Article
Personal
20.08.1998
25.06.1998
Umfragen sind oberflächlich – weder EU noch EWR hätten eine Chance
Interview mit den Obersee-Nachrichten (ON) vom 25. Juni 1998 Am 1. Juli spricht in Rüti jener Politiker, der, obwohl er nicht Bundesrat ist, in unserem Land die grösste Macht hat: SVP-Nationalrat Christoph Blocher: Die ON sprachen mit dem Volkstribun. Interview: Peter Müller Sie sprechen am 1. Juli in Rüti. Worüber? Christoph Blocher: "Kann sich die Schweiz behaupten?" Dieser Tage wurden die bilateralen Verhandlungen mit der EU auf Basis Chefunterhändler abgeschlossen. Was bedeutet das für Sie? Kennen Sie die Inhalte? Blocher: Bei solchen Verhandlungen muss man darauf achten, dass man nicht bei jedem Treffen von Delegationen glaubt, dass es sich um abgeschlossene Verhandlungen handelt. Die Schweiz hat seit ein paar Jahren den Fehler gemacht, dass sie alle paar Monate von neuen "Durchbrüchen" gesprochen hat. Die Unterhändler haben auch jetzt gewisse technische Details neu geregelt und in gewissen Fragen eine Einigung erzielt. Beim Transitverkehr und beim freien Personenverkehr ist alles offen, die Konsequenzen noch nicht absehbar. Bevor die Verhandlungen nicht auf politischer Ebene, d.h. auf Ministerebene klar sind, kann das Ergebnis nicht beurteilt werden. Wenn das Resultat für unser Land untragbar ist, müsste das Referendum ergriffen werden, denn wir haben keinen Grund, alles zu akzeptieren. Sie haben immer wieder von einem Referendum wegen der Freizügigkeit im Personenverkehr gesprochen. Kommt dieses wirklich? Blocher: Auch das muss heute offen gelassen werden. Tatsache ist, dass ein freier Personenverkehr, wie ihn die EU für ihre Mitglieder vorgesehen hat, nicht in Frage kommt. Die Kosten für unser Land wären immens, was soziale Probleme und eine hohe Arbeitslosigkeit mit sich bringen würde. Wir können diese Freizügigkeit weder heute noch in späteren Jahren akzeptieren, ohne uns grosse Nachteile einzuhandeln. Ich denke dabei vor allem an die enormen Kosten für die Arbeitslosenversicherung, die unsere Bevölkerung zu tragen hätte. Das hängt damit zusammen, dass in den verschiedenen Ländern die Arbeitslosenkassen andere Leistungen erbringen. In Österreich beispielsweise kann ein Arbeitsloser im Laufe von zwei Jahren während maximal 100 Tagen eine Arbeitslosenentschädigung beziehen. In der Schweiz dagegen 520 Tage. In einer Rezessionszeit würden die Leute aus dem Ausland in der Schweiz Arbeit suchen. Wenn sie diese nach ein paar Monaten verlieren, könnten sie mit einer längeren Bezugsdauer rechnen. Verschiedene Umfragen bringen immer wieder das Ergebnis, Herr und Frau Schweizer möchten in die EU. Wie sähe Ihrer Meinung nach heute ein allfälliges Abstimmungsresultat aus? Blocher: Ich bin überzeugt, dass die Schweizerinnen und Schweizer einen EU-Beitritt heute massiv ablehnen würden. Man muss berücksichtigen, dass solche Umfragen oberflächlich sind. Vor einer Volksabstimmung erfolgt zuerst einmal ein in die Tiefe greifender Abstimmungskampf. Dann werden den Leuten auch die negativen Seiten eines EU-Beitritts bewusst. Und wie, wenn es "nur" um den EWR ginge? Blocher: Auch der EWR hätte heute keine Chance. All die Schreckensszenarien, die von den EWR-Befürwortern noch 1992 vorgelegt wurden und der Schweiz praktisch den Untergang voraussagten, haben sich als völlig falsch erwiesen. Das weiss die Bevölkerung. Ich erhalte täglich zahlreiche Briefe von Leuten, die damals dem EWR zugestimmt haben und mir heute mitteilen, sie würden bei einem nächsten Mal ebenfalls dagegen stimmen. Dabei wäre bei einer EWR-Abstimmung mit den gleichen Problemen wie bei den bilateralen Verhandlungen beim Transitverkehr und beim Personenverkehr zu rechnen. Als Verwaltungsratspräsident bei Netstal haben Sie sich für die Minderheitsaktionäre eingesetzt. Jetzt treten Sie zurück. Was wird mit der Firma passieren? Blocher: Ich trete nicht freiwillig zurück. Der Hauptaktionär wird den Antrag stellen, mich abzuwählen. Dieses Vorhaben wird auch gelingen. Der Kampf hat sich insofern gelohnt, als der Hauptaktionär, welcher fast 90 % der Aktien besitzt, dem bisherigen Geschäftsleiter zugesichert hat, von der damals beabsichtigten massiven Einflussnahme abzusehen. Damit ist meines Erachtens eine gute Lösung für Netstal gefunden worden. Sie vertreten eine Direktwahl des Bundesrates durch das Volk. Wird eine Ini- tiative lanciert? Blocher: Diese Frage stellt sich heute noch nicht. Ich habe die Idee einmal in die leitenden Gremien der Schweizerischen Volkspartei hineingetragen und hoffe sehr, dass sie positiv aufgenommen wird. Wann und auf welchem Weg die Umsetzung erfolgt, ist noch offen. Die SVP sorgt immer wieder für Schlagzeilen wegen Differenzen ihres Zürcher Flügels und Bundesrat Adolf Ogi. Vertritt er noch einen SVP-Kurs? Blocher: Es ist die Aufgabe einer Partei, ihre Anliegen glaubwürdig, geradlinig und auch kompromisslos zu vertreten. Es ist unausweichlich, dass dies zu Differenzen mit Regierungsmitgliedern führt, namentlich mit solchen, welche in einer Mehrparteien-Regierung eingebunden sind, wie dies beim Bundesrat der Fall ist. Im Ganzen vertritt Bundesrat Adolf Ogi den SVP-Kurs, in aussenpolitischen Belangen allerdings ist er bedauerlicherweise davon abgewichen. Das Thema Ausländer ist allgegenwärtig - die SVP hat die "Kosovo-Abstimmung" in Zürich gewonnen. Wie viele und welche Ausländer verträgt die Schweiz? Blocher: Diese Frage ist falsch gestellt. Es ist eindeutig, dass unser Land zu viele illegale Einwanderer hat. Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass die Schweiz viel zu attraktive Bedingungen bietet. Hier muss eingegriffen werden. Mark Kuster, Präsident der Jungen SVP, verkauft Hanfprodukte. Was halten Sie davon, haben Sie ihn deswegen schon gerügt? Blocher: Davon weiss ich nichts. Sofern dies nicht illegal ist, gibt es hier auch nichts zu rügen. Die SVP will sich noch weiter ausbreiten, so auch im Wallis, wo Sie sich selbst engagieren. Was ist für die SVP in der Schweiz möglich? Blocher: Ich freue mich natürlich, wenn an möglichst vielen Orten und in möglichst vielen Kantonen neue SVP-Ortssektionen gegründet werden, die einen klaren Kurs verfolgen, wie die SVP des Kantons Zürich dies schon seit Jahren tut. Das ist dringend notwendig, damit die anstehenden Probleme in unserem Lande gelöst werden können. Probleme, welche die übrigen Regierungsparteien leider zum Teil weder anpacken noch lösen. Und was erwarten Sie von den nächsten Nationalrats- und Ständeratswahlen? Blocher: Wir hoffen selbstverständlich bei den nächsten National- und Ständeratswahlen weitere Wähleranteile zu gewinnen, um unseren politischen Lösungen zum Durchbruch zu verhelfen.
29.05.1998
Den Bürger vor den Politikern schützen
Mein Beitrag für den Tages Anzeiger vom 29. Mai 1998 Meine ausgewählte Karikatur zum Thema: Ein Schweizer Parlamentarier: Vor der Wahl und nach der Wahl ("Nebenspalter" vom 28. Oktober 1899) Auch wenn sich die Geschichte nicht wiederholt, bietet sie uns zumindest Hinweise, welche Irrwege wir auf keinen Fall beschreiten dürfen. Das ist der Sinn des dreifachen Jubiläumsjahres 1998. Souveränität und Neutralität als Zukunftswerte Im Jahre 1648 erreichte die Schweiz in mühsamsten bilateralen Verhandlungen die Loslösung vom Deutschen Reich und damit die formelle schweizerische Souveränität und Unabhängigkeit. Vor 350 Jahren konnte alle Welt zur Kenntnis nehmen: "Es ist reichs- und weltkündig, dass die Eidgenossenschaft ein freier Stand ist, so neben Gott einzig von sich selbst abhängt." Dieser diplomatische Erfolg war nur möglich geworden, weil sich die Eidgenossenschaft im vorangegangenen Dreissigjährigen Krieg strikte Neutralität auferlegt hatte. Hätten sich damals nicht die Befürworter einer strikten Neutralität durchgesetzt, wäre die Schweiz zweifellos in die verheerende Kriegskatastrophe hineingezerrt worden und damit als selbständiger Staat untergegangen. Das offizielle Bern schweigt zu diesem Jubiläum. Schämt sich der Bundesrat etwa unserer Souveränität? Aber vielleicht können wir froh sein über das bundesrätliche Schweigen. Sonst müssten wir vielleicht noch erleben, dass sich unsere Regierung 350 Jahre nach Erringung der Unabhängigkeit gegenüber dem Ausland offiziell für die damalige Tat entschuldigen würde. Dabei steht fest: Wir brauchen in der Zukunft einen Staat, der seine Souveränität und Neutralität verteidigt, auch wenn beides bei den "besseren Kreisen" gerade einmal nicht hoch im Kurs steht. Eine Zukunft ohne "Gnädige Herren" Was gibt es denn 1798 zu feiern? Einen Einmarsch fremder Truppen? Den ruhmlosen Untergang der Alten Eidgenossenschaft von 1798? Ja. So kommt es heraus, wenn die notwendigen Reformen in Politik und Wirtschaft nicht aus eigener Kraft durchgesetzt werden, sondern von der Einmischung fremder Mächte erwartet werden. Die Ereignisse von 1798 waren die Quittung für die Herrschaft einer kleinen aristokratischen Oberschicht über die Masse der Untertanen; grosse Teile der Bevölkerung wurden von der Politik und von manchen Zweigen des Erwerbslebens ausgeschlossen. Die "Gnädigen Herren" vor 1798 waren dünkelhaft, borniert und selbstgefällig. Und heute? Die "Gnädigen Herren" sind im Anmarsch auf leisen Sohlen. Der Genfer Nationalrat Peter Tschopp beispielsweise - ein Freisinniger - will neuerdings das "Informationsmonopol" des Bundesrates durch ein Gesetz sicherstellen, um künftig zu verhindern, dass eine "einfache Privatperson" eine EU-kritische Broschüre in allen Haushaltungen senden darf. Nationalrat Franz Steinegger - der Präsident der Freisinnigen - findet es "unerträglich", wenn ich mir das Recht herausnehme, unsere Regierung und das Parlament zu kritisieren, weil sie sich immer öfters gegen den erklärten Volkswillen stellen. Figuren des Ancien Régime gibt es in der Schweizer Politik heute in zunehmendem Masse, auch wenn sie statt gepuderten Perücken nur Glatzen tragen. Die künftige Schweiz braucht keine "Gnädigen Herren". Gegen die Rückkehr zum Feudalismus Vor 200 Jahren wurde hierzulande das Prinzip der Gleichheit aller Staatsbürger und der persönlichen Freiheit verwirklicht. Die Herrschaft einiger weniger über viele wurde gebrochen. Der vor 200 Jahren überwundene Feudalismus - die Herrschaft weniger über viele - soll nun aber wieder auferstehen. "Auf in die EU, auf zur Rückkehr in feudalistische Zustände, Rückkehr zur Verminderung der Zahl der Entscheidungs-Träger und zur Einschränkung der Mitspracherechte des Volkes." - So die Devise der Regierung und des Parlamentes. Die Zukunft braucht aber das Gegenteil. Verrat an den Ideen von 1848 Vor 150 Jahren hatte die Schweiz den Mut, im Europa der Monarchen den Sonderfall einer demokratischen Republik zu schaffen. Dank eines freiheitlichen Wirtschaftssystems, dank eines schlanken Staates, der die Verantwortung des Einzelnen in den Mittelpunkt stellte, dank wagemutiger Unternehmer entwickelte sich die Schweiz zu einem der wohlhabendsten und gleichzeitig friedlichsten Länder der Welt. Ohne sich in fremde staatliche Interessen einbinden zu lassen, war sie stets weltoffen - globalisiert. Das globalisierte wirtschaftliche Denken prägte die Schweiz längst bevor es zum Schlagwort wurde. Handel mit aller Welt war die Devise der Glarner "Tüechler", der Aargauer Strohhütefabrikanten, der St. Galler Stickerei, der Winterthurer Maschinenbauer oder der Westschweizer Uhrenfabrikanten. Nicht die Einbindung in bürokratische Systeme, wo der Bürger machtlos wird, ist gefragt. Weltoffenheit ohne Einbindung, Kooperation statt Integration - das sei die Devise der Zukunft. Die Zukunft braucht den liberalen, auf Selbstverantwortung des Bürgers beruhenden, schlanken Staat. Volkssouveränität ausbauen Mit dem Jahr 1848 kam aber die Entwicklung der Eidgenossenschaft noch länst nicht zum Stillstand. In den folgenden Jahrzehnten erfolgte ein eindrücklicher Weiterausbau der Volksrechte und der direkten Demokratie. Bald schon musste das Schweizervolk nämlich merken, dass die von ihm gewählten Vertreter nur zu oft ganz andere Interessen vertreten, als es ihre Wähler erwarten. Locken die Kandidaten in Wahlzeiten mit unendlichen Versprechen, vergessen sie diese bereits am Abend der gesicherten Wahl. Also erkämpft sich das Volk seit den 1860er Jahren schrittweise wesentliche Mitbestimmungsrechte auch bei Sachvorlagen. Wie aber steht es um das Mitbestimmungsrecht des Schweizervolkes bei der Zusammensetzung seiner Regierung? Zu den vornehmsten Grundsätzen jeder echten Volkssouveränität gehört das Prinzip, dass sich das Volk seine Regierung wählt. Nur durch ein Zufallsmehr von 10 gegen 9 Stimmen ist 1848 die Revisionskommission der Bundesverfassung mit der Begründung, die Schulbildung des Volkes sei dafür noch zu gering, abgewichen. Seither hat sich aber in allen Kantonen zur allgemeinen Zufriedenheit die Volkswahl der Kantonsregierungen durchgesetzt. Verkommene, unglaubwürdige Ränkespiele wie sie heute bei jeder Bundesratswahl zur Tagesordnung gehören, würden bei einer Volkswahl der Regierung unmöglich. Und wie oft hat sich der Bundesrat in den vergangenen Jahren über demokratisch zustande gekommene Volksentscheide hinweggesetzt. Heute hat auch die Kumpanei zwischen Bundesräten und Medien geradezu unappetitliche Züge angenommen. Erst bei der Möglichkeit einer Wahl oder Abwahl durch den Souverän wüsste unsere Regierung wieder, wem sie in all ihrem Tun letztlich verantwortlich ist. Wir brauchen einen Staat, in dem die Volkssouveränität durch die Möglichkeit einer Regierungswahl durch das Volk konsequent verwirklicht ist. Eigentum stärkt den freiheitlichen Staat Oft genug werden bei den gegenwärtigen Jubiläumsfeiern unsere Freiheits- und Grundrechte bejubelt. Leider stellt sich kaum jemand ernsthaft die Frage, was seither mit ihnen geschehen ist, etwa mit dem Schutz des persönlichen Eigentums. Dabei ist die Möglichkeit des Erwerbs von Eigentum die Voraussetzung für eine freiheitliche Lebensweise. Doch was wir heute erleben, ist nichts anderes als einen staatlich inszenierten Raubzug auf das Eigentum. Vertreterinnen und Vertreter des arbeitenden Mittelstandes werden heute mit saftigen obligatorischen Lohnabzügen eingedeckt. Die Zahlenden erhalten diese entgegen den Versprechungen keineswegs im vollen Umfang als AHV, IV, Pensionskasse usw. zurück. Es wird umverteilt. Auf das Jahreseinkommen sind ständig steigende Steuern, auf das Ersparte Vermögens-Steuern, auf dem Lohn Einkommenssteuern zu bezahlen. Wer etwas kauft, hat Mehrwertsteuern abzuliefern. Der Hausbesitzer versteuert sein Haus nicht nur als Vermögen, sondern zusätzlich als sogenannter Eigenmietwert. Das Verschenken der Ersparnisse an Verwandte wird steuerlich bestraft; nicht besser soll es nach dem Willen vieler Politiker denen ergehen, die etwas anlegen und später einen Gewinn auf dem Ersparten erzielen. Neuerdings wird die Erkenntnis verkündet, die älteren Menschen, die durch Sparen vorgesorgt haben, hätten eigentlich die von ihnen mitgetragene AHV gar nicht nötig. Wer stirbt und etwas hinterlässt, zahlt Steuern. In nichts sind sich die Politiker so schnell einig, wie im Raubzug auf das Eigentum des Bürgers: Steuererhöhungen, Lohnabzüge, neue Mehrwertsteuerprozente etc. Das ist die weit verbreitete Konsenspolitik. Ähnlich verwahrlost präsentiert sich heute der Umgang mit dem Gesamteigentum des Volkes, mit dem Volksvermögen. Es herrscht eine geradezu liederliche Ausgabenmentalität, die einer Verschleuderung des Volksvermögens gleichkommt. Regierung und Politiker gründen unter dem grossmäuligen Wort "Solidarität" eine Stiftung und verkünden aller Welt eine grosszügige Geldverteilung - selbstverständlich aus Volksvermögen, das ihnen nicht gehört. Wir brauchen einen Staat, der das Eigentum der Bürgerinnen und Bürger nicht ausplündert, sondern schützt. Wir brauchen wieder einen Staat, der Tüchtigkeit, Eigeninitiative und Risikobereitschaft belohnt statt bestraft. Dies ist die grosse soziale Forderung der künftigen Schweiz. Für die moderne Schweiz gilt es, den Bürger vor der Raffgier der Politiker zu schützen.
23.04.1998
Die Gegenseite macht auf fragwürdige Weise mobil
Christoph Blocher sieht im Bericht der Kommission Brunner ein Dokument der "Kollaborationselite" Interview mit der "Weltwoche" vom 23. April 1998 Interview: Urs Paul Engeler Was würde die Schweiz nur ohne Ihre Gegendarstellungen machen, Herr Blocher? Vier Monate nach dem Grossversand der Broschüre über den Nutzen des EWR-Neins verbreiten Sie den Gegenrapport zum Bericht der Kommission Brunner. Christoph Blocher: Ich fühle mich verpflichtet, immer dann einzugreifen, wenn in der Politik Orientierungs- und Konzeptlosigkeit überhand nehmen. Was kostet Sie Ihr Leitfaden? Blocher: Diesmal geht es nicht um eine Schrift an alle Haushaltungen, sondern lediglich um 50 000. Kosten und Vertrieb laufen über die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns). Wer hat Ihr Papier tatsächlich verfasst? Blocher: Ich bin der Verfasser und trage die Verantwortung dafür. Zunächst hatte ich eineinhalb Jahre in dieser Kommission Brunner aktiv mitgearbeitet. Dann habe ich ein Team von acht Personen - Offiziere, Historiker, Soziologen, Ökonomen - gefunden, die Zeit und Kraft hatten, die Fragen der künftigen Strategie zu vertiefen und mit mir intensiv zu diskutieren. Wer steht hinter Ihnen? Blocher: Ich brauche keine Hintermänner. Was hat Ihre Privatgruppe den einundvierzig Mitgliedern der Kommission Brunner voraus, die den Bericht mittragen? Blocher: Das Brunner-Papier liegt auf der heute modischen Linie, die von den Worthülsen "Öffnung, Internationalisierung, Globalisierung" geprägt ist. Das war die gar nicht hinterfragte Ausgangslage der Debatten der Kommission, nicht ihr Ergebnis. Ebenso dient es natürlich den in Bern gepflegten politischen (nicht sicherheitspolitischen) Zielen wie EU- oder Uno-Beitritt, was dem Gros der Kommission ebenfalls sehr behagte. Mit künftiger Verteidigung des Landes jedoch hat der Bericht wenig zu tun. Sie sprechen nun von einer "Kollaborationselite". Das geht weiter als Ihre bisherige Verhöhnung der "classe politique". Blocher: Es geht beide Male ums gleiche: "Classe", wo keine sein dürfte. Es gibt eine führende Schicht, die eine ganz andere Interessenlage hat als das breite Volk: Sie orientiert sich am Grossräumigen, am Unbegrenzten, an Macht, vielen Kulissen und wenig Verantwortung. Diejenigen aber, die von diesen führenden Leuten abhängen, zielen im Gegenteil auf Begrenzung der Macht. Die Platte "Das Volk ist gut, die Politiker sind eigensüchtig" ist etwas gar alt. Blocher: Die Gefahr des Machtmissbrauchs liegt bei den Politikern. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel mit Symbolcharakter: Wer hat die Agenten des israelischen Geheimdienstes ertappt? Eine wachsame Hausfrau. Wer hat uns über den Fall informiert? Israelische Quellen. Unsere Behörden, die bis auf einen alle Täter haben laufen lassen, wollten den Fall vertuschen. Vor Jahren propagierten Sie den Beitritt der Schweiz zur amerikanischen Freihandelszone. Nun warnen Sie vor einer "pax americana". Warum diese Wende? Blocher: Das ist keine Wende. Ich schätze die USA weiterhin und trete auch für ein Freihandelsabkommen ein. Doch ich will mich - bei aller Sympathie für das liberale Land, das uns politisch nahesteht - unter keinen Umständen in die Eigeninteressen dieser Weltmacht einbinden lassen. Glauben Sie wirklich, was Sie schreiben? Zum Beispiel: "Es gibt einen einzigen Sonderfall gelungenen Friedens: den Sonderfall Schweiz"? Blocher: Ich kenne kein anderes Land, das 150 Jahre lang keinen Krieg führen musste - und das mitten in den blutigsten Auseinandersetzungen mit zwei Weltkriegen! Das ist Ihr Denkfehler: Kriege betreffen alle - auch die, die selbst nicht mit den Waffen fuchteln. Blocher: Die Neutralität wird derzeit nicht von aussen angegriffen, sondern von innen her in Frage gestellt. Sie hat sich als Mittel bewährt, einen Kleinstaat aus Auseinandersetzungen herauszuhalten. Nur auf Zeit. Jetzt läuft als späte Quittung für die Neutralität im Zweiten Weltkrieg der kleine Handelskrieg mit verschiedenen amerikanischen Organisationen. Blocher: Das ist ein Nebenschauplatz: Es geht nicht um Krieg zwischen Nationen, sondern es gibt ein Gezerre um Geld. Schuld an dieser Entwicklung sind ohnehin die Kreise im Innern, die mit Selbstbezichtigungen den Geldforderungen und Erpressungen den Weg geebnet haben. Man kann ja nur eine schwache Regierung erpressen. Und mit diesem schwach geführten Land wollen Sie den Alleingang wagen? Blocher: Noch gefährlicher wäre es, mit Regierungsschwäche an einem militärischen Pakt teilzunehmen! Von Zerfallserscheinungen geprägt ist allein die Führung des Landes, etwa wenn Bundesrat Flavio Cotti sogar Edgar Bronfman, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, privat seine Aufwartung macht. Die Basis hingegen ist im Ganzen solide; und die Wirtschaft läuft gut. Nicht einmal mit den teuren F/A-18 ist der Luftraum der Schweiz vollständig zu schützen. Wieviel soll Ihre autonome Sicherheit kosten? Welches Konzept von Armee folgt daraus? Blocher: Noch nie konnte sich ein Land allein oder in einem Militärbündnis gegen alles, was nur erdenklich ist, verteidigen. Das wird auch in Zukunft so sein. Es reicht, wenn wir gegen die wahrscheinlichsten Gefahren geschützt sind. Das kann man in Eigenregie effektiver und billiger tun als in internationalen Verbänden. Neue Bedrohungen werden der Informationskrieg sein, der mit einer kleinen Gruppe von Spezialisten geführt werden muss, oder importierte Bürgerkriege - zum Beispiel zwischen rivalisierenden Ausländergruppen -, für die ortskundige und ausgebildete Milizsoldaten eingesetzt werden sollen. Im Ernst: Bürgersoldaten gegen Kurden und Türken, die sich in Schweizer Städten bekämpfen? Blocher: Ja, sie müssen nur geschult werden, auch im Gebrauch von nichttödlichen Waffen. Wie wollen Sie Ihre Sicherheitskonzeption umsetzen? Im Fall der Partnerschaft für den Frieden haben Sie nach anfänglicher Generalopposition klein beigegeben. Blocher: Ich bin unterlegen: Der Bundesrat hat in eigener Kompetenz entschieden. Für bewaffnete Interventionstruppen im Ausland oder einen Nato-Beitritt müssen die Behörden durch das Nadelöhr von Volksabstimmungen. Da werden sie mit Sicherheit scheitern wie schon mit der Blauhelm-Vorlage. Auch die Frage eines Uno-Beitrittes wurde ja bereits durchgespielt. Sie haben eine Volksinitiative zur konkreten Fixierung und Umschreibung der Neutralität in der Verfassung angekündigt. Ist das Projekt still gestorben? Blocher: Nicht angekündigt, aber genau geprüft. Das Problem ist die Handhabung eines solchen Artikels, solange wir keine Verfassungs-Gerichtsbarkeit kennen und solange der Bundesrat alles Mögliche als mit der Neutralität vereinbar erklären kann. Kommt dazu, dass eine solche Bestimmung im Kriegsfall die Handlungsfähigkeit einschränkt. Es ist doch so, dass Sie grosse Schwierigkeiten haben, die Neutralität positiv und konkret zu umschreiben. Es ist einfacher, sie taktisch von Fall zu Fall als defensives Instrument politisch-ökonomischer Schlaumeierei einzusetzen. Blocher: Neutralität ist Stillesitzen, konsequente Nichteinmischung in fremde Angelegenheiten. Das braucht Kraft und Klugheit. Wenn der Ausgang der Debatte so klar ist wie die Abstimmungen über Uno-Beitritt oder Blauhelme, so erstaunt Ihre Hektik. Blocher: Die Gegenseite macht auf fragwürdige Weise mobil. Bundesrat Adolf Ogi behauptet, der Bericht befinde sich in der Vernehmlassung, bevor er konkretisiert und umgesetzt werde. In Tat und Wahrheit wird er auf militärischen Kursen bereits als neue Doktrin doziert: Brigadier Peter Arbenz und ausländische Offiziere treten referierenderweise auf und werben für Nato-Annäherung, für EU-Beitritt und Interventionstruppen. Das ist eine unzulässige Verpolitisierung von Armeekursen. Es tritt deutlich zutage, dass in Tat und Wahrheit nicht die Kommission den Bericht verfasst hat, sondern das VBS selber. Indoktrinierung in Truppendiensten ist ein klarer Missbrauch der Kommandogewalt und wäre eigentlich strafrechtlich zu ahnden. Ich selber habe mich als Truppenkommandant seinerzeit geweigert, in Truppenkursen und vor Soldaten gegen die Initiative zur Abschaffung der Armee zu werben. Politik gehört nicht in die Armee!
16.04.1998