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23.09.2001
19.09.2001
Blocher gegen Gysin: «Jetzt erst recht (nicht) in die UNO!»
Streitgespräch mit Nationalrat Remo Gysin in der Basler Zeitung vom 19. September 2001 Christoph Blocher und Remo Gysin, die beiden Hauptkontrahenten der Abstimmungskampagne über den UNO-Beitritt, stritten gestern am Rand der UNO-Debatte im Nationalrat darüber, ob und wie die Terroranschläge in den USA den Entscheid des Schweizervolks beeinflussen. Blochers Nein zur UNO ist schärfer, Gysins Ja klarer geworden. Moderiert und aufgezeichnet: Niklaus Ramseyer, Tilman Renz und Lukas Schmutz Herr Blocher und Herr Gysin, was ist in den USA passiert und welche Schlüsse ziehen Sie aus diesen grässlichen Ereignissen? Blocher: Da haben raffinierte und intelligente Leute ohne grosse eigene Mittel ungeheure Wirkung erzielt und grossen Schaden angerichtet. Bezeichnend ist dabei, dass sie aus dem angegriffenen Land heraus agiert und zum Teil im Lande selbst zuvor noch trainiert haben. Wenn es bin Laden war, wäre es sogar ein Angreifer, der früher vom amerikanischen Geheimdienst bezahlt und ausgebildet worden ist. Und was folgern Sie daraus für die Schweiz? Blocher: Man muss das ernst nehmen und unser Land muss seine Sicherheitssysteme endlich darauf ausrichten. Dass wir militärisch angegriffen würden und dass es nach langen Vorwarnzeiten zu grossen Panzerschlachten käme, das steht nicht mehr im Vordergrund. Es braucht ein gründliches Umdenken in der Sicherheitspolitik. Wie sieht Ihre Analyse aus Herr Gysin? Gysin: Kernpunkte sind unbeschreibliches Leid als Folge einer furchtbaren Gewalt, dann auch die Demütigung eines ganzen Landes, einer Supermacht. Das ist Terrorismus in schwerster Form; und die Auswirkungen lassen sich noch gar nicht abschätzen. Getroffen wurden zudem Symbole der westlich-kapitalistischen Welt mit ihrer Führungsmacht Amerika. Das zentrale Symbol des Militärs wurde getroffen, das sich als ohnmächtig erwiesen hat... Blocher: ...wie auch die CIA... Gysin: ...genau, wie auch die CIA. Getroffen wurde auch ein Hauptsymbol des Welthandels. Dahinter stecken Armut und weitere Ursachen des Terrorismus. Und Ihre Folgerung für die Schweiz? Gysin: Das Militär aufzurüsten, wie das Herr Blocher will, ist unnötig. Es gibt für mich zwei Strategien: Erstens, den Terroristen den Nährboden entziehen und Ungerechtigkeiten abbauen. Zweitens ihre Waffen- und Finanztransaktionen unterbinden. In der Schweiz müssen wir ein Klima der Toleranz gegenüber den Fremden schaffen. Wir müssen mehr über den Islam wissen ... Blocher: Gut, aber bei den Hintergründen aufpassen. Bei bin Laden hat das nichts zu tun mit der Armut. Dahinter stecken ausgesprochen reiche Leute. Für sie ist es eine ethnische und religiöse Auseinandersetzung. Ihr Netz ist eben auch in den reichen Ländern verankert. Die Frage ist, können Sie sich mit Ihrer Toleranz gegen solche Kämpfer wappnen? Gysin: Ich rede doch nicht von Toleranz gegenüber Terroristen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass religiöser Fanatismus mit hineingespielt hat, ist gross. Aber die Rekrutierungsbasis der Terroristen liegt bei den Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben. Wie beeinflussen die Ereignisse das Verhältnis der Schweiz zur UNO? Blocher: Es ist klar sichtbar geworden, wie ausserordentlich wichtig die Neutralität für uns als Sicherheitsgarantin ist. Und zwar die bewaffnete, immer währende, selbst gewählte und bündnisfreie Neutralität. Das ist das Mittel, dass wir nicht in solche verrückte Auseinandersetzungen hineingezogen werden. Wenn es bin Laden war, war es einmal schick, dass man Terroristen aufrüstet, das hat damals niemanden geärgert, und einige Jahre später will man nun das Gegenteil tun. Als kleiner Staat darf man sich da nicht reinziehen lassen. Und das ist der springende Punkt, warum ich gegen den Beitritt zur UNO bin. Gysin: Ich sehe das völlig anders. Dieser schreckliche Terroranschlag hat gezeigt, dass Gemeinschaft gefragt ist. Ein einzelnes Land kann wenig dagegen ausrichten. Da findet die UNO in ihren Kernaufgaben eine Bestätigung - nämlich präventiv gegen Armut, Diskriminierung und auch gegen Rassismus vorzugehen. Die UNO, Herr Blocher, bekämpft seit 1972 auch ganz konkret den Terrorismus. Sie hat erst kürzlich neue Konventionen gegen Bombenterror und gegen die Finanzierung des Terrorismus beschlossen ... Blocher: ...mit welchem Erfolg?... Gysin: Die Schweiz wird das nächstens ratifizieren. Das Bankgeheimnis darf Terroristen wie Mobutu nicht mehr schützen. Herr Blocher, die Schweiz ist bei allen UNO-Unterorganisationen dabei und zahlt dafür 450 Millionen pro Jahr. Sie sind gegen die UNO. Warum verlangen Sie nicht auch den Rückzug aus den Unterorganisationen? Da könnten Sie erst noch viel Geld sparen. Blocher: Die Teilnahmen an technischen Unterorganisationen ist mit unserer Neutralität nicht im Widerspruch. Wir werden dadurch nicht verpflichtet, gegen andere Staaten diskriminierende wirtschaftliche, politische oder gar militärische Massnahmen mitzumachen. Bei all den Bereichen, die Herr Gysin angesprochen hat, sind wir dabei: Menschenrecht, Bildung, Landwirtschaft, Gesundheit, Währungsfonds überall sind wir mit dabei. Das entscheidende ist jedoch der Vertrag über die Vollmitgliedschaft, weil der Sicherheitsrat gemäss Artikel 41 der Charta Mitglieder zu diskriminierenden Massnahmen verpflichten kann. Darin haben fünf Grossmächte das Vetorecht und da würden wir reingezogen. Sie wollen die Neutralität zu einem zentralen Argument Ihres Abstimmungskampfs machen, Herr Blocher. Warum eigentlich, alle andern Neutralen sind in der UNO und spielen eine wichtige Rolle, haben Generalsekretäre gestellt. Gysin: Genau, Irland, Österreich, Schweden - alle Neutralen sind dabei. Blocher: ...Ich muss Ihnen sagen, die Neutralitäten Finnlands und Schwedens sind nicht integral. Schweden hat eine Neutralität von Fall zu Fall, und Österreich hat eine Verpflichtung aus dem Friedensvertrag... Gysin: ...und Turkmenistan hat nochmals eine andere Neutralität und auch die Schweizer Neutralität ist nicht mehr die gleiche wie früher. Und die UNO akzeptiert alle Neutralitäten. Aber Ihre Neutralität ist nicht die, mit der wir leben... Blocher: ... das ist interessant Herr Gysin. Was wollen Sie denn für eine? Keine integrale? Keine dauernde? Keine bewaffnete, nicht eine bündnisfreie, dann sagen Sie uns das doch mal. Sagen Sie es, Herr Gysin! Gysin: Wir... Blocher: ...wer wir? Gysin: ...wir Befürworter ... Blocher: ...aha, gut!... Gysin: ... wir Befürworter stützen uns auf die Neutralität, so wie sie in der Verfassung steht. Diese wird auch von der UNO respektiert. Lesen Sie Artikel drei Absatz drei der UNO-Charta. Über militärische Sanktionen werden wir auch als UNO-Mitglied allein entscheiden. Das tangiert unsere Neutralität nicht. Armutsbekämpfung, Gesundheitspolitik und Friedenspolitik... Blocher: ...da sind wir überall dabei... Gysin: ... das sag ich ja, die UNO hat Kopf und Beine. Wenn wir nur bei den Gliedern, den Spezialorganisationen, beim Kopf jedoch, also bei der Generalversammlung, nicht dabei sind, dann klappt das nicht. Nun aber nochmals zur Neutralität. So wie die Schweiz sie versteht, gilt sie militärisch gegenüber einzelnen Ländern. Die UNO ist aber eine Gemeinschaft, bei der alle dabei sind. Die UNO ist in der Rolle des Polizisten gegenüber dem Verbrecher und da gibt es keine Neutralität, wie auch nicht gegenüber Terroristen - oder sind Sie da anderer Meinung? Blocher: Terroristen sind Kriminelle; sie vertreten keinen Staat. Zur Neutralität. Es ist nicht neu, dass die Politiker die Neutralität nicht achten, weil die Neutralität die Politiker in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkt. Neutralität heisst sich nicht einmischen... Gysin: ...Sie reden, als ob sie kein Politiker wären... Blocher: ...ich begreife, dass Sie es nicht gern hören, wenn ich über Neutralität spreche... Gysin: ...doch, Neutralität ist eines meiner Lieblingsthemen... Blocher: ...also, Neutralität ist das typische Mittel des Kleinstaates, nicht in Auseinandersetzungen der Grossstaaten hineingezogen zu werden und sich nicht einzumischen. Und sie ist für die Schweiz nur dann glaubwürdig, wenn sie dauernd ist. Eine solche Neutralität hat nur die Schweiz. Heute nutzen wir die Chancen nicht, die sich daraus ergeben, weil der Bundesrat die Neutralität eigentlich nicht mehr will. Er will ja in die EU und in die UNO ist nur eine Etappe dafür... Gysin: ...Jetzt vermischen Sie aber alles... Blocher: ...nein, ich zitiere nur Herrn Deiss, und zwar wörtlich. In dieser ganzen Öffnung ist die UNO eine Etappe und da hat die Neutralität keinen Platz. Es tut mir leid, dass ich das sagen muss... Gysin: Nach Ihrem Gusto heisst Neutralität, dass wir wirtschaftliche Sanktionen der UNO durchbrechen und Despoten wie Saddam Hussein beliefern. Blocher: Nein, wir stehen eben auf keiner Seite. Das ist die grosse Kunst. Herr Gysin, wer definiert denn, wer die Despoten sind? Gysin: Das macht der UNO-Sicherheitsrat. Blocher: eben, eben... Im Sicherheitsrat haben fünf Grossmächte ein Vetorecht - da geht also Macht vor Recht. Wie wollen Sie das dem Volk erklären, Herr Gysin? Gysin: Das wäre historisch erklärbar, ich will es aber nicht erklären, weil es auch für mich nicht akzeptabel ist. Das wollen wir ändern. Aber wir können es besser, wenn wir drin sind, als wenn wir draussen vor der Tür bleiben. Blocher: Ha, Illusionen, Illusionen! Gysin: ...zudem tragen wir jetzt schon alle wirtschaftlichen Sanktionen der UNO mit... Blocher: ...der Bundesrat macht das freiwillig, nicht wir... Gysin: ...die Schweiz macht das, und auch Sie können nicht anders, Herr Blocher. Und ich finde es auch richtig so... Blocher: ...Sie schon, das ist ja klar, es ist Ihnen auch gleich, was für Dummheiten passieren... Gysin: ...nein, sicher nicht... Blocher: Doch, Hauptsache ist Ihnen doch, Sie sind dabei. Herr Blocher, die Wirtschaftsverbände sind für den UNO-Beitritt. Warum sind Sie als Grossunternehmer dagegen? Blocher: Die Wirtschaftsverbände schauen immer, wo die momentanen Interessen sind. 1992 waren sie für den EU-Beitritt und heute wollen sie nichts mehr davon wissen. So schnell geht das. Aber man kann nicht die Staatsprinzipien nicht nach den momentanen Interessen ändern. Gysin: Die Wirtschaft hat eingesehen, dass ein Gegengewicht zur nur wirtschaftlichen Globalisierung notwendig ist, wo soziale, menschenrechtliche und ökologische Standards mit hineinkommen. Und dieses Gegengewicht kann nur die UNO schaffen. Warum meinen Sie, werden die Terror-Anschläge in den USA die UNO-Abstimmung in Ihrem Sinne beeinflussen? Blocher: Weil sie zeigen, wie unglaublich, die Machtauseinandersetzungen auf der Welt sind. Es ist wichtig, sich nicht in diese einzumischen, um glaubwürdig neutral zu bleiben. Gysin: Ich bin nicht sicher, wie das Schweizer Volk auf die Ereignisse reagiert und wie die Abstimmung herauskommt. Aber es war ein sehr starkes Gemeinschaftsgefühl spürbar. Es ist offensichtlich, dass Terrorismus in dieser Form vor keinen Landesgrenzen halt macht.
10.09.2001
»Bevölkerung hat Belastung und zu kleinen Nutzen»
Interview mit den Schaffhauser Nachrichten vom 10. September 2001 SVP-Nationalrat Christoph Blocher kritisiert das Zürcher Flughafenkonzept und die Verhandlungstaktik des Bundesrats. Interview: Benjamin Gafner Herr Blocher, wie viel fliegen Sie? Christoph Blocher: Zehn- bis zwölfmal im Jahr, nach Übersee oder beispielsweise nach London. Nach Paris benutze ich den Zug, das ist einfacher. Ich bin nicht gegen das Fliegen, aber ich bin dagegen, dass man unnötig herumfliegt. Sie würden also nie einen 100-Franken-Flug nach London buchen, um übers Wochenende einkaufen zu gehen? Blocher: Nein, nein. Das ist auch gar nicht mein Bedürfnis. Ich sage nicht, dass man es den Leuten verbieten soll, kurz nach London zu fliegen, um einkaufen zu gehen. Ich halte das aber nicht für sinnvoll. Vom Fluglärm sind Sie verschont in Ihrem Heim in Herrliberg. Wären Sie bereit, im Sinne einer gerechten Verteilung mehr Fluglärm zu ertragen? Blocher: Fluglärm haben wir auch, und zwar Helikopter vom Militärflugplatz Dübendorf. Es ist klar: Fluglärm hat niemand gern. Wo soll der Fluglärm im Zusammenhang mit dem Flughafen Kloten stattfinden? Blocher: Dort, wo er am wenigsten stört, also über Gebieten, die wenig besiedelt sind. Auch aus Sicherheitsgründen sollte beispielsweise nicht über die Agglomeration Zürich gestartet und gelandet werden. Dies ist mit dem heutigen Flugregime weitgehend gewährleistet. Deshalb soll daran festgehalten werden. Von einer gleichmässigen Verteilung des Fluglärms rund um den Flughafen halten Sie also nichts? Blocher: Das ist eine der dümmsten Forderungen, die je aufgestellt wurden. Der Fluglärm sollte - genau wie der Strassenverkehrslärm - kanalisiert werden. Stellen Sie sich vor, man käme plötzlich auf die Idee, den Strassenverkehr nicht mehr auf der Autobahn zu konzentrieren, sondern im ganzen Land "demokratisch" zu verteilen, damit alle gleich viel haben. Das wäre doch Humbug. Wenn Sie den Fluglärm auf die Bodenseeregion, den Kanton Schaffhausen, den Thurgau, den gesamten Kanton Zürich, den Aargau und weitere Gebiete verteilen, müssen Sie am Schluss überall Lärmschutzmassnahmen ergreifen. Das ist doch nicht sinnvoll. Sie lehnen den Staatsvertrag mit Deutschland ab und bezeichnen die Verhandlungsweise des Bundespräsidenten als dilettantisch. Weshalb diese scharfe Formulierung? Blocher: Weil sie der Tatsache entspricht. Der Bundesrat hat wieder den gleichen Fehler gemacht wie bei den Verhandlungen über die bilateralen Verträge mit der EU: Der Bundespräsident darf doch nicht persönlich verhandeln gehen. Als höchster Regierungsvertreter der Schweiz kann er im Ausland nicht sagen, er müsse nun zuerst zu Hause die Erlaubnis für ein Entgegenkommen einholen. Man sollte deshalb andere Vertreter an die Verhandlungen schicken, während die Regierung zu Hause im Hintergrund eine klare Position innehält. Die Verhandler kehren zurück, berichten dem Bundesrat und holen neue Direktiven ab. So gewinnt man Zeit zum Überlegen und Diskutieren. Es ist wichtig, dass die eigenen Verhandler, die an der Front tätig sind, desavouiert werden können. Nur so gewinnt man. Der Bundespräsident sollte notfalls höchstens noch am Schluss hingehen und den Vertrag feierlich unterschreiben. Sie vergleichen politische Verhandlungen offensichtlich mit Ihren Verhandlungen in der Wirtschaft? Blocher: Das ist doch genau dasselbe. Meinen Sie, ich nehme als oberster Chef der Ems Chemie an Verhandlungen teil? Wenn alles sehr gut läuft, gehe ich höchstens am Schluss selbst noch hin, wenn wir abgemacht haben, wo wir im einen oder anderen Punkt noch etwas nachgeben. Der Bundesrat hat einmal mehr dilettantisch verhandelt. Es ist ja unglaublich, welch schlechten Vertrag er dem Parlament nun vorlegt. Weshalb? Blocher: Es zeigt sich nun, dass bereits bei den bilateralen Verträgen Land- und Luftverkehr hätten gekoppelt werden sollen. Wir haben das immer gefordert. Und man hat es auch versprochen. Beim Landverkehr ist man dem Ausland sehr entgegen gekommen, dafür hätte man beim Luftverkehr etwas erhalten. Deutschland kann uns doch nicht den ganzen Dreck des Lastwagen-Transitverkehrs geben und gleichzeitig sagen: "Aber der Flugverkehr kommt nicht zu uns." Leuenberger hat im April viel zu weich verhandelt. Er hat bei den Eckwerten nachgegeben, daran ändert sein nachträgliches Insistieren, das erst auf Druck der Öffentlichkeit zustande kam, nichts. Nachgeben am Anfang ist Gift für jede Verhandlung. Sie lehnen den Vertrag ab. Mit welchen Konsequenzen rechnen Sie, wenn Ihnen das Parlament folgen sollte? Blocher: Der Bundesrat sagt: Lieber einen schlechten Vertrag als gar keinen. Was ist denn dies für eine Alternative? Es gäbe ja auch noch einen guten Vertrag statt gar keinen! Die Frage nach den Konsequenzen bleibt. Blocher: Wenn das Parlament den Vertrag ablehnt, wird nochmals verhandelt, oder Deutschland setzt einseitig eine Verordnung in Kraft. Sollte Letzteres geschehen, müsste dies angefochten werden. Dann schauen wir mal, was diese Verordnung rechtlich wert ist. Sollte die Schweiz im Rechtsstreit unterliegen, müsste sie Gegenmassnahmen im Strassenverkehr treffen. Die Schweiz muss endlich Gegenpositionen entwerfen und ihre eigenen Interessen wahren. Wie könnten solche Gegenmassnahmen aussehen? Blocher: Genau dies muss der Bundesrat nun prüfen und vorbereiten. Möglichkeiten gibt es viele: Wir könnten die ganze 40-Tonner-Geschichte in Frage stellen, die Verträge sind ja in der EU noch nicht ratifiziert. Wir haben ein Lastwagenkontingent, da lässt sich viel machen. Verträge bestehen schliesslich immer aus Geben und Nehmen. Sie wollen also Deutschland beispielsweise sagen, jetzt dürften keine deutschen Lastwagen mehr durch unser Land fahren? Blocher: Ich bin nicht für einen Landverkehrs- und Luftverkehrskrieg. Aber für den Fall der Fälle sollte sich der Bundesrat entsprechend vorbereiten. Wenn Deutschland sagt: "Wir haben nicht gern Fluglärm", dann entgegnen wir, dass wir nicht gern Strassenverkehrslärm haben, und präsentieren entsprechende Massnahmen. Ich glaube nicht, dass sich Deutschland auf einen solchen Streit einlassen würde. Das mächtige Land wird innerhalb der EU genau beobachtet, wie es mit den Kleinen umgeht. Deutschland könnte sich einen ernsthaften Streit mit der Schweiz so wenig leisten wie umgekehrt. Stellen Sie sich vor, die Situation wäre umgekehrt: 90 Prozent der Flugzeuge würden im Tiefflug über die Schweiz einen benachbarten Flughafen Deutschlands anfliegen. Würden wir nicht auch reklamieren? Blocher: Natürlich, aber es kommt schon auf die genaue Situation an. Die jetzige Situation ist so, dass die Anflüge auf Kloten über wenig besiedeltes Gebiet erfolgen. In Süddeutschland sind viel weniger Personen vom Lärm betroffen, als wenn plötzlich über die Agglomeration Zürich geflogen wird. Es ist doch nicht einsehbar, weshalb das geändert werden soll. Deutschland versucht hier ganz einfach, Sonderrechte für sich in Anspruch zu nehmen. Bei den deutschen Flughäfen gelten offenbar noch ganz andere Massstäbe. Und es ist ja nicht so, dass wir den Flugverkehr willkürlich über Deutschland abwickeln, obwohl dort viel mehr Leute betroffen wären als bei uns. So etwas wäre in der Tat ungerecht. Dem ist aber nicht so. Wird das Parlament den Staatsvertrag ablehnen? Blocher: Ich befürchte, dass der Vertrag im Parlament angenommen wird. Aus Mangel an Durchsetzungskraft werden die Interessen des eigenen Staates preisgegeben. Was halten Sie von der Politik der Flughafendirektion, die Kloten als Hub definiert, also als Drehscheibe für Transitpassagiere? Blocher: Vom Flughafen her ist dies verständlich. Doch das Volk muss sich nun die Frage stellen: "Welchen Flughafen wollen wir?" Meine Antwort lautet: Wir wollen einen Flughafen, der unserer Volkswirtschaft dient. Das heisst, wir wollen gute Flugverbindungen von und nach Zürich. Das Hub-Konzept ist aber volkswirtschaftlich fragwürdig. Es ist geprägt von dem verfehlten und jetzt auch gescheiterten Swissair-Konzept. Das Konzept der Grösse ist gestorben, also müssen wir darauf keine Rücksicht mehr nehmen. Heute wird das Hub-Konzept im Interesse der Flughafen-Auslastung aufrechterhalten. Doch dies allein kann nicht entscheidend sein. Die Volkswirtschaft als Ganzes zählt. Welche Rolle spielt bei Ihrer Beurteilung die Meinung des Volks? Blocher: Ich glaube nicht, dass das Volk einen Flughafen will, in dem Zehntausende von Transitpassagieren landen, nur um umzusteigen und wieder davonzufliegen. Die gehen ja nicht in die Stadt und konsumieren etwas. Von den Transitpassagieren haben wir volkswirtschaftlich wenig. Die Bevölkerung hat die Belastung und einen zu kleinen Nutzen. Wie weit sollte der Flughafen Rücksicht auf die Bevölkerung nehmen? Blocher: Der Flughafen kann auf Dauer keine Politik betreiben, die vom Volk nicht akzeptiert wird. Das ist in der Industrie genau dasselbe. Wenn ich auf die Idee käme, im Kanton Graubünden eine riesige Raffinerie zu bauen, direkt neben der Stadt Chur, könnte ich dies auch nicht tun. Ganz einfach deshalb, weil die Bevölkerung dies nicht will. Der Flughafen investiert jetzt für den Ausbau über zwei Milliarden Franken. Er kann wohl nicht so einfach zurück. Blocher: Sollte sich die Investition als Fehlinvestition erweisen, dann ist es halt eine. Ich habe in meinem Unternehmen auch schon Fehlinvestitionen gemacht (lacht). Diese musste ich dann halt tragen und anderswo wieder wettmachen. Herr Blocher, wir danken Ihnen für das Gespräch.
09.09.2001
Strikte gegen Staatshilfe
Interview mit der SonntagsZeitung vom 9. September 2001 Christoph Blocher über die Sanierung der Swissair Interview: Arthur Rutishauser Christoph Blocher, was muss nach Ihrer Meinung geschehen, damit die Swissair wieder auf die Beine kommt? Christoph Blocher: Nun müssen die Banken eine Sanierung durchführen wie seinerzeit in der Uhrenindustrie. Was bedeutet das? Blocher: Eine Umwandlung von Schulden in Eigenkapital. Also ein Schuldenverzicht und eine Aufstockung des Eigenkapitals. Warum sollten sie das tun? Blocher: Aus der gleichen Motivation wie bei der Uhrenindustrie. Damals verzichtete man auch auf viel Geld, im Nachhinein stellte sich das aber als sehr lohnendes Geschäft für die Banken heraus. Gelegentlich wird auch gefordert, der Staat, das heisst die beteiligten Kantone und der Bund, sollten der Not leidenden Airline unter die Arme greifen. Blocher: Da bin ich strikte dagegen. Nur schon die Diskussion zeigt, dass man vielmehr die Swissair-Aktien schon viel früher hätte verkaufen sollen. Könnten Sie sich eine Bürgschaft des Bundes für die Swissair vorstellen? Blocher: Nein, denn das käme letztlich auf dasselbe heraus wie ein Kredit. Und wie steht es bei einer Kapitalerhöhung - soll da der Staat mitziehen? Blocher: Da würde es sich wohl nicht vermeiden lassen, dass Bund und Kantone mitmachen. Wenn es der Swissair aber wieder besser geht, sollte man die Aktien so schnell wie möglich verkaufen. Kann es sich denn die Schweiz leisten, auf eine nationale Airline zu verzichten? Blocher: Das ist keine nationale Airline, das ist eine private Fluggesellschaft, die so wie alle anderen Unternehmen selbst für ihr Überleben sorgt. Sonst züchten wir eine Subventionswirtschaft heran. Trotzdem, ohne Fluggesellschaft befürchtet die Wirtschaft Nachteile für den Standort Schweiz. Blocher: Wir brauchen für die Wirtschaft keine Swissair, sondern gute Flugverbindungen ab Zürich. Und die können auch ausländische Airlines erbringen. Ich sehe jedenfalls keinen Notstand, der eine Staatsintervention rechtfertigen würde. Glauben Sie, dass eine eventuelle Übernahme der Swissair noch einen nationalen Aufschrei verursachen würde? Blocher: Nein, warum? Immerhin kam es Anfang der Neunzigerjahre zu einer grossen Kampagne, als versucht wurde, die Swissair mit der holländischen KLM und der skandinavischen SAS zu fusionieren. Blocher: Da haben all die Hiobsbotschaften aus Kloten die Emotionen sicher beruhigt. Heute wäre wohl jeder froh, das Problem Swissair wäre gelöst. Sind für Sie die Sanierungsmassnahmen, die Swissair-Chef Mario Corti bisher einleitete, genügend? Blocher: Bei Sanierungen in dieser Grössenordnung darf man meiner Ansicht nach nicht zu zögerlich vorgehen. Da braucht es wohl eher den Vorschlaghammer. Vor allem, weil wohl noch viel mehr getan werden muss, als bisher bekannt ist. Glauben Sie, dass die Möglichkeit besteht, dass die Swissair Konkurs geht? Blocher: Nein, denn da ist viel zu viel Schweizer Wirtschaftsprominenz involviert. Die wird alles tun, um einen Konkurs zu vermeiden. Denn sonst müsste sie mit Prozessen der Geschädigten rechnen. Das ist ganz klar.
11.06.2001