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13.06.2003

Couchepin hat einen Pfusch präsentiert

Interview im "Tages-Anzeiger" vom 13. Juni 2003 Christoph Blocher hält die langfristigen AHV-Vorschläge von Pascal Couchepin für Wolkenschiebereien. Man müsse jetzt vor allem gegen die «Scheininvaliden» vorgehen. Von Iwan Städler und Christoph Schilling Herr Blocher, eigentlich würde die SVP vor den Wahlen ja lieber über Asylpolitik und Europa sprechen. Jetzt hat Pascal Couchepin aber eine Rentendebatte angezettelt. Stört Sie das? Blocher: Nein. Wir sprechen natürlich trotzdem über die Asylfrage und die EU. Aber die Sozialversicherungen gehören zu unseren Schwerpunkten. Man hatte den Eindruck, die SVP sei von Pascal Couchepin etwas überrumpelt worden. Einige Ihrer Nationalräte haben durchaus Verständnis für dessen Ideen gezeigt. Sie hingegen, Herr Blocher, wollen nichts von einer Erhöhung des Rentenalters wissen. Warum nicht? Blocher: Es ist nicht nötig. Bis ins Jahr 2015 sichern wir die AHV auch ohne Rentenaltererhöhung. Couchepin spricht von der Zeit danach. Blocher: Das sind doch Wolkenschiebereien. Wer weiss schon, wie die Welt im Jahr 2025 aussieht. Pascal Couchepins Arbeiten sind völlig unausgegoren. Er hat einen Pfusch präsentiert, zu dem ich nicht Stellung nehme. «Blick» titelte aber: «Blocher: Hände weg von der AHV». Blocher: Dieses Zitat stammt nicht von mir. Ich nahm an einem Streitgespräch mit SP-Nationalrat Werner Marti teil, das vor Couchepins Präsentation stattgefunden hat. Dabei ging es um die 11. AHV-Revision. Hier könnte ich durchaus sagen: Hände weg. Natürlich hat «Blick» daraus einen Kampf gegen Couchepin gemacht. Und die übrige Presse hat es abgeschrieben. Scheinbar lesen die Journalisten nur den «Blick». Glauben Sie das wirklich? Blocher: Hören Sie: Ich habe noch nie ein Wort darüber verloren, ob ich Couchepins Vorschläge gut oder schlecht finde. Noch nie! Trotzdem glauben alle, Blocher sei dagegen. Die «Berner Zeitung» brachte es gar fertig, am Samstag zu schreiben, Blocher habe in der Fernsehsendung «Arena» laut zu Couchepins Plänen Stellung bezogen. Dabei war ich gar nicht in der Sendung. Dann fragen wir Sie jetzt ganz konkret: Schliessen Sie eine Erhöhung des Rentenalters im Jahr 2015 aus, wie das Pascal Couchepin vorschlägt? Blocher: Das sind Möglichkeiten, die es zu prüfen gilt. Festlegen dürfen wir uns heute aber nicht. Warum nicht? Blocher: Erstens kann sich die Wirtschaft so entwickeln, dass man das Rentenalter gar nicht erhöhen muss. Zweitens kann man es vielleicht gar nicht erhöhen, weil dies der Arbeitsmarkt nicht zulässt. Man weiss ja nicht, ob es 2025 für die über 65-Jährigen genügend Arbeit gibt. Über die Höhe des Rentenalters muss man dann 2020 entscheiden. Die SVP steckt doch im Dilemma: Einerseits möchte sie im Wahljahr ihre Anhängerschaft nicht verärgern. Andererseits will sie die FDP als Wirtschaftspartei ablösen. Die Wirtschaft will aber das Rentenalter erhöhen. Blocher: Eine Wirtschaftspartei löst jene Probleme, die anstehen, nicht jene von 2025. Wer heute glaubt, die Probleme von 2025 lösen zu können, ist entweder ein Scharlatan oder ein Wolkenschieber. Vor drei Jahren, an einem Parteitag in Altdorf, haben Sie ebenfalls langfristige Lösungen skizziert. Blocher: Das waren eben verschiedene Varianten, die zu prüfen sind. Aber jetzt gilt es, die Probleme bis 2015 zu lösen. Wie denn? Blocher: Hier hat die SVP ebenfalls klare Lösungen: keine Erhöhung der Mehrwertsteuer, keine neuen Lohnabzüge, keine Rentenaltererhöhung, keine Rentenkürzung und kein Ausbau der Sozialversicherungen. Sondern? Blocher: Wir wollen die überschüssigen Goldreserven für die AHV verwenden - mindestens zwei Drittel davon. Darüber hinaus muss das bereits eingeführte zusätzliche Mehrwertsteuerprozent voll der AHV zukommen. Heute zweigt die Bundeskasse einen Teil davon für sich ab. Das muss aufhören. Und wie wollen Sie dies erreichen? Werden Sie gegen die 11. AHV-Revision das Referendum ergreifen? Blocher: Das ist nicht nötig. Wir werden die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer bekämpfen. Diese muss obligatorisch vors Volk. Die SVP will die Sozialversicherungen retten, ohne dass die Leute immer mehr zahlen müssen. Das gilt auch für die Pensionskassen. Viele Pensionskassen weisen nach dem Börsencrash eine massive Unterdeckung auf. Wie wollen Sie dieses Problem lösen? Blocher: Das ist gar nicht so schlimm. Das Hauptproblem bei den Pensionskassen ist die zunehmende Invalidität. In meinem Unternehmen mussten wir zum Beispiel den Arbeitnehmerbeitrag um 1 Prozent erhöhen, den Arbeitgeberbeitrag gar um 1,2 Prozent - nur wegen dieser rapide gestiegenen Invalidität. Dieses Problem haben alle verdrängt. Vor allem psychische Krankheiten haben zugenommen. Ist der Stress am Arbeitsplatz zu gross geworden? Blocher: Ein Grossteil dieser Invalidität ist Scheininvalidität. Manche wollen gar nicht mehr gesund werden. Für sie ist es einfacher, den Lohn durch die IV-Rente zu ersetzen. Gleichzeitig gibt es Arbeitgeber, die sich sagen: Schreiben wir ihn doch invalid. Oder man lässt den Mitarbeiter frühpensionieren. Blocher: Das auch. Die Missbräuche sind gigantisch. 1990 haben wir vier Milliarden Franken für die Invalidität ausgegeben, im Jahr 2000 waren es schon zehn Milliarden. Diese Kosten steigen jährlich 5 bis 8 Prozent. Und wie will der Bundesrat das lösen? Selbstverständlich wieder mit der Mehrwertsteuer. Das geht doch nicht. Und wie wollen Sie das lösen? Blocher: Wir wollen gegen die Scheininvalidität vorgehen. Halten Sie denn die IV-Rentner für Simulanten? Blocher: Es gibt sicher viele Simulanten in der IV. Es tut mir Leid, das zu sagen. Aber wenn Sie einmal einen Beinbruch hatten und ein paar Wochen an Krücken gingen, wird das arbeitsfreie Leben plötzlich interessant. Das kennen wir doch von uns selbst. Je länger die Leute aus dem Arbeitsprozess draussen sind, desto schwieriger wird es, sie wieder zu integrieren. Nehmen Sie das Beispiel SBB. Dort hat man den Personalabbau über die Invalidenversicherung und die Frühpensionierung gelöst. Und keiner reklamiert. Das heisst doch: Dieser Betrug ist gesellschaftsfähig und wird nicht geahndet. Wie wollen Sie konkret dagegen vorgehen? Blocher: Wir wollen wissen, welche Berufsgruppen betroffen sind und wie gross der Anteil der Ausländer ist. Laut Peter Hasler vom Arbeitgeberverband gehen 45 Prozent der Renten an Ausländer. Und ein Sechstel, sagt er, gingen mit der Rente ins Ausland. Jetzt stellen Sie sich einmal vor: Wenn einer in Kosovo oder in der Türkei eine Rente mit der vollen Schweizer Kaufkraft erhält, hat er doch dort den 15fachen Lohn. So jemanden bringen Sie nie mehr in den Arbeitsprozess hinein. Das muss jetzt alles auf den Tisch. Es ist auch interessant: Je grösser die Ärzte- und Psychologendichte ist, desto mehr Invalide gibt es. Eigentlich sollte es ja umgekehrt sein: Je mehr Ärzte es gibt, desto gesünder sollten die Leute sein. Nochmals: Was wollen Sie konkret dagegen unternehmen? Blocher: Wir wollen, dass die Leute zur Rechenschaft gezogen werden, bis zur strafrechtlichen Ahndung. Das betrifft nicht nur die Scheininvaliden, sondern auch die Arbeitgeber und die Ärzte. Und den ganzenSozialfilz, der eine Decke über all das legt. Welchen Sozialfilz? Blocher: Zum Beispiel die Aufsichtskommissionen. Wir wollen auch, dass künftig die IV-Renten für Ausländer an die Kaufkraft des jeweiligen Landes angepasst werden. Und dass die Invalidität richtig überprüft wird - nicht durch einen Vertrauensarzt in Kosovo. Stellen Sie sich einmal vor: Da kommt einer zu seinem Arzt in Kosovo und sagt, er beziehe eine Rente aus der Schweiz. Da erklärt ihn doch keiner für gesund. Das muss anders organisiert werden. Aber die IV an sich möchten Sie nicht gleich abschaffen? Blocher: Nein. Die braucht es. Und die AHV auch. Ob dies im Jahr 2050 immer noch so sein wird, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Das muss ich auch nicht. Bei den Pensionskassen will Pascal Couchepin auch Rentner an der Sanierung beteiligen. Bei starker Unterdeckung sollen sie auf einen Teil ihrer Rente verzichten. Sind Sie damit einverstanden? Blocher: Nochmals: Ich halte die Unterdeckung der Pensionskassen für das geringere Problem als die Invalidität. Wenn die Rentner in guten Zeiten von den Überschüssen profitiert haben, müssen sie jetzt auch zur Sanierung beitragen. Gleichzeitig will der Bundesrat den Mindestzinssatz auf zwei Prozent senken. Und Sie? Blocher: An sich bin ich dagegen, dass der Bundesrat den Mindestzinssatz festlegt. Das ist doch, wie wenn er den Preis des Kunststoffs bestimmen würde, den ich verkaufe. Wenn der Wettbewerb spielt, ergibt sich der Zinssatz durch den Markt. Der Wettbewerb spielt aber nicht. Man kann ja seine Pensionskasse nicht auswählen. Blocher: Das sollten wir ändern. Ich bin dafür, dass jeder die Pensionskasse frei wählen kann. Das funktioniert aber nur, wenn Transparenz herrscht. Hätte die freie Wahl nicht eine gigantische Bürokratie für die Unternehmen zur Folge? Dann müssten sie ja die Rente jedes Mitarbeiters an eine andere Kasse überweisen. Blocher: Wieso denn? Es gäbe bestimmt nicht mehr Tausende von Kassen, sondern nur noch etwa zehn. Peter Hasler vom Arbeitgeberverband sagt, das wäre der Tod der 2. Säule. Dann hätten die Unternehmen keinen Anreiz mehr, ihren Mitarbeitern mehr zu bezahlen, als sie vom Gesetz her müssten. Blocher: Das ist doch nicht wahr. Es entstünde ein Druck, eine möglichst gute Rendite zu erzielen. Das führt zu höheren Renten. Braucht die Schweiz mehr Kinder, um die AHV-Renten zu finanzieren? Blocher: In erster Linie brauchen wir mehr Arbeitsplätze. Die AHV wird ja von jenen bezahlt, die arbeiten. Natürlich braucht es dafür auch neue, junge Arbeitskräfte. Ansonsten schauen wir eben, dass welche aus dem Ausland kommen. Haben wir richtig gehört? Die SVP setzt nun auf mehr Ausländer? Blocher: Wir hatten nie etwas dagegen, dass Menschen, die wir zum Arbeiten brauchen, mit einem Vertrag zu uns ins Land kommen. Das ist doch nichts Unanständiges. Bei der EU-Osterweiterung auch nicht? Blocher: Hier geht es darum, ob auch Leute einreisen dürfen, die wir nicht benötigen. Ein kleiner Anreiz für mehr Kinder wäre die Mutterschaftsversicherung. Blocher: Das ist ja zum Lachen. Wenn eine Frau Kinder will, nur um vier Monate Urlaub zu kriegen, hat sie besser keine Kinder. Ich bin gegen eine Mutterschaftsversicherung. Das Volk hat sie schon dreimal abgelehnt. Und der Verfassungsauftrag ist bereits erfüllt. Vor über 50 Jahren, als man es in die Verfassung schrieb, konnte man die Kosten für Voruntersuchungen und Geburt nicht über die Krankenkasse abrechnen. Heute schon. Der Gewerbeverband steht aber hinter der jetzt geplanten Form der Mutterschaftsversicherung. Seit wann ist die SVP gegen das Gewerbe? Blocher: Die SVP ist für das Gewerbe, aber gegen diesen Verbandsbeschluss. Es ist falsch, die eigenen Probleme über den Staat lösen zu wollen. Da machen wir nicht mit. Das kostet Lohnprozente oder Mehrwertsteuer. Ergreifen Sie das Referendum auch ohne Unterstützung der Wirtschaft? Blocher: Ja. Sonst werden wir unglaubwürdig. Wir dürfen keine neuen Sozialversicherungen schaffen. Es ist schon schwer genug, die bisherigen Leistungen zu finanzieren.

24.05.2003

Hände weg von der AHV

Streitgespräch mit Werner Marti im "Blick" vom 24. Mai 2003 BLICK: Pascal Couchepin will das AHV-Alter auf 67 erhöhen, ebenso die Mehrwertsteuer, und auch noch die Renten kürzen. Herr Blocher, ist das alles nötig? Christoph Blocher: "Eine Erhöhung des Rentenalters über 65 ist nicht nötig, wenn endlich das überschüssige Gold der Nationalbank für die AHV genutzt wird. Zudem ist der Anteil der Mehrwertsteuer, der für die AHV bewilligt wurde, auch wirklich der AHV zurückzugeben, statt in die Bundeskasse abzuführen. Es braucht jetzt auch keine neuen Mehrwertsteuer-Prozente. Leistungen müssen nicht gekürzt werden, aber sie dürfen auch nicht ausgebaut werden." Werner Marti: "Ich gehe mit Christoph Blocher in einem Punkt einig: kein Leistungsabbau bei der AHV! Im Gegenteil, die heutigen Leistungen brauchen eine Ergänzung. Wir müssen etwas für den flexiblen Altersrücktritt tun." Blocher: "Die SP will die Leistung der AHV ausbauen und die Mehrwertsteuern massiv erhöhen. Das bezahlen Junge und Alte." Marti: "Halt, halt. Der Nationalrat hat das Mehrwertsteuer-Prozent, das wegen der zunehmenden Zahl älterer Leute nötig ist, schon beschlossen." Blocher: "Bevor das Volk nicht Ja gesagt hat, ist nichts beschlossen. Sie haben letzten Sonntag erfahren, wie das Volk reagiert auf höhere Steuern, Abgaben und Kostenexplosion. Die SP hat sieben Mal verloren. Die SVP lehnt die Frühpensionierung mit voller Rente über die AHV ab. Das würde derartige Löcher in die AHV-Rechnung reissen, dass die Leute, die noch schaffen, die Last nicht mehr tragen könnten." Marti: "Wir haben doch ein Riesenproblem: Die Leute werden massiv aus dem Arbeitsprozess rausgedrückt. Das Auffangbecken ist dann die IV. Was da abläuft, ist eine Entlastung der Wirtschaft auf Kosten der IV." Blocher: "Bei der Invalidität ist der Missbrauch riesig und trifft auch die Pensionskassen. Je höher die Dichte von Psychologen, Psychiatern und Ärzten, desto mehr Invalide gibt es. Es müsste ja gegenteilig sein. Wenn wir hier nicht eingreifen, bekommen wir Zustände wie in Deutschland." Marti: "Was sollen die Leute denn tun, die in der Wirtschaft nicht mehr gebraucht werden?" Blocher: "Grundsätzlich arbeiten bis 65. Wer keine Arbeit findet, dem hilft die Arbeitslosenversicherung, wo nötig die Fürsorge." Marti: "Die Leute in die Fürsorge treiben - da demaskiert die SVP ihre Sozialpolitik, Herr Blocher. Wenn die Unternehmen die älteren Leute nicht mehr brauchen und ihnen der flexibilisierte Altersrücktritt verwehrt ist, landen sie bei den Gemeinden." Blocher: "Fürsorge ist nichts Unanständiges. Die SP will dauern mehr Staatsausgaben, versaut das Geld und zerstört Wirtschaft und Staat: Auf Kosten des Staates die Kinder erziehen, bis 35 studieren auf Kosten des Staates und dann mit 55 aufhören zu arbeiten auf Kosten derjenigen, die arbeiten." Marti: "Ich habe mein Studium mit 24 abgeschlossen. Jeder soll eine anständige Ausbildung erhalten können, unabhängig von seinem Einkommen." BLICK: Herr Marti, wie wollen Sie denn den frühzeitigen Altersrücktritt finanzieren? Die SVP hat die Idee mit dem Gold... Marti: "Wir waren die ersten, die forderten, die überschüssigen Gold-Reserven sollten genutzt werden..." Blocher: "... 7 Milliarden für die Solidaritätsstiftung verschenken wollten Sie. Stehen Sie dazu!" Marti: "Wir sind auch der Meinung, dass ein Teil für die AHV verwendet werden sollte. Allerdings geben die Erträge nicht so viel her, wie Herr Blocher uns glauben machen will." Blocher: "Die Erträge machen ein halbes Mehrwertsteuer-Prozent aus. Ist das etwa nichts? Sagen Sie, wie Sie Ihre Ausbaupläne finanzieren wollen! Doch mit der Mehrwertsteuer?" Marti: "Richtig, mit der Mehrwertsteuer." Blocher: "Sie haben für die AHV und IV eine Mehrwertsteuer-Erhöhung von über drei Prozent beschlossen. Das sind über sechs Milliarden. Wissen Sie, was die zusätzlichen Prozente für eine Familie mit einem Warenkorb von 50 000 Franken bedeuten? 1500 Franken im Jahr." Marti: "Ich habe das sehr genau ausgerechnet. Es macht 1200 Franken aus, weil nämlich nicht alles der Mehrwertsteuer unterliegt. Wenn Ihnen die unteren Einkommensschichten so sehr am Herzen liegen, sollten Sie nicht grosszügige Steuergeschenke an Top-Verdiener verteilen." Blocher: "Ist die Revision der Familienbesteuerung ein Geschenk?" Marti: "Die Revision der Familienbesteuerung, die Sie befürworten, bringt unteren und mittleren Einkommenschichten praktisch keine Entlastung. Wer aber 300 000 Franken verdient, müsste in Zukunft 6500 Franken weniger Steuern bezahlen." Blocher: "Alle, die Steuern bezahlen, profitieren. Wer ohnehin keine bezahlt, nicht." BLICK: Kommen wir zur 2. Säule. Wer ist schuld am Schlamassel? Marti: "Wir waren immer für eine starke AHV. Die Bürgerlichen drückten die 2. Säule durch und verdonnerten damit die Leute zu einem übermässigen Zwangssparen. Das Sparkapital ist im Börsencrash zu einem guten Teil pulverisiert worden." Blocher: "Die 2. Säule ist etwas Gutes, sie müsste nicht obligatorisch sein. Obligatorien will die SP, nicht die SVP. Die Idee der SVP ist: Alle Pensionskassen sollten zu voller Transparenz verpflichtet werden. Zweitens sollte volle Freizügigkeit herrschen. Das heisst, jedermann kann die Pensionskasse wählen, die er will. Dann ginge man zu jener Pensionskasse mit der besten Rendite. Mindestzinse braucht es dann nicht mehr." Marti: "Die Bürokratie, die bereits heute grassiert, würde noch vollends ausufern. Zudem sehen wir heute bei den Krankenkassen, wohin das ständige Wechseln führt: zu nichts. Wenn eine Kasse günstig ist, wird sie überschwemmt und muss die Prämien erhöhen." BLICK: Couchepin will zur Sanierung defizitärer Kassen auch laufende Renten kürzen. Einverstanden? Blocher: "Wenn es bei einer Pensionskasse in den guten Jahren Überschüsse gab, die Rentner davon aber nichts hatten, bin ich dagegen. Wo auch die Rentner begünstigt wurden, muss es geschehen, sonst kommen die Mitarbeiter zu kurz." Marti: "Die Kürzung bei den Renten kommt nur dort in Frage, wo die Betroffenen vorher von den guten Ergebnissen profitiert haben." BLICK: Die Schweizer Wirtschaft steckt in der Krise. Wir haben eine Rezession und Arbeitslosigkeit. Was können wir dagegen machen? Marti: "Wir haben faktisch ein Nullwachstum..." Blocher: "Schon lange. Weil wir in den letzten 10 Jahren die Zwangsabgaben an den Staat erhöhten wie kein anderes Land." Marti: "Hören Sie auf damit. Reden wir von den wirklichen Problemen. Der Dollar wird schwächer und schwächer. Europa hockt auf einem relativ starken Euro. Wenn das so weitergeht, muss die Nationalbank den Franken gegenüber dem Dollar und dem Euro abschwächen. Sonst wird der Export noch viel schlimmer leiden." BLICK: Kann die Nationalbank den Franken gegenüber dem Dollar abwerten? Marti: "Das kann sie." Blocher: "Mit enorm grossen Risiken." Marti: "Da haben Sie Ihre Meinung geändert. Früher propagierten Sie ja immer einen möglichst starken Franken, der uns massiv geschwächt hat. Glücklicherweise hat bei der Nationalbank ein gewisses Umdenken stattgefunden." Blocher:"Ich bin auch heute noch für einen starken Franken. Nur ein Dummkopf kann eine schwache Landeswährung wollen. Die Inflationsgefahr ist gering. Die Nationalbank kann die Geldmenge etwas erhöhen, aber der Zinssatz ist schon bald bei Null. Doch mit dem rettet man die Wirtschaft nicht." BLICK: Ist die Währung das Einzige,was Ihnen einfällt? Marti: "Nein. Wenn es bis im Herbst nicht besser wird, braucht es staatliche Investitionsprogramme. Sonst wird es brutal für den Binnenmarkt, zumal auch Kantone und Gemeinden als wichtige Investoren ihre Budgets kürzen." Blocher: "Geld ausgeben sind stets die Rezepte der SP." BLICK: Wie wollen Sie denn der Wirtschaft helfen? Blocher: "Erstens, indem der Staat den Leuten nicht immer mehr wegnimmt. Dann können sie mehr kaufen und dann wird mehr investiert und produziert. Darum stehen Steuersenkungen im Vordergrund - und nicht Mehrwertsteuer- und Abgabenerhöhungen an allen Ecken und Enden. Zweitens müssen die bürokratischen Behinderungen aufhören, die in Bern unter Führung der SP von der Rot-Grün-Mitte-Koalition ständig beschlossen werden." Marti: Sie wollen mit Steuersenkungen den Konsum ankurbeln. Wo wollen Sie die Steuern senken? Bei den Reichen und Grossverdienern. Wer ein halbe Million und mehr verdient, konsumiert schon jetzt, was er konsumieren kann. Wenn man effektiv mehr Kaufkraft schaffen will, muss man die Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Die werden permanent mehr belastet. Allein die steigenden Krankenkassenprämien fressen die Lohnerhöhungen weg, wenn sie überhaupt noch eine bekommen." Blocher:"Wer hat uns die steigenden Krankenkassenprämien eingebrockt? Die Rot-Grüne-Mitte-Koalition gegen die SVP. Sie haben das Krankenversicherungsgesetz durchgeboxt und den Katalog ausgebaut, dass man die Prämien nicht mehr zahlen kann." Marti: "Hören Sie auf damit. Wenn wir mit Ihnen den Leistungskatalog durchgehen, bleibt am Schluss immer nur die Heroinabgabe übrig. Das sind im 40-Milliarden-Markt des Gesundheitswesens Peanuts. Die grossen Kostenverursacher sind die Medikamente, die Spitäler und die Ärzte." BLICK: Alle sagen, die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sind das Rückgrat unserer Wirtschaft. Wie kann man den KMUs bei der Finanzierung helfen? Blocher: "Die brauchen keine aktive Hilfe. Aber der Staat darf sie nicht dauernd schröpfen." Marti: "Die Banken lassen die KMUs doch hängen." Blocher: "Das ist ein ernsthaftes Problem. In den letzten Jahren haben die beiden Grossbanken weniger Kredit gewährt. Sie haben auch enorm viel Geld verloren, weil sie zu lange Kredite gaben. Aber die Kreditversorgung ist im Moment nicht so prekär, dass der Staat eingreifen muss." Marti: "Die Grossbanken haben die KMUs systematisch nach Branchen und Regionen ausgesiebt. Das hat zu den grossen Kreditproblemen geführt. Die Kantonalbanken, das heisst die Staatsbanken, mussten einspringen. Die sitzen jetzt vor allem in den Randregionen auf Klumpenrisiken. Darum braucht es zusätzliche Player wie die Postbank." Blocher: "Wenn die Postbank in die KMU-Finanzierung einsteigt, was sie nicht kann, geht sie Pleite. Und wer zahlt das? Wieder die Bürger mit höheren Posttaxen und der Steuerzahler als Eigentümer." BLICK: Herr Blocher, Sie propagiern unter dem Titel "Mitenand gahts schlächter" eine neue Politik. Wieso sagen Sie das? Blocher: "Die Verfilzung von Politik und Wirtschaft - Sauhäfeli, Saudeckeli - ist ein Skandal. Zuerst macht man Pleite mit der Swissair, wo die Freisinnigen den Ton angaben. Nachher macht man die Swiss. Die Wortführer waren die Sozialdemokraten. Jetzt ist der Bund mit 20 Prozent grösster Aktionär. Die Steuerzahler verlieren 2,7 Milliarden. Die Verantwortung trägt niemand - weder die Privatwirtschaft noch der Staat. Verantwortung ist aber unteilbar." Marti: "Ihr Problem ist, dass Sie nicht bereit sind, Lösungen zu finden. Darum machen Sie ständig den Konsens schlecht. Er ist nicht partout schlecht, er muss aber transparent sein. Wir sollten im Parlament wie in der Formel 1 in farbigen Overalls mit entsprechenden Aufschriften auftreten. Bei mir würde drauf stehen: Sozialdemokrat; vertritt gewerkschaftliche Anliegen; ist Preisüberwacher. Bei Ihnen müsste draufstehen: SVP; Pharmainteressen; Grosskapital." Blocher: "Soll ich mit 3000 Mitarbeitern ein armer Schlucker sein? Die SVP will andere Lösungen: Wer ist angetreten bei der Swissair-Pleite, wer ist angetreten gegen das Grosskapital bei der Swiss? Die SP wollte eine Fluggesellschaft machen. Sie Herr Marti zuvorderst." Marti: "Bei der Swissair hätten wird es uns auch leicht machen und auf die Freisinnigen einprügeln können. Die haben ja das Ganze zu Boden gefahren. Aber wir konnten nicht, weil damit in der Region Zürich bis 40 000 Arbeitsplätze zerstört worden wären. Sie hätten den Verlust der Arbeitsplätze in Kauf genommen. Dafür sind wir das Risiko der Swiss-Lancierung eingegangen." Blocher: "Die Bürger verlieren 2,7 Milliarden, nicht die SP, und die Mitarbeiter der Swiss werden jetzt trotzdem entlassen. Das ist Ihre Wirtschaftspolitik."

17.05.2003

Point de la situation: La vérité sort de la bouche des enfants»

Assemblée générale de l'ASIN du 17 mai 2003

17.05.2003

Standortbestimmung: Kinder und Narren sagen die Wahrheit

AUNS-Mitgliederversammlung vom 17. Mai 2003

03.05.2003

Gefährliche Experimente

Interview im "Bündner Tagblatt" vom 3. Mai 2003 SVP-Nationalrat Christoph Blocher ist gegen alle neun Vorlagen, die am 18. Mai zur Abstimmung gelangen. Die grössten Bedenken hat er bei den beiden Atom-Initiativen, wie er im BT-Interview ausführt. Von Christian Buxhofer Das Stimmvolk muss am 18. Mai gleich über neun eidg. Vorlagen befinden. Wird der Stimmbürger überfordert? Christoph Blocher: Ich glaube nicht. Die Stimmbürger haben es ja diesmal einfach: Sie müssen nur neun Mal Nein stimmen.Und wenn sie Ihrer Parole nicht telquel folgen, sondern sich eine eigene Meinung bilden wollen? Blocher: Es ist sicher ungeschickt, dass der Bundesrat diese Vorlagen alle auf den gleichen Abstimmungssonntag gelegt hat. Das hätte man besser verteilen können. Aber jetzt muss sich der Stimmbürger damit befassen und die Vorlagen prüfen. Aber er muss ja nicht in die Details gehen, sondern kann sich auf die grundsätzlichen Fragen konzentrieren. Sie sagen neun Mal Nein. Können Sie dies in einem Satz begründen? Blocher: Alle Initiativen führen zu ganz grossen neuen Belastungen für den Staat und den Steuerzahler: Höhere Steuern, höhere Abgaben, höhere Gebühren. Sie werfen die Initiativen alle in den gleichen Topf, obwohl sie verschiedene Urheber haben? Blocher: Die sieben Volksinitiativen stammen alle aus der Zeit der allerhöchsten Konjunktur, wo jede Verhältnismässigkeit verloren ging. Beispielsweise die beiden Atominitiativen, mit denen der Staat beauftragt werden soll, 40 Prozent der inländischen Energieproduktion stillzulegen. Solche Dinge kann man nur aus Übermut machen. Das Gleiche gilt für die Gesundheitsinitiative oder die Lehrstelleninitiative. Alles Experimente, die aus einer Zeit stammen, als es uns noch gut ging. Und weshalb bekämpfen Sie die Armee-Vorlagen? Blocher: Bei den beiden Armee-Vorlagen geht es um den Abschied von der Neutralität. Die Armee wird zwar kleiner, aber trotzdem teurer. Und man baut auf den Schutz der Nato, also auf den Schutz von Amerika. Das würde man heute nicht mehr machen, wenn man die Vorlage nochmals neu entwerfen könnte. Die Annäherung an die Nato ist doch längst Realität, sogar beim WEF oder im Juni in Evian. Das bedeutet aber noch lange nicht die Preisgabe der Neutralität. Blocher: Für den Schutz von Evian braucht es keine Armee-Reform. Ich betrachte übrigens die Standortwahl Frankreichs als einen unfreundlichen Akt. Frankreich bekommt den Gipfel und die Schweiz die Demonstration. Das ist also internationale Zusammenarbeit! Vielleicht erwachen wir nun endlich! Trotzdem: Internationale Polizeieinsätze bedeuten doch nicht das Ende der Neutralität. Blocher: Es geht eben weiter. Es geht um die Nato-Partnerschaft für den Frieden. Das ist eindeutig eine amerikanische Initiative, um die Nicht-Natomitglieder – also auch die Schweiz – in die Nato einzubinden. Und der Bundesrat will die Schweiz jetzt nicht mehr allein verteidigen, sondern sich darauf abstützen. Und was die Nato ist, haben wir im Irak-Krieg erlebt. Das sind die ganz schweren Fragen. Wenn wir dieser Vorlage zustimmen, wird die Schweiz unsicherer, weil wir dann eben nicht mehr neutral sein können, sondern uns im Kriegsfall für die eine oder andere Seite entscheiden müssen. Haben die beiden Armee-Vorlagen auch Stärken? Blocher: Dass sich das Bedrohungsbild geändert hat und wir eine Armeereform brauchen, ist auch mir klar. Vor allem hat die Bedrohung im Inland durch Terror, Demonstrationen und Einzelkämpfer zugenommen. Da besteht Handlungsbedarf. Aber man muss auf dem Boden der Neutralität bleiben, sonst werden wir in einen Krieg hineingezogen. Sie wollten bei den Armee-Vorlagen das Referendum nicht ergreifen. So schlecht scheinen die Vorlagen also gar nicht zu sein ... Blocher: Ja, ich betreibe auch keinen Abstimmungskampf. Ich war gegen das Ergreifen eines Referendums, weil dies am Schluss nur noch mehr zementiert. Wir hatten den Hauptkampf geführt, als es um die Truppeneinsätze im Ausland ging. Diesen Kampf haben wir leider knapp verloren. Bei welchen Initiativen haben Sie aus inhaltlichen Gründen die grössten Bedenken? Blocher: Am gefährlichsten sind die beiden Atom-Initiativen und die Gesundheitsinitiative. Die Atom-Initiativen bedrohen in der Schweiz Tausende von Arbeitsplätzen, insbesondere auch in Graubünden. Zum Beispiel bei uns in Domat/Ems. Denn die Ems-Chemie ist ein grosser Energieverbraucher und müsste mit enorm höheren Energiepreisen rechnen. Und zwar nicht erst, wenn die Atomkraftwerke stillgelegt würden, sondern sofort. Und das Verrückte: Profitieren würde nicht die einheimische Wasserkraft. Die fehlende Energie, 40 Prozent des heutigen Stromverbrauchs, müsste im Ausland gekauft werden und würde dort weiterhin in Atomkraftwerken produziert. Die Atomkraftwerke müssten nur schrittweise stillgelegt werden. Da bliebe genügend Zeit, Alternativenergien zu forcieren und neue Wasserkraftwerke zu bauen. Blocher: Die Wasserkraft ist ziemlich ausgeschöpft, da bestehen nicht mehr viel Möglichkeiten. Die Probleme mit der Umweltschutzgesetzgebung sind heute derart gross, dass neue Wasserkraftwerke finanziell nicht mehr machbar sind. Die Wasserkraft wäre gegenüber ausländischem Strom nicht mehr konkurrenzfähig. Denn die Wirtschaft muss den Strom dort kaufen, wo er am günstigsten ist. Und Alternativenergien? Blocher: Es gibt heute noch keine Alternativenergien grossen Stils, welche die heutigen Elektrizitätskraftwerke ersetzen können. Ob dies in 40 oder 50 Jahren anders sein wird, wird man sehen. Zum heutigen Zeitpunkt wäre es aber industriell und volkswirtschaftlich völlig verantwortungslos, gut funktionierende Kraftwerke vorzeitig stillzulegen. Die Kosten müssten die Energiebezüger, nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Konsumenten, bezahlen. Irgendwann werden die AKWs aber ausgedient haben, und neue AKWs wird es in der Schweiz auch nicht geben. Also schieben Sie das Problem nur hinaus. Blocher: In anderen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, werden weiterhin neue Atomkraftwerke gebaut. Bis die bestehenden AKWs in der Schweiz altershalber stillgelegt werden, haben wir noch genügend Zeit. Ich könnte mir vorstellen, dass Gaskraftwerke bis dann besser sind und auch bei der Speicherung von Energie Fortschritte erzielt werden. Noch aber sind diese Möglichkeiten zu wenig ausgereift, als dass man auf den Atomstrom verzichten könnte. Wie stellen Sie sich generell zum Atomstrom. Keine Bedenken wegen der radioaktiven Abfälle, die über Jahrtausende einen Gefahrenherd darstellen? Blocher: Nein. Die Frage der Sicherheit ist verantwortbar gelöst. Natürlich dauert der Abbau lange. Ohnehin wäre mit Verzicht auf Kernenergie das Problem nicht gelöst. Es gibt ja auch andere Bereiche, wo radioaktive Abfälle entstehen, beispielsweise in der Medizin. Für die Schweiz wird das Problem insofern auch entschärft, da hier ja keine neuen Atomkraftwerke mehr entstehen werden. Bis die bestehenden Kraftwerke altershalber eingestellt werden, wird es aber noch Jahrzehnte dauern. Blocher: Wenn das Problem so schlimm wäre, müsste man ja die KKWs sofort abstellen. Aber das wollen ja nicht einmal die Initianten. Wenn es wirklich so gefährlich wäre, hätten sie ja die sofortige Stilllegung verlangt.