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Independence

31.03.2001

Schmid gegen Blocher – kooperative gegen autonome Armee

Abstimmung zur Militärgesetz-Teilrevision vom 10. Juni 2001 Streitgespräch mit Bundesrat Samuel Schmid in der Basler Zeitung vom 31. März 2001 Moderiert und aufgezeichnet von Niklaus Ramseyer und Lukas Schmutz "Es geht bei der Abstimmung über das Militärgesetz am 10. Juni darum, dass gewisse Einheiten, wo das nötig ist, zu ihrem eigenen Schutz bewaffnet werden können", argumentiert Bundesrat Samuel Schmid. Der wichtigste Gegner der Vorlage, Nationalrat Christoph Blocher, entgegnet: "Letztlich geht es um die Ermöglichung eines Beitritts zur Nato." Herr Bundesrat Schmid, Herr Nationalrat Blocher, die Kampagnen für und gegen die Militärgesetzrevi-sion, die am 10. Juni vors Volk kommt, laufen schon voll, und es wird mit harten Bandagen gekämpft: Es wird sogar der Vorwurf der Angstmacherei und der Lüge erhoben. Herr Schmid, inwiefern lügt Herr Blocher? Bundesrat Samuel Schmid: Es wurde behauptet, es gehe bei dieser Revision um einen Nato-Beitritt. Das stimmt ganz klar nicht. Es steht weder im Gesetzesentwurf, noch kann es indirekt behauptet wer-den. Wenn das nämlich so wäre, bräuchten wir dafür allein eine Volksabstimmung. Das brauchen wir jedoch nicht, denn ein Nato-Beitritt ist nicht beabsichtigt. Nationalrat Christoph Blocher: In unserer Kampagne gibt es nichts, was gelogen ist. Lügen ist in unse-rem Land verboten. Wenn der Herr Bundesrat meint, er müsse mir über die Zeitungen Lügner austei-len, dann möchte ich das VBS doch bitten, gegen mich eine Klage einzureichen. Die Zeit ist vorbei, in der ein Bundesrat wie ein Kaiser sagen,kann, einer im Volk lüge. Er muss auch nicht meinen, das werde geglaubt. Es geht also nicht um die Nato, worum geht es denn? Blocher: Es geht jetzt um den Nato-Anschluss und letztlich um den Nato-Beitritt. Es geht nicht darum, ein paar Soldaten im Ausland ein bisschen zu bewaffnen oder nicht. Der Auslandeinsatz von Schwei-zer Soldaten steht im Zentrum der Armeereform XXI. Deshalb hat Bundesrat Adolf Ogi am 31.5.2000 ehrlicherweise erklärt, wenn die Militärgesetzrevision am 10. Juni abgelehnt werde, müsse man mit der Armeereform von vorne beginnen. Wenn es nur darum ginge, 100 Soldaten zu bewaffnen, müsste man nicht neu beginnen. Der Einsatz von Soldaten und Kooperation mit fremden Armeen steht im Mittelpunkt. Es geht um Nato-Unterstellungsfähigkeit. Davon steht nichts im Gesetz, wie kommen Sie darauf? Blocher: Der Beweis ist einfach zu führen. Alles in der Armee XXI wird auf Nato-Strukturen ausgerich-tet. Von Ausrüstung und Bewaffnung über Ausbildungs- und Einsatzdoktrin bis zur Sprache. Es geht darum, an Nato-Einsätzen mitzuwirken. Das ist neutralitäts- und verfassungswidrig. Ist das so, spielen Sie mit verdeckten Karten, Herr Schmid? Schmid: Nein. Es ist falsch, wenn behauptet wird, das sei die Hauptstossrichtung der Armeereform. Wir müssen die Armee 95 schlicht und einfach umfassend reformieren. Das will man einfach nicht wahrhaben. Es fehlen uns über 3000 Subaltern-Offiziere, es fehlen über 700 Unteroffiziere. Wir müs-sen die Armee umfassend reformieren, das hat mit einer Strukturanpassung an die Nato überhaupt nichts zu tun. Sie haben die umstrittene Vorlage von Ihrem Vorgänger Ogi geerbt. Hätten Sie die Revision auch vorgezogen? Schmid: Über den damaligen Entscheid kann ich mich nicht äussern. Aber es ist sicher falsch, wenn man behauptet, ohne die Revision könne man die Armee XXI nicht realisieren. Blocher: Dann wäre ein doppeltes Nein für die Armeereform auch nicht von Nachteil. Wir sind ja nicht gegen eine Armeereform... Schmid: ...eben doch. Wenn man die ganze Sache auf die lange Bank schiebt, gefährdet man die Bereitschaft der Armee. Und das habe ich mit dem Hinweis auf die fehlenden Kader doch deutlich gemacht... Blocher: ...Falls die Sache auf die lange Bank geschoben wird, ist das der Fehler des Bundesrates, der eine Reform vorlegt, bei der der Auslandeinsatz und die Nato-Unterstellung im Mittelpunkt stehen. Schmid: ...Ich sage ja, das sei eben nicht so. Und ich muss mich dafür auf niemanden berufen. Ich berufe mich auf den Sicherheitspolitischen Bericht, den das Parlament zustimmend zur Kenntnis ge-nommen hat. Er legt die Doktrin mit den drei Aufträgen der Armee fest. Und ich kann mit der Armeere-form nicht mehr mehrere Jahre zuwarten. Blocher: Herr Schmid ist tatsächlich in einer sehr undankbaren Situation. Er badet aus, was ihm andere eingebrockt haben. Darum muss das Volk zwei Mal Nein sagen. Schmid: Ich stehe zur Armeereform und zur Gesetzesrevision. Blocher: Diese Reform ist auf Bündnisfähigkeit mit ausländischen Armeen ausgerichtet... Schmid: Das ist falsch! Blocher: Warum muss denn die Ausrüstung, die Einsatzdoktrin, die Ausbildung, die Sprache, warum muss das alles auf die Nato ausgerichtet werden? Dass das so ist, steht in Ihren Dokumenten. Schmid: Sie müssen eben das Armeeleitbild lesen. Blocher: Ich zitiere aus Ihrem Armeeleitbild vom 21.2.2001: "Mittelfristig soll die Armee fähig sein, sich an friedensunterstützenden Operationen mit einem Infanterie-Bataillon, verstärkt durch zusätzliche Logistik-, Führungs-, Genie-, Aufklärungs-, Militärpolizei- und Lufttransportelemente während unbe-stimmter Zeit zu beteiligen. Dabei soll in Absprache mit den Kooperationspartnern die Verantwortung für einen eigenen Einsatzraum übernommen werden können." Damit sind wir mit Kampfverbänden im Ausland. Schmid: Das stimmt nicht. Damit ist kein Kampfverband gemeint. Blocher: Was ist denn ein Infanterie-Bataillon? Schmid: Es kommt eben darauf an, welches der Auftrag ist. Es geht dabei nur um friedenserhaltende Massnahmen! Und die Lufttransport-Elemente brauchen wir für die humanitären Einsätze. Sie machen Ihre freie Interpretation des Textes zur Wahrheit. Und das stimmt nicht. Blocher: Eine Unterscheidung zwischen friedenserhaltend und friedenserzwingend ist nicht möglich. Ich werfe dem VBS vor, dass mit der Armee gespielt wird. Schmid: Da wehre ich mich dagegen. Dass mit der Armee gespielt wird, akzeptiere ich nicht. Wie ist denn das mit den übrigen humanitären Einsätzen? Beim Roten Kreuz nehmen Sie tödliche Unfälle offenbar in Kauf. Konsequenterweise müssten Sie da auch dagegen sein. Blocher: Unsere Armee ist eine Widerstandsarmee, um unsere Souveränität und die Bevölkerung zu schützen und zu verteidigen. So steht es in der Bundesverfassung. Mit dem Militärgesetz soll der Schritt zur Interventionsarmee und zum Militärbündnis getan werden. Die Armee soll Nato-unterstellungsfähig sein und will eine Vorneverteidigung im Ausland bis auf 300 Kilometer über die Grenze hinaus. Schmid: Wo steht nun das wieder? Ich muss nun einiges korrigieren: Wenn man die englische Sprache zum Indiz für einen Nato-Beitritt macht, warum redet man denn in der Geschäftswelt überall Englisch? Das ist derart absurd, und es zeugt davon, dass man eigentlich einen Teil der Argumentation schon verloren hat und man versucht mit derartigen Konstruktionen das Referendum zu stützen. Herr Schmid, wenn es nicht um Nato-Beitritt geht, worum geht es denn? Schmid: Die Militärgesetzrevision ermöglicht die Beteiligung an militärischen Einsätzen zur Friedensförderung, nicht zur Friedenserzwingung. Es geht nicht um Kampfeinsätze. Es geht jedoch um eine höhere Legitimation solcher Einsatzmöglichkeiten. Darum muss beispielsweise das Parlament zu-stimmen, wenn mehr als 100 Mann eingesetzt werden sollen. Das Parlament muss auch zustimmen, wenn der Einsatz länger als drei Wochen dauert. Deshalb ist es eine bessere Verankerung dessen, was heute in unvollkommener Weise schon möglich ist. Konkret geht es darum, dass sich unsere Soldaten im Notfall selber schützen können. Blocher: Und wo hört denn der Selbstschutz auf? Nein, es geht um Kampfeinsätze im Ausland. Es ist die Abkehr von jener Friedenspolitik, welche die Schweiz zweihundert Jahre lang erfolgreich betrieben hat. Das neue Konzept, für das jetzt die gesetzliche Grundlage zur Debatte steht, hat grosse Risiken. Für den Kleinstaat Schweiz entsteht Kriegsgefahr. Und in Ihren Augen geht es letztlich um den Anschluss an die Nato. Aber es gibt doch kein Mitglied der Landesregierung und auch keine wichtige Partei, die den Beitritt zur Nato fordern. Blocher: Doch, das gibt es. Nehmen Sie nur das Papier der Freisinnigen "Vision Schweiz 2007". Dem-zufolge soll die Schweiz der Nato bis dann beitreten. Das können Sie schwarz auf weiss lesen. Auf die Abstimmung hin sagt Ihnen sicher niemand, wir sollten die Neutralität preisgeben und der Nato beitreten. Das Schweizer Volk will nämlich neutral sein und es ist gegen den Nato-Beitritt. Darum wählt man den Nato-Anschluss. Die Nato-Partnerschaft für den Frieden wurde beschlossen, ohne diese dem Volk vorzulegen. Und die Auslandeinsätze sind eine Abkehr von der Widerstandsarmee, weil damit begonnen wird, bei internationalen Konflikten mitzumischen. Schmid: Das ist absurd. Wenn man davon ausgeht, dass man in jedem Fall absolute Selbstständigkeit bewahren und auch in Bezug auf Ausrüstung und Bewaffnung überhaupt nicht mit anderen Staaten kooperieren will, dann erwarte ich von den Leuten, die das fordern, das nächste Mal einen Verteidi-gungsetat von 20 bis 25 Milliarden. Das ist die Konsequenz. Blocher: Solche Drohungen des VBS habe ich langsam satt. Die gemeinsame Ausbildung mit der Nato kommt wesentlich teurer zu stehen. Schmid: Wer will denn mit Verbänden ausserhalb des Landes Verteidigung betreiben? Wir jedenfalls nicht. Das steht nirgends im Armeeleitbild XXI. Ihr Vorwurf ist deshalb absurd. Blocher: Das Leitbild ist nicht das einzige wichtige Dokument. Schmid: Aber es ist der Entwurf für die Grundlage, auf der wir die Armee XXI planen. Blocher: Was ist denn mit den 33 Zielabkommen, die Sie mit der Nato getroffen haben? Wollen Sie die veröffentlichen? Die sind im Internet schon veröffentlicht. Aber kommen wir nun auf die Frage der Neutralität. Was ist denn Ihr Neutralitätskonzept, Herr Schmid? Schmid: Die Neutralität ist ein ganz wesentliches Element unserer Sicherheitspolitik. Da stimmen wir überein. Die Neutralität hat den Interessen unseres Landes über Jahrhunderte hinweg einen guten Dienst erwiesen. Und das soll auch weiterhin so bleiben. Die Neutralität jedoch und nicht dieser Fun-damentalismus, den man nun plötzlich darin sieht. Die Neutralität ist ein ernstzunehmendes und von mir hoch geschätztes Gut. Aber ich muss auch dafür sorgen, dass man sie ernst nimmt, dass sie res-pektiert wird und dass wir den Respekt vor der Neutralität behalten können. Und in diesem Zusammenhang sind 200 Mann oder mittelfristig gar ein Bataillon in friedensfördernden Einsätzen - weiss Gott - kein Problem. Unter den Voraussetzungen, welche die Gesetzesrevision vorsieht, erst recht nicht. Für Sie geht es am 10. Juni also überhaupt nicht um die Neutralität? Schmid: Wenn wir ab und zu gezwungen sind, erstens ausländische Waffensysteme zu kaufen, weil wir keine eigene Rüstungsindustrie mehr haben, zweitens bei der Ausbildung die Verbandsschulung oder das Training der Luftwaffe im Ausland zu machen, und den Leuten dafür einen sauberen Rechtsstatus geben wollen, dann kann doch niemand behaupten, das sei eine Neutralitätsverletzung. Neutralität ist eine von mir hoch geschätzte Maxime, die überhaupt nicht zur Diskussion steht. Wie hätten wir in den 50er Jahren unsere Mission in Korea machen können? Damals hat niemand Ein-wände dagegen erhoben - auch nicht gegen die Bewaffnung. Blocher: Das ist schon mit der heutigen Gesetzesgrundlage möglich. Schmid: Das Volk hat im Übrigen bei der letzten Militärgesetzrevision unter den Armeezwecken den Friedensförderungsdienst angenommen. Damals hat niemand das Referendum ergriffen. Die Befürch-tungen, dass wir zur Neutralität Sorge tragen müssen, nehme ich ernst. Blocher: Neutral sein heisst, sich nicht in fremde Händel mischen. Die Armee XXI ermöglicht dies aber. Wir opfern unsere Soldaten - Söhne und Töchter - jedoch nicht für fremde Händel. Der Schwei-zer Soldat dient dem Schutz der Bevölkerung und des eigenen Landes. Dafür muss er sogar bereit sein zu sterben. Für ausländische Interventionen hingegen - die für mich militärische Grossmachts-träume sind - nehmen wir das nicht in Kauf. Das sind die Grundfragen. Und die Neutralität: Sind Sie ein neutralitätspolitischer Fundamentalist? Blocher: Nein. Die Schweiz hat eine dauernde Neutralität, das unterscheidet uns von Schweden. Zweitens heisst Neutralität strikte Nicht-Teilnahme an fremden Konflikten. Drittens sind wir als Klein-staat neutral. Denn wer in einem Konflikt Partei nimmt, wird in diesen hineingezogen. Dank dieser bewaffneten Neutralität hatten wir 200 Jahre lang keinen Krieg. Diese Neutralität wird mit der Militär-vorlage massiv aufgebrochen. Wer mit Soldaten antritt und schiesst im Ausland, der wird Partei. Das sieht man jetzt in Mazedonien, wo die Deutschen schwere Kampfpanzer schicken müssen. Sie lehnen also nicht nur eine Nato-, sondern jede Kooperation ab? Blocher: Militärische Kooperationen eindeutig. Das muss der Neutrale auch. Als Kleinstaat müssen wir humanitäre Hilfe leisten, nicht mit Soldaten. Aber in der Luft ist doch heute autonome Verteidigung schlicht nicht mehr möglich. Blocher: Soweit es für einen Kleinstaat nötig ist, genügen die heutigen Rechtsgrundlagen. Schmid: Aber wie machen Sie denn das? Da sind wir doch ganz konkret auf unsere Nachbarn ange-wiesen. Blocher: Militärisch und zivil werden heute bei der Luftraumüberwachung international dieselben Sys-teme benutzt. Da haben die Länder Abkommen untereinander. Da ist auch nichts dagegen einzuwen-den. Schmid: Und das führt dann gleich zum Nato-Beitritt? Blocher: Nein. Aber der Nato-Anschluss ist gerade bei der Luftwaffe schon weit fortgeschritten, ohne jetzt ins Detail zu gehen. Schmid: Mich interessieren am Schluss eben gerade die Details. Ich muss für dieses Land ein glaub-würdiges Sicherheitssystem generieren, sonst kann ich nicht sagen, ich sei bewaffnet neutral. Und dafür brauche ich eine gewisse Beweglichkeit. Blocher: Sie wollen also der Nato beitreten? Schmid: Nein, überhaupt nicht! Aber auch Sie müssen jetzt zugeben, dass gerade in der Luft absolute Autonomie nicht mehr möglich ist. Blocher: Gegen alle Luftkriege (z.B. Weltall) ist man nicht gewappnet. Doch einmal muss jeder Gegner auf den Boden! Herr Blocher sagt, es gehe um die Frage, unter welchen Umständen ein Soldat töten und sterben müsse. Wie stehen Sie als Verteidigungsminister dazu? Schmid: Es geht nicht ums Töten. Es geht darum, dass gewisse Einheiten, wo das nötig ist, zu ihrem eigenen Schutz bewaffnet werden können. Blocher: Genau das heisst, die Armee nicht ernst nehmen. Wenn man ein Bataillon schickt, dann nehmen die Soldaten ihre Waffen auch zum Töten mit. Schmid: Warum ist denn ein Soldat heute in der Schweiz zur Bewachung eines Kantonements auf einem Schulhausplatz mit einem Gewehr bewaffnet? Weil er sich im Notfall soll wehren können. Das ist auch im Frieden in der Schweiz so. Blocher: Im Ernstfall muss er schiessen können und sterben müssen. Die Frage ist, für was und für wen? Schmid: Um sich selber wehren zu können. Um im erwähnten Fall in der Schweiz etwa ein Munitions-lager zu bewachen. Und wenn er angegriffen würde, könnte er sich selber wehren. Herr Schmid, war es nicht ein Fehler, die Beteiligung der Schweiz auch bei friedenserzwingenden Einsätzen zu ermöglichen? Schmid: Das ist nicht der Fall. Es geht effektiv nur um Friedensförderung. Blocher: Wenn bewaffnete Auseinandersetzungen anfangen, ist das nicht entscheidend. Wo hört Friedenserhaltung auf, und wo fängt Friedenserzwingung an? Das geht ineinander über. Schmid: Nein, und das haben wir vor etwa zehn Tagen bewiesen, indem wir reagiert und unsere Leute aus Mazedonien abgezogen haben. Blocher: Sie haben dabei einen Container zurückgelassen und eine Sauna. Das ist in Ordnung. Aber es wäre absolut lächerlich gewesen, wenn diese Soldaten nun auch noch bewaffnet gewesen wären. Schmid: Warum? Darum geht es nicht. Herr Blocher behauptet, diese Unterscheidung sei nicht mög-lich. Sie ist es aber, wenn man lagegerecht entscheidet, so wie wir es getan haben. Sie plädieren für strikt zivile humanitäre Einsätze. Werden Sie im Falle eines Neins zur Militärvorlage den Antrag stel-len, dass die 100 Millionen, welche die militärischen Auslandeinsätze kosten sollen, für humanitäre Operationen eingesetzt werden? Blocher: Einfach 100 Millionen zu verpulvern wäre falsch. Wir brauchen ein humanitäres Korps, das mehr kann als das Katastrophenhilfekorps. Dazu braucht es zuerst ein Konzept. Daraus ergeben sich die Kosten. Sie dürften weit unter 100 Millionen liegen. Schmid: Ich kenne die Möglichkeiten derartiger Operationen und habe sie mit UNO-Spezialisten und dem Präsidenten des IKRK, Jakob Kellenberger, besprochen. Wie auch immer, kommen sie zum Schluss, dass man eben auch einen Teil dieser Leute für den Selbstschutz bewaffnen müsste. Und dann sind wir wieder gleich weit. Herr Schmid, was sind Ihre Hauptargumente für die Vorlagen, und was passiert, wenn sie abgelehnt werden? Schmid: Für mich ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit. Es geht einerseits darum, dass unsere Leute im Ausland, dort wo das nötig ist, rechtlich gefahrlos Übungen für ihre militärische Ausbildung durch-führen können. Andererseits geht es darum, dass unser Land neutral, solidarisch und disponibel bleibt. Die Disponibilität zu bewaffneten Friedenseinsätzen ermöglicht es uns, die Neutralität gegen-über anderen glaubwürdig zu vertreten. Wenn die Vorlage abgelehnt wird, bleibt die Situation so, wie sie heute ist. Das heisst, die Friedensförderung ist nicht betroffen. Aber die Ausbildung würde massiv erschwert. Herr Blocher, warum soll das Volk die Vorlagen ablehnen? Was passiert, falls es dennoch Ja sagt? Blocher: Es geht in der ersten Vorlage darum, ob Schweizer Soldaten im Ausland in Kampfeinsätze geschickt werden sollen. Das wäre eine Abkehr von einer 200-jährigen Tradition. Das wäre unverant-wortlich und ein Verstoss gegen die Neutralität. Bei der zweiten geht es darum, dass ausländische Soldaten in der Schweiz auch in gross angelegten Übungen eingesetzt werden können. Beides ist nicht akzeptabel, und mit einem doppelten Nein kann das Volk am 10. Juni diese Fehlentwicklung verhindern.

15.03.2001

Gesundet der Freisinn mit der Swissair?

Artikel von Christoph Blocher zum Thema Krise Swissair und Freisinn erscheinen im Tages-Anzeiger vom 15.03.2001

13.03.2001

«Weshalb ich am 10. Juni 2x Nein stimme»

Zwölf zwingende Gründe gegen die Militärgesetz-Revision Artikel vom 13. März 2001 1. Die Schweiz hat eine Widerstandsarmee Schweizer Soldaten sind für den Krieg gerüstet, damit sie notfalls Krieg führen können, um unser Land zu verteidigen. So schafft unsere Widerstandsarmee im eigenen Land Frieden, sie verhindert Krieg. Bundesverfassung Artikel 58: 2 Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Vom Schweizer Soldaten wird verlangt, dass er für den Schutz unseres Landes notfalls sein Leben hergibt. Die Frage ist zu stellen: Sterben wofür? Für fremde Händel und Kriegsabenteuer lässt sich der Einsatz des Lebens nicht rechtfertigen. Mit der Ernsthaftigkeit und den Schrecken des Krieges spielt man nicht. Wir sagen nein zu Kriegsabenteuern. Bundesverfassung Artikel 58: 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert. Bundesverfassung Art. 59: 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Die Verteidigung des eigenen Landes ist Aufgabe jedes Schweizer Bürgers. Für diesen Zweck haben wir die Milizarmee mit Bürgern in Uniform geschaffen. Eine Armee, welche nur im Notfall aufgeboten werden kann. 2. Schwächung der Landesverteidigung und des Milizarmee Der Selbstbehauptungswille und die militärische Landesverteidigung der Schweiz gründen auf dem Gedanken des Widerstandes. Unsere Widerstandsarmee dient der Verteidigung. Sie mischt sich nicht in fremde Angelegenheiten In der Milizarmee ist der Bürger gleichzeitig auch Soldat und somit Träger des Widerstandes. Auslandeinsätze leisten der Schaffung einer Berufsarmee Vorschub und schwächen die Milizarmee. Sie führen zur Zweiklassenarmee. Der Zusammenhalt in der Armee wäre gefährdet. In der Folge wür-de die militärische Landesverteidigung den Rückhalt im Volk verlieren. 3. Verhinderung einer zukunftsweisenden Reform der Schweizer Armee Die Auslandseinsätze und die Ausbildungskooperation mit der NATO wollen aus der schweizerischen Milizarmee auf verfassungswidrige Art und Weise eine der NATO unterstellungsfähige Interventions-armee schaffen. Es soll eine NATO-Armee im Taschenformat konstruiert werden. Hauptsächlich aus Profis bestehend und von Profis kommandiert, mit Flugzeugen transportierbar und integrierbar in NA-TO-Strukturen, soll sie im Ausland zum Vasallen fremder Befehlshaber werden. Selbstverständlich: die schweizerische Miliz-Armee muss modernisiert und auf neue Formen von Ge-walt und Krieg ausgerichtet werden. Sie hat sich aber strikte auf das eigene Land zu konzentrieren. Wer die Armee mit militärischen Ausland-Einsätzen rechtfertigen will, leistet der Armee-Abschaffung Vorschub. Die beiden Gesetzesvorlagen bilden die Grundalge für die Armee XXI. Die neue Armee ist so gestal-tet, dass wir zwangsläufig von der NATO abhängig werden. Die Armee wird drastisch verkleinert. Tra-ditionsreiche und über Jahrzehnte gewachsene Verbände sollen der NATO-kompatiblen Brigadisie-rung weiche. Die Gebirgstruppen werden faktisch aufgehoben. Ein Gebirgsarmeekorps zum Schutz der wichtigen strategischen Übergänge wird es nicht mehr geben. 4. Auch "friedensunterstützende" Einsätze führen unvermittelt zu Kampfhandlungen Ein UNO-Expertenbericht, der sogenannte Brahimi-Bericht, hat die "Friedenseinsätze" der UNO wäh-rend der letzten 10 Jahre untersucht. Das Resultat ist vernichtend: Die Mehrzahl der Einsätze ist ge-scheitert. Die UNO-Experten und die NATO verlangen auch für "friedensunterstützende" Einsätze eine "robuste Doktrin": UNO-Truppen müssen jederzeit in der Lage sein, den "Kampf zu führen und den Gegner zu besiegen". Solche Forderungen nehmen endgültig Abschied von der naiven Annahme, es könne unterschieden werden zwischen "friedensunterstützenden" und "friedenserzwingenden" Einsätzen. Auch die Schwei-zer Truppen würden demzufolge den Auftrag erhalten, "den Gegner besiegen zu können". Die Schweiz könnte sich der Forderung nach einer UNO-Interventionsmacht (unter NATO-Kommando!) mit Kampfauftrag nicht widersetzen. Deshalb stellt sich die grundsätzliche Frage: Sollen Schweizer Soldaten in ausländischen Konflikt- und Kampfgebieten eingesetzt werden? Es geht nicht darum, ob Schweizer Soldaten für ausländische Kriegshändel zum Selbstschutz ein wenig bewaffnet werden sollen. 5. Eskalationsspirale führt zu Kriegsabenteuern Beispiele wie Bosnien, Ruanda, Ost-Timor, Somalia oder Sierra Leone zeigen, dass "friedensunter-stützende" Einsätze rasch eskalieren können. Auch für Schweizer Soldaten wäre der Griff zur Waffe unvermeidlich. Wer würde nach den Schüssen noch unterscheiden, ob es nun Notwehr der neutralen Schweiz oder eine Aggression der "fremden Interventionsmacht" war? Die Schweiz würde zur Kriegs-partei. Sie würde ihr Ansehen und ihre humanitäre Tradition als neutraler Kleinstaat verlieren. Ausge-rechnet der Depositärstaat des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) würde endgültig zur Marionette der interventionistischen Grossmachtpolitik. 6. Der Krieg und seine Schrecken "Suchst Du den Krieg, dann kommt er zu Dir!" Jeder Krieg ist begleitet von Grausamkeiten, Schre-cken, Tod und Zerstörung. Uranhaltige Munition, Minen, Splitterbomben und Giftgase kommen zum Einsatz. Neue Waffensysteme werden getestet. Wir haben dazu nichts zu sagen. Die Zivilbevölkerung und die Umwelt leiden. Unsere Söhne und Töchter kommen aus den fremden Kriegseinsatz mit Ver-strahlungen, Leukämie, Vergiftungen, körperlichen und seelischen Schäden oder gar als Tote zurück. Wofür? Und wo Truppen im Einsatz stehen, nistet sich die Prostitution ein. Sie will zusammen mit der Dro-genmafia profitieren. Jede Mutter, jede Frau, jede Freundin muss wissen, dass im Ausland eingesetz-te Soldaten diesen Gefahren ausgeliefert sind. Deshalb geht man nicht unter irgendwelchen Vorwän-den freiwillig zum Krieg. Bewaffnete Auslandeinsätze sind keine Abenteuerferien. Auslandeinsätze sind keine Abenteuerferien. 7. Preisgabe der schweizerischen Neutralität - weniger Sicherheit! Unsere Neutralität hat sich als erfolgreiches Sicherheits- und Friedensinstrument bewährt. Auch für das neue Jahrtausend ist sie hochmodern. Sie verpflichtet unsere Behörden zur konsequenten Nicht-einmischung in fremde Angelegenheiten und zur aussenpolitischen Bescheidenheit. Damit schützt sie Volk und Land davor, ungewollt in internationale Konflikte hineingezogen und erpressbar zu werden. Mit dem Einsatz von Schweizer Soldaten in ausländischen Konflikt- und Kriegsgebieten und mit der Präsenz von ausländischen Soldaten und Kampftruppen in der Schweiz würde die Neutralität ausge-höhlt und schliesslich aufgegeben. Die Sicherheit von Volk und Land würde fahrlässig aufs Spiel ge-setzt. Unsere 200-jährige Friedenstradition auf der Grundlage der Neutralität würde durch Anpasser-tum und modisches Prestigedenken über Bord geworfen. Die Schweizer Armee soll gemäss dem hohlen Schlagwort "Sicherheit durch Kooperation" zusammen mit der NATO 200 bis 300 Kilometer ausserhalb unserer Landesgrenzen den Abwehrkampf führen können. Die Neutralität wäre damit aufgegeben. Und unsere Truppen müssten unter Führung fremder Generäle ihr Leben einsetzen. Im eigenen Land wäre die Armee geschwächt. Möglichen Gefahren auf einheimischen Boden wären wir wehrlos ausgesetzt. Unsere Sicherheit würde fahrlässig aufs Spiel gesetzt. 8. Türöffner-Vorlage für falsche Aussenpolitik Die Militärgesetz-Revision ist die Türöffner-Vorlage für die verfehlte Aussen- und Sicherheitspolitik von Bundesbern: Zunächst soll mit dem Einsatz von Schweizer Soldaten und mit der Präsenz von auslän-dischen Soldaten in der Schweiz der Weg Richtung NATO-Beitritt geebnet werden. Sobald der militä-rische Auslandeinsatz legitimiert ist, wird man auf einen schnellen UNO-Beitritt drängen. Dies mit dem Argument, solche Militäreinsätze würden in der Regel unter UNO-Mandat durchgeführt, und die Schweiz müsse "mitreden" können. Schliesslich soll die Schweiz via politische UNO in die EU einge-bunden werden. Diese falschen aussenpolitischen Ziele werden die Unabhängigkeit, die Souveränität, die direkte De-mokratie und die Neutralität der Schweiz bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln. 9. Preisgabe der Souveränität und Unabhängigkeit Im Widerspruch zur Bundesverfassung setzt die neue Sicherheitspolitik die militärischen Auslandein-sätze an erste Stelle. Die angestrebte sicherheitspolitische Kooperation mit dem Ausland und die NATO-Partnerschaft für den Frieden (PfP) schränken die Handlungsfähigkeit der Schweiz ein. Die Vernetzung wird immer dichter. Die Neutralitätspolitik wird zunehmend abhängig von den Grossmächten. Die Ausrüstung und Bewaffnung sowie die Ausbildungs- und Einsatzdoktrin der Schweizer Armee wird bereits heute aus-schliesslich auf NATO-Interoperabilität (Fähigkeit der Streitkräfte, mit ausländischen Streitkräften zu kooperieren) gedrillt. Schweizer Armeeangehörige sollen die englische Militärsprache lernen. Die Militärgesetzrevision würde die ausenpolitische Kompetenz des Bundesrates auf Kosten der Volksrechte ausweiten. Der internationale Aktivismus, das "Sich-zur-Schau-stellen" und der Bürokra-tismus der Verwaltung werden auf Kosten der Steuerzahler ausgeweitet. Solche Fehlentwicklungen schränken die Souveränität und Unabhängigkeit unseres Landes ein. 10. Missachtung der Bundesverfassung und von Volksentscheiden Das Schweizer Volk hat sich in klaren Volksentscheiden (UNO 1986, EWR 1992, Blauhelme 1994, EU-Beitritt März 2001) zur Unabhängigkeit und zur Neutralität bekannt. Bundesbern wollte ursprüng-lich die Militärgesetzrevision ohne Volksabstimmung durchziehen. Man geht einfach über Volksent-scheide hinweg, als hätten sie nie stattgefunden. Bundesverfassung Art. 173, Weitere Aufgaben und Befugnisse 1 Die Bundesversammlung hat zudem folgende Aufgaben und Befugnisse: a. Sie trifft Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz. Bundesverfassung Art. 185, Äussere und innere Sicherheit 1 Der Bundesrat trifft Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz. Bundesverfassung Art. 58, Armee 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert. 2 Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Die Vorlage missachtet mit unglaublicher Ignoranz die in der Verfassung definierten Bestimmungen über die Neutralität und Armee: 11. Unverantwortliche Geldverschleuderung Militärische Auslandeinsätze sind eine unverantwortliche Verschleuderung von Steuergeldern. Auf-wand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis. Das Verteidigungsdepartement fordert schon heute Grossraum-Transportflugzeuge, Spezialausrüstungen für Auslandeinsätze, Container usw. - auf Kos-ten der Milizsoldaten und des Auftrages "Landesverteidigung". Der Swisscoy-Einsatz im Kosovo kostete für 15 Monate (bis Ende 2000) gemäss VBS etwa 60 Millio-nen Franken. Ein Swisscoy-Soldat kostet pro Monat gemäss Berechnungen der DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit im EDA) 42'000 Franken, ein Angehöriger des Schweizerischen Katastrophenhilfekorps etwa 12'000 Franken. Für Aufwendungen, die nichts mit den verfassungsrechtlich festgelegten Aufgaben der Schweizer Armee zu tun haben, werden heute schon weit über 100 Millionen Franken pro Jahr ausgegeben. Und dies auf Kosten unserer Verteidigungsarmee. Was für Regierungsmitglieder und reisefreudige Politiker prestigeträchtig erscheinen mag, ist für den humanitären Auftrag der Schweiz kontraproduktiv: Viel wirksamer ist es, die humanitäre Auslandhilfe der zivilen Organisationen - insbesondere der Schweizerischen Katastrophenhilfe - zu verstärken. 12. Der Weg der Schweiz Die immerwährende, bewaffnete Neutralität weist der Schweiz eine besondere aussenpolitische Auf-gabe zu: zivile humanitäre Hilfe, Friedensdiplomatie und jederzeitiger Einsatz des Roten Kreuzes. Es braucht in Europa und weltweit wenigstens ein glaubwürdig neutrales Land, das sich strikte aus frem-den Konflikten und Machtspielen heraushält und unparteiische humanitäre Hilfe leistet, wo Not herrscht. Unser aussen- und sicherheitspolitisches Konzept auf dem Boden der schweizerischen Neutralität muss heissen: - Wir mischen uns nicht in fremde Kriegshändel. - Keine Schweizer Soldaten im Ausland - Keine ausländischen Soldaten in der Schweiz. - Kriegsabenteuer nein - humanitäre Präsenz ja! - 2x Nein zum Militärgesetz

05.03.2001

«Jetzt bodige ich auch noch die Uno»

Blocher nach dem Sieg in der EU-Abstimmung Interview mit dem Blick vom 5. März 2001 Blocher will den aussenpolitischen Durchmarsch: Der Zürcher SVP-Chef möchte den Schwung des Europa-Neins vom Sonntag ausnützen, um auch die Uno zu bodigen. "Vorher höre ich nicht auf!", sagt Nationalrat Blocher im BLICK-Interview. Von Georges Wüthrich Herr Blocher, ist der EU-Beitritt jetzt vom Tisch? Christoph Blocher: Er ist für den Moment vom Tisch. Wie lange? Blocher: In den nächsten zehn Jahren kommt der Beitritt nicht mehr in Frage. Was muss der Bundesrat jetzt machen? Blocher: Er hätte klar sagen müssen, dass er dieses Resultat in dieser Klarheit auch nicht wollte. Er muss jetzt einsehen, dass das Schweizer Volk nicht in die EU will, auch die Westschweizer nicht. Den EU-Mitgliedstaaten muss er jetzt reinen Wein einschenken und das Beitrittsgesuch zurückziehen. Nützen Sie den Schwung gegen die Bewaffnungs-Abstimmung im Juni und gegen den Uno-Beitritt im nächsten Jahr aus? Blocher: Wir werden den Kampf nahtlos fortsetzen. Im Juni geht es um den Nato-Beitritt, und die Uno widerspricht unserer Neutralität. Dummes Zeug. Im Juni geht es nur um die Bewaffnung in Friedenseinsätzen zum Selbstschutz. Blocher: Das sagt man immer. Bei der EU hat man gesagt, es gehe nur um sofortige Beitritts-Verhandlungen, in Wirklichkeit ging es um den Beitritt. Beim Militärgesetz sagt man jetzt, es geht nur um ein wenig Bewaffnung, dabei will man den Nato-Beitritt. Ich bin gegen die Auslandeinsätze, wir haben uns nicht in fremde Händel einzulassen. Sollen Bundesrat und Parlament die Uno-Frage zurückstellen? Blocher: Ich würde mindestens raten, die Sache nochmals anzuschauen. Wie viel Geld hat die SVP gegen die EU-Initiative aufgewendent? Blocher: Es war relativ einfach, die Sache noch zu kehren, weil die riesigen Nachteile der EU immer sichtbarer werden. Ungefähr eine Million Franken. Sie könnten auf dem Höhepunkt des Triumphs jetzt zurücktreten. Blocher: Ich höre erst dann auf, wenn meine Aufgaben gemacht sind: Wenn die Uno gebodigt ist und die Steuern in unserem Land etwa halbiert sind. Macht Sie der Erdrutschsieg im Kanton Aargau rundum glücklich? Blocher: Ein solch erfreulicher Zuwachs birgt auch Gefahren. Die Aargauer müssen jetzt wahnsinnig aufpassen, dass sie nicht übermütig werden und dass sie ihre Arbeit recht machen. Ich hatte als Zürcher Präsident immer Angst vor solchen Zuwächsen.

16.02.2001

«Jetzt predigen Sie wieder den Untergang»

Streitgespräch im Tages-Anzeiger vom 16. Februar 2001 Christoph Blocher im Streitgespräch mit den Initianten Stefan Läubli und Thomas Christen über die Schweiz und die Europäische Union Von Luciano Ferrari Herr Blocher, müssten Sie im Grunde nicht für die Initiative "Ja zu Europa" sein? Christoph Blocher: Wer, ich? Ja, denn gemäss Bundesrat Couchepin ist das Schlimmste, was passieren kann, ein Ja zur Initiative: Dann müsste bereits in 3 bis 4 Jahren über den EU-Beitritt abgestimmt werden, was gemäss Couchepin unweigerlich zu einem Nein führen würde. Blocher: Es wird so viel Taktisches dahergeredet. Richtig ist: Die Initiative muss abgelehnt werden. Sie will die Schweiz in einem Verfassungsartikel verpflichten, "den Beitritt zur Europäischen Union anzustreben". Das heisst, die Befürworter der Europa-Initiative wollen in die EU und zwar sofort. Selbst wenn sie dann hinzufügen, man könne am Ende doch wieder Nein zum Beitritt sagen, dieser Artikel bliebe in der Verfassung. Es geht doch aber zunächst darum, Verhandlungen aufzunehmen. Die Initiative verlangt nicht den EU-Beitritt. Blocher: Doch. Jemand der den EU-Beitritt anstrebt, soll nicht in die EU wollen? Ich verstehe nicht, dass es immer noch Leute gibt, die auf so eine Argumentation hereinfallen. Es ist mir auch nicht klar, weshalb die Initianten nicht dazu stehen, dass sie möglichst schnell der EU beitreten wollen. Stefan Läubli: Wir sagen ganz offen: Wir sind für die EU und wollen ihr auch langfristig beitreten. Wenn man das aber will, muss zuerst verhandelt werden, innere Reformen sind nötig. Das alles braucht Zeit. Mindestens fünf Jahre, wenn nicht noch länger. In dieser langen Zeit können wir noch genauer herausfinden, warum wir - auch Sie - dafür oder dagegen sind, und dann das Volk in Kenntnis der Tatsachen entscheiden lassen. Blocher: Es gibt mit der EU gar nicht viel zu verhandeln. Man kann nur ganz beitreten oder nicht. Man kann über Übergangsfristen oder über die Kommissions-Zusammensetzung reden, aber das ist nicht entscheidend. Wesentlich ist: Ein Beitritt der Schweiz zur EU heisst, den Acquis Communautaire, das heisst das europäische Recht - das heutige und das künftige - zu übernehmen. So steht zum Beispiel fest, dass die Schweizer eine Mehrwertsteuer von mindestens 15 Prozent zu bezahlen haben werden. Thomas Christen: Herr Blocher, Sie reden immer von der Mehrwertsteuererhöhung. Die andere Seite der Medaille aber erwähnen Sie nicht. Die Finanzordnung des Bundes läuft 2006 aus. Auf diesen Termin hin soll es ohnehin zu einer Verschiebung der direkten zur indirekten Bundessteuer kommen. Sie müssen doch konsequent sein und sagen, es wird zu einer Erhöhung der Mehrwertsteuer kommen, aber sie kann sozial verträglich kompensiert werden, etwa durch eine Verminderung der Bundessteuer. Wieso betonen Sie immer nur die Nachteile? Blocher: Wollen Sie denn wirklich, dass die Mehrwertsteuer verdoppelt und die Bundessteuer gesenkt wird? Da würde ja der grösste Teil der Bevölkerung mehr Steuern bezahlen. Zudem glauben Sie doch nicht wirklich, dass diese Mehrwertsteuererhöhung kompensiert würde. Wir müssten ja auch noch jährlich 5 bis 7 Milliarden EU-Mitgliederbeiträge eintreiben. Das sind über 10 Prozent vom heutigen gesamten Bundeshaushalt zusätzlich. Läubli: Richtig ist, dass wir rund 3 Milliarden Franken zahlen müssten. Blocher: Schon 1992 hat der damalige Bundesrat Otto Stich 5 Milliarden berechnet. Heute, neun Jahre später, dürften es mehr sein - wohl eher 7 Milliarden. Läubli: Der Bundesrat kommt im Integrationsbericht auf einen Nettobetrag von 3,125 Milliarden Franken, und es ist klar, dass man in den Verhandlungen über diesen Preis reden müsste - übrigens nur ein Beispiel dafür, dass in Verhandlungen durchaus wichtige Punkte zur Diskussion stehen. Sie betonen aber dauernd die Kosten des Beitritts. Wir müssen doch auch sehen, was die EU in Europa erreicht hat. Die Versöhnung von Frankreich und Deutschland, die Aufnahme von Spanien, Portugal und Griechenland: Das hat zu Wirtschaftswachstum und zu einem generellen Stabilitätsgewinn in Europa geführt, von dem auch wir profitieren. Blocher: Ob der Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg durch die EU gewährleistet wurde, da mache ich gewaltige Fragezeichen. Der Frieden wurde durch die grosse Aufrüstung des Westens gesichert. ich will aber die EU nicht in Frage stellen. Die Mitgliedländer können machen, was sie wollen. Der Fortschritt in Spanien und Portugal ist durch die Demokratisierung und den Fall der Diktaturen ermöglicht worden. Aber auch die Schweiz hat eine Erfolgsgeschichte, die aus der direkten Demokratie und einer eigenen Wirtschaftsordnung besteht, die sie bei einem Beitritt preisgeben müsste. Dazu gehört zum Beispiel der Zinsvorteil gegenüber den anderen europäischen Staaten. Das hiesse heute etwa 2 Prozent höhere Hypothekarzinsen. Christen: Erstens hat sich die Zinsdifferenz zwischen den EU-Ländern und der Schweiz in den letzten Jahren immer mehr angeglichen. Dieser Trend dürfte sich fortsetzen. Zweitens können weder wir noch Sie heute sagen, was für eine Zinsdifferenz im Jahr 2006 herrschen wird, dem frühestmöglichen Zeitpunkt für einen Beitritt. Aber selbst wenn dann noch eine Zinsdifferenz besteht, gibt es immer Verlierer und Gewinner. Von einem Zinsanstieg könnten alle Sparer, wie etwa die grossen Pensionskassen, profitieren. Auch hier fokussieren Sie auf ein Thema, aber die grossen Zusammenhänge schieben sie einfach ab. Läubli: So profitieren wir schon heute von den Errungenschaften der EU, ohne einen Beitrag zu zahlen. Diese auf das Nehmen beschränkte Haltung aber führt zu einer schleichenden Isolierung der Schweiz und schadet unserem Wirtschaftsstandort. Gerade Sie wissen doch, wie wichtig heute die Netzwerke in Europa sind. Die Schweiz ist nicht mehr gut eingebunden. Ich erinnere etwa an die nachrichtenlosen Vermögen, ans Bankgeheimnis oder an die verzögerte Ratifizierung der bilateralen Verträge. Wenn man wie Sie an die Stärke der Schweiz glaubt, Herr Blocher. Wieso dann diese grosse Angst, sich selbstbewusst in diese Gemeinschaft einzubringen? Blocher: Wir leben ja nicht auf dem Mond in der Schweiz. Das Erfolgsgeheimnis der Schweizer Aussenpolitik ist doch, mit allen Staaten wirtschaftlich, politisch und kulturell freundschaftlich eng zu verkehren. Aber eines dürfen wir nicht tun: die Entscheidungsfähigkeit aus der Hand geben. Die Schweiz kann nur selbstbewusst sein, so lange sie selbst entscheiden kann. Herr Christen, die Hochzinsen führen zu Rezessionen, Wirtschaftseinbrüchen, Arbeitslosigkeit. Der höhere Wohlstand ist weit gehend auch die Folge des Selbstständigseins. Sie sind beides junge Leute: Auch für Sie ist entscheiden können, bestimmen können, zentral. Wären wir in der EU, könnten wir in wesentlichen Sachen nicht mehr selbst entscheiden. Vielleicht können der Bundesrat, Beamte und Diplomaten mitreden. Entscheiden kann, aber sicher nicht das Volk. Christen: Sie sagen, man dürfe die Entscheidungsfähigkeit nicht aus der Hand geben. Aber gerade deshalb muss man dort mit entscheiden können, wo die für uns wichtigen Fragen gelöst werden. Blocher: In Europa mitreden - um in der Schweiz nicht mehr entscheiden zu können! Nehmen wir die Aufhebung des Bankgeheimnisses oder die Sanktionen gegen Österreich: Hätte die Schweiz diese Beschlüsse nicht beeinflussen können, wenn sie EU-Mitglied gewesen wäre? Blocher: Wissen Sie, was im Fall Österreich passiert wäre? Die Schweiz hätte auch mitgemacht. Es ist ja für einen Schweizer unerträglich, wie hier die demokratische Entscheidung missachtet wurde: Da haben die EU-Staaten den Österreichern gesagt: "Diese Regierung dürft ihr nicht einsetzen, sonst boykottieren wir euch." Das tönt doch nach "Kauft nicht bei Juden". Wäre die Schweiz Mitglied gewesen, so hätte bestimmt auch der Bundesrat mitgemacht. Er hätte nicht die Kraft gehabt, sich zu widersetzen. Genauso, wie die Dänen diese Kraft auch nicht hatten. Sie wussten genau, wenn sie nicht mitmachen würden, wären sie an einer anderen Stelle zur Kasse gebeten worden. Denn in der EU geht es permanent um "Kuhhändel". Christen: Zu Österreich gilt es festzuhalten, dass es doch problematisch ist, wenn jemand an die Macht kommt, der mehrmals die nationalsozialistische Politik verharmlost hat. Das schieben Sie immer zur Seite. Mit dem Vorgehen der 14 EU-Staaten waren hingegen auch wir nicht einverstanden, befanden uns aber in sehr guter Gemeinschaft mit den Institutionen der EU. Sowohl die Kommission als auch das EU-Parlament haben von Anfang an gesagt, das Vorgehen sei falsch. Blocher: Nicht die EU-Gremien, sondern die EU-Staaten haben Österreich boykottiert, weil zu einem solchen EU-Beschluss Einstimmigkeit nötig gewesen wäre. Österreich hätte ja in den EU-Gremien selbst auch zustimmen müssen. Das Vorgehen ist undemokratisch. Sie sind ja gar keine Demokraten mehr, wenn Sie so etwas in Schutz nehmen. Christen: Diesen Vorwurf kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Blocher: Bringen Sie den Gegenbeweis. Christen: Als Demokrat will ich doch dort mitbestimmen, wo die wichtigen Entscheide gefällt werden. Ich begreife nicht, dass Sie diese Ebene einfach ausschliessen. Durch die Globalisierung sind die Probleme so gross geworden, dass sie eben nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene gelöst werden können. Deshalb lösen die EU-Staaten diese Probleme gemeinsam, und die Schweiz, mitten drin, muss dann einfach nachziehen. Wir werden fremdbestimmt. Läubli: Wir sehen dies doch jetzt bei der zweiten Runde der bilateralen Verträge. Da hat die EU in den Bereichen organisierte Kriminalität, Flüchtlingsströme und Asylpolitik in den Verträgen von Schengen und Dublin eine Lösung gefunden. Jetzt muss die Schweiz darum betteln, dass Sie diese fixfertigen Lösungen übernehmen kann. Hat so unser Volk noch einen Einfluss? Blocher: Ja, sie ist entwürdigend, diese Bettelei. Aber wir sind nicht gezwungen nachzuziehen. Erst wenn wir in der EU sind, werden wir fremdbestimmt. Das Schengener Abkommen wäre schlecht für die Schweiz. Wir können die Probleme im Flüchtlingsbereich ohne weiteres allein lösen. Dort, wo die Schweiz versagt hat, ist sie selber schuld. Wenn Politiker ein Problem nicht lösen können oder wollen, schieben sie es einfach auf die EU. Ich freue mich zwar über Ihre Schwärmerei, ich war nach dem Krieg auch ein grosser Anhänger dieser Einigungsbewegung, nur hatte ich natürlich ein anderes Europa vor mir. Heute erklärt Kommissionspräsident Romano Prodi, die EU müsse eine Grossmacht werden. Die Schweiz ist in ihrer Geschichte immer gescheitert, wenn sie sich einer Grossmacht anschliessen wollte. Christen: Jetzt predigen Sie wieder den Untergang der Schweiz. Sie sagen, Sie hätten sich die europäische Einigung anders gewünscht und stilisieren die EU zu einer undurchsichtigen Grossmacht herauf. Es ist doch eine Tatsache, dass zumindest die Gründerstaaten der EU seit fast 50 Jahren zusammenarbeiten, und ein Italiener immer noch ein Italiener ist, ein Deutscher immer noch ein Deutscher. Es ist wie 1848, als die Kantone sahen, dass sie die Probleme nicht mehr allein würden lösen können. So entstand die Schweiz, und ein Thurgauer blieb ein Thurgauer, ein Berner ein Berner. Man beschloss einfach, diejenigen Probleme, die man nicht für sich lösen konnte, gemeinsam, auf Bundesebene anzugehen. Jetzt steht nichts anderes zur Diskussion, als eine weitere, europäische Ebene anzufügen, ohne dabei die Schweiz als Staat in Frage zu stellen. Blocher: Damit geben Sie die Selbstbestimmung unseres Landes weit gehend auf. Wenn Sie wollen, dass die Schweiz ein Kanton der EU werden soll, dann sagen Sie das. Wer will die Kompetenzen, die die Kantone an den Bund abgegeben haben, an Brüssel abgeben? Die Schweizer Kantone waren damals - nach einem Bürgerkrieg - nicht überlebensfähig. Die Schweiz aber kann überleben, sie ist wirtschaftlich und freiheitlich sehr gesund. Da geht man doch nicht hin und sagt, wir geben uns auf und werfen uns in die Arme derer, die eine ganz andere Konzeption haben als wir. Darf man ein Nein zu dieser Initiative als Nein zum EU-Beitritt interpretieren oder muss man nicht fairerweise sagen, dass ein Teil des Neins sich nur gegen die sofortige Aufnahme von Verhandlungen richtet? Blocher: Ich hoffe, dass auch viele grundsätzliche EU-Befürworter Nein stimmen werden, wie dies ja auch Bundesrat und Parlament empfehlen. Wichtig ist, dass die Europa-Initiative am 4. März abgelehnt wird. Sicher wird dann das Ergebnis verschieden interpretiert. Die Europa-Initiative will einen sofortigen EU-Beitritt. Wird sie abgelehnt, ist der Beitritt für die nächsten Jahre vom Tisch. Läubli: Richtig, Herr Blocher, wenn die Initiative abgelehnt wird, ist der EU-Beitritt vorerst vom Tisch. Aber die Diskussion über das Verhältnis der Schweiz zur EU wird unweigerlich weitergehen - weil sich zeigen wird, dass sich eine Isolierung der Schweiz nicht auszahlt.