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28.10.2009

Blocher wanderte durch Nordkorea

Interview mit S. Reber TagesAnzeiger Online, 28. Oktober 2009 Wie kamen Sie auf dieses Reiseziel? Ich  reise gerne in Ländern, die etwas abgeschlossen sind. Sehen statt nur hören. So war ich schon in China in den frühen 80er-Jahren, in Russland und in der DDR, als diese noch zu war. Und woran leidet das Land nach ihren Eindrücken? Das Problem bei diesen Ländern ist, dass sie ein extremes Sicherheitsbedürfnis haben, das man aus der Geschichte heraus verstehen muss. Nordkorea hatte chinesischen Feudalismus, war 40 Jahre lang von Japan besetzt und in den Korea-Krieg verwickelt. Dieses Land will unabhängig sein. Und sind umgeben von Atommächten, von Russland, von China und indirekt von den Amerikanern im Süden. Die Nordkoreaner haben ständig Angst vor einem Angriff. Und das spürt man. Das Schlimmste aber in diesem Land ist der Sozialismus. Diese Leute sind sehr, sehr arm. Befürworten Sie gar, dass Kim Jong-Il die Atombombe hat? Nein, befürworten natürlich nicht. Wenn er die Bombe hat, dann haben wir auch Angst. Aber ich habe Verständnis für seine Anstrengungen. Die Regierung sagt sich doch: Wieso dürfen die Grossen Atombomben haben und wir nicht? Die sagen sich: Atommächte greifen sich gegenseitig nicht an. Das ist das Gleichgewicht des Schreckens. Konnten Sie mit der Bevölkerung sprechen? Nein, mit der breiten Bevölkerung ist dies nicht möglich. Man würde die Leute in Schwierigkeiten bringen. Man kann abends auch nicht alleine raus. Ich hörte einmal Musik und ging allein in die Stadt. Das gab dann einen kleinen Aufruhr. Demokratische Grundwerte werden in diesem Land doch mit den Füssen getreten. Das müsste gerade sie wütend machen. Wissen Sie, als Tourist sieht man solche Verletzungen der demokratischen Rechte nicht. Haben Sie den Minister, den Sie getroffen haben, darauf angesprochen? Nein. Ich habe ja in der Tat ein ausgeprägtes Demokratiebedürfnis und bin bekanntlich auch sehr empfindlich, wenn man sie in der Schweiz einschränkt. Aber ich bin kein Apostel und sage einem Land, das noch nie Demokratie hatte, das braucht ihr jetzt. Das widerspricht auch meinem Souveränitätsverständnis. Haben Sie die Landbevölkerung gesehen? So gut man sie vom Zug und vom Auto aus sehen kann. In den Dörfern, die man besuchen darf, war die Situation geschönt dargestellt. Was war ihre eindrücklichste Begegnung? Man sieht, wie die Menschen nach der Reisernte auf den Äckern verzweifelt nach übrig gebliebenen Körnern suchen, so etwa Mütter mit ihrem Kind auf dem Rücken. Das ist schon beelendend. Wie haben Sie eigentlich diese Reise gebucht? Ich ging mit einer privaten Gruppe. Es waren alles Deutschschweizer, zehn an der Zahl. Man kann nicht frei reisen. Mann kann Wünsche stellen, aber der Staat sagt, wo es durchgeht.  Gebucht haben wir über das Schweizer Büro Background Tours. Der Reiseführer war der frühere Nachrichtensprecher Walter Eggenberger, der einmal in der Entwicklungshilfe in diesem Land tätig war. Man hat sie dann aber doch als Politiker erkannt. Der Botschafter hat sich nach dem Visumsantrag gleich gemeldet. So habe ich dann auch Regierungsstellen besucht. Das war interessant und gut. Ich wollte auch schauen, ob man jetzt beginnen könnte das Land wirtschaftlich zu erschliessen. Und zu welchem Schluss kamen Sie? Es ist noch viel zu früh, als dass sich jetzt die Wirtschaft öffnen würde. Sie versuchen es, in dem sie Bauern kleine Grundstücke geben, deren Ertrag sie behalten dürfen. Aber da geht es um winzige Felder von 5 mal 20 Metern Grösse. Hätte das Land Potential? Ich bin überzeugt, wenn Nordkorea die Landwirtschaft hin zu einer selbstverantwortlichen Marktwirtschaft mit privatem Eigentum öffnen würde, gäbe das ein blühendes Land. Die Leute sind fleissig und gehen auch in die Schule. Aber es ist eben die staatliche Planwirtschaft und darum funktioniert es nicht. Wie lange geht es noch bis westliche Investoren tätig werden können? Es fehlt ja auch an der ganzen Infrastruktur. Elektrizität funktioniert vielerorts nicht. Aber wenn sich Nordkorea öffnet, und dazu wird es früher oder später gezwungen sein, dann kann es rasch gehen. So wie in China. Sie gingen ja auch wandern. Wie muss man sich das vorstellen? Ich wollte in den Norden in die „Berge“. Das wurde bewilligt. Das ist übrigens die Gegend, wo die unterirdischen Atomversuche stattfanden. Dort kann man „laufen“. Aber nur auf Strassen, der Rest ist abgesperrt. Aber es hat keine Autos, von dem her ist es auch wieder angenehm… Wie lange kann man laufen? Die Gruppe war nicht so gängig. Einige spazierten eine Stunde, andere zwei, drei. Man kann aber auch länger. Wie muss man sich diese Landschaft vorstellen? Es war sehr schön. Bewaldete Hügel, die sich jetzt im Herbst sehr farbig zeigten. Auch ein Sandstrand den wir gesehen haben, war sehr attraktiv. Aber das war nicht typisch, was man uns zeigte. Gäbe es für den Tourismus Chancen? Das wäre etwas vom ersten, das man nutzen könnte. Aber die Hotels in diesem Gebiet sind keine Hotels. Der Standard ist tiefer als in unseren SAC-Hütten. War es sauber? Die Hotels am Meer waren nicht so sauber. In der Hauptstadt jedoch schon. Die Leute geben sich mühe. Sie sind auch bescheiden aber gepflegt gekleidet. Und gegessen haben Sie gut? Es ist bescheiden. Aber wir hatten immer genug. Wir waren ja auch Touristen, die viel dafür gezahlt haben. Was kostet eigentlich so eine Reise? Ach, das kann ich Ihnen nicht mehr sagen. Meine Frau hat gebucht. Aber es ist ziemlich teuer. Um die 20'000 Franken? Ja, in diese Region geht es schon. Man zahlt alles mit Dollar oder Euro. Das haben sie gern. Landeswährung dürfen sie nicht bei sich haben. War das Reisen nicht mühsam, zum Beispiel an der Grenze? Als wir von der Pjöngjang (die Hauptstadt) nach Peking mit dem Zug fuhren, brauchten wir an der Grenze vier Stunden. Da wurde alles genau kontrolliert. Ich hatte da aber eine etwas bevorzugte Behandlung. Wenn Sie dem Land drei Tipps geben könnten, was würden Sie Nordkorea raten? Erstens den Sozialismus in der Wirtschaft einschränken, wie das China gemacht hat. Damit die Leute auch genug zu essen haben. Brecht sagte ja schon: Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral. Zweitens die Dezentralisierung vorantreiben. Und als drittes würde ich ein freiheitlicheres System empfehlen. Das geht dann hin zur Selbstbestimmung der Bürger und hin zu demokratischen Gemeinden. Ich habe den Nordkoreanern gesagt, ich würde ihr Sicherheitsbedürfnis verstehen. Aber mit der sozialistischen Planwirtschaft würden sie nie vom Fleck kommen. Aber die glauben halt noch daran. Sind Reformen in absehbarer Zeit möglich? Nein, ich denke nicht. Ich sehe keine Opposition. Und da die Leute ja nichts wissen und keine Medien und somit keine Vergleichsmöglichkeiten haben, können sie auch nichts Neues fordern.

08.10.2009

Wir stehen für eine hohe Selbstverantwortung auch in der Familie ein

Interview mit M. Hug und M.Widmer <br> Berner Zeitung, 8. Oktober 2009 Christoph Blocher, zwei Jahre sind seit Ihrer Abwahl aus dem Bundesrat vergangen. Wo steht die SVP heute? Wären jetzt eidgenössische Wahlen, wäre die SVP Gewinnerin. Die Stosskraft zeigte erneute die Abstimmung über die IV-Zusatzfinanzierung. Im Volk beginnt die Stimmung zu drehen. Die SVP erhält zunehmend recht und Zustimmung. Nicht in allen Kantonalparteien läuft es dagegen ideal. Vor lauter Erfolgen beginnen sie sich in falscher Richtung zu bewegen. In welche denn? Mit dem Wahlerfolg von 2007 kommt Selbstzufriedenheit, Bequemlichkeit und Selbstgenügsamkeit auf. Statt harter und selbstloser Parteiarbeit beginnt man das eigene Ansehen und die politische Karriere zu beachten. Durch das starke Wachstum der Partei wurden viele unerfahrene Leute rasch in die Ämter gewählt. Diese schreiben den Erfolg dann rasch sich selber zu. Sich für die Schweiz aufzuopfern, von den Medien kritisiert zu werden und sich nur für die Aufgabe einzusetzen – ohne Rücksicht auf das "Image" zu nehmen – gehört dann schnell nicht mehr zum Rüstzeug. Man sucht den Zuspruch von allen Seiten, man will ja schliesslich persönlich gewählt werden. Können Sie ein konkretes Beispiel machen? Seit den eidgenössischen Wahlen 2007 fanden in zehn Kantonen Parlaments- und Regierungsratswahlen statt. Dort, wo sich die Partei voll hinter die SVP-Ziele stellte, mit klarer Linie und ohne auf das eigene Ansehen zu achten, waren die Erfolge enorm: So konnte Uri den Wähleranteil um 122%, Wallis um 55%, Schwyz um 29% und St. Gallen um 24% steigern. Auch Basel-Stadt, Thurgau, Solothurn und Aargau steigerten den Wähleranteil, wenn auch in geringerem Ausmass. Hingegen verlor die SVP in Schaffhausen 8,4% und in Neuenburg 21% ihrer Wähler. In beiden Kantonen hat man sich von der SVP-Linie abgewandt, das Augenmerk auf den äusseren Auftritt statt auf die Sorgen der Bevölkerung gelegt. Die Verluste waren voraussehbar. Genf wählt am Sonntag ein neues Kantonsparlament. Sehen Sie schwarz für Ihre Partei? Ich will keine Prognose wagen, wir glauben aber zumindest nicht an einen Grosserfolg. Auch hier fehlte eine klare, konsequente Strategie. Es wird sogar schwierig, dass die SVP in Genf ihren noch geringen Wähleranteil von 11% halten kann. Es wurden in der Vergangenheit viele Fehler gemacht. Und wie schätzen Sie die Situation im Kanton Bern ein? Erfreulich ist der starke Druck von der Basis – vor allem auch von der Jungen SVP. Leider bremst die Parteiführung zu oft. Schade. Offensive ist gefragt. Die HarmoS-Vorlage zur Schulharmonisierung ist ein Beispiel. Es dauerte lange, bis sich die Berner Parteispitze bequemt hat, das Thema aufzugreifen. Und siehe da: Beinahe hätte der Kanton Bern HarmoS verworfen. Die Bevölkerung ist über die Irrwege in der Familien-, Erziehungs- und Schulpolitik beunruhigt. Sie hat genug von den weltfremden, ideologischen Modellen. Die SVP hält als einzige dagegen. Aber tun muss man es. "Den Grind hinhalten" für unsere Jugend! Die Parteispitze muss ziehen – nicht bremsen. Das muss sich ändern, sonst verliert die Berner SVP 2010 die Wahlen. Sie hat grosse Chancen zu gewinnen. Aber sie braucht Profil. Das wie aussehen könnte? Gegen die Missstände im Ausländer- und Asylbereich antreten. Gegen die dauernde Belastung der Bürger, vor allem auch des Mittelstandes, kämpfen. Sich für die Schweiz einsetzen, wo alle in die EU drängen. Mit Anbiederung gewinnt man nichts. Nicht nach der Beliebtheit anderer Parteien schielen. Die BDP ist keine Konkurrenz zur SVP. Sie ist keine Partei mit einem klaren Programm. Anstand allein genügt nicht. Es ist höchst unanständig, vor lauter Anstand nicht gegen politische Missstände vorzugehen. Stellen Sie den Berner SVP-Parteipräsident Rudolf Joder in Frage? Nein, aber die Führung muss entschieden vorangehen. Er muss es tun. Natürlich muss er sich fragen, was er will. Will er in eine Majorzwahl oder will er Parteipräsident sein? Ein Parteipräsident muss sich für die Partei exponieren, das schliesst aber z.B. eine Regierungsrats- oder Ständeratskandidatur aus. Er muss sich entscheiden. Mit welchen konkreten Themen könnte denn das Profil geschärft werden? Die SVP kämpft für die Schweiz, ist gegen den EU-Beitritt. Sie thematisiert die Ausländer- und die Schulpolitik sowie den erneuten Asylmissbrauch ohne Scheuklappen. Wir stehen für eine hohe Selbstverantwortung auch in der Familie ein. …das sind aber doch primär nationale Themen… Bei weitem nicht nur. Gerade Schule, Erziehung, Bildung – ein Kernthema der SVP – sind doch eindeutig kantonale Themen. Ebenso die Bekämpfung der Jugendkriminalität, die Sicherheit. Hier ist die SVP führend. Aber man muss es tun. Wollen Sie den Bernern den Zürcher Stil aufzwingen? Es geht nicht um Stilfragen, sondern um unser Land. Wir haben nie einen Kampf gegen Bern geführt. Aber es bringt nichts, wenn sich die Kantonalsektionen voneinander distanzieren. Man sieht, wohin das führt, etwa in Schaffhausen und Neuenburg. Ist es für SVP-Kantonalparteien nicht auch schwierig offensiv zu agieren, weil sie immer mehr auch Regierungsparteien sind? Man muss sich als Regierungspartei nicht in erster Linie in der Opposition profilieren, aber auch nicht den Schlaf des Gerechten pflegen. Man kann sich von wichtigen Dingen nicht abwenden unter Berufung, man sei Regierungspartei. Es gilt Partei zu nehmen für unser Land und Volk. Gerade die jungen Kantonalparteien, die keine Regierungsvertreter stellen, müssen verstärkt ihre Aufgabe als Opposition wahrnehmen. Das ist etwas undankbar, aber zum Wohl des Landes nötig. Immer am Ball bleiben! Ist diese Entwicklung nicht auch der Preis für den Erfolg? Die Partei hat eine Grösse erreicht, in der es immer schwieriger wird, alle auf eine einheitliche Linie zu bringen. Jetzt schärfen die Kantonalparteien halt ihre eigenen Profile. Sollen sie doch. Aber die Parteien laufen Gefahr, sich ins politische Niemandsland zu bewegen. Aktiv sein, aber unverbindlich im Politikgetriebe und Anbiederung ist kein Profil. Es stellt sich die Frage, ob man Positionen einnimmt, mit denen man die Interessen des Landes, der Bevölkerung, der Arbeitsplätze, der Wirtschaft verteidigt. Ist man bereit, einen eigenständigen Weg zu gehen – auch wenn er mühsam ist? Und wenn ich an Genf und die Konkurrenz durch die Bewegung MCG – ehemalige SVPler – denke: Rechts von der SVP darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben! Vielleicht versuchen sich die Sektionen auch vom Parteiübervater Christoph Blocher zu lösen? Wenn sich jemand von jemandem anderen emanzipieren muss, ist das ein Schwächezeichen. Es geht nicht um meine Position, sondern um die Wahlversprechen der Gewählten. Aber man wird den Eindruck nicht los, auch in der SVP Schweiz gebe es mehr interne Zwistigkeiten, als früher? Im Gegenteil. Vielleicht ist es eher zu ruhig. Letztes Jahr hat es vor der Bundesratswahl die üblichen Auseinandersetzung um die Kandidatenwahl gegeben. Eine notwendige, aber fruchtbare Debatte fand auch bei der Erarbeitung der Parteiposition über die Einschränkung des Grossbankenrisikos statt. Sie war heftig. Der Entscheid fiel schliesslich in Fraktion und Partei im Verhältnis 9 zu 1 klar aus. Die SVP ist auch zunehmend mehrheitsfähig. Dank der SVP konnte z.B. das unselige Atalanta-Abenteuer beerdigt werden! Die SVP kämpft heute in Manchem freier. Freier vielleicht, aber sicher auch ruhiger. Auch den Eindruck teile ich nicht. Die SVP hat die letzten Jahre den Finger – unter grossem Protest von Bundesrat und von anderen Parteien – auf viele wunde Punkte gelegt: z.B. auf den Sozialmissbrauch, die Scheininvalidität, die Jugendkriminalität, den wieder zunehmenden Asylmissbrauch. Man bestritt sogar, dass es hier Probleme gebe. Inzwischen müssen die anderen Parteien immer mehr zugeben. Wir können nun an die Durchsetzung gehen. Wenn die anderen Parteien also die SVP-Positionen übernehmen, zieht sich diese mehr und mehr zurück? Leider ist es noch lange nicht soweit. Aber wenn die anderen täten, was wir wollen, ginge es der Schweiz gut und die SVP wäre überflüssig. Eine Partei ist nicht Selbstzweck. Demnach ist es gar nicht Ihr oberstes Ziel, dass die Partei noch stärker wird? Das Land – nicht die Partei – soll stärker werden. Dafür brauchen wir Stosskraft. Darum muss die SVP noch grösser werden, aber nicht durch Profillosigkeit. Eine Partei mit 29 Prozent Wähleranteil, die aber schlagkräftig ist, hilft mehr als eine Partei mit 50 Prozent ohne Profil. Aber dieses Land hat eine starke SVP nach wie vor nötig. Wer vermöchte dem Druck für einen EU-Beitritt in Bundesrat, Verwaltung und Parlament standzuhalten? Wer dem willfährigen Benehmen der Regierung gegenüber dem Ausland? Wie benimmt sie sich? Sie macht keine gute Figur. Das Ausliefern von Bankdaten an die USA war unakzeptabel. Die Verhaftung Polanskis sieht aus, als hätte die Schweiz ihn in eine Falle gelockt. Und als ich sah, wie Bundespräsident Merz im Namen der Schweiz in Libyen den Bückling gemacht hat, dann konnte ich nur noch den Kopf schütteln.  Aber der gesamte Bundesrat steht in der Verantwortung. Im Bundesrat werden keine Strategien verlangt und festgelegt. Es gibt zu viele Einzelaktionen. Hier muss die SVP Gegensteuer geben. Glauben Sie, manche Ihrer Mitstreiter haben diese Maxime aus den Augen verloren? Sie kennen den Witz: Ein Politiker bietet vor den Wahlen im Tram einer älteren Dame seinen Platz  an. Sie winkt ab und sagt: «Vor den Wahlen lassen Sie mich sitzen und nach den Wahlen lassen Sie mich hocken.» Das darf es bei der SVP nicht geben. Waren Sie ob der Absage der Uni St. Gallen enttäuscht? Leider war dies zu erwarten. Obwohl der Rektor mir mitteilte, dass Artikel 36 des Universitätsstatus eine Altersgrenze von 65 vorsehe, war für mich klar: Es geht darum, dass in den Lehrbetrieben der Universität die fundamentale Infragestellung einer wirklichkeitsfremden Lehrdoktrin nicht zugelassen werden soll. Die langjährige Praxis und Erfahrung soll ausgeklammert werden. Darum bleibt das Anliegen, der akademischen Jugend, die sich in einem nicht genug ernstzunehmenden Notstand befindet, Orientierung zu geben und der Leere – gerade auch in der Wertordnung – entgegenzuwirken. Zu den Änderungen im SVP-Parteivorstand: Im Parteivorstand stehen einige Änderungen an: Jasmin Hutter wird Mutter und scheidet aus und Caspar Baader hat als Fraktionschef die maximale Amtszeit erreicht. Wer soll nachrutschen? Wir haben Caspar Baader gebeten, noch zwei Jahre weiter zu machen. Wir müssen dafür die Fraktionsregeln ändern. Es wäre ungeschickt, zwei Jahre vor den Wahlen einen neuen Fraktionschef zu installieren. Caspar Baader möchte zwar nicht mehr, aber ich glaube, wir können ihn noch überzeugen. Und Frau Hutter? Sie bleibt ja noch bis Frühling. Danach schauen wir weiter. Als Nachfolge sollte wenn möglich eine Frau, eine Vertretung der Jungen SVP, vorzugsweise aus der Romandie, ins Auge gefasst werden. Die Jungen sind im Kommen. Sie haben viel Tatkraft. Ihnen selber ist es wohl in der «zweiten Reihe»? Mir muss nicht wohl sein. Die Aufgaben sind derzeit gut verteilt. Sollte die SVP-Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates angenommen werden. Würden Sie sich noch einmal einer Wahl stellen? Nein, nein. Die Initiative ist nicht für mich konzipiert worden. Und sowieso: Bis das Gesetz in Kraft ist, bin ich vermutlich gegen 80 Jahre alt (lacht). Obwohl – wenn ich mir Konrad Adenauer zum Vorbild nehme – ist das ja noch kein Alter. Der ist als 86-Jähriger zurückgetreten. Kandidieren Sie 2011 nochmals für den Nationalrat? Ich schliesse eine Kandidatur nicht aus, will mich aber erst 2011 entscheiden.

18.09.2009

Führungskrise Schweiz – Leadership in schwierigen Zeiten

Referat vom 18. September 2009 von Christoph Blocher, Herrliberg gehalten anlässlich der Tagung Wirtschaftsimpulse Schaffhausen 2009 Freitag, 18. September 2009 im Stadttheater Schaffhausen

06.09.2009

Warum der Schweizerische Bundespräsident weder ins Ausland reisen noch selbst verhandeln sollte

Artikel in der «Sonntagszeitung» vom 6. September 2009 Am 21. August 2009 trat Bundespräsident Merz in Libyen, wo seit Monaten zwei Schweizer an der Ausreise gehindert werden, vor die Medien. Merz erklärte selbstbewusst, er habe mit Libyen einen Staatsvertrag abgeschlossen. Wörtlich sagte er: "In diesem Jahr bin ich der Bundespräsident. Es galt, einen Führungsentscheid zu treffen. Ich habe ihn gefällt und übernehme dafür die volle Verantwortung mit allen ihren Konsequenzen." Diese Sätze des Bundespräsidenten zeigen drastisch die herrschende Orientierungslosigkeit. Im Bundeshaus weiss kaum noch jemand, was ein Schweizer Bundespräsident ist, was er zu tun und was er zu unterlassen hat. Und wie die Worte des Bundespräsidenten zeigen, weiss er selber es am allerwenigsten. Im Gegensatz zu anderen Staaten kennt die Schweiz keinen Staatspräsidenten. Diese sind nämlich Relikte früherer Kaiser- und Königreiche. Das war unser Land nie. Darum hat und will unser Land keinen Staatspräsidenten. Der Bundespräsident präsidiert für ein Jahr die Landesregierung – und weiter nichts. Er ist – und dies mit guten Gründen – für nichts Bedeutendes zuständig. Wie es in einem föderalistischen Bundesstaat sein muss, leitet er lediglich die Bundesratssitzungen und garantiert so das Funktionieren der Regierung. Die Schweiz wollte und will keinen Bundespräsidenten mit eigenen Vollmachten. Er ist primus inter pares. Das wussten frühere Generationen sehr wohl. Darum war es allgemein anerkannte und selbstverständliche Tradition, dass der Bundespräsident in seinem Amtsjahr nicht ins Ausland reist. Erst Bundesrat Ogi brach 1993 als Bundespräsident in jugendlichem Übermut mit dieser gescheiten und klugen Tradition. Und seither gefielen sich alle Bundespräsidenten an monarchisch anmutenden Staatsempfängen, reihten in ihren Büros stolz ihre Porträts mit ausländischen Staatsoberhäuptern auf und buhlten oft willfährig um Audienzen bei ausländischen Staatschefs. Dieser Rummel war nicht zum Vorteil der Schweiz – im Gegenteil. Und wie immer wenn die Führung versagt, ruft man in solchen Fällen reflexartig nach neuen Strukturen und nach Staatleitungsreformen. So will Bundesrat Couchepin einen mehrjährigen Bundespräsidenten, dem jeweils das Departement des Äusseren zu unterstellen wäre: "L'état c'est moi!" Nein. Wir brauchen keine neuen Strukturen, sondern fähigere Bundesräte. Ganz verheerend wird es, wenn Bundesräte oder gar der Bundespräsident selber verhandeln. Sowohl in der Wirtschaft wie in der Politik gilt der eiserne Grundsatz, der oberste Chef darf nie selber verhandeln. Der Chef, also die einzelnen Bundesräte, geben die Absicht bekannt, prüfen vorgelegte Varianten und führen die Verhandler – aber nie am Verhandlungstisch! Wo sich Bundesräte in Verhandlungen stürzen, kann es nur schief gehen. Sie werten sich auch selbst ab. Zum Verhandeln hat man Staatssekretäre, Botschafter, ernannte Minister und Amtsvorsteher, die Verträge zurückweisen können, ohne das Gesicht zu verlieren.

28.08.2009

Wichtig ist, dass sich so ein Desaster nicht wiederholt

Interview in der "Aargauer Zeitung" vom 28.8.2009 Von Fabian Renz SVP-Stratege Christoph Blocher über Lehren aus der Gaddafi-Affäre, über fehlende Kollegialität im Bundesrat und über seine persönlichen Pläne Für alt Bundesrat Christoph Blocher ist nicht Hans-Rudolf Merz, sondern Micheline Calmy-Rey hauptverantwortlich für die Libyen-Krise. Herr Blocher, ursprünglich hätten Sie 2009 Bundespräsident werden sollen. Sind Sie froh, dass nun stattdessen Hans-Rudolf Merz mit Peer Steinbrück und Gaddafi zu tun hat? Christoph Blocher: Im Gegenteil. Das sind interessante Führungsaufgaben. Bei all diesen Aktionen überlege ich mir, wie ich es gelöst hätte. Ich lege ja meine Meinung wöchentlich auf www.teleblocher.ch dar. Noch werden in Libyen zwei Schweizer festgehalten. Falls es nun klappt mit der Rückkehr: Werden Sie Merz zu seinem Coup in Tripolis gratulieren? Blocher: Ich nehme nicht an, dass er dies erwartet. Natürlich müssen solche Aktionen möglich sein. Noch weiss man nicht, was eigentlich in Genf bei der Verhaftung von Gaddafis Sohn passiert ist. Fest steht, dass der Bundesrat das Ganze schlecht koordiniert hat. Wer trägt die Schuld? Blocher: In der Verantwortung stehen der Gesamtbundesrat und vor allem das Aussendepartement von Frau Calmy-Rey, das in dieser Sache nichts erreicht hat. Es wurde auch kein sorgfältiges Verhandlungsmandat verabschiedet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Merz ohne Wissen des Aussendepartements nach Tripolis gereist ist. Soll der Gesamtbundesrat das von Merz ausgehandelte Entschuldigungs-Papier annullieren? Blocher: Nein, man kann nicht den eigenen Bundespräsidenten gegenüber einem anderen Land derart desavouieren. Wichtig ist, dass sich so ein Desaster nicht wiederholt. Merz’ Bundesratskolleginnen gingen öffentlich auf Distanz zu ihm. Spüren Sie, dem man oft Bruch des Kollegialitätsprinzips vorgeworfen hat, eine gewisse Schadenfreude? Blocher: Das nicht gerade. Aber wenn ich daran denke, wofür ich alles kritisiert wurde . . . als ich an einer Pressekonferenz einmal eine Miene verzog, warf man mir vor, es handle sich um einen Verstoss gegen das Kollegialitätsprinzip. Bei solchen Distanzierungen, wie man sie kürzlich gelesen hat, wäre ich wohl geköpft worden. Themawechsel: Wie steht es mit Ihrer Volksinitiative zur Zerschlagung der Grossbanken? SVP-Präsident Toni Brunner ist da zurückgekrebst. Blocher: Nein: die Verminderung des Klumpenrisikos, das von den beiden Grossbanken ausgeht, ist nach wie vor für die Schweiz überlebensnotwendig. Toni Brunner hat wohl einfach darauf hingewiesen, dass die SVP jetzt zuerst mit Nachdruck den parlamentarischen Weg verfolgt. Die Initiative wird aber kommen? Blocher: Wenn wir im Parlament nicht durchkommen, muss etwas geschehen. Das Anliegen ist für unser Land zentral. Natürlich: Jetzt, wo es den Banken nicht mehr ganz so schlecht geht, steckt die Politik bezüglich Bankenplatz den Kopf wieder in den Sand. Eine allfällige Volksinitiative sollte nicht von der SVP allein, sondern überparteilich lanciert werden. Sie streben tatsächlich eine SP SVP-Koalition an? Blocher: Nicht nur. Aber wenn es hier SP-Kreise darunter hat, warum nicht. Ich habe da keine Berührungsängste. Apropos SP: Die Sozialdemokraten haben Strafanzeige gegen die früheren UBS-Chefs Marcel Ospel und Peter Kurer erhoben . . . Blocher: Die SVP hat schon lange parlamentarisch vom Bund verlangt, zu prüfen, ob Strafklagen gegen die frühere Führungsschicht der UBS angebracht sind. Wir haben nichts dagegen, dass das abgeklärt wird. Aber wie ist Ihre persönliche Meinung? Gehören Ospel und Kurer vor Gericht? Blocher: Ich konnte bis jetzt nicht feststellen, dass die beiden kriminell gehandelt haben. Nach meinem Eindruck hatten sie schlicht den Überblick verloren. Das Anliegen der SP ist nicht ernst zu nehmen. Sie hat einfach grundsätzlich etwas gegen Banken und Verwaltungsräte. Typisch ist auch, dass man nun auf die losgeht, die bereits das Unternehmen verlassen mussten. Andere lässt man in Ruhe. Sie erteilen dem Bundesrat schlechte Noten. Wie beurteilen Sie eigentlich die Arbeit Ihres eigenen Mannes in der Regierung, Ueli Maurer? Blocher: Er hatte einen guten Start. Für eine Bilanz ist es zwar noch etwas früh. Er geht aber überlegt vor und ist in der Bevölkerung beliebt. Seine Armee-Abbaupläne entsprechen ja wohl kaum der SVP-Politik. Blocher: Er hat keine Abbaupläne. Wir haben mit ihm gesprochen. Seine Erklärung in einem Interview, er müsse den Armeebestand auf 60 000 bis 80 000 Mann verringern, wurde so umgedeutet, als wolle er dies tun. Das Gegenteil ist der Fall: Er sieht, dass diese Massnahme unverantwortlich wäre. Die Zeitung hat dies dann aber umgedeutet, wie wenn Maurer selber die Armee reduzieren wolle. Die Sache ist etwas unglücklich gelaufen. Für Sie selbst steht eine Rückkehr in den Bundesrat nicht mehr zur Debatte? Blocher: Das Parlament hat klargemacht, dass es mich nicht will. Aber vielleicht in einer Volkswahl, wie sie die SVP ja anstrebt? Blocher: Wissen Sie, bis die Volkswahl kommt, dauert es im Minimum fünf Jahre. Wie steht es mit einem Comeback in den Nationalrat im Jahr 2011? Blocher: Darüber entscheide ich im Frühjahr 2011. Ich weiss, dass es starke Kräfte gibt, die das gerne möchten. Wichtig ist auf alle Fälle, dass die SVP zulegt. Sie ist die einzige Partei, die noch zur Schweiz steht. Welche Marke streben Sie an? Blocher: Wir müssen ein paar Prozente zulegen. Ob es jetzt zwei, vier oder fünf sind, ist nicht so wichtig. Die 30-Prozent-Marke wollen Sie aber knacken? Blocher: Die sollte zu knacken sein, richtig. Wären heute Wahlen, würde die SVP weit darüberliegen!