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16.05.2010

Interview in der Weltwoche

Interview Weltwoche, Roger Köppel, 16.05.2010 Der Bundesrat lobt das 750-Milliarden-Euro-Rettungspaket zur Stützung der europäischen Einheitswährung. Zu Recht? Nein, der Bundesrat lobt eine Lösung, die keine ist. Er hätte besser nichts gesagt. Zumindest sollte er kritisch bleiben, weil auch die Schweiz über den Internationalen Währungsfonds an den Beiträgen beteiligt ist… …was Sie sicher schlecht finden? Ja. Leider ist die Schweiz seit 1991 Mitglied des Internationalen Währungsfonds. Sie hatte nicht die Kraft weiter dagegenzuhalten. Wir verloren damals leider die Volksabstimmung, weil auch die Banken – aus Anstand gegenüber dem Bundesrat – dafür waren. Die Annahme der Vorlage euphorisierte den Bundesrat derart, dass er nur wenige Tage später ein EU-Beitrittsgesuch in Brüssel einreichte. Dort liegt es heute noch.   Was halten Sie vom Rettungspaket?   Die Fehlkonstruktion der EU tritt nun deutlich und für jedermann sichtbar zu Tage. Die Griechen hatten eine miserable Ausgabendisziplin, sie lebten über ihre Verhältnisse. Es gab Betrügereien, Bücherfälschungen; Bilanzen wurden geschminkt – vermutlich nicht nur von Griechenland. Diese Praktiken wurden und werden jetzt mit Geld unterstützt. Das Motiv dahinter: Es wird Geld bezahlt, um den Euro - eine weitere Fehlkonstruktion - zu stützen. Man behauptet keck, der Euro sei eine grossartige Erfindung und das aktuelle Problem habe seine Ursache lediglich im Larifari der Griechen. Aber: Der Euro ist eine wesentliche Ursache des Griechenland-Problems und damit aller Folgeprobleme. Die Griechen profitierten jahrelang ungerechtfertigt von einer Währung mit für sie zu tiefen Zinsen. So erhöhten sie die Ausgaben. Das Geld zur Schuldendeckung bekamen sie immer. Hätten die Griechen die Drachme behalten, hätte man ihnen nie diese Kredite gegeben, und es wäre nie soweit gekommen. Der Euro ist das Problem, nicht die sogenannt bösen Spekulanten.   Der Euro hat die Disziplinlosigkeit der Mittelmeer-Länder verschärft?   Eindeutig. Die tüchtigen EU-Länder müssen nun zahlen, die schwachen Staaten dürfen die Hand aufhalten. Sie haben gemerkt, dass man sie nicht fallenlassen kann. Die Ansteckungsgefahr ist gross.  Wer weiss, dass man ihn nicht fallenlassen kann, geht zu hohe Risiken ein. Der Fehler liegt in der Grundkonstruktion der EU und ihrer Währung. Der Euro wurde aus politischen Gründen eingeführt mit dem Ziel, die EU-Länder zusammenzuschweissen. Die Ökonomie wurde ausgeblendet. Es war von Anfang bekannt, wie gefährlich diese Währungsunion ist. Darum legte man für die einzelnen Länder Grenzen für Staatsverschuldung und Defizite fest. Auf dem Papier wurden diese eingehalten und schliesslich offen ohne Sanktionen überschritten. Elf Länder der Eurozone halten unterdessen die Kriterien nicht ein!  Das Wichtigste hat man vergessen: In der politischen Euphorie der Gründung legte man fest, wie man in den Euro reinkommt, aber nicht wie man ausgeschlossen werden kann.   Was wäre denn die Alternative gewesen? Deutsche und französische Politiker beteuern, alle Experten hätten ihnen gesagt, dass eine Umschuldung Griechenlands zum jetzigen Zeitpunkt viel zu riskant gewesen wäre. Man habe den grossen Rettungsschirm spannen müssen.   Die Politiker hatten Angst vor den unmittelbaren Folgen. Aber man täusche sich nicht: Was jetzt gemacht wurde, lindert zwar kurzfristig den Schmerz. Die Krankheit hingegen wird kultiviert. Szenarien für einen Ausstieg aus der Währung hätten schon vor Jahren erarbeitet werden müssen. Ich hätte deshalb erwartet, dass man unter dem Eindruck der unmittelbaren Krise diese Szenarien ernsthaft prüft. Offenbar wollen dies die europäischen Politiker noch immer nicht. Bundeskanzlerin Merkel soll erklärt haben: „Ohne Euro, kein Europa.“ Man klammert sich an eine Fehlkonstruktion.   Kritiker sagen, man hätte den Griechen einen Teil der Schulden erlassen, die Banken hätten auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten sollen. Frau Merkel antwortete, dafür sei es zu spät gewesen. Alle Fachleute hätten ihr zum gewählten Weg eines Rettungspakets ohne  Umschuldung geraten.   Es ist billig, alles auf das Timing abzuschieben. Wenn alle das gleiche sagen und alle beteuern, es gebe keine Alternativen, ist die Sache stets faul! Natürlich sind mit einem Staatsbankrott erhebliche Verluste verbunden. Vor allem deutsche Staatsbanken kauften sorglos griechische Staatsanleihen, um einen etwas höheren Zins zu erzielen. Diese Banken hätten die Verluste tragen müssen, aber die EU wäre ihr Klumpenrisiko Griechenland losgeworden. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die EU-Staaten ihre Griechenland-Kredite jemals zurückbekommen?   In Griechenland gehen bereits die Beamten auf die Strasse. In Deutschland sind die meisten Leute gegen die Hilfe. Wie schätzen Sie die politische Stimmung in Europa ein?   Die Weigerung der Politik, die Euro-Krise an der Wurzel anzugehen, erzeugt gewaltige Spannungen. Das erfüllt mich mit Sorge. Wenn ich sehe, wie deutsche Zeitungen gegen die Griechen schreiben, bin ich alarmiert. In Österreich greift der SP-Fraktionschef die Schweiz als «Trittbrettfahrer« an, wir müssten auch bezahlen. Das Friedensprojekt EU wird plötzlich zum Brandbeschleuniger nationaler Spannungen.   Hat Sie das überrascht?   Nein. Man kann die Reaktionen nachvollziehen: Der deutsche Arbeiter muss zahlen, während viele Griechen mit 55 und übersetzten Renten in die Pension gehen und die dolce vita pflegen. Einzelne Länder fühlen sich ausgenützt. Zu Recht. Allen voran die Deutschen, die einem durchaus leid tun können: Nach dem Krieg durfte man nicht Deutscher sein, also  war man Europäer. Die EU wurde so eine Art Ersatzidentität. Die anderen Länder der EU forderten stets, dass die Deutschen zahlen mussten. Stillschweigend warf man ihnen immer den verlorenen  Krieg vor. Jetzt aber leben Generationen in der Bundesrepublik, die weder einen Krieg angefangen noch verloren haben. Irgendwann muss das aufhören. Ich legte schon anfangs der neunziger Jahre, als die Schweiz über den EWR-Beitritt (die Vorstufe zur EU) <//u>zu entscheiden hatte, dar: Die Österreicher zahlen den Schweizern auch nichts mehr, obschon sie die Schlachten bei Morgarten und Sempach verloren haben! (lacht)   Was würden Sie Merkel und Sarkozy raten, wenn Sie mit Ihnen am Tisch sässen?   Sie müssten hinstehen und sagen: „Schaut, wir mussten diesen Unsinn mit dem Rettungspaket beschliessen, das ist nun durchzuziehen. Aber jetzt müssen wir innerhalb eines Monats ein Ausstiegsszenario entwerfen für Länder, die die Kriterien nicht erfüllen und deshalb in solche Schwierigkeiten geraten.“ Es braucht ein Ausschlussverfahren. Der Euro wird nicht zu halten sein. Politisch geschaffene Währungen, es gab einige in der Geschichte, leben höchstens 15 bis 30 Jahre. Das ist beim Euro genauso. Es fehlen die ökonomischen Voraussetzungen.   Die EU will das Euro-Problem mit noch mehr Europa lösen. Kommt jetzt der Durchbruch zum Superstaat EU?   Die linken Kreise suchen das Heil in noch mehr Zentralisierung. Man will alles unter einen Nenner zwingen: Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik. Das ist die Tragik: Wenn Politiker etwas falsch machen, haben sie nicht den Mut, den Fehler zuzugeben und das ganze rückgängig zu machen. Nein, man legt lieber noch einen Zacken zu, auf dem falschen Weg. Aber machen wir uns nichts vor. Dies alles wird die EU wirtschaftlich weiter schwächen.   EU-Kommissionspräsident Barroso sagte vor fünf Jahren, mehr Zentralismus werde es nicht geben. Heute erzählt der gleiche Mann das Gegenteil.   Wer ohne Grundlage regiert, erzählt jeden Tag etwas anderes. Die EU-Politiker setzen den Wohlstand Europas aufs Spiel, um den Euro zu stützen. Stellen wir uns nur für einen Moment vor, was es heisst, von Portugal über Deutschland bis Polen eine einheitliche Wirtschafts-, Sozial-, Finanz- und Steuerpolitik durchzuführen. Die Türken stehen auch vor der Tür. Wer setzt die Steuerstandards? Wer prüft die Bücher und schreibt die Budgets vor? Die EU ist und bleibt ein Grössenwahnprojekt.   Eine Rückabwicklung des Euro würde in den Augen der Deutschen und der Franzosen das Friedensprojekt EU gefährden. Das löst Ur-Ängste aus. Wie ist damit umzugehen?   Man müsste sich von der fixen Idee, entweder die Konstruktion EU oder kein Europa, lösen. Die EU-Staaten klammern sich an die EU mit dem Argument, sonst gebe es wieder Krieg. Stimmt das? Es war sicher gut, dass vor allem Deutschland und Frankreich nach zwei Weltkriegen näher zusammenrückten. Das war auch für die Schweiz nachvollziehbar. Das Ziel, Kriege zu verhindern durch bessere Zusammenarbeit, bestreitet doch niemand. Aber eine Währung darf niemals zu einem derartigen Götzenbild werden, dass man es als Kriegsverhinderungsinstrument anbetet. Wegen verschiedener Währungen bricht doch kein Krieg aus. Und man kann auch dann zusammenarbeiten, wenn es verschiedene Währungen gibt. Das zwanghafte Zusammenbinden in der EU verschärft die Spannungen.   Der Ökonom Kurt Schiltknecht ist pessimistisch. Durch die riesigen Hilfspakete und die enorme Staatsverschuldung würden dem Markt gewaltige Summen entzogen. Folge: Die EU wird in den nächsten Jahren der Chance beraubt, wirtschaftlich zu wachsen.   Einverstanden. Es wird wirtschaftlich schlechter gehen für alle Länder. Es wird auch die Schweiz treffen, weniger als die EU-Staaten, aber trotzdem. Das Problem geht weit über Europa hinaus.  Die schlimmsten Verschuldungen haben die USA und Japan. Staatsverschuldungen ziehen Unsummen aus dem Privatsektor ab. Dieses Geld fehlt für Investitionen. Nehmen Sie Deutschland: Die Deutschen müssten zur Ankurbelung ihrer Wirtschaft die Steuern senken. Dringend. Das sei angesichts der Euro-Hilfen nicht mehr möglich, sagt jetzt die Kanzlerin. Sie erkennen den Mechanismus: Wenn es darum geht, den Bürgern 30 Milliarden weniger zu nehmen, kann man sich das nicht leisten. Beim Ausgeben sind Garantien in mehrfacher  Höhe dann kein Problem.   Kann man Staatsschulden dieser Grössenordnung ohne Inflation tilgen?   Kaum. Und das trifft dann alle. Vor allem die Rentner und Kleinverdiener. Dazu kommt heute das billige Geld. Bei den tiefen Hypothekar-Zinsen überschulden sich viele, um in angeblich sichere Immobilien einzusteigen. Ich würde im Bundesrat ernsthaft darüber nachdenken, was wir unternehmen müssen, um eine Immobilienkrise in der Zukunft abzuwenden. Es wäre die Aufgabe der europäischen Notenbank, die Inflation zu verhindern, statt überschuldeten Staaten Geld zu geben. Ich traue dem europäischen Notenbankpräsidenten Trichet ehrlich gesagt diese Standhaftigkeit nicht mehr zu. Woher sollen die Europäer den Mut nehmen, die gewaltige Liquidität aus dem Markt zu ziehen, wenn es ihnen schon an der Courage fehlt, Griechenland auf den normalen Weg jedes Schuldners zu zwingen.   Welchen europäischen Politikern trauen Sie eine Lösung zu?   Grundsätzlich traue ich den Engländern von der Mentalität her am ehesten eine Lösung zu. Wenn es hart wird, bringen die Briten hervorragende Führungspersönlichkeiten hervor. Sie hatten einen Churchill, eine Thatcher. Möglicherweise würde es Tony Blair besser machen als heute Cameron oder Clegg. Warten wir ab. Wenn ich auf Deutschland blicke, sähe ich, obwohl ich gar nicht auf seiner Linie liege, bei Ex-Kanzler Gerhard Schröder das Potenzial, das Heft in die Hand zu nehmen. Schröder hatte immerhin den Mut, im Sozialwesen etwas aufzuräumen - gegen heftigen Widerstand. Früher wäre es wohl Helmut Schmidt gewesen.   Erleben wir eine Zeit schwacher Politiker?   Eindeutig. Die wirtschaftlich sehr guten Nachkriegsjahre bilden kein Lebensklima, das starke Persönlichkeiten erzeugt. Das gilt nicht nur für die Politik. Kommt dazu, dass die Bürger die farblosen Anpasser dem mutigen oft etwas unbequemen Realisten vorziehen. Das hat Politiker dazu verleitet, nicht über die fundamentalen Dinge zu reden und zu streiten. Wer redet zum Beispiel über die EU, die horrenden Staatsverschuldungen, die Fragwürdigkeit,  alles mit Geld decken zu wollen? Das fällt mir vor allem in Deutschland auf. Wer den Wert  des übersichtlichen Nationalstaates hochhält, wird sofort als Extremist verschrien. Hier spürt man, dass Deutschland eine junge Demokratie ist. Die direkte Demokratie, wie wir sie haben, zwingt zu mehr Offenheit und Auseinandersetzung. Ein etwas ungezwungener Umgang gerade mit Problemen, von denen niemand gerne spricht, wäre nötig. Das Unheil passiert ja stets mit solchen Tabu-Konstruktionen.   Sind Sie enttäuscht von Angela Merkel?   Es fehlt ihr die Kraft. Sie schaut auf den Wahlerfolg -  von ihr und ihrer Partei. Sie macht im Wesentlichen  das Gleiche wie die Vorgängerregierung. Darum wird sie die Wahlen verlieren. Dabei hätte sie eine hervorragende Chance gehabt: Sie wurde mit der FDP gewählt und hätte sagen können, jetzt gehen wir massiv in die freiheitliche Richtung. 4 Jahre kann das niemand verhindern. Sie hätte sich für das Wohl ihres Landes einsetzen, die Steuern senken, die Wirtschaft befreien und die Fehlkonstruktionen der EU anpacken können. Mag sein, dass sie in 4 Jahren nicht wiedergewählt worden wäre, aber ihrem Land ginge es wohl besser.   Wo sehen Sie die grössten Risiken für die Schweiz?   Kurzfristig resultiert ein starker Schweizer Franken. Die negativen Folgen für den Export sind kurzfristig und nicht zu überschätzen. Langfristig gleicht sich das wieder aus. Aber ich sehe es grundsätzlicher: Wir sind von Staaten mit einer massiven Verschuldung umgeben. Die brauchen Geld. Damit steigt die Versuchung, andere Länder über die Grenzen hinweg unter Druck zu setzen. Das kann gefährlich werden.  Der kriegerische Griff nach der Schweizer Staatskasse ist eine Konstante in der europäischen Geschichte. Riskant sind die Spannungen innerhalb der EU. Es geht nicht um Konflikte unter Politikern, sondern die Bürger sind verärgert über die unsolide Politik. Das ist brandgefährlich. Deshalb gilt für die Schweiz: Vorsorgen, auch für eine starke Armee.   Wie verletzlich ist die Schweiz durch Staaten, die irgendwann ihre Schulden nicht mehr bedienen können?   Die Schweiz ist wohl mit Krediten in USA und Deutschland am meisten engagiert. Beide Staaten – vor allem USA – sind sehr hoch verschuldet. Wie die Amerikaner das Problem der zu hohen Schulden lösen, kennen wir: Durch Geldentwertung. Und, wenn es hart auf hart geht, sind sie gross und stark genug, die  Schulden nicht zurückzahlen. Die Schweiz hat kein Interesse, dass es anderen schlecht geht. Doch die Schweiz muss die Kraft haben, den eigenen Weg zu gehen. Leider höre ich aus dem Bundeshaus andere Signale. Unsere Aussenministerin sagte bereits, man wolle in Brüssel mitentscheiden. Das ist ein Beitritts-Plädoyer. Ich höre Stimmen, die im starken Schweizer Franken einen Nachteil sehen. Die wollen sogar in den Euro, um diesen Schwierigkeiten auszuweichen.   Die Nationalbank hat massiv Euros eingekauft. Ist das richtig?   Dass die Nationalbank versucht, gewisse  Eurosprünge auszugleichen, ist verständlich. Ich würde es aber nicht so an die grosse Glocke hängen. Je mehr sie betonen, wie viel Euros sie einkaufen, desto offenkundiger wird die Tatsache, dass der Franken nach oben tendiert und dass der Euro zur Schwäche neigt.   Welche konkreten Strategien muss die Schweiz jetzt gegenüber der Europäischen Union anwenden? Erstens: Wir dürfen auf keinen Fall weitere Verträge mit der EU abschliessen, die unsere Handlungsfreiheit einschränken. Zweitens: Wir müssen im Inland wie eine kluge Hausfrau wirtschaften. Die Einnahmen und die Ausgaben sind genau aufeinander abzustimmen. Wir glauben, die Schweiz stehe gut da. Unter den Blinden ist auch der Einäugige König. Unsere Staatsverschuldung ist auch zu hoch. Vor allem müssen wir den Bürger stärken! Der Staat muss den Bürgern Geld zurückgeben. Das gibt Beweglichkeit. Was Staaten mit dem Geld anrichten, das hat man jetzt gesehen.   Warum greift die SVP nicht gerade jetzt die Personenfreizügigkeitsabkommen und den Schengenvertrag mit der EU an? Sie sagen selbst, dass die Unabhängigkeit zu stärken sei.   Zunächst: Es wird bis in höchste Regierungsstellen behauptet, wer gegen die Personenfreizügigkeit sei, sei gegen ausländische Arbeitskräfte. Das ist dummes Zeug und nicht unsere Position. Wir waren immer der Meinung, wenn wir Leute brauchen, müssen wir sie dort holen, wo sie sind. Egal, ob Japaner, Amerikaner oder Deutsche oder Chinesen. Man darf diesen Ausländern aber nicht sofort ein Bleiberecht zusprechen oder gar, wie wir es heute mit der EU praktizieren, unverzüglich den vollen Anspruch auf unsere Sozialleistungen gewähren. Jetzt haben wir die unhaltbare Situation, dass wir alle aus der EU ins Land lassen müssen, aber die Arbeitskräfte aus aussereuropäischen Länder, die wir vielleicht noch mehr brauchen, müssen draussen bleiben. Die Rückwanderung wird abnehmen, weil die Herkunftstaaten in immer grössere Schwierigkeiten geraten. Das Gefälle wird grösser.   Die Wirtschaft ist in diesem Punkt mehrheitlich gegen Sie. Warum gelingt es Ihnen nicht, die Unternehmer auf Ihre Seite zu ziehen?   Die SVP war allein und hat die Abstimmung bei der Personenfreizügigkeit verloren. Viele Wirtschaftsleute denken in dieser Sache zu kurzfristig. Immerhin: Die Schattenseiten der Personenfreizügigkeit werden langsam erkennbar. Auch der Schengenvertrag stellt sich als Mogelpackung heraus. Die Kosten laufen aus dem Ruder. Im Asylbereich trat der versprochene Rückgang der Gesuche um zwei Drittel nicht ein. Zudem gibt es immer mehr Verbrechen. Der Fall Libyen zeigte schliesslich, dass wir unsere Unabhängigkeit bei der Visapolitik verloren haben. Wir mussten über Schengen gegen Libyen vorgehen. Am Ende stellten sich die Schengenstaaten nicht etwa auf unsere Seite sondern auf die Seite von Gaddafi.   Was halten Sie von der neuen Mitte-Allianz aus FDP, BDP und CVP?   Verlierer schliessen sich gerne zusammen. Das ist eine Reflexbewegung, kopflos. Man muss sich den Sinn dieses Bündnisses vor Augen führen: Sie wollen ohne SVP regieren. Die neue Allianz rühmt heuchlerisch die Konkordanz, setzt sich aber im Konkreten darüber hinweg. Aber verlieren wir nicht zu viel Kraft für dieses Parteigeplänkel. Die SVP wird sich für eine unabhängige, freie und wohlhabende   Schweiz einsetzen, gleichgültig mit wie viel Sitzen sie im Bundesrat vertreten ist. Darum gewinnt die SVP die Wahlen.   Was raten Sie der FDP?   Kehrt zu euren Grundprinzipien zurück! Bald sind wir von der SVP die einzigen Freisinnigen. Würde die FDP das Gleiche vertreten wie wir, würde dies die SVP schwächen. Dann könnte ich endlich abtreten und sagen, jetzt ist gut, endlich machen die anderen auch das, was wir machen müssen. Mir geht es um die Schweiz, nicht um die SVP, ein Partner in dieser Sache wäre wertvoll. .   Parteipräsident Pelli hat Ihnen in einem NZZ-Interview vorgeworfen, Sie seien beim Dossier Staatsvertrag mit den USA Steigbügelhalter der Linken. Man könne mit Ihnen nicht zusammenarbeiten.   Es stimmt, dass wir bei der „too big to fail“-Problematik mit der SP zusammengehen, wenn auch aus ganz anderen Motiven. Die Frage aber ist: Wie oft geht denn der Freisinn mit der SP zusammen? Wer hat denn mit der Linken die Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU unterstützt? Die FDP. Wer hat an der Seite der SP den Schengenvertrag gefordert? Die FDP. Wer hat denn mit der Linken bei der Mehrwertsteuer einer Erhöhung zugestimmt? Die FDP. Und schliesslich: Wird die neue Mitte den Mut haben, bei der von links geforderten „Bonisteuer“, die nichts anderes als eine neue Unternehmenssteuer ist, nein zu sagen? Wenn es Herr Pelli so schlimm findet, in einer Sache auch mit Linken zusammenzuspannen, könnte er mit seiner Partei vorangehen.   Ein letzter Punkt: Gehen die Bestrebungen des Bundesrates zur Lösung des „Too big to fail“-Problems in die richtige Richtung?   Es sieht so aus. Zumindest: Endlich wird das Problem anerkannt. Sogar die Grossbanken sehen es endlich. Sie wissen, dass sie nur aus der Umklammerung des Staates herauskommen, wenn sie wieder voll den Marktkräften ausgesetzt werden ohne offene oder verdeckte Staatsgarantie. Das stimmt zuversichtlich.   Zusätzliche Fragen:   Mit welchen konkreten weiteren Angriffen der EU auf die Schweiz rechnen Sie angesichts der gewaltigen finanziellen Probleme, in denen sich die EU-Staaten befinden? Der Druck auf die Schweiz nach Zahlungen, Steuerharmonisierung, Anpassungen an das EU-Recht wird zunehmen. Wenn die Schweiz - wie bisher – fast jeden beliebigen Wunsch erfüllt, wird dies gefährlich. Wenn sie standhaft bleibt und ihre berechtigte Situation durchsetzt ist dies keine ausweglose Situation. Übrigens: Dieser Druck kommt, weil es der Schweiz finanziell besser geht. Er wäre noch höher, wenn unser Land in der EU wäre.   Man sagt, hohe Boni gefaehrden den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Handkehrum aergert sich niemand, wenn Roger Federer Hundert Millionen verdient. Stimmt es eigentlich, dass zu hohe Loehne gesellschaftliche Spannungen verursachen? Oder warum wird Federer anders bewertet als Brady Dougan?   Hohe Boni werden dann akzeptiert, wenn sie die Folge hoher Leistungen sind. Das ist bei Federer und der Wirtschaftsmanagern so. Federer erhält den „Bonus“ weil er der beste ist. Die hohen Managerlöhne sind besonders seit der Bankkrise in der Kritik. Hohe Boni bei schlechter Leistung! Hier muss angesetzt werden. Wo keine Leistung - auf längere Sicht - keine Boni. Wo hohe Leistung – hohe Boni! Das wird die Akzeptanz erhöhen. Es ist aber  unverständlich, wenn es Firmen gibt, die trotz juristischer oder faktischer Staatsgarantie und ungenügenden Leistungen Boni bezahlen. Das wird sich ändern!

09.05.2010

Die «Bonisteuer» ist nichts anderes als eine neue Unternehmenssteuer

Interview in der Sonntagszeitung vom 9. Mai 2010 Glauben Sie, dass die SP am Ende den Staatsvertrag ablehnen wird? Nein, die SP wird zustimmen. Sie wird sicher nicht die Auslieferung von 4500 Bankkundendossiers verhindern, wo sie doch allen Steuerbehörden automatisch sämtliche Bankkundendaten ausliefern will. Sie würde sich mit einem Nein ja völlig unglaubwürdig machen. Deshalb dürfen sich Bundesrat und die anderen Parteien nicht von der SP erpressen lassen. Warum sind Sie gegen die SP-Forderungen? Die “Bonisteuer” ist nichts anderes als eine neue  Unternehmenssteuer. Das zahlen die Aktionäre,  darunter viele Pensionskassen. Wenn die Boni nicht mehr im Aufwand, sondern im Gewinn anfallen, führt das zudem zu Scheingewinnen.  Die Boni trifft das gar nicht. Was ist die Alternative? Boni sollen auf ein Sperrkonto und erst nach Jahren ausbezahlt werden, wenn es denn keine Verluste gab. Die SP fordert auch Massnahmen gegen die Risiken systemrelevanter Banken. Da könnten sie doch mitmachen. Das ist unsere Forderung und geht jetzt in Richtung der von uns seit der Wirtschaftskrise vom 2008 geforderten Holdingstruktur, unabhängig von der SP. Die SVP lehnt den Vertrag strikte ab, obwohl Wirtschaftsverbände und Verwaltung vor grossem Schaden warnen. Sehen sie keine Gefahr? Die Szenarien sind zumindest massiv übertrieben. Natürlich haben wir ein Problem: Der Vertrag wurde vom Bundesrat rechtswidrig abgeschlossen, ohne den Vorbehalt der parlamentarischen Genehmigung. Da wird es nicht schön, wenn die USA die harte Linie fahren sollten. Die Frage ist aber, ob man solche Rechtswidrigkeiten begehen darf, nur weil die Wirtschaft droht. Welche Auswirkungen hat ein Nein zum Staatsvertrag ihrer Meinung nach? Es kann sein, dass die USA wieder gewisse Prozesse gegen Banken aufnehmen würden. Das schliesse ich nicht ganz aus. Es ist aber bei Erpressungen immer so, dass mit Ängsten gespielt wird. Dann müsste man halt mit den Amerikanern zusammensitzen. Ist die Schweiz durch mögliche Staatsbankrotte in Europa bedroht? Eindeutig. Durch die gegenseitigen Kredite könnten andere Staaten selbst in den Bankrott gerissen werden. Dies würde den Euro weiter schwächen. Das würde  der Schweizer Wirtschaft enorm schaden. Es zeigt aber vor allem, dass das Grossmachtprojekt EU ein intellektuelles Fehlkonstrukt ist. Aus politischen Gründen, wurden Staaten in die Währungsunion aufgenommen, die aus wirtschaftlichen Gründen nie hätten aufgenommen werden dürfen. Alle, die noch in die EU wollen, müssen spätestens jetzt einsehen, dass die Schweiz nie Mitglied werden darf. Ist denn der Versuch Griechenland mit Krediten zu retten, falsch? Ich halte es auf jeden Fall für gefährlich. Man hätte Griechenland besser aus dem Euro-Raum entlassen. Mit einer eigenen Währung hätte das Land wieder vorne anfangen können, ohne dass viele andere Staaten, in den Strudel gerissen werden. Soll die Schweiz bei der Sanierung helfen? Die Schweiz selbst und unsere Banken  sollten sehr zurückhaltend sein. Und sollte der IWF von uns Geld zur Sanierung bankrotter Staaten verlangen, muss der Bundesrat das ablehnen.

26.04.2010

Der Euro ist ein politisches, kein ökonomisches Produkt

Referat von alt Bundesrat Dr. Christoph Blocher gehalten am 18. int. Europa Forum im KKL Luzern vom 26. April 2010 zum Tagungsthema «Staatliche Unabhängigkeit in einer Welt der Abhängigkeiten» Staatspolitische Schlussfolgerungen für die Schweiz Meine sehr verehrten Damen und Herren Ich beginne mit der lobenden Erwähnung, dass der Begriff "Souveränität" heute wieder eine grössere Bedeutung hat als damals, als ich in den 90er Jahren – kurz nach seiner Gründung – in diesem Europa Forum sprach. Damals war eigentlich der Tenor: "Souveränität" ist etwas Veraltetes! In der Zukunft gibt es nur noch multinationale Organisationen und keine souveränen Staaten mehr! Souveränitätsbeschränkung statt Souveränität? Obwohl heute die ersten Referenten – namentlich Herr Staatssekretär Mauro Dell'Ambrogio und Herr Professor Rudolph Stichweh – die Souveränität ausserordentlich relativieren, so sprechen sie doch immer über die Souveränität. Und das freut mich. Doch fällt auf, dass man in politischen und professoralen Kreisen vor allem deshalb von Souveränität spricht, damit man über deren Beschränkung sprechen kann. Interessant ist, dass das bundesrätliche Vorwort in Ihrem Prospekt nicht mit der Feststellung beginnt, die Souveränität sei ausserordentlich bedeutungsvoll, sondern als Punkt 1 erklärt: "Die Souveränität eines Staates ist nicht gänzlich schrankenlos" – wie wenn jemand je etwas anderes behauptet hätte! Es ist doch jedermann klar: Kein Staat – auch der unsrige nicht – ist auf dem Mond! Unser Staat ist 700 Jahre alt – und die Souveränität war zu allen Zeiten von aussen bekämpft. Wer das Gegenteil sagt, kennt die Geschichte nicht. Souveränität - die Grundsäule des Staates Wir haben sogar Schlachten führen müssen (als man sich Kriege noch leisten konnte). Wir haben zwei Weltkriege durchgemacht. Schon bei der Gründung des Schweizerischen Bundesstaates spielte die Souveränität und ihre Bedrohung die Hauptrolle. 1848 haben die europäischen Staaten der Schweiz gedroht, als sie eine souveräne, freiheitliche Verfassung schufen. Sie haben sogar von "Geisteskranken" gesprochen, die das allgemeine Wahlrecht einführten. Und die Schweiz hat es trotzdem getan, also nicht lange gefackelt und gesagt, "die Schweiz sei eben nicht ganz schrankenlos" und darum könne man nie ganz alles allein durchführen; also müsse man die Souveränität relativieren. Im Gegenteil: Man sprach von Geburtsstunde der modernen Eidgenossenschaft. Wir machen es! Wir machen es trotzdem! Und sie haben's gemacht! Die europäischen Staaten um die Schweiz herum erklärten: "Diese Verfassung wird nicht lange leben." Wir haben sie im Wesentlichen heute noch! Die umliegenden Staaten haben alle ihre Verfassungen, die doch der "allgemeinen Auffassung" entsprachen, verloren. Ihre damaligen Regimes überlebten nicht. Sie sind auf schreckliche Art zugrunde gegangen. Änderung der Auffassungen Es war interessant zu hören, was die heutige Luzernische Regierungsrätin in der Einführung gesagt hat: "Also, wenn man einem Politiker heute sagt, er nehme es mit der Souveränität nicht ernst, so ist es das Schlimmste, was man ihm sagen kann." Das ist ein willkommener Wechsel der gesellschaftlichen Auffassung. Also müssen die, welche die Souveränität der Schweiz eigentlich nicht wollen, aber sich nicht getrauen, es zu sagen, einen Ausweg finden. Und diesen Ausweg findet man in einem Trick. Man spricht dann von einer "zeitgemässen Souveränität". Mit "zeitgemäss" meint man eine sehr beschränkte Souveränität. Das ist eine akademische Schlaumeierei. Seien Sie doch ehrlich und sagen Sie: "Die Souveränität ist ein". Die Frage ist: Können oder wollen wir souverän sein? Und dann müssen Sie zugeben: Das sind Einschränkungen! Wenn Sie aber nicht ehrlich sind, greifen Sie zu den schönen Formulierungen: "Wir grenzen die Souveränität ein, damit wir souverän bleiben". Vor 20 Jahren hörten wir: Wir gehen in den EWR (Europäischen Wirtschaftsraum), damit wir nicht der EU beitreten müssen – und solche Dinge. Das sind alles Kunstgriffe, die natürlich in der "praktischen" Bevölkerung zu Recht nicht verfangen. Es geht jetzt nicht um theoretische Modelle, sondern um ganz handfeste Dinge: Die Wahrung der Souveränität steht auch in der heutigen Bundesverfassung an erster Stelle als Staatszweck. Es hat keinen Sinn, einen Staat zu bilden, wenn man die Souveränität nicht will. Wozu auch? Souverän heisst unabhängig sein, autonom sein. Das aber heisst: Auf dem Staatsgebiet bestimmen die Bürgerinnen und Bürger direkt oder indirekt selbst. Selbstbestimmungsrecht der Staaten Es war das grosse Schlagwort nach dem Zweiten Weltkrieg: "Selbstbestimmungsrecht der Staaten". Heute habe ich bei den Diskussionen in der Schweiz das Gefühl, das gelte nur noch für afrikanische Staaten (weil sie von der "Kolonie" befreit werden mussten). Souveränität ist das höchste Gut des Staates. Da gibt es nichts zu wollen. Nun komme ich zur Frage: Wo ist man denn souverän – wenn überhaupt? Stets in einem begrenzten Gebiet. Und was ist die Voraussetzung zur Wahrung der Souveränität? Das ist die Staatsgewalt – die Macht des Staates, das Recht durchzusetzen. Und das verpflichtet die Politiker zur Verantwortung. Verantwortung Es ist interessant: Im ersten Teil des heutigen Symposiums (ich muss ja über die "Schlussfolgerungen" reden) ist das Wort "Verantwortung" nie gefallen. Aber Verantwortung ist das Entscheidende: Wer trägt die Verantwortung? Es ist das Belastende, darum wird es ausgeklammert. Darum haben die internationalen Organisationen für Politiker eine so grosse Anziehungskraft – weil dort niemand die Verantwortung trägt. "Alle sind für alles verantwortlich!" heisst es da. Und das tönt schön! Aber das heisst immer gleichzeitig: "Niemand ist für etwas verantwortlich". Verantwortung ist ein Führungsbegriff – man mag das meiner Tätigkeit als Unternehmer ankreiden – und zwar ist es der zentrale Begriff der Führung – auch für eine staatliche Regierung. Aber den multinationalen Organisationen fehlt erstens die Macht, das durchzusetzen, was sie sollten, und zweitens: Die Verantwortung ist nicht vorhanden. Sie ist nicht greifbar. Darum ist es für einen Politiker – für einen Bundesrat – viel schöner, wenn wir in der EU sind, weil man dort zwar dabei ist, aber die Verantwortung nicht tragen muss. In der Schweiz ist es viel schwieriger, die Verantwortung für die Schweiz zu tragen. Geht ein Bundesrat in einen Kanton, muss er aufpassen, dass er von einem kantonalen Regierungsrat nicht über den Tisch gezogen wird. Er muss immer aufpassen, was er macht, denn er ist ja der Bevölkerung Rechenschaft schuldig. Er muss aufpassen, weil er wieder direkt oder indirekt gewählt wird. All das muss er beispielsweise  in der EU nicht auf sich nehmen. Das alles fehlt in diesen grossen Organisationen Es war schön, heute, die Darstellung des britischen Redners zu hören (es ist kein Zufall, dass er ein Brite ist; die Briten sehen ja immer alles aus höherer Warte). Sobald es schlecht ging, haben in der EU alle Staaten munter die internationalen Interessen wahrgenommen, und wenn es ums Geld geht, sehen sie sich nur noch selbst. Das ist die Realität! Beklagen müssen wir es nicht, aber die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Nein, es gibt in Sachen Souveränität nicht Neues zu definieren. Aber es gilt zu fragen: Wo müssen wir allenfalls Souveränität abtreten. Souveränität abtreten Viele Dinge gibt es, bei denen wir das tun können. Wenn zum Beispiel in ganz Europa die Nationalstrassen gleich angeschrieben werden und wir vor der Wahl stehen, ob wir es anders machen sollen oder nicht, haben wir zwar die Möglichkeit, es anders zu machen. Vielleicht ist es aber zweckmässig, es gleich zu machen wie die anderen. Wir haben viele solche Dinge getan, und das stört mich nicht. Aber wenn es jemanden stört und die Bevölkerungsmehrheit das Gegenteil will, dass wir die Nationalstrassen anders anschreiben, dann bin ich der Meinung, wir sollen es tun, auch wenn ich finde, es sei nicht gerade intelligent. Die Wahrung des Rechts, das wir unserem Land gegeben haben und das in unserem Land die Bevölkerung, "der Souverän". gesetzt hat, muss, kann und darf gelten. Darum sprechen wir in der Schweiz bei der Gesamtheit der Stimmbürger vom Souverän. Ich weiss: Damit sind wir natürlich ein Sonderfall. Aber dieser hat uns auch stark gemacht. Also ist es kein Nachteil, ein Sonderfall zu sein. Wettbewerb statt gleich lange Spiesse Wenn ich von Wirtschaftsleuten höre, wir sollten dafür sorgen, dass wir "gleich lange Spiesse" haben wie die EU, dann muss ich sagen. Das ist doch kein staatliches Ziel. Wir müssen längere Spiesse haben als die andern. Das ist das Ziel eines Staates. So entsteht der Wettbewerb. Und den haben wir in vielen Dingen. "Gleich zu sein wie die andern" ist kein Ziel. Der Kleinstaat Schweiz mit seiner unmöglichen topografischen Lage, weitab vom Meer, ohne Bodenschätze, muss besser sein, anders sein – das macht den Sonderfall aus. Ich schaue auch die EU nicht nur vom schweizerischen Standpunkt aus an. Ich schaue kritisch auf den Geist – auf die Konstruktion dieser EU. Und merke: Ein EU-Beitritt wäre für die Schweiz ein enormer Wohlstands- und ein grosser Freiheitsverlust. Aber ich bin immer mehr davon überzeugt, was ich damals beim Kampf gegen den EWR-Beitritt der Schweiz schon sagte und deshalb so bitter angegriffen worden bin: dass die EU eine intellektuelle Fehlkonstruktion ist. Es tut mir leid, dass ich es sagen muss: Ich glaube nicht, dass die Sache funktioniert. Fehlkonstruktion Sie sehen es heute am Euro. Wir haben es vor seiner Einführung dargelegt. Eine gemeinsame Währung für so viele Staaten, die eine je völlig verschiedene und eigene Finanzpolitik betreiben, kann nicht funktionieren. Ökonomisch geht es nicht. Der Euro war ein politisches Produkt, kein ökonomisches. Es ist ganz gefährlich, Währungen aus politischen Gründen zu schaffen. Währungen die keinen ökonomischen Rückhalt haben. Das erleben Sie jetzt. Es ist ein grosser Fehler, dass zum Beispiel Griechenland den Euro eingeführt hat. Hätte es den Euro nicht, so hätte es eine eigene Währung, die nun fast oder ganz ihren Wert verloren hätte, und Griechenland und die, die diesem Land fälschlicherweise Geld gegeben haben, müssten selber bezahlen. Das wäre der normale Gang, die Folge der Verantwortung. Damit sind wir wieder bei der Verantwortung. Und wie steht es heute? Sie haben jetzt mit Griechenland ein Land, das sich selbst – bis zum Betrug – in Misskredit und in die Schuldenkrise gebracht hat. Schuld daran sind nicht die Spekulanten! Der Euro ist für einzelne Länder – das war schon in den letzten Jahren so – zu schwach und für andere zu stark, weil die Volkswirtschaften nicht übereinstimmen. Es ist ein grosses Glück, dass die Schweiz dank ihrer Souveränität eine eigene Währung hat. Darum hat sie die Finanzkrise besser meistern können als andere. Lob des Sonderfalls Sie hat sie aber auch besser meistern können, weil sie die direkte Demokratie kennt. Diese Geldverschwendung und solche Steuerhöhen wie in der EU sind in der Schweiz – dank der direkten Demokratie – nicht zu schaffen, weil wir einen Souverän haben, der solche Steuererhöhungen nicht zulässt. All die Theorien über Souveränitätsverlust und Auflagen in völkerrechtlichen Verträgen gehen schliesslich an die Substanz. Die hohe Beschäftigung in er Schweiz, die kleine Arbeitslosigkeit, das hat alles – und zwar wesentlich – mit ihrer Souveränität zu tun. Bei allen Schwierigkeiten, die wir mit dem Ausland haben, wird natürlich sofort die Frage gestellt: "Ja, wäre es nicht viel besser, wenn wir bei der EU wären?" Ich weiss nicht, warum man immer auf diese Idee kommt (natürlich weil man in die EU will). Wo hätten wir denn bis heute irgend einen Vorteil gehabt? Fall Libyen: Ein erhellendes Beispiel! Dort sitzt Gaddafi, der völlig menschenrechtswidrig Geiseln aus der Schweiz zurückhält. Wären wir nicht in "Schengen", hätten wir Libysche Visa sperren können, und zwar allein! Wir hätten niemanden fragen müssen. Vor dem Schengenbeitritt hiess es: "Geht zu Schengen. Da seid Ihr unter Freunden. Die helfen Euch!" Dann kam der Fall Libyen über die Schweiz: Wir mussten unser Anliegen aufgeben, weil unsere "Schengenfreunde" lieber zusammen mit Libyen gingen, als mit uns! Vor Tische las man es anders. Nachvollzug? Und wenn man sagt, wir seien nicht mehr "autonom"; in vielen Bereichen haben wir nachgezogen: Tatsächlich wird in Bern in vielen Geschäften nur noch "nachvollzogen". Aber nicht weil wir müssten. Nachvollziehen als Sucht. Ich bin zum Beispiel gegen den in einem Votum genannten Vertrag in der Stromwirtschaft. Denn ich glaube, dass es bessere Alternativen gibt. Ich bin dagegen, dass man noch Dienstleistungsverträge abschliesst, weil sie eine Souveränitätseinschränkung bringen, die vielleicht für die Branche im Moment gut sind. Aber auf die Länge sind sie für die Volkswirtschaft schlecht. Wir haben auch eine bessere Steuersituation, weil wir autonom sind. Es ist auch nicht wahr, dass wir alles übernehmen müssen. Wären wir in der EU, hätten wir 15% Mehrwertsteuer, jetzt haben wir 7,6%! Lassen Sie sich von Wörtern wie "Globalisierung" (und dergleichen) nicht zu sehr beeindrucken. Was in diesem Umfeld herumgeistert, ist nichts Neues. Auch wenn es „zeitgemäss“ ist. Aber dass ein Staat souverän sein muss und über seine Substanz verfügen soll, das ist – und jetzt rede ich als Unternehmer und Staatsbürger – auch für die Zukunft von grosser Bedeutung. Schlusswort Ich sage Ihnen: Die Schweiz ausserhalb der Europäischen Union, ausserhalb dieser multilateralen Strukturen, hat eine grosse Chance in der Zukunft, wenn wir es richtig machen. Unsere Devise heisst: Wir müssen nicht gross sein, sondern klein bleiben, wie wir es sind. Aber souverän, sonst gehen wir unter!

25.04.2010

Albert Anker nimmt den einzelnen Menschen ernst

Interview in der "NZZ am Sonntag" vom 25. April 2010 mit Gerhard Mack Das Kunstmuseum Bern feiert den 100. Todestag des Schweizer Malers mit einer grossen Retrospektive. Viele Bilder kommen aus der Sammlung von Christoph Blocher. Der Politiker und Unternehmer äussert sich zu seinem Lieblingskünstler NZZ am Sonntag: Herr Blocher, Sie besitzen 130 Werke Albert Ankers. Wie ist es dazu gekommen? Christoph Blocher: Ich habe zweimal angefangen zu sammeln. Beim ersten Mal konnte ich mir nur Zeichnungen, Aquarelle und kleinere Ölbilder leisten. Dann habe ich die Ems Chemie gekauft, und darum musste ich alles verkaufen, was ich hatte, also auch die Kunstsammlung. Ein paar Jahre später, als die Firma Erfolg hatte, konnte ich noch einmal anfangen, Anker zu sammeln. Zum Teil habe ich dieselben Bilder zurückgekauft, einfach teurer. Das war 1987. Seither sammle ich vor allem Albert Anker. Wo sind Sie erstmals mit Ankers Werk in Berührung gekommen? Wir hatten zu Hause Drucke von Anker-Bildern. Der Schweizerische Beobachter zeigte eine Zeit lang auf seinem Titelblatt Anker-Werke. Diese hat mein Vater – wie unzählige andere Schweizer – ausgeschnitten, rahmen lassen und aufgehängt. Schwingt bei Ihnen Kindheits-Nostalgie mit? Viele sehen auf Ankers Bildern die gute alte Zeit dargestellt? Wer in Ankers Bildern nur "die gute alte Zeit" sieht, der hat Ankers Bilder nicht betrachtet. Natürlich nimmt Anker die Motive aus seiner Zeit, also dem 19. Jahrhundert, auf. Aber seine Botschaft ist zeitlos. Dass die Menschen aus seiner Umgebung und von damals stammen, ist doch selbstverständlich. So malte z.B. Brueghel holländische Szenen des 16. Jahrhunderts, weil er in Holland zu jener Zeit gelebt hat. Aber Brueghel zeigt auch das Allgemeingültige. Und Van Gogh malte die Landschaften des 19. Jahrhunderts – aber es zählt das Allgemeingültige. So ist es auch bei Anker. Sie sprechen von Botschaft bei Albert Anker. Worin besteht diese? In Ankers Atelier liegt auf dem Schreibtisch ein Massstab, auf dem er mit Tusche in gotischer Schrift gemalt hat: «Siehe, die Erde ist nicht verdammt.» Das wolle er zeigen, schrieb er seinen Freunden. Das ist Ankers Botschaft. Sie klingt biblisch, kommt in der Bibel aber so nicht vor. Es ist dennoch kein Zufall, dass am Todestag Ankers, neben ihm auf dem Tisch, das Buch Hiob aufgeschlagen lag. Hiob ist wohl der gequälteste Mensch überhaupt – aber nicht verdammt. Worin zeigt sich für Sie diese Botschaft? Anker malte vor allem Junge und Alte. Der tätige Mensch kommt auf seinen Bildern selten vor. Er wollte zeigen, was der Mensch ohne sein Zutun ist. Für das wichtigste Ereignis unseres Lebens, unsere Geburt, können wir nichts. Und die Alten haben nichts mehr zu verlieren. Anker zeigt, dass sie alle aufgehoben sind. Oft geben gerade diese Alten – manchmal schlafend – den Kindern Geborgenheit Ihre Sammlung enthält Genrebilder wie den «Schulspaziergang». Das Schwergewicht liegt aber auf solchen Einzelporträts von Kindern und Alten. Wieso? Das Besondere bei Anker besteht wohl darin, dass er in einer einzelnen Person die ganze Welt darstellt. Jeder Mensch steht fürs Ganze. Schon der kleine Säugling ist jemand. Vollwertig! Das Büebli, das Musik macht, das Mädchen, das einen grossen Brotlaib an sich presst und durch das tief verschneite Dorf trägt – sie enthalten immer beides, die Härten aber auch die Schönheit des Lebens. Das Porträt ist vielleicht eine einfache Gattung, aber ein einziges Porträt steht für Milliarden von Menschen. Anker zeigt im Kleinen den Kosmos, er sieht im Einzelnen die weite Welt. Darum lösen seine Werke beim Betrachter tiefe Betroffenheit aus. Dafür kennt die Ästhetik des 19. Jahrhunderts den Begriff der «Verklärung». Ihm haftet etwas Beschönigendes an, Anker gilt vielen als Idylliker. Anker malte keineswegs nur freudige Szenen, sondern gerade auch Krankheit, Armut, Tod, Waisenkinder und die Härten des Lebens. Er hat seinen zweijährigen Sohn verloren und konnte deshalb ein Jahr lang nicht mehr malen. Aber ihn hat er auf dem Totenbett gemalt. Nicht als Verlorener. Anker hat nichts beschönigt, er hat alles gemalt, und genau darin die Schönheit der Welt entdeckt. Viele Kinder auf seinen Bildern schauen ernst, und dieser Ernst des Lebens hat bei ihm etwas Erhabenes. Er zeigt z.B. dass ein Kind todkrank ist, aber er tut das nicht so, als wäre die ganze Welt ein Jammertal. Auch ein mongoloides Kind kann schön sein, weil es Zufriedenheit ausstrahlt. Anker wollte zeigen, dass der Mensch immer ein Teil der Schöpfung ist, ganz gleich, was aus ihm wird oder was er in seinem Leben leisten kann. Niemand ist bei ihm verloren, alle sind im Licht. Und wie Anker das Licht in seinen Bildern einfängt, darin ist er ein Meister. Anker hat Theologie studiert. Ist er für Sie ein theologischer Maler? Eindeutig – im guten Sinne. Die göttliche Gnade ist seine alles überragende Botschaft. Das ist die Realität der Welt! Das ist doch die zentrale Botschaft des Christentums. Mein Vater, ein reformierter Pfarrer, lehrte uns Kinder: Jesus ist gestorben, er hat die Sünden der Welt auf sich genommen und ist auferstanden. Seither ist der Mensch nicht mehr verloren. Anker stellt das nicht direkt dar, es gibt von ihm praktisch keine religiösen Bilder, da ist weder Frömmelei noch Heuchelei. Er zeigt die reale Welt, in die die Botschaft der Gnade eingeflossen ist. Ist es nicht so, dass Erlösung bei Anker nur noch in der Kunst liegen kann, wie es der Moderne entsprechen würde? Nein, Anker malt die Lebenswirklichkeit. Das sehen wir heute natürlich kaum, weil wir glauben, dass alles falsch ist, was nicht unseren Intentionen entspricht, und weil wir uns gerne zum Mass aller Dinge machen. Sehen Sie darin auch eine Kulturkritik an der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts? Anker stand der Veränderung nicht feindlich gegenüber. Er machte aber auf Probleme aufmerksam. Dafür ist für mich das Gemälde «Der Gemeindeschreiber» exemplarisch. Anker zeigt ihn als Paradox zwischen Anarchie und Ordnung. Er setzt ihm die Brille verkehrt herum auf und gibt ihm alle Utensilien der Bürokratie. Es braucht eine Symbiose von beidem. Das ist ein wunderschönes Bild zur modernen staatlichen Verwaltung, die im 19. Jahrhundert beginnt. Heute setzen wir zu viel auf den rationalen Teil. Man sollte dieses Bild jedem Nationalrat ins Büro hängen. Spendet Anker mit seinen Bildern Trost? Sicher. Seine Kinder-Bildnisse z.B. sagen oft aus: Ein leichtes Leben wirst du nicht haben, das musst du wissen, aber du gehst daran auch nicht zugrunde. Das kleine Mädchen mit dem grossen Brotlaib erinnert mich an das Bibelwort «Im Schweisse Deines Angesichts sollst Du Dein Brot essen», aber nicht als Fluch, sondern als Verheissung: Es wird etwas zu essen geben. Anker ist dem grossen Publikum als Maler bekannt. Ihre Sammlung enthält viele Aquarelle. Warum? Anker hatte zehn Jahre vor seinem Tod einen Hirnschlag, seine rechte Hand war gelähmt. Zunächst konnte er überhaupt nicht mehr malen, später ging es wieder, aber der Ölpinsel war für ihn zu schwer, er fing mit Wasserfarbe an und brachte es zu einem Meister des Aquarells. Wenn ich an das «Mädchen mit dem Brotlaib» denke, so sind diese späten Werke noch aussagekräftiger als die Ölbilder. Eine andere grosse Passion des Sammlers Christoph Blocher ist Ferdinand Hodler. Wo berührt er sich mit Anker? Sie kannten sich, und Anker setzte sich sehr für Hodler ein, als er wegen seines Gemäldes im Landesmuseum «Der Rückzug von Marignano» – also eine Illustration der grössten militärischen Niederlage der Schweiz – angegriffen wurde. Anker legte Hodler auch nahe, Landschaften zu malen. Er hielt ihn für Menschen-Darstellungen zu mächtig und sagte ihm: Du gehst nicht mit der nötigen Ehrfurcht an die Menschen. Anker malte die Menschen so, wie sie gewachsen sind, Hodler machte aus ihnen Helden. Ich sammle von Hodler vor allem Landschaften. Wieso konzentrieren Sie sich auf Anker und Hodler? Ich will mich konzentrieren. Das sind wohl die beiden grossen Schweizer Maler am Ende des 19. Jahrhunderts. Um sie herum sammle ich Künstler derselben Zeit: Giovanni Giacometti, Giovanni Segantini, Cuno Amiet, Adolf Dietrich, Robert Zünd, Rudolf Koller, Edouard Castres und andere. Wieso bleiben Sie im 19. Jahrhundert? Ich habe mit Albert Anker angefangen und bin von ihm aus weitergegangen. Dabei habe ich schnell gemerkt, dass ich ein Konzept brauche, sonst wird es uferlos. Ich habe mich auf diesen Zeitraum beschränkt. Vor kurzem habe ich die Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich besucht. Sie ist wunderbar. Jedes Werk ist etwas Besonderes. Bührle hat die besten Stücke gekauft, aber es lässt sich keine Botschaft oder Linie daraus ablesen. Herr Blocher, was soll mit Ihrer Sammlung einmal passieren? Ich habe verschiedene Vorstellungen, ich spreche aber erst darüber, wenn ich sie auch umsetze. Gibt es einmal ein Museum Blocher? Vielleicht, ich weiss es noch nicht. Ich weiss auch nicht, wie viel Interesse die Kinder an den Bildern haben. Eine Sammlung ist etwas sehr Schönes, sie braucht aber Pflege, Hingabe und kostet Zeit und Arbeit.

03.04.2010

SVP hat anspruch auf nächsten vakanten Bundesratssitz

Interview Basler Zeitung von Matthias Geering vom 3. April 2010 BaZ: Herr Blocher, was hat Sie bei den Parlamentswahlen im Kanton Bern mehr erstaunt, das starke Abschneiden der BDP oder die Verluste der FDP? Christoph Blocher: Weder das eine noch das andere. Überrascht hat mich aber das starke Resultat der SVP. Sie ist heute wieder fast so stark wie vor vier Jahren, obwohl sie im Laufe der Legislatur 17 Sitze der Fraktion an die BDP abgeben musste. Die SVP konnte in Bern ihr Potential ausschöpfen. Was ist mit der politischen Mitte passiert? Es ist das geschehen, was geschehen musste: Die BDP ist ein Projekt von Mitte-Links. Sie ist nach meinem Rauswurf aus dem Bundesrat gezimmert worden, um die SVP zu schwächen. Es kam so, wie es kommen musste; die BDP als Mitte-Links-Partei erhielt logischerweise die Stimmen derer, die sie unterstützten: Von den Mitteparteien, aber auch von den Linken und den Grünen. Die BDP – eine Mitte-Links-Partei? Die Behauptung ist gewagt... Die Partei hat kein erkennbares Programm, und der selbsternannte "Anstand" ist noch keine Leistung. Sie bewegt sich irgendwo zwischen FDP, CVP, EVP und Grün-Links. In Fragen wie dem Minarettverbot, der Ausländerpolitik oder auch dem EU-Beitritt ist sie weit weg von der SVP. Und darum sind ihre Wähler nicht die von der SVP. Inwieweit lässt das Berner Resultat Schlussfolgerungen für die kommenden kantonalen Wahlen zu? Im Juni wird im Kanton Graubünden gewählt, wo die SVP neu gegründet werden musste. Wo die BDP nicht mit ehemals treuen SVP-Vertretern antreten konnte, was bis jetzt im Kanton Aargau der Fall war, hatte sie wenig Erfolg. Im Aargau erreichte sie nach aufwendigem Wahlkampf 2,6 Prozent. Die wenigen Prozente, die sie holen kann, werden der FDP, der CVP und der SP gehen. Ausnahmen werden der Kanton Glarus und vor allem der Kanton Graubünden sein. Vor allem in Graubünden wird es die SVP in kantonalen Wahlen schwer haben, da die alte SVP einfach den Namen auf BDP wechselte. Die neue Bündner SVP musste bei Null anfangen. Zudem wird in Graubünden das Parlament ebenfalls im Majorzsystem gewählt, was es den anderen Parteien einfacher machen wird, eine Allianz gegen die SVP zu bilden. Aber auch die neue bündnerische SVP – gerade auch dank vieler junger Leute – ist stark eingestiegen. Welches Potential sehen Sie für die BDP auf nationaler Ebene? Ich gehe von vier, vielleicht fünf Prozent aus. Damit wäre die Abwahl von BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf Ende 2011 besiegelt? Das müssen Sie die SP, die Grünen und die CVP fragen. Diese haben sie portiert und gewählt. Alle Parteien sind angeblich für die Konkordanz. Das heisst, dass die Parteien die Bundesräte gemäss ihrem Wähleranteil stellen. Die BDP wird nach den Wahlen 2011 kaum die nötige Stärke erreichen. Aber wer weiss, vielleicht fusioniert die BDP mit der CVP oder der FDP. Das wäre immerhin denkbar. Spätestens seit der Wahl in Bern besteht der Eindruck, dass sich Ihr bisher verlässlichster Partner, die FDP, im freien Fall befindet... In den kantonalen Wahlen seit 2008 hat nicht nur die FDP massiv verloren sondern auch die CVP. Die wahren Verlierer sind aber die Sozialdemokraten: Seit 2008 ist in 13 Kantonen gewählt worden und die SP hat als einzige Partei ausnahmslos in allen Wahlgängen verloren. Kann die FDP ihren zweiten Sitz im Bundesrat retten, wenn sie ihren Bundesrat Hans-Rudolf Merz noch vor den möglicherweise verlustreichen Wahlen 2011 zum Rücktritt bewegt? Es gibt nur eine Partei, die heute einen ausgewiesenen Anspruch auf einen frei werdenden Sitz im Bundesrat hat, und das ist die SVP mit ihren 29 Prozent Wähleranteil. Bei der letzten Vakanz haben wir der FDP den Vortritt gelassen. Bei der nächsten Vakanz wird die SVP den Sitz beanspruchen. Mit Ihnen als Kandidat? Sie haben zuletzt die Frage nach einer Kandidatur nicht deutlich abschlägig beantwortet. Ich will nicht mehr in den Bundesrat. Meines Erachtens ist es besser, wenn die SVP ohne Blocher antritt. Die anderen Parteien reagieren ja wie hypnotisiert, wenn es um meine Person geht. Aber wir haben andere, starke Persönlichkeiten. Der richtige wäre SVP-Fraktionschef Caspar Baader, wenn er nur wollte! Wird Baader ihrer Meinung nach Bundesrat, wenn Merz zurücktritt? Für den Bundesrat wäre er der Beste: Intelligent, sehr sachkundig, stand- und charakterfest! Leider will er nicht, aber vielleicht muss er. Wie wird Ihrer Meinung nach die Sitzverteilung im Bundesrat nach den nächsten nationalen Wahlen aussehen? Falls das Bekenntnis zur Konkordanz weiterhin gilt, wird die SVP zwei Sitze haben. Falls die CVP stärker wird als die FDP, was möglich ist, werden die CVP zwei und die FDP einen Sitz haben. SP und Grüne zusammen haben gemäss ihren Anteilen (2007 noch 29 Prozent wie die SVP allein) zwei Sitze zugute. Daran dürfte sich kaum etwas ändern. Zurück zu den Berner Wahlen: Einmal mehr hat sich gezeigt, dass Ihre SVP weniger Erfolg hat, wenn es um Wahlen in die Regierung geht. Sie verlangen die Volkswahl für den Bundesrat, schneidet sich die SVP nicht ins eigene Fleisch? In Bern war es ein vereinter Kampf aller Mitte-Links-Parteien gegen die SVP. Diese Taktik hat bei Majorzwahlen Erfolg. Wie Bern zeigt, rächt sich das für die Taktiererer dann bei den Parlamentswahlen. Je mehr die SVP aus den Exekutiven ausgeschlossen wird, desto stärker wird sie in den Legislativen werden. Wenn die Politiker die Schweizer Werte weiterhin nicht verteidigen, was bei Problemen mit der EU, Libyen, Bankkundengeheimnis und im Fall USA der Fall ist, dann wird die SVP im Herbst 2011die 30-Prozent-Schwelle deutlich überschreiten. Die Schweizer wollen keinen Anti-Schweiz-Kurs, darum legt die SVP zu.