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08.12.2000

«Jeder Führungskraft liegt doch die eigene Heimat am nächsten»

Christoph Blocher über den Axantis-Deal, seine Nachfolge und die von ihm befürchtete Rezession. Interview mit CASH vom 8. Dezember 2000 Chefstratege Christoph Blocher schwimmt wieder obenauf - als Unternehmer, nicht aber als Politiker. Relaxed geht er auf den Axantis-Deal ein und schildert, wie seine Nachfolge geregelt werden könnte. Er befürchtet, dass eine Rezession vor der Tür steht. Vom neuen SVP-Bundesrat Samuel Schmid distanziert er sich. Autor: Victor Weber, Marcel Odermatt Ist das nun ein verspätetes Geschenk zu Ihrem Geburtstag oder ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, das Sie sich da gemacht haben? Christoph Blocher: Nun, wenn Sie damit die Chance meinen, Axantis zu übernehmen, so wäre dies ein teures Geschenk. Zum 60. Geburtstag darfs ja wohl ein grosszügiges Geschenk sein. Blocher: Sagen wir es so: Gelingt der Plan, die ehemalige Attisholz zu übernehmen, geht ein alter Wunsch in Erfüllung. Schon zu Beginn der Neunzigerjahre versuchten wir, der damaligen Führung eine neue Strategie schmackhaft zu machen. Vergebens. Erst Jahre später ist eine neue Strategie verwirklicht worden. Jetzt könnten wir mit unserem Knowhow und mit unseren Managementkapazitäten helfen, den eingeleiteten Wandel zu vollenden, nämlich vom traditionellen Hersteller von Zellulose für die Papierindustrie hin zum spezialisierten Produzenten polymerer Werkstoffe auf der Basis von Zellulose. Wie kommen Sie darauf, von einem teuren Geschenk zu reden? Bei Ihrer Offerte gehen Sie von einem Firmenwert von 570 Millionen Franken aus. Da Axantis 400 Millionen an liquiden Mitteln besitzt, kommen Sie zum Schnäppchenpreis von netto 170 Millionen zu den modernsten Anlagen dieser Art in der Schweiz. Blocher: 170 Millionen Franken sind viel. Man muss bedenken, dass Axantis eben erst mit der Herstellung der neuen Produkte angefangen hat und dass in den nächsten drei Jahren noch Investitionen von insgesamt 50 Millionen nötig sind, um die Umstellungen auf Zellulosespezialitäten abzuschliessen. Zudem ist das Risiko des Scheiterns gross. So gross kann das Risiko nicht sein, sonst würden Sie als gewiefter Unternehmer keine Offerte unterbreiten. Blocher: Wenn es um neue Produkte geht, stehen die Chancen immer 50 zu 50. Kommt hinzu, dass es in der Regel doch immer länger geht und teurer wird, als ursprünglich angenommen. Der Substanzwert wird gross sein. Blocher: Was heisst da Substanzwert? Da sind die alten Anlagen ... ... und daneben die nagelneuen ... Blocher: Die sind aber erst angefahren worden und nur um die 100 Millionen Franken wert - vorausgesetzt, sie bringen das, was man von ihnen erwartet. Ein hoher Preis, ein hohes Risiko - warum sind Sie denn heute Morgen so gut gelaunt? Blocher: Wir Industrielle sind uns das Risiko gewohnt. Ohne Risiko keine Chance. Ich freue mich auf die schwierige Aufgabe. Sie müssten Daniel Model eigentlich dankbar sein. Erst sein feindlicher Versuch, Axantis einzusacken, hat für Sie eine günstige Konstellation geschaffen. Blocher: Vielleicht. Ich bin aber gezwungen, sein Angebot von 310 Franken pro Aktie auf 330 zu erhöhen. Ich bin ihm aber darob nicht bös. Das Gespräch zwischen uns verlief denn auch ruhig. War das ein abgekartetes Spiel zwischen Ihnen und Daniel Model, wie manche argwöhnen? Blocher: Nein. Ich habe ihn zu seiner Überraschung angerufen und unsere Strategie dargelegt. Wir sind dann schnell einig geworden. Ende September verpassten Sie der Ems-Gruppe eine neue Führungsstruktur und gliederten den Bereich Ems-Chemie in verschiedene Profitcenters auf. Das liess sich als Indiz für eine bevorstehende Weichenstellung deuten. Blocher: Damals war Attisholz noch kein Thema. Heute ist aber klar, dass alles etwas einfacher ist: Axantis kommt als zusätzlicher selbständiger Unternehmensbereich zur Ems-Gruppe hinzu - sofern wir die Mehrheit bekommen. Der Deal muss demnach sehr schnell abgewickelt worden sein. Blocher: Am Mittwoch vorletzter Woche trat Axantis-Präsident Guido Patroncini an mich heran und sagte, dass ein 10-Prozent-Paket zu haben sei. Wer wollte verkaufen? Blocher: Das weiss ich nicht. Auf jeden Fall bin ich so auf die Gelegenheit erst richtig aufmerksam geworden. Ich sagte ihm, dass ich nicht ein Paket, sondern die Mehrheit des Unternehmens übernehmen möchte. Ich würde aber erst handeln, wenn die Aussicht bestünde, eine Zweidrittelmehrheit zu erwerben - zumal ich überzeugt bin, dass wir für Axantis das bessere Konzept haben als Daniel Model, der zur ehemaligen Zwei-Pfeiler-Strategie zurückkehren wollte, also zu etwas, das Attisholz mit dem Verkauf des Hygienepapiergeschäftes - Hakle und Tela - abgestreift hatte. Am Freitag letzter Woche konnte ich dann von der Bank Julius Bär ein 10-Prozent-Paket kaufen. Könnte es sich dabei um das gleiche Paket gehandelt haben, das Sie zuerst ausgeschlagen haben? Blocher: Das kann ich nicht ausschliessen. Ihre Übernahmeofferte ist in den Medien sehr gut aufgenommen worden. Jetzt sind Sie geadelt worden, indem die Kommentatoren Sie zum weissen Ritter geschlagen haben, welcher der bedrängten Axantis zur Hilfe eilt. Blocher: Mal ist man weisser Ritter, dann plötzlich wieder schwarzer Ritter. Ich kann darum solche Etiketten nicht ernst nehmen. Anderseits macht die breite Zustimmung die Sache einfacher. Lonza hat in aller Stille eine ähnliche Reorganisation durchgeführt wie Ems. Sie sagen zwar, dass ein Zusammengehen von Lonza und Ems keinen Sinn ergeben würde. Doch sind Sie allenfalls an einzelnen Sparten von Lonza interessiert, etwa an den polymeren Zwischenprodukten und Additiven? Blocher: Nein, die kommen für uns nicht in Frage, da wir uns mit unseren polymeren Stoffen auf einer höheren Spezialisierungsstufe bewegen. Und die biochemischen Wirkstoffe? Blocher: Auch nicht. Axantis ist für uns auch darum interessant, weil sie in den Bereich der biochemischen Werkstoffe vordringen will, doch das ist etwas ganz anderes als biochemische Wirkstoffe für die Pharma. Haben Sie Ihre Nachfolge geregelt? Blocher: Meine älteste Tochter, Ökonomin und bei Rivella zur Marktingexpertin gereift, nimmt im Januar ihre Arbeit in der Ems-Gruppe auf. Mein Sohn hat Chemie studiert und sammelt nun nach seinem Doktorat bei McKinsey Erfahrungen. Eine Tochter ist als Lebensmittelingenieurin bereits in der Industrie tätig. Und die Jüngste studiert Ökonomie in St. Gallen. Doch Privilegien gibt es auch für meine älteste Tochter nicht. Sie wird sich wie alle anderen Mitarbeiter bewähren müssen. Bereits im letzten Sommer kündigten Sie an, dass Sie die Ems-Gruppe mit einem Kostentrimmprogramm und einem antizyklischen Investitionsverhalten auf die nächste Rezession vorbereiten wollen. Wie beurteilen Sie die Konjunkturlage heute? Blocher: Die Situation sieht nun noch schlechter aus, als ich sie damals einschätzte. Damals sagte ich, die nächste Krise komme nicht vor 2002/2003. Jetzt beurteile ich dies pessimistischer. Warum? Blocher: Die unerwartet hohen Ölpreise wirken sich negativ aus. Da sind Konjunktur-Frühwarnindikatoren wie die rückläufigen Autoverkäufe in den USA und das lahmende Textilgeschäft, die auf eine baldige Rezession hinweisen. Ihr Unternehmen ist also bereits für den kommenden Wirtschaftsrückgang vorbereitet? Blocher: Wir haben den Personalausbau weniger stark forciert, als nötig gewesen wäre. Ausserdem lancierten wir ein Kostensenkungsprogramm. Sehen Sie: Rechnen wir bei einer schweren Rezession mit einem Umsatzrückgang von 20 Prozent, müssen wir die Kosten ebenfalls um 15 bis 20 Prozent runterfahren können. Und Kostensenkungsprogramme müssen sinnvollerweise noch in der Hochkonjunktur-Phasen eingeleitet werden. Die können nicht auf einen Schlag realisiert werden. Wir befinden uns erst seit vier Jahren in einer Aufschwungphase. Und jetzt droht bereits wieder eine Rezession. Die USA dagegen erleben das zwölfte Jahr einer Hochkonjunktur. Was machen die Schweizer falsch? Blocher: Wir haben in den letzten Jahren die Staatsquote wie kein anderes Land erhöht. Und der Grossteil der neuen Steuern wie der CO2-Abgabe oder der LSVA kommen erst noch auf uns zu. Das lähmt unsere Wirtschaft. Und wie sieht das blochersche Wirtschaftsprogramm aus, um uns die nächste Rezession zu ersparen? Blocher: Die Staatsquote und die Steuern müssen gesenkt werden. Zudem sollten wir den ganzen Staatsinterventionismus minimieren. Und der Bund sollte alle seine Beteiligungen, wie die an der der Swisscom, sofort verkaufen. Was hat die Mehrheitsbeteiligung des Bundes mit einer sich anbahnenden Rezession zu tun? Blocher: In allen liberalisierten Märkten muss der Staat seine Betriebe in die Freiheit entlassen. Der Bund schränkt die unternehmerische Freiheit der Swisscom ein. Ausserdem wissen die Manager, dass bei einem Versagen ihrerseits der Bund helfen würde. Sie predigen wirtschaftlichen Liberalismus. Ihnen wäre es wohl auch egal, wenn die Swissair von einer ausländischen Gesellschaft übernommen würde. Blocher: Was die Schweiz braucht, sind gute Verkehrsverbindungen und gute Gesellschaften, die die Schweiz anfliegen. Ob das mit oder ohne Swissair passiert, ist eigentlich egal. Der Flughafen Zürich ist auch für ausländische Fluggesellschaften eine attraktive Destination. Doch gerade die Swissair wird als nationales Symbol empfunden. Kommt da der bekennende Patriot Blocher nicht in den Clinch mit seinen Wählern? Blocher: Seit zwanzig Jahren heisst es immer wieder, ich hätte Probleme mit meinen Wählern. Trotzdem erzielte ich im letzten Jahr das beste Resulat aller Nationalräte. Trotzdem: Unternehmen wie die SBB, die Swissair und die Post wirken auch identitätsstiftend. Blocher: Das stimmt. Obwohl die Swissair nicht mehr in Staatsbesitz ist, haben immer noch viele Schweizer das Gefühl, das sei "ihre" Fluggesellschaft. Eine privatisierte Post würde kaum Briefe in die entlegenen Regionen des Landes senden, oder doch nur zu massiv höheren Preisen. Blocher: Diesen Service public können wir uns leisten. Das ist kein Problem. Da sehe ich keinen Widerspruch zu meiner Haltung. Viele Schweizer Traditionsunternehmen wurden in den letzten Jahren ins Ausland verkauft, wie kürzlich Feldschlösschen an den dänischen Bierbrauer Carlsberg. Was machen Schweizer Manager falsch? Blocher: Feldschlösschen wurde ein Opfer des Bierkartells. Diese Firma war es sich nicht gewohnt, sich in einem hart umkämpften Markt durchzusetzen. Fliegt ein Kartell auf, kommt es zu Zusammenbrüchen. Das erlebten wir früher in der Uhrenindustrie und heute in der Strombranche. Ganz klar, dass aus kartellisierten Bereichen keine starken Managerpersönlichkeiten kommen können. Ich glaube aber nicht, dass Schweizer Manager schlechter sind als andere. Die Schweiz ist hoch industrialisiert, hat viele potente Firmen und braucht entsprechend viele Führungskräfte. Erleben wir im Moment in wirtschaftlicher Hinsicht den Ausverkauf der Heimat? Blocher: Nein. Alle ins Ausland verkauften Firmen haben weiterhin die Schweiz als Basis. Kein Manager gibt es zwar zu, aber jeder Führungskraft liegt doch die eigene Heimat am nächsten. Als Unternehmer argumentieren Sie in neoliberaler Art rein rational und gefühlskalt, als Politiker appellieren Sie ans Heimatgefühl und damit an die Solidarität. Zwei Seelen wohnen in Ihrer Brust. Blocher: Ich bin liberal. Im Beruf, der Wirtschaft und der Politik haben Gefühl und Emotionen viel Platz. Auch Nationalgefühl hat bei einer weltweit tätigen Firma Platz

08.12.2000

Christoph Blocher über die Bundesratswahl

Interview mit CASH vom 8. Dezember 2000 Mit Samuel Schmid ist bei den Bundesratswahlen kein offizieller SVP-Kandidat gewählt worden. Was bedeutet das für die Konkordanz? Christoph Blocher: Wenn ein Kandidat oder eine Kandidatin gewählt wird, der oder die von der Partei vorgeschlagen ist, so sind die Loyalität und die Kompromissbereitschaft natürlich wesentlich grösser. Das liegt in der Natur der Sache. Haben Sie als Taktiker in Wahrheit nicht sogar darauf gesetzt, dass Samuel Schmid gewählt wird, weil Sie damit Ihre erfolgreiche Politik zwischen Regieren und Opponieren auch in Zukunft besser rechtfertigen können? Blocher: Das ist gesucht. Nein, das haben wir nicht getan, aber wir haben erwartet, dass Schmid gewählt würde. Die Positionen, welche Herr Schmid vertritt, stimmen mit meinen nicht überein, deshalb habe ich mich nicht für ihn eingesetzt. Der gemässigte Berner Flügel ist gestärkt worden durch die Wahl von Samuel Schmid. Erwarten Sie jetzt innerhalb ihrer Partei die Forderung nach einem Kurswechsel der Gesamtpartei? Blocher: Bis jetzt ist diese Forderung nicht gekommen. Eine Minderheit soll ihre Minderheitsposition vertreten, und wenn sie zur Mehrheit wird, wird sie zur Mehrheit. Ich habe diesbezüglich keine Bedenken. Ich merke in der Fraktion nicht, dass hier eine solche Bewegung stattfindet. Die Sitzungen in unserer Fraktion finden eigentlich in recht harmonischem Klima statt. War die Wahl von Samuel Schmid ein Schuss vor den Bug der SVP? Blocher: Ich weiss es nicht, ich habe es jedenfalls nicht so empfunden. Und Schüsse vor den Bug, von denen man nichts merkt, nützen wenig. Aber es ist klar: Die SVP ist in den Wahlen derart erfolgreich, das man uns mit allen Mitteln stoppen will. Ob es die richtigen Mittel sind, weiss ich nicht. Wenn ich auf der Gegenseite wäre, würde ich etwas anderes tun. Die SP hat die SVP in diesen Bundesratswahlen angegriffen. Werden Sie ihrerseits bei den nächsten Wahlen um einen frei werdenden SP-Sitz wieder einen eigenen Kandidaten vorschlagen? Blocher: Wir sind der Meinung, dass es nicht einzusehen ist, weshalb die SP zwei und die SVP nur einen Sitz haben soll. Seit die CVP mehr Sitze hat, als ihr gemäss Wähleranteil zustehen, wird die Konkordanz nicht mehr eingehalten. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir bei einem Rücktritt von Bundesrätin Dreifuss einen eigenen Kandiaten aufstellen werden.

30.11.2000

«Wir könnten frei drauflosfahren»

Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 30. November 2000 Christoph Blocher droht mit stärkerer Opposition, falls das Parlament Samuel Schmid in den Bundesrat wählen sollte Mit Christoph Blocher sprachen Markus Somm und Iwan Städler Herr Blocher, die SVP hat für die Nachfolge von Adolf Ogi zwei Kandidaten nominiert, die nicht im Parlament sitzen. Fehlt es an guten Leuten in der Fraktion? Christoph Blocher: Nein. Ich finde es ohnehin nicht gut, wenn die Bundesräte einzig aus dem Parlament rekrutiert werden. Dieses klüngelhafte Denken stört mich. Jeder hat den Marschallstab im Tornister. Sowohl Bundesrat Brugger als auch Frau Metzler waren wie Rita Fuhrer und Roland Eberle Regierungsräte, als sie gewählt wurden. Auch Bundesrat Schaffner war kein Parlamentarier, hat sich aber bestens bewährt. Ruth Dreifuss ist ebenfalls Quereinsteigerin. Bewährt Sie sich auch? Blocher: Sie macht ihre Arbeit sicher sehr gut - aus Sicht der SP. Die Freisinnigen halten die Nomination von zwei Quereinsteigern für ein "Armutszeugnis". Blocher: Die müssen ja etwas sagen - nachdem sie zuvor erklärt haben, bei allen vier handle es sich um hervorragende Kandidaten. Behandelt man so zwei tüchtige Regierungsräte? Haben Sie denn selbst in Ihrer grossen Zürcher Parlaments-Deputation keine geeigneten Kandidaten? Blocher: Selbstverständlich haben wir das. Die haben aber nicht seit Jahren nur das Ziel einer Wahl in den Bundesrat vor Augen, wie das bei Samuel Schmid der Fall ist. Zudem haben wir uns schon lange auf Rita Fuhrer festgelegt. Was spricht gegen Samuel Schmid und Christoffel Brändli? Blocher: Was Leistungsausweis, Vertrauen in der Bevölkerung und Regierungs-Erfahrung anbelangt, sind Frau Fuhrer und Herr Eberle überlegen. Schmid war immerhin Fraktionschef. Blocher: Ich will das Amt des Fraktionspräsidenten nicht abwerten. Doch es ist etwas anderes, als Regierungsrätin in einem grossen Kanton Verantwortung zu tragen. Fraktionschef allein genügt nicht. Dennoch hat die Nomination der SVP die übrigen Parteien kaum beeindruckt. Man fühle sich nicht gebunden, heisst es. Stört Sie das? Blocher: Ich habe nichts anderes erwartet. Die wären nur zufrieden gewesen, wenn wir keinen uns genehmen Bundesratskandidaten nominiert hätten. Befürchten Sie, dass die SVP aus dem Bundesrat hinausgeworfen wird, wie die SP das plant? Blocher: Nein. Aber es ist eine Möglichkeit - jedoch nicht sehr wahrscheinlich. Die bürgerlichen Parteien wissen nur zu gut, dass die Oppositionsrolle die SVP stärkt. Die würden in den Wahlen 2003 ihr blaues Wunder erleben. Am allerschönsten wäre es, wenn die SP die Grüne Cécile Bühlmann unterstützte und diese auch gewählt würde. Dann hätten die Sozialdemokraten nach der nächsten Vakanz für alle Zeiten nur noch einen Regierungsvertreter - so wie jetzt im Kanton Zürich. Haben Sie sich in der Vergangenheit stets an die Vorschläge der Parteien gehalten? Blocher: Nein. Letztes Mal habe ich zum Beispiel Peter Hess gewählt. Ich mache ja auch niemandem einen Vorwurf, wenn er die von uns nominierten Kandidaten nicht wählt. Jedermann ist frei. Ich bin auch dagegen, dass wir uns so verhalten wie die Sozialdemokraten bei der Wahl von Francis Matthey. Ich werde mich gegen einen Sitzungsunterbruch aussprechen, falls unsere Kandidaten durchfallen. Empfänden Sie es nicht als Affront, wenn Samuel Schmid gewählt würde? Blocher: Es wäre eine Niederlage für die Partei. Ich würde deswegen aber sicher nicht mit der schwarzen Krawatte herumlaufen. Sondern? Blocher: Wir würden vermehrt Opposition betreiben müssen. Können Sie denn noch oppositioneller werden? Blocher: Aber sicher. Wir sind ja zurzeit ausserordentlich zaghaft. In welchen Fragen würden Sie vermehrt gegen die Regierung antreten? Blocher: Zum Beispiel beim Elektrizitätsmarktgesetz. Als Opposition würden wir uns nicht auf einen Kompromiss einlassen, sondern bis zuletzt für eine vollständige Liberalisierung für alle Konsumenten kämpfen. Auch die Steuersenkungen würden wir notfalls mit einer Volksinitiative erzwingen, wenn Villiger noch lange zuwartet. Freuen Sie sich darauf? Blocher: Freiwillig gehen wir nicht in die Opposition. Sie hat aber ihren Reiz. Als Oppositionspartei müssten wir nicht mehr mit angezogener Handbremse fahren, sondern könnten frei drauflosfahren. Jetzt bremsen Sie noch? Blocher: Ja. Als Regierungspartei müssen wir Rücksicht nehmen. Wenn wir zwei Vertreter im Bundesrat hätten, gäbe es kaum einen Grund mehr, Opposition zu betreiben. Haben wir einen Bundesrat, sind wir zu 50 Prozent zu Opposition verpflichtet. Erhalten wir einen, den wir nicht wollen, dann sind es vielleicht drei Viertel. Hätten Sie mit Samuel Schmid mehr Grund zur Opposition als mit Adolf Ogi? Blocher: Bei Herrn Ogi lief es tragisch: Wir Zürcher kämpften 1987 dafür, dass er Bundesrat wird. Wir verstanden uns menschlich gut und hatten politisch keine grossen Differenzen. Bis 1991 ist das auch so geblieben. Doch dann verfolgte er eine völlig andere Europapolitik als wir. Hätte Ogi die Mehrheitsmeinung des Bundesrats bloss loyal vertreten, wäre es ja noch gegangen. Aber nein: Ogi stellte sich mit wehenden Fahnen an die Spitze der EU-Befürworter. Die Tatsache, dass wir ihn vorgeschlagen haben, verlangte aber ein gewisses Mass an Loyalität ihm gegenüber. Das wäre bei Samuel Schmid nicht mehr der Fall? Blocher: Nein. Ihn schlägt die SVP nicht vor. Insofern könnten wir bei einer Wahl von Schmid leichter Opposition betreiben. Das Parlament kann ja nicht besondere Loyalität gegenüber einem Bundesrat erwarten, den die Mehrheit der Partei nicht will. Sie haben bereits verlauten lassen, Schmid wäre "einfach nicht unser Bundesrat". Blocher: Jawohl. Das ist meine Meinung. Aber Schmid ist Mitglied der SVP. Blocher: Es kann doch nicht Sinn der Konkordanz sein, einfach jemanden zu wählen, hinter dessen Name noch SVP steht. Die SP hätte ja auch keine Freude, wenn wir Ursula Koch in den Bundesrat wählen würden, nur weil sie Mitglied der SP ist. Erhält die Idee der Volkswahl Auftrieb, wenn Rita Fuhrer nicht gewählt wird? Blocher: Zweifellos. Auch wenn Roland Eberle gewählt wird? Blocher: Ja. Es geht hier um eine grundsätzliche Frage. Regierung und Parlament müssen auf die gleiche Ebene gestellt werden. Es zeigt sich doch, dass die Regierungsräte in den Kantonen viel seriöser ausgewählt werden als die Bundesräte. Offenbar haben Sie das Projekt einer solchen Initiative aber sistiert? Blocher: Wir können nicht alles auf einmal machen. Wir haben bereits die Gold- und die Asylinitiative durchgezogen und das Referendum gegen bewaffnete Truppen im Ausland ergriffen. Das ist eine enorme Leistung für eine Partei ohne Verbände. Die Volkswahl des Bundesrats muss deshalb etwas hinten anstehen. Wie lange noch? Blocher: Ich glaube nicht, dass wir die Initiative innerhalb der nächsten zwölf Monate starten können. Auch nicht wenn Rita Fuhrer und Roland Eberle übergangen werden? Blocher: Auch dann nicht. Wir dürfen nicht im Affekt handeln. Die Volkswahl muss eine grundsätzliche Sache bleiben. Rita Fuhrer will sich nicht dafür engagieren. Blocher: Das ist doch klar. Alle Regierungsräte sind gegen die Volkswahl. Enttäuscht Sie das? Blocher: Nein, nein. Mir war zum Voraus bewusst, dass Frau Fuhrer nicht für die Volkswahl reden wird. Sie wird sie aber nicht bekämpfen. Das kann ich versichern. Ist es nicht etwas eigenartig, dass Rita Fuhrer Streitgespräche mit Samuel Schmid verweigert? Blocher: Das muss ich ihr überlassen. Ich würde mich wohl auch nicht auf solche Gäggeli-Diskussionen über Berner Flügel und Zürcher Flügel einlassen. Vielleicht hat Rita Fuhrer auch Angst, sie würde in einem solchen Streitgespräch alt aussehen. Blocher: Wenn ich Rita Fuhrers Gesicht anschaue, sieht sie auf jeden Fall jünger aus als Samuel Schmid. Würde sich die SVP mit Fuhrer oder Eberle im Bundesrat stärker eingebunden fühlen? Blocher: Eindeutig. Inwiefern würden Sie moderater politisieren? Blocher: Wir würden vor allem bei nicht zentralen Dingen eher Kompromisse schliessen müssen. Können Sie denn aus Ihrer oppositionellen Haut heraus? Blocher: Da muss ich gar nicht raus. Wenn ich eine andere Umwelt habe, ist auch die Haut anders. Sie würden also nicht mehr von einer "classe politique" sprechen? Blocher: Ich spreche solange von der "classe politique", wie sie eine ist. Glauben Sie denn, dass der Bundesrat mit Rita Fuhrer oder Roland Eberle weiter rechts politisieren würde? Blocher: Vielleicht ein bisschen. Immer vorausgesetzt, dass sich die Gewählten so verhalten, wie wir es erwarten. Oft verändert sich das Verhalten mit der Wahl in die Regierung. Sie kennen ja den Volksspruch: Sobald das Füdli auf einem anderen Stuhl hockt, denkt der Grind anders. Sie selbst wollen nicht mehr Bundesrat werden? Blocher: Ich wollte es noch nie werden. Immerhin haben Sie dafür kandidiert... Blocher: ...nur weil in jener aussichtslosen Ausgangslage niemand anders antreten wollte. Jetzt hat sich das geändert. Wenn das Parlament einmal jemanden abgelehnt hat, sollte man ihn nicht nochmals aufstellen. Wenn das Parlament nicht will, hat es eben gehabt.

28.09.2000

Der Pubertierende schlägt oft den Sack und meint den Esel

Neun Fragen an Christoph Blocher zum Thema Rechtsextremismus Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, 28. September 2000 Interview: se. In der Diskussion über die Ursachen des Rechtsextremismus wird generell eine Verrohung der politischen Kultur beklagt. Es steht die Frage im Raum, ob provokative politische Kampagnen das Terrain für rechtsextremistische Strömungen ebnen. Nationalrat Christoph Blocher zeigt sich vom Gegenteil überzeugt: Nur das Unterdrücken von Themen - wie etwa in der Asylfrage - habe den Rechtsextremismus geschürt. Christoph Blocher nimmt im Folgenden zu neun Fragen Stellung, die ihm die NZZ nach einem vorbereitenden Gespräch schriftlich zukommen liess. Herr Blocher, wo sehen Sie die gesellschaftlichen und politischen Ursachen für rechtsextremistische Strömungen? Blocher: Was verstehen Sie unter "rechtsextremistischen Strömungen"? Meinen Sie kriminelle Gewalttaten gegen Menschen und Sachen? Denken Sie an die Verherrlichung des Totalitarismus, des staatlichen Kollektivs, des Naziterrors? Meinen Sie den braunen Rassenhass, der ebenso verabscheuungswürdig ist wie der rote Klassenhass? Meinen Sie kahlköpfige Skinheads, oder meinen Sie gar alles, was nicht links ist? Vielleicht sogar das Einstehen für die Schweiz und einen gesunden Patriotismus? Heutzutage ist es ja bald so weit, dass diejenigen, die sich für eine unabhängige, neutrale, föderalistische und direktdemokratische Schweiz einsetzen, bereits als "rechtsextrem" gelten. Dies ist umso bemerkenswerter, als bis vor zehn, fünfzehn Jahren praktisch alle Bürgerlichen unseres Landes noch einmütig zu diesen Werten gestanden sind und die Schweiz diese in den schweren Jahren 1933 bis 1945 in bewundernswürdiger Weise gegen Rechtsextremisten verteidigt hat. Jede Art von Extremismus ist eine untolerierbare Überreaktion auf Bewegungen, die den eigenen Anschauungen widersprechen oder bestehende Missstände tabuisieren. Diese Überreaktionen können so weit gehen, dass sie ganze Wertordnungen, insbesondere den Schutz der persönlichen Integrität der Mitmenschen, in Frage stellen. Was sind Ihrer Meinung nach die richtigen Mittel, um gegen den Rechtsextremismus vorzugehen? Blocher: Wer sich kriminell verhält, wer droht, schlägt, schiesst und einschüchtert, ist mit der vollen Härte des Gesetzes zu bestrafen. Das ist Sache der Polizei und der Gerichte. Es gibt kein einziges politisches Motiv, weder auf der rechts- noch auf der linksextremen Seite, das solches Treiben rechtfertigen würde. Das Verheerende am Wirken von Diktatoren und Massenverbrechern wie Hitler oder Stalin war eigentlich nicht, dass sie krank- und wahnhafte Vorstellungen hatten, sondern dass ihnen eine allmächtige Staatsorganisation ermöglichte, diese in schrecklicher Weise in die Wirklichkeit umzusetzen. Das "beste Mittel": SVP Soweit Extremisten nicht Straftäter sind, tritt man ihnen am besten mit einer glaubwürdigen Politik entgegen. Das beste Mittel gegen den Rechtsextremismus ist daher, die Politik der SVP zu unterstützen: Wir kämpfen wie niemand sonst gegen die ständige Ausbreitung der Staatsallmacht und gegen die Missachtung des Individuums. Totalitäres Gedankengut ist zu verabscheuen, ob es von links oder rechts kommt. Bei vielen Skinheads handelt es sich aber auch um Pubertierende. Je mehr man sich über ihre Äusserlichkeiten (Haartracht, Kleidung, Sprache, ausgestreckte Arme usw.) aufregt, desto interessanter finden sie sich. Der SVP aber auch der Auns wird von verschiedener Seite der Vorwurf gemacht, sie seien mit ihrer Politik und mit ihren provokativen Kampagnen Wegbereiter für den Rechtsextremismus. Wie stehen Sie zu diesen Vorwürfen? Blocher: Es handelt sich um niederträchtige Vorwürfe und Konstruktionen politischer Gegner oder des "Blicks" und ähnlicher notorischer Lügenblätter. Sie haben ein Ziel: uns mundtot zu machen. Die SVP wie die Auns führen inhaltlich prononcierte politische Kampagnen mit Themen, die zahlreiche Bürgerinnen und Bürger dieses Landes beschäftigen. Das Artikulieren solcher Themen verhindert Extremismus, das Unterdrücken der Diskussion und die Untätigkeit durch die Regierenden fördern ihn. Darum sind gerade diejenigen die grössten Förderer des Rechtsextremismus, die so laut rufen: "Haltet den Dieb!", um von ihrer Tatenlosigkeit abzulenken. Halbwüchsige Skinheads geben als Motiv für ihre Gewalttaten "Hass gegen Linke und Fremdean. Wie kommen jugendliche Rechtsextremisten Ihrer Meinung nach auf solche Motive? Blocher: Da müssten Sie diese selber fragen. Waren die Meinungsmacher in Politik, Medien und Kultur früher mehrheitlich konservativ und die Pubertierenden links, ja sogar linksextrem, so schlägt das Pendel heute auf die andere Seite, weil die veröffentlichte Meinung mehrheitlich links steht. Der Pubertierende reagiert kopflos, schlägt oft den Sack und meint den Esel. Darum hat man den Missbrauch unseres Asylwesens sowie den Kriminaltourismus - nicht zuletzt im Interesse der bei uns ansässigen Ausländer, die sich tadellos verhalten - zu bekämpfen. Wer das nicht tut, fördert den Extremismus. Am Asylmissbrauch und an der illegalen Einwanderung sind weniger die Einwanderer als die untätigen Verantwortlichen schuld. "Gefühl der Hilflosigkeit und Wut" Blocher: Ein übersteigertes nationalistisches Verhalten ist möglicherweise auch eine Gegenreaktion zum ständig betonten Internationalismus der Classe politique, zur selbstverleugnenden, kriecherischen Haltung gegenüber andern Staaten und internationalen Organisationen. Vielleicht handelt es sich um den Ausdruck eines Gefühls der Hilflosigkeit und Wut, dass die offizielle Politik dieses Landes sich um die Interessen der eigenen Bürger zuletzt zu kümmern scheint Pubertierende haben ja ein gewisses Gespür, wenn bei der Autorität etwas nicht stimmt. Sie reagieren auf ihre Weise darauf. Sie vertreten Haltungen wie "Die Schweiz den Schweizern". Fördert eine solche Einstellung nicht den Fremdenhass? Blocher: Nein. Denn jedes Land dieser Welt hat das Recht, seine historische, kulturelle und gesellschaftliche Eigenart vor einem unkontrollierten Zustrom von Fremden zu bewahren, die allein durch ihre Masse die Identität dieses Landes gefährden würden. Den Fremdenhass fördern jene, welche die Augen vor den Problemen einer unbegrenzten Immigration verschliessen. Allerdings verkennen chauvinistische Extremisten die Tatsache, dass der wahre Patriotismus zwar die Liebe und die Identifikation mit der Heimat bedeutet, niemals aber die Verachtung anderer Länder und von deren Menschen. Die SVP hatte in den letzten Jahren grosse Wahlerfolge zu verzeichnen. Sie hat dabei unter anderem den kleinen Parteien am rechten Rand des Parteienspektrums den Boden abgegraben. Gab es damit einen Rechtsrutsch innerhalb der SVP? Blocher: Wenn Sie unter "rechts" das Einstehen für eine freiheitliche Gesellschafts- und Marktordnung, für die Selbstverantwortung der Bürger, für die Betonung des Einzelmenschen anstelle der staatlichen Vermassung und den Kampf für weniger Staat und weniger Steuern verstehen, kann ich diesen Rechtsrutsch nur begrüssen. Es ist ja interessant: Bürgerliche Politiker beteiligen sich an sogenannten "Demonstrationen gegen rechts", die "Weltwoche" tritt einem internationalen Medienverbund "Netz gegen rechts" bei. Mit andern Worten: Selbst Vertreter von FDP und CVP oder die Journalisten der "Weltwoche" sagen neuerdings: Wir bekämpfen alles, was nicht links ist! Das ist ja wohl auch der Sinn des heuchlerischen Kampfes gegen Skinheads, die ohnehin von 99,99 Prozent aller Leute abgelehnt werden. "Gesinnungsschnüffelei" In verschiedenen Kantonen hatten Sie schon Probleme mit Parteimitgliedern, die als Rechtsextremisten verschrien sind. Herr Maurer hat angekündigt, man werde künftig sorgfältiger hinsehen bei neuen Parteimitgliedern. Wird das gemacht? Blocher: Extremisten und Fundamentalisten gibt es in jeder Partei, in jedem Verein, in jeder Kirche und in jedem Wirtschaftsverband. Probleme gibt es nur, wenn diese den Ton angeben und die Übermacht erringen. Die FDP schloss Fischbacher aus, ein freisinniger Ex-Grossrat stellt seine Räumlichkeiten Skinheads zur Verfügung, die Tessiner CVP ortet Kriminelle mit Mafia-Kontakten in ihren Reihen. Bei der SP stehen die Verherrlicher totalitärer, mörderischer Unrechtsregimes noch heute in Amt und Würden, und bei 1.-Mai-Demonstrationen schlagen ihre Freunde ganze Strassenzüge in Trümmer. Solche Missstände muss man bekämpfen und handeln, aber eine systematische Gesinnungsschnüffelei lehne ich aus Gründen der Meinungsfreiheit ab. Herr Blocher, Sie werden mit Attributen wie Nationalkonservativer, Nationalist oder Rechtspopulist versehen. Was halten Sie von solchen Zuschreibungen? Blocher: Ich bin liberalkonservativ; wie mich meine Gegner benennen, ist ihre Sache. Liberal bin ich in meinem Einstehen für die Freiheit des Einzelnen, für die Marktwirtschaft, für das Eigentum und in meinem ständigen Kampf gegen die Allmacht des Staates. Ein Wertkonservativer bin ich in meiner Achtung vor dem über lange Zeiträume organisch Gewachsenen, vor den nationalen und regionalen Eigenarten und schliesslich vor der Familie und andern privaten Kreisen als Gegenkonzept zum staatlichen Organisationsprinzip. Zum Schluss: Was halten Sie von der Antirassismus-Strafnorm? Blocher: Eine solche Strafnorm ist in einer freien Gesellschaft äusserst fragwürdig. Ich habe dem Bundesrat vor deren Einführung empfohlen, die Hände von einem Antirassismusartikel zu lassen, denn diese Strafnorm werde Holocaust-Leugnern und ähnlichen Wirrköpfen nur eine riesige Plattform bieten und den Rassismus allgemein fördern. Genau so ist es leider herausgekommen! Als Bundesrat und Parlament diesen Artikel genehmigten, wollte ich dann nicht gegen die Vorlage antreten, um nicht den Applaus aus der falschen Ecke zu erhalten. Als Freund der Freiheit ist mir jede Gesinnungs-Tyrannei - wie sie etwa die selbst ernannten "Rechtsextremismus-Experten" und linke Berufsschnüffler betreiben - ein Greuel. Dasselbe gilt für die bundesrätliche Antirassismus-Kommission: Man zementiert damit einen wissenschaftlich unhaltbaren "Rassen"-Begriff, während längst feststeht, dass weder Schweizer noch Juden oder Schwarze usw. eine "Rasse" sind. Es ist im Übrigen immer falsch, wenn der Staat Lehrämter über die Gesinnung errichtet, denn solche Lehrämter werden ja nie an die Geeigneten übertragen, sondern immer an jene, die ihre Hände am gierigsten danach ausstrecken Übereifer von Gutmenschen Strafrechtler und Politiker wollen jetzt die Ausweitung des Antirassismusartikels auf Äusserungenim Privat- und Familienkreis ernsthaft einführen. Dieser Übereifer von "Gutmenschen" führt zu viel gefährlicheren totalitären Tendenzen als das provokative Treiben einiger pubertierender Skinheads, die mit ihrem unreifen Gedankengut unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung gewiss nicht zum Einsturz bringen werden.

31.08.2000

Nicht so ernst nehmen

Interview mit FACTS vom 31. August 2000 Neonazis soll man ignorieren, solange sie nicht straffällig werden, meint Christoph Blocher. Und die Befürworter der 18-Prozent-Initiative kann er gut verstehen. Von Sabine Windlin und Markus Schneider An der diesjährigen Albisgüetli-Rede haben Sie gesagt, die Gefahr sei gross, dass sich Volksvertreter, kaum sind sie gewählt, über das Volk erheben. Haben Sie sich über das SVP-Volk erhoben? Christoph Blocher: Wie kommen Sie auf diese Idee? In Zusammenhang mit der 18-Prozent-Initiative. Blocher: Wer eine andere Meinung hat, braucht sich deswegen nicht über das Volk zu erhe ben. Sich über das Volk erheben heisst: das Volk nicht ernst nehmen, es verachten. Das ist bei mir nicht der Fall. Die Probleme der Überfremdung sind ernst zu nehmen, allerdings taugt eine Bestandesquote nicht als Lösung. Nur: Wer eine Quote will, ist deswegen doch kein Rassist, Rechtsextremer oder Fremdenfeind. Er will einen meines Erachtens falschen Weg. Sie werden nicht zum ersten Mal von Ihrer Basis überstimmt. Bei den bilateralen Verträgen ist die Auns ausgeschert. Blocher: Ich war der Meinung, die Auns solle keine Parole ausgeben, weil das kein Thema für die Auns war. Die Auns ist eine Lobby für die Unabhängigkeit und die Neutralität und keine Partei. Die Mitgliederversammlung war dann anderer Meinung. Das gehört doch zur Demokratie. Sonst müssten wir gar keine Abstimmungen durchführen, wenn die Mitglieder keine andere Parole fassen dürften als der Präsident. Wenn man mir vorwirft, ich hätte die Basis nicht mehr im Griff, ist das die Sprache von Diktatoren. Nur Diktatoren haben Leute im Griff. Sie haben gesagt, die bilateralen Verträge seien schlechte Verträge... Blocher: ...eindeutig. Und trotzdem haben Sie diese Verträge nicht bekämpft. Sie haben auf die Wirtschaft Rücksicht genommen, Sie sind ein Opportunist. Blocher: Einer der wenigen Vorwürfe, die ich noch nie gehört habe. Ich habe bereits im Nationalrat erklärt, diese Verträge seien schlecht, denen könne ich nicht zustimmen. Aber ich war gegen das Referendum. Denn selbst wenn das Volk diese Verträge abgelehnt hätte, hätte ja dieselbe Regierung neue Verträge aushandeln müssen. Das Resultat wäre kaum besser geworden. Es gibt Situationen in der Politik, in denen man sich auch mit Schlechtem, Ungenügendem abfinden muss. Wir erleben Sie sonst mit anderem Temperament. Blocher: Ich kämpfe für das Wesentliche. Beim EWR-Vertrag lohnte es sich, bis zu den Grenzen der Erschöpfung zu gehen, denn wenn der EWR durchgegangen wäre, wäre die Schweiz innert kürzester Zeit in der EU gelandet. Da musste ich alles geben. Bei den bilateralen Verträgen hätte sich der Einsatz nicht gelohnt. Und bei der 18-Prozent-Initiative muss ich auch nicht auf die Barrikaden, weil es 190 andere Parlamentarier gibt, die dagegen ankämpfen - zudem erst noch all die Moralisten, all die selbstge rechten und selbst ernannten Apostel. Sie meinen die Leute vom "Appell für eine tolerante Schweiz"? Blocher: Ich meine die, die jetzt jeden Tag in der Zeitung sagen, man müsse tolerant sein. Das sind doch Heuchler. Es gibt kein Land auf der ganzen Welt, das die Einwanderung nicht beschränkt. Sie, Herr Blocher, spielen den Wirtschaftspolitiker, und Ihr Auns-Sekretär Hans Fehr ist der Mann fürs Grobe, der einmal gegen die Bilateralen, dann für die 18- Prozent-Initiative kämpft. Eine ideale Arbeitsteilung. Blocher: Wir haben nichts abgemacht, ich habe gar nicht gewusst, dass Hans Fehr nach Genf geht und für die 18-Prozent-Initiative redet. Er ist gewählter Nationalrat, er vertritt sei ne Meinung, ich die meine. Ihr Mann fürs Grobe? Blocher: Ich kenne Fehr schon lange. Er hat einen direkten politischen Stil und sagt, was er denkt. Er trägt seine Gedanken holzschnittartig vor, und das ist gut so. Holzschnitzartig? Blocher: Nein, holzschnittartig. Wer einen Holzschnitt macht, muss sich differenziert mit einem Gegenstand befassen, um ihn dann aufs Wesentliche zu reduzieren, um ihn in wenigen Zügen aufs Papier bringen zu können. Wer als Politiker nicht anstösst, malt so lange, bis er am Schluss keine Konturen mehr hat. Werden Sie nun von rechts überholt? Blocher: Das weiss ich nicht, das ist mir auch egal. Rechts von der SVP sollte es keine demokratisch legitimierte Partei geben - und andere interessieren mich nicht. Die Berner SVP-Nationalrätin Ursula Haller klagt über den ausländerfeindlichen Ton in der SVP. Blocher: Ich habe mit Ursula Haller schon ein paar Mal darüber gesprochen. Sie ist persönlich betroffen, weil sie einen Adoptivsohn aus Indien hat. Ich sage ihr: Du darfst nicht so empfindlich sein. Es hat niemand etwas gegen deinen Adoptivsohn. Adolf Ogi sprach vom Flugsand der Unzufriedenen. Blocher: Ich wehre mich gegen das Wort "Flugsand". Nazis haben Menschen als Flugsand bezeichnet. Ich wehre mich dagegen, dass man Leute, die unzufrieden sind, als Flugsand bezeichnet. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Kanonenfutter. Sie überfordern Ihre Basis intellektuell. Wirtschaftlich sind Sie weltoffen, politisch ein Isolationist. Blocher: Wir sind doch keine Isolationisten, so ein Unsinn. Politisch schon. Blocher: Nein. Wir sind für eine weltoffene Schweiz, aber wir sind dagegen, dass man die Schweiz so einbindet, dass sie nicht mehr selber entscheiden kann. Das hat nichts mit Isolation zu tun. Ich betrachte es auch als Überheblichkeit, es als intellektuelle Überforderung zu bezeichnen, wenn die Basis anderer Meinung ist. Die einfachen Leute durchschauen die politischen Zusammenhänge nicht schlechter als die Intellektuellen. Bei der 18-Prozent-Initiative sieht die SVP-Basis wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht. Blocher: Diese Leute wollen ein Zeichen setzen, damit denen in Bern klar wird, dass die Politik zu ändern ist. Leute, die nicht so gebildet sind, haben andere Antennen. Dass die schlechter sind, glaube ich nicht. Es ist leichter, Intellektuelle oder höhere Kader mit einer falschen Theorie hinters Licht zu führen als einfache Leute. Am leichtesten ist es bei den "Halbgebildeten". Die Arbeiter aber fragen: Meint er wirklich, was er sagt? Steht er zum Unternehmen? Steht er zu uns? Das Motiv ist ihnen das Wesentliche. Aus einem guten Motiv resultiert selten etwas Schlechtes, aber aus einem schlechten Motiv kommt selten etwas Gutes. Die Intellektuellen glauben gern an die Theorie, die ja konstruiert sein kann. Übernimmt der rechte Rand der Unzufriedenen die Mehrheit der SVP? Blocher: Nein. Und was heisst schon die Unzufriedenen? Der Mittelstand ist heute zu Recht unzufrieden. Warum soll er nicht den Ton angeben? Ich bin auch unzufrieden, dass die Schweiz von allen OECD-Staaten dasjenige Land ist, das in den letzten Jahren die Steuern am meisten erhöht hat - erst noch mit bürgerlicher Mehrheit. Sind Sie auch unzufrieden, dass der 1. August von Neonazis gestört wurde? Blocher: Ich bin nicht zufrieden, wenn 1.-August-Feiern gestört werden, ob von Neonazis oder von anderen. In diesem Jahr buhten sie bei Bundesrat Villiger, letztes Jahr bei mir. Aber es darf doch einer Buh rufen, wenn ich rede. Auch wenn es ein Neonazi ist? Blocher: Dann vor allem. Ich bin froh, wenn er mit mir nicht einverstanden ist. Ich bedaure, dass es da so Spinner gibt, Wirrköpfe wie Skinheads. Ihre Gestaltungskraft muss man nicht so ernst nehmen. Spinner? Nicht ernst nehmen? Blocher: Spinner können gefährlich werden. Wenn sie Unrecht begehen, schiessen, gewaltsam werden, dann sind sie wie Kriminelle zu behandeln. Aber nur weil jemand Buh ruft, kann man ihn nicht einkacheln. Die Neonazis haben auf dem Rütli nicht nur Buh gerufen. Blocher: Das weiss ich nicht. Hingegen weiss ich, dass kürzlich ein chilenischer Exminister zu einer Vorlesung an die Uni Zürich eingeladen wurde. Er wurde gehindert, seine Rede zu halten. Ich habe nun im "Tages-Anzeiger" gelesen, das sei auch eine demokratische Meinungsäusserung, wenn man einen Redner nicht zu Wort kommen lasse. Da bin ich anderer Meinung. Wird man am Reden gehindert, ist die Versammlungsfreiheit in Gefahr. Wenn Villiger auf dem Rütli am Reden gehindert worden wäre, hätte man diese Leute strafen müssen. Wie soll der Staat gegen Neonazis vorgehen? Blocher: Wir haben eine Rechtsordnung. Wenn die verletzt wird, muss man diese Leute bestrafen. Fertig. Auf der andern Seite muss man untersuchen: Was sind das für Junge? Was führt diese Jungen in diese Zirkel? Eine verbale Verurteilung wird wohl das Gegenteil bewirken. Soll man sie ignorieren? Blocher: Solange sie nicht kriminell werden, kann man sie ignorieren. Sein lassen. Die wichtigste Grundlage, mit dem der Bundesrat gegen Neonazis vorgehen will, ist das Anti-Rassismus-Gesetz. Da waren Sie nur halbherzig dafür. Blocher: Nachdem der Bundesrat diesen unseligen Artikel vorgelegt hatte, wollte ich nicht antreten, um nicht den Applaus der falschen Leute zu erhalten. Ich habe in der Vernehmlassung jedoch dem Bundesrat geschrieben, er solle den Artikel nicht vorlegen. Der Rassismus-Artikel werde den Rassismus fördern. Das traf leider auch ein. Wenn die Gesinnung unter Strafe gestellt wird, findet der Rassismus im Untergrund statt und dehnt sich dann aus. Ich bin der Meinung, Rassismus soll man gar nicht erst aufkommen lassen, indem man ihn offen widerlegt. Sie fordern Prävention? Blocher: Ich habe diese Skinheads nur einmal gesehen, bei einer Kundgebung von uns in Zürich. Mein Frau sagte ihnen, dass wir sie bei unserem Umzug nicht dabei haben wollten. Sie machten einen innerlich verwahrlosten Eindruck, abstrus und ausgestossen. Bei den Skinheads gibt es keine geistigen Köpfe wie damals bei der Roten-Armee-Fraktion, die gewaltsam den Staat umkrempeln wollte. Sie verharmlosen. Blocher: Ich wiederhole: Wenn sie straffällig werden, muss man gegen sie vorgehen, strikt, und nichts entschuldigen mit einer schweren Jugend oder sonstwie. Man muss gegen die vorgehen wie gegen ein Kind in der Pubertät: Man muss klare Grenzen setzen. Skinheads tun ja auch wichtig. Wenn die ihre Hand in die Höhe halten und merken, dass uns das stört, tun sie es wieder. Bei Nichtbeachtung hören sie von selbst auf. Welche nächsten Ziele verfolgt der Politiker Blocher? Blocher: Die Steuern, Abgaben und Gebühren müssen runter. Als ich im Albisgüetli vor drei Jahren sagte, wer zu viel Steuern zahle, schade der Heimat, gab es ein furchtbares Gejaule. Aber jetzt will auch Villiger um eine Milliarde senken. Im Kanton Zürich haben wir die Erbschaftssteuer abgeschafft, die Kantonssteuern wurden um 3 Prozent gesenkt, aber wir wollen sie um weitere 17 Prozent senken. Der Kanton Zürich ist ein wichtiger Kanton, das gibt einen Schneeballeffekt. Die Nationalratswahlen waren erfreulich heilsam: Wir haben jetzt ein viel stärkeres Gewicht. FDP und CVP nehmen in den Sachvorlagen jetzt aus Angst vor Wählerschwund mehr Rücksicht. Wo? Blocher: In der Europafrage ist es ganz frappant, aber auch in der Steuerfrage. Ich merke es im Rat, bei den Abstimmungen, etwa bei der zweiten Gotthardröhre. Das ist auch der Sinn von Wahlen, dass etwas passiert. Es ist erfreulich, dass die Freisinnigen bei den drei Energieabstimmungen auf das Dreimal-Nein eingeschwenkt sind. Kommt es zum Drei-mal-Nein, will die Linke die Liberalisierung des Stroms verhindern. Ein Eigengoal. Blocher: Dann werden wir eine Volksinitiative zur Liberalisierung der Elektrizitäts-Versorgung einreichen, da- mit der Strom endlich billiger wird. Was heisst wir? Blocher: Ich werde mich in der SVP dafür einsetzen, dass wir dies tun. Dann hoffe ich auf die Unterstützung der Wirtschaftsverbände. Eine künstliche Verteuerung der Energie werden wir nicht zulassen. Sie wollen die SVP zur Wirtschaftspartei Nummer eins machen? Blocher: Punkto Ordnungspolitik sind wir seit Jahren die führende Partei. Dazu passt das Ja zur 18-Prozent-Initiative aber ganz und gar nicht. Blocher: Eine Partei entscheidet nie ganz lupenrein ordnungspolitisch. Doch die Gesamtbilanz der SVP ist erfreulich. Wird die SVP, wenn Ogi zurücktritt, aus dem Bundesrat geworfen, wie es Christiane Brunner fordert. Blocher: Ich glaube es nicht, aber das war schon immer der Wunsch der Sozialdemokraten. Sie wollen uns draussen haben, dann werden sie stärker in der Regierung. Das müssen vor allem die andern bürgerlichen Parteien entscheiden. Wir sind ja heute schon halb draussen. Obwohl wir die stärkste Partei sind, haben wir nur einen Sitz im Bundesrat. Das ist ein Auftrag zu vermehrter Opposition. So gesehen ist das Ja zur 18-Prozent-Initiative nur logisch. Blocher: Wenn wir zwei Bundesräte hätten und diese beiden Bundesräte in der Partei verankert wären, hätten die mit der Partei vorher reden müssen. Die hätten dann den SVP-Delegierten erklären können, warum eine Regierungspartei, die zwei Sitze im Bundesrat hat, gegen diese 18-Prozent-Initiative antreten müsste. Aber sie hätten auch darlegen müssen, was zur Lösung des Ausländerproblems getan wird. Herr Blocher, wir kommen vom Eindruck nicht los: Im Grunde genommen finden Sie es ganz gut, dass die SVP die Ja-Parole ausgegeben hat. Blocher: Nein. Ich bedaure das. Aber ich verachte die SVP-Delegierten deswegen nicht.