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03.11.2010

Blocher: Herr Nay ist ein Parteigutachter

Interview in der «Südostschweiz» vom 3. November 2010 mit Peter Simmen Herr Blocher, die Bündner SVP hat sich über Jahre gegen den Proporz gewehrt. Jetzt aber hat sie eine Initiative zur Einführung des Proporzes lanciert. Sind Sie selber für den Majorz oder den Proporz? Blocher: Beide Verfahren haben Vor- und Nachteile. Bei der heutigen Wahlkreiseinteilung in Graubünden mit vielen kleinen Wahlkreisen ist aus politischer Sicht sowohl der Proporz als auch der Majorz möglich. Im Kanton Zürich dagegen wäre ich nie für den Majorz. Die SVP Graubünden hat aber Grund, auch in Graubünden den Proporz zu verlangen. Die Gewährleistung der Bündner Kantonsverfassung mit dem Majorz war 2004 im Bundesparlament umstritten. Sie haben sich damals als Bundesrat für die Bündner Verfassung eingesetzt. Blocher: Ja, weil sie der Kanton Graubünden so wollte. Die Gewährleistung der Verfassung war in der Verwaltung rechtlich umstritten. Das zeigt sich an der Botschaft des Bundesrates, in der abschätzige Bemerkungen gegen den Kanton Graubünden enthalten sind. Die Botschaft wurde noch vor meiner Zeit als Bundesrat geschrieben und ich habe mich darüber aufgeregt. Umstritten war nicht das Wahlsystem sondern die Wahlkreiseinteilung. Im Parlament ging die Diskussion nur ums Wahlverfahren. Als Antwort auf die kritischen Äusserungen des Bundesrats verabschiedete das Parlament sogar einen Bericht, in dem die Verfassungsmässigkeit des Majorz betont wurde. Blocher: Die Frage Majorz oder Proporz ist eine politische Frage, nicht eine rechtliche. Ich stellte mich damals auf den Standpunkt, dass es nicht am Bundesparlament liegen könne, eine vom Volk abgesegnete Verfassung in Frage zu stellen, die nicht offensichtlich bundesverfassungswidrig sei. Das Wahlverfahren ist also kompatibel mit der Bundesverfassung. Blocher: Meines Erachtens sind sowohl das Proporzverfahren als auch das Majorzverfahren kompatibel. Aber ich bin nicht das Bundesgericht. Alt Bundesgerichtspräsident Giusep Nay meint, das Bundesgericht toleriere erstens den Majorz, und das Gericht werde zweitens eine vom Volk erst vor wenigen Jahren verabschiedete und vom Parlament gewährleistete Verfassung nicht antasten. Blocher: Herr Nay kann so wenig für das Bundesgericht sprechen wie ich. Er ist heute ein Parteigutachter und für ihn gilt: Im Zweifel gegen den Standpunkt der SVP. Nicht nur hier! Tatsache ist, dass das Bundesgericht nicht an die Gewährleistung durch das Parlament gebunden ist. Es kann einen Sachverhalt selbstständig prüfen und beurteilen, das macht es auch. So hat das Bundesgericht das Zürcher Wahlverfahren geändert, das auf einer gewährleisteten Verfassung basierte. Auch im Kanton Appenzell i.Rh. hat das Bundesgericht korrigiert. Das Bundesgericht beanstandete im Fall von Zürich die Wahlkreiseinteilung, und die war nicht in der Verfassung sondern auf Gesetzesstufe geregelt. Blocher: Aber sie beruhte auf gewährleisteter Verfassung. Nach dem alten System hatten wir über 100 Jahre gewählt. Es war nie verfassungswidrig. Besonders heikel ist der Fall Appenzell: Bei der Einführung des Frauenstimmrechts auf nationaler Ebene sagten das Bundesparlament und der Bundesrat ausdrücklich, die Kantone seien nicht verpflichtet, dasselbe zu tun. Dennoch mussten die Appenzeller auf Geheiss des Bundesgerichts ihre gewährleistete Verfassung ändern. Die Gewährleistung dieser Verfassung lag zum Zeitpunkt des Bundesgerichtsentscheids Jahrzehnte zurück. Die Bündner Verfassung wurde erst vor sechs Jahren gewährleistet. Sie setzten sich im Bern ja auch für die Bündner Verfassung ein. Nay meint, es sei nicht Sache des Gerichts, jetzt die Verfassung jetzt schon zu überprüfen. Auch Sie meinen, das Volk sollte das letzte Wort haben, nicht die Richter. Blocher: Ich habe mich als BR für die Gewährleistung ausgesprochen. Hätte der Kanton Graubünden ein Proporzverfahren beschlossen, wie dies die Bündner SVP vorschlägt, hätte ich dies ebenfalls getan. Ich hatte als Bundesrat nur rechtlich zu urteilen. Nay und andere Rechtsexperten sagen, die SVP-Initiative müsse mit Blick auf die ständige Rechtssprechung des Bundesgerichts als ungültig erklärt werden. Das letzte Urteil des Bundesgerichts betrifft den Kanton Nidwalden und wurde in diesem Jahr gefällt. Blocher: Wenn die Initiative eingereicht wird, sollte sie auf keinen Fall aus Respekt vor dem Initiativrecht des Volks für ungültig erklärt werden. Wird sie vom Volk angenommen, sollte sie auch gewährleistet werden, da dies dem Bundesrecht nicht schadet. Und in Nidwalden ging es nicht um die Frage Proporz oder Majorz, sondern um die Wahlkreiseinteilung. Ob die heutige Wahlkreiseinteilung in Graubünden vom Bundesgericht geschützt würde, weiss ich nicht. Wo kein Kläger, ist kein Richter. Der Majorz auf der Basis historisch gewachsener Strukturen, wie er in Graubünden gilt, werde vom Bundesgericht toleriert, sagen Nay und andere Rechtsexperten. Blocher: Ich habe nichts dagegen. Aber das sollte auch für den Proporz gelten, denn bei den heutigen Wahlkreis-Einteilungen werden die Nachteile mit dem Proporz kleiner. Nay betont, dass er sich bei seiner Argumentation an der Rechtssprechung des Bundesgerichts orientiere. Blocher: Das Bundesgericht hat in diesem Falle nichts entschieden. Und auch Herr Nay hat politische Gründe, um zu erreichen, dass die Abstimmung nicht zugelassen wird. Aber er beruft sich lieber auf das Recht und missbraucht seine frühere Stellung als Bundesgerichtspräsident. Die Bündner SVP ist wie ich auch der Meinung, dass mit der heutigen Wahlkreiseinteilung das Proprozverfahren besser und gerechter wäre, als der Majorz. Die Initiative will die Wahlkreise nicht verändern. In einem Zweierwahlkreis braucht ein Kandidat für die Wahl dann 33 Prozent der Stimmen, im Kreis Chur mit 20 Sitzen werden fünf Prozent reichen. Solche Unterschiede halten vor Bundesgericht nicht stand. Blocher: Aber im Majorz ist das noch schlimmer, denn im Majorz braucht es sogar 50 %! Kann das Parlament eine offensichtlich verfassungswidrige Initiative für gültig erklären. Blocher: Die Südostschweiz und Herr Nay bezeichnen dies als offensichtlich. Wenn die Initiative von der CVP, FDP oder der SP eingereicht worden wäre, würden Herr Nay, die Südostschweiz und alle anderen Kritiker die Initiative nicht bemängeln. Das Bundesgericht hat mehrmals gegen Kantone entschieden und einen verfassungswidrigen Proporz korrigiert. Blocher: Aber nicht wegen des Proporzes, den heute praktisch alle Kantone haben. Es ging immer um die Wahlkreise. Ich halte dafür, dass die Politik auch in diesem Falle den Volkswillen respektieren sollte und bei der Beurteilung der Rechtgültigkeit von Initiativen Zurückhaltung üben sollte. Die SVP-Initiative ist vom Volk noch gar nicht gutgeheissen worden. Es geht also nicht um den Volkswillen, sondern um die Verfassungskonformität. Blocher: Das Initiativrecht ist ein Volksrecht, das Politiker verständlicherweise nicht lieben. Leicht findet man rechtliche Gründe, um eine SVP-Initiative für ungültig zu erklären. Nach dem Nidwaldner Urteil geht selbst die Bündner SVP davon aus, dass die Initiative für ungültig erklärt werden wird. Prophylaktisch zeigt sie sich schon bereit, eine Änderung der Wahlkreise zu unterstützen. Blocher: Wenn der Proporz mit den heutigen Wahlkreisen nicht möglich ist, muss man die Änderung der Wahlkreiseinteilung prüfen. Dazu zwingen dann die Ungültigerklärer. Das ist opportunistisch, nicht ehrlich. Die SVP hat noch im Sommer Wahlkampf gemacht mit dem Argument, mit der Proporzinitiative könnten die Wahlkreise beibehalten werden. Jetzt sind die Grossratswahlen vorbei, und schon ist die SVP bereit, bei der strittigen Frage der Wahlkreiseinteilung Hand zu bieten. Blocher: Ihre parteiische Betrachtung übersieht: Die SVP hat versprochen: Proporz ohne Änderung der Wahlkreise. Das will sie. Wenn man ihr das mit rechtlichen Tricks verbietet, muss sie einen anderen Weg finden. Wer die beste Lösung nicht haben kann, muss die zweitbeste wählen, damit aus Sicht der SVP die schlechteste Lösung – d.h. der Majorz – nicht bleibt. Die SVP wusste von Beginn an, dass die Initiative rechtlich heikel ist. Hätte die SVP aber zusätzlich eine neue Wahlkreiseinteilung gefordert, hätte die Initiative bei der eigenen Basis keine Chance gehabt. Blocher: Die Initiative ist rechtlich nicht heikler als das Majorzverfahren mit den heutigen Wahlkreisen. Die SVP will die gleichen Wahlkreise mit Proporz. Lassen Sie das Volk entscheiden und argumentieren Sie politisch und nicht rechtlich. Das wäre ehrlicher! Bisher war die SVP mit Vehemenz gegen eine neue Wahlkreiseinteilung. Noch vor zwei Monaten spielte sich die SVP als Bewahrer der Kreise auf. Jetzt will sie die Kreise aufgeben. Blocher: Wie oft muss ich es Ihnen noch sagen: Die SVP will die heutigen Kreise nicht aufgeben. Das Verhalten gibt aber jenen Recht, die sagen, die SVP sei eine Slalom-Partei. Blocher: Das sagen unsere Gegner. Es gibt keine Partei, die so geradlinig politisiert wie die SVP. Ständerat Christoffel Brändli hat die Meinung zum Proporz seit 2004 um 180 Grad geändert. Das ist schwarz auf weiss belegbar. Blocher: Aus damaliger Sicht machte der Proporz für die SVP auch keinen Sinn. Die Zeiten haben sich seither geändert. Heute wird die SVP in Graubünden ausgegrenzt – von den anderen Parteien und von den Medien. Deshalb braucht sie das Proporzsystem. Jetzt, wo es der SVP nützt, ist sie für den Proporz. Blocher: Ist das anders bei den anderen Parteien? Weshalb wollen CVP, BDP und FDP den Majorz behalten? Weil er ihnen mehr nützt als der Proporz. Und die SP als kleine Partei ist seit Jahren für den Proporz. Die SVP könnte ja die Initiative zurückziehen und zusammen mit der SP eine echte Proporzinitiative mit grösseren Wahlkreisen lancieren. Blocher: Die SVP will die Wahlkreise behalten. Wenn sie ausgetrickst wird, muss sie eine andere Lösung prüfen. Vor dem Bundesparlament sagten Sie, Sie seien froh um die Klarstellung, dass der Majorz bei kantonalen Verfassungen  möglich ist, wenn das Volk das so will. Wären Sie dafür, wenn die SVP das Resultat der nächsten Wahlen, die sicher noch nach dem Majorz stattfinden werden, mit einer Beschwerde in Frage stellt. Blocher: Wenn man ihr den Proporz versperrt, ist dagegen nichts einzuwenden. Die SVP müsste sich also mit einer Beschwerde gegen die Verfassung wehren, für deren Gewährleistung Sie sich im Bundesrat noch gewehrt hatten. Blocher: Damit habe ich keine Mühe. Wenn man den Proporz bei den heutigen Wahlkreisen als verfassungswidrig erklärt, gilt das für den Majorz bei den heutigen Kreisen noch viel mehr. Ich bin nicht der oberste Richter und sage nicht, über mir steht niemand mehr.

02.11.2010

Freudig, offen und direkt

Interview mit der «Davoser Zeitung» vom 2. November 2010 zum Parteitag in Davos 1. Wie hat Ihnen der SVP-Parteitag in Davos gefallen? Der SVP-Parteitag in Davos war ein eindrückliches Erlebnis. Nennen Sie mir eine andere Partei in- und ausserhalb Graubündens, wo an einem Samstag morgen um 09.00 Uhr bis in den Nachmittag 300 Leute zusammenströmen, um über die Zukunft Graubündens und der Schweiz nachzudenken und zu diskutieren. Freudig, offen und direkt. Die Mehrheit junge Leute! Da wird die Kraft einer neuen Partei erkennbar, die die Sorgen der Menschen aufgreift, um diese zu beseitigen und die den eigenen Kanton und das eigene Land in den Mittelpunkt stellt und nicht das eigene Ansehen. 2. Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht solch ein Partei-Treffen? Für eine echte Volkspartei, wie sie die SVP des Kantons Graubünden derzeit darstellt, sind solche Parteitreffen wichtig und gut: Es wird über den eigenen Auftrag, die Zukunft der Schweiz diskutiert und gerungen. 3. Wie beurteilen Sie den Stand der SVP Graubünden aktuell? Sehr gut. Diese neue SVP hat in den vergangenen drei Jahren politisch im Kanton Graubünden mehr bewegt, als die alte SVP in den vergangenen 10 Jahren. Zum Wohle des Kantons Graubünden und der Bündner. 4. Was war Ihnen heute persönlich wichtig? Diese mutige Truppe, all die jungen Leute, die für die Zukunft ihres Kantons und der Schweiz antreten, zu unterstützen und zu danken für ihre Arbeit, die sie im parteipolitischen Hick-Hack, auch weitgehend gegen die grössten Bündner Medien durchstehen müssen. Es galt aufzuzeigen, dass die Zukunft der Schweiz gesichert ist, sofern die Schweiz an ihren Staatssäulen Unabhängigkeit, Neutralität und Freiheit festhält. Das zur Zeit wichtigste ungelöste Problem ist die nicht bewältigte Ausländer- und Asylpolitik. Darum: Die SVP sieht es und tut etwas. 5. Was hat Christoph Blocher generell für Verbindungen zu Davos? Wer kennt Davos nicht? Meine Erinnerungen gehen weit in die Jugend zurück! Meinen Vater, der im Kanton Zürich Pfarrer war, durfte ich als Bube einige Male nach Davos begleiten, um Patienten im "Lungensanatorium" zu besuchen. Schon damals war ich von der Grossartigkeit dieser Landschaft beeindruckt. Als geschichtlich interessierter haben mich auch die Walser stets interessiert, und darum verfolgte ich mit grossem Interesse am Freitagabend das 50-Jahr-Jubiläums-Festspiel "Am Strand", in der Schweizerischen Alpinen Mittelschule. Wunderbar ist diese erhaltene Sprache. 6. Wie gefällt ihnen Davos als Ort? Davos ist natürlich zu einem Grossferienort geworden. Für die Landschaft, in der Davos liegt, habe ich mehr Zuneigung als zum Ort selbst. 7. Waren Sie schon hier oder könnten Sie sich vorstellen hier Ferien zu machen? Das könnte ich mir sehr wohl vorstellen. Doch bis heute habe ich es noch nie gemacht. Weil ich in meiner täglichen Arbeit mit vielen, sehr vielen Menschen zu tun habe, ziehe ich abgelegene Orte vor. 8.  Was wünscht sich Christoph Blocher noch für die 2 restlichen Monate des Jahres? Ein Ja zur Ausschaffungsinitiative, ein Nein zum Gegenvorschlag und eine Verwerfung der SP-Steuerinitiative. Nur so können wir endlich die schweizerische Sicherheit verbessern und die Wohlfahrt für alle nicht gefährden. Am Parteitag referierten Leute in 2 bis 3-minütigen Referaten über die mangelhafte Verkehrsversorgung ihrer Regionen. Die Referate waren von hoher Aussagekraft. (Da hätte noch mancher Politiker etwas lernen können!) Auch ich habe vieles erst in Davos realisiert. Es ist wirklich nicht in Ordnung, dass z.B. das Bergell immer noch über keine wintersichere Verbindung verfügt, dass man einzelnen Orten die Busverbindung kappt, und dass man die neuen Verkehrskonzepte die Randregionen, die auf den Strassentransport angewiesen sind, einfach so behandelt, als würden sie nicht existieren. Im Anschluss an mein Referat hatte ich bei einem Umtrunk auch Gelegenheit, erneut zu erleben, wie sehr die Leute über die heutige Schweiz, die Zukunft des Landes und die misslichen Zustände im Bundeshaus nachdenken. Sie beobachten und reihen das Gesehene durchaus richtig ein. Ich meine die "einfachen Leute" – wie man sie im Bundeshaus etwas abschätzig nennt. Diese Leute sind die Träger des Landes.

31.10.2010

Der Teufel liegt im Detail

Interview mit der «NZZ am Sonntag» vom 31.10.2010 mit Stefan Bühler und Markus Häfliger NZZ am Sonntag: Hans-Rudolf Merz hat mit England und Deutschland Vereinbarungen über eine Abgeltungssteuer getroffen. Ist das ein Schweizer Sieg, wie viele Kommentatoren meinen? Christoph Blocher: Bisher haben wir erst zwei Absichtserklärungen. Das ist noch wenig. Die Verhandlungen - das Seilziehen - fangen erst an. Jetzt schon von einem Sieg zu sprechen, ist leichtsinnig und gefährlich. Die Stossrichtung der Verhandlungen ist bekannt – was halten Sie davon? Dass man für ausländische Guthaben auf Schweizer Banken eine Abgeltungssteuer analog unserer Verrechnungssteuer einführt, ist eine langjährige Forderung auch der SVP, denn wir wissen, dass das Bankkundengeheimnis für Steuerhinterziehung und -betrug missbraucht werden kann. Dadurch wird das Bankkundengeheimnis gewahrt. Erfreulich ist auch ein zweiter Punkt…. Welchen? Dass die Schweiz endlich mit den EU-Ländern direkt verhandelt, statt mit dem Bürokratie-Wasserkopf in Brüssel. Aber neben diesen positiven Punkten bleibt noch vieles im Dunkeln. Es müssen klare Bedingungen erfüllt sein. Welche? Problematisch ist die Amtshilfe: in unserem Staat gilt das Prinzip der doppelten Strafbarkeit: Fremde Staaten bekommen nur Rechts-oder Amtshilfe über Verdächtige, wenn deren Delikt auch in der Schweiz als Verbrechen strafbar ist. Darum hat die Schweiz bei Steuerhinterziehung, (in der Schweiz ein Vergehen), bisher keine Rechtshilfe geleistet. Leider wurde dieser Grundsatz  bereits preis-gegeben, als der Bundesrat 2009 den OECD-Standard – gegen den Willen der SVP - akzeptierte. Wird jetzt auch noch das aufgeweicht, muss die SVP den ganzen Vertrag ablehnen. Es ist nötig, dass der ausländische Staat nicht nur den Namen eines Verdächtigen, sondern auch konkrete Verdachtsmomente glaubhaft machen muss. Sonst erhält die EU den automatischen Informationsaustausch durch die Hintertüre. Und Ihre weiteren Bedingungen? Dass mit diesem Vertrag, der automatische Informationsaustausch vom Tisch ist. Ebenfalls haben sich die Staaten zu verpflichten, weder gestohlene Bankdaten zu kaufen, noch solche als Beweise zu verwenden. Zwingend ist, dass die Schweizer Banken in Deutschland den vollen Marktzutritt erhalten. In diesen Punkten sind die Vereinbarungen neblig. Der Teufel liegt im Detail. Das ist bei solchen Verhandlungen naturgemäss so. Ja. Darum ist es zum Jubeln viel zu früh. Aber die nächsten Monate sind günstig: Die EU-Staaten brauchen dringend Geld. Das muss jetzt ausgenutzt werden für gute Abkommen. Derzeit sind die EU-Staaten eher bereit, ihre ideologischen Forderun-gen fallen zu lassen – wie alle Menschen in der Not. Wann ist der Punkt erreicht, an dem die SVP das Referendum ergreift? Man kann diese erst nach der Schlussabstimmung im Parlament entscheiden. Ist es für Sie nicht prinzipiell störend, wenn Schweizer Banken für ausländische Staaten Steuern eintreiben? Das wird die Schweiz nicht. Sondern es wird von den ausländischen Bankkunden – wie den Schweizern – ein Prozentbetrag abgezogen und pauschal an den auslän-dischen Staat überwiesen, wo es der Bankkunde zurückfordern kann. Neben der Abgeltungssteuer ist eine einmalige Sondersteuer zur Regularisierung unversteuerter Altgelder geplant. Das ist der problematischere Teil. Doch der Vorschlag für diese Sondersteuer kommt ja von den Bankiers selbst. Wenn sie das im Interesse ihrer Kunden wollen, ist die SVP sicher nicht dagegen. Es geht um enorme Summen. Deutsche Quellen rechnen damit, dass die Schweiz schon nächstes Jahr einmalig 30 Milliarden Euro überweist. Diese Beträge sind reine Vermutungen. Es weiss ja niemand, wie viel unversteuer-tes Geld in der Schweiz liegt und allein davon hängt die Höhe der Summe ab. Diese Summen haben die ausländischen Kunden aber nur zu tragen, wenn es unver-steuertes Vermögen betrifft. Sind Sie zuversichtlich, dass die Verantwortlichen in Bern Ihre Bedingungen erfüllen werden? Nein. Ohne gewaltigen Druck der SVP kommt das nicht gut. Sogar deutsche Zeitungen sprechen von einem Triumph für Bundesrat Merz. Ich mag es ihm ja gönnen. Aber es schwächt die Verhandlungen, jetzt schon so zu tun, als wäre alles erreicht. Es liegen lediglich unverbindliche Absichtserklärungen vor. Gefragt ist jetzt Widerstand und nicht gegenseitige Beweihräucherung. Welche Auswirkungen hat eine Abgeltungssteuer für die Schweizer Banken? Der Schweizer Finanzplatz wird weniger konkurrenzfähig sein. Und trotzdem sind Sie dafür? Ja, weil es im zentralen Punkt nicht um die Banken, sondern um den Bürger geht: nämlich, dass sein Bankkundengeheimnis gewahrt bleibt. Das ist der Sinn der Ab-geltungssteuer. Ich bin überzeugt, dass die Schweizer Banken weiterhin erfolgreich geschäften können. Heute gibt es doch ganz andere Kriterien für die Geldanlage: Die Sicherheit, die politische Stabilität. Gerade wer heute sein Geld in die Schweiz bringt, tut es nicht mehr wegen dem Bankkundengeheimnis, sondern weil er dem Euro und der Politik nicht traut. Noch vor wenigen Monaten sagten viele, gegen die EU können wir die Abgeltungssteuer niemals durchsetzen . . . Jetzt sehen wir: Wenn man konsequent bleibt, bringt man eine gute Sache durch – selbst gegen die EU. Meinen 70. Geburtstag verbrachte ich unlängst in Namibia und hatte in der Wüste auch Zeit für die Rückschau. Ich habe mich gefragt, welche politi-schen Fehler ich in meinem Leben gemacht habe und kam zum Schluss: Ich habe viel zu wenig oft Nein gesagt – und ich habe ja weiss Gott oft Nein gesagt. Es ist halt so: Wer am längsten stur ist, gewinnt.

09.10.2010

Die EU und die Schweiz – wie weiter?

Mein Beitrag für die «Schaffhauser Nachrichten», Beilage «Zeitfragen» vom 9. Oktober 2010 In der bundesrätlichen Europapolitik herrscht gegenwärtig ein beunruhigendes Durcheinander. Bundespräsidentin Doris Leuthard spricht von „Fortführung des bilateralen Weges“ als das für unser Land „am besten geeignete Instrument“. Gleichzeitig verkündet Aussenministerin Micheline Calmy-Rey: „Die Weiterführung des bilateralen Weges gemäss den bisher geltenden Modalitäten ist nicht denkbar.“ Noch-Bundesrat Moritz Leuenberger sagt: "Die Schweiz sollte der EU beitreten." Was gilt nun? Verdecktes Ziel Hier wird mit gezinkten Karten gespielt. Mit Ausnahme der SVP haben alle Regierungsparteien den EU-Beitritt seit den 90iger Jahren in ihrem Programm. In Brüssel liegt ein offizielles Gesuch zum EU-Beitritt der Schweiz. Das Schweizervolk, das die Vorteile einer unabhängigen Schweiz im Hinblick auf die Krisen in der EU immer mehr gewahr wird, ist immer mehr gegen einen EU-Beitritt. Es ist dem Bundesrat peinlich, dass er jetzt vor dem Wahljahr 2011 zur EU-Frage Stellung beziehen muss. Die offizielle Erklärung ist darum: "Heute kommt ein EU-Beitritt nicht in Frage, es gilt der bilaterale Weg". Doch sofort stellen sich Fragen: Wie ist es morgen? Wohin mit dem bilateralen Weg? Wie soll es nun konkret weiter gehen? Der Bundesrat handelt nach dem bewährten Grundsatz: Wer gar nicht mehr weiter weiss, gründet einen Arbeitskreis. So soll also eine gemischte Arbeitsgruppe aus Vertretern der EU und unserer Bundesverwaltung über „institutionelle Fragen“ beraten. EU-Funktionäre sollen also mitbestimmen, welche institutionelle Bindungen die Schweiz  eingehen soll! Mit neuen Institutionen soll still und heimlich – möglichst ohne Parlament und ganz sicher ohne Volk – künftiges EU-Recht übernommen werden. Das ist zum Nachteil der Schweiz. EU in schlechter Verfassung Als man 1992 den Kampf gegen den EWR führte, wusste man noch nicht, wie sich die damalige EG entwickeln würde. Die EG war noch ein Projekt. Unterdessen ist sie zur EU mutiert, bildet für 17 Staaten eine Währungsunion, hat die Sozialunion und eine gemeinsame Sicherheitspolitik. Gewiss, ich war schon damals tief überzeugt, dass es sich bei der EU – erst recht mit einer gemeinsamen Euro-Währung – um eine intellektuelle Fehlkonstruktion handle. Aber die gesamte politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Elite sah dies anders. Es gab fast nur Propheten, die der Schweiz ausserhalb der EU keine Chance beimassen. Heute sehen wir, dass es falsche Propheten waren. Zum Glück. Von den Schweizer Tageszeitungen sahen in der EWR-Frage einzig die „Schaffhauser Nachrichten“ klar.  Heute sehen wohl viele - auch die falschen Propheten - klarer: Unserem Land geht es ausserhalb von EWR und EU wesentlich besser als den andern europäischen Staaten. Die EU befindet sich in einer tiefen Krise und muss einzelne Mitgliedstaaten mit Milliardenversprechen vor dem Bankrott bewahren. Der Euro verliert massiv an Vertrauen und wird – nicht wegen des Bankkundengeheimnisses – auf die Schweizer Banken gebracht. Der verspottete Sonderfall wird plötzlich zum beneideten Vorbild. Neu aufflackernde EU-Diskussion Trotz des offensichtlichen Scheiterns der zentralistischen Brüsseler Bürokratie ist die Beitrittsdiskussion hierzulande wieder neu aufgeflackert. Mitte Juli forderte einerseits die angeblich liberale Avenir Suisse den EU- oder zumindest den EWR-Beitritt. Die EU-Spitze andrerseits diktierte, die Schweiz müsse künftig EU-Recht übernehmen und ihre Gerichte anerkennen. Der EU-Botschafter liess uns wissen, dass wir bei einem EU-Beitritt den Euro übernehmen müssten. 1. August-Redner wie Bundesrat Moritz Leuenberger oder alt Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz erklärten unsere Souveränität kurzerhand zum Mythos. Und alt Bundesrat Couchepin prophezeite, die Schweiz müsse wegen des starken Franken der EU beitreten. Nach Couchepins Logik müsste die Schweiz eigentlich Somalia beitreten, denn die dortige Währung ist noch schwächer als der Euro. Was ist zu tun? Die Erklärung, der „bilaterale Weg“ sei das Ziel unserer Europapolitik ist dumm. Die Erklärung hält sich an das Bonmot: "Der "Weg ist das Ziel". Wir lieben zwar diesen Satz. Er ist eine typische Erscheinung der Freizeit- und Vergnügungsgesellschaft. Darum wird einem ganz wohlig zumute. Wer immer diese Gedanken einbringt, erntet daher zustimmendes Gemurmel. Weil das Erreichen eines Zieles eben mühsam ist und verpflichtet, erklärt man den Weg zum Ziel. Denn wer kein messbares Ziel hat, muss schliesslich auch nichts erreichen. Doch genau besehen: "Der Weg ist das Ziel" ist eine der dümmsten Sätze. Er mag vielleicht für den Sonntagsspatziergang mit der Familie richtig sein. Aber auch dort nur bedingt und allenfalls für die Eltern, denn die Kinder wissen meist genau, wohin sie wollen - ihr Ziel ist das nächste Ausflugsrestaurant! Für die Schweizer Politik ist das Ziel unmissverständlich festgehalten in Artikel 2 unserer Bundsverfassung: „Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Sicherheit und Unabhängigkeit des Landes.“ Darum darf und kann die Schweiz weder dem EWR noch der EU noch der NATO beitreten. Bilaterale Verträge sind dieser Zielsetzung vollumfänglich unterzuordnen und dürfen keinerlei institutionelle Bindungen eingehen. Bilaterale Verträge dürfen nur dem Zweck dienen, die Interessen der Schweiz zu wahren und nicht EU-Recht zu übernehmen, um schliesslich der EU beizutreten. Der Rückzug des EU-Beitrittsgesuchs ist die zwingende Logik und der erste Tatbeweis. Wir haben an unserer eigenständigen Währung festzuhalten und jede weitere Staatsverschuldung ist zu vermeiden. Die Personenfreizügigkeit mit sofortigem Zugang zu den Sozialwerken ist unhaltbar und muss neu verhandelt werden. Der Schengen-Vertrag ist zu kündigen um ihn neu auszuhandeln: Die Kriminalität hat dank Schengen enorm zugenommen. Die SVP kämpft als einzige Partei konsequent gegen den EU-Beitritt der Schweiz. Wenn die SVP die Wahlen gewinnt, bleibt die Schweiz unabhängig. Im andern Fall geht der „bilaterale Weg“ unaufhaltsam in Richtung EU-Beitritt. Das schwächt Wohlfahrt, Freiheit und Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz.

04.10.2010

Mensch Blocher

Artikel in der «Schweizer Illustrierten» vom 4. Oktober 2010 70 Jahre – und der SVP-Gigant ist noch lange nicht müde! Jetzt zeigt Christoph Blocher, wo er alt wird. Erzählt, wie alles begann. Verrät, was er noch vorhat. Und fragt: «Bin ich altersmilde geworden?» Wer kennt ihn nicht: Wie er mit den Händen rudernd auf dem Podium steht. Wie er den Buckel macht wie ein Wolf beim Angriff. Wie er seine Unterlippe schürzt und mit schneidendem Schaffhauser Dialekt genüsslich seine Gegner demontiert. Wie er nach der Attacke die Zähne bleckt. Wie dann urplötzlich jede Anspannung aus seinem Gesicht weicht und dem breiten Lächeln Platz macht. Jeder kennt Christoph Blocher. Den Politiker, Polemiker, Polterer. Aber wer kennt den Menschen Christoph Blocher? Am 11. Oktober wird er 70. Das Eisentor ist massiv, die Steinmauer hoch, auf dem Vorplatz steht ein bronzener Stier mit dunkler Patina, der zum Angriff ansetzt. Die Botschaft ist klar: kein Eingang! Wer indes Silvia, 65, und Christoph Blochers Villa in Herrliberg ZH betritt, wird versöhnlich von Ferdinand Hodlers «Der Grammont von Caux aus» empfangen – ein warmes Panorama vom Genfersee mit Ausflugsberg. Von dickem Panzer keine Spur. «Ich komme aus einer dreizehnköpfigen Familie», erzählt der gut gelaunte Hausherr an einem regnerischen Septembertag in seinem Arbeitszimmer, einem offenen Erker, so gross wie eine Einzimmerwohnung. «Mit elf Kindern muss man eine gute Ordnung haben, allein wegen dem Lärm.» Herrliberg liegt da, wo der Zürichsee einen Knick macht. Die Aussicht reicht von den Berner über die Glarner bis zu den Ostschweizer Alpen. «Weil wir so eine grosse Familie waren, waren wir aber auch nicht überbetreut.» Blocher skizziert ein Idealbild von seiner Jugend: Im Frühling habe man ihn rausgestellt. Da konnte er machen, was er wollte. Bis zum Zmittag. Da nahm man ihn rein. Nach dem Essen konnte er wieder raus. «Ich habe unglaublich viele Freiheiten gehabt.» Das klingt wie ein Lebensmotto. Und ist zugleich Parteiprogramm. Christoph Blocher ist die vielleicht wichtigste politische Figur der Schweiz der letzten 20 Jahre, sicher aber die dominanteste. Der Pfarrerssohn aus Laufen am Rheinfall hat einen beispiellosen Aufstieg erlebt: Nach der Bauernlehre holt er 1963 die Matur nach, schliesst 1969 an der Uni Zürich ein Jusstudium ab und wird 1971, noch bevor er die Doktorwürde erlangt, Vize-Direktor der Ems-Chemie, bei der er halbtags im Rechtsdienst arbeitet. 1983 übernimmt er die Aktienmehrheit und die Führung – und legt damit den Grundstein zu seinem unermesslichen Reichtum. «Ich bin Unternehmer mit Fleisch und Blut», sagt er beim Kaffee, «aber Grundlage und Mittelpunkt meines Lebens ist die Familie.» Wer stark belastet sei, müsse sich Zeit für die Familie reservieren. Gemeinsam mit den vier Kindern zu essen, war im Hause Blocher ein feierlicher Akt. «Und am Sonntag habe ich nie gearbeitet. Da war ich daheim und nur daheim – für die Familie.» Ebenso steil die politische Karriere. 1974 wird er Gemeinderat in Meilen, 1975 Zürcher Kantonsrat, 1979 Nationalrat, ab 1977 diktiert er als Präsident der Zürcher SVP dem Berner Politbetrieb die Themenagenda: gegen eine Öffnung der Schweiz nach Europa, gegen die Einwanderung, überhaupt – gegen die Modernisierung der Schweiz. Geschickt formt er aus der behäbigen Bauern- und Gewerbepartei, dem damaligen bürgerlichen Juniorpartner von FDP und CVP, die wählerstärkste Partei des Landes, eine rechtskonservative Kraft. Seine vier Jahre (2003–2007) im Bundesrat nennt er eine Episode – «eine Unebenheit». Dass er in der SVP landet, ist Zufall: Am 1. August 1973 erzählt ihm in Feldmeilen ein Bauer, dass der Gemeindepräsident die ganze Bauzonenordnung verwerfen wolle, um einen Industriekonzern anzulocken. Ehefrau Silvia ist hochschwanger, sie sind gerade zugezogen. «Ja spinnt ihr eigentlich!», entfährt es dem jungen Juristen. Kurz darauf führt er die Opposition an einer turbulenten Gemeindeversammlung zum Sieg – ein Politiker ist geboren. «Meine engsten Freunde waren in der FDP. Ich hätte auch Freisinniger werden können», sagt er im Rückblick. Aber die Bauern und das Gewerbe stehen ihm näher. Blocher bezahlt dafür einen hohen Preis: In seiner Partei ist er am Anfang ein Aussenseiter. Ein Aussenseiter wird der mächtige Mann von der Goldküste immer bleiben. Quasi im Alleingang gewinnt er am 6. Dezember 1992 die Schicksalsabstimmung über den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Sein politischer Höhepunkt führt ihn in die persönliche Isolation: Das Parlament schneidet ihn, die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) wirft ihn aus dem Verwaltungsrat, die Medien nennen ihn einen «Rechtspopulisten». Christoph Blocher ist der Mann, der verliert, wenn er gewinnt: Je mächtiger er wird, desto grösser wird der Widerstand gegen seine Fundamentalopposition. Umgekehrt ist er aber auch der Mann, der gewinnt, wenn er verliert: Keiner weiss die Rolle des Märtyrers besser zu nutzen als er. Er stilisiert sich zum modernen Winkelried, der sich für den kleinen Mann in die Speere der Classe politique wirft. Er habe diese Rolle als Polarisierer nicht gesucht, sagt er, während er durch die dreistöckige Villa führt, die seine Ehefrau Silvia umgebaut hat. Die Böden sind mit hellem Marmor belegt, die Wände voller Schweizer Kunst: Ferdinand Hodler, Albert Anker, Giovanni Segantini. Aber er sei dieser Rolle auch nicht ausgewichen. Polarisierung sei die Voraussetzung für gute Lösungen. «Ich bekämpfe seit Jahrzehnten in Politik und in Wirtschaft all jene Leute, die schon mit dem Kompromiss beginnen.» Es ist diese Lust am Dissonanten, die er seinen Gegnern voraushat. Die ihn im Land der Harmonie zum Giganten gemacht hat. Eine Lust, der er auch im Privaten nachlebt: «Meine Frau hört das ja nicht so gern», beginnt er und wirft Silvia einen ernsten, aber liebevollen Blick zu. «Wir sitzen in einem grossen Saal. Der Grossteil der Leute ist ja verheiratet », beginnt er leise. Da stehe einer auf und rufe: «Es ist halt schon gut, dass es Sie gibt, Herr Blocher, Sie sind so stark. Sie haben halt eine harmonische Ehe.» Blocher erwidert laut: «Was? Eine harmonische Ehe?» Die Worte hallen durch das Privatmuseum. «So eine langweilige Sache! Wir haben doch keine harmonische Ehe!» Dann lacht er schallend. Man müsse ein unverkrampftes Verhältnis zum Streit haben: «Die meisten streiten nur nicht, weil sie zu faul dazu sind.» Gattin Silvia nickt. Auch die Kinder erzieht das Ehepaar so, dass sie ihre eigene Meinung zum Ausdruck bringen. Das wird an einem Podium in Bern, an dem es um die Firmennachfolge geht, überdeutlich: Die älteste Tochter Magdalena Martullo, die die Ems-Chemie über Nacht übernimmt, als er 2003 in den Bundesrat gewählt wird, schreitet neben ihrem Vater auf die Bühne. «2009 hat der Umsatz der Firma», sagt sie in den voll besetzten Saal, «1,2 Milliarden Franken betragen.» Der Vater schaut sie erwartungsfroh von der Seite her an. «Und der Gewinn lag bei 221 Millionen – deutlich höher als bei meiner Übernahme!» Klar wird an dem Podium auch, dass seine Tochter mittlerweile die bessere Blocher ist. Hemdärmliger, undiplomatischer, fordernder: «Wir haben nicht gefragt, ob das bequem ist», sagt Magda- lena Martullo auf die Frage, wie sie die Lösung ihres Vaters fand, «sondern, was das Beste für das Unternehmen ist.» Blochers Kinder mussten sich hoch verschulden, um die Ems zu übernehmen; er schenkt ihnen «nur» einen Drittel des Aktienpakets im Wert von 2,5 Milliarden – als Banksicherheit. Die Bemerkung, sie sei bekannt für einen harten Führungsstil, erwidert sie: «Wir pflegen keine Kultur des Lobens, sondern eine der Disziplin. » Und zitiert damit aus den Führungsprinzipien ihres Vaters. Auch von ihm will sie kein Lob. «Ich weiss ja selber besser, ob ich es gut mache oder nicht.» Nun kann sich der Vater ein Grinsen nicht verkneifen. «Meine Tochter macht vieles besser als ich», sagt er später. Man wisse ja nie, was hängen bleibe. «Der Vorteil eines runden Geburtstags ist, dass man zurückschauen kann. Nachdenken», sagt er. «Für mich ist der Geburtstag ein Fest der Dankbarkeit. » Mit Distanz sieht alles grosszügiger aus. Christoph Blocher weiss sein Erbe in guten Händen. Auch sein ideelles. Er führt weiter durch das Haus, vorbei an Adolf Dietrich, Robert Zünd, Cuno Amiet. «Ich habe das Leben immer so genommen, wie es kam.» Wenn ihm mit 20 jemand gesagt hätte, dass er Industrieller werde, hätte er gesagt: «Spinnsch?» Politiker in Bern? Bundesrat? «Spinnsch!» Er habe das alles nicht gesehen, nicht gewollt, nie geplant. «Viele meinen ja, man könne eine Karriere planen. Das ist Chabis!» Ausgerechnet der grosse Stratege, der eine marode Bündner Chemiefabrik in einen global tätigen Milliardenkonzern verwandelte, der eine serbelnde Bauernpartei neu erfand, der eine schlafende Nation weckte – ausgerechnet dieser aussergewöhnliche Mann will nun im Rückblick ein Meister des Zufalls sein? «Albert Anker hatte einen Leitspruch für seine Kunst», sagt er in seiner Galerie, einem grossen, klimatisierten Keller. Es ist sein «Raum der absoluten Ruhe», sein Regenerationsraum. Hierhin zieht er sich zurück, wenn er genug hat von dem «Seich, dem Gestürm, der Politik» – wenn «die Welt zusammenbricht». «Anker will zeigen, dass die Welt nie verloren ist.» Auch wenn man versage, von den Eltern in den Senkel gestellt oder bestraft werde, ist man nicht verloren. «Bei uns gab es ja noch die Prügelstrafe », erzählt Blocher von früher. «Wir Kinder hatten es lieber, wenn uns die Mutter das Füdli verklopfte, denn wir merkten, dass es ihr mehr wehtut als uns, innerlich.» Es sei dieses Urvertrauen – dass man nie untergehe, egal, was passiere –, das man seinen Kindern vermitteln müsse. Jeder kennt Christoph Blocher. Den Einpeitscher, den Herrscher, den Volkstribun. Kaum einer kennt Christoph Blocher, den humor- und liebevollen Grossvater: «Wo ich hinkomme, kann ich nur gewinnen», erzählt er vergnügt. «Alle sagen immer: Sie sind ja ganz ein anderer! Sie meinen: ein Besserer!» Es sei doch klar, dass er nicht derselbe sei, wenn er auf dem Podium gegen die EU kämpfe, wie wenn die Enkel zu Besuch kommen. «Aber vielleicht bin ich ja auch altersmilde geworden.» Oder altersweise? Ob er 2011 noch einmal für den Nationalrat kandidiert, hat der SVP-Übervater noch nicht entschieden. Er sehe zwar eine gewisse Notwendigkeit: Zum einen werde die wesentliche Frage der Schweiz – die der Unabhängigkeit – in den nächsten Jahren wieder ein Thema. «Das ist mein Gebiet!» Zum andern brauche die Partei auch Ältere, solche mit Erfahrung. «Einem, der vier Jahre im Bundesrat war, macht man nicht mehr viel vor.» Aber er lasse sich nur aufstellen, wenn er sicher sei, dass er es noch könne, gesundheitlich. «Ich entscheide im Frühling.» Am Schluss sagt er leise: «Wenn mich politisch noch etwas reizen würde, dann das FDP-Präsidium.» Fast scheint, als habe er seiner eigentlichen politischen Heimat gegenüber – dem Freisinn – ein schlechtes Gewissen.