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08.11.2009

Anpassung statt Widerstand ist die Antwort der Schwachen.

Interview im «Sonntag» vom 8. November 2009 Von Patrik Müller und Othmar von Matt Herr Blocher, die Schweiz hat keine Freunde mehr: Nun hat auch noch Italien zur Jagd auf die Schweizer Banken geblasen.    Bismarck sagte es richtig: „Länder haben keine Freunde, sondern Interessen“. Aber die schweizerische Classe politique glaubte in den letzten 20 Jahren sich Freunde zu schaffen durch Liebedienerei und Preisgabe schweizerischer Werte, statt für die Schweiz zu kämpfen! Es kam wie es musste: Unser Land verliert den Respekt und wird verletzlich. Richtungswechsel ist angesagt. Die Frage ist doch, wie setzt die Schweiz ihre Interessen am besten durch. Bundesrat Leuenberger sagt: Als Teil der EU. Anpassung statt Widerstand ist die Antwort der Schwachen. Es ist Preisgabe der Schweiz, um die eigenen Schwächen zu verdecken. Leuenberger geht gerne den Weg des geringsten Widerstands. Es gab auch nie so viel Druck auf die Schweiz wie heute. Das ist eine neue Situation. Sie kennen die Geschichte schlecht. Druck und Erpressung des Auslandes ist doch nichts neues:1848 drohten die europäischen Grossmächte sogar mit der Armee, um die Schweiz vor einer unabhängigen Verfassung abzuhalten. Und im 2. Weltkrieg? Schon vergessen? Heute haben wir keinen militärischen, sondern wirtschaftlichen Druck. Auch das ist nichts neues. Liechtenstein ist im EWR und wurde bezüglich Bankgeheimnis massiv unter Druck gesetzt. Österreich und Luxemburg sind in der EU. Nur können sie sich weniger zur Wehr setzen. Wir könnten es! Was muss denn der Bundesrat heute tun, um den Druck aus dem Ausland abzuwehren? Endlich vorbehaltlos zur Schweiz stehen und endlich eine Strategie festlegen! Er hat keine. Man behandelt einzelne Geschäfte und jeder hat ein eigenes Vorgehen. Ich habe das im Bundesrat zur Genüge erlebt. Aussenpolitik heisst geben und nehmen. Das kann man nur mit einer Gesamtstrategie. Aber das wollte der Bundesrat nicht. Wer in die EU will, will die Schweiz nicht mehr verteidigen! Das zeigt sich an allen Ecken und Enden, auch im Fall Libyen, beim Flughafen oder wenn es um die ungebremste Einwanderung geht. Justizministerin Widmer-Schlumpf lehnt es ab, die Ventilklausel einzusetzen, um die Einwanderung zu bremsen. Wieder Angst, man könnte die EU verstimmen. Obwohl alle rechtlichen Voraussetzungen gegeben gewesen wären. Das ist verantwortungslos. Man sah doch die Rezession kommen. Es war eine Illusion zu glauben, dass ein arbeitslos gewordener EU-Ausländer nach Hause geht. Er weiss, dass wenn er in der Schweiz auch nur 1 Tag gearbeitet hat, kann er danach bis 5 Jahre Sozialleistungen in unserem Land beziehen. Schauen Sie, sogar das EU-Land England stoppt die Personenfreizügigkeit mit einzelnen Ländern. Rechtswidrig. Es kann doch nicht sein, dass jetzt – mitten in der Rezession – immer noch jeden Monat 1000 Deutsche in die Schweiz kommen. Wie soll man das verhindern? Wir hätten es können. Jetzt bleibt wohl nur noch die Verträge mit der EU zu ändern. Wir müssten die Personenfreizügigkeit kündigen und neu verhandeln – zu anderen Bedingungen. Endlich zugeben, es ist schlimmer gekommen, als man glaubte. Es braucht neue Verhandlungen. Eine Minimal-Wohnsitzdauer für Einwanderer ist absolut notwendig. Wenn wir die Freizügigkeit kündigen, fallen doch auch die anderen bilateralen Verträge dahin. Jeder Vertrag kann von beiden Seiten jederzeit gekündigt werden. Die EU wird kein Interesse haben, dies zu tun. Etwa die Verkehrsverträge? Strebt die SVP die Kündigung der Personenfreizügigkeit offiziell an? Das prüfen wir ernsthaft. Wir prüfen eine Volksinitiative in dieser Richtung. Es brodelt im Volk wegen der Einwanderung. Die Wahlen in Genf sind ein kleiner Vorgeschmack. Der Bund prognostiziert eine Arbeitslosenquote von sechs Prozent. Damit übertrifft sie alle bisherigen Rezessionen. Auch die Asylpolitik läuft wieder aus dem Ruder. 2008 eine Zunahme von mehr als 50%. Trotz Dublin! Die Parteien und der Bundesrat nehmen die Probleme der Einwanderung und die Ängste der Bevölkerung nicht ernst. Sind Sie für die Minarett-Initiative? Ich will es Ihnen nicht sagen, damit Sie kein Thema daraus machen können. Zumindest bin ich froh, dass diese Initiative eine Debatte über die Islamisierung ausgelöst hat. Wie bitte? Sie kneifen? Ich habe nichts beizufügen. Ausländer, Asylwesen, Ausländerkriminalität: Sind das 2011 die grossen SVP-Wahlkampf-Themen? Es sind grosse Probleme. Die SVP hat sich seit Jahren dem angenommen und wird es weiter tun. Die SVP ist glaubwürdig.. Die Umfragen prophezeien Ihnen Verluste. Wir leben von Resultaten nicht von Umfragen. Bisher hat die SVP alle Umfragen übertroffen. Seit meiner Abwahl legte die SVP dort massiv zu, wo die kantonalen Parteien voll auf Schweizer SVP-Kurs sind. Wo man abweicht – zum Beispiel in Neuenburg und Genf – hat die SVP schlecht abgeschnitten. Das hätte nie passieren dürfen: Die SVP müsste mit dem "Mouvement Citoyens Genvevois" zusammenarbeiten. Genau so, wie sie das im Tessin mit der Lega tun sollte. SVP und Mouvement wären in Genf gemeinsam die weitaus stärkste Partei. Rechts von der SVP darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Ausgerechnet Ihr Bundesrat Ueli Maurer kritisierte, unter Parteipräsident Toni Brunner politisiere die SVP zu wenig pointiert. Hat er das gesagt? Toni Brunner macht seine Sache hervorragend. Und wie beurteilen Sie die Arbeit von Ueli Maurer? Er hat das erkannt, was die SVP seit fünfzehn Jahren kritisiert: Das VBS ist sogar noch schlimmer dran, als wir dachten. Und Maurer legt jetzt die Mängel schonungslos auf den Tisch. Das braucht Kraft, weil er auch gegen langjährige Leute im eigenen Departement kämpft. Bundesrat Schmid war unfähig das VBS zu führen, nur wollten die anderen Parteien dies von Anfang an nicht wahr haben. Hat die Armee zuwenig Geld? Sie hatte zu wenig Geld für das Richtige und zu viel für das Falsche. Das VBS teilte die Mittel falsch ein? Ja. Aber auch Bundesrat und Parlament, die zehn Jahre lang nicht auf die SVP hörten, Schmid wurde stets gedeckt, weil er sich gegen die SVP wendete. Zuletzt nannten die SVP das VBS sogar einen Sauladen. Auch das ging unter. Ulrich Maurer deckt endlich auf. Die Auslandeinsätze kosten viel mehr, als man sagte. Bei der EDV gab es Fehlinvestitionen für Hunderte von Millionen. Keine Kostenrechnung. Verteidigungsauftrag, Leitbild, Mittel, Ausrüstung, Bestände stimmen nicht mehr überein. Was wollen Sie tun? Erstens: Man muss endlich alles zugeben. Auf den Tisch legen. Schonungslos. Das tat Ueli Maurer. Ob es schon alles ist, wird man sehen. Er muss schrittweise vorgehen. Er muss die Kostenrechnung im VBS einführen. Erst dann hat er volle Transparenz. Zweitens? Wir verlangen Varianten vom Bundesrat: Was gibt es für Möglichkeiten um die beste Armee der Welt zu haben, um autonom die unabhängige, neutrale Schweiz mit jährlichen Kosten in der heutigen Grösse (4 Milliarden Franken) zu verteidigen. Also soll Maurer 300 Millionen erhalten? Vier Milliarden entspricht etwa dem heutigen Rahmen. Drittens: Der Bundesrat – nicht nur dass VBS – müssen die beste dieser Varianten – oder die wenigst schlechteste – darlegen. Und viertens: Der Bundesrat soll darlegen, welche Armee und welche Ausrichtung er wählen würde, wenn er unbeschränkte finanzielle Mittel zur Verfügung hätte. Das Parlament müsste den Bundesrat zu dieser Arbeit zwingen. Es geht letztlich um eine Strategiediskussion. Und: Es ist keiner grösseren Rüstungsbeschaffungen zuzustimmen, welche die Marschrichtung präjudiziert, bis entschieden ist. Das heisst: Es dürfen bis dann keine Kampfflugzeuge bewilligt werden. Wie lange wird es dauern, bis Maurer diese Varianten vorlegen kann? Ich rechne laufs 2010. Das heisst: Ein Jahr lang soll die Armee nichts beschaffen? Nichts ausserordentliches. Und mit den vorhandenen Kampfflugzeugen kommt sie bis 2015 gut zurecht. Gibts weiteres? Es sind Sofortmassenahmen vorzulegen. Was ist zu tun um einen Betrieb und Ausbildung aufrecht zu erhalten? Was ist zu sanieren? Alles ist zu tun, ohne die Marschrichtung grundsätzlich zu präjudizieren. Wer ist denn da verantwortlich? Für die letzten acht Jahre Samuel Schmid, aber auch der Bundesrat und das Parlament. Nur: Eigentlich ist die SVP verantwortlich, denn das VBS ist seit 1996 in SVP-Händen. Jetzt soll die SVP für Samuel Schmid noch die Verantwortung tragen! Ein Bundesrat, der gegen den Willen der SVP gewählt worden war. Die SVP, die seit 1995 die Fehlentwicklung im Parlament und oft auch an der Urne bekämpfte. Leider stets ohne Erfolg. Die SVP hat aber Schmid wieder gewählt. Tatsächlich wäre es besser gewesen, Samuel Schmid früher auszuschliessen. Aber sowohl bei Adolf Ogi wie bei Samuel Schmid hatten wir als Partei die Kraft zu sagen, was nicht in Ordnung war. Werden Sie das bei Ueli Maurer auch tun? Wenn er in eine unannehmbare Entwicklung laufen sollte, natürlich. Im Moment sieht es nicht darnach aus. Ihre Vorschläge gehen ja in Maurers Richtung. Wir glauben es auch. Das VBS will sicher aber mehr Mittel. Maurer will mehr Geld. Das ist ja selbstverständlich. Welcher Departementchef will das nicht? Mehr Geld ist stets die bequemste Problemlösung, aber nicht die einzige.

05.11.2009

Wanderferien in Nordkorea

Ein Reisebericht von Christoph Blocher in der Weltwoche vom 5. November 2009 Die kommunistische Diktatur Nordkorea lebt im permanenten Kriegszustand. Wie die Schweiz möchte auch die asiatische Halbinsel ihre Unabhängigkeit behaupten. Wenn die armen Nordkoreaner nur den Sozialismus überwinden könnten. Ein Reisebericht. Von Christoph Blocher Viel – sehr viel – wird über Nordkorea geschrieben und gesprochen. Eigenartig, dass fast jedermann dieses für asiatische Verhältnisse doch eher kleine Land mit 22 Millionen Einwohnern, das etwa dreimal so gross wie die Schweiz ist, mindestens dem Namen nach kennt. Bekannt sind vor allem die Anstrengungen, die das kommunistische und diktatorische Land unternimmt, um Atomwaffen zu entwickeln. Weil Nordkorea aber nach aussen streng abgeschottet ist, ranken sich Urteile, Vorurteile, Geheimnisse und Vermutungen wie ein dichtes Geflecht um dieses weit weg liegende Unbekannte. Was liegt also näher, als dieses Geheimnis selbst zu lüften, einmal hinzugehen und zu schauen, mit eigenen offenen Augen! Vor unserem Abflug erreicht mich eine SMS eines witzigen Menschen aus der Schweiz: «Wir wünschen gute Reise – das Lösegeld ist bereitgestellt.» Meine Antwort: «Was soll schon einem abgewählten Bundesrat aus unserem konsequent neutralen Kleinstaat geschehen können?» Doch mindestens eine Gemeinsamkeit zwischen Nordkorea und der Schweiz stelle ich fest: Beide Länder möchten ihre Selbständigkeit wahren und streben eine sichere Zukunft an. Unterwegs mit Ulrich Ochsenbein  So fahre ich denn hin, zusammen mit meiner Frau und unserer jüngsten Tochter. Wir melden uns beim lokalen Reise-Forum Meilen,  und schliesslich ergibt sich eine Reisegruppe von zehn Personen, die sich anfänglich nicht kennen und die sich aufmachen, um dieses Land während zehn Tagen zu erkunden. Sehen, hören und erleben – möglichst ausserhalb des Inszenierten den Alltag sehen! Als Industrieller, aber auch als ehemaliger Bundesrat weiss ich: Bei offiziellen Besuchen kann man ein Land nicht wirklich sehen und nicht erfassen: viele offizielle Gespräche, Empfänge, Besuche von ausserordentlichen Sehenswürdigkeiten, von Firmen, die man für diesen Besuch zurechtgemacht hat – die besten Seiten eines Landes stehen im Vordergrund. Doch da es für Nordkorea ein Visum braucht, wurde ich von offizieller Seite schon vor meiner Abreise erkannt, so dass Besuche bei der Regierung unausweichlich wurden, die dann den Eindruck aus dem Alltag auch sinnvoll ergänzten. Also: Flug über Peking in die Hauptstadt Pjöngjang, von dort mit dem Bus über Nampho nach Südwesten, dann in den Süden nach Kaesong und Panmunjon an der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea und auf anderem Weg zurück nach Pjöngjang. Mit der Air Koryo auch in den Norden, ins Chilbo-Gebirge. Dort schöne Herbstwanderungen hoch über dem Ostmeer. Stets sind wir begleitet von Reiseführern, Übersetzern, Beobachtern und einem Videofilmer. Am Schluss folgt die vierundzwanzigstündige Zugfahrt von Pjöngjang über die Grenze nach Peking. In der Hauptstadt – selbstverständlich sind nur die repräsentativen Quartiere und Strassen für uns frei – herrschen ordentliche Verhältnisse. Die Strassen sind sauber, die Koreaner, alle sauber und anständig gekleidet, sind zu Fuss unterwegs. Das Volk marschiert. Es gibt wenige Autos oder Fahrräder, selten Busse, die ausnahmslos vollgestopft sind. Sich allein oder sich im Freien zu bewegen, ist in diesem Lande nicht möglich. Für alles braucht es Bewilligungen, auch zum Fotografieren und zum Verlassen des Hotels. Unser Hotel entspricht westlichen Standards, hat aber nur wenige Gäste. Ausserhalb der Stadt sind die Unterkünfte sehr einfach. Vieles funktioniert schlecht oder gar nicht. Vor allem die Versorgung des Landes mit Elektrizität ist sehr mangelhaft. So liege ich denn oft in vielen langen Nachtstunden am Boden auf harten Matten oder im Zugabteil in einem leider ungeheizten Wagen, meist etwas frierend und mangels Strom mit der Taschenlampe lesend. Alle reichlich mitgeführten Batterien und Reservelampen werden als «Leselämpchen» schliesslich aufgebraucht. Wie immer auf solchen Reisen habe ich auch diesmal Literatur aus der Schweiz bei mir, um mit dem Heimweh besser fertig zu werden. Diesmal die vor kurzem erschienene sechshundertseitige Biografie von Rolf Holenstein über Ulrich Ochsenbein (1811–1890), den – wie es der Verfasser nennt – «Erfinder der modernen Schweiz». Unabhängigkeit und Neutralität So liege ich also im Norden Nordkoreas, auch dort in den Bergen – nahe der Stelle, wo unterirdische Kernwaffen-Versuche durchgeführt wurden –, in einem Land, das ganz auf Verteidigung, Unabhängigkeit und die eigene Sicherheit konzentriert ist. Und lese die spannende Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft von 1848, als die Schweiz – nicht zuletzt dank Ochsenbeins Weitblick und dank seiner «Starrköpfigkeit» (wie dies seine Gegner meinten) – die Unabhängigkeit und die Neutralität gegen alle Einmischungen der europäischen Grossmächte und gegen die Kriegsdrohungen Frankreichs, Deutschlands und Österreichs einen Weg zum demokratischen, freiheitlichen und föderalistischen Kleinstaat durchsetzte. Wie standhaft war man doch 1848 gegenüber den europäischen Grossmächten und wie kleinmütig gebärdet sich die heutige Classe politique! Die Bedrohungen damals waren weit gravierender als die heutigen, aber die Persönlichkeiten wohl auch um einiges stärker. So lese ich, bis mich der einbrechende Morgen wieder in die nordkoreanische Wirklichkeit zurückbringt: Um sechs Uhr früh erschallen – wie überall in den koreanischen Dörfern – die Lautsprecher, welche die Koreaner mit Marschmusik und aufmunternder Stimme zur Tagwache rufen und die Bürger bitten, nun aufzustehen, den Morgen zu geniessen und sich aufzumachen, um an der Reisernte teilzunehmen. Natürlich fehlt auch eine Ode an den Grossen Führer nicht, dank dem Korea eine friedliche Ernte durchführen könne. Ihm verdankt das Volk alles. Alle sind gefordert, nicht nur Bauern, auch Arbeiter, Büroangestellte, Soldaten, alle. So sieht man auch in den Strassen der Städte manche zierlich gekleideten, irgendwo in einem Büro tätigen Sekretärinnen in Gummistiefeln mit der Sichel in der Hand auf dem Weg zu den zugewiesenen Reisfeldern, wo sie zu Hunderten Reis mähen, bündeln und die Reispuppen zum Trocknen aufschichten. Die durch und durch sozialistische Planwirtschaft mit ihrer auf den ersten Blick zu erkennenden gewohnten mangelhaften Produktivität arbeitet in diesen Tagen am Hauptproblem des Landes: an der Ernährung der Bevölkerung. Diese ist ungenügend, was auf den ersten Blick erkennbar wird: Die Menschen sind alle sehr schlank. Sorgsam wird jedes Körnchen Reis aufgelesen. Aber – so denke ich – wie leicht liesse sich das ändern, wenn die sozialistische Planwirtschaft aufgehoben und durch die Privatinitiative mit Privateigentum und Eigenverantwortung ersetzt würde. Aber: weit und breit kein Ulrich Ochsenbein, der zu einer Umkehr aufriefe und dies bewerkstelligen könnte. Minister und höhere Beamte fragen mich: «Was würden Sie denn als weltweit tätiger Unternehmer tun, um die Wirtschaft zu verbessern? Was glauben Sie denn, was man hier produzieren sollte?» Meine Antwort lautet: «Diese Frage ist zu früh gestellt. Bevor man weiss, was man produzieren will, muss man fragen, was man produzieren kann. Zuerst müsste man das Land zu einer marktwirtschaftlichen, eigenverantwortlichen, dezentralen Wirtschaft öffnen. Dann wird es genügend Leute und Investoren geben, die hier investieren, produzieren und verkaufen.» Korea verfüge doch über fleissige und initiative Leute, was ich bereits nach wenigen Tagen gut habe beobachten können. Auch in die Schule gehen sie, und das Land legt zu Recht grossen Wert auf eine gute Ausbildung. «Aber sehen Sie», so fahre ich fort, «da muss zuerst der Sozialismus überwunden werden.» Ich sei überzeugt, dass Nordkorea, würde es den Weg der Chinesen in den achtziger Jahren gehen, in zwanzig Jahren ebenso hervorragend dastünde. Die Antwort des Ministers ist schlagfertig: «Aber wir wollen doch nicht zwanzig Jahre warten!» Ob er es ernst meint, wird nicht ganz klar. Auf meine Frage, was denn Korea zu tun gedenke, folgt die Antwort: «Der grosse Schub passiert 2012. Das ist das hundertste Jahr seit der Geburt des Grossen Führers, Kim Il Sung. Da wird die Wirtschaft einen ausserordentlichen Aufschwung erleben.» Auf meine Frage, wie sie dies denn umsetzen wollten, kam die gut vorbereitete Antwort: Schon heute würden die Leute mit Programmen in den Schulen, mit Liedern und Musik in der Öffentlichkeit in eine gute Stimmung gebracht, damit sie aufgemuntert diese Mehrleistungen erbringen könnten. Land voller Soldaten Nordkorea ist ein Land voller Soldaten. Das Militär dominiert. Nicht nur als Armee, die das Land mit Waffen verteidigt. Sie wird auch eingesetzt zur Errichtung von Bauten, zur Verbesserung von Strassen, für die Reisernte, zu Polizeidiensten. Nordkorea ist ein durch und durch organisiertes Land. Es stehe ja – so sieht man es überall – im Krieg. Auch Schulen, Festspiele, die Musik – alles hat etwas Militärisches. Warum denn? Ohne Kenntnis der Geschichte und ohne Kenntnis der besonderen Lage ist diese Militarisierung nicht zu verstehen. All dies als lächerlich abzutun undals Auswuchs einer Diktatur zu begründen, greift zu kurz. Man schaue sich Nordkorea auf der Karte an. Das Land ragt als Halbinsel aus dem Festland. Im Norden das mächtige China und das mächtige Russland. Beides Atommächte. Im Süden – durch eine entmilitarisierte Zone abgetrennt – liegt Südkorea, das im Schutze der Grossmacht USA steht, einer weiteren Atommacht. Zwischen diesen Gebieten herrscht kein Friede, sondern lediglich ein Waffenstillstand. Dabei, so wird immer betont, gehören die beiden Länder zusammen. Man ist für den Zusammenschluss – den friedlichen Zusammenschluss – von Nord- und Südkorea. Im Osten und Westen ladet das offene Meer nicht nur zum Bade. Am nächsten liegt Japan, das Korea während vierzig Jahren kolonialisierte, bis es nach dem Zweiten Weltkrieg – nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki – bedingungslos kapitulieren musste und gezwungen war, sich aus Korea zurückzuziehen. Die Siegermächte Russland, USA und Grossbritannien teilten Korea am 38. Breitengrad auf – in eine russisch bestimmte Nordzone (Nordkorea) und eine amerikanisch bestimmte Südzone, das heutige Südkorea. Die Beziehungen zu Japan sind schlecht. Auf meine Frage: «Warum denn eigentlich? Die Besetzung liegt doch fünfzig Jahre zurück!», lautet die Antwort eines höheren Regierungsbeamten: «Die Japaner haben sich nie entschuldigt und beanspruchen noch heute eine unserer Inseln.» Ein anderer sagt: «Wir müssen jederzeit mit japanischen und amerikanischen Angriffen rechnen.» Stolz werden ein in den siebziger Jahren gekapertes amerikanisches «Spionageboot» und abgefangene Unterwasserdrohnen als Trophäen in der Hauptstadt vorgezeigt. So wird auch das ganze Volk mit dieser Gefährdung täglich vertraut gemacht. Martialische Plakate der mit Handgranaten bewaffneten Bevölkerung rufen zur Revolution auf: «Zur Verteidigung des alles überragenden Korea». Tatsächlich ist dieses Korea als Zugang zu China und Russland stets bedeutungsvoll gewesen, auch als Schauplatz von Kriegen, Kolonialismus und Besatzungen. Die Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Sicherheit kann man deshalb verstehen. Und dass der längst verstorbene Grosse Führer Kim Il Sung als ehemaliger Partisanenkämpfer gegen die japanischen Besetzer und für die Gründung des Staates Nordkorea hoch verehrt wird, wird man auch verstehen können. Dass mit einer wohl einzigartigen Monumentendichte diese Person geradezu vergöttert wird, ist für uns demokratische, freiheitliche und föderalistische Schweizer unverständlich. Allerdings: So besonders ist das nicht. Man hat Ähnliches erlebt mit Stalin, Mao Zedong oder Ho Chi Minh. Man kann die asiatische Mentalität auch nicht ganz ausser Acht lassen. Den Willen zu Unabhängigkeit und Sicherheit, der stark personifiziert ist, kann man aus der Kenntnis der Geschichte, der besonderen geografischen Lage und der Strategie der heutigen Weltmächte gut begreifen. Selbst der Wille, eine Atommacht sein zu wollen, entbehrt nicht jeglicher Logik. Warum sollen eigentlich nur die Grossen Nuklearwaffen besitzen? Atommächte – so wird argumentiert – greifen sich nicht an! Und so denke ich: Haben wir nicht dank des «Gleichgewichts des Schreckens» den Kalten Krieg in Europa glücklicherweise kalt über die Runden gebracht? Zudem: Die Welt spricht zwar von «Nonproliferationsverträgen», d. h. keine Verbreitung von Nuklearwaffen. Aber niemand spricht über einen Verzicht von Atomwaffen. Die heutigen Atommächte wollen diese nämlich behalten. Sozialismus bis zum Untergang Bringt man noch Verständnis für die sicherheitspolitischen Anstrengungen auf, so fehlt dieses für die Innenpolitik, nämlich für die realsozialistische und diktatorisch-zentralistisch durchgesetzte Staatsallmacht. Es gibt keine Zweifel: Nordkorea ist arm. Die Leute müssen untendurch. Es beelendet, wie die Leute – vor allem ausserhalb der Hauptstadt – ihren Lebenskampf bestreiten müssen. Mütter mit ihren Kleinkindern auf dem Rücken suchen in abgeernteten und abgeräumten Reisfeldern nach Reiskörnern und allfälligen Reisähren. Alte Frauen und Männer tragen schwere Lasten mit Holzästen und allerlei Laubranken auf dem Rücken oft kilometerweit nach Hause, als Nahrung für den Ochsen, als Heizung, als Suppenzutat – wer weiss es? Die Industrie ist veraltet. Doch die Leute können nicht vergleichen. Sie wissen nicht, wie die Menschen im Ausland leben. Das Land ist völlig abgeschottet. Es sei eben Krieg, so wird dies begründet. Jeder Koreaner bekommt zwar einen Fernseher vom Staat. Er kann damit aber höchstens drei gleichgeschaltete nordkoreanische staatliche Programme empfangen. Diese beinhalten keine Nachrichten von aussen. Vom Inland wird nur Lobendes gesendet; immer ist der Geliebte Führer Kim Jong Il im Bild. Fast alle gezeigten Filme sind Kriegsfilme. Es gibt kein Internet, keine E-Mail, keine freie Post und keinen freien Telefonverkehr mit dem Ausland. Vergleiche sind so ausgeschlossen. Das Land benötigt dringend wirtschaftliche Entwicklung. Dass dies nur mit marktwirtschaftlichen Grundsätzen, mit Eigentumsgarantie, mit Rechtssicherheit und unternehmerischer Verantwortung und unter Absage an den zentralistischen Interventionismus möglich ist, will man hier noch nicht sehen. Zwar lehnt man den weltweiten Kommunismus à la Sowjetunion für Nordkorea ab. Auch der chinesische Weg, der ja die marktwirtschaftlichen und unternehmerischen Prinzipien nach dem Bankrott der sozialistischen Marktwirtschaft übernommen hat, sei kein Weg für Korea. Man wolle «den koreanischen Kommunismus». Es ist, wenn man das erläutert bekommt, ein «National-Kommunismus». Aber doch eben ein strenger Kommunismus. So strahlen denn auf dem Kim-­Il-­Sung-Platz gegenüber dem Porträt des Grossen Führers die Porträts von Marx und Lenin, während diese Porträts in ihren Heimatländern längst verschwunden sind. Eine Art Entwicklungshilfe Zuweilen erfüllt mich auch Wehmut, und ich halte mich wieder an Rolf Holensteins Ochsenbein-Biografie und bin unseren schweizerischen Vätern, Grossvätern und Urgrossvätern dankbar, dass sie dem süssen Gift des Sozialismus widerstehen konnten. Warum nur konnten sich so viele – sogenannt gescheite – Intellektuelle in unserem Land und in Europa im letzten Jahrhundert für diesen Unsinn begeistern? Sartre beispielsweise oder viele Schweizer Schriftsteller. Die 68er Generation – viele dieser Leute sind heute in unserem Land in Amt und Würden. Der grossartige Theologe Karl Barth, der standhaft dem Nationalsozialismus die Stirn bot – zu den Gräueln des Kommunismus aber schwieg. Es ist zu hoffen, dass Nordkorea eine Öffnung hin zur freien Marktwirtschaft, zu selbstverantwortlichen Bürgern, die selber produzieren, verkaufen und auch für sich Gewinne erzielen können, schafft. Investoren aus der neutralen kleinen Schweiz kämen dann wohl am ehesten in Frage. Korea müsste keine Angst haben, dass es dadurch zur Kolonialisierung käme. Immerhin spricht man auch in Nordkorea bereits heute von Joint Ventures. Doch was das genau sein soll, ist nicht klar zu sehen. Es müsste ja eine Win-win-Situation sein. Das wäre zwar nicht herkömmliche Entwicklungshilfe, die ja bekanntlich wenig nützt, aber es wäre eine Tätigkeit, die dem Land und seiner Entwicklung wirklich helfen würde.

04.11.2009

Streitgespräch mit Fulvio Pelli

Interview in der «Zürcher Landzeitung» vom 4. November 2009 mit Lukas Odermatt Fulvio Pelli, von der FDP ist in Sachen Klumpenrisiko wenig zu hören gewesen. Fassen Sie als Verwaltungsratspräsident der Tessiner Kantonalbank im Eingeninteresse die Kollegen der Grossbanken mit Samthandschuhen an? Pelli: Das ist eine lustige Frage. Aber die Kantonalbanken gehören ja nicht zu den Banken, die ein Klumpenrisiko darstellen. Wir wollen, dass die Schweiz ein Bankenplatz bleibt. Bankenplätze ohne Grossbanken gibt es aber nicht. Neue Regeln müssen auf den Bankenplatz Rücksicht nehmen. Es darf daher zu keiner Überregulierung kommen. Christoph Blocher, Sie schlagen quasi die Zerschlagung der Grossbanken vor. Ist das Ihre späte Rache, weil sie 1991 nach zehn Jahren aus dem Verwaltungsrat der Bankgesellschaft geflogen sind? Blocher: (lacht) Nein. Die Schweiz soll ein wichtiger Bankenplatz bleiben. Aber wir haben Grossbanken, die so bedeutungsvoll geworden sind, dass sie den Staat bei schlechtem Geschäftsgang in den Bankrott reissen können.. Too big to fail! - zu gross um zu sterben! Das darf es nicht geben. Die Schweiz haftet faktisch mit einer Staatsgarantie. Das muss sich ändern. Würden beide Grossbanken – z.B. wegen Problemen in den USA – ins Trudeln kommen, zahlt die Schweiz. Herr Pelli, für Sie stellt das Klumpenrisiko kein Problem dar? Pelli: Das Systemrisiko existiert hier wie in andern Ländern auch. Unser Bankenplatz hat Systembedeutung für die Volkswirtschaft. Mit diesem Risiko müssen wir leben. Kein System ist ohne Risiken. Wir müssen sie eingrenzen, abschaffen können wir sie nicht, ausser wir verzichten auf Grossbanken. Dann wird eine ausländische Bank zum Klumpenrisiko, weil kleine Banken von ausländischen Banken übernommen werden können. Doch diese wird gleiche Risiken eingehen wie die UBS. Die Schweizer Banken hätten keine Chance, international tätig zu sein. Blocher:. Es geht um die Existenz der Schweiz! Die Bilanzsumme der beiden Grossbanken ist fünfmal grösser als das ganze Bruttoinlandprodukt. Dasjenige der grössten Banken in den USA ist nur das 0,9-fache. Das grosse Risiko ist nicht die Tätigkeit der Banken in der Schweiz, sondern das Engagement im Ausland, vor allem in den USA. Es ist dafür zu sorgen, dass diese amerikanischen Gesellschaften  im Konkursfall nicht auch die schweizerischen Geschäftsbanken mitreissen. Pelli: Die Welt ist nicht nur schwarz-weiss. Wir hatten eine Krise, die aufgrund von Entscheiden einer Bank entstanden ist. Die UBS hat strategische Fehlentscheide getroffen. Daraus müssen wir lernen. Die Finanzmarktaufsicht Finma hat mit Eigenmittel- und Liquiditätsvorschriften auf die Fehler reagiert. Hätte damals die Finma ihre Aufsicht wahrgenommen, hätten wir vielleicht die Krise nicht gehabt. Blocher: In der Wirtschaft ist das Risiko von Fehlentscheiden stets vorhanden. Die Politik hat aber dafür zu sorgen, dass dann nicht die ganze Volkswirtschaft mitgerissen wird.. Es ist erfreulich, dass auch die Nationalbank heute so denkt. Daher wollen Sie, Herr Blocher, die Grossbanken nun zerschlagen? Blocher: Nein, es braucht neben einer Neuordnung des Konkursrechts und neuen Eigenmitteln auch Vorschriften zur Entflechtung, nicht Zerschlagung! Z.B. müssen die ausländischen Banktätigkeiten als selbstständige Tochtergesellschaften geführt werden, ebenso die schweizerischen. Die Gesellschaften  könnten unter einer gemeinsamen Holding stehen. Im Falle eines Konkurses einer dieser Gesellschaften wird vielleicht auch die Holding in den Abgrund gezogen. Aber – und das ist entscheidend – nicht die schweizerische Tochter. Der Staat hätte nicht einzugreifen. Pelli: Das ist illusorisch. Wenn die US-Tochterfirma in Konkurs geht, wäre die ganze Holding betroffen, auch die Schweizer Filiale. Ihr Vorschlag, Herr Blocher, bringt keine Lösung. Ein einziger Teil kann nicht losgelöst von der Holding fallen gelassen werden. Blocher: Die Holding ist nicht das Systemrisiko. Die "Filiale" ist es. Diese könnte auch verkauft werden. Haben Sie einen besseren Vorschlag, um das Problem zu lösen? Also Herr Pelli, was schlägt die FDP vor? Pelli: Wir müssen dieses internationale Problem international lösen .. Blocher: Da bin ich nicht dagegen. ... Pelli: Aber Sie setzen auf die Extremlösung. Zuerst braucht es den internationalen Weg, um korrekte Kapitalvoraussetzungen, mehr Eigenmittel, zu schaffen. Bestrebungen laufen. Sind die Risiken global besser geregelt, ist es für die Schweiz im Detail denkbar, dass für risikoreichere Banktätigkeiten, wie das Investmentbanking, noch schärfere Eigenmittelvorschriften gelten. Sie stört also auch, wenn das Geld des normalen Anlegers einfach in ein risikoreiches Investmentbanking fliesst? Pelli: Das bestimmen sie selber, wenn sie Kunde einer Bank sind... Blocher: Das weiss der Kunde in aller Regel nicht... Pelli: Doch. Ein Kunde, der kein Risiko will, investiert in eine Kantonalbank, in die Raiffaisen, in einfache Sachen. Blocher: (lacht) Nur in die Tessiner Kantonalbank. Doch beim Zusammenbruch der Grossbanken würden auch die kleinen Banken mitgerissen. Für die Schweiz ist das problematischer als für die USA. Pelli: Ich bin nicht einverstanden. Die Schweiz griff ins Bankensystem ein. Und sie löste sich wieder in einer finanziellen Situation, die viel besser war als jene in Amerika. Die Risiken waren in Amerika grösser, die Massnahmen dort viel wichtiger, auch wenn das Verhältnis zwischen Bankengrösse und Bruttoinlandprodukt ein anderes ist als hier. Blocher: Im Verhältnis sind die von der Schweiz eingeschossenen 46 Milliarden Schweizer Franken mehr als das, was die USA einsetzte. Und: die Bankenkrise ist noch nicht ausgestanden und alle zehn Jahre kommt eine neue. Die Krisen werden immer heftiger. Pelli: Aber die Geschichte zeigt, dass diese Risiken kurzfristig waren. ... Blocher: Herr Pelli, da werde ich empfindlich. Jetzt heisst es, wir sind noch gut weggekommen. Tatsache ist: Vor einem Jahr war niemand ausser dem Staat und der Nationalbank bereit, der UBS noch Kapital zu geben. Wäre der Staat nicht beigestanden, wäre nicht nur die UBS sondern auch die CS in den Abgrund gezogen worden.. Es ist vorsorgliche Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass solche für den Staat gravierende Risiken nicht eintreten können. Pelli: Herr Blocher, Sie unterschätzen die Kräfte der Schweiz. Kurze Zeit nach den Staatsinterventionen hat man rasch wieder Privatinvestoren gefunden ... Blocher: Natürlich mit faktischer Staatsgarantie.... . Pelli: ... das System ist nicht so schwach ist, wie Sie es beschreiben. Blocher: Die sind eingestiegen, weil der Staat die Risiken der Banken trägt. Pelli: Das glaube ich nicht. Sie unterschätzen das Schweizer System. Zumindest bei den schärferen Eigenmittelvorschriften sind Sie einig. Nun wehrt sich aber die UBS bereits dagegen. Pelli: Dann muss die UBS aufzeigen, dass sie ohne höhere Eigenmittel in der Lage wäre, die Probleme zu lösen. Die Erfahrung zeigt, dass Eigenverantwortung bei der UBS nicht funktioniert hat. Blocher: Ich habe ein gewisses Verständnis für die Bedenken. Die gesetzliche Eigenmittelvorschrift ist für die Konkurrenzfähigkeit einer Bank entscheidend. Vorschriften für höhere Eigenmittel werden kommen – international. Es gibt eine Obergrenze, klar. Will der Liberale Blocher wirklich per Gesetz Banktätigkeiten vorschreiben? Blocher: Wenn ein für das Land existentielles Problem besteht, dann ja. Dann kann man auf eine Überregulierung verzichten. Pelli: Die Politik ist nicht in der Lage, die Risiken einzuschätzen. Via Finma und Nationalbank sind die Banken theoretisch bereits extrem kontrolliert. Die Finma arbeitet mit wissenschaftlichen Risikoeinschätzungen. Die Politik hingegen aufgrund Empfindlichkeiten, die moralische Kriterien beinhalten. Blocher: Sie haben recht: Die Politik kann die Risiken nicht beurteilen. Wir wissen nur eines: Es wird immer Risiken geben! Und wir wollen, dass diese nicht so gross sind, dass die ganze Volkswirtschaft mitgerissen wird. Viele Länder attackieren die Schweiz, die EU will den automatischen Informationsaustausch. Können wir das Bankkundengeheimnis noch halten? Blocher: Wenn wir das wollen, bestimmt! Aber die anderen Staaten müssen merken, dass wir das wollen. Es kommt darauf an, wieviel Druck wir erleiden mögen. Pelli: Wir wollen das Bankgeheimnis, müssen aber das System anpassen. Die Verrechnungssteuer ist nicht modern. Dieses System hat Löcher. Es soll durch eine Quellensteuer ersetzt werden, die einen tieferen Prozentsatz hat. Wir müssen auch schauen, dass der Finanzplatz nicht nur aufgrund der Vermögensverwaltung von Schwarzgeld lebt. Daher wollen wir die Stempelsteuer abschaffen. Diese Steuer auf den Umsatz wird zum Problem für die Schweizer Firmen und den Finanzplatz. Blocher: Seit 20 Jahren fordern wir die Abschaffung der Stempelsteuer. Warum passiert nichts? Der Bundesrat will es nicht – und Herr Merz auch nicht. Pelli: Herr Merz hat Schritte angekündigt. Blocher: Seit 20 Jahren wird angekündigt. Kann das Bankgeheimnis nicht nur für Schweizer gelten, für Ausländer nicht? Pelli: Warum sollen wir Kunden in Kategorien einteilen? Entweder schützt das System die Privatsphäre oder nicht. Zwei Systeme sind unwürdig. Blocher: Man könnte es schon tun, aber auf lange Sicht würde man es nicht aufrecht erhalten können. Was ist ein Ausländer, was ist ein Schweizer? Pelli: Nun, alle, die hier wohnen und den Lebensunterhalt verdienen, fallen unter das Bankgeheimnis. Blocher: Und was machen Sie mit den Grenzgängern, mit Auslandschweizern? Pelli: Das ist eine Detailfrage. Blocher: Der Teufel steckt eben im Detail. Ist es nicht unhaltbar, das Bankgeheimnis zum Geschäftsmodell zu machen? Blocher: Die Gefahr besteht tatsächlich, dass dank des Bankkundengeheimnisses die Gelder nicht versteuert werden. Darum haben wir die Verrechnungssteuer eingeführt. Das müssen wir den andern Ländern auch anbieten – doch die wollen es nicht, weil sie die Informationspflicht haben wollen. Wenn wir es fordern, werden sie es wollen! Pelli: Sie wollen die Verrechnungssteuer nicht, obwohl sie mehr einnehmen würden. Aber sie würden nicht wissen, wieso. Sie müssten sich fragen, warum ihre Bürger das Geld ins Ausland bringen. Die EU-Länder wollen den automatischen Informationsaustausch, um ihre eigenen, teils perversen Fiskalsysteme beizubehalten. Blocher: Es ist der Kampf des Auslands gegenüber der erfolgreichen Schweiz: Konkurrenzkampf. Und diesen Kampf muss die Schweiz mit allen Mitteln führen – auch Sistierung von Doppelbesteuerungsabkommen? Blocher: Wenn's nicht anders geht. Pelli: Ja, genau. Die Schweiz ist gegenüber den USA eingeknickt. Nun will die EU Gegenrecht. Blocher: Es war ein grober Fehler. Und bei den OECD-Listen haben wir es verpasst, den Ländern das Bankkundengeheimnis zu erklären. Man gibt jeder Forderung, jeder Erpressung, nach. Pelli: Ich sehe es anders. Die Schwarze Liste bestraft nicht den Finanzplatz, sondern den Werkplatz Schweiz. Deshalb war die Strategie des Bundesrats nicht falsch. Er gab auf einem Niveau nach, das noch korrekt ist, vielleicht korrekter als vorher. Zeitgleich mit allen anderen Finanzplätzen. Nun darf man keine Zugeständnisse mehr machen. Blocher: Das höre ich nach jedem Zugeständnis. Als die graue Liste kam... Pelli: Es war eine schwarze ... Blocher:. Ob schwarz, grau, grün, blau oder rot... Pelli: (lacht) Das ist nicht unwesentlich ... Blocher: Wir haben auf einer schwarzen Liste als Exporteure sicher keine Vorteile. Man muss aber Druck ertragen können. Wenn man natürlich bei jedem, der kommt... Pelli: ...das war nicht jeder. Das war die G-20. Blocher:. Auch gegenüber Grossen darf. man nicht einfach nachgeben. Es gilt der Grundsatz: "Tue recht und scheue niemand."

28.10.2009

Blocher wanderte durch Nordkorea

Interview mit S. Reber TagesAnzeiger Online, 28. Oktober 2009 Wie kamen Sie auf dieses Reiseziel? Ich  reise gerne in Ländern, die etwas abgeschlossen sind. Sehen statt nur hören. So war ich schon in China in den frühen 80er-Jahren, in Russland und in der DDR, als diese noch zu war. Und woran leidet das Land nach ihren Eindrücken? Das Problem bei diesen Ländern ist, dass sie ein extremes Sicherheitsbedürfnis haben, das man aus der Geschichte heraus verstehen muss. Nordkorea hatte chinesischen Feudalismus, war 40 Jahre lang von Japan besetzt und in den Korea-Krieg verwickelt. Dieses Land will unabhängig sein. Und sind umgeben von Atommächten, von Russland, von China und indirekt von den Amerikanern im Süden. Die Nordkoreaner haben ständig Angst vor einem Angriff. Und das spürt man. Das Schlimmste aber in diesem Land ist der Sozialismus. Diese Leute sind sehr, sehr arm. Befürworten Sie gar, dass Kim Jong-Il die Atombombe hat? Nein, befürworten natürlich nicht. Wenn er die Bombe hat, dann haben wir auch Angst. Aber ich habe Verständnis für seine Anstrengungen. Die Regierung sagt sich doch: Wieso dürfen die Grossen Atombomben haben und wir nicht? Die sagen sich: Atommächte greifen sich gegenseitig nicht an. Das ist das Gleichgewicht des Schreckens. Konnten Sie mit der Bevölkerung sprechen? Nein, mit der breiten Bevölkerung ist dies nicht möglich. Man würde die Leute in Schwierigkeiten bringen. Man kann abends auch nicht alleine raus. Ich hörte einmal Musik und ging allein in die Stadt. Das gab dann einen kleinen Aufruhr. Demokratische Grundwerte werden in diesem Land doch mit den Füssen getreten. Das müsste gerade sie wütend machen. Wissen Sie, als Tourist sieht man solche Verletzungen der demokratischen Rechte nicht. Haben Sie den Minister, den Sie getroffen haben, darauf angesprochen? Nein. Ich habe ja in der Tat ein ausgeprägtes Demokratiebedürfnis und bin bekanntlich auch sehr empfindlich, wenn man sie in der Schweiz einschränkt. Aber ich bin kein Apostel und sage einem Land, das noch nie Demokratie hatte, das braucht ihr jetzt. Das widerspricht auch meinem Souveränitätsverständnis. Haben Sie die Landbevölkerung gesehen? So gut man sie vom Zug und vom Auto aus sehen kann. In den Dörfern, die man besuchen darf, war die Situation geschönt dargestellt. Was war ihre eindrücklichste Begegnung? Man sieht, wie die Menschen nach der Reisernte auf den Äckern verzweifelt nach übrig gebliebenen Körnern suchen, so etwa Mütter mit ihrem Kind auf dem Rücken. Das ist schon beelendend. Wie haben Sie eigentlich diese Reise gebucht? Ich ging mit einer privaten Gruppe. Es waren alles Deutschschweizer, zehn an der Zahl. Man kann nicht frei reisen. Mann kann Wünsche stellen, aber der Staat sagt, wo es durchgeht.  Gebucht haben wir über das Schweizer Büro Background Tours. Der Reiseführer war der frühere Nachrichtensprecher Walter Eggenberger, der einmal in der Entwicklungshilfe in diesem Land tätig war. Man hat sie dann aber doch als Politiker erkannt. Der Botschafter hat sich nach dem Visumsantrag gleich gemeldet. So habe ich dann auch Regierungsstellen besucht. Das war interessant und gut. Ich wollte auch schauen, ob man jetzt beginnen könnte das Land wirtschaftlich zu erschliessen. Und zu welchem Schluss kamen Sie? Es ist noch viel zu früh, als dass sich jetzt die Wirtschaft öffnen würde. Sie versuchen es, in dem sie Bauern kleine Grundstücke geben, deren Ertrag sie behalten dürfen. Aber da geht es um winzige Felder von 5 mal 20 Metern Grösse. Hätte das Land Potential? Ich bin überzeugt, wenn Nordkorea die Landwirtschaft hin zu einer selbstverantwortlichen Marktwirtschaft mit privatem Eigentum öffnen würde, gäbe das ein blühendes Land. Die Leute sind fleissig und gehen auch in die Schule. Aber es ist eben die staatliche Planwirtschaft und darum funktioniert es nicht. Wie lange geht es noch bis westliche Investoren tätig werden können? Es fehlt ja auch an der ganzen Infrastruktur. Elektrizität funktioniert vielerorts nicht. Aber wenn sich Nordkorea öffnet, und dazu wird es früher oder später gezwungen sein, dann kann es rasch gehen. So wie in China. Sie gingen ja auch wandern. Wie muss man sich das vorstellen? Ich wollte in den Norden in die „Berge“. Das wurde bewilligt. Das ist übrigens die Gegend, wo die unterirdischen Atomversuche stattfanden. Dort kann man „laufen“. Aber nur auf Strassen, der Rest ist abgesperrt. Aber es hat keine Autos, von dem her ist es auch wieder angenehm… Wie lange kann man laufen? Die Gruppe war nicht so gängig. Einige spazierten eine Stunde, andere zwei, drei. Man kann aber auch länger. Wie muss man sich diese Landschaft vorstellen? Es war sehr schön. Bewaldete Hügel, die sich jetzt im Herbst sehr farbig zeigten. Auch ein Sandstrand den wir gesehen haben, war sehr attraktiv. Aber das war nicht typisch, was man uns zeigte. Gäbe es für den Tourismus Chancen? Das wäre etwas vom ersten, das man nutzen könnte. Aber die Hotels in diesem Gebiet sind keine Hotels. Der Standard ist tiefer als in unseren SAC-Hütten. War es sauber? Die Hotels am Meer waren nicht so sauber. In der Hauptstadt jedoch schon. Die Leute geben sich mühe. Sie sind auch bescheiden aber gepflegt gekleidet. Und gegessen haben Sie gut? Es ist bescheiden. Aber wir hatten immer genug. Wir waren ja auch Touristen, die viel dafür gezahlt haben. Was kostet eigentlich so eine Reise? Ach, das kann ich Ihnen nicht mehr sagen. Meine Frau hat gebucht. Aber es ist ziemlich teuer. Um die 20'000 Franken? Ja, in diese Region geht es schon. Man zahlt alles mit Dollar oder Euro. Das haben sie gern. Landeswährung dürfen sie nicht bei sich haben. War das Reisen nicht mühsam, zum Beispiel an der Grenze? Als wir von der Pjöngjang (die Hauptstadt) nach Peking mit dem Zug fuhren, brauchten wir an der Grenze vier Stunden. Da wurde alles genau kontrolliert. Ich hatte da aber eine etwas bevorzugte Behandlung. Wenn Sie dem Land drei Tipps geben könnten, was würden Sie Nordkorea raten? Erstens den Sozialismus in der Wirtschaft einschränken, wie das China gemacht hat. Damit die Leute auch genug zu essen haben. Brecht sagte ja schon: Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral. Zweitens die Dezentralisierung vorantreiben. Und als drittes würde ich ein freiheitlicheres System empfehlen. Das geht dann hin zur Selbstbestimmung der Bürger und hin zu demokratischen Gemeinden. Ich habe den Nordkoreanern gesagt, ich würde ihr Sicherheitsbedürfnis verstehen. Aber mit der sozialistischen Planwirtschaft würden sie nie vom Fleck kommen. Aber die glauben halt noch daran. Sind Reformen in absehbarer Zeit möglich? Nein, ich denke nicht. Ich sehe keine Opposition. Und da die Leute ja nichts wissen und keine Medien und somit keine Vergleichsmöglichkeiten haben, können sie auch nichts Neues fordern.

08.10.2009

Wir stehen für eine hohe Selbstverantwortung auch in der Familie ein

Interview mit M. Hug und M.Widmer <br> Berner Zeitung, 8. Oktober 2009 Christoph Blocher, zwei Jahre sind seit Ihrer Abwahl aus dem Bundesrat vergangen. Wo steht die SVP heute? Wären jetzt eidgenössische Wahlen, wäre die SVP Gewinnerin. Die Stosskraft zeigte erneute die Abstimmung über die IV-Zusatzfinanzierung. Im Volk beginnt die Stimmung zu drehen. Die SVP erhält zunehmend recht und Zustimmung. Nicht in allen Kantonalparteien läuft es dagegen ideal. Vor lauter Erfolgen beginnen sie sich in falscher Richtung zu bewegen. In welche denn? Mit dem Wahlerfolg von 2007 kommt Selbstzufriedenheit, Bequemlichkeit und Selbstgenügsamkeit auf. Statt harter und selbstloser Parteiarbeit beginnt man das eigene Ansehen und die politische Karriere zu beachten. Durch das starke Wachstum der Partei wurden viele unerfahrene Leute rasch in die Ämter gewählt. Diese schreiben den Erfolg dann rasch sich selber zu. Sich für die Schweiz aufzuopfern, von den Medien kritisiert zu werden und sich nur für die Aufgabe einzusetzen – ohne Rücksicht auf das "Image" zu nehmen – gehört dann schnell nicht mehr zum Rüstzeug. Man sucht den Zuspruch von allen Seiten, man will ja schliesslich persönlich gewählt werden. Können Sie ein konkretes Beispiel machen? Seit den eidgenössischen Wahlen 2007 fanden in zehn Kantonen Parlaments- und Regierungsratswahlen statt. Dort, wo sich die Partei voll hinter die SVP-Ziele stellte, mit klarer Linie und ohne auf das eigene Ansehen zu achten, waren die Erfolge enorm: So konnte Uri den Wähleranteil um 122%, Wallis um 55%, Schwyz um 29% und St. Gallen um 24% steigern. Auch Basel-Stadt, Thurgau, Solothurn und Aargau steigerten den Wähleranteil, wenn auch in geringerem Ausmass. Hingegen verlor die SVP in Schaffhausen 8,4% und in Neuenburg 21% ihrer Wähler. In beiden Kantonen hat man sich von der SVP-Linie abgewandt, das Augenmerk auf den äusseren Auftritt statt auf die Sorgen der Bevölkerung gelegt. Die Verluste waren voraussehbar. Genf wählt am Sonntag ein neues Kantonsparlament. Sehen Sie schwarz für Ihre Partei? Ich will keine Prognose wagen, wir glauben aber zumindest nicht an einen Grosserfolg. Auch hier fehlte eine klare, konsequente Strategie. Es wird sogar schwierig, dass die SVP in Genf ihren noch geringen Wähleranteil von 11% halten kann. Es wurden in der Vergangenheit viele Fehler gemacht. Und wie schätzen Sie die Situation im Kanton Bern ein? Erfreulich ist der starke Druck von der Basis – vor allem auch von der Jungen SVP. Leider bremst die Parteiführung zu oft. Schade. Offensive ist gefragt. Die HarmoS-Vorlage zur Schulharmonisierung ist ein Beispiel. Es dauerte lange, bis sich die Berner Parteispitze bequemt hat, das Thema aufzugreifen. Und siehe da: Beinahe hätte der Kanton Bern HarmoS verworfen. Die Bevölkerung ist über die Irrwege in der Familien-, Erziehungs- und Schulpolitik beunruhigt. Sie hat genug von den weltfremden, ideologischen Modellen. Die SVP hält als einzige dagegen. Aber tun muss man es. "Den Grind hinhalten" für unsere Jugend! Die Parteispitze muss ziehen – nicht bremsen. Das muss sich ändern, sonst verliert die Berner SVP 2010 die Wahlen. Sie hat grosse Chancen zu gewinnen. Aber sie braucht Profil. Das wie aussehen könnte? Gegen die Missstände im Ausländer- und Asylbereich antreten. Gegen die dauernde Belastung der Bürger, vor allem auch des Mittelstandes, kämpfen. Sich für die Schweiz einsetzen, wo alle in die EU drängen. Mit Anbiederung gewinnt man nichts. Nicht nach der Beliebtheit anderer Parteien schielen. Die BDP ist keine Konkurrenz zur SVP. Sie ist keine Partei mit einem klaren Programm. Anstand allein genügt nicht. Es ist höchst unanständig, vor lauter Anstand nicht gegen politische Missstände vorzugehen. Stellen Sie den Berner SVP-Parteipräsident Rudolf Joder in Frage? Nein, aber die Führung muss entschieden vorangehen. Er muss es tun. Natürlich muss er sich fragen, was er will. Will er in eine Majorzwahl oder will er Parteipräsident sein? Ein Parteipräsident muss sich für die Partei exponieren, das schliesst aber z.B. eine Regierungsrats- oder Ständeratskandidatur aus. Er muss sich entscheiden. Mit welchen konkreten Themen könnte denn das Profil geschärft werden? Die SVP kämpft für die Schweiz, ist gegen den EU-Beitritt. Sie thematisiert die Ausländer- und die Schulpolitik sowie den erneuten Asylmissbrauch ohne Scheuklappen. Wir stehen für eine hohe Selbstverantwortung auch in der Familie ein. …das sind aber doch primär nationale Themen… Bei weitem nicht nur. Gerade Schule, Erziehung, Bildung – ein Kernthema der SVP – sind doch eindeutig kantonale Themen. Ebenso die Bekämpfung der Jugendkriminalität, die Sicherheit. Hier ist die SVP führend. Aber man muss es tun. Wollen Sie den Bernern den Zürcher Stil aufzwingen? Es geht nicht um Stilfragen, sondern um unser Land. Wir haben nie einen Kampf gegen Bern geführt. Aber es bringt nichts, wenn sich die Kantonalsektionen voneinander distanzieren. Man sieht, wohin das führt, etwa in Schaffhausen und Neuenburg. Ist es für SVP-Kantonalparteien nicht auch schwierig offensiv zu agieren, weil sie immer mehr auch Regierungsparteien sind? Man muss sich als Regierungspartei nicht in erster Linie in der Opposition profilieren, aber auch nicht den Schlaf des Gerechten pflegen. Man kann sich von wichtigen Dingen nicht abwenden unter Berufung, man sei Regierungspartei. Es gilt Partei zu nehmen für unser Land und Volk. Gerade die jungen Kantonalparteien, die keine Regierungsvertreter stellen, müssen verstärkt ihre Aufgabe als Opposition wahrnehmen. Das ist etwas undankbar, aber zum Wohl des Landes nötig. Immer am Ball bleiben! Ist diese Entwicklung nicht auch der Preis für den Erfolg? Die Partei hat eine Grösse erreicht, in der es immer schwieriger wird, alle auf eine einheitliche Linie zu bringen. Jetzt schärfen die Kantonalparteien halt ihre eigenen Profile. Sollen sie doch. Aber die Parteien laufen Gefahr, sich ins politische Niemandsland zu bewegen. Aktiv sein, aber unverbindlich im Politikgetriebe und Anbiederung ist kein Profil. Es stellt sich die Frage, ob man Positionen einnimmt, mit denen man die Interessen des Landes, der Bevölkerung, der Arbeitsplätze, der Wirtschaft verteidigt. Ist man bereit, einen eigenständigen Weg zu gehen – auch wenn er mühsam ist? Und wenn ich an Genf und die Konkurrenz durch die Bewegung MCG – ehemalige SVPler – denke: Rechts von der SVP darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben! Vielleicht versuchen sich die Sektionen auch vom Parteiübervater Christoph Blocher zu lösen? Wenn sich jemand von jemandem anderen emanzipieren muss, ist das ein Schwächezeichen. Es geht nicht um meine Position, sondern um die Wahlversprechen der Gewählten. Aber man wird den Eindruck nicht los, auch in der SVP Schweiz gebe es mehr interne Zwistigkeiten, als früher? Im Gegenteil. Vielleicht ist es eher zu ruhig. Letztes Jahr hat es vor der Bundesratswahl die üblichen Auseinandersetzung um die Kandidatenwahl gegeben. Eine notwendige, aber fruchtbare Debatte fand auch bei der Erarbeitung der Parteiposition über die Einschränkung des Grossbankenrisikos statt. Sie war heftig. Der Entscheid fiel schliesslich in Fraktion und Partei im Verhältnis 9 zu 1 klar aus. Die SVP ist auch zunehmend mehrheitsfähig. Dank der SVP konnte z.B. das unselige Atalanta-Abenteuer beerdigt werden! Die SVP kämpft heute in Manchem freier. Freier vielleicht, aber sicher auch ruhiger. Auch den Eindruck teile ich nicht. Die SVP hat die letzten Jahre den Finger – unter grossem Protest von Bundesrat und von anderen Parteien – auf viele wunde Punkte gelegt: z.B. auf den Sozialmissbrauch, die Scheininvalidität, die Jugendkriminalität, den wieder zunehmenden Asylmissbrauch. Man bestritt sogar, dass es hier Probleme gebe. Inzwischen müssen die anderen Parteien immer mehr zugeben. Wir können nun an die Durchsetzung gehen. Wenn die anderen Parteien also die SVP-Positionen übernehmen, zieht sich diese mehr und mehr zurück? Leider ist es noch lange nicht soweit. Aber wenn die anderen täten, was wir wollen, ginge es der Schweiz gut und die SVP wäre überflüssig. Eine Partei ist nicht Selbstzweck. Demnach ist es gar nicht Ihr oberstes Ziel, dass die Partei noch stärker wird? Das Land – nicht die Partei – soll stärker werden. Dafür brauchen wir Stosskraft. Darum muss die SVP noch grösser werden, aber nicht durch Profillosigkeit. Eine Partei mit 29 Prozent Wähleranteil, die aber schlagkräftig ist, hilft mehr als eine Partei mit 50 Prozent ohne Profil. Aber dieses Land hat eine starke SVP nach wie vor nötig. Wer vermöchte dem Druck für einen EU-Beitritt in Bundesrat, Verwaltung und Parlament standzuhalten? Wer dem willfährigen Benehmen der Regierung gegenüber dem Ausland? Wie benimmt sie sich? Sie macht keine gute Figur. Das Ausliefern von Bankdaten an die USA war unakzeptabel. Die Verhaftung Polanskis sieht aus, als hätte die Schweiz ihn in eine Falle gelockt. Und als ich sah, wie Bundespräsident Merz im Namen der Schweiz in Libyen den Bückling gemacht hat, dann konnte ich nur noch den Kopf schütteln.  Aber der gesamte Bundesrat steht in der Verantwortung. Im Bundesrat werden keine Strategien verlangt und festgelegt. Es gibt zu viele Einzelaktionen. Hier muss die SVP Gegensteuer geben. Glauben Sie, manche Ihrer Mitstreiter haben diese Maxime aus den Augen verloren? Sie kennen den Witz: Ein Politiker bietet vor den Wahlen im Tram einer älteren Dame seinen Platz  an. Sie winkt ab und sagt: «Vor den Wahlen lassen Sie mich sitzen und nach den Wahlen lassen Sie mich hocken.» Das darf es bei der SVP nicht geben. Waren Sie ob der Absage der Uni St. Gallen enttäuscht? Leider war dies zu erwarten. Obwohl der Rektor mir mitteilte, dass Artikel 36 des Universitätsstatus eine Altersgrenze von 65 vorsehe, war für mich klar: Es geht darum, dass in den Lehrbetrieben der Universität die fundamentale Infragestellung einer wirklichkeitsfremden Lehrdoktrin nicht zugelassen werden soll. Die langjährige Praxis und Erfahrung soll ausgeklammert werden. Darum bleibt das Anliegen, der akademischen Jugend, die sich in einem nicht genug ernstzunehmenden Notstand befindet, Orientierung zu geben und der Leere – gerade auch in der Wertordnung – entgegenzuwirken. Zu den Änderungen im SVP-Parteivorstand: Im Parteivorstand stehen einige Änderungen an: Jasmin Hutter wird Mutter und scheidet aus und Caspar Baader hat als Fraktionschef die maximale Amtszeit erreicht. Wer soll nachrutschen? Wir haben Caspar Baader gebeten, noch zwei Jahre weiter zu machen. Wir müssen dafür die Fraktionsregeln ändern. Es wäre ungeschickt, zwei Jahre vor den Wahlen einen neuen Fraktionschef zu installieren. Caspar Baader möchte zwar nicht mehr, aber ich glaube, wir können ihn noch überzeugen. Und Frau Hutter? Sie bleibt ja noch bis Frühling. Danach schauen wir weiter. Als Nachfolge sollte wenn möglich eine Frau, eine Vertretung der Jungen SVP, vorzugsweise aus der Romandie, ins Auge gefasst werden. Die Jungen sind im Kommen. Sie haben viel Tatkraft. Ihnen selber ist es wohl in der «zweiten Reihe»? Mir muss nicht wohl sein. Die Aufgaben sind derzeit gut verteilt. Sollte die SVP-Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates angenommen werden. Würden Sie sich noch einmal einer Wahl stellen? Nein, nein. Die Initiative ist nicht für mich konzipiert worden. Und sowieso: Bis das Gesetz in Kraft ist, bin ich vermutlich gegen 80 Jahre alt (lacht). Obwohl – wenn ich mir Konrad Adenauer zum Vorbild nehme – ist das ja noch kein Alter. Der ist als 86-Jähriger zurückgetreten. Kandidieren Sie 2011 nochmals für den Nationalrat? Ich schliesse eine Kandidatur nicht aus, will mich aber erst 2011 entscheiden.