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18.02.2005
07.01.2005
Kleintier 05: Eröffnungsansprache von Bundesrat Christoph Blocher
Eröffnungsansprache von Bundesrat Christoph Blocher vom Freitag, 7. Januar 2005, an der Schweizerischen Kleintierausstellung in Bern 07.01.2005, Bern Es gilt das gesprochene Wort Liebe Kleintierzüchter, Liebe Freunde der Kleintierzucht, Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher, Es ist mir eine Ehre, dass ich heute - als Schirmherr dieser Ausstellung der Kleintierzüchter - zu Ihnen sprechen darf. I Stille Schaffer Es sind verschiedene Gründe, die mich dazu bewogen haben, als Schirmherr zu amten. Aber besonders hat mir eine Bemerkung gefallen, wie sie mir der Präsident der Entente Européenne, Herr Urs Freiburghaus, in seiner Einladung an mich geschrieben hat: "Die Kleintierzüchter gehören zu den stillen Schaffern in unserem Lande." "Stille Schaffer" sind Sie also. Mir haben die "stillen Schaffer" schon immer gefallen. Ich weiss: Es sind die "stillen Schaffer", welche die Schweiz zu Wohlstand gebracht haben und es sind die stillen Schaffer, die unser schönes Land noch heute zusammen halten. Es war und ist mein Anliegen, wieder mehr Politik zu machen für die "stillen Schaffer". Für die vielen "lauten Nichtschaffer", die sich oft in der Medienwelt vordrängen, wird ja schon vieles getan! Weil sie vor allem dafür sorgen, dass sie wahrgenommen werden. II Freudentag Darum ist heute ein Freudentag, dass Sie - die 8000 Aussteller - sich und ihre Leistung präsentieren und ihr stilles Schaffen einem grossen Publikum bekannt machen. Es beweist Sinn für Gemeinsamkeit und ist Zeichen der Stärke, dass sich die vier Fachverbände der Schweizerischen Gesellschaft für Kleintierzucht (SGK) zu einer gemeinsamen Ausstellung entschlossen. Es ist schon imposant, wenn 8000 Ausstellerinnen und Aussteller mit 15'000 Kaninchen, Hühnern, Enten, Gänsen, Tauben und Ziervögeln ihre Zuchterfolge präsentieren. Dies nennt man sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Zahllose interessierte Gäste aus dem In- und Ausland werden nach Bern reisen, um sich auf den neuesten Stand der Züchtungen zu bringen. Diese grosse Schau für kleine Tiere hat mehr Ausstrahlung als die zahlreichen Schauen für "grosse Tiere" aus Politik, Wirtschaft und Kultur. III Small is beautiful "Small is beautiful" heisst ein selbstbewusstes Wort: Die Schönheit steckt im Kleinen. Gerade die Schweiz weiss um die Vorzüge eines Kleinstaates. Sogar die Elefanten der so genannten Elefantenrunde wirken in unserem Lande nach Abstimmungen kleiner als die Elefanten im grossen Afrika. Weil die Schweiz klein ist, hat sie schon lange die Grösse des Kleinen entdeckt. Und Sie zeigen in diesen Tagen, welche Grösse, welche Schönheit und welche Anmut in so kleinen Lebewesen steckt. Wir sehen: Nicht alles, was vermeintlich gross ist, hat auch Grösse. Nicht alles, was gross ist, ist deswegen schon besser, schöner und intelligenter. Sonst wären die Dinosaurier ja nicht ausgestorben. IV Artenvielfalt Ich schätze an Ihrer Arbeit, mit welcher Hingabe Sie zu den Tieren schauen und sich in freundschaftlichem Wettbewerb messen. Sie tun aber auch viel für den Erhalt einzelner, seltener Rassen und Sie sichern damit die Artenvielfalt. So werden etwa auf privater Basis seltene Vogelarten gezüchtet und damit deren Weiterbestand gewährleistet. Sie tun dies alles ohne staatliche Besoldung - ehrenamtlich, als engagierte und fachkundige Bürgerinnen und Bürger. Darum soll an dieser Stelle auch einmal unsere Wertschätzung für Ihre Tätigkeit zum Ausdruck kommen. Sie bereiten auch Menschen, die keine Züchter sind, in diesen Tagen grosse Freude - jung und alt. Wenn wir heute von "Burgunder" sprechen, meinen wir nicht den Wein, sondern die prachtvolle Kaninchenzüchtung. Daran dürfen Sie Freude haben, auch wenn die Promillegrenze auf der Strasse gesenkt wurde. Und da zu einem guten "Burgunder" auch eine "Havanna-Zigarre" gehört, haben Sie ja auch eine "Havanna-Züchtung". Diese trägt lange Ohren! V Schweizerhuhn Ich habe auch gelernt, dass Sie spezifische, in der Schweiz gezüchtete Tierrassen haben und zwar sowohl bei den Kaninchen als auch bei den Tauben und dem Geflügel. Gestaunt habe ich über eine Hühnerrasse, die schlicht und einfach "Schweizerhuhn" heisst. Das "Schweizerhuhn" ist weiss gefiedert mit rotem Kamm. In der Beschreibung heisst es: "Das Schweizerhuhn ist ein widerstandsfähiges und frohwüchsiges Huhn." Was könnte man sich bessere Eigenschaften wünschen für ein Schweizerhuhn, als dass es "widerstandsfähig" und "frohwüchsig" ist. Möge dieses Huhn Vorbild für alle Kinder sein! So kann ich Ihnen nicht nur interessante Begegnungen, Freude und Erfolg wünschen, sondern auch zurufen: Der Dank des Landes ist Ihnen gewiss.
06.01.2005
«Unschweizerisch? Sie, Herr Blocher?»
06.01.2005, WochenZeitung (Urs Bruderer und Johannes Wartenweiler) Herr Blocher, redet man in der Schweiz über die richtigen Probleme? Zunehmend. Die letzte grosse Debatte war die Hirschhorndebatte. Die war für Sie gross. Ich habe sie gar nicht bemerkt. Wie unterscheidet man kleine von grossen Problemen? Grosse Probleme haben grosse Auswirkungen, wenn man sie löst. Für die Schweiz wären das zum Beispiel die Sanierung des Bundeshaushalts oder die Reduktion von Abgaben. Das grösste Problem Ihres Departements ist das Asylwesen. Ihre Bilanz dazu nach einem Jahr fiel - mit Verlaub - heuchlerisch aus. Wir sahen Bilder von Ihnen mit grossen Säulendiagrammen im Rücken, die rückläufige Asylzahlen illustrierten. Doch der Rückgang hat nachweislich nichts mit Ihnen zu tun. Das Bild habe nicht ich verbreitet. Lassen wir den Herrn Blocher einmal weg. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren haben wir beim Eingang der Asylsuchenden eine bessere Entwicklung als die anderen europäischen Länder. Das befriedigt mich, und das scheint - sage ich vorsichtig - einen schweizeigenen Grund zu haben. Wohl die Folge einer restriktiveren Politik, die nicht nur mein Verdienst ist. Über den Grund könnte man streiten. Erstaunlich ist, dass ausgerechnet Sie sich hinter Statistiken verstecken und den Blick auf die Realität vergessen. Migration findet statt, Sie aber betreiben Bilanzkosmetik und treiben die Leute, die hierher kommen, in die Kriminalität und in die Schwarzarbeit. Das behaupten Sie. Wir prüfen jeden Monat, wie viele Illegale in der Schweiz aufgegriffen werden, wie viele davon Nichteintretensentscheide sind und wie viele kriminell sind. Sowohl die Zahl der Aufgegriffenen als auch der Prozentsatz der Kriminellen ist kleiner als gesamthaft bei den Asylsuchenden. Die Dunkelziffer, da gebe ich Ihnen recht, können wir nicht kennen und da können auch Sie behaupten, was Sie wollen. Genau wie Kirchen und die Hilfswerke, die uns nie konkrete Namen und Zahlen nennen. Vielleicht ist die Behauptung statistisch nicht zu belegen. Trotzdem kann man sich die Realität vor Augen führen, wenn man will. Ihr Motto ist doch «Lappi tue d’ Augen uuf»? Jawohl. Wieso haben Sie noch nie ein Asylbewerberheim angeschaut? Wieso reden Sie nicht mit Asylbewerbern? Ich habe schon viel mit Asylbewerbern gesprochen. Auch Asylheime besucht - allerdings nicht in diesem Jahr, weil ich viel anderes anschauen musste. Wir sprechen jetzt von Ihrem wichtigsten Dossier. Darum habe ich auch die meiste Zeit meines Departements damit verbracht. Sie hatten ein Jahr lang keine Zeit für ein Gespräch mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, einem der wichtigen Player. Die Flüchtlingshilfe will, dass man über das redet, was klappt: Die Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge. Ich kümmere mich um das, was nicht klappt, und das sind die Leute, die Asyl suchen ohne Asylgrund. Das ist nicht das Dossier der Flüchtlingshilfe, auch wenn sie sich da dauernd einmischt. Ich habe das Gefühl, dass diese Leute keinen Unterschied zwischen echten Flüchtlingen und Asylmissbrauch machen wollen . Sie schirmen Ihre Leute von der Flüchtlingshilfe ab. Woher haben Sie diese Erfindung? Der Besuch des Symposiums, das die Flüchtlingshilfe und die UNHCR in Bern organisierten, wurde Ihren Leuten verboten. Ich habe die Teilnehmerzahl reduziert. Aber dies ändert nichts daran, dass ich bei Kongressen, Symposien etc. zurückhaltend bin. Beim Thema Migration haben Sie Angst vor der Wirklichkeit. Symposien und Kongresse sind nicht die Wirklichkeit. Viele Leute aus der Bundesverwaltung gehen sehr gern an sehr viele Kongresse statt die eigentliche Arbeit zu erledigen. Das ist angenehm, es wird viel gesprochen und wenig Konkretes erreicht. Wieso gehen Sie dem Gespräch mit der Flüchtlingshilfe aus dem Weg? Es hatte nicht oberste Priorität. Sie meinen, die Flüchtlingshilfe sei so wichtig? Das ist sie leider nicht. Das Treffen ist auf den Januar 2005 geplant. Leider betreibt die Flüchtlingshilfe vor allem Obstruktion gegen jede Massnahme zur Abhaltung von Leuten, die keine Flüchtlinge sind. Konstruktives ist bis heute nicht gekommen. Die Flüchtlingshilfe kritisiert einige Ihrer Massnahmen als widerrechtlich. Wir haben die Kritik geprüft. In einigen Punkten war sie angebracht, da haben wir korrigiert, in anderen Punkten war sie falsch. Wenn die Flüchtlingshilfe tatsächlich Obstruktion betreiben würde... Viel Obstruktion, ja. ...dann müssten Sie sich erst recht mit ihr an einen Tisch setzen, um das zu verhindern. Sie meinen, das sei so. Man muss nicht jede Obstruktion verhindern. Auch darf man sich nicht durch Obstruktion von den Prioritäten abbringen lassen. Bei einem Treffen im Januar werden wir auch darüber sprechen müssen. In Ihrer Bilanz nach einem Jahr im Bundesrat scheint Sie ihre sonst gesunde Skepsis verlassen zu haben. Kaum kritische Töne, kaum ein Eingeständnis, dass nicht alles lief, wie geplant. Dabei sank zum Beispiel die Glaubwürdigkeit des Bundesrats nach Ihrer Wahl auf ein historisches Tief. Wie erklären Sie sich das? In meiner Bilanz habe ich fast nur Probleme aufgezählt und allenfalls von ersten Lösungsansätzen gesprochen, euphorisch war das nicht. Zur Glaubwürdigkeit des Bundesrates: Ich glaube das nicht. Man ist für eine Führung oder man ist gegen sie, ihre Glaubwürdigkeit ist nie messbar. Und Glaubwürdigkeit bekommt eine Regierung, die Offenheit zeigt, sagt, was sie denkt und tut, was sie sagt. Dies ist besser geworden!. Der Bundesrat ist offener, man merkt etwas von Auseinandersetzungen. Der Bundesrat hat die zentralen Abstimmungen verloren. Das Steuerpaket war eine Kanterniederlage. Für Sie vielleicht. Nein, für Sie. In den letzten zwei Jahren hat die Bevölkerung praktisch alles verworfen, was eine Veränderung gebracht hätte. Die sozialdemokratischen Initiativen im Jahr 2003 wurden im Multipack verworfen, aber auch sowohl die Steuersenkungsvorlage als auch die Mehrwertsteuererhöhung. Die Mutterschaftsversicherung wurde angenommen. Interessanterweise erstaunlich knapp, obwohl keiner mehr diese Vorlage bekämpfte. Eher eine Blamage. Sie deuten einen Sieg in eine Blamage um. 45 Prozent und eine Mehrheit der Deutschschweizer war gegen eine Mutterschaftsversicherung, die eigentlich etwas Angenehmes ist für die Menschen. Warum sind die Leute bei allen Veränderungen skeptisch? Vielleicht, weil alles, was in den letzten Jahren beschlossen wurde, schlecht herausgekommen ist. Auch die Einbürgerungsvorlagen hat das Volk übrigens zum dritten Mal verworfen. Darüber sollte man doch besser schweigen, Herr Blocher. Natürlich sagen Sie das. Das haben Sie nach der Abstimmung gesagt. Ja, und zu Recht, weil das Volk entschieden hat. Also bleiben wir dabei. Weil Ihnen das unangenehm ist und sie das Ihren Lesern nicht zumuten wollen! Sie haben dem Bürokratismus den Kampf angesagt. Das ist sicher nicht falsch, und wahrscheinlich können Sie das auch gut. Aber erstens nervt, wie laut Sie das tun. Und zweitens ist das kein politisches Programm. Sie übersehen die Ernsthaftigkeit des Anliegens. Ich kämpfe für eine bürgernähere Verwaltung, die weniger Leerlauf produziert. Das gehört zur Führung. Auch eine meiner Aufgaben. Die Presse hat dies anscheinend besonders interessant gefunden. Kein Wunder, wenn Sie den Journalisten den Begriff der «geschützten Werkstatt» vorwerfen. Ich habe seit ich in Bern bin, das Gefühl, dass ich in einer geschützten Werkstatt arbeite. Geschützte Werkstätten sind Einrichtungen für Leute, die auf dem normalen Arbeitsmarkt keine Chance haben. Ich gebe zu, dass es ein lustiger Begriff ist und ich ein Wortspiel gemacht habe. Ich meine den Begriff wörtlich: Abgeschirmt von aussen, von der Realität geschützt. Ihre Auslegung können mir nur böswillige Menschen unterschieben. Wenn ich - um von einem Bereich zu reden, den ich kenne - sehe, welche Massnahmen zur Wirtschaft beantragt oder beschlossen werden, dann muss ich sagen, darauf kann man nur in einer geschützten Werkstatt kommen. Man kann alles beschliessen, wenn man die Welt draussen nicht sehen will. Nochmals: Beamtenschelte ist kein politisches Programm. In meiner Bilanz habe ich etwas anderes an den Anfang gestellt. Die materielle Lebensgrundlage eines Landes ist die Wirtschaft. Funktioniert sie nicht, bricht alles zusammen. Da kommen Schwierigkeiten auf uns zu, weil wir nicht mehr so konkurrenzfähig wie früher sind. Der zu grosse, teure Staatsapparat ist ein Grund dafür. Die Steuern und Abgaben, die wir mehr erhöht haben als andere Industriestaaten, sind ein anderer. Als Empiriker kann man dazu nur festhalten, dass es keinen nachweisbaren Zusammenhang gibt zwischen Wirtschaftswachstum und Staatsquote. Aber sicher doch. Die OECD ist der Sache in einer Studie nachgegangen und konnte den Zusammenhang nicht finden. Welche Studie Sie meinen, weiss ich nicht. Ein Zusammenhang zwischen Wirtschaftsproblemen und Staatsquote ist sehr wohl nachweisbar. Natürlich muss man vergleichbare Staaten nehmen. Dass China ein grösseres Wachstum hat als die Schweiz, ist natürlich nicht nur auf die tiefere Staatsquote zurückzuführen - da haben Sie recht. Die Studie verglich europäische Länder. Sie müssen aufs Niveau achten. Auf unserem hohen Niveau kann man weniger wachsen, als auf tieferem. Es irritiert Sie nicht, dass der empirische Nachweis nicht gelang? Es ist bekannt, dass jene Länder, die die Staatsbelastung - vor allem für die Firmen - gesenkt haben, eine bessere wirtschaftliche Entwicklung hatten. Wann ist Ihre Mission erfüllt? Wie müsste die Schweiz aussehen, damit Sie sagen würden, dass es Sie nicht mehr braucht im Bundesrat? Erfüllt ist eine Führungsaufgabe nie. Das Leben geht weiter, es gibt immer neue Probleme. Wann es ausgerechnet mich nicht mehr braucht, das weiss ich nicht. Ich habe mich zur Verfügung gestellt, ich wurde gewählt, und jetzt mache ich meine Sache, ohne mich zu fragen, ob es auch ginge, wenn ein anderer auf diesem Stuhl sässe. Ihre Frau und Ihre Parteikollegen preisen Sie öffentlich wie einen Messias. Ist Ihnen das nicht manchmal peinlich? Davon merke ich nichts. Ich merke mehr von denen, die mich preisen wie den Leibhaftigen! Ihr Bruder verglich sie mit dem Rheinfall, mit einer Naturgewalt, die einem Volk in der Not erwachsen muss. Das war ein guter Artikel. Er schilderte damit meine Intuition und Tatkraft und stellte diese dem rein Intellektuellen gegenüber. Viele Leute staunen, was dieser Blocher alles bewegt. Und vieles läuft bei mir - das gebe ich zu - intuitiv. Der Rheinfall ist auch nicht gemacht, er passiert. Ihre Unbescheidenheit ist unschweizerisch. Ihnen würde es in den Kopf steigen. Mir nicht. Geben Sie doch zu: Zu achtzig Prozent werden mir Schandtitel und teuflische Eigenschaften angehängt, nicht prophetische. Da soll noch einer unbescheiden werden? In einem Film haben Sie kürzlich ihre Villa vorgeführt und sich als Schlossherr inszeniert. Glauben Sie, dass die Schweizer das gern sehen? Vorführung und Inszenierung hassen die Leute wie die Pest. Aber dieser Film zeigt, wie wir leben. Meine Waffe ist Transparenz und Offenheit. Sie stört das, die allermeisten Leute stört das nicht. Ich fragte Sie nur nach Ihrer Einschätzung der Wirkung beim Publikum. Das habe ich mir gar nicht überlegt. Wer für Offenheit und Transparenz ist, hat das zu zeigen, was ist, ohne sich zu fragen, was andere denken könnten. Im Film ist auch nichts gestellt. Wir werfen Ihnen nichts dergleichen vor. Sie sagen, ich hätte da etwas vorgeführt. Der Filmer hat etwas vorgeführt - unser Leben! Interessant daran ist, dass ausgerechnet SVP-Bundesrat Blocher eine Tendenz zur Amerikanisierung der schweizerischen Politik fördert. Sie sind auch der erste, der dem Land eine First Lady präsentiert. Machen Sie das bewusst? Meine Frau ist meine Frau und anscheinend darum interessant. Da kann ich nichts machen. Ausserdem hat sie im Hintergrund immer aktiv politisiert, meine Partei weiss das. Zuerst wollte der Betreffende einen Film über meine Frau machen. Das wollte sie nicht. Dann wollte er einen Film über uns beide machen. Ich fand das gar nicht so dumm. Die Leute sollen wissen, was für eine Frau ein Bundesrat hat. Und die Leute sind - wie Sie auch - voller Vorurteile. Also sagte ich dem Regisseur: "Machen Sie den Film. Sie können drei Monate filmen, was Sie wollen". Nur zu nahe ran durfte er nicht. Jetzt sieht man halt, wie wir wohnen. Ist das schlimm? Was wäre zu nahe gewesen? Ins Schlafzimmer, fand ich, musste er nicht. Ein gestelltes Sofagespräch wäre auch nichts gewesen. Wenn wir einen veritablen Ehestreit gehabt hätten, hätte es diese Szene vielleicht gegeben. War es unschweizerisch, was Sie da gemacht haben? Ich habe es nicht gemacht. Er hat es gemacht. Sie haben Ja gesagt dazu. Vielleicht ist es unschweizerisch, Ja zu sagen. So unschweizerisch kann es nicht gewesen sein, bei dem unglaublichen Echo, das der Film hatte. Sie haben im letzten Jahr mehrmals das Konkordanzsystem in Frage gestellt. Wäre es nicht unschweizerisch - oder eine Ironie, wenn ausgerechnet Sie die Abschaffung einer Eigenheit der Schweizer Demokratie herbeiführen würden? Unschweizerisch? Wenn Sie in der Geschichte zurückgehen, finden Sie, dass es die Konkordanz in der Schweiz erst seit gut 60 Jahren gibt. Heute schaffe ich in dieser Konkordanz und unternehme nichts dagegen. Wenn sie aber unhaltbar werden sollte, weil man einander so wahnsinnig blockieren würde, dann müsste man die Systemfrage stellen. Es haben ja beide Systeme Vor- und Nachteile.
26.12.2004
«Angstmacherei? Soll ich die negativen Folgen totschweigen?»
Justizminister Blocher über schlaflose Nächte, den Rüffel von Bundespräsident Deiss und die Folgen der Personenfreizügigkeit. 26.12.2004, Sonnntags Blick (Patrik Müller und Hubert Moser) Herr Bundesrat, Joseph Deiss und der Gesamtbundesrat haben Sie gerügt, weil Sie das Personal schlecht gemacht haben. Was sagen Sie dazu? Das Personal wurde nicht schlecht gemacht, aber Mängel in der Verwaltung genannt, die durch die Führung ausgemerzt werden müssen: fehlende Bürgernähe, mangelnder Realitätssinn, zu geringe Flexibilität und überdotierung. Es gilt auch Doppelspurigkeiten zu beseitigen. Eine Mentalitätsveränderung halte ich für unausweichlich. Der Personalverband hat mitgeteilt, die Angestellten fühlten sich von Ihnen desavouiert. Leider hat der Verband nicht zugehört. Es geht um Abläufe, Organisation, Führung. Darum werden in der nächsten Jahreshälfte alle Stabsfunktionen in meinem Departement genau unter die Lupe genommen. Ich will wissen, wo Kostensenkungen und Leistungssteigerungen möglich sind. Vor allem aber will ich das Bewusstsein für Eigenwirtschaftlichkeit und Kosten in jeder Einheit meines Departements stärken und erhöhen. Bis jetzt hat die SVP vor allem mit Asylthemen Stimmung gemacht. Sind nun die Beamten die neue Zielscheibe? Nicht die SVP, sondern ich als Bundesrat durchleuchte die Verwaltung. Weil es nötig ist. Vor einem Jahr sagten Sie in der "Weltwoche", in der Verwaltung könne man 30 Prozent der Kosten sparen. Glauben Sie noch immer, jeder dritte Beamte sei überflüssig? Ich habe von Kosten gesprochen, nicht von Beamtenstellen. 30 Prozent Kostensenkung halte ich nach wie vor für realistisch. Ich arbeite in meinem Departement auf dieses Ziel hin und hoffe, dass ich es in vier Jahren erreiche. Allerdings muss dies durch die Bundesverwaltungsreform begleitet sein. Hier spricht Unternehmer Blocher. Welcher Job gefällt Ihnen eigentlich besser, Unternehmer oder Bundesrat? Unternehmer zu sein war natürlich faszinierender. Ich hatte mehr Bewegungsspielraum und konnte unmittelbar etwas bewirken. Aber die Tätigkeit war auch belastender. Heute habe ich während der Nacht nicht mehr so viele Angstträume. Sie schlafen besser, seit Sie Bundesrat sind? Ja. Früher hatte ich manche schlaflose Nacht, weil die Verantwortung drückte. Ich wusste: Ein falscher Entscheid, und 3000 Mitarbeiter verlieren ihre Stelle und das Unternehmen geht zugrunde. Hat ein Bundesrat weniger Verantwortung als ein Unternehmer? Nein. Aber ich spüre, dass nicht mehr die ganze Verantwortung auf meinen Schultern lastet. Im Staat sind die Entscheidungen breiter abgestützt. Der Entscheid eines Einzelnen hat nicht so weitreichende Folgen wie in einem Unternehmen. Macht einer eine Dummheit, gibt es meist mehrere Instanzen, die den Fehler wieder korrigieren können. Und Fehlentscheide bezahlen die Steuerzahler - leider. Aber es kommt auch heute vor, dass ich schlecht schlafe. Wann? Die grossen Probleme unseres Landes lassen mich manchmal nicht schlafen. Dann hinterfrage ich plötzlich alles - ganz grundsätzlich. Wie stark beschäftigt Sie die Ems-Chemie heute? Führen Sie die Firma am Sonntag vom Familientisch aus? Nein, ich habe das Unternehmen abgegeben. Fertig. Es gibt auch keinen Familientisch, an dem ich das besprechen könnte. Meine Tochter und mein Sohn wohnen nicht bei uns. Klar, wenn sie mit ihren Familien zu Besuch sind, höre ich gern zu, was sie so zu erzählen haben. Wir nehmen Ihnen nicht ab, dass Sie bloss Grossvater spielen. Aber es ist so. In der wenigen Zeit kümmere ich mich lieber um die Enkel. Wenn Sie die Firma abgeben, müssen Sie das ganz tun. Im DOK-Film auf SF DRS traten Sie und Ihre Frau wie ein Königspaar auf und präsentierten Ihren Reichtum. Das ist unschweizerisch. Der Film zeigt wie wir leben und sind. Ich habe nichts zu verstecken. Meine Waffe ist die Transparenz. Das wird gerade vom Publikum geschätzt, das zeigen die Reaktionen. Klar melden sich auch Neider. Es sind solche, die ebenfalls vermögend sind - deren Villa aber zwei Zimmer weniger hat. Im Film haben Sie gesagt, der Schweiz gehe es schlechter als vor zehn Jahren. Wie haben Sie das gemeint? Die Staatsschulden sind explodiert, die Wettbewerbsfähigkeit hat sich verschlechtert, und die Wirtschaft, die unsere Lebensgrundlage ist, wächst nicht mehr. Diese Entwicklung ist beunruhigend, auch wenn die Bürger davon nichts direkt spüren. Noch nicht. Die Schweiz verliert nach und nach ihre Stärken. Ich bin pessimistisch für den Standort Schweiz. Wenn die Politik sich nicht ändert. Vor zwölf Jahren hat das Stimmvolk den EWR-Vertrag abgelehnt. Sie versprachen damals, die Schweiz werde im Alleingang wirtschaftlich erfolgreich sein. Da haben Sie sich geirrt. Dank der Ablehnung des EWR gehört die Schweiz immer noch zur Spitzengruppe. Die schlechte Entwicklung in den letzten zehn Jahren hat mit dem EWR-Nein nichts zu tun. Sondern mit der Politik: Wir haben Steuern und Abgaben erhöht, mehr als jedes andere Industrieland. Und die Regulierung hat noch zugenommen. Das tönt wie die übliche neoliberale Leier. Tatsache ist doch: In der EU wächst der Wohlstand, bei uns herrscht Stagnation. Die meisten EU-Länder haben ein wesentlich tieferes Wohlstandsniveau. Da ist Wachstum einfacher. Gerade die neuen EU-Länder machen vieles richtig: tiefe Steuern, wenig Regulierung. österreich wiederum wächst vor allem dank des Ostmarktes. Glauben Sie, die Schweizer Wirtschaft würde wachsen, wenn wir in der EU wären? Das Gegenteil wäre der Fall. Wir müssten Milliarden nach Brüssel zahlen, den Schweizer Franken aufgeben, das Bankgeheimnis abschaffen, die Mehrwertsteuer verdoppeln. Der Bundesrat will die Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Länder ausdehnen. Sie haben vor dem Nationalrat erklärt, die Arbeitslosigkeit in der Schweiz werde "tendenziell auf europäisches Niveau" steigen. War das ein Versprecher? Nein, warum? Europäisches Niveau heisst zehn Prozent Arbeitslose! Wir haben heute vier Prozent. Es ist doch logisch, dass wir mehr Arbeitslose haben werden, wenn man das Arbeitskräfteangebot vergrössert und nicht gleichzeitig mehr Stellen schaffen kann. Das muss man im Auge behalten. Schon heute haben wir gewisse Probleme wegen der Personenfreizügigkeitist mit den alten 15 EU-Ländern: Die Arbeitslosigkeit nicht sinkt, trotz konjunktureller Erholung. Wenn Sie mit zehn Prozent Arbeitslosigkeit drohen, torpedieren Sie die bundesrätliche Vorlage. Mit dieser Angstmacherei fallen Sie Ihren Kollegen in den Rücken. Die zehn Prozent haben Sie genannt. Aber: Was heisst Angstmacherei? Soll ich die negativen Folgen, die auf der Hand liegen, totschweigen? Als Bundesrat will ich die Vor- und Nachteile einer Vorlage aufzeigen. Dass die Unternehmen und die Volkswirtschaft gewichtige Vorteile haben, wenn wir die Personenfreizügigkeit ausweiten, ist doch unbestritten. Mehr Arbeitnehmer bedeutet: grössere Auswahl, höhere Qualität, günstigere Saläre. Das sind Vorteile für die Wirtschaft. Die Nachteile werden doch verhindert, indem die Schweiz den Arbeitsmarkt schrittweise öffnet und flankierende Massnahmen gegen Lohndumping erlässt. Die übergangsregelung dämpft den Zustrom, aber nur bis 2011. Die flankierenden Massnahmen helfen auch - aber sie regulieren dafür den Arbeitsmarkt zum Nachteil der Wirtschaft. Nochmals: Sie gefährden mit Ihrer Argumentation die Freizügigkeitsvorlage. Ein Nein wäre verheerend, dann könnte die EU die Bilateralen I kündigen. Eine ehrliche, nüchterne Betrachtung kann eine gute Vorlage nicht gefährden. Bei einem Nein wäre tatsächlich eine schwierige Situation zu überwinden. Die EU und die Schweiz können die Verträge schon jetzt jederzeit kündigen. Aber weder die EU noch die Schweiz haben ein Interesse daran. Lassen Sie die Stimmbürger abwägen. Werden Sie sich im neuen Jahr wieder so stark in andere Departemente einmischen? Ich mische mich nicht ein. Im Bundesrat trage ich Gesamtverantwortung und dafür setze ich 50 Prozent meiner Zeit ein. Sind Sie mit dem Justizdepartement unterbeschäftigt? Ich habe zwei Aufträge: Die Gesamtverantwortung in der Regierung wahrnehmen und mein Departement führen. Ich mache das zu je 50 Prozent. Für die Bundesratssitzung vom letzten Mittwoch habe ich sechs Mitberichte verfasst. Keiner ist länger als eine Seite. In diesem Sinne werde ich auch im kommenden Jahr weiterarbeiten.
22.12.2004