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16.05.2011

Mindestlöhne bedeuten mehr Arbeitslose

Christoph Blocher und Tony Brunner im Interview mit dem «Sonntagsblick» Herr Blocher: Ja oder Nein – soll die Schweiz die Personenfreizügigkeit künden? Christoph Blocher: Nicht künden. Anpassen! Pro Jahr kommen über 60 000 Leute in die Schweiz, viel mehr, als vorausgesagt! Da platzt alles: Schulen, Strassen, Eisenbahnen, Wohnungen. Jetzt heisst es, wir müssen Hochhäuser bauen, damit alle Platz haben! Peter Spuhler sagt, wer die Personenfreizügigkeit kündigen wolle, treibe die Wirtschaft in die Hände der EU-Befürworter. Die Wirtschaft brauche die wirtschaftspolitische Öffnung. Blocher: Es ist für den Unternehmer Spuhler besser, wenn er aus 1000 Arbeiter  auslesen kann statt nur aus vier. Das anerkenne ich. Aber auch Peter Spuhler ist auf unserer Linie, er spricht bloss lieber von Anpassung. Sie riskieren das Ende der Bilateralen. Blocher: Ich glaube nicht. Wenn man richtig mit der EU verhandelt, werden die mit einer Anpassung einverstanden sein. Das Problem besteht ja in der ganzen EU. Es wären die gleichen Politiker und Beamten, die damals für das Abkommen gekämpft haben und jetzt nach Brüssel gehen müssten und sagen: Wir sind nicht mehr einverstanden. Blocher: Da haben Sie recht. Man lässt auch nicht den Metzgermeister ein vegetarisches Menü zusammenstellen. Deshalb muss die SVP Druck machen. Denn die in Bern merken nichts von den Missständen. Diese Woche kamen die Gewerkschaften und zeigten sich überrascht über den Lohndruck. Die haben schon vergessen, dass Christoph Blocher bei den Gewerkschaften war und warnte: Die Personenfreizügigkeit führt tendenziell zu einer Nivellierung der Löhne. Sie waren es doch, der im Abstimmungenskampf gegen flankierende Massnahmen zum Schutz der Löhne gewehrt hat. Blocher: Das ist dummes Zeug, was die Gewerkschaften jetzt fordern. Mindestlöhne bedeuten mehr Arbeitslose. Eine Putzfrau, die unter dem Mindestlohn arbeitet, würde nie mehr eine Stelle finden, weil sie zu teuer wäre. Das kann man in Deutschland sehen. Was soll denn an Gesamtarbeitsverträgen als Mittel gegen Lohndrückerei schlecht sein? Blocher: Ich hatte in meinen Unternehmen nie einen GAV. Aber ich handelte mit den Gewerkschaften für meinen Betrieb Verträge für die unteren Lohnklassen aus. GAV auf allen Gebieten aber hiesse Lohnnivellierung. Und das heisst immer das gleiche: Die Guten bekommen zu wenig und die Schlechten zuviel. Dennoch: Die SVP überlässt der SP das Thema Löhne. Ein Feld, das aufgrund der Ihrer Wählerschaft auch für Sie spannend ist. Tony Brunner: Da muss ich mich einschalten! Die SP war federführend bei der Aushandlung der Personenfreizügigkeit, denn sie will in die EU. Wenn sie das durchzieht, muss sie auch viel tiefere Löhne hinnehmen. Es ist schön, dass sich die SP auch anfängt, um die Migration zu kümmern. Nur sind ihre Vorschläge reine Symptombekämpfung. Das einzig Wirksame sind Neuverhandlungen. Was wollen Sie in Brüssel vorschlagen? Brunner: Auch die EU hat ein Interesse, die Personenfreizügigkeit besser auszugestalten. Niemand will, dass die Guten einfach in die reichen Staaten abwandern. Die Polen gehen nach Deutschland, die Deutschen kommen zu uns und wir bleiben zu Hause. In der Schweiz sollen Schweizer Vorrang haben. Alleine die Amag sucht im handwerklich-technischen Bereich 52 Mitarbeiter. Dieser Wirtschaftszweig ist doch heilfroh um die Personenfreizügigkeit. Blocher: Wir haben heute eine enorme Hochkonjunktur und trotzdem hohe Arbeitslosigkeitsraten von 3,5 Prozent. Das gab es früher nie – und dennoch findet die Amag keine Leute? Früher war die Regelung, dass man erst in der Schweiz suchen musste. Konnte man niemanden finden, erhielt man eine Bewilligung für einen Angestellten aus dem Ausland. Aber es gab nicht vom ersten Tag an eine Niederlassungsbewilligung wie heute. Und was macht die Amag mit den 52 Leuten, wenn in einem Jahr oder zwei Rezession ist? Früher gingen die Leute nach Hause, wenn es keine Arbeit mehr gab. Heute bleiben sie in unserem Sozialsystem hängen. Sie wollen das Rad der Zeit zurück in die 70er Jahre zurückdrehen. Blocher: Wir hatten bewährte Regelungen damals. Sie finden auch in Deutschland einen, der 52 Leute sucht, weil seine Angestellten in die Schweiz zogen. Die SVP nennt sich Wirtschaftspartei. Komischerweise hat die ganze Wirtschaft eine andere Meinung als sie. Blocher: Nicht alles, was ein Unternehmer toll findet, ist auch gute Wirtschaftspolitik. Kein einziger Wirtschatfsverband kämpfte 1992 mit uns gegen den EWR-Beitritt. Die gleichen Unternehmen, die damals für die EU waren, sagen uns heute: Hütet euch davor, in die EU zu gehen. Herr Brunner, Sie sprachen von einem Vorrang der Schweizer auf hiesigen dem Arbeitsmarkt. Wissen Sie, wer das zuerst gefordert hat? Brunner: Wer? Bundesrätin Calmy-Rey. Brunner: Aber sie hat das Gegenteil davon gemacht. Man soll sie an den Taten messen. Sie beide vermitteln immer den Eindruck, alle anderen wollten der Schweiz Schaden zufügen. Blocher: Die anderen Regierungsparteien wollen in die EU. Dort können sie die direkte Demokratie nicht brauchen. Wo die Politik lieber gar nichts tut, wehren sich die Leute mittels direkter Demokratie. Schauen sie die Verwahrungsinitiative an: Das war ein Hilfeschrei des Volkes. Und wie reagiert Bern? Es hiess: Man muss schauen, dass solche Initiativen nicht mehr möglich sind. Ähnliches geschah mit der  Minarett-Initiative. Brunner: Dabei müsste es dem Bundesrat und ganz Europa zu denken geben, dass ein freies Volk eine solche Initiative annimmt. Doch was geschah? Es wurde zum wiederholten Mal die Einschränkung des Initiativerechts gefordert! Und mit unserer Ausschaffungsinitative geschieht jetzt das gleiche. Da machen wir nicht mit. Es ist eine Schlaumeierei, die Volksentscheide werden nicht mehr geachtet. Mit der Ausschaffungs-Initiative konnte die SVP zum ersten Mal in ihrem Kernthema eine Initiative durchbringen. Ein Schlüsselmoment. Brunner: ja, aber in der Arbeitsgruppe von Bundesrätin Sommaruga zur Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative läuft alles verkehrt. Man beruft sich auf völkerrechtliche Bestimmungen, nicht auf den Initiativtext. Nun tauchen plötzlich Elemente aus dem Gegenvorschlag in den Beratungen auf. Aus jenem Gegenvorschlag, der in allen Kantonen abgelehnt worden ist! Wenn die Umsetzung der Initiative verwässert wird, lancieren wir unseren vorliegenden Gesetzesentwurf als neue Volksinitiative und lassen ihn in die Verfassung schreiben. Das ist eine nackte Drohung gegen die Arbeitsgruppe, welche die Initiative umsetzen muss. Brunner: Die haben umzusetzen, was das Volk mit einer satten Ja-Mehrheit beschlossen hat. Das ist nicht der Auftrag der SVP, das ist der Auftrag des Schweizer Volkes. Wenn die SVP mit dem Umsetzungsvorschlag aus dem Departement Sommaruga, der im Juni kommt, nicht einverstanden ist, werden wir unseren Gesetzestext zunächst vom Parlament oder vom Volk durchsetzen lassen. Simonetta Sommaruga arbeitet gerade an einer Reform des Asylwesens. Macht sie das gut? Brunner: Von Sommaruga kommt nur heisse Luft – sie ist eine Ankündigungsministerin. Das ist alles nur Stimmungsmache für die Wahlen. Das Asylverfahren will sie straffen, zugleich aber die Rechtsberatung jedes Asylbewerbers ausbauen. Dabei liegt dort das Problem! Da kann ich sie nicht für voll nehmen. Schlussendlich zeigen Frankreich und Italien, wie es geht: Man muss die Grenzen selber schützen. Blocher: Als Bundesrat hatte ich noch einen fixfertigen Bundesbeschluss vorgelegt zu den Dienstverweigerern aus Eritrea. Bis heute stellen sie eine der grössten Flüchtlingesgruppen. Jedoch: Sommaruga und Widmer-Schlumpf liessen den ferigen Beschluss liegen. Sie peilen einen Wähleranteil von 30 Prozent an. Tatsache ist: Sie geben sich keine Mühe, durch eine offenere Politik über diese 30 Prozent hinaus zu kommen. Blocher: Soll die SVP ein bisschen nachgeben, um mehr Stimmen zu holen? Das war der Anfang des Niedergangs der Freisinnigen. Die haben in den 70er Jahren gesagt, wir öffnen uns nach links, um mehr Stimmen zu holen. Heute können sie es niemandem mehr recht machen. Das wollen wir nicht. Brunner: Natürlich haben wir den Ehrgeiz, stärker zu werden. Aber alleine schon unseren Wähleranteil von rund 30 Prozent zu halten wird ein Hosenlupf. Deshalb fokussieren wir jetzt auf den Ständerat. Dort sind wir untervertreten, diese Kammer hat uns immer Probleme gemacht. Das nehmen wir Ihnen nicht ab, Herr Brunner. Blocher in Zürich, Baader in Basel: Fast aussichtslose Ständerats-Kandidaturen. Brunner: Blocher ohne Chancen? Die Zürcher werden merken, wer sie am besten vertritt.  Und die St.Galler werden mich in den Ständerat schicken. Und wenn nicht, werden wir das akzeptieren. Dann war das der Anfang eines längerfristigen Projekts. Wir müssen die Mehrheit im Ständerat kehren. Dort dominieren CVP und FDP, und leider sind beide Parteien extrem nach links gerutscht. Zum Schluss: Wieviel investieren Sie in den Wahlkampf? Peter Spuhler will 100'000 Franken ausgeben. Blocher: Das ist sehr wenig. Er dürfte ein bisschen mehr geben. Wieviel geben Sie, Herr Blocher? Blocher: Soviel, wie es noch braucht. Und Sie, Herr Brunner? Brunner: Wenn Christoph Blocher und ich unseren Beitrag zusammenlegen, gibt das sicher einen schönen Haufen.

16.05.2011

Die SVP ist nicht verheiratet mit der Kernenergie

Mein Streitgespräch mit Peter Bodenmann im «Sonntag» vom 15. Mai Herr Blocher, FDP und CVP sind am Zerfallen. Gefällt Ihnen das? Christoph Blocher: Nein. Leider sind FDP und CVP so stark nach links gerutscht, dass wir uns sogar in den wichtigsten Dossiers nicht mehr einigen können. Sie wollen doch die ganze Macht. Blocher: Wenn die anderen gute Politik machen, brauchen wir keine Macht. Die Linke gibt kein Gegensteuer mehr beim schleichenden EU-Beitritt und der überbordenden Zuwanderung. Herr Bodenmann, was bedeutet das? Peter Bodenmann: Wir haben drei relativ stabile Blöcke in der Schweiz: Einen rechtsnationalen, fremdenfeindlichen Pol, der dank Christoph Blocher stark geworden ist, eine brave Linke aus SP und Grünen und eine Mitte, die immer stärker zersplittert. Diese Zersplitterung hat zur Folge, dass das politische System der Schweiz nicht mehr handlungsfähig ist. Links ist die SP zu wenig stark, um Projekte durchzusetzen, in der Mitte herrscht Chaos und die rechtsnationale SVP ist nicht koalitionsfähig, weil ihr politisches Programm daraus besteht, andere zu beschimpfen. Dass die Schweiz nach links gerutscht sein soll, wie Herr Blocher sagt, ist ein Märchen. Tatsache ist: Die Schweiz ist in den letzten zehn Jahren unsozialer geworden. Ich denke, dass erst wieder Bewegung in die Schweizer Politik kommt, wenn Blocher abtritt und der rechtsnationale Block ebenfalls zersplittert. Blocher: Die selbstgerechte Analyse eines Linken: Hier die fremdenfeindlichen Rechten, dort die braven, gütigen Linken ... ... brav meinte Herr Bodenmann eher negativ ... Blocher: Heute geht es um die Staatssäulen der Schweiz! Die SVP ist allein im Kampf, dass die Schweizer ihre Zukunft noch selbst bestimmen können. Die Linke hat sich nie für die Schweiz eingesetzt, und die Linke träumt immer noch von der Überwindung des Kapitalismus, d.h. sie will Sozialismus und in die zerfallende EU. In den letzten Jahren marschierten CVP und FDP als ehemalige bürgerliche Parteien mit der Linken Richtung EU. Die Folgen zeigen sich in der Zuwanderung und Schengen/Dublin. Bodenmann: Halt, Schengen/Dublin ist doch ein Blocher-Baby! Blocher: Danke für die Unterschiebung! Sie wissen genau, wer im Bundesrat gegen Schengen/Dublin gekämpft hat! Bodenmann:Es war doch Bundesrat Blocher, der diese Botschaft vertrat, oder nicht? Blocher: Auch das nicht. Die Botschaft wurde durch das Integrationsbüro, Herr Deiss (CVP) und Frau Calmy-Rey (SP), z.Hd. des Bundesrates ausgearbeitet. Ich durfte es nicht tun, weil ich gegen Schengen/Dublin war, wie heute jedermann - auch Herr Bodenmann - weiss. Insbesondere habe ich mich gegen die falschen Kosten in der Botschaft aufgelehnt und erklärt, dass ich diese falschen Zahlen nie vertreten werde. Drei Bundesräte, Calmy-Rey, Deiss und Blocher waren im Ausschuss. Dieser war nicht einstimmig, wie der Bundesrat auch nicht. Das alles ist Ihnen bekannt. Bodenmann: Im Bundesbüchlein sind die Kosten zu tief angesetzt worden, und dafür tragen Sie und niemand anderes die Verantwortung, Herr Blocher. Blocher: Nein: Im Entwurf des EDA/EVD an den Bundesrat wurden nur 7,4 Mio. CHF Gesamtkosten aufgeführt und behauptet, man werde CHF 80 bis 100 Mio.. im Asylwesen einsparen! Ich erhob mittels Mitbericht und in der Sitzung selbst heftig Einspruch. Dann wurde die Zahl von CHF 80 bis 100 Mio. zwar gestrichen, aber die zu tiefen Kosten von CHF 7,4 Mio. als Gesamtsumme belassen. Ich habe diese Zahl als betrügerisch bezeichnet. Trotzdem wurde ich überstimmt. Bodenmann: Im Bundesrat? Blocher: Ja! Die SVP sollte über diesen krassen Fall eine parlamentarische  Untersuchungskommission verlangen. Die Zahlen im Bundesbüchlein sind nicht falsch geschätzt, sondern in vollem Wissen, dass sie falsch sind, bewusst falsch ausgewiesen. Das zeigt sich jetzt. Die Vertreterin Ihrer Partei, Herr Bodenmann, war bei diesem Betrug an vorderster Front mitdabei. Der Bundesrat wusste, dass Schengen/Dublin mit den richtigen Zahlen keine Chance vor dem Volk gehabt hätte, wenn die wahren Zahlen publiziert worden wären. Diese Schweinerei muss ans Licht. Bodenmann: Herr Blocher, dass mit falschen Zahlen operiert wird, hätte das Volk wissen müssen. Sie waren doch sonst auch nicht zimperlich. Warum haben Sie das Volk angelogen? Blocher: Ich habe diese Zahl nie vertreten und dem Bundesrat gesagt, dass ich diese falsche Zahl nie vertreten würde. Ich würde mich nicht ans Amtsgeheimnis halten. Aber mir, als Gegner von Schengen/Dublin, wollte man nicht glauben. Herr Bodenmann, gehört auch die Angst vor Überfremdung durch die Personenfreizügigkeit in die Kategorie der künstlichen Aufregung? Bodenmann: Ich bin viel in Europa unterwegs und muss feststellen, dass die Probleme von Gebieten, die unter Abwanderung leiden, viel gravierender sind als unsere Probleme. Diese haben nichts mit der Zuwanderung zu tun, sondern damit, dass die Politik die räumliche Entwicklung nicht mehr steuert. Derzeit ist die Schweiz hochattraktiv, wie der Grossraum München auch. Das hat den Nachteil steigender Mieten. Die Frage ist: Was machen wir jetzt? Real will niemand die Personenfreizügigkeit rückgängig machen, auch die SVP nicht. Also müssen wir an einer anderen Ecke ansetzen. Die Produktivität pro Kopf in der Schweiz wächst viel zu langsam. Weil wir geschützte Sektoren haben. Wir haben zu viele Bauern. Eine Million Hektaren könnte die Hälfe der Bauern mit mehr Effizienz genau so gut bewirtschaften. Es wäre besser, junge Bauern würden unsere Alten pflegen als hinter Kühen herlaufen. Wir müssen endlich die Spitallandschaft umpflügen, 40 Spitäler mit je 500 Betten reichen. Wir bräuchten weniger Ärzte und Krankenschwestern, die einen grossen Teil der Zuwanderung ausmachen. Um die Kostensteigerung zu bremsen, gibt es nur ein Rezept: Rationalisierung. Einer Rationierung werden die Schweizer nie und nimmer zustimmen. Blocher: Herr Bodenmann: Warum werden Sie nicht Bauer, wenn das so toll ist?  Wenn die Schweiz zu wenig Arbeitskräfte hat, braucht sie Ausländer. Das war schon vor der Personenfreizügigkeit so. Aber die Leute kamen kontrolliert. Es gab die Inländerbevorzugung. Heute sind alle aus der EU Inländer. Die unbegrenzte Einwanderung aus dem EU-Raum führt zu unhaltbaren Zuständen. Heute haben wir eine Überhitzung der Wirtschaft und trotzdem liegt die Arbeitslosigkeit bei über drei Prozent! Bei einer wirtschaftlichen Abschwächung – die sicher kommt – werden wir massiv mehr Arbeitslose bekommen. Zum  Gesundheitswesen; Die neusten Statistiken zeigen, dass in den letzten 20 Jahren netto 138'000 mehr allein im Bereich "Gesundheit und Soziales" arbeiten, 51'000 in der "Bildung" und 23'000 mehr in der allgemeinen Verwaltung. Die Zahl der Staatsangestellten hat sich von 18 auf 23 Prozent erhöht! Deshalb wächst die Produktivität mit der Einwanderung nicht. Die Privatwirtschaft dagegen hat in den 90er-Jahren, als die Wirtschaft im Tief war, über 200'000 Beschäftigte verloren und im Hoch von 2005 – 2010 um nur knapp gleich viel wieder aufgeholt. Herr Blocher, könnten Sie als Energieminister heute AKW’s noch verantworten? Blocher: Seriöse Energiekonzepte kommen bis heute zum Schluss: Ohne Kernkraft können wir nicht genügend, kostengünstige und sichere Energie produzieren. Entscheidend ist Menge und Preis! Preise für Alternativenergien sind ein Vielfaches der heutigen Stromgestehungskosten. Bodenmann: Sie haben die Grössenordnungen der Preise nicht mehr im Griff. Blocher: Wir orientieren uns an der Praxis.  Die SVP ist nicht verheiratet mit der Kernenergie. Wenn man etwas Besseres oder Gleichwertiges bietet, soll mir das recht sein. Aber nichts ist in Sicht. In den nächsten 20 bis 30 Jahren müssen wir die alten KKW’s erneuern. Wir können verzichten, wenn man über eine Alternative für genügend, kostengünstige und sichere Energie verfügt. Bis jetzt brachten die Alternativenergie-Apostel nichts Konkretes ausser neuen  Gebühren, Forschungs- und Lenkungsabgaben, Energiesteuern – d.h. Verteuerung von Energie. Bürger, Gewerbe und Industrie bezahlen. Bodenmann: Nehmen wir die Fakten zur Kenntnis. Die Vergütungssätze für Solar- und Windenergien in der Schweiz sind viel zu hoch. Für Windenergie dürfte man nicht mehr als 12 Rappen bezahlen. Und für Sonnenenergie nicht mehr als 20 Rappen. Beginnen wir mit 20 Rappen und senken diesen Preis jedes Jahr, haben wir eine wunderbare Explosion alternativer Energien. Die Schweiz muss die Einspeisevergütungen auf europäisches Niveau senken. Wenn nicht sogar tiefer, weil die Zinsen in der Schweiz tiefer sind. Ich verstehe den Blödsinn der Mär des unendlich teuren Stroms nicht. Ich versuchte mehreren Bundesrat die rasante technologische Entwicklung zu erklären, musste aber feststellen: In den letzten 15 Jahren hatten wir konstant sieben ökologische Analphabeten im Bundesrat. Deutschland, die führende Industriemacht Europas, entschied sich, den Umstieg schneller zu realisieren, als sich das die Grünen und Roten je erträumt hätten. Angeführt von der politischen Rechten. Das ist die Ironie. Und die SVP hinkt hinterher wie die alte Fasnacht. Mit Moritz Leuenberger sprachen Sie nie? Weil es sich nicht gelohnt hätte? Bodenmann: Leuenberger war an solchen Fragen durchgehend desinteressiert. Blocher: Nicht nur an diesen Fragen. Bodenmann: Und die übrigen Bundesräte waren nicht fähig, ihn unter Druck zu setzen. Das spricht gegen Blocher, Couchepin und Co. Blocher: Werden wir ernsthaft. In Deutschland ist die Windenergie dank viel Wind auf billigen grossen Meerflächen etwas billiger. Wenn Sie, Herr Bodenmann, von 12 Rappen sprechen, sage ich: Das wäre ja ein einigermassen vertretbarer Marktpreis. Doch ich habe noch keine solche Rechnung gesehen. Herr Blocher, bei 20 bis 12 Rappen für alternative Energien wären Sie für den Atomausstieg? Blocher: Nicht bei 20 Rappen. 12 Rappen wären wohl schon einigermassen vertretbar. Wenn genügend und sicher! Bodenmann: 20 Rappen für Sonnenenergie, 15 Rappen für Wind. Und das degressiv. Blocher: Zuerst muss man den vertretbaren Marktpreis kennen, und dann die vertretbaren Kosten. Vielleicht schafft dies die Entwicklung in 20 bis 30 Jahren. Aber wir brauchen die Energie heute. Bodenmann: Nicht in 30 Jahren. Heute schon. Blocher: Weshalb macht das dann niemand? Bodenmann: In Deutschland schon. Die Konsumentenzeitschrift „Saldo“ zeigte auf, dass man in der Schweiz jenen 50 Prozent mehr zahlt als in Deutschland, die eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach schrauben. Blocher: Das werden ja jetzt dann die Gutachten zeigen. Bodenmann: Dazu kommt, dass in Graubünden die Sonneneinstrahlung an guten Lagen fast doppelt so hoch ist wie in Bayern. Maloja ist so sonnenintensiv wie Malaga. Blocher: Wir wehren uns doch nicht gegen die technische Entwicklung. Wir vertreten auch das Gewerbe, die Landwirtschaft, die  Industrie, die Leute. Sie sollen nicht immer mehr bezahlen. Heute läuft es darauf hinaus. Jetzt sagt Herr Bodenmann: Ich kann es billiger machen. Das ist hochinteressant. Also macht es! Ich würde mich freuen. Bodenmann: Deutschland brachte Photovoltaik und Windenergie über die Einspeiseverordnung faktisch zur Weltreife. Blocher: Davon ist in der Schweiz nichts zu spüren. Bodenmann: Gehen wir doch zusammen ein Wochenende nach Deutschland. In Ihre ursprüngliche Heimat. Blocher: Lassen Sie mir ein Gutachten von anerkannten Ingenieuren zukommen. Eines, das zeigt: Wir können anstelle von Kernenergie genügend,  kostengünstigen und sicheren Alternativstrom herstellen. Dann finden Sie sofort Investoren. Bodenmann: Ich abonniere Ihnen für ein Jahr lang „Photon“, das führende Solarmagazin Europas. Blocher: Ich kann es noch selbst bezahlen. Ist dieses Magazin nicht auch Partei? Bodenmann: Nein.Es fordert, die Preise müssten massiv sinken. Die bürgerlichen Deutschen sind nicht auf den Kopf gefallen. Sie machen den Schritt nur, weil sie die Entwicklung sehen. Photovoltaik-Zellen sind weder rechts noch links. Blocher: Gerne würde ich Ihnen recht geben. Allein mir fehlt der Glaube. Herr Bodenmann, Sie deuten an, man müsse beim Bundesamt für Energie aufräumen. Bodenmann: Wir haben in der Schweiz im Energiebereich einen sehr statischen Filz, der alles durchzieht. Es sind undemokratische parastaatliche Organisationen mit Alt-Regierungsräten. Eine träge Krake, die bis in die Bundesämter wuchert. Blocher: Die Versorger sind die Kantone – der Staat. Ich gehöre zu den Stromkonsumenten. Die Entwicklung muss zu sicherer, kostengünstiger und genügend  Energie gehen. Da sind wir uns hoffentlich einig.

23.04.2011

Dass der Steuerzahler haftet, darf nicht sein

Interview mit dem Tagesanzeiger vom 23. April 2011 zur staatlichen Rettung von Grossbanken Herr Blocher, Sie haben nach der UBS-Rettung vehement Massnahmen gefordert, damit der Staat nie mehr eine Bank retten muss. Gestern hat der Bundesrat ein Massnahmenpaket verabschiedet. Da müssten Sie eigentlich erleichtert sein. Ich wäre erleichtert, wenn der Bundesrat einen tauglichen Vorschlag gebracht hätte. Was er nun aber vorlegt hilft bei einem künftigen Bankenzusammenbruch nichts. Der Steuerzahler haftet. Das darf nicht sein: Gemäss Bundesrat dürfen die Banken weiterhin derart gross sein, dass sie der Staat im Notfall nicht fallen lassen kann, denn der Bundesrat verzichtet auf eine Aufteilung in voneinander unabhängige Gesellschaften. So würde z.Bsp. auch in Zukunft der schweizerische Steuerzahler für den Bankrott einer CS- oder UBS-Bank in USA haften! Das ist absurd. Nach welchen Kriterien wollen Sie denn die Banken aufteilen, nach Ländergesellschaften oder nach Geschäftsfeldern? Die grossen Niederlassungen im Ausland müssen voneinander unabhängig sein. Am wichtigsten ist, dass die Banken verpflichtet werden, die überaus grossen amerikanischen Teile abzuspalten, denn bisher waren es vor allem die amerikanischen Teile, welche eine Bankenkrise in der Schweiz verursacht haben. Wenn wir Amerika ausgliedern, trennen wir auch automatisch das Investmentbanking vom risikoärmeren Vermögensverwaltungsgeschäft in der Schweiz. Warum wollen Sie nicht gleich wie früher in den USA ein klares Trennbankensystem einführen, also das Investmentbanking streng von der Vermögensverwaltung trennen? Faktisch läuft unser Vorschlag auf diese Lösung hinaus. Wollen Sie denn die Gesellschaften wirklich ganz trennen? Oder dürfen die Banken die einzelnen Teile in einer Holding zusammenfassen? Einer Holding steht nichts im Wege. Eine Holding-Struktur liegt beispielsweise bei der Hongkong-Shanghai-Bank (HSBC) vor. Sie war eine jener Banken, die bei der letzten grossen Finanzkrise nicht derart geschädigt wurde, dass der Staat hätte eingreifen müssen. Gewisse Teile der Bank gingen unter, ohne dass gesunde Töchter in Mitleidenschaft gezogen wurden. Auf diesem Modell basiert unser Lösungsvorschlag. Vorstellbar ist aber auch, dass die Banken aus den Tochtergesellschaften eigene Börsengesellschaften machen und über eine Holding z.Bsp. 30 oder auch 70 Prozent dieser Firmen halten. Obwohl sich die beiden Grossbanken massiv gegen diesen Vorschlag wehren, sagte UBS-Chef Oswald Grübel, dass dieses Modell auch Vorteile hätte. Die Banken würden dadurch beweglicher. Aber vorschreiben muss es der Staat, damit seine Bürger nicht haften. Und dies soll eine Rettung durch den Staat verhindern? Ja. Natürlich: Wenn eine unserer Grossbanken in den USA Konkurs gehen würde, würde dies zwar auch die Holding treffen und vielleicht sogar mitreissen, denn Holdingtöchter haften nicht mehr nur mit dem Aktienkapital. ... womit Ihre Lösung nicht funktioniert. Doch, doch! Denn die Schweizer Volkswirtschaft hängt ja nicht von der Holding ab, sondern von der UBS Schweiz. Die bliebe gesund und könnte sogar veräussert werden. Experten sagen aber, dass innerhalb einer Holding auch auf andere Tochtergesellschaften durchgegriffen werden kann. Darum muss die heutige Bankengesetzgebung angepasst werden. In der Industrie ist dies bereits erprobt. Ihr Parteikollege und Bankfachmann Hans Kaufmann sagt aber, dies lasse sich nicht auf die Banken übertragen, wo die juristischen und finanziellen Verflechtungen sehr eng seien. Weil er die heutige Bankengesetzgebung berücksichtigte (unter der heutigen Bankengesetzgebung haften die Töchter quer). Die juristische und finanzielle Entflechtung muss eben neu durch den Staat vorgeschrieben werden. Die Gesetzesänderung muss auch die Kreditströme zwischen den Töchtern beschränken. Das hätte zudem den Vorteil, dass der Bund keinen derart übertriebenen Kontrollapparat schaffen müsste, wie er ihn jetzt plant. Diese zusätzlichen Kompetenzen der Finanzmarktaufsicht und des Bundesrates  schaffen neue Probleme: Der Staat wird neu „mitleitendes“ Bankorgan. So wird der Staat in Zukunft nicht nur faktisch haften, sondern sogar rechtlich. Es gilt nicht nur: „Wer zahlt – befiehlt,“ sondern auch „wer befiehlt – zahlt!“ Oder „Mitgegangen-mitgehangen.“ Zudem: Weder die Finma noch der Bundesrat ist dazu in der Lage. Darum haben alle Aufsichtsorgane der Welt weder die Bankenkrise vorausgesehen noch verhindert! Können Sie den Vorschlägen des Bundesrats auch etwas Positives abgewinnen? Höhere Eigenkapitalvorschriften verkleinern das Risiko, dass eine Bank Konkurs geht. Dann wird die SVP im Parlament also für das Anheben der Eigenmittel auf 19 Prozent stimmen? Die Anforderungen an das Eigenkapital dürfen nicht wesentlich höher sein als auf den internationalen Konkurrenzplätzen, sonst werden die Kredite in der Schweiz zu teuer, was den Werkplatz Schweiz trifft. International sollen die Regeln von Basel III gelten, also ein Eigenkapitalanteil von mindestens 10, 5 Prozent. Wenn alle Banken auf der Welt tatsächlich zu dieser Quote verpflichtet werden, erleiden die Schweizer Banken keinen Konkurrenznachteil. Wir haben aber keine Garantie, dass die anderen Staaten das vollziehen. Darüber hinaus will der Bund den Schweizer Grossbanken weitere 8,5 Prozent Eigenmittel vorschreiben.  Dieser sogenannte Swiss Finish könnte gefährlich werden. Der Bundesrat gibt zu, dass dadurch die Kosten für Kredite kurzfristig steigen. Langfristig hofft er, dass sich der Effekt wieder abschwächt, weil die Schweizer Banken dann als besonders sicher gelten. Das Kurzfristige ist eine Tatsache, das Langfristige eine Hoffnung. Und auf Hoffnungen können wir uns nicht verlassen. Die Schweizer Wirtschaft ist auf günstige Kredite angewiesen, vor allem auch im Hypothekarbereich. Die SVP wird also im Parlament gegen die strengeren Regeln für die Grossbanken stimmen? Nicht gegen strengere, aber gegen Regeln, die das too-big to-fail Problem nicht lösen, aber selbst in guten Zeiten volkswirtschaftlich sehr nachteilig werden können. Ohne Verpflichtung zur Aufgliederung der Grossbanken wird die SVP nicht zustimmen können. Die heutige Vorlage des Bundesrats scheint uns noch schlechter als der Status quo. Würde die Aufteilung vorgeschrieben, wären zu hohe Eigenmittelvorschriften und weitere exzessive Regelungen unnötig. Durch eine Ablehnung oder Rückweisung der Vorlage wäre dies möglich. Ich finde die Sache sehr wichtig. Darum sagte ich, dass man sogar eine Volksinitiative ergreifen sollte, um das Problem zu lösen, wenn Regierung und Parlament es nicht lösen. Weite Kreise waren damals auf unserer Seite.  Viele aus der Industrie, Wissenschaft und vor allem auch die Ratslinke. Heute höre ich namentlich von der SP und den Grünen nichts mehr davon. Wörtlich haben Sie 2009 gesagt: «Das ist für die Schweiz so zentral, dass wir eine Volksinitiative lancieren sollten, wenn Bundesrat und Parlament nicht handeln.» Gleich in mehreren Interviews haben Sie sich so geäussert. Es gehe hier um einen «lebensnotwendigen Akt». Wann starten Sie mit der Unterschriftensammlung? Ich bin immer noch dieser Meinung, habe aber immer auch zugefügt, dass es ein parteiübergreifendes Vorgehen braucht für eine solche Initiative. Wenn die SVP in diesem Spezialgebiet den Abstimmungskampf völlig allein führen müsste, würde der Abstimmungskampf sehr schwierig. Die SVP ist zu schwach? Das sind ja ganz neue Töne. Sie haben schon für weniger wichtige Anliegen wie die Minarett- oder die Ausschaffungs-Initiative Unterschriften gesammelt. Die Minarett- und die Ausschaffungs-Initiative hat die SVP richtigerweise auch bei einem Alleingang als aussichtsreich eingeschätzt,  sie hat die Abstimmung auch im Alleingang gewonnen. Wenn sich ein grosser Verbund in der too-big-to-fail-Problematik bewerkstelligen lässt, müsste m.E. unsere Partei auch hier antreten. Das kann erst nach der Gesetzesberatung entschieden werden. Haben Sie Angst vor parteiinternen Experten wie Hans Kaufmann, die gegen die Initiative kämpfen könnten? Anfänglich hatten wir in der Partei zwei Meinungen, die diskutiert werden mussten. Das haben wir getan. Am Schluss waren in der Fraktion nur noch fünf dagegen. Wir verfügen heute über eine klare Position. Mit dem Verzicht auf eine Initiative setzen Sie sich nun aber dem Vorwurf aus, dass es Ihnen nicht um die Sache geht, sondern um die Empörung, wenn die Volksseele brodelt. Sobald der Unmut abgeklungen ist, wollen Sie sich dann nicht mehr mit den Banken anlegen. Macht sich die SVP so nicht unglaubwürdig? Ich würde mich wundern, wenn Sie uns dies nicht unterschieben würden. Aber richtig ist: Uns ging es nie um die Zerstörung des Bankenplatzes. Wie gesagt: Wäre die SVP allein, müsste man das gut überlegen. Haben Sie denn mit der SP entsprechende Gespräche geführt? Nein, vorerst werden wir unsere Vorschläge in die parlamentarischen Kommissionen  einbringen. Erst danach können wir mit anderen Parteien darüber sprechen, was man im Falle einer schlechten Lösung machen könnte. Wenn wir breite Kreise gewinnen z.B. die SP und die Grünen mitmachen, ist die SVP dabei.  Wir haben keine Berührungsängste. Angenommen, das Gesetz fällt im Parlament durch: Könnten Sie die Verantwortung tragen, dass die Schweiz gar keinen Schutz vor dem Grossbanken-Risiko hat? Wir werden unsere Verantwortung selbstverständlich wahrnehmen, obwohl wir aktuell aus der Verantwortung im Bundesrat ausgeschlossen sind. Wir wollen eine too-big-to fail Lösung. Was der Bundesrat vorschlägt, ist keine. Eine Ablehnung hätte den Sinn, einer echten Lösung Platz zu machen. Sie haben Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand wiederholt scharf attackiert und ihm den Rücktritt nahegelegt. Haben Sie ihn dadurch nicht geschwächt in seinem Bestreben, die Grossbanken zu regulieren? Er hat leichtfertig 32 Milliarden Volksvermögen in den Sand gesetzt. Da kann man nicht zur Tagesordnung übergehen. Das ist brandgefährlich. Ich weiss auch nicht, ob es Aufgabe der Nationalbank ist, „die Grossbanken zu regulieren.“ Die Nationalbank soll die Geldversorgung gewährleisten und Preisstabilität garantieren. Vor zwei Jahren wollten Sie die Saläre der Grossbanken begrenzen, da faktisch der Staat für die Banken hafte. Gilt das immer noch? Solange der Staat die Garantie übernehmen muss, redet er halt auch rein. Das tut er heute ja auch. Wer zahlt, der befiehlt. Die Saläre bei der UBS sind aber immer noch ziemlich grosszügig. Wer bestimmt denn, was grosszügig ist? Für Journalisten ist es grosszügig. Für die EMS-Chemie auch, vielleicht gerade weil der Staat keine Haftung übernimmt und nicht dreinredet. Sie kandidieren im Herbst für den National- und den Ständerat. Werden Sie – falls Sie die Zürcher Ständeratswahlen gewinnen sollten – nochmals für den Bundesrat kandidieren? Das ist nicht meine Absicht. Zudem: Das Parlament würde mich ja auch gar nicht wählen. Kann man also ausschliessen, dass Sie wieder kandidieren? Ich habe ja gar nie kandidiert ... ... ausser 2003. Auch damals nicht. Sie haben sich nicht stark dagegen gewehrt. Nachdem wir die Wahlen 2003 erneut gewonnen hatten, konnten wir doch nicht einen zweiten Sitz im Bundesrat fordern, ohne dass ich mich zur Verfügung gestellt hätte. Sonst hätte man der Partei vorgeworfen: Sie schicken einen andern in die Regierung, aber Blocher macht ausserhalb Opposition. Es war eine Frage der Glaubwürdigkeit – eine Zwangslage. Und wenn es im Herbst wieder eine solche Zwangslage gibt? Eine solche Zwangslage kann nicht erneut auftreten. Meine Bereitschaft habe ich gezeigt. Andere haben es verhindert. Das Bundesstrafgericht spricht Oskar Holenweger vollumfänglich frei. Freut Sie das Urteil? Der Rechtsstaat wurde durch dieses Urteil gestärkt. Das ist zu begrüssen. Hätte man die Ermittlungen einstellen sollen, nachdem sich herausstellte, wie unzuverlässig Ramos ist? Man hätte die ganze Sache seriöser angehen sollen, dann wäre es nicht soweit gekommen. Sie selber haben als Justizminister Bundesanwalt Erwin Beyeler als Nachfolger von Valentin Roschacher vorgeschlagen.   Inwiefern widerspiegelt der Freispruch das Versagen Beyelers – und seiner Ermittlungsbehörde? Darauf möchte ich nicht eingehen. Das haben jetzt andere zu untersuchen. Ist Erwin Beyeler als Bundesanwalt für Sie jetzt noch wählbar? Auch das haben andere zu entscheiden!

06.04.2011

Schweizerkönig auf bescheidenem Thron

Besprechung von Mary Lavater- Sloman «Der Schweizerkönig Johann Rudolf Wettstein», Römer-Verlag 2011, Rezension für NZZ „Es ist reichs- und weltkündig, dass die Eidgenossenschaft ein freier Stand ist, so nebst Gott einzig von sich selbst abhängt.“ Mit dieser selbstbewussten, aber der Wirklichkeit entsprechenden Aussage begründete anlässlich der Westfälischen Friedensgespräche von 1646-1648 der Schweizer Abgesandte seine unerschüt-terliche Absicht, für die Schweiz volle Souveränität zu erreichen. In der Reihe ungewöhnlicher Biografien nimmt der Römerhof Verlag in verdienst-voller Weise auch den Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein (1594-1666) auf. Dies geschieht nicht in einer modernen, so genannt „kritischen“ Studie, sondern in einer Neuauflage des 1935 erschienenen Romans „Der Schweizekönig“ von Mary-Lavater-Sloman. Es dürfte manchen Zeitgenossen missfallen, dass neuerdings mit Johann Rudolf Wettstein eine Persönlichkeit gewürdigt wird, die der später so erfolgreichen schweizerischen Unabhängigkeit und Neutralität zum Durchbruch verhalf. Vielleicht darum empfanden es die Herausgeber für nötig, mit Georg Kohler einem Professor das Nachwort erteilen zu müssen, der die Souveränität unseres Landes gerne klein-schreibt und selbstverständlich auch hier als „Mythos“ entlarvt. Etwas naserümpfend wird auch an die 1935 bereits herrschende Geistige Landesverteidigung erinnert, in deren Dienst sich die Autorin gestellt hat. Tatsächlich waren ihre reichs- und diktatur-kritischen Ansichten für das damalige Schweizer Publikum unüberlesbar. Wenn Kohler - wohl in Begeisterung über den heutigen Kongresstourismus - lobend be-merkt, schon früher seien unsere Politiker an jene Orte gereist, wo die europäischen Entscheide gefallen seien, so wäre ihm nach der Lektüre "Der Schweizerkönig" zu entgegnen, dass wir unsere Bundesräte durchaus gerne dorthin reisen liessen – sofern sie wie weiland Bürgermeister Wettstein so zäh und hartnäckig die schweizeri-sche Souveränität verteidigten und mit einem entsprechend besiegelten Dokument zurückkehrten. Ausgangspunkt von Johann Rudolf Wettsteins diplomatischer Mission bildetet ein relativ geringer Anlass, nämlich die Zitierung eines Basler Bürgers vor das Reichs-kammergericht in Speyer. Mit dem weitsichtigen Auge des Staatsmanns erkannte der Basler Bürgermeister, dass anlässlich des Westfälischen Friedenschlusses nach dem Dreissigjährigen Krieg die einmalige Chance bestand, für die Eidgenossenschaft nach der faktischen auch noch die formelle Trennung vom Reich deutscher Nationen zu vollziehen. Zu seinem grossen Kummer erhielt er das Verhandlungsmandat nur von den reformierten Orten, doch kämpfte Wettstein in Münster und Osnabrück für die Unabhängigkeit der gesamten Schweiz. In ihrer packend zu lesenden, roman-haften Schilderung verlässt Mary Lavater-Sloman zuweilen die exakte Chronologie und schiebt auch eine frei erdachte Liebesbeziehung dazwischen. Dennoch hält sie sich im Wesentlichen an Briefe, Tagebücher und offizielle Berichte. Diesen ist zu entnehmen, wie bescheiden der Basler Bürgermeister residierte; anlässlich eines Besuchs des schwedischen Bevollmächtigten konnte Wettstein diesem lediglich einen Stuhl anbieten, an dem eine Armlehne fehlte: „Ich bin übereilt worden“, schrieb er nach Hause, „hätte sonsten die andere zur Erhaltung der schweizerischen Reputation auch noch abgebrochen.“ Mit Überlegenheit und feinem Gespür für das Machbare behielt er die Distanz zu den ihm wohlgesinnten Franzosen, gewann die Gunst der Kaiserlichen und vermochte die anfangs abweisenden Schweden umzu-stimmen. Dies alles gelang ihm bei schwersten körperlichen Leiden, die ihn nicht selten hinderten, seine armselige Herberge zu verlassen. Wettsteins Auftreten war schlicht und sicher und seine Kenntnisse der politischen Verhältnisse so umfassend, dass es ihm schliesslich gelang, die wichtigsten Abgeordneten des Friedenskongres-ses von der eidgenössischen Sache zu überzeugen. Er bewegte sich zwischen den Abgesandten europäischer Monarchien so selbstverständlich und wenig unterwürfig, dass Wettstein bei ihnen bald schon den Namen „Schweizerkönig“ trug. Nach fast einjähriger Abwesenheit kehrte Basels Bürgermeister in seine Heimat zurück. So bescheiden sich sein Gefolge im Vergleich zur Prachtentfaltung der Fürstenhöfe ausnahm, so unermesslich wertvoll war der Vertrag, den er mit sich führte: Die Eid-genossenschaft und deren Gerichte waren fortan in „Besitz und Gewähr völliger Freiheit und Ausgliederung vom Reiche“. Wie würde Wettstein heute urteilen, wenn er zusehen müsste, wie die Abgeordneten der Schweiz an Kongresse reisen, um dabei die schweizerische Freiheit zu verspielen und fremde Richter zu akzeptieren? Unseren Regierungsleuten, Politikern und Diplomaten wäre Mary Lavater-Slomans neu aufgelegter Roman „Der Schweizerkönig“ besonders zu empfehlen. Aber auch alle andern Leserinnen und Leser erhalten mit der leicht überarbeiteten Fassung einen lebendigen Einblick in ein entscheidendes Stück Schweizer Geschichte.

06.04.2011

Die Schweiz verdankt Basels Bürgermeister die Souveränität

Buchrezension für die Basler Zeitung Dass Basel seinen Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein in hohen Ehren hält, erkennt man leicht an der nach ihm benannten Strasse, der Brücke und dem Platz. Wettstein stammte zwar aus keinem Basler Geschlecht: Sein Vater war als Weinbauer aus der Zürcher Oberländer Gemeinde Russikon zugewandert, brachte es zum Basler Spitalmeister und ermöglichte dem Sohn eine glänzende Laufbahn im Staatsdienst. Als Basler Bürgermeister gilt er für mich als wohl grösste diplomatische und politische Begabung der Alten Eidgenossenschaft. Zwar blieb Wettstein innenpolitisch dem absolutistischen Gedankengut von schroffer Trennung zwischen Obrigkeit und Untertanen verhaftet; er befürwortete sogar die Hinrichtung der Anführer im Bauernkrieg. Doch sein grosser Erfolg ist ein aussenpolitischer: Ihm verdankt die Schweiz nämlich die staatsrechtliche Anerkennung der Neutralität und Unabhängigkeit vom deutschen Reich. Umso erfreulicher ist, dass der Römerhof Verlag in seine Reihe ungewöhnlicher Biografien neuerdings auch Johann Rudolf Wettstein (1594-1666) aufgenommen hat. Es handelt sich dabei um eine Neuauflage der romanhaften Erzählung „Der Schweizerkönig“ von Mary Lavater-Sloman aus dem Jahr 1935. Diese aus Hamburg stammende, mit einem Stadtzürcher verheiratete Autorin schuf sich einen Namen mit zahlreichen Erzählungen über bedeutende Figuren der Schweizer Geschichte. Dabei machte Lavater-Slomann aus ihrer demokratischen Überzeugung und ihrer Ablehnung von Diktatur und Totalitarismus kein Geheimnis. So auch im Werk „Der Schweizerkönig“, wo Johann Rudolf Wettstein seinen Neffen Rudolf Burckhardt „in ärgerlicher Verblüffung“ fragt: „Einen Vogt wünschest Du uns, Ruedi, der das Volk mit der Peitsche der Gewalt zusammentreibt? ... Ehe ihr es euch verseht, würde die Peitschenschnur sich klatschend um euch schlingen und euch zusammenbündeln – zusammenbündeln zu einem wehrlosen, entmündigten Haufen!“ Im Mittelpunkt des Romans steht Wettsteins bedeutendste Leistung, nämlich die fast einjährige Mission an die Friedensgespräche von Münster und Osnabrück (1646-1648) nach den furchtbaren Schrecken des Dreissigjährigen Krieges. Aktenkundiges vermischt sich bei der Autorin geschickt mit Erfundenem; sie schiebt eine frei erdachte Liebesbeziehung dazwischen, auch wenn sie sich im Wesentlichen an Briefe, Tagebücher und offizielle Berichte hält. Die Basler Leserinnen und Leser dürfte speziell einiges an Lokalkolorit erfreuen. Beschrieben wird etwa die familiäre Atmosphäre im Wettsteinhaus in Riehen, aber auch Wettsteins frühes Entlaufen in Venezianische Dienste aus der Ehe mit der fünf Jahre älteren Anna Maria Falkner; sie wurde ihm später gleichwohl eine bedeutsame Stütze und war wie geschaffen für ihre Aufgaben als Gattin eines Bürgermeisters. Hübsch geraten ist auch die Szene der Ankunft im fernen Osnabrück, wo der begleitende Sohn Fritz „aus den Tiefen seines Proviantsackes das eifrig gehütete Päckchen heimatlicher Leckerli“ hervorzieht. So haben sich aus Wettsteins Zeit nicht nur die Souveränität, sondern auch die "Basler Leckerli" erhalten. Ich hoffe, dass man beidem weiterhin Sorge tragen wird ! Johann Rudolf Wettstein erhob geschickt die Vorladung eines Basler Bürgers vor das Reichskammergericht in Speyer zur Sache der eidgenössischen Tagsatzung. Gegen die zögerliche Vorsicht der heimischen Handelsherren packte er mit grösserer Weitsicht und erstaunlicher Tatkraft die einmalige Gelegenheit beim Schopf. Ihm ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die seit dem Schwabenkrieg (1499) faktisch bestehende, nunmehr auch formell zu bestätigende Loslösung vom römischen Reich deutscher Nationen. Wettstein reiste 1646 ohne Einladung und vorerst ohne Legitimierung der katholischen Orte an die Westfälischen Friedensverhandlungen. Nach langwierigem, zähem Ringen mit den Abordnungen von Kaiserreich, Frankreich und Schweden erreichte er schliesslich die Bestätigung der vollen Souveränität und bewaffneten Neutralität der Schweiz. Der Roman von Mary Lavater-Sloman schildert packend das Wechselbad der Gefühle des Basler Bürgermeisters angesichts der Winkelzüge, Geheimdiplomatie und Intrigen der fremden Gesandten. Dennoch sicherte er sich bei ihnen durch taktsicheres, selbstbewusstes, aber jederzeit ehrliches Auftreten grössten Respekt, der ihm sogar den Ehrentitel „Schweizerkönig“ eintrug. Dabei musste Johann Rudolf Wettstein mit seinem kleinen Gefolge in bescheidensten Verhältnissen hausen. Die Basler hielten ihn so knapp wie nur möglich und warfen ihm in ihren Schreiben obendrein noch eine verschwenderische Hofhaltung vor. Dabei residierte der Basler Bürgermeister geradezu "ärmlich". So konnte er dem schwedischen Bevollmächtigten anlässlich eines Besuches lediglich einen Stuhl anbieten, an dem die eine Lehne fehlte. Nach Hause schrieb er darüber: "Ich bin übereilt worden, hätte sonst die andere zur Erhaltung der schweizerischen Reputation auch noch abgebrochen." Immer den Auftrag und das Ziel vor Augen, steckte Wettstein solch unerfreuliche Ereignisse ebenso weg wie seinen angeschlagenen Gesundheitszustand. Die Vorteile einer klugen Neutralitätspolitik waren ihm wohlbewusst, hatte sich doch Basel seit seinem Eintritt in den eidgenössischen Bund verpflichtet, bei Streitigkeiten stille zu sitzen und sich um Vermittlung zu bemühen. Durch ganz persönliches Bemühen errang Johann Rudolf Wettstein dank Augenmass, Hartnäckigkeit und diplomatischer Gewandtheit für die gesamte Schweiz Bedeutendes – trotz beschränkten Instruktionen und bloss halbeidgenössischer Vollmacht: nämlich die endgültige Loslösung vom Reich. Dies entsprach genau jenen Vorstellungen, wie sie Basels grosser Bürgermeister gleich zu Beginn des Westfälischen Kongresses formuliert hatte: „Es ist reichs- und weltkündig, dass die Eidgenossenschaft ein freier Stand ist, so nebst Gott einzig von sich selbst abhängt.“ Man wünschte sich dies als ewiges Verhandlungsmandat unseres Bundesrates! Mary Lavater-Sloman: Der Schweizerkönig Johann Rudolf Wettstein. Römerhof, Zürich 2011, 239 S., Fr. 36.-.