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Federal Councillorship

13.08.2007

Völkerrecht bricht Volkes Recht

Gastautor Bundesrat Christoph Blocher befürchtet eine Verwässerung der Schweizer Werte 13.08.2007, Beitrag von Bundesrat Christoph Blocher in der Mittelland-Zeitung vom 13. August 2007. Beitrag von Bundesrat Christoph Blocher in der Mittelland-Zeitung vom 13. August 2007. Mit der Internationalisierung der Politik hat die Bedeutung des Völkerrechts stark zugenommen. Gerade weil ein sicherer völkerrechtlicher Rahmen wichtig ist und seine Errungenschaften zum Schutze des Einzelnen unbestritten sind, besteht die Gefahr einer Überhöhung, einer Instrumentalisierung und einer unkritischen, leichtfertigen Übernahme von gültigem oder angeblichem Völkerrecht. Zudem dient es den obrigkeitlichen Behörden allzu oft als Alibi um den demokratischen Willen ins Gegenteil zu kehren. Souveränitätsverlust Es ist eine Tatsache, dass durch Völkerrecht die nationale Souveränität der Schweiz geschmälert wird. Häufig und allzu bereitwillig wird die Entwicklung des internationalen Rechts als unvermeidliche Tatsache dargestellt, die nicht beeinflusst oder abgelehnt, sondern einfach nur hingenommen werden muss. Diese Haltung weicht die demokratischen Werte der Schweiz auf und höhlt die Selbstbestimmung aus. Gerade weil die demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen international nur mangelhaft ausgebildet sind, muss die Schweiz besonders dafür sorgen, dass ihre grundlegenden Werte nicht verwässert werden. Direkte Demokratie Zu diesen grundlegenden Werten gehört die direkte Demokratie. Auch wenn heute das fakultative Referendum für sämtliche Staatsverträge mit Bestimmungen, die in der Schweiz in einem Bundesgesetz erlassen werden müssten, gilt, dürfen die direktdemokratischen Einflussmöglichkeiten auf die Aushandlung von Staatsverträgen nicht verklärt werden. Zwar können Volk und Bundesversammlung Staatsverträge ablehnen, inhaltlich aber ist ihr Einfluss praktisch sehr gering. Und bei multilateralen Konventionen sind die Einflussmöglichkeiten des Kleinstaates Schweiz naturgemäss sehr beschränkt. Oft erzwingt eine diffuse „Solidarität mit der Völkergemeinschaft“ die leichtfertige Übernahme. Schwierige Vertragsänderungen Einmal in Kraft getretene Staatverträge können nicht ohne weiteres abgeändert oder ergänzt werden. Die Erfahrungen mit der EU in den letzten 20 Jahren belegen dies eindrücklich. Ist die Schweiz mit dem Ist-Zustand nicht einverstanden, bleibt als einzige Möglichkeit die Kündigung. Darauf droht man regelmässig mit Retorsionsmassnahmen. Die Diskussionen mit Deutschland um die An- und Abflüge auf den Flughafen Zürich zeigen dies deutlich. Die Starrheit des Völkerrechts schränkt den schweizerischen Gesetzgeber ein. Während bei einer Verfassungsnorm oder einem Bundesgesetz überholte Bestimmungen ohne weiteres geändert werden können, hängt die Änderung von Völkerrecht von Faktoren ab, auf welche die Schweiz keinen Einfluss hat. Dies gilt insbesondere bei multilateralen Konventionen. Aushöhlung durch Auslegung Zudem: Überall dort, wo ein Staatsvertrag ein internationales Gericht vorsieht, wird das Recht über den ursprünglich vereinbarten Zustand hinaus verändert. Eine ungewollte Rechtsfortbildung durch diese internationalen Gerichte kann mittels Rechtsetzung in der Schweiz nicht korrigiert werden. Daraus kann eine Dynamik entstehen, welche bei der Ratifizierung nicht vorhersehbar war. Ein Beispiel ist die Rechtsprechung der Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu Art. 6 EMRK, welche die Schweiz zu tief greifenden Änderungen ihres Prozessrechts gezwungen hat. Der Gerichtshof in Strassburg hat seine Kompetenzen ausgeweitet – wenn nicht überschritten – und schweizerisches Recht zum Nachteil der staatlichen Souveränität verändert. Auch schweizerische Gerichte tragen zu dieser Entwicklung bei, wenn sie in der Auslegung internationaler Verträge nicht äusserst zurückhaltend sind. Auf jeden Fall muss von schweizerischen Gerichten erwartet werden, dass sie Verträge nicht unbesehen in diese verhängnisvolle Richtung weiterentwickeln. Den demokratischen Grundrechten der Schweiz ist Rechnung zu tragen. Sie sind nicht gering zu achten! Extensive Auslegung Es ist nicht zu übersehen: In politischen Debatten wird mit dem „Völkerrecht“ manipuliert. Allzu oft wird es extensiv „ausgelegt“ und dazu benutzt, eine von der Obrigkeit ungewollte Entwicklung des nationalen Rechts zu bremsen. Die Behauptung, es liege eine Verletzung zwingenden Völkerrechts vor, wird häufig nur verwendet, um eine nicht erwünschte politische Debatte zu verhindern. Vorrang des Völkerrechts Der Vorrang des Völkerrechts ist nicht sakrosankt. Die Bundesverfassung verlangt nur dessen „Beachtung“. Nicht zuletzt wegen der zunehmenden Internationalisierung haben in den letzten 20 Jahren vermehrt Stimmen aus der juristischen Lehre und aus der Politik seinen allgemeinen Vorrang in Frage gestellt. Selbst das Bundesgericht hat den Vorrang nicht lückenlos durchgesetzt, sondern anerkennt – seit dem so genannten Schubert-Entscheid – dass der Gesetzgeber und damit wohl auch der Verfassungsgeber bewusst von dem für die Schweiz geltenden Völkerrecht abweichen kann. Leider verhindern aber die selbst gesetzten Schranken in unseren Köpfen und die fast schon bedingungslose Bereitschaft zur Aushöhlung der Selbstbestimmung unserer Bürgerinnen und Bürger, dass der bestehende Spielraum genutzt wird. Eine Sensibilisierung ist dringend nötig! Verhängnis der Musterschülerin Die Schweiz ist eine Musterschülerin bei der Umsetzung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen. Das Recht aber ist ein dynamisches Gebilde und lebt stark vom Konflikt. Durch den Konflikt wird es weiterentwickelt, durch den Konflikt wird es verbessert. In der Anwendung von Völkerrecht muss die Schweiz vermehrt das Risiko von Konflikten eingehen, statt brav und kopfnickend der eigenen Entmündigung zuzusehen. Hier ist vor allem die Obrigkeit gefordert – Regierung, Parlament, Justiz und Verwaltung – die Wahrung der demokratischen Rechte ihrer Bürger ernst zu nehmen.  

12.08.2007

Die Reitermusik – Symbol für die Schweiz

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Feier 100 Jahre Reitclub Uzwil und 50 Jahre St. Gallische Reitermusik, 12. August 2007, in Henau. 12.08.2007, Henau Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Meine Damen und Herren Ich möchte Ihnen zuallererst zu Ihren Jubiläen gratulieren: 100 Jahre Reitclub Uzwil und 50 Jahre St. Gallische Reitermusik. Wir hatten als Kinder das Glück, dass gleich bei unserem Pfarrhaus in Laufen am Rheinfall ein Landwirtschaftsbetrieb war – unser Nachbar war also im wahrsten Sinne des Wortes ein „Nachbuur“, ein „naher Bauer“. Von dort stammt meine Liebe zur Landwirtschaft, zu den Tieren, speziell zu den Pferden. Das war auch der Grund, warum ich als 15-Jähriger eine landwirtschaftliche Lehre begann, und warum ich bei einem Ackerbauern die Ausbildung absolvierte – selbstverständlich mit Pferden! Und so meldete ich mich zwischen den Winter-kursen an der landwirtschaftlichen Schule auf einem Bauernhof im Waadtland, um dort die Schweine und die Pferde zu besorgen, so dass das Reiten meine grosse Leidenschaft wurde. Es war eine meiner grossen Enttäuschungen, dass ich - weil wir eben keinen eigenen Bauernhof hatten – in keine Truppengattung eingeteilt wurde, die es mit Pferden zu tun hatte. Umso mehr freut es mich, heute bei Ihnen zu sein und umso grösseren Respekt habe ich vor Ihrer Leistung, die Sie als Reitermusiken vollbringen. 1. Drei Aufgaben gleichzeitig Respekt – warum? Es ist schwierig, ein Instrument zu spielen. Noch schwieriger ist es, ein Instrument schön zu spielen. Noch anspruchsvoller wird es, gemeinsam in einer Formation zu spielen, so dass es schön und harmonisch klingt. Doch Ihnen reicht das alles nicht. Ihnen reicht es nicht, ein Instrument schön und in einer Musikformation zu spielen: Sie spielen schön, gemeinsam in einer Formation und Sie steigen dazu noch auf ein Pferd! Sie haben also meinen dreifachen Respekt! Verschiedene Aufgaben gleichzeitig bewältigen, können sonst nur Frauen: Gleichzeitig telefonieren, Kreuzworträtsel lösen, Radio hören und den Kindern Anweisungen geben. 2. Jubiläen soll man feiern Aber wir wollen jetzt nicht über Ihre Arbeit reden, denn Sie feiern heute ein Jubiläum. Und es ist gut, Jubiläen zu feiern. Denn was fünfzig oder hundert Jahre Bestand hat, ist zumindest ein Indiz dafür, dass es sich um eine gute Sache handelt, sonst wäre sie längst untergegangen. Die Reitermusik hat einen ernsthaften Ursprung, den man durch alles spürt. Es ist ein militärischer Ursprung. Diese Musik hängt mit der Landesverteidigung zusammen: Mit der Kavallerie. Reitermusiken sind schöne, imposante und freudige Demonstrationen der Entschlossenheit eines Landes, sich zu verteidigen. Wer aber fragt: Wie soll denn die Reitermusik ein Land verteidigen? Mit der Trompete in der Hand? Mit dem Waldhorn? - der hat nichts verstanden. Die Verteidigung der Selbst-bestimmung und Unabhängigkeit der Schweiz hat nicht nur mit der Technokratie etwas zu tun. Ebenso wichtig ist der Geist, die Seele und die Symbolik. Das Bild der schnaubenden Pferde – gepaart mit Musik – erfreut das Gemüt und erquickt die Seele, schafft eine Zusammengehörigkeit, wie sie Worte, Paragraphen und politische Deklarationen nicht fertig bringen! Politiker, denen das eigene Land zu eng geworden ist, wollen den Nationalstaat totsagen. Ich aber freue mich, dass nach meinem Grusswort die versammelten Reitermusiken gemeinsam unsere Nationalhymne spielen werden. Sie werden genau dieses Gefühl erleben, von dem ich jetzt nur in Worten sprechen kann. Das Gefühl der Verbundenheit, der Eigenständigkeit und Besonderheit und ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit! 100 Jahre Reitclub Uzwil. 50 Jahre St. Gallische Reitermusik. Ein Jubiläumstag der Freude und der Dankbarkeit. Wir dürfen dankbar sein, dass Sie, liebe Reiter und Musikanten, diese Schweiz verinnerlichen! 3. Sorge tragen zum Besonderen Wie die Reitermusik ist auch die Schweiz etwas Besonderes. Wer das Besondere nicht erträgt, will alles harmonisieren, nivellieren, gleich machen! Mir liegt der Sonderfall der Reitermusik, aber auch der Sonderfall Schweiz am Herzen: Diese Schweiz, die auf den Bund der Eidgenossen zurückgeht. Diese Schweiz, die sich ihre Freiheit und Selbstbestimmung in Jahrhunderten erkämpft hat. Diese Schweiz, die eine uralte demokratische Tradition hat. Die Schweiz, die wie kein anderes Land die Herrschaft des Volkes pflegt. (Ein Schweizer kann in einem Jahr an mehr Abstimmungen teilnehmen als z.B. ein Engländer, ein Franzose oder ein Deutscher sein ganzes Leben lang). Diese Volksrechte sind einzigartig, also besonders, ein Sonderfall – und wir sollten zu etwas Besonderem besonders Sorge tragen – so wie Sie das mit Ihrer Reitermusik auch tun. Tragen wir Sorge zu diesen Sonderfällen! Danke, dass Sie zur Musik, zur Reitermusik, zum Reitsport, zu dieser tiefsinnigen Tradition Sorge tragen. Denn Sie symbolisieren die Schweiz in besonderer Weise.

06.08.2007

Hier werden Volksrechte ausgehebelt

«Justizminister Christoph Blocher hat einen Angriff auf das Völkerrecht lanciert. Dieses verdränge je länger, je mehr unsere Volksrechte. Im Interview erklärt er seine Motive. Von Lösungen mag er noch nicht sprechen.» 06.08.2007, NZZ am Sonntag, Heidi Gmür, Markus Häfliger Die zentrale Botschaft Ihrer 1.-August-Rede war, dass das Völkerrecht die Volksrechte bedrohe. Der direkte Angriff auf das Völkerrecht ist neu, so hat man das von Ihnen noch nie gehört. Insbesondere seit ich das Justiz- und Polizeidepartement leite, fällt mir auf, wie stark der Trend ist, Landesrecht durch internationales Recht zu verdrängen. Nicht nur in der Schweiz. Vor allem wenn die Bevölkerung etwas will, das der Obrigkeit nicht passt, wiegelt man es leichtfertig ab unter Berufung auf internationales Recht. Die Zeit ist reif, das zu thematisieren. Warum gerade jetzt, vor den Wahlen? Wie gesagt, das Unbehagen war schon da, heute aber bin ich mir der Sache sicher. Wo genau wurden denn "Volksrechte leichtfertig durch übergeordnetes Recht ersetzt", wie Sie in Ihrer Rede sagten? Es geht weniger darum, dass bereits erlassenes Gesetz ausser Kraft gesetzt wird. Sondern dass die Gesetzgebung ausserordentlich behindert wird durch die Berufung auf Völkerrecht. Sie sprachen von Ihren Erfahrungen als Justizminister: Nennen Sie uns Beispiele. Wenn ich die Asylrekursentscheide der letzten Jahre anschaue, wären mehrere Fälle zu nennen. Im Ständerat wurde ein ehemaliger Bundesrichter zitiert, der sagte, das Bundesgericht werde die neue Strafprozessordnung insoweit nicht anwenden, als es dem internationalen Recht widerspreche, sonst werde „Strassburg zum Rechten“ sehen. Oder nehmen Sie die Verwahrungsinitiative: Das Volk hat diese entgegen Regierung und Parlament gutgeheissen. Jetzt will die Rechtskommission des Nationalrats diese Verfassungsbestimmung unter Berufung aufs Völkerrecht nicht umsetzen. Hier werden Volksrechte ausgehebelt. Auch Sie haben hier Ihr Versprechen nicht gehalten: Bereits ihre Gesetzesvorlage wich vom Wortlaut der Initiative ab, obschon Sie eine wortgetreue Umsetzung versprochen hatten. Der Gesetzesvorschlag ist verfassungstreu. Es steht dem Parlament frei, den Vorschlag zu verbessern. Aber den Volksentscheid nicht erfüllen? Nein. Wenn sich Parlament oder Bundesgericht auf das Völkerrecht berufen, erfüllen sie unsere Verfassung. Sie besagt, Völkerrecht müsse eingehalten werden. Das hat das Volk beschlossen. Man kann sich natürlich immer auf einen abstrakten Volkswillen berufen und dann die Regelung so oder anders auslegen. Die Verfassung sagt nur, das Völkerrecht sei zu beachten. Das Bundesgericht hat entschieden, dass das Völkerrecht prinzipiell dem Landesrecht vorgeht. Bundesgerichtsentscheide sind zu akzeptieren. Die Problematik sieht man auch anderswo: Im Moment werden zum Beispiel Unterschriften gesammelt für die Minarett-Initiative. Es wird zu prüfen sein, ob diese Initiative rechtsgültig ist. Doch bereits jetzt wird sie, sogar von der Bundespräsidentin, für völkerrechtswidrig erklärt. Das wird gemacht, um einen Entscheid der Stimmbürger zu verhindern. Das ist der Trend, dagegen ist anzutreten. Völkerrecht ist ein weiter Begriff. Es gibt Konventionen, die wir ratifizieren können, wenn wir wollen; es gibt bilaterale Verträge, die wir ebenfalls selber wählen können; und es gibt das Gewohnheitsrecht. Womit haben Sie ein Problem? Gerade weil Völkerrecht ein weiter und sehr unbestimmter Begriff ist, kann man sich all zu leicht darauf berufen. Darin liegt das Problem. Was wollen Sie denn konkret ändern? Es geht jetzt um die Thematisierung, die Sensibilisierung, eine Mentalitäts-Änderung, damit man beim Abschluss internationaler Verträge und bei der Berufung auf „übergeordnetes Recht“ vorsichtiger wird. Denkbar wäre, dass das Völkerrecht zuerst ausdrücklich ins Landesrecht übernommen wird, damit es gilt. Ich spreche hier nicht von der angestrebten Lösung, sondern nur von einer Möglichkeit. Es handelt sich um einen typischen Konflikt zwischen dem Volk einerseits und der Obrigkeit andererseits. Die Frage ist, wer in unserem Staat das Recht setzen soll. Bei der Verwahrungsinitiative besteht ein Konflikt mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) — bereitet Ihnen auch die EMRK Unbehagen? Ich erkenne die Gefährlichkeit Ihrer Frage schon! Wir glauben ja, die Menschenrechte schützen die Würde des Menschen. Andererseits haben Bundesrat und Parlament die Verwahrungsinitiative für gültig erklärt. Aber die Tatsache, dass man sich leichtfertig auf die EMRK beruft, das bereitet mir Sorgen. Ein Kleinstaat wie die Schweiz muss daran interessiert sein, dass die internationalen Beziehungen auf dem Recht und nicht auf Machtpolitik basieren. Richtig. Darum muss die Schweiz aufpassen, was sie unterzeichnet und übernimmt. Was an irgendwelchen Kongressen oder Ministerkonferenzen zusammengebraut wird, dient all zu oft fremder Machtpolitik und schaltet – oft unbemerkt - das Landesrecht aus. Als Kleinstaat gilt besonders: Wenn wir Recht übernommen haben, müssen wir es einhalten. In Ihrer Rede erwähnten Sie keinen einzigen positiven Aspekt des Völkerrechts. Sprechen Sie etwa den Genfer Konventionen eine positive Wirkung ab? Es geht nicht um gut oder schlecht. Sondern: Wer ist im bestimmten Fall der Gesetzgeber? Die Bürger oder die Obrigkeit? Wenn uns eine Verfassungsbestimmung nicht mehr passt, kann das Volk sie ändern. Aber im internationalen Recht ist der von der Verfassung bestimmte Gesetzgeber – in der Schweiz ist dies Parlament, Volk und evtl. Stände – oft juristisch, sicher aber faktisch machtlos. Oder Sie müssten gleich die ganze EMRK kündigen, und das macht man ja nicht. Würden Sie sie denn kündigen wollen? Es gab ja einst einen Vorstoss aus CVP-Kreisen, ob man sie nicht kündigen und mit Vorbehalten neu ratifizieren müsste. Das war interessant. Aber anerkennen wir aber zuerst das Problem, bevor wir über Lösungen sprechen. Wenn Sie einen Missstand beklagen, dann erwartet man auch Lösungen. Lösungen zur Unzeit verhindern die Erkennung des Problems.

01.08.2007

1. August-Rede 2007 in Gruyères

Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher am 1. August 2007, in Gruyères. 01.08.2007, Gruyères Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Liebe Miteidgenossinnen Liebe Miteidgenossen Liebe Geburtstagsgäste 1. Was feiern wir heute? Wir feiern den 1. August auch dieses Jahr hier in Gruyères in gut traditioneller Schweizerart, das heisst: * Bescheiden * In Gemeinschaft, stellvertretend für das ganze Land * Gleichzeitig mit zahlreichen andern Orten in der Schweiz, verbunden durch Höhenfeuer übers ganze Land hinweg Die Gründungsurkunde ist der Bundesbrief von 1291. Er ist Bekenntnis und Ausdruck des Willens zur Unabhängigkeit und zur Selbstbehauptung. * Er beginnt mit der Anrufung Gottes: Man stellt sich damit unter Gottes Schutz * Man beschliesst, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen: „ Wir wollen keine fremden Richter haben“. Wobei mit Richter damals auch die Regierenden gemeint waren. * An diese Richter – also an alle Behördenmitglieder – stellt man hohe charakterliche Voraussetzungen. * Man verspricht sich gegenseitig Hilfe zu leisten * Man weiss, dass das Vorhaben schwierig ist, und schwört, für die Freiheit notfalls das Leben zu opfern. Am Anfang unseres Landes steht also ein Stück Pergament. Ein Schriftstück! Nur 20 cm breit und 32 cm hoch. 17 Zeilen umfasst es! Am Anfang der Schweiz * steht also nicht ein Herrscherwillen, also kein Beschluss eines Königs oder Kaisers * steht kein „hochkarätiges Expertengremium“ * stehen keine ausgeklügelten juristischen Verfassungsgrundsätze Am Anfang steht nur eine Willenserklärung von einfachen Landsleuten, die bereit sind und sich verpflichten, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und sich den Pflichten dieser Selbständigkeit im Interesse von „Land und Lüt“ zu unterziehen! Die Macht soll in die Hände dieser Landsleute gelegt werden. Kurz ausgedrückt: In die Hand des Volkes. Dieser Grundgedanke hielt sich im Wesentlichen 716 Jahre, obwohl seither viel geschehen ist. Eines aber zeigte sich klar: Immer wenn die Schweiz von diesem vorgezeichneten Weg abkam, immer wenn die Schweiz sich mit Grossmächten einliess, immer wenn die Schweiz sich nicht auf sich selbst besann, drohte der Niedergang der Eidgenossenschaft und dies bis auf den heutigen Tag! Doch in der entscheidenden Auseinandersetzung fand die Schweiz immer wieder auf den eigenen Weg zurück. Dankbar sind wir, dass all den Grossmachtsgelüsten immer wieder eine Absage erteilt wurde. Darum ist der 1. August ein Tag der Dankbarkeit. Möge dies so bleiben. 2. Der Kampf für die Freiheit * Jede Zeit kennt ihre besonderen Gefahren. Jede Zeit hat ihre – oft –selbsternannten – Vögte, die die Macht an sich reissen möchten. Obrigkeiten, die zum Nachteil von Volk und Land ihre eigene Macht ausdehnen möchten. Es winken Ansehen, Ruhm, Ämter, Geld und vielerlei mehr! * Oft nennen sich die modernen Vögte „Visionäre“. Aber sie rauben dem Mensch nur allzu oft seine Selbstbestimmung, seine Freiheit. * Es ist heute unverkennbar, dass Regierende in der ganzen Welt nach Grösse und Anerkennung streben (und es wäre eine Beschönigung, würde ich die eigene Regierung, der ich angehöre, hier in der Schweiz ausnehmen). Meist geht es dabei auf Kosten der eigenen Bevölkerung. Dieser ewige Drang nach Grösse! Als ob nicht gerade die Schweiz als Kleinstaat gute Erfahrungen gemacht hätte. * Der Wunsch, überall – wo der Glanz der Macht aufscheint – dabei zu sein, ist eine Dauererscheinung der hohen Politik. * Dazu gehören auch die imposanten Konferenzen, Symposien, internationalen Vereinbarungen, welche nur allzu oft die Rechte des Volkes schmälern oder gar ausser Kraft setzen. Bei internationalen Abmachungen werden Volksrechte abgetreten und so dem Volke die Entscheide entzogen. Es sei – so heisst es dann beschönigend – eben „übergeordnetes Recht“. Als wäre es direkt von Gott erlassen! Auf jeden Fall ist es „dem vom Volk gesetzten Recht übergeordnet“. Das ist aber so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was der Bundesbrief wollte. Man nennt es auch internationales Recht oder noch schöner „Völkerrecht“, als hätten es alle Völker demokratisch gesetzt. „Übergeordnetes Recht“? Übergeordnetes Recht bricht Landesrecht! Damit ist ja alles gesagt, aber was ist es dann für ein Recht? Und – wenn es schon nicht der liebe Gott erlassen hat, welches sind denn die Götter, die dieses so übergeordnete Recht erlassen oder bestimmt haben? Wer genau hinschaut, sieht: Es sind internationale Experten, hochkarätige Juristen, angesehene Professoren, Kongresse, internationale Foren, internationale Organisationen, Regierungen, welche miteinander Verträge abschliessen, die dann über dem Landesrecht stehen. Sicher sind das alles hoch gebildete und ehrenwerte Leute! Nur eines sind sie sicher nicht: „Landsleute“. Es sind nicht die, welche 1291 auf dem Rütli durch den Schwur auserwählt worden sind, um die Regeln selbst setzen zu können: Sie sind nicht das eigene Volk. Die heutige Tendenz, die Volksrechte leichtfertig durch übergeordnetes Recht, eben so genanntes „Völkerrecht“, zu ersetzen nimmt beängstigend zu. Das ist meine kurze Erfahrung in der Zeit, in der mir das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement anvertraut worden ist. Und dies ist genau das Gegenteil des Freiheitsbriefes von 1291. Wer leichtfertig versucht, die Entscheidungsmöglichkeit des Volkes und der Stimmbürger auszuschalten oder zu umgehen, bedroht die Freiheit. Was heisst aber Freiheit? In der Schweiz heisst Freiheit auch und vor allem Vertrauen in den einzelnen Bürger. Es darf nicht sein, dass sog. „höheres“ Recht, oder „internationales Recht“, oder „Völkerrecht“ das demokratisch bestimmte Recht der eigenen Staatsbürger leichtfertig beschränkt oder gar ausser Kraft setzt. Man ist heute schnell bereit, den Willen des Volkes unter Berufung auf höheres Recht, ausser Kraft zu setzen. Denken wir daran: Der Bundesbrief ist die Absage an unkontrollierte staatliche Macht und eine geradezu rebellische Absage an die Einschränkung des Volkswillens. Darum ist der Kampf gegen „Vögte“, die den Volkswillen einschränken, eine Daueraufgabe. Es ist der dauernde Kampf um die Freiheit. 3. 1. August in Dankbarkeit feiern In Dankbarkeit begehen wir heute den Geburtstag unseres Landes. Bedenken wir: Die heutige Wohlfahrt des Landes und seine wirtschaftliche Stärke ist nicht zuletzt der Selbstbestimmung des Volkes und der Selbstverantwortung der Bürger zu verdanken. Darum gilt es, sich gegen ungerechtfertigte Eingriffe zu wehren. Mit dieser Botschaft - meine Damen und Herren - wollen wir auch die nächsten 366 Tage, das 717. Lebensjahr unseres Landes, in Angriff nehmen. Dieses Alter beruht auf einer Geschichte, aus der das Land stets lernte. Meine Damen und Herren, Sie haben mich nach Greyerz/Gruyères geladen. In Gruyères ist die Geschichte noch heute sichtbar und greifbar. Der Ort ist ein Tourismusmagnet. Die einmalige Hügellage hat den Charakter des mittelalterlichen Städtchens bewahren können. Das Schloss wurde zum weithin erkennbaren Wahrzeichen. Hier residierten die Grafen von Greyerz, bis sie verlumpten und später die Präfekten, bis sie von der demokratischen Bewegung weggefegt wurden. Man ist bei einem solchen Bau wie dem Schloss Gruyères immer hin- und hergerissen: Einerseits imponiert uns heute die Majestät eines solchen Gebäudes und der historisch Interessierte freut sich über das Museum und die Räume, die heute in dieser Anlage zu besichtigen sind. Andererseits ist das Schloss auch ein Mahnmal: Wenn sich die Regierenden abschotten, verlieren sie den Kontakt zu den Menschen und ihren Sorgen. Darum sollen diese Burgen Mahnmal sein. Aber nicht nur altertümliche Burgen, sondern auch Regierungsgebäude der Neuzeit neigen zur Abschottung. So soll uns die Geschichte Gruyères Beispiel und Mahnmal zugleich sein.

01.08.2007

1. August-Rede 2007 in Hallau

Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher, am 1. August 2007, in Hallau. 01.08.2007, Hallau Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Liebe Miteidgenossinnen Liebe Miteidgenossen Liebe Geburtstagsgäste 1. Was feiern wir heute? Wir sind heute hier zusammengekommen, um den 716. Geburtstag unseres Landes zu feiern! Sie haben mich zur Festrede geladen. Wir feiern den 1. August auch dieses Jahr hier in Hallau und unzähligen anderen Orten in gut traditioneller Schweizerart, das heisst: * Bescheiden * In Gemeinschaft, stellvertretend für das ganze Land * Gleichzeitig mit zahlreichen andern Orten in der Schweiz, verbunden durch Höhenfeuer übers ganze Land hinweg Die Gründungsurkunde ist der Bundesbrief von 1291. Er ist Bekenntnis und Ausdruck des Willens zur Unabhängigkeit und zur Selbstbehauptung. * Er beginnt mit der Anrufung Gottes: Man stellt sich damit unter Gottes Schutz * Man beschliesst, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen: „ Wir wollen keine fremden Richter haben“. Wobei mit Richter damals auch die Regierenden gemeint waren. * An diese Richter – also an alle Behördenmitglieder - stellt man hohe charakterliche Voraussetzungen. * Man verspricht sich gegenseitig Hilfe zu leisten. * Man weiss, dass das Vorhaben schwierig ist, und schwört, für die Freiheit notfalls das Leben zu opfern. Am Anfang unseres Landes steht also ein Stück Pergament. Ein Schriftstück! Nur 20 cm breit und 32 cm hoch. 17 Zeilen umfasst es! Am Anfang der Schweiz * steht also nicht ein Herrscherwillen, also kein Beschluss eines Königs oder Kaisers * steht kein „hochkarätiges Expertengremium“ * stehen keine ausgeklügelten juristischen Verfassungsgrundsätze Am Anfang steht nur eine Willenserklärung von einfachen Landsleuten, die bereit sind und sich verpflichten, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und sich den Pflichten dieser Selbständigkeit im Interesse von „Land und Lüt“ zu unterziehen! Die Macht soll in die Hände dieser Landsleute gelegt werden. Kurz ausgedrückt: In die Hand des Volkes. Dieser Grundgedanke hielt sich im Wesentlichen 716 Jahre, obwohl seither viel geschehen ist. Eines aber zeigte sich klar: Immer wenn die Schweiz von diesem vorgezeichneten Weg abkam, immer wenn die Schweiz sich mit Grossmächten einliess, immer wenn die Schweiz sich nicht auf sich selbst besann, drohte der Niedergang der Eidgenossenschaft und dies bis auf den heutigen Tag! Doch in der entscheidenden Auseinandersetzung fand die Schweiz immer wieder auf den eigenen Weg zurück. Dankbar sind wir, dass all den Grossmachtsgelüsten immer wieder eine Absage erteilt wurde. Darum ist der 1. August ein Tag der Dankbarkeit. Möge dies so bleiben. 2. Der Kampf für die Freiheit * Jede Zeit kennt ihre besonderen Gefahren. Jede Zeit hat ihre – oft selbsternannten - Vögte, die die Macht an sich reissen möchten. Obrigkeiten, die zum Nachteil von Volk und Land ihre eigene Macht ausdehnen möchten. Es winken Ansehen, Ruhm, Ämter, Geld und vielerlei mehr! * Oft nennen sich die modernen Vögte „Visionäre“. Aber sie rauben dem Mensch nur allzu oft seine Selbstbestimmung, seine Freiheit. * Es ist heute unverkennbar, dass Regierende in der ganzen Welt nach Grösse und Anerkennung streben (und es wäre eine Beschönigung, würde ich die eigene Regierung, der ich angehöre, hier in der Schweiz ausnehmen). Meist geht es dabei auf Kosten der eigenen Bevölkerung. Oh, dieser ewige Drang nach Grösse! Als ob nicht gerade die Schweiz als Kleinstaat gute Erfahrungen gemacht hätte. * Der Wunsch, überall – wo der Glanz der Macht aufscheint – dabei zu sein, ist eine Dauererscheinung der hohen Politik. * Dazu gehören auch die imposanten Konferenzen, Symposien, internationalen Vereinbarungen, welche nur allzu oft die Rechte des Volkes schmälern oder gar ausser Kraft setzen. Bei internationalen Abmachungen werden Volksrechte abgetreten und so dem Volke die Entscheide entzogen. Es sei – so heisst es dann beschönigend – eben „übergeordnetes Recht“. Als wäre es direkt von Gott erlassen! Auf jeden Fall ist es „dem vom Volk gesetzten Recht übergeordnet“. Das ist aber so ziemlich genau das Gegenteil, von dem, was der Bundesbrief wollte. Man nennt es auch internationales Recht oder noch schöner „Völkerrecht“, als hätten es alle Völker demokratisch gesetzt. „Übergeordnetes Recht“? Übergeordnetes Recht bricht Landesrecht! Damit ist ja alles gesagt, aber was ist es dann für ein Recht? Und – wenn es schon nicht der liebe Gott erlassen hat, welches sind denn die Götter, die dieses so übergeordnete Recht erlassen oder bestimmt haben? Wer genau hinschaut, sieht: Es sind internationale Experten, hochkarätige Juristen, angesehene Professoren, Kongresse, internationale Foren, internationale Organisationen, Regierungen, welche miteinander Verträge abschliessen, die dann über dem Landesrecht stehen. Sicher sind alles hoch gebildete und ehrenwerte Leute! Nur eines sind sie sicher nicht: „Landsleute“. Es sind nicht die, welche 1291 auf dem Rütli durch den Schwur auserwählt worden sind, um die Regeln selbst setzen zu können. Sie sind nicht das eigene Volk. Die heutige Tendenz, die Volksrechte leichtfertig durch übergeordnetes Recht, eben so genanntes „Völkerrecht“, zu ersetzen, nimmt beängstigend zu. Das ist meine kurze Erfahrung in der Zeit, in der mir das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement anvertraut worden ist. Und dies ist genau das Gegenteil des Freiheitsbriefes von 1291. Wer leichtfertig versucht, die Entscheidungsmöglichkeit des Volkes und der Stimmbürger auszuschalten oder zu umgehen, bedroht die Freiheit. Was heisst aber Freiheit? In der Schweiz heisst Freiheit auch und vor allem Vertrauen in den einzelnen Bürger. Es darf nicht sein, dass sog. „höheres“ Recht, oder „internationales Recht“, oder „Völkerrecht“ das demokratisch bestimmte Recht der eigenen Staatsbürger leichtfertig beschränkt oder gar ausser Kraft setzt. Man ist schnell bereit, den Willen des Volkes unter Berufung auf höheres Recht, ausser Kraft zu setzen. Denken wir daran: Der Bundesbrief ist die Absage an unkontrollierte staatliche Macht und eine geradezu rebellische Absage an die Einschränkung des Volkswillens. Darum ist der Kampf gegen „Vögte“, die den Volkswillen einschränken, eine Daueraufgabe. Es ist der dauernde Kampf um die Freiheit. 3. 1. August in Dankbarkeit feiern In Dankbarkeit begehen wir heute den Geburtstag unseres Landes. Bedenken wir: Die heutige Wohlfahrt des Landes und seine wirtschaftliche Stärke ist nicht zuletzt der Selbstbestimmung des Volkes und der Selbstverantwortung der Bürger zu verdanken. Darum gilt es, sich gegen ungerechtfertigte Eingriffe zu wehren. Die Schweiz legt hohen Wert darauf, selbst die Zukunft bestimmen zu können, und zwar durch Regeln, welche das Volk setzt. Die internationalen Gremien haben dies zu respektieren. Das gilt aber auch für unser eigenes Parlament, für unsere Regierung und unsere Gerichte. Auch sie haben sich nicht über Volksentscheide und über durch das Volk gesetztes Recht hinwegzusetzen! Dazu gehört aber auch die Pflicht der Verantwortlichen, seien es jene in der Regierung, seien es Richter, seien es Volllzugsbehörden, (beispielsweise die Strafvollzugsbehörden) diese Gesetze auch anzuwenden! Nicht zuletzt infolge der hohen Zahl der Gesetze in unserem Lande werden viele Gesetze gar nicht angewendet oder dann nur in einzelnen Fällen gegenüber Leuten, die man nicht mag und denen man eine Strafe gönnen will. Das ist auch Rechtsmissbrauch. Mit dieser Botschaft - meine Damen und Herren - wollen wir auch die nächsten 366 Tage, das 717. Lebensjahr unseres Landes, in Angriff nehmen. Schliessen wir die heutige Geburtstagsrede mit dem dichterischen Gelöbnis – aber durchaus in Übereinstimmung mit dem alten Bundesbrief: Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern. In keiner Not uns trennen und Gefahr. Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, Eher den Tod als in der Knechtschaft leben Wir wollen trauen auf den höchsten Gott Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.“ Hallau Für die Einladung nach Hallau möchte ich mich besonders herzlich bedanken. Sie könnten ja auch langsam genug haben vom Namen Blocher: Zuerst ein Blocher als Pfarrer, dann ein Blocher als Gemeindepräsident und jetzt kommt noch ein Blocher als Bundesrat und 1.-August-Redner… Aber Hallau scheint eine tolerante Gemeinde zu sein. Wenn der 1. August für den Unabhängigkeitswillen der Schweiz steht, so muss man sicher nicht den Hallauern den Wert der Unabhängigkeit lehren! Das sehe ich daran, dass Sie – mit ein paar anderen Schaffhauser Ortschaften – ein Restaurant namens „Gemeindehaus“ haben. In jeder anderen Gemeinde bedeutet dies ein Verwaltungsgebäude. Aber bei Ihnen ist es eine Wirtschaft. Das ist erstaunlich, aber auch sehr sinnvoll, vor allem, nachdem man den Hintergrund erfährt! Die Hallauer und überhaupt der ganze Klettgau galten in früheren Zeiten, als der Schaffhauser Landteil politisch von der Stadt dominiert wurde, als besonders aufmüpfig. Und die Obrigkeit sah bald einmal, dass sich der Widerstand in den Gasthäusern formierte, sodass man die Stammtische unter Kontrolle bringen wollte. Also verlegte man die Wirtschaften ins Gemeindehaus und somit unter die Aufsicht der Behörden. Heute will man die Stammtische ja auch wieder verbieten, zumindest die freie Rede daran. Einfach mit Gesetzen. Aber die freie Rede muss frei bleiben, sonst fehlt der direkten Demokratie das Blut. Auch das ist ein Auftrag, den uns der erste August auferlegt: Tragen wir Sorge zur freien Rede – am besten durch die freie Rede selbst. Indem wir uns keine Maulkörbe vorschreiben lassen. Vielleicht wäre es besser, heute die Gemeindehäuser, die Regierung und das Bundeshaus in die Wirtschaften zu verlegen, und damit die Obrigkeit unter die Kontrolle der Stammtische, d.h. der Bevölkerung zu bringen.