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12.04.2006
08.04.2006
Asyl- und Ausländergesetz – Die Haltung des Bundesrates
Schriftliche Kurzfassung der Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Delegiertenversammlung der SVP vom 8. April 2006 in Maienfeld 08.04.2006, Maienfeld Maienfeld, 8.4.2006. In seinem Referat anlässlich der SVP-Delegiertenversammlung ging Bundesrat Christoph Blocher auf die Unzlänglichkeiten in der heutigen Ausländer- und Asylgesetzgebung ein. Unter anderem bemängelte er die häufig schlechte Integration von Ausländerinnen und Ausländern, sowie zu wenig gesetzliche Mittel bei den Zwangsmassnahmen im Asylbereich. Diese Probleme würden mit der Revision des Ausländer- und des Asylgesetzes zielgerichtet angegangen. Es gilt das gesprochene Wort Schriftliche Kurzfassung der Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Delegiertenversammlung der SVP vom 8. April 2006 in Maienfeld. 1. Das neue Ausländergesetz (AuG) Die Schweiz hat heute mit 20 Prozent einen der höchsten Ausländeranteile. Jeder vierte Arbeitsplatz wird von einer Ausländerin oder einem Ausländer besetzt. Das Zusammenleben mit der einheimischen Bevölkerung funktioniert im Grossen und Ganzen gut. Dennoch bestehen Probleme, die mit dem neuen AuG gelöst werden. Das Freizügigkeitsabkommen mit der EU und der EFTA regelt den Personenverkehr mit diesen Staaten umfassend. Das neue Ausländergesetz gilt daher nur für Personen ausserhalb von EU und EFTA. Was funktioniert heute im Ausländerbereich nicht? - Die Integration der ausländischen Wohnbevölkerung ist mangelhaft; - die Arbeitslosigkeit unter den Ausländerinnen und Ausländern ist zu hoch; - dies gilt auch für die Straffälligkeit und die Zahl der IV-Bezüger. Was sind die Ursachen? - Zu viele illegal Anwesende und Asylsuchende, die keine Asylgründe haben; - schlecht qualifizierte ehemalige Saisonniers aus früheren Jahren und schlecht integrierte ausländische Jugendliche mit schulischen Schwierigkeiten; - lückenhafte Grenzkontrollen und Kriminaltouristen. Was können wir dagegen unternehmen? Mit der Revision des Ausländergesetzes können die bestehenden Schwierigkeiten zielgerichtet angegangen werden: - durch eine beschränkte Zulassung von gut qualifizierten Arbeitskräften; - mit Massnahmen gegen Missbräuche, z.B. Scheinehen; - mit einem früheren Familiennachzug und damit verbesserter Integration; - mit einer Vereinfachung des Berufs-, Stellen- und Kantonswechsels nach der Zulassung und einem vereinfachten Bewilligungsverfahren 2. Die Teilrevision des Asylgesetzes (AsylG) Ende Februar 2006 befanden sich über 47'000 Personen aus dem Asylbereich in der Schweiz. Davon sind rund 25'000 Personen vorläufig aufgenommen. Über 9'500 Personen müssen die Schweiz verlassen. Für über 6'500 von ihnen müssen Papiere beschafft werden. Diese immer noch zu hohen Vollzugszahlen zeigen klar auf, dass auch im Asylbereich Handlungsbedarf angezeigt ist. Was funktioniert heute im Asylbereich nicht? - Tatsache ist, dass eine Mehrheit der Asylsuchenden keine Asylgründe vorbringen kann; - viele der Asylsuchenden geben keine amtlichen Identitätspapiere ab und erzwingen so den Aufenthalt in der Schweiz, da sie mangels Papieren trotz eines negativen Asylentscheides nicht in den Heimatstaat zurückgeführt werden können; - die Kantone beklagen sich, dass Asylsuchende die Ausschaffungshaft in Kauf nehmen, weil sie nach 9 Monaten bereits wieder entlassen werden müssen; - auch mit den übrigen heute bestehenden Zwangsmitteln ist es schwierig, ausreisepflichtige Asylsuchende zur Zusammenarbeit zu bewegen; - viele der Asylsuchenden nutzen die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel selbst in offensichtlich hoffnungslosen Fällen. Was sind die Ursachen? - Zu viele Asylsuchende, die keine Asylgründe haben, geben keine Reise- oder Identitätspapiere ab; - zu wenig gesetzliche Mittel bei den Zwangsmassnahmen; - zu lange Asylverfahren vor allem in zweiter Instanz; Was können wir dagegen unternehmen? Damit die bestehenden Probleme im Bereich der Wegweisungen gelöst werden können, brauchen wir das revidierte Asylgesetz. Dieses sieht folgende Verbesserungen vor: - Asylsuchende, die ohne Grund keine Reise- und Identitätspapiere abgeben, sollen einen Nichteintretensentscheid erhalten; Asylgesuche von tatsächlich verfolgten Personen oder von Personen, bei denen noch weitere Abklärungen gemacht werden müssen, werden jedoch nach wie vor materiell behandelt, auch wenn sie keine Papiere vorweisen können. - Einführung neuer Zwangsmassnahmen, wie z. B. die Verlängerung der Ausschaffungshaft von 9 auf 18 Monate und die Einführung der Durchsetzungshaft bis zu maximal 18 Monaten. Diese Massnahmen sollen den Kantonen, die für die Wegweisung zuständig sind, für die allerschwierigsten Fälle griffigere und effizientere Mittel geben. - Einführung von Gebühren bei Wiedererwägungs- und Zweitgesuchen. - Ausdehnung des Sozialhilfestopps auf alle Personen mit einem rechtskräftigen negativen Entscheid, die die Schweiz verlassen müssen. Neu sollen auch diese Personen nur noch Nothilfe erhalten. - Weitere Massnahmen zur Beschleunigung des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens, damit unbegründete Asylgesuche rasch entschieden werden können. Ein weiteres Ziel der Teilrevision ist es, die Rechtstellung derjenigen Personen zu verbessern, die voraussichtlich für eine längere Zeit in der Schweiz bleiben werden: - Diese sollen durch eine verbesserte vorläufige Aufnahme einen erleichterten Zugang zur Erwerbstätigkeit erhalten und ihre Familie nach drei Jahren nachziehen können. Mit dieser Neuerung werden diese Personen besser integriert und die Sozialhilfekosten gesenkt. - Zudem sollen mit der neuen Härtefallregelung die Kantone die Möglichkeit erhalten, unabhängig des Verfahrensstandes einer gut integrierten Person eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.
17.03.2006
«Ich kann nicht mal Schreibmaschine schreiben»
Gestern stellte sich Bundesrat Christoph Blocher im eTalk von 20minuten.ch den Fragen der User. 17.03.2006, eTalk mit 20minuten Rother: Herr BR Blocher, wieviele Leute haben Sie bis heute arbeitslos gemacht? Blocher: Noch keine. Aber in meinem Leben für sehr viele gesorgt, dass sie Arbeit haben. swerner: Können Sie inzwischen einen Computer bedienen? Blocher: Nein, leider nicht. Ich kann nicht einmal Schreibmaschine schreiben oder eine Rechenmaschine bedienen. Obwohl ich mein ganzes Leben als Unternehmer mit Zahlen zu tun hatte. ale66: Mich interessiert, was Sie eigentlich gegen Asylanten haben. Blocher: Wie kommen Sie auf die absurde Idee, ich hätte etwas gegen Asylanten? Aber ich habe sehr wohl etwas gegen den Missbrauch unseres Schweizer Asylrechts. Verfolgte Menschen, das heisst echte Flüchtlinge, werden in unserem Lande aufgenommen und das soll auch so bleiben. Echte Flüchtlinge aufnehmen, Asylrechtmissbrauch verhindern: Wenn Sie das wollen, müssen Sie dann im Herbst Ja stimmen zum neuen Asyl- und zum neuen Ausländergesetz. seegras: Immer mehr Junge werden zu IV-Rentnern. Welche Massnahmen schlagen Sie vor? Blocher: Zunächst in der Erziehung dafür sorgen, dass die Jungen psychisch und physisch eine gewisse Robustheit haben. Damit sie die Härten des Lebens besser ertragen können. Schwierigkeiten muss man nicht beseitigen, sondern überwinden lernen. Aber man muss auch nicht dafür sorgen, dass jede kleinste Unbill schnell zum Invaliditätsfall erklärt wird. seegras: Glauben Sie, dass die Ärzte die Patienten zu schnell zu IV-Rentnern machen und Ihnen auf Wunsch alles unterschreiben? Blocher: Ja. Es gibt tatsächlich viele solche Ärzte, wie mir Ärzte auch immer wieder schreiben. Dazu kommen noch die Anwälte, welche solche Wege finden. Die neueste IV-Revision will hier Verbesserung schaffen. jojo2000: Sehen Sie irgendeinen Vorteil in einem EU-Beitritt der Schweiz? Blocher: Ja, kleine Vorteile hat es. Sie müssen dann nicht mehr das Geld wechseln, wenn es keinen Franken mehr gibt. Aber die Nachteile sind riesig. seemann: Beim Pitbull-Verbot argumentieren Sie juristisch. Geht es nicht einfach darum, die Kinder vor Kampfhunden zu schützen? Blocher: Doch, doch, es geht darum. Aber wenn der Staat etwas macht, muss er stets fragen, ob eine gesetzliche Grundlage besteht, denn nur dann darf eine Regierung handeln. Wir wollen auch nicht wahllos irgendwelche Hunde verbieten, sondern die Leute vor gefährlichen Hunden schützen. Und es fragt sich, ob wir, anstatt Gesetze für Hunde zu schaffen, nicht vielmehr die Halter zur Verantwortung ziehen sollen. wellenreiter: Haben Sie oder Ihre Kinder schon einmal gekifft? Wie tolerant sind/waren Sie innerhalb der Familie bezüglich weicher Drogen? Blocher: Ich selber habe noch nie gekifft. Was meine Kinder anbelangt, glaube ich auch nicht. Aber sicher ist ein Vater ja nie. Gegenüber Drogen bin ich für eine sehr restriktive Praxis. Würde eines meiner Kinder drogensüchtig, ich würde alles tun, um es aus dieser Situation zu befreien. Auch mit harten Massnahmen. Im Interesse des Kindes. RitschRatsch: Ist es wahr, dass Sie der Götti von Mörgelis Kind sind? Blocher: Der Götti eines seiner Kinder. Ein gefreutes Kind!
14.03.2006
Die Wirklichkeit als Provokation
Rede von Bundesrat Christoph Blocher beim Schweizer Marketingpreis, am 14. März 2006, im Kultur- und Kongresszentrum Luzern 14.03.2006, Luzern Luzern, 14.3.2006. Der nachhaltige Erfolg eines Produkts oder einer Sache liegt gemäss Ueberzeugung von Bundesrat Christoph Blocher in der Konzentration auf dessen Qualität. Notwendig sei auch eine schonungslose Analyse des Umfeldes bzw. der Wirlichkeit; dies wirke häufig schon als Provokation, sagte der Justizminister an der Verleihung des Schweizer Marketingpreises in Luzern. Sehr geehrte Damen und Herren Haben Sie sich auch schon gefragt, warum gerade eine bestimmte Firma über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg mit Erfolg arbeitet? Oder weshalb ausgerechnet ein Produkt über so lange Zeit eine beinahe ungefährdete Spitzenposition einnimmt? Ich gehe davon aus, dass Sie sich diese Fragen öfters stellen. Schliesslich arbeiten Sie im Marketing. Es ist Ihr täglicher Job, mit Ihrer Firma oder dem Ihnen anvertrauten Produkt exakt eine solche beherrschende Stellung im Markt zu erobern. Sie alle kennen ein paar wenige Erzeugnisse, die scheinbar seit ewigen Zeiten gekauft und genutzt oder konsumiert werden. Ich frage mich beispielsweise, warum ich seit den ersten Lebenstagen bis heute täglich Nivea-Crème nehme? Oder, um zwei berühmte Beispiele aus dem Lebensmittelbereich zu nennen: Warum haben Coca Cola oder der Hamburger von McDonald’s seit Jahren einen solchen Erfolg? Als ich noch Unternehmer war und nicht Bundesrat, ging ich aus verständlichem Interesse den Gründen des beispiellosen Erfolgs des Hamburgers von McDonald’s nach. (Nur damit es Ihnen klar ist, ich habe keinerlei persönliches Interesse an dieser Firma, aber deren Erfolg hat mich damals als Unternehmer beschäftigt.) Und – wie könnte es anders sein – konzentrierte ich mich zunächst vor allem auf Fragen des Marketings. Ich fragte mich: Macht vielleicht das gigantische Werbebudget den Erfolg aus? – Nein. Liegt es am unkomplizierten und in diesem Sinn auch familienfreundlichen Aufbau der Lokale? – Vielleicht. Oder finden wir das Geheimnis in der schlichten Antwort auf ein schlichtes Bedürfnis: Nämlich möglichst schnell einen möglichst satten Bauch zu bekommen? Warum aber können das andere nicht auch mit dem gleichen fulminanten Erfolg? 1. Konzentration auf Weniges Keine der Standardantworten konnte mich ganz überzeugen. Bis mir schliesslich ein amerikanischer Generaldirektor von McDonald’s vor vielen Jahren das Geheimnis anvertraute, ohne vielleicht zu wissen, dass es ein Geheimnis sein könnte. Ich sage es Ihnen heute weiter, denn ich bin überzeugt, dass, wenn Sie es begreifen und tun, Sie in Ihrem Leben viel, sehr viel Erfolg haben werden. Nun, was nannte mir der Generaldirektor als Grund: Es liegt in der Konzentration auf das Produkt – hier auf den Hamburger und vor allem an dessen Qualität! Ich fragte den betreffenden Generaldirektor ungläubig: „Wie bitte, was soll denn so speziell daran sein, etwas Fleisch zwischen das bisschen Brot oben und unten zu klemmen?“ Seine Antwort: „Alles Grosse ist einfach.“ Ja, die Qualität macht’s aus! Selbst bei einem Fastfood-Artikel. Das, was sich von allem anderen abhebt, ist das Bessere. Und dies soll auch bei einem Hamburger, den jeder machen kann, gelten? Sie, als Marketingleute, sind vielleicht von diesem ebenso einfachen Unternehmer-Rezept enttäuscht. Aber die einfache Antwort und der Freimut dieses Managers widerspiegelten gerade das Selbstbewusstsein seines Unternehmens. Er schilderte mir, dass für die Herstellung eines Hamburgers nur das beste Rindfleisch verwendet werde. Trotz der niedrigen Endpreise wird an der Qualität nichts abgestrichen. Das gehe soweit, dass die Firma mit eigenen oder zumindest kontrollierten Mastbetrieben zusammenarbeite, die das einwandfreie Rindfleisch für den Hamburger garantieren. Zum Fleisch gehören die beiden Brothälften. Ein guter Hamburger brauche eben auch besondere Brötchen. Mehl aus einem speziellen Weizen, der von McDonald’s in langer Forschung herausgezüchtet worden sei und der laufend verbessert werde. So hängt also alles von der Qualität des Produktes ab: Beim Fleisch, beim Weizen, bei den Pommes frites, beim Frittieröl, bei der Hygiene etc. Totale Konzentration auf das Produkt und dessen Qualität. Wer sich während Jahren mit nichts anderem als mit einem Produkt und dessen Qualität beschäftigt, während quasi 24 Stunden am Tag an nichts anderes, als an sein Produkt – hier an einen einfachen Hamburger – denkt, der braucht wahrlich nicht zu befürchten, dass es ihm ein anderer gleich tun könnte. Aber wehe, wenn er sich nicht mehr mit der Qualität beschäftigt, wenn er hochmütig wird, wenn er ausruht: Es wird ihn ein Besserer schlagen. Diese kleine Geschichte (ich muss hier aufhören, sonst glauben Sie doch noch, ich hätte finanzielle Interessen an McDonald’s) birgt eine Wahrheit. Diese Wahrheit, die da drin steckt, hat mich als Unternehmer, aber auch als Politiker zu einem wichtigen Grundsatz geführt: Nämlich, weg von der Diversifikation – das heisst, weg vom „alles machen, aber nichts ganz richtig“. Das Erfolgsrezept in der Lebensgestaltung, in der Unternehmensführung, in der Politik, wo auch immer Sie tätig sind, heisst: Konzentriere dich auf weniges, auf das, worin du stark bist und du wirst noch stärker und wirst gewinnen. 2. Die Wirklichkeit als Massstab Die Qualität misst sich immer auch am Erfolg. Was nützt mir die beste Erfindung, wenn sich diese im Markt nicht behaupten kann oder keine Nachfrage dafür besteht. Der Markt ist die massgebende Realität. Man muss den Markt nicht nur studieren. Man muss in ihm aufgehen, seine Bedürfnisse erspüren, seine Launen ergründen, seine Beschaffenheit bis ins kleinste Detail kennen lernen. Sie haben sich – um es kurz zu sagen – bedingungslos seiner Wirklichkeit zu stellen. Ich bin im Verlaufe meiner jahrzehntelangen Arbeit immer mehr zum Schluss gekommen, dass es nur einen Massstab geben kann: die Wirklichkeit. Wenn wir erkennen, was ist – wenn wir benennen, was ist, erhalten wir die beste Basis zum erfolgreichen Handeln. Nach diesem Prinzip ist übrigens auch in der Politik zu handeln. Wie Sie wissen, bin ich seit gut zwei Jahren im Bundesrat. Meine politischen Gegner nennen dies „einbinden“. Jedes Amt bringt zwangsläufig bestimmte Verhaltensweisen mit sich. Wer in einem Regierungskollegium Einsitz nimmt, kann sich nicht mehr so frank und frei äussern wie als Parlamentarier. So lauten die Gesetze der Politik. Gleichwohl darf das Kollegialitätsprinzip nicht dazu führen, lügen zu müssen. Auch die Politik darf sich nicht an der Wirklichkeit vorbeimogeln wollen. Sie sollte der gemeinsame Nenner sein, denn die Wirklichkeit befindet sich jenseits aller Ideologie und auch jenseits des Parteiengezänks. Was viele nicht unterscheiden: Die Wirklichkeit benennen heisst ja noch lange nicht, ihr zuzustimmen. Nein, führen heisst oft gerade das, was ist, zu ändern, damit es so wird, wie es sein soll. Ein Unternehmen, das Verlust macht, muss zu einem Unternehmen geführt werden, das Gewinn macht. Aber bevor man dieses Problem lösen kann, muss man die Verlustsituation des Unternehmens, ihre Ursachen und ihre Hintergründe sorgfältig analysieren. Wer das tut, hat mindestens 50% der Lösung. Aber zuerst müssen Sie bereit sein, die Misere zuzugeben, die Wirklichkeit – den realen Zustand – anzuerkennen. Das ist oft nicht einfach. Gerade traditionsreiche Firmen leiden daran, ihren schlechten Zustand nicht zugeben zu wollen, die Verluste zu verdrängen, die Überschuldung zu leugnen. Schon gar nicht wollen sie die Ursachen gestehen, weil die natürlich immer mit Fehlern in der Führung zusammenhängen. Noch schlimmer ist es bei einem defizitären Bundeshaushalt. Was wird dort verdrängt und beschönigt. Die Regierungen aller Länder sind nie so kreativ, wie wenn sie die defizitäre Lage ihrer Haushalte vertuschen müssen. Die Situation zu analysieren und zuzugeben, dass man defizitär arbeitet, das ist schon viel der Besserung! Wer das nicht tut, kann nichts sanieren. Gleich verhält es sich auch bei einem Produkt, das sich nicht verkaufen lässt. Sie kennen alle die wortreichen Erklärungen von Managern: Wir haben ein Spitzenprodukt, das beste überhaupt, aber der Verkauf rentiert nicht. Analysieren Sie warum. Vielleicht liegt es am fehlenden Marketing? Vielleicht sind die falschen Leute beteiligt? Ist es die mangelhafte Qualität? Fragt der Markt gar nicht danach? Sind die Entstehungskosten zu hoch und damit auch der Verkaufspreis? Oder ist halt doch die Konkurrenz besser? Machen Sie eine schonungslose Analyse. Das heisst, schauen Sie genau hin. Nehmen Sie die Wirklichkeit zum Massstab. Seien Sie schonungslos. Auch Ihnen gegenüber. Einer der Hauptmängel in der wirtschaftlichen, aber auch in der politischen Führung und sogar im privaten Bereich liegt nämlich darin, dass man die Wirklichkeit nicht sehen will. Denn die Wirklichkeit ist oft unangenehm und immer unbestechlich. Nochmals: Sie können nur richtig entscheiden auf der Grundlage der Wirklichkeit, also auf der Basis der verfügbaren Daten, Zahlen, Fakten. Dieses Recht auf Fakten sollte man in einer Demokratie auch den Bürgerinnen und Bürgern zukommen lassen. Sehr oft treiben wir zu viel Geheimniskrämerei, um die Bürgerinnen und Bürger in einem undurchschaubaren Nebelfeld zu belassen. Dabei vergessen wir, der Bürger ist meistens näher bei der Wirklichkeit als viele Politiker. Der Bürger sieht die Missstände zum Beispiel im Bereich der Steuern, der Abgaben und der Gebühren, weil er sie ja selber bezahlt. Es nützt nichts, ihm eine schöne Statistik vorzulegen, die das Gegenteil beweist. Die Geheimniskrämerei, die ach so edle Diskretion besteht meistens darin, die Wirklichkeit zu vertuschen und zu beschönigen. Auf der Basis falscher Beurteilung der wirklichen Situation kann es nichts Gescheites ergeben. Je länger die Wirklichkeit verfälscht wird, desto grösser wird der Schock, wenn die Wirklichkeit aufgedeckt wird. 3. Die Wirklichkeit als Provokation Sie fragen in Ihrem Tagungsthema nach dem Zusammenspiel von Marketing und Provokation? Ich gehöre nicht zu denen, die Provokation von vornherein als etwas Schlimmes bezeichnen. Nein, Provokation – und vor allem eine gute Provokation – kann ein brauchbares Mittel sein, um eben die Wirklichkeit und die Tatsachen darstellen zu können. Wissen Sie, mich treibt nicht die Provokation als solche an. Was ich aber mit Erstaunen festgestellt habe: Es reicht in unserem auf Verdrängung getrimmten Polit-Betrieb aus, zu sagen, was ist, und schon ernten Sie oft einen Sturm der Entrüstung. Die Darstellung der Wirklichkeit wird bereits als Provokation empfunden. Was nicht sein darf, existiert nicht. Wer dieses Gebot bricht, wird sogleich als unanständig und nicht-konsensfähig gebrandmarkt. Die Moralisten jeder Epoche haben immer versucht, die Diskussion vom Boden der Fakten in die luftigen Höhen der Ethik zu verlagern. Denn nur dort muss man sich nicht den Argumenten und unbequemen Tatsachen stellen. Das Wort „Provokation“ entstammt dem lateinischem Verbum provocare heraus-, hervorrufen. Die Provokation kann also etwas tatsächlich Vorhandenes, nur eben gut Verstecktes, ans Tageslicht befördern. Die Provokation kann Wirklichkeit freilegen und nur schon deswegen für aufgeregte Reaktionen sorgen. Ein Beispiel gefällig? Haben Sie gewusst, dass bei einem nicht genannt sein wollenden Bundesbetrieb jeder Arbeitnehmer durchschnittlich 16,5 Tage (Kalendertage) im Jahr fehlt. Ohne Ferien und Feiertage, wohlverstanden. Wirkt diese Zahl auf sie provozierend? Was genau provoziert Sie? Dass dies ein Bundesrat sagt? Oder provoziert Sie die Tatsache, dass ein Staatsangestellter im Jahr zusätzlich zweieinhalb Wochen nicht am Arbeitsplatz erscheint? Wie sah Ihr erster Reflex auf diese 16,5 Tage (Kalendertage) aus: Haben Sie ausgerechnet, wie oft Sie letztes Jahr gefehlt haben? Möchten Sie auch so lange im Jahr nicht arbeiten? Empfinden Sie gar Neid? Oder wünschen Sie Massnahmen, dass diese Zahl gesenkt wird? Oder finden Sie solche Statistiken nur kleinlich? Dabei möchte ich eines festhalten: Diese Zahl finden Sie im offiziellen Personalbericht. Sie ist nicht erfunden, sondern greifbar, wirklich. Dieser Betrieb beschäftigt ca. 28’000 Menschen. Somit beläuft sich die Gesamtsumme der Absenzen auf 462’000 Kalendertage im Jahr. Das heisst, es bleiben durchschnittlich 1’280 Angestellte permanent krankheits- oder unfallbedingt zu Hause. Kürzlich erwähnte ich in der Öffentlichkeit diese 16,5 Tage (Kalendertage), verbunden mit der Aufforderung, wir sollten etwas tun, um diese Zahl herunterzubringen. Ein Personalvertreter sagte mir darauf, wir bitten Sie, diese Zahl nicht in der Öffentlichkeit zu nennen. Die Mitarbeiter fühlten sich so nicht wertgeschätzt… Sie sehen: So einfach funktioniert die Wirklichkeit als Provokation! Warum bringe ich dieses Beispiel? Sicher nicht, um mich über Menschen lustig zu machen, die tatsächlich aus Krankheit der Arbeit fernbleiben müssen. Ich denke nur, dass jeder Betrieb ein Interesse daran hat, dass seine Mitarbeiter gesund sind oder möglichst bald wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren. Wichtig ist: Ein reales Problem muss erkannt und als solches auch benannt werden. Denn nur auf dieser Grundlage können Sie die Dinge ändern. 4. Mut zur Wirklichkeit Als Winston Churchill mitten im Krieg die Regierungsgeschäfte übernahm, hielt er jene berühmte Antrittsrede, wo er seinen Landsleuten Blut, Tränen, Schweiss und – was oft unterschlagen wird – auch Mühsal versprach. Normalerweise versprechen Politiker ihren Bürgerinnen und Bürgern lieber Milch und Honig und im Überfluss. Doch Churchill mochte den Engländern nichts vorheucheln, da er genau erkannte, wie es ist und was die Zukunft erforderte. Er wusste: gerade in Notzeiten, in schweren Zeiten ist Klartext vorzuziehen. Darum hat er die Wirklichkeit ausgesprochen, hat die Konsequenzen gezogen und wurde so zur treibenden Kraft, die Europa von der Tyrannei befreite und zur Freiheit führte. Dass er am Ende dieser Tätigkeit in England als Premierminister abgewählt wurde, ist kein Beweis, dass es nicht richtig war, sondern viel mehr ein Zeichen für die Grösse seiner Tat. Er hat der Wirklichkeit in die Augen gesehen. Er hat das Unangenehme ausgesprochen. Er hat darauf beharrt und den Menschen dafür die Freiheit gebracht. Er tat dies alles aufgrund der Wirklichkeit und ohne Rücksicht auf sein eigenes Ansehen. Diese Haltung ist auch erfolgreich für Marketingleute!
13.03.2006