01.12.1997
5 Jahre nach dem EWR-Nein
Artikel vom Dezember 1997
von Dr. Christoph Blocher
Am 6. Dezember 1992 - also vor 5 Jahren - haben Volk und Stände den EWR-Vertrag mit einer Stimmbeteiligung von 78,3 % - der höchsten seit 1947 - abgelehnt. Damit hat sich die Schweiz in eindrücklicher Weise für die Freiheit, die Selbstbestimmung, die Neutralität und die direkte Demokratie entschieden.
Der EWR-Vertrag wurde von den Regierungen aller Staaten, die ihn unterzeichnet hatten, mangels Mitentscheidungs- bzw. Vetorecht, als eine vorübergehende Lösung bis zum EG-/ EU-Beitritt genehmigt. Ein EWR-Vertrag auf Dauer - als typischer Kolonialvertrag - wäre für die Länder unzumutbar gewesen. Folgerichtig reichte der schweizerische Bundesrat nach Unterzeichnung des Vertrages am 20. Mai 1992 das EG-Beitrittsgesuch ein.
Die SVP auf der Seite der Freiheit
Als einzige Regierungspartei hat die SVP, deren Exponenten im Abstimmungskampf eine führende Rolle übernommen hatten, die EWR-Vorlage bekämpft. Eine Lagebeurteilung zeigt heute, dass die Schweiz gut entschieden hat. Die Freiheit, Unabhängigkeit, Neutralität, Handlungsfreiheit, aber auch der Wohlstand konnten gewahrt werden. Ein Vergleich - namentlich mit den EU-Staaten - zeigt, dass es den Schweizerinnen und Schweizern auch 5 Jahre nach dem EWR-Nein wesentlich besser geht als den Bürgern in den EU-Staaten.
Prophezeiungen der EU-Befürworter als Fehlprognosen entlarvt
5 Jahre nach dem EWR-Nein dürfen wir feststellen, dass sich die Drohungen und Voraussagen der EU-Befürworter als falsch erwiesen haben. Angesichts der heutigen Tatsachen fragt man sich, wie fast die ganze classe politique, zahlreiche Hochschulinstitute, volkswirtschaftliche Berater von Banken, Grosskonzernen, Manager (vor allem schlecht geführter Unternehmen) und zahlreiche Professoren zu solch gigantischen Fehlprognosen Hand bieten konnten.
So wurde damals vorausgesagt, die Ablehnung des EWR führe zu einer Abwanderung von Schweizer Firmen in die EU und zu einem Investitionsverlust ausländischer Firmen in der Schweiz. Tatsächlich ist das Gegenteil eingetreten. So wurde zwischen 1993 und 1996 aus dem Ausland durchschnittlich pro Jahr mit 2,45 Milliarden Franken, d.h. 308 % mehr investiert als 1992.
Weiter wurde behauptet, das Vertrauen in den Schweizerfranken werde sinken, was zwangsläufig zu einer schwachen Währung, hohen Schuldzinsen und hoher Inflation führe. Heute dürfen wir feststellen: Das Vertrauen in den Franken ist durch die EWR-Ablehnung gewachsen und das Problem der vergangenen Jahre war nicht die Schwäche, sondern die Stärke unserer Währung. Die Schweiz ist wieder zur Zinsinsel geworden. Die Zinsen liegen 2 - 3 % unter denjenigen der besten europäischen Länder. (Man beachte, was 2 % höhere Hypothekarzinsen für die Landwirtschaft, die Hauseigentümer, die Mieter, für die investierende Industrie zur Folge hätten? Beispielsweise bedeuten 2 % Hypothekarzinserhöhung rund 30 % höhere Mietzinsen und ein erhebliches Inflationspotential.) Aber nicht nur die Währung und die Zinsen haben sich durch die Ablehnung des EWR-Vertrages gebessert, auch die Inflation ist in der Schweiz die Niedrigste.
So wurde von offizieller Seite ein Rückgang der Exporte und der Einkommen vorausgesagt. Doch auch hier hat man sich getäuscht: Trotz gesamteuropäischer schwerer Rezession, die in der Schweiz auch durch die schwerste Bau- und Immobilienkrise der Nachkriegsjahre verschärft worden ist, erhöhten sich die Exporte von 1992 - 1996 um 7 %, die Arbeitnehmereinkommen um 4,6 % und das Geschäftseinkommen für Selbständigerwerbende um 4,4 %. Die Löhne in der Schweiz liegen auch 1997 weltweit an der Spitze und 5 Jahre nach dem EWR-Nein um 98 % über dem Durchschnitt der Europäischen Union.
Zur künftigen Arbeit der SVP
5 Jahre nach dem EWR-Nein darf man den Entscheid vom 6. Dezember 1992 dankbar zur Kenntnis nehmen. Die SVP darf stolz sein auf ihren damaligen Entscheid. Aber auf diesem positiven Volksentscheid auszuruhen, nützt nichts. Der Bundesrat und die Mehrheit des Parlamentes haben bereits 1993 - in grober Missachtung des Volkswillens - den Beitritt zur Europäischen Union zum strategischen Ziel schweizerischer Aussenpolitik erhoben. An diesem Sachverhalt muss die aktuelle Aussenpolitik gemessen werden. Diese ist denn auch widersprüchlich, kleinmütig und zum Nachteil der Schweiz. Man bedenke:
Ein EU-Beitritt schränkt das höchste Staatsgut - die Freiheit - umfassend ein. Für die Schweizerinnen und Schweizer bedeutet eine EU-Integration:
- die Abtretung der politischen Macht an die Regierungen in Bern und Brüssel
- das Ende der tatsächlichen direkten Demokratie
- den Verzicht auf eine eigenständige Aussen- und Sicherheitspolitik
- den Verzicht der Neutralität
- EU-Machtpolitik anstelle Schweizer Selbstbestimmung
- Einschränkung der Handlungsfreiheit
- Anheizung der Arbeitslosigkeit
- Reduktion des Wohlstandes
- Lohneinbussen
- höhere Schuldzinsen
- höhere Hypothekarzinsen und Mieten
- ruinöse Situation in der Landwirtschaft
- zusätzliche und höhere Steuern
- Heraufsetzung der Mehrwertsteuer von 6,5 % auf mindestens 15 %
- Verzicht auf den Schweizerfranken und Verlust von Volkseinkommen
- Aufhebung der Grenzkontrollen und der nationalen Einwanderungspolitik
- mehr Kriminalität
Auftrag für die SVP
Die Missachtung des EWR-Neins durch die offizielle Schweiz und die eingeschlagene Integrationspolitik der Regierung und der classe politique sind mit aller Vehemenz zurückzuweisen. Unabhängigkeit, Freiheit, direkte Demokratie, Neutralität und die Wohlfahrt des Volkes sind zu hohe Güter, als dass man leichtfertig über sie hinweggehen könnte. Für sie muss ohne Kompromisse gekämpft werden.
Die politische Freiheit erhalten, heisst gleichzeitig auch die wirtschaftliche Freiheit sichern. Angesichts der Machtgelüste und "Ämtlihungrigkeit" zahlreicher Politiker und Verbandsvertreter sowie der Tatsache, dass der fehlende EU-Beitritt für unfähige Manager als Ausrede für schlechte Ergebnisse willkommen ist, wird der Kampf für die Freiheit kein einfacher sein. Doch er lohnt sich.
31.05.1997
Rededuell um die europäische Integration mit FDP-Nationalrat Peter Tschopp, Genf
Auftritt bei der Europäischen Bewegung der Schweiz vom 31. Mai 1997 in Bern
Bericht eines Besuchers
An einem Hearing der Europäischen Bewegung Schweiz (EBS) in Bern kreuzten die beiden Nationalräte Christoph Blocher (SVP) und Peter Tschopp (FDP) die Klingen. Christoph Blocher votierte überlegen für die Souveränität der Schweiz und gegen eine Hau-ruck-Taktik - hin in die EU.
Dass die Schweiz die Zukunft im Alleingang meistert, zieht auch der EU-Befürworter und Genfer Nationalrat Peter Tschopp nicht in Zweifel, wie er am Hearing in Bern deutlich machte. Er plädierte vor den rund 300 ZuhörerInnen dennoch für einen raschen Beitritt zur Europäischen Union und betonte, die Schweiz müsse als föderalistisches Staatsgebilde beim Aufbau mitgestalten und mitmachen. Sie bringe eine Fülle an Wissen und Erfahrung mit und könne die EU als föderalistisches Gebilde positiv unterstützen. Weder in kultureller, wirtschafts- und bildungspolitischer Hinsicht sei es verantwortbar sich im Herzen Europas abzuschotten. Die Schweiz müsse dort mitmachen, wo über seine Zukunft mitentschieden werde, sonst verliere sie an Ansehen und Glaubwürdigkeit.
Christoph Blocher liess in seinen Voten keinen Zweifel darob offen, dass er sich nicht mit Leib und Seele als Europäer fühlt. Er warnte jedoch davor, Europa mit der EU gleichzusetzen. Ein solcher Vergleich sei arrogant und zeuge von Machtdenken. Es sei keineswegs so, dass souveräne europäische Staaten wie Italien oder Spanien sang- und klanglos bereit seien, ihre Eigenheiten aufgrund eines Diktates aus Brüssel preiszugeben.
"Wagen wir doch einen Wettbewerb"
Blocher warnte diesbezüglich auch vor der Blauäugigkeit gewisser Beitrittsbefürworter und warf die Frage auf, ob in der EU eine demokratische Souveränität wie sie in der Schweiz existiert, überhaupt gefragt sei. "In Brüssel besteht kein Interesse daran, ein Gebilde wie die Schweiz aufzubauen", wog Blocher ab.
Tatsächlich sei es nämlich so, dass das EU-Gebilde mit seinen verschiedenartigen Mitgliedstaaten nur zentralistisch regiert bestehen könne. Deshalb passe die Schweiz als föderalistisches Gebilde gar nicht in die EU. "Wagen wir doch einen Wettbewerb zwischen zwei Systemen, dem EU-Zentralismus und dem Schweizer Föderalismus!"
Die Schweiz könne sich bei den bilateralen Verhandlungen ruhig Zeit lassen. Den grössten Fehler, den die schweizerischen Unterhändler im Rahmen der bilateralen Verhandlungen bis anhin gemacht hätten, sei gewesen, dass sie offen bekannt hätten, unter Zeitdruck zu stehen. Wer so zu Verhandlungen anreise, stehe im Voraus als Verlierer da. "Die EU-Verhandlungspartner können einfach warten, bis die Zeit der Unterhändler abgelaufen ist und dann ihre Bedingungen stellen."
Von der Strasse auf die Schiene
Es sei gar nicht so schlimm, wenn die jüngsten Verhandlungen über die Transitgebühren gescheitert seien. Der Bundesrat habe jetzt Zeit, seine Rolle neu zu überdenken. Klar sei, dass die Aufgabe der Schweiz nicht darin bestehe, der EU den Nord-Süd-Verkehr in Europa zu subventionieren. "Das Schweizervolk hat sich anders entschieden: Es will den Güterverkehr von der Strasse auf die Schiene verlegen und nicht umgekehrt." Wenn der Preis für den Transitverkehr zu tief angesetzt sei, so seien Transportunternehmen ohne Motivation, die Güter auf den Schienen zu befördern. Dies liege nicht im Interesse des Schweizervolkes.
Peter Tschopp will sich zusammen mit der EBS für eine Bahnsubvention der Schweiz in Höhe von rund 100 Mio. Franken für eine Umlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene einsetzen und ist der Meinung, die Alpenintiative könne damit umgesetzt werden.
Blocher winkte ab. 100 Mio. Franken seien für ihn keinen Pappenstiel. Es liege nicht an der Schweiz, Konzessionen zu machen. Weiter warnte er mit sachlichen Argumenten vor Schwarzmalerei und führte unter anderem ins Feld, die Negativprognosen der EU-Befürworter seien weder in den Bereichen Bildung, Wirtschaft und Kultur eingetroffen. Im Gegenteil: Die wichtigsten Verträge seien bereits erfolgreich ausgehandelt.
Blocher nannte Beispiele: Die jüngsten Zahlen aus dem Bildungsbereich zeigten eindeutig, dass aufgrund des ausgehandelten Programmes etwa an den Universitäten ein reger Austausch zwischen Schweizer und Studenten aus EU-Staaten stattfinde. Dieses Austauschprogramm funktioniere bestens.
Ihre Uhr ist stehen geblieben!
Die Europäische Bewegung der Schweiz hatte am Samstag vormittag eine Resolution zu den bilateralen Verhandlungen verabschiedet und sie unter den Titel "Genug der Rappenspalterei - es ist fünf vor zwölf" gesetzt. Darin bringt sie unter anderem ihre Sorge über "die unklare Situation, die seit der Verschiebung des Verkehrsministerrates entstanden ist." Die EBS fordert in ihrer Resolution alle ihr nahestehenden ParlamentarierInnen dazu auf, eine Erklärung des Bundespräsidenten vor der Vereinigten Bundesversammlung in der dritten Sessionswoche zu erwirken.
"Weshalb sind Sie so nervös?" rief Blocher in die Runde als er auf den Inhalt der Resolution zu sprechen kam: "Lassen wir uns doch Zeit." Die Diskussion um die europäische Integration dürfe nicht nur mit dem Kopf sondern müsse auch aus dem Bauch heraus und mit Leidenschaft geführt werden. Durch einen so geführten Entscheidungsfindungsprozess könne die Schweiz nur profitieren.
Es bestehe kein Grund zur Panik: Die EBS habe bereits vor sechs Jahren gemahnt, für die Schweiz sei es in Bezug auf die europäische Integration fünf vor zwölf. Heute, sechs Jahre später, sagten sie immer noch, es sei fünf vor zwölf. Und in zehn Jahren werde die EBS immer noch sagen, es sei jetzt fünf vor zwölf, wagte Blocher eine Prognose. "Offenbar ist Ihre Uhr stehen geblieben, meine Damen und Herren!"