volk schon lang aufgestautes Unbehagen zu Ausländerfragen und Globalisierung anzuzapfen und zu bündeln. Ein Unbehagen, das alle anderen nicht wahrgenommen oder ignoriert haben. Wie sehen Sie das? Das ist etwas zu einfach. Die Classe politique hat die Schweiz schlecht gemacht, an der Weltausstellung hiess es La Suisse n’existe pas“, der Sonderfall Schweiz wurde zum Sonderling gestempelt. Nach dem Fall der Mauer wurde gepredigt: Grenzen gibt es nicht mehr, Krieg auch nicht. Alle sind gleich. Und die kleine Schweiz kann eigenständig gar nicht überleben. Das alles löste Unbehagen aus. Aber auch die Idee, den Schweizern mittels übergeordnetem Recht die Selbstbestimmung wegzunehmen. Wenn man das als globalisiertes Recht interpretiert, hat Strahm Recht. Weltoffenheit ist schon gut, aber wir dürfen nie die Entscheidungsfreiheit aus der Hand geben. Weshalb haben Sie die Stimmung im Volk so viel besser gespürt als die anderen? Dass es eine solche Stimmung gab, war auch mir am Anfang nicht klar. Otto Fischer und ich haben auch nicht geglaubt, dass wir gewinnen können. Aber wir haben getan, was wir für richtig hielten. Als internationaler Unternehmer hatte ich einen Riesenvorteil: Ich war beruflich unabhängig, und niemand konnte mir vorwerfen, ich sei für eine Abschottung der Schweiz, weil unsere Firma ihr Produkte zu 90 Prozent im Export absetzte, zwei Drittel in der EU. Als weltläufiger, vielgereister Mensch bin ich sehr überzeugt vom Schweizer Modell der direkten Demokratie – für die Schweiz. Ich konnte nicht wissen, ob die Leute das auch so sehen, aber ich war zuversichtlich, dass sie es so sehen würden, wenn ich es ihnen richtig erkläre. Ihr Gespür für die Sorgen der so genannten „kleinen Leute“ war ja letztlich auch Teil des Erfolgsrezepts für den Aufstieg der SVP, der mit dem EWR-Nein seinen Anfang genommen hat. Im Voraus weiss man ja nie, ob das eigene Gespür richtig ist. Es war auch nie mein Ziel, mit dem EWR-Nein die SVP zu stärken. Ich stand ja eher am Rand der Partei und musste immer drohen: Wenn ihr das nicht macht, dann gehe ich und gründe eine eigene Partei. Die Stimmung war ziemlich feindlich. Aber es ist tatsächlich kein Zufall, dass derzeit in vielen Kantonen die SVP-Sektionen ihr 20-Jahr-Jubiläum feiern, St. Gallen oder Zug zum Beispiel. Bis 1992 war die SVP nur in der Hälfte aller Kantone vertreten, vor allem in den protestantischen. Während unseres Abstimmungskampfs gab es aber viele unzufriedene Bürgerliche, die sich von ihren Parteien nicht mehr vertreten fühlten, weil die alle in die EU wollten. Darum kamen sie zur SVP oder gründeten neue Parteien. Aber dass es so viele Unzufriedene gibt, realisierten Sie erst im Laufe des EWR-Abstimmungskampfs? Richtig. Am Anfang dachte ich, wir seien isoliert, die ersten Versammlungen waren klein. Aber sie wuchsen, und es gab immer wieder Abende, nach denen ich zutiefst gerührt nach Hause gegangen bin, wenn ich spürte wie viele Menschen es gab, die sich für ihre Rechte und die Eigenständigkeit der Schweiz einsetzten. Und das trotz all der Kampagnen gegen mich in jener Zeit. Als Unternehmer gehörten Sie doch eigentlich auch einer Elite an, weshalb waren Sie am Ende glaubwürdiger als die anderen Politiker und Wirtschaftsführer? Vielleicht weil ich bei Null angefangen habe. Meine Familie war nicht wohlhabend, was ich habe, habe ich selbst aufgebaut, mit eigener Arbeit. Aber auch mit viel Glück, für so was braucht es immer Glück. Die Firma wurde erfolgreich und zum grössten Unternehmen in Graubünden, das vergessen die Leute nicht. Und natürlich kannten mich dort auch alle, so war ich das genaue Gegenteil von einem abgehobenen Manager. Jahrelang ist die SVP von Sieg zu Sieg gestürmt, schliesslich sassen Sie selbst sogar im Bundesrat, waren also im Herz des politischen Establishments angekommen, gegen das Sie immer gekämpft hatten... ...leider. Und nicht lange (lacht). Wieso waren Sie so erfolgreich? Als ich die Partei im Kanton Zürich 1977 übernommen habe, steckte die SVP in ihrer grössten Krise. Sie kümmerte sich bis anhin nur um Landwirtschaft, Finanzpolitik und Militär, alles andere hat sie den anderen überlassen. Es brauchte eine Neuorientierung, die Berner bevorzugten eine liberal-progressive Ausrichtung, ich eine liberal-konservative Ausrichtung. Am Ende setzte sich diese durch, auch weil die anderen realisierten, dass das Wähler brachte. Politiker sind ja Feiglinge. Sie gehen immer dorthin, wo die Stärkeren sind. Zusätzlich gab es Zulauf durch die neugegründeten Kantonssektionen. Und solange die SVP unbeirrt auf dem Kurs einer eigenständigen Schweiz bleibt, wird sie auch Erfolg haben. Weltoffen, aber eigenständig. Ihr vieles Geld hat vermutlich auch geholfen, oder? Wie viel haben Sie über die Jahre in die SVP und ihre Anliegen investiert? Ich habe nie die Partei finanziert, das will ich nicht, sonst wird sie von meinem Geld abhängig. Auch für Wahlen habe ich nie Geld ausgegeben. Geholfen habe ich bei Abstimmungskampagnen, über die Jahre dürften das vielleicht so 10 bis 15 Millionen Franken gewesen sein, ein Klacks verglichen mit den Beträgen, die die Wirtschaftsverbände einsetzen. Aber Geld ist bei Abstimmungen nicht alles. Und gerade beim EWR hat die Gegenseite mindestens drei- bis viermal so viel Mittel eingesetzt wie wir. Wie viel haben Sie eingesetzt? Beim EWR übernahm ich eine Defizitgarantie von drei Millionen persönlich. So viel ist mir die Schweiz sicher wert. Am Ende musste ich davon aber nur ein bis zwei Millionen einsetzen. Eindrücklich war für mich, wie viele Leute Geld geschickt haben, Zehner- und Zwanzigernoten teilweise. Auch Leute, die sich so was kaum leisten konnten. Jetzt allerdings scheint der Stern der SVP ein wenig am Sinken, die breit zersplitterte bürgerliche Mitte wird dafür wieder stärker. Was ist heute anders als noch vor wenigen Jahren? Ziehen die klassischen SVP-Themen nicht mehr so wie auch schon? Wir sind jetzt wieder etwa auf dem Niveau von 2003, nachdem wir 2007 – als Bundesratsbonus – enorm zugelegt hatten. Die neuen Mitteparteien haben uns sicher ein paar Stimmen abgenommen. Aber die Partei ist auch etwas bequem geworden, hat ein grösseres Bedürfnis nach Harmonie. Es schadet also nichts, dass sie mal eins aufs Dach bekommt, dann merkt sie wieder, was es braucht. Jetzt legt die SVP ja bereits wieder zu, die neue Mitte stagniert. Schwierig wird es nur für uns, wenn die anderen Parteien sich uns inhaltlich annähern und die Schweizer Eigenständigkeit genauso unbeugsam vertreten. Aber das wäre dann auch okay, dann brauchts uns nicht mehr. War es nicht immer ein schwieriger Spagat für Sie, den weltoffenen, wirtschaftsfreundlichen Kurs, den Sie als Unternehmer brauchen, mit dem tendenziell eher isolationistischen Gedankengut der SVP-Basis unter einen Hut zu bringen? Nein: Weltoffenheit und Eigenständigkeit tun einander nicht weh. Ich kann doch meine Produkte in der EU verkaufen, und umgekehrt, ohne dass ich mein Selbstbestimmungsrecht aus den Händen gebe. Klar gibt es in jeder Partei Leute, die nicht weltoffen sind, aber wir als Partei haben uns nie gegen die Weltoffenheit eingesetzt, lediglich dagegen, dabei unsere Eigenständigkeit aufzugeben. Die Schweiz ist auch keinesfalls isoliert: Wo ich hinkomme mit meiner Firma, sind die Schweizer beliebt, sie gelten als zuverlässig, qualitätsbewusst, seriös und weltoffen. Verglichen mit den anderen Ländern Europas geht es der Schweiz relativ gut, das EWR-Nein scheint uns also zumindest nicht geschadet zu haben... ...was heisst nicht geschadet? Wir sässen in der Tinte hätten wir Ja gestimmt! Der Schweiz geht es aber auch deshalb so gut, weil die wirtschaftlichen Nachteile, die das EWR-Nein zur Folge hätte haben können, durch die WTO-Abkommen und die Bilateralen aus dem Weg geräumt wurden. WTO ja, da waren wir auch nicht dagegen. Aber welche bilateralen Verträge haben denn die grossen Nachteile vermieden? Die Personenfreizügigkeit hat sicher geholfen. Nein. Es stimmt, dass wir Industriellen dank ihr aus einem grossen Reservoir aussuchen können, wen wir anstellen wollen, und das zu tieferen Löhnen. Das ist momentan ein Vorteil und hat geholfen, das starke Wachstum zu bewältigen. Aber diese Leute hätten wir alle auch so kriegen können. Und falls es zu einer Rezession kommt, wird es unsere Sozialsysteme enorm belasten. Aus meiner Sicht ist der wichtigste Vertrag, gerade für die EU, der Verkehrsvertrag. Ich bin nicht gegen ihn, habe ihn auch nicht bekämpft, aber er hat kaum dazu beigetragen, allfällige wirtschaftliche Nachteile eines EWR-Neins – die es nicht gibt – auszugleichen. Die bilateralen Verträge gelten heute gemeinhin als Sackgasse im Verhältnis zur EU, man will noch mehr abschliessen und kann aber nicht... ...wieso will man eigentlich noch mehr abschliessen? Wir brauchen doch gar nichts mehr! Zumindest nichts Lebensnotwendiges. Das Stromabkommen? Das ist nice-to-have, mehr nicht. Die Schweiz überlebt auch gut ohne den Vertrag. Und eine allfällige institutionelle Anbindung für diesen und weitere Verträge sowie die europäische Gerichtsbarkeit für die Schweiz wäre ein Riesenschaden. Da wären wir dann wieder beim EWR und schliesslich in der EU! Und gerade der EWR wird heute von einigen als mögliche Lösung aller Probleme mit der EU gepriesen. Immer der gleiche kleinliche Geist. Die Banken- und Steuerprobleme haben ja nicht wir, die haben die anderen mit uns. Die wollen etwas von uns. Also müssen wir Bedingungen stellen, Themen miteinander verknüpfen. Aber das passiert nicht, weil sich immer Einzelinteressen durchsetzen. Das habe ich auch im Bundesrat so erlebt. Niemand will etwas von seinem Gärtchen beim Verhandeln abgeben. Dann sagen Sie: Es ist gut so wie es ist, wir brauchen gar nichts zu verhandeln? Nein, verhandeln immer, aber nicht nachgeben. Nicht immer einknicken. Wir sollten viel öfters sagen: Bis hierher und nicht weiter. Der EWR wäre jedenfalls heute noch genauso fatal wie vor 20 Jahren. Das sieht ja laut aktuellen Umfragen auch eine grosse Mehrheit der Bevölkerung so. Was, wenn es damals ein EWR-Ja gegeben hätte? Dann wären wir heute sicher in der EU. Damit hätten wir, anders als im EWR, wenigstens ein bisschen mitreden können. Aber so oder so hätten wir unsere bewährten Stärken aus der Hand gegeben. Aber ist es nicht so, dass wir heute Vieles haben, das ein EWR-Ja auch gebracht hätte? Die enge wirtschaftliche Verzahnung, eine starke rechtliche Angleichung dank dem „autonomen Nachvollzug“, viele EU-Einwanderer. Sind wir denn wirklich noch so unabhängig wie Sie und die SVP das immer gerne behaupten? Wir haben – gegen den Willen der SVP – zu viel nachvollzogen. Aber die eigentlichen Sündenfälle waren die Personenfreizügigkeit und das Schengen-Abkommen. Da wurde das Volk massiv über den Tisch gezogen, und wir können in diesen Bereichen nicht mehr selbst bestimmen. Klar kann man auch diese Abkommen kündigen, aber das ist faktisch sehr schwierig. Wie würden Sie denn mit der Personenfreizügigkeit umgehen? Man muss sie neu aushandeln, so wie das die Initiative der SVP verlangt. Wir brauchen wieder mehr Autonomie. Würde die EU denn dazu Hand bieten? Wenn nicht, müsste man sie halt kündigen. Oder mit der Kündigung drohen, nur dann wird man etwas herausholen können. Davor hätte die EU Angst: Es arbeiten jetzt fast eine Million Europäer in unserem Land. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in ihren Heimatländern, wären bei einer Rückkehr vermutlich eine Million mehr arbeitslos. Die Personenfreizügigkeit ist ein wichtiger Vertrag für die EU. Zu uns kämen die Leute auch ohne diesen Vertrag, weil die Schweiz so attraktiv ist. Und Sie würden wirklich die bilateralen Verträge als Ganzes riskieren? Soweit würde es nicht kommen, es wäre nicht im Interesse der EU. Ich möchte sehen, wie die EU damit klarkäme, wenn sie den Verkehrsvertrag kündigen müsste. Als der Gotthard für ein paar Wochen geschlossen war wegen Unwetterschäden, hatten sie in Norditalien Versorgungsprobleme. Wagen Sie eine Prognose wie sich das Verhältnis der Schweiz zu Europa und der EU entwickeln wird? Es wird sicher schwieriger. Der Druck auf die Schweiz wird stärker, also müssen wir uns wehren. Historisch gesehen ist das nichts Neues, wir mussten uns immer wehren. Aber unser Selbstbestimmungsrecht und die direkte Demokratie sind die Gründe, weshalb wir weniger Schulden und niedrige Steuern haben. Wir haben nämlich nicht die besseren Politiker, sie haben bei uns einfach weniger zu sagen. Christoph Blocher (72) ist SVP-Nationalrat und Unternehmer. Er bekämpfte 1992 fast im Alleingang den EWR-Beitritt und setzte sich schliesslich in der Volksabstimmung durch. Anschliessend führte er die SVP über Jahre von Erfolg zu Erfolg und sass von 2004 bis 2007 im Bundesrat. Blocher ist verheiratet, Vater von vier erwachsenen Kindern und Grossvater von acht Enkeln. Er lebt in Herrliberg sowie auf Schloss Rhäzüns.

28.11.2012

La question européenne pas réglée

Interview avec Christa Markwalder et Christoph Blocher dans „La Liberté“ du 28 novembre 2012