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03.11.2010
03.11.2010
Blocher: Herr Nay ist ein Parteigutachter
Interview in der «Südostschweiz» vom 3. November 2010 mit Peter Simmen Herr Blocher, die Bündner SVP hat sich über Jahre gegen den Proporz gewehrt. Jetzt aber hat sie eine Initiative zur Einführung des Proporzes lanciert. Sind Sie selber für den Majorz oder den Proporz? Blocher: Beide Verfahren haben Vor- und Nachteile. Bei der heutigen Wahlkreiseinteilung in Graubünden mit vielen kleinen Wahlkreisen ist aus politischer Sicht sowohl der Proporz als auch der Majorz möglich. Im Kanton Zürich dagegen wäre ich nie für den Majorz. Die SVP Graubünden hat aber Grund, auch in Graubünden den Proporz zu verlangen. Die Gewährleistung der Bündner Kantonsverfassung mit dem Majorz war 2004 im Bundesparlament umstritten. Sie haben sich damals als Bundesrat für die Bündner Verfassung eingesetzt. Blocher: Ja, weil sie der Kanton Graubünden so wollte. Die Gewährleistung der Verfassung war in der Verwaltung rechtlich umstritten. Das zeigt sich an der Botschaft des Bundesrates, in der abschätzige Bemerkungen gegen den Kanton Graubünden enthalten sind. Die Botschaft wurde noch vor meiner Zeit als Bundesrat geschrieben und ich habe mich darüber aufgeregt. Umstritten war nicht das Wahlsystem sondern die Wahlkreiseinteilung. Im Parlament ging die Diskussion nur ums Wahlverfahren. Als Antwort auf die kritischen Äusserungen des Bundesrats verabschiedete das Parlament sogar einen Bericht, in dem die Verfassungsmässigkeit des Majorz betont wurde. Blocher: Die Frage Majorz oder Proporz ist eine politische Frage, nicht eine rechtliche. Ich stellte mich damals auf den Standpunkt, dass es nicht am Bundesparlament liegen könne, eine vom Volk abgesegnete Verfassung in Frage zu stellen, die nicht offensichtlich bundesverfassungswidrig sei. Das Wahlverfahren ist also kompatibel mit der Bundesverfassung. Blocher: Meines Erachtens sind sowohl das Proporzverfahren als auch das Majorzverfahren kompatibel. Aber ich bin nicht das Bundesgericht. Alt Bundesgerichtspräsident Giusep Nay meint, das Bundesgericht toleriere erstens den Majorz, und das Gericht werde zweitens eine vom Volk erst vor wenigen Jahren verabschiedete und vom Parlament gewährleistete Verfassung nicht antasten. Blocher: Herr Nay kann so wenig für das Bundesgericht sprechen wie ich. Er ist heute ein Parteigutachter und für ihn gilt: Im Zweifel gegen den Standpunkt der SVP. Nicht nur hier! Tatsache ist, dass das Bundesgericht nicht an die Gewährleistung durch das Parlament gebunden ist. Es kann einen Sachverhalt selbstständig prüfen und beurteilen, das macht es auch. So hat das Bundesgericht das Zürcher Wahlverfahren geändert, das auf einer gewährleisteten Verfassung basierte. Auch im Kanton Appenzell i.Rh. hat das Bundesgericht korrigiert. Das Bundesgericht beanstandete im Fall von Zürich die Wahlkreiseinteilung, und die war nicht in der Verfassung sondern auf Gesetzesstufe geregelt. Blocher: Aber sie beruhte auf gewährleisteter Verfassung. Nach dem alten System hatten wir über 100 Jahre gewählt. Es war nie verfassungswidrig. Besonders heikel ist der Fall Appenzell: Bei der Einführung des Frauenstimmrechts auf nationaler Ebene sagten das Bundesparlament und der Bundesrat ausdrücklich, die Kantone seien nicht verpflichtet, dasselbe zu tun. Dennoch mussten die Appenzeller auf Geheiss des Bundesgerichts ihre gewährleistete Verfassung ändern. Die Gewährleistung dieser Verfassung lag zum Zeitpunkt des Bundesgerichtsentscheids Jahrzehnte zurück. Die Bündner Verfassung wurde erst vor sechs Jahren gewährleistet. Sie setzten sich im Bern ja auch für die Bündner Verfassung ein. Nay meint, es sei nicht Sache des Gerichts, jetzt die Verfassung jetzt schon zu überprüfen. Auch Sie meinen, das Volk sollte das letzte Wort haben, nicht die Richter. Blocher: Ich habe mich als BR für die Gewährleistung ausgesprochen. Hätte der Kanton Graubünden ein Proporzverfahren beschlossen, wie dies die Bündner SVP vorschlägt, hätte ich dies ebenfalls getan. Ich hatte als Bundesrat nur rechtlich zu urteilen. Nay und andere Rechtsexperten sagen, die SVP-Initiative müsse mit Blick auf die ständige Rechtssprechung des Bundesgerichts als ungültig erklärt werden. Das letzte Urteil des Bundesgerichts betrifft den Kanton Nidwalden und wurde in diesem Jahr gefällt. Blocher: Wenn die Initiative eingereicht wird, sollte sie auf keinen Fall aus Respekt vor dem Initiativrecht des Volks für ungültig erklärt werden. Wird sie vom Volk angenommen, sollte sie auch gewährleistet werden, da dies dem Bundesrecht nicht schadet. Und in Nidwalden ging es nicht um die Frage Proporz oder Majorz, sondern um die Wahlkreiseinteilung. Ob die heutige Wahlkreiseinteilung in Graubünden vom Bundesgericht geschützt würde, weiss ich nicht. Wo kein Kläger, ist kein Richter. Der Majorz auf der Basis historisch gewachsener Strukturen, wie er in Graubünden gilt, werde vom Bundesgericht toleriert, sagen Nay und andere Rechtsexperten. Blocher: Ich habe nichts dagegen. Aber das sollte auch für den Proporz gelten, denn bei den heutigen Wahlkreis-Einteilungen werden die Nachteile mit dem Proporz kleiner. Nay betont, dass er sich bei seiner Argumentation an der Rechtssprechung des Bundesgerichts orientiere. Blocher: Das Bundesgericht hat in diesem Falle nichts entschieden. Und auch Herr Nay hat politische Gründe, um zu erreichen, dass die Abstimmung nicht zugelassen wird. Aber er beruft sich lieber auf das Recht und missbraucht seine frühere Stellung als Bundesgerichtspräsident. Die Bündner SVP ist wie ich auch der Meinung, dass mit der heutigen Wahlkreiseinteilung das Proprozverfahren besser und gerechter wäre, als der Majorz. Die Initiative will die Wahlkreise nicht verändern. In einem Zweierwahlkreis braucht ein Kandidat für die Wahl dann 33 Prozent der Stimmen, im Kreis Chur mit 20 Sitzen werden fünf Prozent reichen. Solche Unterschiede halten vor Bundesgericht nicht stand. Blocher: Aber im Majorz ist das noch schlimmer, denn im Majorz braucht es sogar 50 %! Kann das Parlament eine offensichtlich verfassungswidrige Initiative für gültig erklären. Blocher: Die Südostschweiz und Herr Nay bezeichnen dies als offensichtlich. Wenn die Initiative von der CVP, FDP oder der SP eingereicht worden wäre, würden Herr Nay, die Südostschweiz und alle anderen Kritiker die Initiative nicht bemängeln. Das Bundesgericht hat mehrmals gegen Kantone entschieden und einen verfassungswidrigen Proporz korrigiert. Blocher: Aber nicht wegen des Proporzes, den heute praktisch alle Kantone haben. Es ging immer um die Wahlkreise. Ich halte dafür, dass die Politik auch in diesem Falle den Volkswillen respektieren sollte und bei der Beurteilung der Rechtgültigkeit von Initiativen Zurückhaltung üben sollte. Die SVP-Initiative ist vom Volk noch gar nicht gutgeheissen worden. Es geht also nicht um den Volkswillen, sondern um die Verfassungskonformität. Blocher: Das Initiativrecht ist ein Volksrecht, das Politiker verständlicherweise nicht lieben. Leicht findet man rechtliche Gründe, um eine SVP-Initiative für ungültig zu erklären. Nach dem Nidwaldner Urteil geht selbst die Bündner SVP davon aus, dass die Initiative für ungültig erklärt werden wird. Prophylaktisch zeigt sie sich schon bereit, eine Änderung der Wahlkreise zu unterstützen. Blocher: Wenn der Proporz mit den heutigen Wahlkreisen nicht möglich ist, muss man die Änderung der Wahlkreiseinteilung prüfen. Dazu zwingen dann die Ungültigerklärer. Das ist opportunistisch, nicht ehrlich. Die SVP hat noch im Sommer Wahlkampf gemacht mit dem Argument, mit der Proporzinitiative könnten die Wahlkreise beibehalten werden. Jetzt sind die Grossratswahlen vorbei, und schon ist die SVP bereit, bei der strittigen Frage der Wahlkreiseinteilung Hand zu bieten. Blocher: Ihre parteiische Betrachtung übersieht: Die SVP hat versprochen: Proporz ohne Änderung der Wahlkreise. Das will sie. Wenn man ihr das mit rechtlichen Tricks verbietet, muss sie einen anderen Weg finden. Wer die beste Lösung nicht haben kann, muss die zweitbeste wählen, damit aus Sicht der SVP die schlechteste Lösung – d.h. der Majorz – nicht bleibt. Die SVP wusste von Beginn an, dass die Initiative rechtlich heikel ist. Hätte die SVP aber zusätzlich eine neue Wahlkreiseinteilung gefordert, hätte die Initiative bei der eigenen Basis keine Chance gehabt. Blocher: Die Initiative ist rechtlich nicht heikler als das Majorzverfahren mit den heutigen Wahlkreisen. Die SVP will die gleichen Wahlkreise mit Proporz. Lassen Sie das Volk entscheiden und argumentieren Sie politisch und nicht rechtlich. Das wäre ehrlicher! Bisher war die SVP mit Vehemenz gegen eine neue Wahlkreiseinteilung. Noch vor zwei Monaten spielte sich die SVP als Bewahrer der Kreise auf. Jetzt will sie die Kreise aufgeben. Blocher: Wie oft muss ich es Ihnen noch sagen: Die SVP will die heutigen Kreise nicht aufgeben. Das Verhalten gibt aber jenen Recht, die sagen, die SVP sei eine Slalom-Partei. Blocher: Das sagen unsere Gegner. Es gibt keine Partei, die so geradlinig politisiert wie die SVP. Ständerat Christoffel Brändli hat die Meinung zum Proporz seit 2004 um 180 Grad geändert. Das ist schwarz auf weiss belegbar. Blocher: Aus damaliger Sicht machte der Proporz für die SVP auch keinen Sinn. Die Zeiten haben sich seither geändert. Heute wird die SVP in Graubünden ausgegrenzt – von den anderen Parteien und von den Medien. Deshalb braucht sie das Proporzsystem. Jetzt, wo es der SVP nützt, ist sie für den Proporz. Blocher: Ist das anders bei den anderen Parteien? Weshalb wollen CVP, BDP und FDP den Majorz behalten? Weil er ihnen mehr nützt als der Proporz. Und die SP als kleine Partei ist seit Jahren für den Proporz. Die SVP könnte ja die Initiative zurückziehen und zusammen mit der SP eine echte Proporzinitiative mit grösseren Wahlkreisen lancieren. Blocher: Die SVP will die Wahlkreise behalten. Wenn sie ausgetrickst wird, muss sie eine andere Lösung prüfen. Vor dem Bundesparlament sagten Sie, Sie seien froh um die Klarstellung, dass der Majorz bei kantonalen Verfassungen möglich ist, wenn das Volk das so will. Wären Sie dafür, wenn die SVP das Resultat der nächsten Wahlen, die sicher noch nach dem Majorz stattfinden werden, mit einer Beschwerde in Frage stellt. Blocher: Wenn man ihr den Proporz versperrt, ist dagegen nichts einzuwenden. Die SVP müsste sich also mit einer Beschwerde gegen die Verfassung wehren, für deren Gewährleistung Sie sich im Bundesrat noch gewehrt hatten. Blocher: Damit habe ich keine Mühe. Wenn man den Proporz bei den heutigen Wahlkreisen als verfassungswidrig erklärt, gilt das für den Majorz bei den heutigen Kreisen noch viel mehr. Ich bin nicht der oberste Richter und sage nicht, über mir steht niemand mehr.
02.11.2010
Freudig, offen und direkt
Interview mit der «Davoser Zeitung» vom 2. November 2010 zum Parteitag in Davos 1. Wie hat Ihnen der SVP-Parteitag in Davos gefallen? Der SVP-Parteitag in Davos war ein eindrückliches Erlebnis. Nennen Sie mir eine andere Partei in- und ausserhalb Graubündens, wo an einem Samstag morgen um 09.00 Uhr bis in den Nachmittag 300 Leute zusammenströmen, um über die Zukunft Graubündens und der Schweiz nachzudenken und zu diskutieren. Freudig, offen und direkt. Die Mehrheit junge Leute! Da wird die Kraft einer neuen Partei erkennbar, die die Sorgen der Menschen aufgreift, um diese zu beseitigen und die den eigenen Kanton und das eigene Land in den Mittelpunkt stellt und nicht das eigene Ansehen. 2. Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht solch ein Partei-Treffen? Für eine echte Volkspartei, wie sie die SVP des Kantons Graubünden derzeit darstellt, sind solche Parteitreffen wichtig und gut: Es wird über den eigenen Auftrag, die Zukunft der Schweiz diskutiert und gerungen. 3. Wie beurteilen Sie den Stand der SVP Graubünden aktuell? Sehr gut. Diese neue SVP hat in den vergangenen drei Jahren politisch im Kanton Graubünden mehr bewegt, als die alte SVP in den vergangenen 10 Jahren. Zum Wohle des Kantons Graubünden und der Bündner. 4. Was war Ihnen heute persönlich wichtig? Diese mutige Truppe, all die jungen Leute, die für die Zukunft ihres Kantons und der Schweiz antreten, zu unterstützen und zu danken für ihre Arbeit, die sie im parteipolitischen Hick-Hack, auch weitgehend gegen die grössten Bündner Medien durchstehen müssen. Es galt aufzuzeigen, dass die Zukunft der Schweiz gesichert ist, sofern die Schweiz an ihren Staatssäulen Unabhängigkeit, Neutralität und Freiheit festhält. Das zur Zeit wichtigste ungelöste Problem ist die nicht bewältigte Ausländer- und Asylpolitik. Darum: Die SVP sieht es und tut etwas. 5. Was hat Christoph Blocher generell für Verbindungen zu Davos? Wer kennt Davos nicht? Meine Erinnerungen gehen weit in die Jugend zurück! Meinen Vater, der im Kanton Zürich Pfarrer war, durfte ich als Bube einige Male nach Davos begleiten, um Patienten im "Lungensanatorium" zu besuchen. Schon damals war ich von der Grossartigkeit dieser Landschaft beeindruckt. Als geschichtlich interessierter haben mich auch die Walser stets interessiert, und darum verfolgte ich mit grossem Interesse am Freitagabend das 50-Jahr-Jubiläums-Festspiel "Am Strand", in der Schweizerischen Alpinen Mittelschule. Wunderbar ist diese erhaltene Sprache. 6. Wie gefällt ihnen Davos als Ort? Davos ist natürlich zu einem Grossferienort geworden. Für die Landschaft, in der Davos liegt, habe ich mehr Zuneigung als zum Ort selbst. 7. Waren Sie schon hier oder könnten Sie sich vorstellen hier Ferien zu machen? Das könnte ich mir sehr wohl vorstellen. Doch bis heute habe ich es noch nie gemacht. Weil ich in meiner täglichen Arbeit mit vielen, sehr vielen Menschen zu tun habe, ziehe ich abgelegene Orte vor. 8. Was wünscht sich Christoph Blocher noch für die 2 restlichen Monate des Jahres? Ein Ja zur Ausschaffungsinitiative, ein Nein zum Gegenvorschlag und eine Verwerfung der SP-Steuerinitiative. Nur so können wir endlich die schweizerische Sicherheit verbessern und die Wohlfahrt für alle nicht gefährden. Am Parteitag referierten Leute in 2 bis 3-minütigen Referaten über die mangelhafte Verkehrsversorgung ihrer Regionen. Die Referate waren von hoher Aussagekraft. (Da hätte noch mancher Politiker etwas lernen können!) Auch ich habe vieles erst in Davos realisiert. Es ist wirklich nicht in Ordnung, dass z.B. das Bergell immer noch über keine wintersichere Verbindung verfügt, dass man einzelnen Orten die Busverbindung kappt, und dass man die neuen Verkehrskonzepte die Randregionen, die auf den Strassentransport angewiesen sind, einfach so behandelt, als würden sie nicht existieren. Im Anschluss an mein Referat hatte ich bei einem Umtrunk auch Gelegenheit, erneut zu erleben, wie sehr die Leute über die heutige Schweiz, die Zukunft des Landes und die misslichen Zustände im Bundeshaus nachdenken. Sie beobachten und reihen das Gesehene durchaus richtig ein. Ich meine die "einfachen Leute" – wie man sie im Bundeshaus etwas abschätzig nennt. Diese Leute sind die Träger des Landes.
31.10.2010
Der Teufel liegt im Detail
Interview mit der «NZZ am Sonntag» vom 31.10.2010 mit Stefan Bühler und Markus Häfliger NZZ am Sonntag: Hans-Rudolf Merz hat mit England und Deutschland Vereinbarungen über eine Abgeltungssteuer getroffen. Ist das ein Schweizer Sieg, wie viele Kommentatoren meinen? Christoph Blocher: Bisher haben wir erst zwei Absichtserklärungen. Das ist noch wenig. Die Verhandlungen - das Seilziehen - fangen erst an. Jetzt schon von einem Sieg zu sprechen, ist leichtsinnig und gefährlich. Die Stossrichtung der Verhandlungen ist bekannt – was halten Sie davon? Dass man für ausländische Guthaben auf Schweizer Banken eine Abgeltungssteuer analog unserer Verrechnungssteuer einführt, ist eine langjährige Forderung auch der SVP, denn wir wissen, dass das Bankkundengeheimnis für Steuerhinterziehung und -betrug missbraucht werden kann. Dadurch wird das Bankkundengeheimnis gewahrt. Erfreulich ist auch ein zweiter Punkt…. Welchen? Dass die Schweiz endlich mit den EU-Ländern direkt verhandelt, statt mit dem Bürokratie-Wasserkopf in Brüssel. Aber neben diesen positiven Punkten bleibt noch vieles im Dunkeln. Es müssen klare Bedingungen erfüllt sein. Welche? Problematisch ist die Amtshilfe: in unserem Staat gilt das Prinzip der doppelten Strafbarkeit: Fremde Staaten bekommen nur Rechts-oder Amtshilfe über Verdächtige, wenn deren Delikt auch in der Schweiz als Verbrechen strafbar ist. Darum hat die Schweiz bei Steuerhinterziehung, (in der Schweiz ein Vergehen), bisher keine Rechtshilfe geleistet. Leider wurde dieser Grundsatz bereits preis-gegeben, als der Bundesrat 2009 den OECD-Standard – gegen den Willen der SVP - akzeptierte. Wird jetzt auch noch das aufgeweicht, muss die SVP den ganzen Vertrag ablehnen. Es ist nötig, dass der ausländische Staat nicht nur den Namen eines Verdächtigen, sondern auch konkrete Verdachtsmomente glaubhaft machen muss. Sonst erhält die EU den automatischen Informationsaustausch durch die Hintertüre. Und Ihre weiteren Bedingungen? Dass mit diesem Vertrag, der automatische Informationsaustausch vom Tisch ist. Ebenfalls haben sich die Staaten zu verpflichten, weder gestohlene Bankdaten zu kaufen, noch solche als Beweise zu verwenden. Zwingend ist, dass die Schweizer Banken in Deutschland den vollen Marktzutritt erhalten. In diesen Punkten sind die Vereinbarungen neblig. Der Teufel liegt im Detail. Das ist bei solchen Verhandlungen naturgemäss so. Ja. Darum ist es zum Jubeln viel zu früh. Aber die nächsten Monate sind günstig: Die EU-Staaten brauchen dringend Geld. Das muss jetzt ausgenutzt werden für gute Abkommen. Derzeit sind die EU-Staaten eher bereit, ihre ideologischen Forderun-gen fallen zu lassen – wie alle Menschen in der Not. Wann ist der Punkt erreicht, an dem die SVP das Referendum ergreift? Man kann diese erst nach der Schlussabstimmung im Parlament entscheiden. Ist es für Sie nicht prinzipiell störend, wenn Schweizer Banken für ausländische Staaten Steuern eintreiben? Das wird die Schweiz nicht. Sondern es wird von den ausländischen Bankkunden – wie den Schweizern – ein Prozentbetrag abgezogen und pauschal an den auslän-dischen Staat überwiesen, wo es der Bankkunde zurückfordern kann. Neben der Abgeltungssteuer ist eine einmalige Sondersteuer zur Regularisierung unversteuerter Altgelder geplant. Das ist der problematischere Teil. Doch der Vorschlag für diese Sondersteuer kommt ja von den Bankiers selbst. Wenn sie das im Interesse ihrer Kunden wollen, ist die SVP sicher nicht dagegen. Es geht um enorme Summen. Deutsche Quellen rechnen damit, dass die Schweiz schon nächstes Jahr einmalig 30 Milliarden Euro überweist. Diese Beträge sind reine Vermutungen. Es weiss ja niemand, wie viel unversteuer-tes Geld in der Schweiz liegt und allein davon hängt die Höhe der Summe ab. Diese Summen haben die ausländischen Kunden aber nur zu tragen, wenn es unver-steuertes Vermögen betrifft. Sind Sie zuversichtlich, dass die Verantwortlichen in Bern Ihre Bedingungen erfüllen werden? Nein. Ohne gewaltigen Druck der SVP kommt das nicht gut. Sogar deutsche Zeitungen sprechen von einem Triumph für Bundesrat Merz. Ich mag es ihm ja gönnen. Aber es schwächt die Verhandlungen, jetzt schon so zu tun, als wäre alles erreicht. Es liegen lediglich unverbindliche Absichtserklärungen vor. Gefragt ist jetzt Widerstand und nicht gegenseitige Beweihräucherung. Welche Auswirkungen hat eine Abgeltungssteuer für die Schweizer Banken? Der Schweizer Finanzplatz wird weniger konkurrenzfähig sein. Und trotzdem sind Sie dafür? Ja, weil es im zentralen Punkt nicht um die Banken, sondern um den Bürger geht: nämlich, dass sein Bankkundengeheimnis gewahrt bleibt. Das ist der Sinn der Ab-geltungssteuer. Ich bin überzeugt, dass die Schweizer Banken weiterhin erfolgreich geschäften können. Heute gibt es doch ganz andere Kriterien für die Geldanlage: Die Sicherheit, die politische Stabilität. Gerade wer heute sein Geld in die Schweiz bringt, tut es nicht mehr wegen dem Bankkundengeheimnis, sondern weil er dem Euro und der Politik nicht traut. Noch vor wenigen Monaten sagten viele, gegen die EU können wir die Abgeltungssteuer niemals durchsetzen . . . Jetzt sehen wir: Wenn man konsequent bleibt, bringt man eine gute Sache durch – selbst gegen die EU. Meinen 70. Geburtstag verbrachte ich unlängst in Namibia und hatte in der Wüste auch Zeit für die Rückschau. Ich habe mich gefragt, welche politi-schen Fehler ich in meinem Leben gemacht habe und kam zum Schluss: Ich habe viel zu wenig oft Nein gesagt – und ich habe ja weiss Gott oft Nein gesagt. Es ist halt so: Wer am längsten stur ist, gewinnt.
09.10.2010