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Economy

23.12.2000

Axantis ist kein befristetes Engagement

Interview mit der Solothurner Zeitung vom 23. Dezember 2000 Christoph Blocher will mit Mehrheitsübernahme des Luterbacher Unternehmens neue Märkte erschliessen Die geplante Übernahme der Axantis-Mehrheit soll der Ems-Gruppe von Christoph Blocher neue Anwendungsgebiete erschliessen. Er kündigte ein längerfristiges Engagement in Luterbach an. Autor: Mit Christoph Blocher sprach Hansjörg Ryser Sie waren heute bei Axantis in Luterbach. Welches Weihnachtsgeschenk haben Sie der Belegschaft überbracht? Christoph Blocher: Wir sind ja noch nicht Eigentümer von Axantis. Wir haben lediglich erst ein Angebot gemacht, die Mehrheit zu übernehmen und die Firma zu führen. Weil die Mitarbeiter vor allem viel über Aktien, Aktienkäufe und Quoten gehört haben, war es mir ein Anliegen, ihnen zu sagen, aus welchen Gründen wir Axantis übernehmen, und was wir machen wollen. Vor einem Jahr wurden die Mitarbeiter über bevorstehende Änderungen informiert, von denen die Arbeitsplätze jedoch nicht betroffen sein würden. Waren Sie bereits der Grund für diese Ankündigung? Blocher: Vor einem Jahr noch nicht. Wahrscheinlich war damit die Produktionsumstellung gemeint. Axantis stösst ja nun in neue Gebiete vor, was ich grundsätzlich richtig finde. Sie sind ja nun ebenfalls wie wir im Gebiet der polymeren Werkstoffe tätig. Damit das Unternehmen in diese Richtung vorwärts gebracht werden kann, braucht es eine klare Mehrheit. Wir kamen aber erst vor drei Wochen dazu, als die Übernahmeangebote der Firma Model zur Diskussion standen. Der Verwaltungsrat hat Kontakt mit uns aufgenommen und wir erklärten uns bereit, mit einem guten industriellen Konzept voranzugehen. Zehn Jahre sind inzwischen vergangen. Wieso haben Sie nicht schon früher zugeschlagen und das Unternehmen wesentlich billiger über die Börse aufgekauft? Blocher: Ich wollte keine unfreundliche Übernahme machen. Heute sind der Wille für die neue Strategie und das Interesse an unserer Übernahme vorhanden. Was haben Sie heute in Luterbach vorgefunden? Blocher: Die neuen Anlagen sind eindrücklich. Da wurde viel investiert. Auch ist der Wille für die Umstellung von der Zellulose in die Spezial-Zellulose vorhanden. Ich sehe auch eine gute Zukunft für polymere Werkstoffe auf der Basis von Zellulose. Das lässt sich aber nicht über Nacht realisieren. Was braucht mehr Zeit? Die Umstellung der Mitarbeiter oder der Märkte? Blocher: Zwei Sachen: Sie brauchen qualitativ hervorragende Produkte, aber vor allem auch grosse Anstrengungen in Marketing und Verkauf. Wie sind Sie in Luterbach empfangen worden? Blocher: Herzlich, erfreut. Die Stimmung ist gut. Ich habe mit den Leuten beim Apéro gesprochen und die Lehrlinge haben mir noch eine Uhr geschenkt. Sie freuen sich, dass nun eine Lösung kommt. So haben Sie der Solothurner SVP auch noch ein Weihnachtsgeschenk überbracht, welche nächstes Jahr Wahlkampf hat. Blocher: Wieso meinen Sie? 400 begeisterte SVP-Wähler. Blocher: (lacht) Das täte dem Kanton Solothurn vielleicht gut. SP und Gewerkschaften müssten Ihnen für die Rettung auch noch dankbar sein. Blocher: Ich bin nicht als Politiker aufgetreten, sondern als Industrieller. Zurück zur Übernahme. Wann haben Sie die 3,5 Prozent des Kapitals über die Börse gekauft? Blocher: Innerhalb von einer Woche, als ich Kontakt mit dem Verwaltungsrat hatte. Vorher hatten wir keine Aktien. Wir wollen die Führung und dafür brauchen wir die qualifizierte Mehrheit von 67 Prozent. Die 67 Prozent sind für Sie ja interessant. So erhalten Sie zum Preis von 380 Mio. Fr. ein Unternehmen mit einem Wert von 555 Mio.Franken. Blocher: 67 Prozent ist die unterste Grenze. Wenn uns alle angeboten werden, nehmen wir alle. Wir wollen aber niemanden, der uns noch in die Suppe spucken kann. Wie weit wird Axantis in die Ems-Gruppe integriert? Bleibt das Management bestehen? Blocher: Wir hatten noch keine Möglichkeit, die Führung zu beurteilen. Aber wir werden sehr stark von Ems aus führen, wie die anderen Unternehmen auch. Jedes Unternehmen ist jedoch ein eigenständiges Profitcenter. Axantis ist aber kein befristetes Engagement. Blocher: Nein, keinesfalls. Es braucht auch ein paar Jahre, bis die neue Strategie funktioniert. Es wird länger dauern, als von Axantis geplant. Ich spüre aber, dass man da was machen kann. Und Sie werden von den Erdölpreisen unabhängiger. Blocher: Nein, davon sind wir weniger direkt betroffen. Wir erschliessen aber neue Anwendungsgebiete, welche uns bisher verschlossen waren, etwa die Nahrungsmittelindustrie. Ist Axantis eine einmalige Gelegenheit oder ein erster Schritt eines Ausbaus von Ems durch Übernahmen? Blocher: Axantis passt in unsere Hauptstossrichtung der polymeren Werkstoffe und war eine Gelegenheit. In der Chemie gäbe es ja derzeit einige Gelegenheiten? Blocher: Ja, aber sie müssen zu uns passen, wir müssen sie führen können. Bei Axantis glauben wir, das zu können. Wie läufts bei Ems? Blocher: Wir schliessen das Jahr in unseren Erwartungen ab. Aber der Gewinn wird mindestens in Vorjahreshöhe ausfallen. Für das kommende Jahr sind wir verhalten optimistisch. Die Autoindustrie, wo 30 Prozent unsere Lieferungen hingehen, läuft schwächer. Andererseits haben wir viele neue, gute Produkte.

08.12.2000

«Jeder Führungskraft liegt doch die eigene Heimat am nächsten»

Christoph Blocher über den Axantis-Deal, seine Nachfolge und die von ihm befürchtete Rezession. Interview mit CASH vom 8. Dezember 2000 Chefstratege Christoph Blocher schwimmt wieder obenauf - als Unternehmer, nicht aber als Politiker. Relaxed geht er auf den Axantis-Deal ein und schildert, wie seine Nachfolge geregelt werden könnte. Er befürchtet, dass eine Rezession vor der Tür steht. Vom neuen SVP-Bundesrat Samuel Schmid distanziert er sich. Autor: Victor Weber, Marcel Odermatt Ist das nun ein verspätetes Geschenk zu Ihrem Geburtstag oder ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, das Sie sich da gemacht haben? Christoph Blocher: Nun, wenn Sie damit die Chance meinen, Axantis zu übernehmen, so wäre dies ein teures Geschenk. Zum 60. Geburtstag darfs ja wohl ein grosszügiges Geschenk sein. Blocher: Sagen wir es so: Gelingt der Plan, die ehemalige Attisholz zu übernehmen, geht ein alter Wunsch in Erfüllung. Schon zu Beginn der Neunzigerjahre versuchten wir, der damaligen Führung eine neue Strategie schmackhaft zu machen. Vergebens. Erst Jahre später ist eine neue Strategie verwirklicht worden. Jetzt könnten wir mit unserem Knowhow und mit unseren Managementkapazitäten helfen, den eingeleiteten Wandel zu vollenden, nämlich vom traditionellen Hersteller von Zellulose für die Papierindustrie hin zum spezialisierten Produzenten polymerer Werkstoffe auf der Basis von Zellulose. Wie kommen Sie darauf, von einem teuren Geschenk zu reden? Bei Ihrer Offerte gehen Sie von einem Firmenwert von 570 Millionen Franken aus. Da Axantis 400 Millionen an liquiden Mitteln besitzt, kommen Sie zum Schnäppchenpreis von netto 170 Millionen zu den modernsten Anlagen dieser Art in der Schweiz. Blocher: 170 Millionen Franken sind viel. Man muss bedenken, dass Axantis eben erst mit der Herstellung der neuen Produkte angefangen hat und dass in den nächsten drei Jahren noch Investitionen von insgesamt 50 Millionen nötig sind, um die Umstellungen auf Zellulosespezialitäten abzuschliessen. Zudem ist das Risiko des Scheiterns gross. So gross kann das Risiko nicht sein, sonst würden Sie als gewiefter Unternehmer keine Offerte unterbreiten. Blocher: Wenn es um neue Produkte geht, stehen die Chancen immer 50 zu 50. Kommt hinzu, dass es in der Regel doch immer länger geht und teurer wird, als ursprünglich angenommen. Der Substanzwert wird gross sein. Blocher: Was heisst da Substanzwert? Da sind die alten Anlagen ... ... und daneben die nagelneuen ... Blocher: Die sind aber erst angefahren worden und nur um die 100 Millionen Franken wert - vorausgesetzt, sie bringen das, was man von ihnen erwartet. Ein hoher Preis, ein hohes Risiko - warum sind Sie denn heute Morgen so gut gelaunt? Blocher: Wir Industrielle sind uns das Risiko gewohnt. Ohne Risiko keine Chance. Ich freue mich auf die schwierige Aufgabe. Sie müssten Daniel Model eigentlich dankbar sein. Erst sein feindlicher Versuch, Axantis einzusacken, hat für Sie eine günstige Konstellation geschaffen. Blocher: Vielleicht. Ich bin aber gezwungen, sein Angebot von 310 Franken pro Aktie auf 330 zu erhöhen. Ich bin ihm aber darob nicht bös. Das Gespräch zwischen uns verlief denn auch ruhig. War das ein abgekartetes Spiel zwischen Ihnen und Daniel Model, wie manche argwöhnen? Blocher: Nein. Ich habe ihn zu seiner Überraschung angerufen und unsere Strategie dargelegt. Wir sind dann schnell einig geworden. Ende September verpassten Sie der Ems-Gruppe eine neue Führungsstruktur und gliederten den Bereich Ems-Chemie in verschiedene Profitcenters auf. Das liess sich als Indiz für eine bevorstehende Weichenstellung deuten. Blocher: Damals war Attisholz noch kein Thema. Heute ist aber klar, dass alles etwas einfacher ist: Axantis kommt als zusätzlicher selbständiger Unternehmensbereich zur Ems-Gruppe hinzu - sofern wir die Mehrheit bekommen. Der Deal muss demnach sehr schnell abgewickelt worden sein. Blocher: Am Mittwoch vorletzter Woche trat Axantis-Präsident Guido Patroncini an mich heran und sagte, dass ein 10-Prozent-Paket zu haben sei. Wer wollte verkaufen? Blocher: Das weiss ich nicht. Auf jeden Fall bin ich so auf die Gelegenheit erst richtig aufmerksam geworden. Ich sagte ihm, dass ich nicht ein Paket, sondern die Mehrheit des Unternehmens übernehmen möchte. Ich würde aber erst handeln, wenn die Aussicht bestünde, eine Zweidrittelmehrheit zu erwerben - zumal ich überzeugt bin, dass wir für Axantis das bessere Konzept haben als Daniel Model, der zur ehemaligen Zwei-Pfeiler-Strategie zurückkehren wollte, also zu etwas, das Attisholz mit dem Verkauf des Hygienepapiergeschäftes - Hakle und Tela - abgestreift hatte. Am Freitag letzter Woche konnte ich dann von der Bank Julius Bär ein 10-Prozent-Paket kaufen. Könnte es sich dabei um das gleiche Paket gehandelt haben, das Sie zuerst ausgeschlagen haben? Blocher: Das kann ich nicht ausschliessen. Ihre Übernahmeofferte ist in den Medien sehr gut aufgenommen worden. Jetzt sind Sie geadelt worden, indem die Kommentatoren Sie zum weissen Ritter geschlagen haben, welcher der bedrängten Axantis zur Hilfe eilt. Blocher: Mal ist man weisser Ritter, dann plötzlich wieder schwarzer Ritter. Ich kann darum solche Etiketten nicht ernst nehmen. Anderseits macht die breite Zustimmung die Sache einfacher. Lonza hat in aller Stille eine ähnliche Reorganisation durchgeführt wie Ems. Sie sagen zwar, dass ein Zusammengehen von Lonza und Ems keinen Sinn ergeben würde. Doch sind Sie allenfalls an einzelnen Sparten von Lonza interessiert, etwa an den polymeren Zwischenprodukten und Additiven? Blocher: Nein, die kommen für uns nicht in Frage, da wir uns mit unseren polymeren Stoffen auf einer höheren Spezialisierungsstufe bewegen. Und die biochemischen Wirkstoffe? Blocher: Auch nicht. Axantis ist für uns auch darum interessant, weil sie in den Bereich der biochemischen Werkstoffe vordringen will, doch das ist etwas ganz anderes als biochemische Wirkstoffe für die Pharma. Haben Sie Ihre Nachfolge geregelt? Blocher: Meine älteste Tochter, Ökonomin und bei Rivella zur Marktingexpertin gereift, nimmt im Januar ihre Arbeit in der Ems-Gruppe auf. Mein Sohn hat Chemie studiert und sammelt nun nach seinem Doktorat bei McKinsey Erfahrungen. Eine Tochter ist als Lebensmittelingenieurin bereits in der Industrie tätig. Und die Jüngste studiert Ökonomie in St. Gallen. Doch Privilegien gibt es auch für meine älteste Tochter nicht. Sie wird sich wie alle anderen Mitarbeiter bewähren müssen. Bereits im letzten Sommer kündigten Sie an, dass Sie die Ems-Gruppe mit einem Kostentrimmprogramm und einem antizyklischen Investitionsverhalten auf die nächste Rezession vorbereiten wollen. Wie beurteilen Sie die Konjunkturlage heute? Blocher: Die Situation sieht nun noch schlechter aus, als ich sie damals einschätzte. Damals sagte ich, die nächste Krise komme nicht vor 2002/2003. Jetzt beurteile ich dies pessimistischer. Warum? Blocher: Die unerwartet hohen Ölpreise wirken sich negativ aus. Da sind Konjunktur-Frühwarnindikatoren wie die rückläufigen Autoverkäufe in den USA und das lahmende Textilgeschäft, die auf eine baldige Rezession hinweisen. Ihr Unternehmen ist also bereits für den kommenden Wirtschaftsrückgang vorbereitet? Blocher: Wir haben den Personalausbau weniger stark forciert, als nötig gewesen wäre. Ausserdem lancierten wir ein Kostensenkungsprogramm. Sehen Sie: Rechnen wir bei einer schweren Rezession mit einem Umsatzrückgang von 20 Prozent, müssen wir die Kosten ebenfalls um 15 bis 20 Prozent runterfahren können. Und Kostensenkungsprogramme müssen sinnvollerweise noch in der Hochkonjunktur-Phasen eingeleitet werden. Die können nicht auf einen Schlag realisiert werden. Wir befinden uns erst seit vier Jahren in einer Aufschwungphase. Und jetzt droht bereits wieder eine Rezession. Die USA dagegen erleben das zwölfte Jahr einer Hochkonjunktur. Was machen die Schweizer falsch? Blocher: Wir haben in den letzten Jahren die Staatsquote wie kein anderes Land erhöht. Und der Grossteil der neuen Steuern wie der CO2-Abgabe oder der LSVA kommen erst noch auf uns zu. Das lähmt unsere Wirtschaft. Und wie sieht das blochersche Wirtschaftsprogramm aus, um uns die nächste Rezession zu ersparen? Blocher: Die Staatsquote und die Steuern müssen gesenkt werden. Zudem sollten wir den ganzen Staatsinterventionismus minimieren. Und der Bund sollte alle seine Beteiligungen, wie die an der der Swisscom, sofort verkaufen. Was hat die Mehrheitsbeteiligung des Bundes mit einer sich anbahnenden Rezession zu tun? Blocher: In allen liberalisierten Märkten muss der Staat seine Betriebe in die Freiheit entlassen. Der Bund schränkt die unternehmerische Freiheit der Swisscom ein. Ausserdem wissen die Manager, dass bei einem Versagen ihrerseits der Bund helfen würde. Sie predigen wirtschaftlichen Liberalismus. Ihnen wäre es wohl auch egal, wenn die Swissair von einer ausländischen Gesellschaft übernommen würde. Blocher: Was die Schweiz braucht, sind gute Verkehrsverbindungen und gute Gesellschaften, die die Schweiz anfliegen. Ob das mit oder ohne Swissair passiert, ist eigentlich egal. Der Flughafen Zürich ist auch für ausländische Fluggesellschaften eine attraktive Destination. Doch gerade die Swissair wird als nationales Symbol empfunden. Kommt da der bekennende Patriot Blocher nicht in den Clinch mit seinen Wählern? Blocher: Seit zwanzig Jahren heisst es immer wieder, ich hätte Probleme mit meinen Wählern. Trotzdem erzielte ich im letzten Jahr das beste Resulat aller Nationalräte. Trotzdem: Unternehmen wie die SBB, die Swissair und die Post wirken auch identitätsstiftend. Blocher: Das stimmt. Obwohl die Swissair nicht mehr in Staatsbesitz ist, haben immer noch viele Schweizer das Gefühl, das sei "ihre" Fluggesellschaft. Eine privatisierte Post würde kaum Briefe in die entlegenen Regionen des Landes senden, oder doch nur zu massiv höheren Preisen. Blocher: Diesen Service public können wir uns leisten. Das ist kein Problem. Da sehe ich keinen Widerspruch zu meiner Haltung. Viele Schweizer Traditionsunternehmen wurden in den letzten Jahren ins Ausland verkauft, wie kürzlich Feldschlösschen an den dänischen Bierbrauer Carlsberg. Was machen Schweizer Manager falsch? Blocher: Feldschlösschen wurde ein Opfer des Bierkartells. Diese Firma war es sich nicht gewohnt, sich in einem hart umkämpften Markt durchzusetzen. Fliegt ein Kartell auf, kommt es zu Zusammenbrüchen. Das erlebten wir früher in der Uhrenindustrie und heute in der Strombranche. Ganz klar, dass aus kartellisierten Bereichen keine starken Managerpersönlichkeiten kommen können. Ich glaube aber nicht, dass Schweizer Manager schlechter sind als andere. Die Schweiz ist hoch industrialisiert, hat viele potente Firmen und braucht entsprechend viele Führungskräfte. Erleben wir im Moment in wirtschaftlicher Hinsicht den Ausverkauf der Heimat? Blocher: Nein. Alle ins Ausland verkauften Firmen haben weiterhin die Schweiz als Basis. Kein Manager gibt es zwar zu, aber jeder Führungskraft liegt doch die eigene Heimat am nächsten. Als Unternehmer argumentieren Sie in neoliberaler Art rein rational und gefühlskalt, als Politiker appellieren Sie ans Heimatgefühl und damit an die Solidarität. Zwei Seelen wohnen in Ihrer Brust. Blocher: Ich bin liberal. Im Beruf, der Wirtschaft und der Politik haben Gefühl und Emotionen viel Platz. Auch Nationalgefühl hat bei einer weltweit tätigen Firma Platz

24.06.2000

«Vielleicht ist alles falsch»

Ein Gespräch mit dem Zürcher Chemie-Unternehmer Dr. Christoph Blocher Tages-Anzeiger, Das Magazin Nr. 25 vom 24. Juni 2000 Von Roger Köppel Herr Blocher, Sie schuften und rackern für Ihr Unternehmen, die EMS-CHEMIE, und für Ihre Partei, die SVP. Sie haben Millionen verdient und beherrschen die Debatten. In der Politik gehen Sie bis zur körperlichen Erschöpfung ans Limit. Warum tun Sie sich das an? Christoph Blocher: In der Politik frage ich mich durchaus, weshalb ich mich immer wieder solchen Widerwärtigkeiten aussetze. Es ist ja nicht so, dass ich für einen sachlich begründeten Vorstoss wie die Umleitung des Nationalbankgoldes in die AHV Applaus bekäme. Je besser die Idee, desto grösser die Zahl der politischen Gegner. Aber: Je mehr Politiker mit dem Schwert drohen, desto sicherer bin ich, dass ich recht bekommen werde. Wieso ziehen Sie es immer wieder durch? Blocher: Nicht wegen, sondern trotz allem. Ich warte sehnsüchtig darauf, dass ich mich aus der Politik zurückziehen kann. Wenn ich nach Bern fahre, sage ich mir immer wieder: Wenn ich nur diese Politik nicht hätte. Trotzdem tue ich es. Sie wollen immer gewinnen. Das macht süchtig. Blocher: Ach wissen Sie, die Bilanz, die ich in der Politik einmal ziehen werde, ist ganz anders als die meiner Politikerkollegen. Für viele kommt es doch darauf an, dass sie stets bei den Gewinnern sind, dass sie etwas sind, dass sie auf ihren Erinnerungsfotos zeigen können, welchem Staatspräsidenten sie die Hand geschüttelt haben und nicht, dass sie etwas bewirken. Sie sagen: Schau da, diese Kutschenfahrt mit Chirac und hier diese schöne Militärparade. Ich frage anders, für einen Unternehmer vielleicht typisch: Was habe ich eigentlich geleistet? Ja, was eigentlich? Blocher: Vielleicht kann ich sagen, dass die Schweiz ohne mein Engagement heute dem EWR angehören würde. Hätten wir ihn angenommen - davon bin ich überzeugt - ginge es unserem Land heute viel schlechter. Ich gab den entscheidenden Anstoss, um die Steuern zu senken, weil ich weiss, dass ein schlanker Staat für das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger besser ist. Sollte es uns gelingen, das überschüssige Nationalbankgold in die AHV einfliessen zu lassen und nicht in die Solidaritätsstiftung, die dann zur Grundlage für weitere Erpressungen würde, wäre das erfreulich. Macht es da etwas aus, wenn man mich im Kampf um diese Anliegen kübelweise mit Schmutz überschüttet? Würden Sie Ihre politische Karriere als Erfolg bezeichnen? Blocher: Was bedeutet Erfolg? Ein bisschen Geltung erlangen? Herumdudeln? Viel von sich reden machen? In der Politik erlangen Sie schnell Aufmerksamkeit. Obwohl das arrogant tönt, sage ich Ihnen, dass in der Politik häufig Flaschen anzutreffen sind, weil nicht an den Taten, sondern an den Worten gemessen wird. Es fehlt an Leistungsdruck, an Konkurrenz, an Wettbewerb der Leistung und an hohen Anforderungen. In der Wirtschaft treffe ich auf beeindruckendere Persönlichkeiten. Viele Politiker folgen dem Prinzip des Ehrentisches, sie wollen ein bisschen dabeisein, mitreden, abgebildet werden. Ob es ihnen wirklich um das Wohl des Landes geht, bezweifle ich in manchen Fällen. Immer wieder frage ich mich: Hatte ich eigentlich Erfolg in der Politik? Wenn ja, ist dieser überhaupt messbar? Wurde dank meiner Tätigkeit etwas gestaltet, verbessert, Unsinn verhindert? Vielleicht wäre die EWR-Abstimmung ohne mich viel deutlicher zuungunsten des Beitritts ausgefallen. Wer weiss das schon? Habe ich wirklich etwas bewirken, etwas schaffen können? Ich bin mir da nicht so sicher. Viele meiner Gegner sind darüber frustriert, sich dauernd den Schädel einzurennen. Bodenmann ist ins Wallis verschwunden, Frau Koch ist von der Bühne gesprungen, Ledergeber hat sich in die Stadtregierung zurückgezogen. Es kann schon ein sehr kräftezehrendes Geschäft sein, wenn man etwas bewirken will. Am publizistischen Seminar der Universität Zürich werden bereits Forschungsarbeiten gemacht, die Ihre immense Wirkung auf die Medien analysieren. Wie fühlt man sich als "Phänomen"? Blocher: Von "Phänomen" merke ich nichts. Die Belastung ist enorm. In letzter Zeit wurde ich im Zusammenhang mit den bilateralen Verträgen mit Briefen bombardiert, weil man meine Bedeutung wieder einmal masslos überschätzte. Diesen Leuten schreibe ich: Wenn das Wohl der Schweiz nur noch von mir abhängt, ist es schlecht bestellt. Sie wird auch ohne mich bestehen. Das klingt jetzt etwas depressiv. Blocher: Auch als Unternehmer bin ich manchmal verzweifelt - trotzdem mache ich es gern. Das gilt auch für die Politik. Ein bildlicher Vergleich: Es muss schrecklich sein, in den Krieg zu ziehen. Gehen wir doch einmal zurück ins Mittelalter, als man noch Kriegspferde hatte. Ich stelle mir vor: Jetzt ist Krieg, das ist schrecklich. Vielleicht muss ich töten oder werde getötet. Aber sitzt man erst einmal auf dem Ross und gibt diesem die Sporen, dann geht es los, vielleicht in freudigem Galopp. Es muss sein. Und Ihr Ur-Antrieb? Blocher: Diese Frage stellte ich mir nie. Ich habe dieses Land gern. Wenn ich ein Problem erkenne und das Gefühl habe, etwas machen zu müssen, dann mache ich es. Das liegt in meinem Naturell. Ich frage mich auch nicht, ob ich fähig bin, ich tue es einfach. Das war schon in der Kindheit so. Meine Mutter soll jeweils überall humoristisch gesagt haben: "Der Kleine muss immer alles anpacken, das wird wohl noch gefährlich mit ihm." Was ist das Geheimnis der Menschenführung? Blocher: Eines der faszinierendsten Themen, das ich kenne. Ich beschäftige mich laufend damit, denke nach, diskutiere, lese Bücher darüber. Zu welchen Schlüssen sind Sie gekommen? Blocher: Ein Unternehmer ist ein Pferd, ein Lasttier, das vorangeht. Er hat seinem Auftrag alles unterzuordnen: ein angenehmes Leben, Gesundheit, Geld und Familie. Das hören Ehefrauen nicht gern. Blocher: In diesem Punkt habe ich mit meiner Frau von Anfang an intensiv arbeiten müssen. Vor acht Jahren - als die Belastung als Unternehmer und Politiker besonders gross war - sagte ich ihr: Es wäre für Dich sicher angenehm, einen entspannten Ehemann zu haben, der abends gemütlich im Sessel sitzt. Du musst aber sehen: Erstens habe ich über 2'000 Mitarbeiter - Familien, die vom Unternehmen leben - und dann ist da die Schweiz. Wenn ich jetzt nicht dafür sorge, dass der EWR abgelehnt wird, dann sitzt das Land in der Tinte. Was gibt es da noch abzuwägen? Ein entspannter Ehemann gegen das Anliegen eines freien Landes, das Selbstbestimmung und Wohlfahrt der Schweiz sichert? Auch sie hat glücklicherweise dem Anliegen für eine freie Schweiz den Vorzug gegeben. Das muss Konflikte gegeben haben. Blocher: Aber sicher. Für viele haben Männer einen Heiligenschein, wenn sie den Wunsch ihrer Ehefrauen über alles stellen. Das muss man offen zur Sprache bringen, darf den Konflikt nicht scheuen. Die umfassende Harmonie ist nicht das höchste Glück der Ehe. Hätten Sie Ihre Familie dem Unternehmen geopfert? Blocher: Das habe ich mir mehrmals überlegt. Wenn es nur um die Annehmlichkeiten der Familie gegangen wäre, hätte ich dies getan. Eine Ehe muss solche Belastungen ertragen. Der Familie ist etwas zuzumuten. Aber entscheidend ist das Motiv. Wäre meine Frau plötzlich krank geworden, hätte ich andere Prioritäten gesetzt, weil die Familie mich dann gebraucht hätte. Was ist Ihre Führungsphilosophie? Blocher: Die Menschen direkt führen. Das Ziel, den Auftrag auf die Mitarbeiter übertragen, sie begeistern und mit gutem Vorbild vorangehen. Ich glaube, dass viele Managerschulen nur das Rationale erfassen und nicht das Wesen der Führung. Sie entwickeln Theorien - oft modische Tendenzen - die kommen und gehen, aber sie erfassen nicht, worauf es wirklich ankommt. Worauf kommt es an? Blocher: Die Mitarbeiter müssen spüren, dass es ernst gilt, dass der Chef seiner Aufgabe alles unterordnet. Man muss mit dem Irrationalen rechnen. Ich messe dem Irrationalen - in der Politik wie im Unternehmen - grosse Bedeutung bei. Je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass das Irrationale bei der Menschenführung die Hauptrolle spielt. Das Irrationale ist der Mensch, ein Bündel von Leidenschaften, die sich nur schwer berechnen lassen. Blocher: So sehe ich es. Im Vordergrund steht der Mensch, den man gern haben muss, um erfolgreich zu führen. Wir alle sind unvollkommen. Unvollkommene führen Unvollkommene. Als Führender muss man die Menschen gern haben, so wie sie sind und nicht, wie man sie am liebsten haben möchte. Erst wenn ich ihn gern habe, kann ich ihn verstehen. Erst wenn ich ihn verstehe, kann ich ihn führen. Das kann man eigentlich nicht lernen. Lernen kann man die Führungstechnik. Wie führen Sie? Blocher: Technisch - sei es im Unternehmen, in der Partei, der Politik oder im Militär - immer gleich: 1. Ich messe der Orientierung über meinen eigenen Auftrag, der Frage, worum es geht, grosse Bedeutung zu. So wird der Untergebene ernst genommen. Dann gebe ich meine Absicht und Ziele bekannt. 2. Ich gebe den Auftrag, verteile die Verantwortlichkeiten. 3. Ich weise auf besondere Probleme und Gefahren hin. Der Auftrag - der eigene und der, den ich erteile - steht im Mittelpunkt. Es gibt natürlich Kritiker, die mir deshalb einen militärischen Führungsstil andichten. Sie verwechseln Auftrag mit Kommando, haben nichts begriffen. Ich pflege eine militärische Führungstechnik, keinen militärischen Führungsstil, das ist ein grosser Unterschied. Mich beeindruckt die militärische Führungstechnik westlicher Armeen, die sich im Ernstfall während über 2000 Jahren bewährt hat. Im Militär geht es um Leben und Tod. Daraus kann man lernen. Welche militärischen Führer bewundern Sie? Blocher: Der englische General Fraser hat ein hochinteressantes Buch über den deutschen Feldmarschall Erwin Rommel geschrieben, den Wüstenfuchs, der im Zweiten Weltkrieg das deutsche Afrikakorps kommandierte und schliesslich von den Nazis ermordet wurde. Ursprünglich interessierte mich daran, was ein englischer General über den General einer ursprünglichen Feindesmacht schreibt. Die Lektüre wurde dann für mich zu einem Führungserlebnis. Fraser hat Rommels Führungsstil mit unglaublichem Respekt vor dessen Person analysiert. Fraser hat Rommel nicht verurteilt, obwohl er Deutscher war. Auch Rommels Gegenspieler, Feldmarschall Montgomery, der damals die englischen Panzerarmeen führte, verachtete Rommel nicht, im Gegenteil: Er brachte ihm grosse Sympathie entgegen und hatte ein Bild von ihm in seinem Panzer. Was haben Sie von Rommel gelernt? Blocher: Die Lektüre hat mich in einem entscheidenden Punkt bestätigt: Das Irrationale ist zentral. Rommel führte sehr irrational, missachtete und veränderte im Interesse des Auftrages sogar Befehle, erfasste Situationen intuitiv, ohne genau zu wissen, warum. Es gelang ihm, seine Soldaten selbst in ausweglosen Situationen zu begeistern, weil er sie gern hatte. Rommel liebte sogar den Feind und verlangte, dass die Gefangenen gut zu behandeln seien. Er war kein Moralist, der sich für etwas Besseres hielt. Und dann das Instinktive: wann angreifen, wo angreifen - aus dem Bauch heraus. Rommel war das Gegenteil von Montgomery, der alles durchkalkulierte und dem Deutschen gegenüber materialmässig im Vorteil war. Aber auch Montgomery schätze ich sehr. Sie waren im Vorgehen grundverschieden, in ihrer Einstellung aber Vorbilder. Rommel war ein Spezialist des Überraschungsangriffs. Er hat dann zugeschlagen, wenn es niemand erwartete. Blocher: Es war beeindruckend für mich, wie sich diese militärischen Erfolgsrezepte auf das Unternehmerische übertragen lassen. Ich habe ein anderes Büchlein gelesen, das mich in dieser Hinsicht prägte: den Bericht von Eisenhowers Stabschef über die Landung der Alliierten in Europa. Wieder haben sich die militärischen und unternehmerischen Führungsgrundsätze eins zu eins gedeckt: Konzentration der Kräfte, vermeide die Verzettelung. Ein Beispiel: Seit Jahren vertrete ich im Unternehmen die Auffassung, dass die Konzentration - nicht die Diversifikation - den Erfolg bringt. Was verstehen Sie darunter? Blocher: Schuster, bleib bei Deinem Leisten. Ist das nicht selbstverständlich? Wenn Sie wenig richtig machen, haben Sie Erfolg. Und wenn Sie alles oder zuviel machen, haben Sie keinen Erfolg, weil Sie sich verzetteln. Als Unternehmer muss ich mich fragen: Wo bin ich stark, was kann ich, wo bin ich schwach? Als ich die marode EMS vor siebzehn Jahren übernahm, habe ich die Schwächen ausgemerzt, mich wie im Militär auf die Stärken konzentriert: Wo bilde ich ein Schwergewicht? Wenn ich in der Führung kein Schwergewicht habe, mache ich überall etwas, aber nichts richtig. Interessanterweise wechselten viele Managerschulen, die in den 80er Jahren den Grundsatz der Diversifikation predigten, nun zum Prinzip der Konzentration. Natürlich erfand man dafür ein gewichtigeres Wort: Fokussierung. Wie finden Sie die Gewissheit, dass Sie richtig liegen? Blocher: Diese Gewissheit hat man nie. Ich handle intuitiv, tue etwas, weil ich es tun muss, kann mich oft nur auf mein Gefühl verlassen. Waren die Kampagnen der SVP Ausdruck solcher Spontaneingebungen? Blocher: Manchmal. Es gehört zum Schicksal intuitiver Menschen, dass Eingebungen hinterher zu einem gewaltigen Kater führen können. Realisiert man erst einmal, was man beschlossen hat, kommen tiefe Zweifel. Man fängt an, die Sache vernunftmässig zu analysieren. Man denkt nach, d.h. ja, man denkt "hinterher". Oft frage ich mich: Blocher, warum hast Du das beschlossen? Was bist Du für "en fräche Siech"? War das gut überlegt? Hadern Sie auch vorher? Blocher: Nein. Im Vorfeld bin ich ganz sicher, vollständig überzeugt. Aber nachher habe ich jeweils eine ganz schwere Woche, schlaflose Nächte, mache mir unglaubliche Vorwürfe. Das muss so sein. Man findet plötzlich alles falsch, wundert sich darüber, weshalb man genau das Gegenteil von dem tat, was die andern täten. Doch dieser Denkprozess ist wichtig. Er führt bei neuen Entscheiden intuitiv zu Gewissheiten. Welches war Ihre schwierigste Führungssituation? Blocher: Die Übernahme der EMS-Chemie vor siebzehn Jahren ohne Eigenkapital. Die Ausgangslage war verfahren: Die Firma war am Serbeln, der Eigentümer gestorben, die Kinder wollten verkaufen, hohe Verluste, niemand glaubte mehr an den Erfolg, vor der Türe stand ein amerikanisches Unternehmen, das kaufen wollte, um dann einen grossen Teil zu schliessen. Die Frage lautete: Was machen wir jetzt? Auf der Suche nach Käufern bin ich durch die halbe Schweiz gefahren. Niemand zeigte an einer derart schwer verschuldeten Firma Interesse, bis mir dann ein bedeutender Schweizer Industrieller sagte: Kaufen Sie sie doch selber! Wie sollte ich ohne Geld eine Firma kaufen? Immerhin ging es um über 20 Millionen. Wie haben Sie die Summe aufgetrieben? Blocher: Ich musste die Banken unter Druck setzen, drängte darauf, einen Kredit von über 20 Millionen zu bekommen. Die Banken konnten es sich nicht leisten, nein zu sagen, weil bei EMS 1'500 Arbeitsplätze auf dem Spiel standen. Ich selber warf meine ganze Existenz in die Waagschale, mein Haus, meinen Garten - alles gepfändet. Die Banken verboten mir sogar, eine Lebensversicherung abzuschliessen, worauf meine Frau rebellierte, das sei Wahnsinn. Was denn passiere, wenn mir etwas zustosse. Sie mit vier kleinen Kindern, 20 Millionen Franken Schulden und einem so schwer defizitären Unternehmen! Offenbar haben Sie sich wieder einmal durchgesetzt. Blocher: Ich riet ihr, ihr Erbe dann auszuschlagen und sagte: Diese Firma muss doch gerettet werden. Dann habe ich meinen Bruder Gerhard eingeladen. Wir brauchten einen Theologen, einen Aussenstehenden. Ich kann mich noch gut erinnern. Morgens um zwei Uhr sagte er: "So, Schluss jetzt, macht doch kein solches Theater. Wenn einer - nicht weil er es will, sondern weil er es muss - eine Firma übernimmt, passiert ihm auch nichts." Da wusste ich: Jetzt kann ich nicht mehr anders. Und es kam gut: Die Firma gerettet, keine Bank hat Geld verloren, vorläufig müsste meine Frau kein Erbe ausschlagen. Brauchen Sie das Chaos, um selber leistungsfähig zu sein? Blocher: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Veränderungen im Unternehmen, im Staat, beim Menschen selber nur in Krisen erzwingen lassen. Im Unternehmen gehe ich so weit, dass ich eine Krise schaffe, wenn ich keine habe. Dann ärgere ich mich zwar darüber, aber da muss ich durch. Wie gehen Sie mit Widerspruch um? Blocher: Ich pflege ihn bewusst. Selber oder durch die Verpflichtung von Leuten, die Ihnen widersprechen? Blocher: Beides. Wenn jemand einen Antrag einbringt, verpflichte ich jemand anderen, diesen zu zerzausen. Ich will sehen, wer die besseren Argumente hat. Wenn einer nach fünf Minuten nachgibt, hat er sich die Sache nicht gut genug überlegt. Das ist wieder das Pessimistische, das in allem Konservativen liegt: Bei mir schlummert in jedem Entscheid ein Fehlentscheid. Deshalb will ich die Schattenseiten kennen. Sie veranstalten Wortduelle. Blocher: Duelle von Argumenten schaffen das Klima für gute Entscheide. Deshalb ist der Tisch in meinem Sitzungszimmer so gross. Wir sitzen hier oft ganze Tage zusammen und streiten. Dabei können natürlich auch Gefühle verletzt werden. Es muss aber möglich sein, dass man in der Hitze des Gefechtes jemanden einen Trottel schimpfen, ein Argument als Unsinn bezeichnen kann. Es darf keine falschen Empfindlichkeiten geben. Man muss mit hochrotem Kopf sagen dürfen, was einem durch den Kopf geht. Dieses Prinzip hat sich bei Ihnen auch ins Politische übertragen. Blocher: Ja, aber die Lust am Widerspruch kommt vom Unternehmerischen her. Ich sage immer: Am schlimmsten ist es in Bern, wenn Einigkeit herrscht. Das ist dermassen absurd, dass ich mich oftmals querstelle. Ich begebe mich dann manchmal ans Pult, um diese gefährliche Harmonie, diese Selbstzufriedenheit zu stören und die Schattenseiten ans Tageslicht zu bringen. Man sagt Ihnen nach, Sie hätten in diesem Land die Politik polarisiert und brutalisiert. Blocher: Brutal ist höchstens die salonfähige Verlogenheit. Die schweizerische Politik leidet nicht unter zuviel, sondern unter zu wenig Polarisierung und Auseinandersetzung. Die direkte Demokratie bringt wenigstens noch ein gewisses Mass an Auseinandersetzung, im Parlament fehlt sie weitgehend. Ich betrachte es als grosse Stärke des Unternehmens, dass wir konfliktfähig sind, weil wir mit Krisen konfrontiert sind. Werden sie nicht bewältigt, stirbt das Unternehmen. Bis der Staat Krisen als solche erkennt, dauert es sehr lange. In Bern leben Verwaltungs-Abteilungen, obwohl sie schon lange tot sind. Es gibt Departemente, deren einzige Blutzufuhr in Salären besteht. Sie leben nicht mehr, weil sie keine Krisen hatten bzw. nicht wahrnahmen. Man hat versäumt, durch hervorgerufene Krisen Widerspruch zu erzeugen. Ihre Partei, die SVP, fällt nicht durch eine Ballung von Personen auf, die Ihnen Paroli bieten können. Haben Sie dort nur Ja-Sager? Blocher: Natürlich nicht. Aber gerade die, die nach aussen den Eindruck der anderen Meinung erwecken, bieten nicht Paroli. Wer leistet Ihnen denn jenen Widerstand, den Sie offensichtlich brauchen? Blocher: Im kleinen Kreis geht es hitzig zu, wird hart gestritten. Christoph Mörgeli beispielsweise ist im engen Rahmen - im guten Sinne - ein ganz giftiger Geselle. Diese Art der Meinungsfindung schätze ich sehr. Was die Auseinandersetzung zwischen der Zürcher und der Berner SVP anbelangt, so vermisse ich dabei, dass uns die Berner Kritiker nicht ebenbürtig die Stirn bieten. Sie haben keine Lösungen, melden sich anlässlich der Fraktionssitzungen kaum zu Wort. Kaum sind diese beendet, informieren sie die Presse darüber, dass sie nicht auf meiner Seite seien! Das ist ihre Schwäche, deshalb kommen sie nicht voran. Ich suche die Gegenmeinung, aber in der direkten Auseinandersetzung. Die Bilanz hat Ihnen vorgeworfen, Sie duldeten keinen Widerspruch. Blocher: Wenn entschieden ist, muss der Entscheid knallhart durchgezogen werden. Da bin ich unerbittlich. Aber für die Entscheidungsfindung suche ich den Widerspruch, provoziere ihn auch. In der Politik habe ich selbst dann widersprochen, wenn ich zunächst gar nicht anderer Meinung war. Das habe ich immer aus der Überzeugung heraus getan, dass es sich oftmals um eine Sackgasse handelt, wenn alle kopflos freudig hineinrennen. Mir liegt daran, die besseren Argumente aus meinen Gegnern herauszukitzeln. Die Intervention ist wichtiger als die Position, die vertreten wird? Blocher: Oft ist es so. Ich habe Persönlichkeiten gekannt, die nur aus dem Widerspruch, der Infragestellung herausführten. Das ist auch das Wesen der Entscheide. Entscheide sind das Resultat von Prozessen. Bei guten Entscheiden sind die meisten nicht ganz glücklich, aber wenn der Prozess der Infragestellung objektiv war, hat man am Schluss automatisch die am wenigsten schlechte Lösung. So führe ich. Sie sind ein Anhänger der direkten Demokratie, die langsam und bedächtig funktioniert, ein Klotz am Bein der Macher. Gleichzeitig sind Sie als Unternehmer ein Verfechter des Effizienzgedankens. Im "Magazin" hat Credit-Suisse-Chef Mühlemann dargelegt, die Politik müsse effizienter werden. Blocher: Er war für die Einschränkung der direkten Demokratie. Deshalb habe ich ihn kritisiert. Es kommt eben darauf an, was durch die direkte Demokratie gebremst wird. Ich bin bei allen politischen Prozessen, auch dort, wo es schnell gehen muss, für demokratische Mitwirkung. Die Verankerung von Entscheiden in der Bevölkerung ist wichtiger als Effizienz. Was Mühlemann angeht: Er meint, in Bern würden ausnahmslos hervorragende Entscheide getroffen, die man möglichst rasch umzusetzen habe. Dabei handelt es sich meistens um Eingriffe in die Freiheit der Bürger. Ich gehe noch weiter: zu grosse Effizienz im Staat führt zu Absolutismus. Taugen erfolgreiche Unternehmer überhaupt für Exekutivämter in der Politik? Blocher: Vielleicht noch weniger als Professoren, denen meistens jede Bodenhaftung fehlt. Unternehmer laufen Gefahr, sich schnell zu kleinen Königen zu entwickeln. Sie heben ab, sobald die Konkurrenz fehlt. Deshalb brauchen sie Widersacher. Sie hassen sie zwar wie die Pest, brauchen sie aber, weil sie sie auf den richtigen Weg treiben. Diese Einsicht bestimmt auch mein Verhältnis zu meinen politischen Gegnern - ich bin ihnen zutiefst dankbar. Woran erkennen Sie einen guten Mitarbeiter? Blocher: 50 % daran, ob er in der Lage ist, einen Auftrag vollständig auszuführen. Die anderen 50 % ergeben sich aus seiner Fähigkeit, den Chef durch gute Anträge zu führen. Ein guter Mitarbeiter fragt den Chef nie etwas. Wenn es in seinen Bereich gehört, handelt er. Wenn er nicht weiss, ob er handeln darf, handelt er. Wenn er sicher ist, dass der Chef handeln muss, dann sagt er ihm, wie zu handeln ist. Also entweder handelt er oder stellt dem Chef einen Antrag: "Wenn ich Sie - Chef - wäre, würde ich das Problem, das ich auf meiner Stufe nicht lösen kann, auf diese Weise angehen." So geraten Sie nicht in die Gefahr, dass die Leute zu Kopfnickern werden und gewinnen ausserdem enorm an Führungskraft. Ein Mitarbeiter sollte den Chef nie fragen? Blocher: Nie. Er versäumt die Führungskraft, statt selbst zu denken und Anträge zu unterbreiten. Er macht es sich einfach, indem er sagt: "He Chef, Sie sind doch viel schlauer als ich, sehen immer Lösungen - sicher haben Sie auch hier eine". Und schon gibt der geschmeichelte Vorgesetzte Antwort. Man muss den Mitarbeiter zwingen, einen Antrag zu stellen. Namentlich der Kopfnicker will ja immer nur herausfinden, was der Chef denkt, damit er nach dessen Vorstellungen handeln kann. Das praktizieren Sie so? Blocher: Fragen Sie meine Mitarbeiter. Immer wieder versuchen mir Journalisten bei Werkbesuchen in Domat/Ems das Gegenteil zu beweisen. Sie gehen meistens erstaunt nach Hause. Mein Modell erfordert auf allen Stufen selbständig denkende Leute. Es ist primär kein hierarchisches Modell. Ich will die Mitarbeiter zum Ehrgeiz erziehen, Ihren Chefs hervorragende Anträge vorzulegen. Dazu braucht es auch die richtigen Vorgesetzten. Die meisten haben es gar nicht gern, wenn ihnen einer der Angestellten sagt, wie sie zu entscheiden haben. Würden Sie sich als Realisten bezeichnen? Blocher: Sicher eher als meine Gegenspieler in Bern. Die glauben zum Beispiel, dass Politiker nie lügen. Sie glauben das nicht? Blocher: Realistischer wäre es, davon auszugehen, dass Politiker auch Gauner sein können. Nehmen Sie den Fall Kohl: Alle meinten, er sei ein Heiliger, nehme keine Spendengelder. Gerade bei einem solchen Machtpotential ist es realistischer, dies von Anfang an anzunehmen. Weil ich davon ausgehe, dass Politiker nicht plötzlich bessere Menschen sind, bin ich auch nicht so erstaunt, wenn einer seine Macht tatsächlich missbraucht. Die heuchlerische Entrüstung über den Fall Kohl in Bern war irritierend. Warum um Himmels willen soll ein Bundeskanzler nicht lügen? Er ist doch nur ein Mensch. Mit einer derartigen Naivität käme man in der Führung eines Unternehmens nicht weit. Man muss die Menschen realistisch, nicht idealistisch sehen. Hat Ihnen das Ihr Vater gesagt? Blocher: Mein Vater - ein Pfarrer - sagte: Du kannst im Leben mit allen Menschen verkehren: mit leisen, lauten, groben, gestrandeten, auch mit Gaunern. Bei einer Sorte aber musst Du aufpassen: bei den "Frommen". Nimm Dich in Acht vor den Süssen und den Heuchlern. Er erklärte diese Aussage theologisch: Die moralistischen "Frommen" neigen dazu, das Evangelium umzukehren. Wir leben davon, dass wir die Gnade Gottes haben, von oben nach unten. Die selbstgerechten Frommen sagen: "Wir sind gut, weil wir an ihn dort oben glauben. Ich bekenne mich zu Gott, folglich bin ich fehlerlos". Wenn ich im Geschäftsleben auf Süsse und Moralisten treffe, dann weiss ich, dass ich aufpassen muss. Süsse sind bessere Betrüger als Grobschlächtige. Welches sind neben Rommel Ihre grossen Vorbilder in der Führung? Blocher: In der Politik ist Churchill eines meiner Vorbilder. Er war ja nie der Heilige, als den man ihn heute sieht - äusserlich eher grob, aber mit gutem Motiv. Als die Alliierten Richtung Berlin fuhren sagte er zu den Generälen: "Komm', fahrt an Berlin vorbei, Ihr müsst den Vormarsch der Kommunisten stoppen. Berlin kann nicht das Ziel sein. Ihr müsst sie zurückdrängen, auch wenn es Euren Befehlen widerspricht." Wie recht er doch hatte. Diese Schlitzohrigkeit ist berechtigt, wenn das Motiv stimmt. Die Generäle befolgten aber ihren eigenen Befehl, nicht die Weisungen Churchills. Auch das war vorbildlich, aber vielleicht falsch. Macht es Ihnen zu schaffen, dass Sie selber nie in den Vereinigten Staaten studiert haben? Blocher: Ja, darunter habe ich immer gelitten. Hätte ich gehen können, wäre mir unternehmerisch wohl manches leichter gefallen. Aber es war damals nicht möglich, ich musste arbeiten, eine Familie ernähren. Was halten Sie für Ihre grösste Stärke? Blocher: Ich bin hartnäckiger als andere.

15.04.2000

Die Europa-Politik der SVP

Referat anlässlich der Delegiertenversammlung der SVP in Appenzell am 15. April 2000   Meine Damen und Herren In einer führenden Wirtschaftszeitung vom 8. April 2000 lese ich in einem Artikel unter dem Titel "Beschäftigungswunder Schweiz", dass der Schweiz punkto Beschäftigung und wirtschaftlicher Wohlfahrt der Spitzenplatz zukommt. Auch auf allen internationalen Ranglisten über die Wohlfahrt, über die wirtschaftliche Leistungskraft, über die politischen Freiheitsrechte, angefangen vom Lebensstandard des Einzelnen bis zur Lebensqualität allgemein, belegt unser Land einer der ersten Plätze. Diese Bilanz erfolgt gut sieben Jahre nachdem das Schweizervolk und die Kantone die Kraft hatten, den Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) abzulehnen. Der Souverän beschloss dies, obwohl dem Schweizer- volk von Bundesrat, der Mehrheit des Parlamentes, fast allen Verbänden, Gewerkschaften, Medien und allem, was Rang und Namen hatte - kurz von der "classe politique" - prophezeit worden war, die Schweiz würde bei Ablehnung des Vertrages wirtschaftlich ein Hinterwäldner-Dasein fristen. Das Nein zu einem Vertrag, der die Schweiz daran gehindert hätte, an ihrer Souveränität, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit festzuhalten, war schliesslich aber - einmal mehr - ein Erfolgsrezept für Freiheit und Wohlfahrt unserer Bürger. Dank dem Festhalten an den besonderen Staatssäulen steht der Kleinstaat Schweiz noch immer besser da als fast alle anderen Staaten. Was sind denn aber die Besonderheiten des Kleinstaates Schweiz? Ich habe diese Frage oft mit ausländischen Politikern, Industriellen, Oekonomen und Politologen erörtert. Bei aller Hinterfragung und Diskussion, bei aller kritischen Betrachtung kommt man immer zum gleichen Schluss: Es ist der Sonderfall Schweiz, um den man uns beneidet. Eigenartigerweise wissen ausländische Leute, die unser Land kennen, die Vorteile dieses Sonderfalles weit mehr zu schätzen als all die kleinmütigen schweizerischen Politiker, die glauben, das Heil bestehe darin, gleich zu sein wie die anderen und danach zu streben, alles, was uns unterscheidet, abzuschaffen. Der Sonderfall der Schweiz, das Geheimnis der Schweiz, beruht auf folgenden Säulen: - der Volkssouveränität (alle Macht geht vom Volk aus, d.h. Führung des Staates von unten) - der direkten Demokratie und damit der direkten Einflussnahme des Volkes auch in Sachgeschäften, was zur Machtbeschränkung der Politiker führt - dem Föderalismus mit seinem Wettbewerb unter Kantonen und unter Gemeinden, der ein bedeutendes Mittel gegen Zentralismus und zentrale Bürokratie darstellt - der dauernd bewaffneten Neutralität, die Grossmachtgelüste der "classe politique" verhindert, was zur Sicherheit des Landes führt - der Achtung und Freundschaft, die uns mit allen Staaten dieser Welt verbindet - dem Widerstand gegen die Einbindung in internationale Grossgebilde - der freiheitlichen Verfassung, die die Macht von Regierung und Parlament beschränkt - der Betonung der Selbstverantwortung und Freiheit des Bürgers Die Aussenpolitik - auch und gerade die Europapolitik - hat diesen zentralen Werten Rechnung zu tragen. Diesen Staatssäulen, die im Laufe vieler Jahrhunderte gewachsen sind und deshalb nicht als toter Buchstabe einer Verfassung betrachtet werden dürfen, verdankt die Schweiz nicht nur ein Mass an Freiheit und Wohlergehen, sondern auch die Tatsache, dass unser Land während 200 Jahren keine Kriege mit anderen Staaten führen musste. Tragischerweise werden diese Erfolgsgeheimnisse der Schweiz gerade von den führenden Leuten verkannt. Es gehört heute leider zum guten Ton, diese bewährten Erfolgsgeheimnisse für veraltet zu erklären und lächerlich zu machen. Die "classe politique" lähmte die eigenen Bürger in den letzten Jahren mit Selbstanklagen, ein auf diesem Erdball einzigartiger Vorfall. Es ist wohl das Ziel, die Bürger zu verunsichern, um sie für grosse, internationale Organisationen gefügig zu machen und ihre persönliche und wirtschaftliche Freiheit einzuschränken. Durch oberflächliches Nacheifern internationaler Aktivitäten will man sich beliebt machen und merkt nicht, dass dadurch in Wirklichkeit der Respekt verloren geht und man die Eigenständigkeit verliert. Die Schweiz in Europa Die Schweiz ist nicht nur mit allen Staaten der Welt, sondern insbesondere mit denjenigen Europas freundschaftlich verbunden. Die europäischen Staaten sind unsere wichtigsten Handelspartner, kulturell wie politisch unsere Nachbarn, und unsere Verbindungen zu den EU-Staaten sind zum Teil wesentlich enger als diejenigen unter den einzelnen EU-Staaten selbst. Eines aber hat die Schweiz nicht getan, nämlich sich einbinden lassen, und sie sollte es auch nie tun. Denn dies hätte dazu geführt, dass unsere Staatssäulen, welche die Stärke der Schweiz ausmachen, geschwächt oder abgerissen worden wären. Freundschaft in Freiheit statt Integration und Bevormundung! Deshalb tritt die SVP in ihrem Parteiprogramm gegen jede Einbindung in internationale Organisationen ein, die die Unabhängigkeit und Neutralität schwächen würde. In Bezug auf Europa heisst dies: - Nein zum EWR - Nein zum EU-Beitritt - Nein zum NATO-Beitritt - Ja zur Unabhängigkeit - Ja zu einer sicheren Zukunft in Freiheit Der EWR-Vertrag Der EWR-Vertrag ist nichts anderes als ein "Kolonialvertrag". Er sah vor, ganze Rechtsgebiete der Schweiz durch die Europäische Union zu regeln, ohne dass die Schweiz hätte mitentscheiden können. Der EWR-Vertrag hätte der Schweiz auch bei wichtigen Entscheidungen kein Vetorecht eingeräumt. Das hat auch der Bundesrat erkannt und deshalb konsequenterweise noch vor der EWR-Abstimmung erklärt, der EWR-Vertrag mache höchstens als Vorstufe zum EU-Beitritt Sinn und folglich das EU-Beitrittsgesuch eingereicht. Wie gross die EWR-Falle ist, können Sie in diesen Tagen in den Zeitungen lesen. So hat kürzlich der deutsche Finanzminister Eichel erklärt, im EWR dürfte es keine Steuerinseln geben, obwohl die Steuerfragen im EWR-Vertrag expressis verbis ausgeklammert sind. Der deutsche Finanzminister sprach damit Lichtenstein an. Die Schweiz als Kleinstaat hat sich bewusst zu sein, wie sehr in solchen Gebilden schlussendlich die Macht und weniger das Recht eine Rolle spielt. Ein Kleinstaat darf sich nicht einer Organisation anschliessen, in der Macht über Recht gesetzt wird, denn der Kleinstaat kann sich lediglich auf das Recht stützen. EU-Beitritt Der EU-Beitritt, den Bundesrat und Parlamentsmehrheit - in tragischer Verblendung - anstreben, hätte einen schwerwiegenden Souveränitätsverlust, namentlich einen Eingriff in die Volksrechte und die Abschaffung der Neutralität zur Folge - von den konkreten Nachteilen, wie beispielsweise den schwerwiegenden finanziellen Verpflichtungen, der Gestaltung der Steuern durch die EU, der Uebernahme der EU-Landwirtschaftspolitik, der Abschaffung des Bankgeheimnisses, der vollständigen Uebernahme der Verkehrspolitik bis zur Regelung und Vereinheitlichung im täglichen Leben gar nicht zu sprechen. Wie sehr auch hier mit der Macht gespielt wird, ersehen Sie aus dem unglaublichen Vorgehen der 14 EU-Staaten gegenüber dem Kleinstaat Oesterreich: Eine demokratisch gewählte Regierung wird unter fadenscheinigen moralischen Begründungen bedroht, boykottiert und ausgegrenzt. Dies hat sich der Kleinstaat Schweiz vor Augen zu führen. Auch hier gilt: Macht und Recht sind zwei Paar Schuhe. Der Weg der Macht ist oft einfacher als derjenige des Rechtes, aber nur letzterer steht dem Kleinstaat zur Verfügung. "Drum prüfe, wer sich ewig bindet!" Die SVP sagt deshalb schon in ihrem Parteiprogramm klar Nein zum EU-Beitritt. NATO-Beitritt Wir treten klar für die dauernd bewaffnete Neutralität ein. Die dauernd bewaffnete Neutralität ist einer der wesentlichen Gründe, der es unserem Land während 200 Jahren ermöglicht hat, sich aus all den Kriegen mit fremden Mächten fernzuhalten. Auch deshalb hat die SVP einen EU-Beitritt abzulehnen. Aber ebenso konsequent den Beitritt zur NATO. Bilaterale Verträge Meine Damen und Herren, die Schweiz ist gut damit gefahren, sich weltoffen zu verhalten, ohne sich in Machtstrukturen einbinden zu lassen. Weltoffenheit ohne Fesseln - das ist der richtige Weg. Er garantiert Handlungsfreiheit und verhindert, dass Machtübergriffe durch fälschlicherweise eingegangene Bindungen als rechtens erklärt werden. Die Probleme zwischen Staaten lösen wir mit Verträgen. Gerade mit den EU-Staaten und mit der EU selbst besteht eine Vielzahl von Verträgen, Abkommen, Regelungen, Absprachen usw. Man nennt das heute bilaterale Verträge, was nichts anderes heisst als zweiseitige Verträge. Um solche Verträge geht es heute. Bilaterale Verträge haben nicht die schwerwiegenden Folgen eines Kolonialvertrages wie des EWR, weil die EU-Staaten kein künftiges Recht für unser Land setzen, aber auch nicht die gravierenden Einbindungsfolgen in eine EU. Ob die Verträge gut oder schlecht sind, hat man am Inhalt zu prüfen. Es ist zu fragen, ob wir eine Verkehrs-, Personenfreizügigkeits-, Landwirtschafts-, Wirtschafts- oder andere Politik machen wollen, so wie dies die Verträge vorsehen. Eines steht fest: Bilaterale Verträge abzuschliessen, macht nur Sinn, wenn man der EU nicht beitreten will. Durch die Weigerung des Bundesrates, nach dem EWR-Nein vom erklärten Ziel des EU-Beitrittes Abstand zu nehmen, ist die Schweiz in ein schiefes Licht geraten. Was will der Bundesrat jetzt eigentlich? Will er in die EU oder will er nicht? Gibt es ein achtjähriges Moratorium, wie dies Bundesrat Couchepin ankündigte und dann unter Druck des Gesamtbundesrates zum Missverständnis erklären lassen musste? Warum zieht der Bundesrat das EU-Beitrittsgesuch nicht zurück? Es sind der Fragen viele und sie fördern die Glaubwürdigkeit in unsere Aussenpolitik nicht. Es ist eine grosse Tragik, dass der Bundesrat mit der EU bilaterale Verträge aushandelte und ihr gleichzeitig stets den Beitrittswillen bekundete. Damit fehlte es der Landesregierung an Kraft, der EU die Bedeutung der schweizerischen Souveränität und Neutralität glaubwürdig zu vermitteln. Und dadurch fehlte eben auch die Kraft, all den Nachteilen, welche die EU der Schweiz überbinden wollte, wirksam entgegenzutreten. Der Nichtrückzug des EU-Beitrittsgesuches nach der für die Regierung verlorenen EWR-Abstimmung war eine Schwächung der Schweiz. Darum hat die SVP diesen Rückzug stets gefordert. Ob Sie - meine Damen und Herren - diesen Vertragswerken zustimmen wollen oder nicht, haben sie heute frei zu entscheiden, was Sie - wäre die Schweiz Mitglied der EU - nicht tun könnten. Es geht heute nicht um die grosse Frage der Preisgabe von Souveränität und Neutralität, sondern darum, ob Sie die Politik, die diese Verträge unserem Land auferlegen, mit all ihren Vor- und Nachteilen akzeptieren wollen oder nicht. Ich verzichte darauf, die Vor- und Nachteile dieses Vertrages hier zu behandeln. Die Mehrheit unserer Fraktion hat zwar zu den Verträgen Ja gesagt, aber die Mehrheit der flankierenden Massnahmen abgelehnt. Ich persönlich lehne nicht nur die unbefriedigenden flankierenden Massnahmen, sondern auch die Verträge ab, weil sie meiner Meinung nach zu einer Schwächung des Wirtschaftsstandortes Schweiz und zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit führen sowie ein finanzielles Abenteuer bedeuten. Gleichzeitig habe ich aber auch erklärt, dass ich weder für ein Referendum noch für den Abstimmungskampf zur Verfügung stehe, weil bei weiteren Verhandlungen durch den Bundesrat, der in die EU will, kein besseres Resultat erzielt würde. Ich freue mich, dass Pro und Kontra dieser Verträge heute durch SVP-Delegierte behandelt werden. Die Behandlung hebt sich wohltuend vom Vorgehen der anderen Regierungsparteien ab. Dort wurden die Vor- und Nachteile nicht hinterfragt, sondern eine Zustimmung zelebriert, ganz so, als wären Parteitage Versammlungen von blökenden Schafen!

11.04.2000

Klarstellung zur Landwirtschaft

11. April 2000 Die schweizerische Landwirtschaftspolitik ist für die Schweiz, für die Allgemeinheit, von Bedeutung. Die Landwirtschaftspolitik hat folgende Ziele: - Bebauung des Landes, damit das Land nicht vergandet - Dezentrale Besiedlung des Landes - Landesversorgung sicherstellen   Für diese Leistung zum Allgemeinwohl muss der Bauer abgegolten werden. Direktzahlungen sind für die Abgeltung einer Leistung, die man zum Allgemeinwohl erbringt und nicht für die Einkommenssicherung. Direktzahlungen sind keine Sozialleistungen. Der Bauer ist kein Almosenempfänger. Er erbringt eine Leistung. Darum trete ich für die Direktzahlungen ein. Als Sozialleistung sind die Direktbeiträge des Bauern unwürdig!