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13.09.2012

Nie Streit, weil wir keine Moralisten sind

Interview in den Schaffhauser Nachrichten vom 13. September 2012 mit Herr Norbert Neininger

26.08.2012

Natürlich sind Zweifel da

Interview in der NZZ am Sonntag vom 26. August 2012 mit Herr Daniel Friedli Die Beschaffung der neuen Kampfjets gibt weiter zu reden. Was sagen Sie dazu? Das ist doch selbstverständlich. Ich nehme zur Kenntnis, dass die kritische Kommission, die Beschaffung des Gripen trotz grosser Risiken nicht ausschliesst. Jetzt muss man warten mit dem Entscheid bis die Vorlage kommt. Die Kommission schreibt, es gebe grosse technische, finanzielle und politische Risiken. Ist ein Kauf unter diesen Umständen zu verantworten? Eine solche Beschaffung ist stets mit technischen, finanziellen und politischen Risiken verbunden. Ob sie tragbar sind, wird die Botschaft zeigen. Der Bundesrat hat dies darzulegen. Können die Schweden wirklich liefern? Wann ist der Jet fertig entwickelt? Welche Garantien bekommen wir? Und so weiter. Gestützt auf die Botschaft des Bundesrates wird dann zu entscheiden sein, ob die Risiken tragbar sind. Sind diese tragbar, können wir den Gripen kaufen. Wenn nicht, ist eine Alternative zu wählen. Wie schätzen Sie denn die Situation ein? Natürlich sind Zweifel da. Das ist auch gut so, denn nun kann offen debattiert werden. Wir müssen die Nerven haben, das Ende der Verhandlungen abzuwarten. Die Linke ist gegen die Armee also sind ihre Motive bei der Ablehnung des Gripen nicht zu beachten! Wer keinen Luftschirm will, kann den Jet nicht auswählen. Wir bitten auch nicht Vegetarier zu bestimmen, welches Fleisch wir essen sollen. Ist es nicht vielmehr so, dass Sie gute Miene zum risikoreichen Spiel machen müssen, weil SVP-Bundesrat Ueli Maurer dafür verantwortlich ist? Nein. Wenn es notwendig ist, tritt die SVP auch gegen eigene Bundesräte an, das haben wir zur Genüge bewiesen. Die SVP-Fraktion hat auch noch keinen Entscheid getroffen. Bis jetzt gibt es keinen Grund, das Verfahren abzubrechen. Trotzdem bleibt der Eindruck, es wurde gemurkst, getrickst und gar gelogen, damit die Wahl auf den Gripen fallen konnte. Ich erlebe nun schon die vierte Flugzeugbeschaffung, und auch diese läuft nach gewohntem Drehbuch. Es wird lobbyiert, gekämpft, verdächtigt, verunglimpft und skandalisiert. Letztlich ist es aber, wie wenn eine Familie ein neues Auto kauft: Alle streiten und reden mit, bis der Vater einmal sagt: «Wir können uns keinen Rolls-Royce leisten, wir nehmen den Kleinwagen.» Gäbe es keine finanziellen Schranken, würde die Schweiz wohl nicht den Gripen beschaffen. Denn dieser ist von der Leistung her den Konkurrenten unterlegen. Wir kaufen aber nicht das Beste, sondern das Mögliche. Und selbst die Verantwortlichen der Luftwaffe erklären, der Gripen genüge den Ansprüchen der schweizerischen Landesverteidigung. Allerdings nur mit Vorbehalten Vorbehalte gibt es immer. Selbstverständlich möchte die Luftwaffe lieber den besten, d.h. aber auch den teuersten. Ist es aus militärpolitischen Gründen besser, mit Schweden zusammenzuarbeiten als mit Frankreich oder Deutschland? Als kleines, neutrales Land hat Schweden auch seine Vorteile. Dennoch hat der Bundesrat eine grosse Chance vertan. Er hätte die Beschaffung mit anderen strittigen Fragen verknüpfen müssen. Es ist unverständlich, dass die Schweiz z.B. mit Deutschland ein Steuerabkommen und einen Luftverkehrs-Staatsvertrag aushandelt, ohne die Jet-Beschaffung mit dem Eurofighter in die Waagschale zu werfen. Der Bundesrat hätte auch schauen müssen, dass die USA mit ihren F/A-18 im Offertverfahren bleiben. Wäre man mit USA oder Deutschland einig geworden, dann wäre wohl im leidigen Bankenstreit, Steuerstreit, Flughafen etc. viel herauszuholen gewesen. International richtig Verhandeln heisst immer verknüpfen, verknüpfen, verknüpfen....

01.08.2012

1. August-Gedanken 2012

Ansprache von Nationalrat und a.Bundesrat Christoph Blocher, gehalten am 1. August 2012 Manuskript für die 1. August-Reden 2012 im Degenried (Zürich) und Reinach /AG) Es gilt sowohl die mündliche wie die schriftliche Fassung. Der Redner behält sich vor, stark vom Manuskript abzuweichen. Wie feiert die Schweiz Geburtstag? In gut eidgenössischer Tradition! D.h. bescheiden, in zahllosen Gemeinden, Quartieren, mit kurzen Festansprachen, Höhenfeuern, mit Landeshymne, in Freude, in Dankbarkeit! Eine zentrale staatliche Feier mit viel staatlichem Pomp mit Auftritten der Regierung wäre unschweizerisch. Die Geburtstagsfeiern zeigen: Die Schweiz ist unten entstanden. Im Zentrum des Landes steht das Unten: Die einzelnen Bürger, die Familie, die Gemeinde, der Kanton. Nicht die Zentralregierung, nicht die Classe politique, nicht Protzerei, nicht staatliche Machtdemonstration zählt. Jede Feier ist stellvertretend die Feier für das ganze Land. Warum feiern wir 1291? "Arglist der Zeit" Bundesbrief 1291: Wille zur Unabhängigkeit und Selbstbehauptung Bundesbrief = Freiheitsbrief!       -  25 cm hoch 32 cm breit -  eine Pergamentseite -  Beginn: "Im Namen Gottes Amen"  -  (heute in der BV "im Namen Gottes des Allmächtigen") Landsleute der Innerschweiz schwören:       -  in Zukunft keine Fremdherrschaft zu dulden -  keine fremden Richter (Obrigkeit) -  keiner solle straflos gegen Ruhe und Ordnung vorgehen hohe charakterliche Anforderungen an die "Richter", d.h. an die Obrigkeit 1291: nach dem Tod des Habsburgers Rudolf II waren die Zeiten in Europa bewegt. Die bis anhin verliehenen Freiheitsrechte für die Talschaften rund um den Gotthard waren bedroht. Fremde Mächte – damals Habsburg – wollte sich diese Schweiz unterjochen, fremd bestimmen; sagen, was in diesen Gebieten zu tun sei! Dieser äussere Druck bewirkte ein Zusammenstehen mit Schwur, ein Bündnis zu schmieden für       -  Freiheit -  gegen fremde Richter -  für Selbstbestimmung -  gegen Steuervögte -  für Eigenverantwortung -  für Ordnung und Ruhe Zeichen der Zeit Mit Recht wird dieser Bundesbrief von 1291, dieser Freiheitsbrief, als Geburtsurkunde unseres Landes bezeichnet. Beschlossen in der Arglist der Zeit. Doch solche arglistige Zeiten erlebte die Schweiz in ihrer über 720-jährigen Geschichte mehrmals. Meist, weil die "Regierenden versagten. Und leider müssen wir heute wieder sagen: "Es gibt nichts Neues unter der Sonne!". Und so fragen wir besorgt: Werden wir auch in Zukunft Grund zur Dankbarkeit haben, denn immer wieder konnte sich die Schweiz behaupten und ihre Freiheit verteidigen. Dafür sind wir unseren Vorfahren dankbar. Für das Erreichte dürfen wir dankbar sein. Aber beschäftigen wir uns nicht zu lange mit der Geschichte. Wie 1291 trachten auch heute Grossmächte danach, die Eigenständigkeit der Schweiz einzuschränken. Und – wie oft in der Schweizer Geschichte – ist gerade die Obrigkeit, welche die Freiheit, Unabhängigkeit, den Sonderfall, verteidigen sollte, nicht bereit, für das Land hinzustehen. Die Führungslosigkeit und Oberflächlichkeit der leitenden Personen sind Grund zur Sorge. Auch wenn es nicht offen gesagt wird: Regierung, Bundesverwaltung und die Mehrheit des Parlaments sind  bereit, die Unabhängigkeit, Freiheit, Volksrechte, Selbstbestimmung, Neutralität preiszugeben, um die Schweiz in die EU einzugliedern – und damit diese 721-jährige Schweiz aufzugeben! Nicht dass sie dies zugeben würden, aber es ist eine Tatsache! Kampf für die Freiheit – Gebot der Stunde! dank unserer besonderen Staatsform dank der stärkeren Mitsprache der Bürger aber noch vielmehr: dank der Misswirtschaft der grossen staatlichen Machtgebilde wie USA und der EU hat die Schweiz an Attraktivität gewonnen. Zehntausende wollen in der Schweiz arbeiten. Die Wirtschaft wächst. Die Schweiz gilt als Hort der Stabilität. Sie ist gesucht! Dank der stärkeren Mitsprache der Bürger konnten bis anhin die Politiker weniger Dummheiten machen als im Ausland. Und man sollte meinen, es fiele den Verantwortlichen nicht schwer das zu verteidigen. Aber, weit gefehlt: Die Classe politique zeichnet sich aus durch Kleinmut, nachgeberischen Verhaltens. Sie hat das Wesen der Schweiz vergessen, aus Bequemlichkeit Minderwertigkeitsgefühl oder Grössenwahn. So will sie den Grossen nacheifern, wohl wissend, dass dies für die Schweiz schädlich, ja letztlich den Untergang bedeutet, aber für die persönlichen Interessen der Verantwortlichen nützlich wäre. Nur so ist es zu erklären, dass sich die Schweiz in unbegreiflicher Weise in einen globalen "Wirtschaftskrieg" verwickeln liess. Schlachtfelder sind: Bankkundengeheimnisse, die tieferen Steuern in der Schweiz, Solidaritätsbeiträge für Staaten, die sich mit Schulden alles leisteten und zwar in Milliardenbeträgen. Erhöhung von Entwicklungshilfe, Asylmisswirtschaft, massiv steigende Kriminalität, Korruptionszunahme etc. etc. entspringen diesem Geist. Widerstand oder Anpassung? Das war die dauernde Frage in der 721-jährigen Geschichte der Eidgenossenschaft. Doch Bundesverwaltung und Regierung kennen diese Frage nicht mehr. Für sie gilt nur noch Anpassung. Dass sie die Schweiz in die EU einverleiben wollen, das getrauen sie sich zwar nicht zu sagen, (denn auch in Bundesbern hat man gelesen, dass lediglich nur noch 17 % der Schweizer Bevölkerung dieses Ziel gutheissen!) Also geschieht es hinten herum. Man arbeitet im Dunkeln, verschweigt, beschönigt, schwindelt, lügt. Nachgeben, anpassen ist die Devise: Man lieferte den USA  Dokumente von Bankkunden aus: Ein rückwirkender, schwerwiegender Rechtsmissbrauch. Dann brachen die Dämme: Erpressung folgte auf Erpressung. Grundsatz- und führungslos faselt man von Abgeltungssteuern, "Weissgeldstrategie", direktem Informationsaustausch. Zugeständnisse reihen sich an Zugeständnisse. Das Einknicken ist für die Bundesräte zur täglichen Gymnastikübung geworden. Die Schweizer Regierung tritt im Ausland als eine schwache Regierung auf. Sie erweckt nicht nur den Eindruck, dass sie die Interessen anderer Staaten besser vertritt als die der Schweiz, sondern es ist so. Daher wird schlecht verhandelt. Man gibt sofort nach, auf leisesten Druck hin wird "nachgebessert": (Man beachte die Sprache: Schweizer reden von "Nach-Besserung", was zum Nachteil der Schweiz und zum Vorteil des fremden Staates gereicht. An ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen!) EU-Beitritt vor der Tür Ohne dass es die Bevölkerung realisiert, werden die freien Schweizer plötzlich zu "Knechten" ausländischer Fiskalpolitiker. Es passt ins Bild, dass Tausende von Bankangestellten der Willkür ausländischer Staaten preisgegeben werden. Die Banken, verraten ihre Mitarbeiter mit der ausdrücklichen Zustimmung der Finanzministerin: Alle wissen: Sie verletzen schweizerisches Recht und die Souveränität. Ungestraft handelt der Bundesrat gegen Gesetz und Verfassung. Wollen wir wirklich in die Knie gehen, wenn die fremde Kavallerie droht oder wenn der frühere Präsident der deutschen SP (Herr Müntefering), sich zurücksehnt indem er drohte: früher habe man "für solche Fälle (wie die Schweiz) die Armee geschickt"? Aber der entscheidende Schachzug wird jetzt in Bern vorbereitet: Heimlich in den Hinterzimmern: Der Bundesrat, und noch viel mehr seine Beamten, haben der EU versprochen, auf das Begehren, in Zukunft das künftige EU-Recht zu übernehmen, und der Forderung nach fremden Richtern entgegen zu kommen. Man gibt schon nach, bevor man verhandelt. So soll – ohne dass es die Bürger merken – der EU-Beitritt unausweichlich gemacht werden. Damit folgen zwangsläufig: fremde Herren, fremde Richter, fremde Vögte, Unfreiheit, staatliche Willkür, der Boden für Arbeitslosigkeit und Armut, für Knechtschaft statt Freiheit. Rückbesinnung auf den Bundesbrief Doch so weit darf es nicht kommen! Die Bürger sind aufgerufen, das Heft in die Hand zu nehmen. Die Schweizer haben sich in der "Arglist der Zeit" oder besser – der Classe politique – auf die Werte des Bundesbriefes zu besinnen: Es braucht Bürger, welche hinstehen um -  in der heutigen Arglist der Zeit Widerstand zu leisten -  den Rütlischwur zu erneuern -  den Kleinstaat Schweiz zu stärken. Auf dass die Schweiz -  im Namen Gottes des Allmächtigen frei sei -  ohne fremde Obrigkeit, -  ohne Kolonialherren, die Recht setzen über die Köpfe ihrer Untertanen, -  die Volksrechte und Neutralität schütze. Überwindung von Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit im Wohlstand Wir alle wissen – der Schweiz geht es heute besser als den anderen Staaten. Unter anderem auch weil die Schweiz bis heute die Werte des Bundesbriefes hochhielt: Unabhängigkeit (Nicht-Mitglied der EU), Selbstverantwortung, weniger Schuldenwirtschaft dank vielen obligatorischen Volksbefragungen. Aber, weil es der Schweiz heute gut geht, ist sie auch gefährdet. Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe guter Tagen. Die schweizerische Besonderheiten werden von der Bevölkerung als selbstverständlich hingenommen. So merken viele Schweizer nicht, wie am Ast gesägt wird, auf denen sie hocken: Darum sei am 1. August den Bürgern zugerufen: -  Wachet auf! -  Wehrt Euch für Euer Freiheitsrecht! -  für Ruhe und Ordnung! Zuversicht Oft in der Schweizer Geschichte haben wir das Versagen von führenden Familien und Regierungen erlebt. Aber immer wieder ist es von unten durchgerochen, von unten, das in Wirklichkeit in unserem Staate oben ist. Ich glaube, diese Kräfte werden sich durchsetzen. Erinnern Sie sich an die Abstimmung vor 20 Jahren? Nach einer beispiellosen Kampagne durch alles, was Rang und Namen hatte, leisteten die Volks- und Kantonsmehrheit Widerstand gegen die anpasserischen Kreise, die die Schweiz zuerst in den Europäischen Wirtschaftsraum und dann in die EU führen wollten. Es war ein schwerer Entscheid für die Bürger, weil Bundesrat, Parlament, alle Kantonsregierungen, die Economiesuisse, den Untergang des Landes voraussagten, wenn die Schweiz selbständig bliebe. In einer damals schweren, wirtschaftlichen Rezession hatte die Schweiz – d.h. die Bürgerinnen und Bürger, nicht die Regierenden, nicht die Classe politique, nicht die organisierte Wirtschaft – nein, das Volk, die Stimmbürger, der Souverän hatte die Kraft, Nein zu sagen. Auch heute gilt Wache zu halten. Nicht die Institutionen des Landes sind veraltet oder schlecht. Aber die, die sie bekleiden, müssen zur Vernunft gebracht werden. Wir wollen keine Classe politique, die den Rechtsstaat und das Land verrät. Nur so wird das Land auch wirklich in Frieden, Freiheit und Wohlfahrt leben. Wir wollen auch die kommenden Geburtstagsfeiern in Freiheit und Dankbarkeit feiern können. Schauen und hören Sie hinaus in die Welt. Sie werden sehen, dass Jakob Burckhardt recht hatte: "Der Kleinstaat ist vorhanden, damit ein Fleck auf der Welt sei, wo die grösstmögliche Quote der Staatsangehörigen Bürger im vollen Sinne sind... Denn der Kleinstaat hat überhaupt nichts, als die wirkliche tatsächliche Freiheit, wodurch er die gewaltigen Vorteile des Grossstaates, selbst dieses Machtideal, völlig aufwiegt." Zuversichtlich auf diese tiefe innere Kraft des Volkes – nicht der Regierung – hoffend, wünsche ich Ihnen allen einen schönen Tag. 1-August-Gedanken_2012.pdf

28.07.2012

«Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel sie ähnlich macht wie ich»

Interview im Tages-Anzeiger vom 28. Juli 2012 mit Iwan Städler Frau Martullo, was ist das Wertvollste, das Sie von Ihrem Vater geerbt haben? Martullo: Sicher unser Unternehmen, die Ems-Chemie. Auch wenn wir Kinder ja nur einen kleinen Teil erbten und uns für den Rest verschulden mussten, ist es schon einmalig, wenn man eine solch innovative Firma übernehmen kann. Und vom Materiellen abgesehen? Um welche vererbten Eigenschaften sind Sie besonders dankbar? Martullo: Das Unternehmerische. Ob über die Gene oder in der Erziehung – irgendwie haben wir es alle vier Geschwister mitbekommen. Haben Sie auch Dinge geerbt, die eher mühsam sind? Martullo: Mühsam sind die Journalisten mit ihrer Christoph-Blocher-Manie und ihren Vorurteilen. Welchen Vorurteilen denn? Martullo: Wir seien engstirnig und konservativ. Dabei sind wir gerade unkonventionell und deshalb oft auch innovativ und offen. Wir trauen uns, das Bestehende zu hinterfragen und denken heute schon an die Zukunft. Blocher: Ich habe nie darauf hingearbeitet, dass die Kinder dem Vater folgen. Man muss sie sich frei entwickeln lassen. Bis jetzt ist es bei allen gut gekommen, was aber nicht heisst, dass sie nicht darunter leiden, einen bekannten Vater zu haben. Wie war es als Kind, Blocher zu heissen? Martullo: Von den anderen Kindern gab es immer wieder blöde Sprüche.  Dahinter stecken ja meist die Eltern. Blocher: Am ersten Kindergartentag eines meiner Enkelkinder sagten alle Eltern: «Schau mal, das ist jetzt Blochers Enkel». Darauf konterte er: «Dann heisse ich jetzt eben Christoph Blocher». Gut gemacht! Man muss es mit Humor nehmen. Martullo: Mein Sohn ist acht Jahre alt und hat für seinen ersten kleinen Vortrag in der Schule das Thema Ems-Chemie gewählt. Das hat mich überrascht. Bis jetzt hatte er noch nicht viel mit der Firma zu tun. Lediglich an unserer Generalversammlung müssen er und seine ältere Schwester jeweils teilnehmen. Müssen? Martullo: Ja, das ist eine Pflicht für sie. Wobei die Generalversammlung bei uns eher einem grossen Volksfest gleicht. Mitarbeiter demonstrieren neue Entwicklungen, junge Musiker treten auf und bei den rund 1’500 Anwesenden herrscht Feststimmung. Blocher: Die Kinder nehmen mehr auf, als man denkt. Das war auch bei meinen Kindern so. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Magdalena ähnlich macht wie ich seinerzeit. Zum Beispiel, dass sie in der Silvesternacht ins Werk in Domat/Ems geht, um dort den Schichtarbeitern ein gutes neues Jahr zu wünschen. Das zeigt die Einstellung, welche die Kinder wohl unbewusst übernommen haben: Man lebt fürs Unternehmen, nicht in erster Linie vom Unternehmen. Wie haben Sie, Frau Martullo, Ihren Vater als Kind erlebt? Fanden Sie, er sei zu wenig zu Hause? Martullo: Nein, diesen Eindruck hatte ich nie. Dies hilft mir natürlich heute bezüglich meiner eigenen Kinder. Wie mein Vater früher, verbringe auch ich die Wochenenden vor allem mit der Familie. Und wie haben Sie Ihren Vater erlebt? Martullo: Ganz anders als in den Medien dargestellt. Welche Facetten sind in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt? Martullo: Zum Beispiel sein Humor. Blocher: Den verträgt es im Privaten eben besser als in der Politik. (lacht) Viele Politiker haben ja keinen Humor. Martullo: Er kann es auch sehr gut mit Kindern, erzählt theatralisch Geschichten und bringt sie zum Lachen. Er ist stets die grosse Attraktion. Sie sollen an Familienfesten auch gezaubert haben, Herr Blocher? Blocher: Ja, das stimmt. Aber es war stets derselbe Trick: Ich zauberte Gummibänder von einem Ort zum andern. Ich musste die Kinder bloss genügend ablenken. Ihnen selbst hat ein Zauberer später einmal die Krawatte vom Hemd weg gezaubert. Blocher: Ja, dieser Zauberer war der Bessere! (lacht) Er klaute anderen Portemonnaies und Kugelschreiber. Da dachte ich, das passiert mir bestimmt nicht, und konzentrierte mich stets auf diese Gegenstände. Bis er mich darauf aufmerksam machte, dass meine Krawatte fehlte. Das war hohe Klasse. Aber das Prinzip beim Zaubern ist immer dasselbe: Man muss darauf achten, dass alle in die andere Richtung schauen. Auch in der Politik wird das oft so gehandhabt. Sie haben politische Reden vor Ihren Kindern geprobt. Warum? Blocher: Weil ich immer schon so sprechen wollte, dass mich die Leute verstehen. Wenn die Kinder mich nicht verstanden, mussten sie aufstrecken. Dadurch merkte ich, wo ich mich zu wenig einfach ausdrückte. Besonders exponiert haben Sie sich 1992 durch Ihr Engagement gegen den EWR. Wie haben Sie, Frau Martullo, dies als Tochter erlebt? Martullo: Ich studierte damals an der Hochschule St. Gallen, wo alle Professoren und Studenten der EU-Euphorie erlagen. Besonders schlimm wurden die Anfeindungen nach der EWR-Abstimmung. Da wurde ich wirklich schlecht behandelt. Man sah unsere Familie als Verräter an der europäischen Vision. Selbst im Hörsaal fielen von den Professoren wüste Töne. Aufgrund meiner Herkunft wollte man mich gar nicht in die Studentenverbindung eintreten lassen, was durch eine Sonderabstimmung aber  korrigiert wurde. Blocher: Das war eine enorm intensive Zeit. Otto Fischer und ich kämpften ja anfänglich ganz alleine gegen die Classe politique und die Medien. Ein Jahr vor der Abstimmung stellten wir fest, dass wir persönlich an die Leute gelangen müssen und hielten jeder jeden Tag mindestens einen Vortrag. Das Interesse und der Andrang waren riesig. Aber die Belastung natürlich auch. In der Folge hatte ich am Abstimmungssonntag einen Nervenzusammenbruch und zog mich daraufhin für mehrere Wochen zurück. Ich musste sogar Medikamente nehmen. Noch schlimmer erging es dem herzkranken Otto Fischer, der eigentlich längst ins Spital hätte gehen sollen. Doch er kämpfte weiter. In den letzten fünf Wochen vor der Abstimmung konnte er nicht mehr liegen, sondern stand jeweils an die Wand, um zu schlafen! Kurz, nachdem die Schweizer Nein sagten zum EWR-Beitritt, verstarb er. Sie sagten einmal, Sie hätten nebst der Politik und dem Unternehmen keine Zeit für Ferien gehabt und deshalb Ihre Familie einfach auf Geschäftsreisen mitgenommen. Wie war das? Blocher: Interessant. Als China sich öffnete, reisten wir schon anfangs der 80er Jahre in die abgelegensten Orte des noch geschlossenen Chinas. Meine Frau und die vier Kinder (die jüngste  neun Jahre alt!). Die neue Regierung wollte damals vor allem die unterentwickelten Gebiete entwickeln. Also reisten wir dorthin. Martullo: Es gab kein fliessendes Wasser und keinen Strom. Die Autos mussten wir importieren. Blocher: Meine Frau und die Kinder hatten leider noch monatelang danach Magenbeschwerden. Aber es waren Erlebnisse, die geblieben sind. Nehmen Sie Ihre Kinder auch mit auf Geschäftsreisen, Frau Martullo? Martullo: Bis jetzt nicht, aber sie bestürmen mich immer. Vor allem China interessiert sie sehr. Ihre Mutter gab ihren Beruf als Lehrerin auf, um die Kinder aufzuziehen. Sie selbst sind beruflich voll engagiert, während vor allem Ihr Mann und eine Nanny zu den Kindern sehen. Was ist besser? Martullo: Da gibt es keine allgemeingültige Regel. Das muss jede Familie für sich entscheiden. Für mich war immer klar, dass ich weiterarbeiten möchte. Als Hausfrau und Mutter wäre ich nicht geeignet. Mir fällt die Decke schnell auf den Kopf. Das sagte ich meinem Mann auch als erstes, als wir uns kennenlernten. Ihr Vater hat Sie gleich zweimal während einer Schwangerschaft ins kalte Wasser geworfen: Beim ersten Kind mussten Sie Ems-Dottikon in einer Krisensituation übernehmen. Während Ihrer zweiten Schwangerschaft wurde Christoph Blocher in den Bundesrat gewählt, worauf Sie alleinige Chefin der ganzen Ems-Gruppe wurden. Wie gingen Sie damit um? Martullo: Man arrangiert sich eben. Mir war es wichtig, nach dem Ausscheiden meines Vaters Präsenz zu zeigen. Alle drei Schwangerschaften waren medizinisch kritisch. Beim dritten Kind stellten die Ärzte gar die Prognose, es werde nicht überleben. Zum Glück kam aber alles gut und wir haben drei fröhliche gesunde Kinder. Dafür sind wir dankbar, das ist nicht selbstverständlich. Blocher: Als wir eine etwaige Wahl in den Bundesrat und die Übernahme besprachen, machte sie mich drauf aufmerksam, dass sie in drei Monaten das zweite Kind erwarte. Ich sagte: Das macht doch dem Kindchen nichts. Martullo: Am Freitag hielt ich meine erste Medienkonferenz ab und am Montag darauf gebar ich unseren Sohn. Wenn es nötig ist, ist viel möglich. Herr Blocher, Sie schenkten Ihren Kindern die Ems-Aktien nur zu einem Drittel. Für den Rest mussten sie sich verschulden. Warum? Blocher: So mussten sie vom ersten Tag an darauf achten, dass das Unternehmen rentiert. Das Dümmste, was man machen kann, ist jemandem ein Unternehmen zu schenken. Da besteht die Gefahr, dass sich der Beschenkte zurücklehnt und dann nur noch vom statt für das Unternehmen lebt. Bei Ihrer Tochter hat es offenbar funktioniert. Sie hat den Gewinn und den Aktienkurs im Vergleich zu Ihrer Zeit massiv gesteigert. Was macht sie besser als Sie? Blocher: Magdalena macht es sicher sehr gut, wie die anderen Kinder übrigens auch. Sie machen vieles besser als ich. Sie sind ja auch besser ausgebildet und kennen sich mit der modernen Kommunikation aus. Martullo: Ich habe auch mehr Zeit als du. Du hattest immer noch die Politik. Wer würde die Ems übernehmen, wenn Ihnen etwas zustossen würde? Martullo: Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich Ihnen das jetzt mitteile, oder? Dieser Fall ist bei uns aber selbstverständlich vorbereitet. Ihr Vater hat ja einmal gesagt, er wäre als Bundesrat zurückgetreten, um bei der Ems einzuspringen, wenn es nicht gut gelaufen wäre. Blocher: Das stimmt. Aus Verantwortung dem Unternehmen gegenüber. Peter Bodenmann ist ja auch aus der Walliser Regierung ausgetreten, als sein Hotel-Projekt in Schwierigkeiten geriet. Nur hat er dann einem primitiven Brief der CVP die Schuld gegeben. Ich glaube, ich wäre in einem solchen Fall zum Rücktrittsgrund gestanden. An einer Medienkonferenz der Ems haben Sie, Frau Martullo, die chinesische Regierung als «die kompetenteste Exekutive der Welt» bezeichnet. Muss man sich in China so einschmeicheln oder meinen Sie das im Ernst? Martullo: Ich sagte dies nicht für die Chinesen, sondern für die Schweizer. Meine Beurteilung bezieht sich nur auf die Wirtschaftspolitik. Diesbezüglich agiert die chinesische Regierung wirklich äusserst kompetent – vor allem wenn man sie zum Beispiel mit europäischen Regierungen vergleicht. Letztere wollen ja in erster Linie sich selber profilieren und handeln nicht aus Verantwortung für ihr Land. Ungeliebte Probleme gehen sie deshalb oft nicht an. Die chinesische Regierung hingegen denkt und handelt sehr fundiert, professionell und sehr langfristig ausgerichtet. Der Erfolg gibt ihr recht. Finden Sie nicht, in China gebe es etwas gar wenig Demokratie und Menschenrechte? Martullo: Man kann China diesbezüglich natürlich nicht mit der Schweiz vergleichen. Aber was nützt Europa deren Demokratie: Da werden den Leuten Leistungen versprochen, die nicht bezahlbar sind. Das Volk wird hinters Licht geführt. Der Chinese ist in wirtschaftlicher Hinsicht heute besser bedient, die Regierung orientiert sich nämlich an seinem langfristigen Wohlergehen. Und wo stehen Sie selbst politisch? Wählen Sie stets SVP? Martullo: Ja, je länger je exklusiver. Parteimitglied sind Sie aber nicht? Martullo: Nein. Blocher: Ich begreife das. Meine Kinder denken in den Grundsätzen gleich: Sie sind für eine freiheitliche und unabhängige Schweiz. Aber sie engagieren sich parteipolitisch nicht. Das wäre für sie auch schwierig, weil man sie nicht als eigenständige Personen wahrnehmen würde, sondern immer als Kinder von Christoph Blocher. Könnten Sie, Frau Martullo, sich vorstellen, irgendwann wie Ihr Vater in die Politik einzusteigen? Martullo: In gleichem Ausmass? Nein. Ihr Nein zum Einstieg in die Politik scheint aber nicht definitiv zu sein. Jedenfalls hängten Sie auch schon den Nachsatz an: «Ausser ich muss.» Wie darf man dies verstehen? Martullo: Wenn es für die Schweiz notwendig und sinnvoll ist. Ich müsste schon eine gewisse Zuversicht haben, etwas zum Vorteil der Schweiz bewegen zu können. Herr Blocher, hätte Ihre Tochter das Zeug zur Politikerin? Blocher: Sie hat sicher eine starke Meinung und eine gute Grundhaltung – und auch Durchsetzungsvermögen. Sie führt aber bereits ein grosses, internationales Unternehmen und hat eine noch junge Familie. Ich kann nachvollziehen, dass es sie zur Zeit nicht in die Politik zieht. Kommt dazu, dass die eidgenössischen Räte derart bürokratisch geworden sind, dass ich mich selbst manchmal frage, was ich dort noch bewirken kann. War es ein Fehler, nach 24 Jahren Nationalrat und 4 Jahren Bundesrat nochmals ins Parlament zurückzukehren? Blocher: Ich weiss es noch nicht. Aber ich merke, dass der Anteil an Berufspolitikern nochmals massiv zugenommen hat. Heute sind diese in der Mehrheit, was auch mit den zu hohen Entschädigungen zu tun hat. Nun geht es im Nationalrat steriler zu und her. Aber die Legislatur machen Sie noch fertig? Blocher: Ja, ja, selbstverständlich. Sie fürchten offenbar den sogenannten Blair-Effekt. Was verstehen Sie darunter? Blocher: Plötzlich hat man genug von Politikern, die lange etwas zu sagen hatten – vor allem auch in den eigenen Reihen. Tony Blair machte eigentlich nichts Schlechtes. Allein wegen des Irakeinsatzes musste er nicht gehen. Man hatte einfach genug von ihm, wollte einen Wechsel. Das könnte Ihnen auch passieren? Blocher: Natürlich. Aber vielleicht gehe ich vorher. Ich politisiere ja nicht für mich, sondern für die Schweiz. Damit sie gesund bleibt. Sie haben einen Auftrag? Blocher: Ja. Von wem denn? Blocher: Von den Wählern. Aber diese haben Sie ja nicht gezwungen zu kandidieren. Irgend etwas treibt Sie an. Was? Blocher: Natürlich habe ich eine eigene Verpflichtung für die Schweiz. Ich sehe: Ich bin noch einer der wenigen, die unabhängig politisieren können. Ich bin weder vom Staat, der Presse, noch von einem Amt abhängig. Wer ausser mir hätte sonst erfolgreich gegen den Blender Philipp Hildebrand vorgehen können? Niemand. Da sage ich mir: Wenn du schon diesen Vorteil hast, musst du ihn auch nutzen. Gott spielt da keine Rolle? Blocher: Sie und ich stehen beide unter der Gnade Gottes. Ich habe ein gesundes Gottvertrauen. Aber ich bin kein Frömmler. Ich versuche einfach, das Richtige zu tun. ZUM ORT Christoph Blocher und seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher wählten für dieses Gespräch die Büros der EMS-Gruppenleitung in Herrliberg. Sie befinden sich direkt unterhalb der Villa von Christoph Blocher und sind heute Magdalena Martullos Arbeitsort. Vor seiner Wahl in den Bundesrat wirkte hier Christoph Blocher als Konzernchef der Ems-Chemie. Um keine Zeit mehr fürs Pendeln zu verlieren, hatte er sein Büro von Zürich nach Herrliberg gezügelt. Das war 2001. „Zwei Jahre später arbeitete ich dann in Bern“, scherzt Blocher. Seine Tochter übernahm mit der EMS-CHEMIE auch die repräsentativen Räumlichkeiten an der Zürcher Goldküste mit Blick bis in die Berner Alpen - und behielt sie auch nach Christoph Blochers Abwahl als Bundesrat. Er selber bezog bescheidenere Büros in Männedorf. (is.)

24.07.2012

Warum Christoph Blocher den Rockmusiker Chris von Rohr ins Bundeshaus holt

Artikel in der Basler Zeitung vom 24. Juli 2012 mit Martin Furrer