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Independence

07.12.1997

Des Kaisers neue Kleider

Meine Kolumne für die SonntagsZeitung vom 7. Dezember 1997 Vor 5 Jahren - am 6. Dezember 1992 - haben das Schweizervolk und die Stände bei einer ungewöhnlich hohen Stimmbeteiligung von 78,3 % - der höchsten seit 1947 - den EWR-Vertrag abgelehnt. Die Schweiz hat sich für die Freiheit und die Selbstbestimmung entschieden. Offenbar war das Schweizervolk der Meinung, dass die Schweiz die zweifelsohne schwierige Zukunft in Eigenverantwortung besser meistern kann, als wenn sie in einen grosseuropäischen Bundesstaat eingegliedert wird. Bedrohliche Prognosen Dieses Resultat kam zustande, obwohl die offizielle Schweiz - die "classe politique" -, allen voran der Bundesrat, das Parlament und die Parteien, die Presse, die Massenmedien, die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände, zahlreiche Hochschullehrer und wissenschaftliche Institute, Manager internationaler Konzerne, volkswirtschaftliche Berater der Grossbanken, Kulturschaffende - kurz: alles, was Rang und Namen hatte - in einem fast unheimlich eintönigen und gedankenlosen Chor schwerwiegende Nachteile für den Fall des EWR-Neins prophezeite. Die wirtschaftlichen Konsequenzen wären fürchterlich, hiess es. Konkret wurde eine massive Abwanderung schweizerischer Firmen in den EU-Raum, ein wirtschaftlicher Vertrauensverlust in unser Land, der Zerfall des Schweizerfrankens mit grässlichen Folgen für Zinsen und Inflation, Börseneinbrüche etc. vorausgesagt. Kurz: Wer den Mut hatte, zum eigenen Weg zu stehen, musste bereit sein, negative Auswirkungen in Kauf zu nehmen. Und siehe da: Das Volk entschied sich trotzdem für die Selbständigkeit. Warum diese Fehlprognosen? Wer heute - 5 Jahre nach dem EWR-Nein - unvoreingenommen Bilanz zieht, merkt, dass es sich bei all diesen katastrophalen Prognosen um gigantische Fehlurteile gehandelt hat. So ziemlich genau das Gegenteil der angedrohten Prognosen ist eingetreten. Man fragt sich, wie es eigentlich dazu kommen konnte, dass alle sogenannt führenden Kreise damals diese Fehlprognosen so einhellig gemacht und vielleicht sogar selbst geglaubt haben. Warum konnte es passieren, dass alle grossen Zeitungen, die meisten Politiker, Massenmedien, Kulturschaffende, die Grosskonzerne, die Gewerkschaften bis hin zur Mehrzahl der Wissenschaftler an so unsinnige Prognosen glaubten oder diese zumindest verkündeten? Und warum hat ein "unwissendes" ("Die Dummen haben nein gestimmt") Volk diese Gehirnwäsche überstanden? Der Kaiser ist nackt Kennen Sie das berühmte Andersen-Märchen von des Kaisers neuen Kleidern? Vom Kaiser, der splitternackt durch die Strassen stolzierte, weil ihm seine Berater neue Kleider aufgeschwatzt hatten, die angeblich nur von gescheiten Leuten gesehen wurden. Wer wollte schon zugeben, dass er diese Kleider nicht sah? Auch der Kaiser selbst hütete sich davor. So lobten nun all die führenden Leute des Kaiserreiches die prächtigen neuen Kleider des nackten Kaisers. Keiner wollte als dumm gelten, jeder wollte bei den sogenannt gescheiten dabeisein. So wollte es der Trend. So war es "in". So gehörte es sich. Wer etwas auf sich gab, stimmte in den unkritischen Chor mit ein: "Wie prächtig sind doch diese Kleider!" Bis endlich ein kleines Kind, unschuldig, unverdorben und ohne Hemmungen - wie Kinder das oft tun - die Wahrheit beim Namen nannte: "Seht doch den Kaiser, er ist ja ganz nackt!" Damit war der Spuk vorbei. Der Mythos der Integration Spätestens heute kommt es aus: Die EU ist für die führenden, sich gescheit gebenden Kreise ein nackter Kaiser. Sie ist für die offizielle Schweiz und die Medien längst zu einem Mythos geworden, der das kritische, eigenständige Denken einschläfert. Das machte und macht blind für die Tatsache, dass die EU-Struktur auf dem veralteten Machbarkeitswahn und auf das überholte planwirtschaftliche Denken der sechziger Jahre zurückgeht. In ihrer Blindheit kann die offizielle Schweiz die Stärken eines übersichtlichen, dezentralen Kleinstaates nicht mehr erkennen, weil sie von der Grösse und Aufgeblasenheit zentraler Strukturen geblendet ist. Was als zeitgemäss und zukunftsträchtig angepriesen wird, ist in Wirklichkeit längst überholt. Die Gescheit-sein-Wollenden realisieren nicht, dass die Zugehörigkeit unseres Landes zur EU die künftigen Probleme der Schweizerinnen und Schweizer in keiner Art und Weise lösen kann. Man verkennt, dass es der Schweiz ausserhalb der EU wesentlich besser geht als den EU-Staaten. Es wird auch unkritisch darüber hinweggesehen, dass die vor 5 Jahren gestellten negativen Prognosen nicht nur nicht eingetroffen sind, sondern so ziemlich genau das Gegenteil. Blind für die Wirklichkeit! Glaube an die Freiheit statt an die Prognosen Nun fragen sie wieder - auch die "SonntagsZeitung": "Wie sieht es denn aus mit der Schweiz im Jahre 2010?" Erneut werden die gleichen Prognostiker wichtigtuerisch die gleichen Fehlurteile abgeben wie vor 5 Jahren. Auch ich werde gefragt. Ich frage mich: Wie wird die Schweiz im Jahre 2010 aussehen? Ich weiss es nicht. Kann und muss ich das überhaupt wissen? Nein - muss ich nicht. Aber eines weiss ich: Mit der politischen Freiheit ist auch die wirtschaftliche Freiheit des Volkes besser gesichert. Eine unabhängige und souveräne Schweiz hat die Chance, innovativer, wirtschaftlich leistungsfähiger und konkurrenzfähiger zu sein als die schwerfällige Europäische Union. Geht die Schweiz ihren eigenen Weg, wird es den Schweizern besser gehen, d.h. Wohlfahrt, Freiheit und Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger werden auch im Jahre 2010 grösser sein, als wenn sich unser Land den Machtstrukturen der Europäischen Union unterordnen müsste. Die Konsequenzen eines EU-Beitrittes - auch dies lässt sich unschwer feststellen - wären: - das Ende der tatsächlichen direkten Demokratie in allen EU-Belangen - die Abtretung politischer Macht des Volkes an die Regierungen in Bern und Brüssel - den Verzicht auf eine eigenständige Aussen- und Sicherheitspolitik - den Verzicht auf die Neutralität - EU-Machtpolitik anstelle Schweizer Selbstbestimmung - Einschränkung der Handlungsfreiheit - Anheizung der Arbeitslosigkeit - Reduktion des Wohlstandes - Lohneinbussen - höhere Schuldzinsen - höhere Hypothekarzinsen - zusätzliche und höhere Steuern - Heraufsetzung der Mehrwertsteuer von 6,5 % auf mindestens 15 % - Verzicht auf den Schweizerfranken und Verlust von Volksvermögen - Aufhebung der Grenzkontrollen und der nationalen Einwanderungspolitik - weniger Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger - Rückkehr zu feudalistischen Zuständen in der Politik durch Reduktion der Entscheidungsträger und - Einschränkung des Mitspracherechtes des Volkes. Weitermachen Aus all diesen Gründen lohnt sich der Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit. Der Einsatz dafür ist heute zur zentralen Aufgabe geworden. Aber Freiheit und Unabhängigkeit allein genügen nicht, um dem Land eine erfolgreiche Zukunft zu sichern. Freiheit und Unabhängigkeit sind nicht die Lösung aller Probleme. Aber sie sind die Voraussetzung dafür. Sicher wird die Zukunft schwierig werden. Dass die Schweiz um den Wandel nicht herumkommt, steht fest. Den Strukturwandel hat sie durchzustehen, und sie hat gleichzeitig die Fehler des Umverteilungsstaates zu korrigieren. Ich bin überzeugt, dass die Schweiz dies kann. Je übersichtlicher und je beweglicher eine Volkswirtschaft ist, desto besser kann sie mit den Herausforderungen des Wandels und des Umbaus verfehlter Strukturen fertig werden. Schnelle, kleine Boote sind hierfür geeigneter als die unbeweglichen grossen Tanker. Zentralisierung und die Gleichmacherei sind sowohl für die Wirtschaft wie für die Politik keine Rezepte. Fest steht, dass die Schweiz mit der Lösung der neuen Aufgaben weiter ist als ihre europäischen Nachbarn. Deshalb dürfen wir aber nicht stillstehen. Wir haben den Wandel weiter voranzutreiben. Probleme dürfen nicht einfach verwaltet, sondern sie müssen gelöst werden. Das gilt insbesondere für das Hauptproblem, unsere maroden Staatsfinanzen. Diese Aufgabe ist anspruchsvoll und verlangt viel von der Wirtschaft und von der Politik. Sie verlangt vor allem viel Flexibilität, Kreativität, Konsequenz, Standfestigkeit und Durchsetzungsvermögen. Für das Jahr 2010 bin ich zuversichtlich, weil es in der Schweiz viele Menschen gibt, die die Nacktheit des Kaisers sehen und sich auch getrauen, das zu sagen.

05.12.1997

The situation today, 5 years after the rejection of the EEA

Press conference, 5 December 1997

05.12.1997

Situazione attuale 5 anni dopo il «no» al SEE

5 dicembre 1997

05.12.1997

5 Jahre nach dem Nein der Schweiz zum Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)

Eine Standortbestimmung Pressekonferenz vom 5. Dezember 1997, Hotel Bellevue Bern 971205standort

01.12.1997

Ein Bekenntnis der Schweiz zur Freiheit, Sicherheit und Selbstbestimmung

5 Jahre nach dem EWR-Nein Artikel vom Dezember 1997 von Dr. Christoph Blocher Am 6. Dezember 1992 - also vor 5 Jahren - haben Volk und Stände den EWR-Vertrag mit einer Stimmbeteiligung von 78,3 % - der höchsten seit 1947 - abgelehnt. Damit hat sich die Schweiz in eindrücklicher Weise für die Freiheit, die Selbstbestimmung, die Neutralität und die direkte Demokratie entschieden. Der EWR-Vertrag wurde von den Regierungen aller Staaten, die ihn unterzeichnet hatten, mangels Mitentscheidungs- bzw. Vetorecht, als eine vorübergehende Lösung bis zum EG-/ EU-Beitritt genehmigt. Ein EWR-Vertrag auf Dauer - als typischer Kolonialvertrag - wäre für die Länder unzumutbar gewesen. Folgerichtig reichte der schweizerische Bundesrat nach Unterzeichnung des Vertrages am 20. Mai 1992 das EG-Beitrittsgesuch ein. Die SVP auf der Seite der Freiheit Als einzige Regierungspartei hat die SVP, deren Exponenten im Abstimmungskampf eine führende Rolle übernommen hatten, die EWR-Vorlage bekämpft. Eine Lagebeurteilung zeigt heute, dass die Schweiz gut entschieden hat. Die Freiheit, Unabhängigkeit, Neutralität, Handlungsfreiheit, aber auch der Wohlstand konnten gewahrt werden. Ein Vergleich - namentlich mit den EU-Staaten - zeigt, dass es den Schweizerinnen und Schweizern auch 5 Jahre nach dem EWR-Nein wesentlich besser geht als den Bürgern in den EU-Staaten. Prophezeiungen der EU-Befürworter als Fehlprognosen entlarvt 5 Jahre nach dem EWR-Nein dürfen wir feststellen, dass sich die Drohungen und Voraussagen der EU-Befürworter als falsch erwiesen haben. Angesichts der heutigen Tatsachen fragt man sich, wie fast die ganze classe politique, zahlreiche Hochschulinstitute, volkswirtschaftliche Berater von Banken, Grosskonzernen, Manager (vor allem schlecht geführter Unternehmen) und zahlreiche Professoren zu solch gigantischen Fehlprognosen Hand bieten konnten. So wurde damals vorausgesagt, die Ablehnung des EWR führe zu einer Abwanderung von Schweizer Firmen in die EU und zu einem Investitionsverlust ausländischer Firmen in der Schweiz. Tatsächlich ist das Gegenteil eingetreten. So wurde zwischen 1993 und 1996 aus dem Ausland durchschnittlich pro Jahr mit 2,45 Milliarden Franken, d.h. 308 % mehr investiert als 1992. Weiter wurde behauptet, das Vertrauen in den Schweizerfranken werde sinken, was zwangsläufig zu einer schwachen Währung, hohen Schuldzinsen und hoher Inflation führe. Heute dürfen wir feststellen: Das Vertrauen in den Franken ist durch die EWR-Ablehnung gewachsen und das Problem der vergangenen Jahre war nicht die Schwäche, sondern die Stärke unserer Währung. Die Schweiz ist wieder zur Zinsinsel geworden. Die Zinsen liegen 2 - 3 % unter denjenigen der besten europäischen Länder. (Man beachte, was 2 % höhere Hypothekarzinsen für die Landwirtschaft, die Hauseigentümer, die Mieter, für die investierende Industrie zur Folge hätten? Beispielsweise bedeuten 2 % Hypothekarzinserhöhung rund 30 % höhere Mietzinsen und ein erhebliches Inflationspotential.) Aber nicht nur die Währung und die Zinsen haben sich durch die Ablehnung des EWR-Vertrages gebessert, auch die Inflation ist in der Schweiz die Niedrigste. So wurde von offizieller Seite ein Rückgang der Exporte und der Einkommen vorausgesagt. Doch auch hier hat man sich getäuscht: Trotz gesamteuropäischer schwerer Rezession, die in der Schweiz auch durch die schwerste Bau- und Immobilienkrise der Nachkriegsjahre verschärft worden ist, erhöhten sich die Exporte von 1992 - 1996 um 7 %, die Arbeitnehmereinkommen um 4,6 % und das Geschäftseinkommen für Selbständigerwerbende um 4,4 %. Die Löhne in der Schweiz liegen auch 1997 weltweit an der Spitze und 5 Jahre nach dem EWR-Nein um 98 % über dem Durchschnitt der Europäischen Union. Zur künftigen Arbeit der SVP 5 Jahre nach dem EWR-Nein darf man den Entscheid vom 6. Dezember 1992 dankbar zur Kenntnis nehmen. Die SVP darf stolz sein auf ihren damaligen Entscheid. Aber auf diesem positiven Volksentscheid auszuruhen, nützt nichts. Der Bundesrat und die Mehrheit des Parlamentes haben bereits 1993 - in grober Missachtung des Volkswillens - den Beitritt zur Europäischen Union zum strategischen Ziel schweizerischer Aussenpolitik erhoben. An diesem Sachverhalt muss die aktuelle Aussenpolitik gemessen werden. Diese ist denn auch widersprüchlich, kleinmütig und zum Nachteil der Schweiz. Man bedenke: Ein EU-Beitritt schränkt das höchste Staatsgut - die Freiheit - umfassend ein. Für die Schweizerinnen und Schweizer bedeutet eine EU-Integration: - die Abtretung der politischen Macht an die Regierungen in Bern und Brüssel - das Ende der tatsächlichen direkten Demokratie - den Verzicht auf eine eigenständige Aussen- und Sicherheitspolitik - den Verzicht der Neutralität - EU-Machtpolitik anstelle Schweizer Selbstbestimmung - Einschränkung der Handlungsfreiheit - Anheizung der Arbeitslosigkeit - Reduktion des Wohlstandes - Lohneinbussen - höhere Schuldzinsen - höhere Hypothekarzinsen und Mieten - ruinöse Situation in der Landwirtschaft - zusätzliche und höhere Steuern - Heraufsetzung der Mehrwertsteuer von 6,5 % auf mindestens 15 % - Verzicht auf den Schweizerfranken und Verlust von Volkseinkommen - Aufhebung der Grenzkontrollen und der nationalen Einwanderungspolitik - mehr Kriminalität Auftrag für die SVP Die Missachtung des EWR-Neins durch die offizielle Schweiz und die eingeschlagene Integrationspolitik der Regierung und der classe politique sind mit aller Vehemenz zurückzuweisen. Unabhängigkeit, Freiheit, direkte Demokratie, Neutralität und die Wohlfahrt des Volkes sind zu hohe Güter, als dass man leichtfertig über sie hinweggehen könnte. Für sie muss ohne Kompromisse gekämpft werden. Die politische Freiheit erhalten, heisst gleichzeitig auch die wirtschaftliche Freiheit sichern. Angesichts der Machtgelüste und "Ämtlihungrigkeit" zahlreicher Politiker und Verbandsvertreter sowie der Tatsache, dass der fehlende EU-Beitritt für unfähige Manager als Ausrede für schlechte Ergebnisse willkommen ist, wird der Kampf für die Freiheit kein einfacher sein. Doch er lohnt sich.