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Federal Councillorship
01.09.2006
01.09.2006
Bei einem Nein würden die Missbräuche zunehmen
Bundesrat Blocher zum Asyl- und Ausländergesetz 01.09.2006, NZZ, Monika Rosenberg und Christoph Wehrli Die Abstimmungsvorlagen werden von den Gegnern gerne als Blocher-Gesetze bezeichnet . . . Das ist eine bekannte Strategie; eine Person zuerst verunglimpfen, um dann die Gesetzesvorlagen mit dieser Person gleichzusetzen, in der Hoffnung, dass die Bürger aus Abneigung dann Nein stimmen. Aber in der Schweiz sind Abstimmungen keine Plebiszite. Sie haben aber die Revisionen doch ziemlich stark geprägt. In meiner Eigenschaft als Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements machte ich gleich nach Amtsantritt eine Analyse der Missstände im Asylwesen. An einer ganztägigen Aussprache wurde von allen Beteiligten, auch von den Hilfswerken, als Hauptproblem erkannt, dass die Asylsuchenden ihre Identität und ihre Reisepapiere nicht offenlegen. Warum? Ein hoher Beamter sagte, wer seine Identitätspapiere präsentiere, sei der Dumme im Umzug. Meines Erachtens ist aber derjenige der Dumme, der dies akzeptiert. Wird das nicht so bleiben? Welcher Anreiz sollte bestehen, die eigene Rückführung zu erleichtern? Es wird klare Verbesserungen geben. Es ist nicht zu viel verlangt, wenn man selbst von echten Flüchtlingen erwartet, dass sie sagen, wer sie sind und woher sie kommen. Sie haben in Zukunft ein Interesse, Papiere vorzuweisen, wenn sie welche haben. Echte Flüchtlinge werden aber auch ohne Papiere weiterhin aufgenommen, wenn sie ihre Identität offenlegen und glaubhaft machen, warum sie keine Ausweispapiere haben. Für die anderen erfolgt der Nichteintretensentscheid. Künftig wird man nicht mehr jahrelang nach der Identität suchen wie nach Ostereiern. Zudem: Wenn die illegal Anwesenden rascher zurückgeschickt werden können, wird den Schleppern das Handwerk gelegt. Zuerst sagten die Gegner, das revidierte Gesetz sei unmenschlich. Jetzt wird plötzlich gesagt, es werde kaum etwas nützen. Dann müssten die Gegner ja keine Angst haben. Es kommt natürlich darauf an, was die Praxis – auch die Rekursinstanzen – daraus macht. Umstritten ist zudem vor allem die Verschärfung der Zwangsmassnahmen. Die Verantwortlichen aus dem Vollzug legten dar, dass gewisse sehr resistente Personen – damals 40 bis 50 – die bisherige neunmonatige Ausschaffungshaft locker bis fast zum Ende absitzen und sich dann beim Einsteigen ins Flugzeug so verhalten, dass sich die Piloten weigern, sie mitzunehmen. Dann sind sie bei der heutigen Regelung wieder frei, weil die Zeit abgelaufen ist. Deshalb müsse die Ausschaffungshaft verlängert werden. Von der Verdoppelung versprechen sich die Leute an der Front, dass diese Leute dann früher von selbst gehen. Wenn man Weihnachten oder den Ramadan im Ausschaffungsgefängnis verbringen müsste, gehe man eher heim. Andere Länder kennen deshalb gar keine Obergrenze. Auch die Durchsetzungshaft wurde von den Kantonen verlangt, besonders nachdem das Bundesgericht entschieden hat, dass die Nothilfe auch dann gewährt werden muss, wenn die Betreffenden sich weigern, mit den Behörden zu kooperieren und ihren Namen preis-zugeben. Ich finde diesen Entscheid zwar nach wie vor falsch, aber wir haben uns daran zu halten. Kein Schweizer kann irgendwo soziale Unterstützung verlangen, ohne dass er sagt, wer er ist und wo er wohnt. Zum Konzept gehört auch der Sozialhilfestopp nach Ablehnung des Asylgesuchs. Wie soll von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden? Sobald ein Asylsuchender einen negativen rechtskräftigen Entscheid hat und er in seine Heimat zurückkehren kann, ist er verpflichtet, die Schweiz zu verlassen. Er hat dann keinen Anspruch mehr auf Sozialhilfe, kann jedoch bei Bedarf Nothilfe beantragen. Sie haben gesagt, Kirchen und Hilfswerke seien an der Verhinderung von Missbräuchen gar nicht interessiert. Wie meinen Sie das? Einzelne Vertreter von Hilfswerken haben jene, die sich weigerten, ihre Identität offenzulegen, beim Gang vors Bundesgericht unterstützt; sie zeigten sich stets erfreut über Gerichtsentscheide, die eigentlich den Missbrauch schützten. Die Hilfswerke müssten sich vielmehr um die echten Flüchtlinge und deren Integration kümmern. Es ist doch nicht in Ordnung, dass nur ein Viertel der erwerbsfähigen Flüchtlinge arbeitet. Hier fehlt es an der Integrationsarbeit. Wird es schon bald eine weitere Revision geben? Insgesamt sind wir mit der Revision des Asylgesetzes auf gutem Weg. Wir wahren die humanitäre Tradition der Schweiz, wir haben neu eine Härtefallregelung, Erleichterungen für vorläufig Aufgenommene beim Zugang zur Erwerbstätigkeit und beim Familiennachzug. Wir werden zudem viele Missbräuche verhindern können, ganz ausschliessen wird man sie aber nicht. Die bisherigen Revisionen haben diesbezüglich nicht viel genützt. Die erste wirksame Massnahme war der Sozialhilfestopp bei Nichteintretensentscheiden, was neu auch für Abgewiesene gelten soll. Ob dies die letzte Revision sein wird, hängt von der Praxis und den Umständen ab. Wir wissen nicht, was künftig im Bereich der Migration geschieht. Die vorgeschlage Lösung wird grosse Verbesserungen bringen, aber auch mit dieser Revision sind nicht alle Probleme gelöst. Wir haben das politisch Machbare getan. Wäre ein Nein zum Asylgesetz ein grosses Unglück oder einfach eine politische Niederlage? Bei einer Ablehnung würden die Asylgesuche mit Sicherheit ansteigen. Denn es würde sich sofort herumsprechen, dass man weiterhin aus wirtschaftlichen Gründen und ohne Asylgründe illegal in die Schweiz einreisen könnte und grosszügig Sozialhilfe bekäme. Die Missbräuche würden zunehmen. Zum Ausländergesetz. Neu werden aus Nicht-EU-Ländern nur noch Hochqualifizierte zugelassen. Was hat man sich darunter vorzustellen? Das ist nicht der zentrale Streitpunkt. Die Gegner haben eine völlig andere Vorstellung der Ausländerpolitik. Sie möchten der ganzen Welt Zugang zu unserem Arbeitsmarkt gewähren: Wer hier eine Arbeit findet, soll sie auch bekommen. Ab 2011 haben wir aber die volle Freizügigkeit mit der ganzen EU, und das müssen wir zuerst verkraften. Freizügigkeit auch mit dem Rest der Welt würde zu grosser Arbeitslosigkeit führen, die Sozialwerke belasten und enorme Spannungen im Land bewir-ken. Also muss man einschränken: Nur wenn man für eine bestimmte Arbeit niemanden in der EU findet, wird eine Bewilligung für jemanden ausserhalb der EU erteilt. Das ist dann eben der Fall bei den Lassen sich zwei Spezialisten. Weniger gut ausgebildete Arbeitskräfte werden wir noch lange in der EU rekrutieren können. ategorien von Ausländern in der Schweiz längerfristig aufrechterhalten? Wenn die Leute aus der EU den Schweizern gleichgestellt werden, gibt es halt Unterschiede zwischen EU-Angehörigen und den von ausserhalb der EU kommenden Staatsangehörigen. Schlechter gestellt als heute werden diese deswegen nicht. Was bringt das Ausländergesetz konkret für die Integration? Ich glaube, dass man wegkommen muss von gewissen romantischen Integrationsprojekten. Das Wichtigste ist die rasche Integration der Kinder bezüglich Sprache und Schule. In den USA müssen Kinder beispielsweise vor der Einschulung zuerst Englisch lernen. Es ist erstaunlich, dass die «Sozialen» jetzt plötzlich dagegen sind, dass Kinder möglichst vor dem 12. Altersjahr nachgezogen werden. Das war nämlich ein Begehren der Erziehungsdirektorenkonferenz zur besseren Integration der Kinder in der Schule, was später den Anschluss an den Arbeitsmarkt ermöglicht. Ich habe dem Bundesrat diese Woche einen Integrationsbericht vorgelegt. Hier gibt es noch sehr viel zu tun.
31.08.2006
«Ich will verantwortungsvoll handeln»
Er frage sich immer, ob seine Kritiker Recht hätten, sagt Bundesrat Christoph Blocher. Aber er kenne auch die Motive der Gegner. 31.08.2006, Berner Zeitung, Markus Eisenhut, Michael Hug, Andreas Z'Graggen Wie leben Sie eigentlich mit dem Vorwurf, ein Unmensch zu sein, der übermässig hart mit Flüchtlingen umgeht? Fragen Sie sich in stillen Momenten, ob daran etwas Wahres sein könnte? Sicher frage ich mich das immer wieder. Wenn ich kritisiert werde, frage ich mich immer, ob die Kritik berechtigt ist. Aber mit der Zeit weiss ich auch, wer mich auf diese Art angreift und warum. Viele Gegner wollen einfach in die Welt posaunen, welch gute und soziale Menschen sie sind, da ist es am Besten, die Andern zu erniedrigen. Aber das sind billige Bekenntnisse, denen nur selten Taten folgen. Und welche Ueberlegungen stellen sie bezüglich des eigenen Handelns an? Ich frage mich, ob ich verantwortungsvoll handle. Würde ich die Gesetze verschärfen, weil ich die Menschen nicht gern habe, dann wäre das nicht in Ordnung. Aber ich weiss doch, dass unser Land eine Personenfreizügigkeit für die ganze Welt - was die Gegner der Gesetze wollen - niemals verkraften könnte. Stellen Sie sich vor, was das für die Arbeitslosigkeit, unsere Sozialwerke, die Fürsorge bedeuten würde, welche Spannungen das gäbe. Die Schweiz ist nicht fremdenfeindlich. Bei uns leben 21,8 Prozent Ausländerinnen und Ausländer, das ist einer der höchsten Anteile in ganz Europa. Tiefgreifende Spannungen kennen wir heute nicht. Würden sich die Gegner durchsetzen, befürchte ich, wären Fremdenfeindlichkeit und Hass die Folge. Unterstützen Sie als Privatmann soziale Projekte? Ja, aber ich rede nicht gern darüber. Ich tue es, um zu helfen, nicht um den Gutmenschen ins Schaufenster zu stellen. Nicht alle meine Unterstützungen waren erfolgreich. Würden Sie es nicht mehr tun? Nicht mehr oder zumindest nicht so. Besser wäre ohnehin, die Industrialisierung armer Länder zu vollziehen. Das würde den Druck verringern. Das habe ich als Unternehmer auch getan. Aber nicht aus sozialem Engagement, sondern weil ich als Industrieller tätig war. Die Welt funktioniert nicht zuletzt dank Unternehmern, die investieren und Arbeitsmöglichkeiten schaffen. Die Moralisten, die ständig austeilen, würden besser Arbeit schaffen. Das schafft Wohlfahrt und mindert die Armut! Wie stimmen Sie eigentlich ab? Schriftlich oder an der Urne? In der Regel geh ich an die Urne, ich bin da ein wenig altmodisch. Wenns nicht geht, stimme ich auch ab und zu schriftlich ab. Jedenfalls stimme ich ab, diesmal sogar mit zweimal Ja. Wie gefällt es Ihnen in Bern? Ich wohne zwar unter der Woche in Bern, aber ich bekomme nicht allzuviel mit von der Stadt. Am Morgen gehe ich jeweils von meiner Wohnung ins Bundeshaus, das ist meine schönste Zeit des Tages. Wir, die um diese Zeit schon an der Arbeit sind, kennen uns mittlerweile, grüssen uns schon von Weitem und witzeln: "Wir sind die Schwerarbeiter". Nehmen Sie auch am kulturellen Leben teil? Nicht sehr viel. Ab und zu gehe ich ins Theater. Der Bundesrat hat dort eine eigene Loge. Aber ich habe wenig freie Abende und am Wochenende bin ich zuhause. Ich gehe auch gerne nach Hause, ich möchte nicht die ganze Zeit so nah beim Bundeshaus sein. Was sagen Sie zu den Ereignissen der letzten Tage um Swissfirst? Ich kann dazu nicht viel sagen, ich kenne die Angelegenheit nur aus der Zeitung. Es heisst, Sie hätten enge Beziehungen zu Swissfirst-Chef Thomas Matter. Kürzlich hat mir jemand aus einer Zeitung ein "Beziehungsgeflecht" von Swissfirst gezeigt. Bei meinem Namen stand: „Kennt ihn“. Darauf sagte ich: In dem Fall gehöre ich auch zum Beziehungsgeflecht von Jean Ziegler und Peter Bodenmann und von wem weiss ich was alles. Gut kenne ich den Vater von Thomas Matter, der nach seinem Rücktritt bei Roche zwei Jahre in meinem Verwaltungsrat war. Dadurch kenne ich auch den Sohn. Aber mehr als Sie weiss ich auch nicht, was dort geschehen ist. Aber die Amtsstellen klären jetzt ja alles ab. Muss die Insidernorm verschärft werden? Das muss sie unabhängig von diesem Fall. Voraussagen für Geschäftszahlen gehören in die Insidernorm, das wissen wir schon lange. Zu den Pensionskassen: Wenn es dort Probleme gibt, dann haben die Aufsichtsorgane den Chef zu kontrollieren. Neue Gesetze braucht es da nicht. Immer wenn einer Pleite macht, geht das Geschrei nach einer neuen Regulierung los. Ich frage dann jeweils: Wollt ihr ein Gesetz, Pleite machen sei verboten? Dabei hat hier gar niemand Pleite gemacht.
31.08.2006
Heute ist es von Vorteil, seine Identität zu verschleiern
Auch nach einer Annahme des revidierten Asylgesetzes werde kein Flüchtling der Einschätzung einer einzigen Amtsstelle ausgeliefert sein, sagt Bundesrat Christoph Blocher. Die Änderung beschleunige nur das Verfahren. 31.08.2006, Berner Zeitung, Michael Hug, Markus Eisenhut, Andreas Z'Graggen Herr Bundesrat, warum erwarten Sie von uns als Stimmberechtigten, dass wir den Behörden am 24. September mehr Kompetenzen für den Vollzug der Asylpolitik geben? Bundesrat Christoph Blocher: Damit wir das Verfahren beschleunigen und die Schweiz als Asylland weniger attraktiv machen können. Heute ist es ein Vorteil für den Asylsuchenden, seine Identität nicht preiszugeben. Er kann lange im Land bleiben und Sozialhilfe beziehen, obwohl er kein Flüchtling ist. Wir können es diesen Leuten nicht einmal verübeln, wenn sie diese Chance zu nutzen versuchen. Aber es ist nicht richtig, wenn ein Staat sagt: "Du bist illegal hier, Du musst nach hause" - und gleichzeitig bezahlt man ihm trotzdem noch jahrelang grosszügig Sozialleistungen. Zudem ist es völlig richtig, wenn nicht mehr die Behörde, sondern der Asylsuchende selbst künftig seine Identität glaubhaft machen muss. Für ihn es einfacher, zu sagen wer er ist und wo er wohnt. Die heutige Situation ist unhaltbar. Trotzdem: Man kennt Sie als einen, der dem Staat misstraut. Und nun erwarten Sie von uns, dass wir dem Staat bei der Handhabung der Flüchtlingspolitik mehr Vertrauen schenken. Nein. Dem Staat gegenüber soll man immer misstrauisch sein. Aber wenn es Leute braucht, die darüber entscheiden, ob ein Asylsuchender aufgenommen wird, dann müssen sie auch mit sinnvollen Instrumenten ausgerüstet werden, ob das nun Staatsangestellte oder Private sind. Dazu kommt, dass die Anwendung von Rechtsmitteln im Asylbereich grosszügig ist. Wenn ein Asylsuchender gute Anwälte hat, dann sind viele Wege offen, um immer wieder neue Rechtsmittel zu ergreifen, um das Verfahren noch weiter zu verzögern. So dauert es oft jahrelang bis endgültig entschieden ist. Sie sagen, 80 Prozent der Asylsuchenden, die in die Schweiz einreisen wollen, hätten keine Papiere. Andere Quellen behaupten, es seien nur wenig mehr als die Hälfte. Was ist nun richtig? 70 bis 80 Prozent, diese Zahlen schwanken immer ein wenig, haben keine gültigen Identitätspapiere. Rund ein Viertel der Leute legen zweitrangige Papiere - etwa einen Führerausweis oder einen Geburtsschein vor. Der allergrösste Teil dieser Dokumente ist gefälscht. Unter dem geltenden Gesetz müssen diese Papiere anerkannt werden. Ob sie echt oder gefälscht sind, weiss man dann erst bei der Ausreise, wenn die Botschaft des betreffenden Landes mitteilt, dass die Person oder die Adresse gar nicht existiert. Dagegen sehen wir aus der Statistik, dass von den anerkannten Flüchtlingen rund 70 bis 80 Prozent Papiere vorgelegt haben. Bei den abgewiesenen Asylsuchenden ist es umgekehrt. Also Pass oder Identitätskarte? Nein, heute anerkennen wir wie gesagt auch Führerausweise oder Geburtsscheine. Bei den Afrikanern hatten in den letzten vier Monaten nur fünf bis zehn Prozent gültige Papiere vorgelegt. Tatsache ist, dass Leute, die wirklich bedroht sind, ein Interesse daran haben, ihre Identität zu klären. Ist es denn nicht selbstverständlich, dass jemand der kommt und etwas will, seinen richtigen Namen, Wohnort und Alter bekannt gibt? Und dass er gültige Reisepapiere vorweist und diese nicht vorenthält? Was passiert mit einem, der überstürzt und ohne Papiere flüchten musste. Erhält er einen Nichteintretensentscheid, weil er seine Papiere nicht innert 48 Stunden vorlegen kann? Nein. Wenn er glaubhaft darlegen kann, warum er keine Papiere hat, erhält er trotzdem ein reguläres Asylverfahren. Und selbst wenn ein Fehler passiert, kann er den Nichteintretensentscheid noch vor die Asylrekurskommission ziehen. Auch unter dem neuen Gesetz ist kein Flüchtling der Einschätzung einer einzigen Amtsstelle ausgeliefert. Es gibt sicher auch traumatisierte Leute, die sich vor einer Behörde nicht artikulieren können. Wie ist sichergestellt, dass solche Menschen nicht durch die Maschen fallen? Unsere Befrager haben eine grosse Erfahrung im Umgang mit Asylsuchenden. Sie können mit solchen Menschen umgehen. Auch hier ist einiges Gespür nötig, weil es solche gibt, die traumatisiert sind. Aber oft werden die unglaublichsten Fluchtgeschichten erzählt. Unsere Leute kennen die vorbereiteten Versionen natürlich auch. Ein anderes Problem ist das Alter: Viele sagen, sie seien 17. Kürzlich hatten wir eine über 50jährige Frau, die behauptete, sie sei 17 Jahre alt. Wenn die Flüchtlingseigenschaft unsicher ist und es weitere Abklärungen braucht, gibt es keinen Nichteintretensentscheid. Wird das neue Asylgesetz verhindern, dass die Behörden erfundenen Geschichten auf den Leim gehen? Nein. Es gibt sicher Leute, die wir zu unrecht aufgenommen haben und das wird es auch weiterhin geben. Aber immerhin werden wir bei jenen, die ihre Identität unentschuldbar nicht preisgeben, rascher entscheiden und sie ausweisen können. Das ist eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem jetzigen Zustand und es wird dazu führen, dass weniger unechte Flüchtlinge versuchen, überhaupt in die Schweiz zu kommen. Bedeutet das auch, dass auf Seite der Behörden Personal abgebaut wird? Ja, wenn man weniger benötigt, muss dies geschehen. Allein im Bundesamt für Migration haben wir bereits 200 Stellen reduziert. Ebenso konnten wir die Aufwendungen des Bundes für das Asylwesen von einer Milliarde auf rund 850 Millionen verringern. Die Asylgesetzrevision wird das System um weitere 100 Millionen Franken entlasten. Womit ein weiterer Stellenabbau zu erwarten ist. Klar, wenn weniger Leute zu unrecht kommen, können auch die Strukturen bei Bund und Kantonen zurückgefahren werden. Nicht nur dort: Es werden auch weniger Anwälte, die in grosser Zahl vom Asylverfahren leben, Aerzte, Psychologen, Mediatoren, Betreuer etc. gebraucht werden. Darum ist der Sturmlauf gegen die Gesetzesrevision von dieser Seite auch begreiflich. Was glauben Sie: Wenn im Bundesamt für Migration eine Abstimmung über das neue Asylgesetz durchgeführt würde, würde es sich für oder gegen das Gesetz aussprechen? Es würde sicher angenommen, weil es eine Verbesserung gegenüber dem heutigen Zustand bringt. Diese Leute haben das Gesetz ja gemacht, bis jetzt habe ich keine Anzeichen dafür, dass sie mit dem Resultat nicht einverstanden wären. Immerhin würden sie sich mit einem Ja auch einen weiteren Stellenabbau verordnen. Ach so. Möglich, dass es einzelne gibt, die so denken. Leute, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, sollen künftig ebenso wie jene mit einem Nichteintretensentscheid keine Sozialhilfe mehr erhalten. Wir haben jetzt zwei Jahre Erfahrung mit dem Sozialhilfestopp für Asylbewerber mit einem Nichteintretensentscheid. Anfänglich hiess es, das werde furchtbar, die Leute würden abtauchen und in die Kriminalität abgleiten. Nach zwei Jahren wissen wir: Die Kriminalität bei diesen Leuten ist geringer als bei der Gesamtheit der Asylsuchenden und die Leute reisen rascher aus. Können Sie Zahlen nennen? Bei den Bezügern von Nothilfe liegt die Kriminalität bei rund acht Prozent. Bei der Gesamtheit der Asylsuchenden liegt sie bei rund 30 Prozent, wobei wir hier nur Zahlen aus dem Kanton Zürich haben. Die Zahlen beziehen sich auf Aufgegriffene, nicht auf Verurteilte und sie sind nicht vollständig vergleichbar. Aber sie geben doch einen Anhaltspunkt. Sicher richtig ist, dass die Kriminalität durch den Sozialhilfestopp nicht angestiegen ist. Zwei Drittel der Betroffenen beziehen gar nie Nothilfe und wir haben viele Anzeichen dafür, dass sie grösstenteils ausreisen und nicht untertauchen. Und auch die rund 30 Prozent, die Nothilfe beziehen, nehmen im Durchschnitt lediglich 113 Tage lang Nothilfe in Anspruch. Das heisst, sie beziehen dreimal weniger lange Geld, als sie vorher Sozialhilfe bezogen. Die Erfahrungen sind also gut und das bestätigen mittlerweile auch die Gemeinden und Kantone. Von der Sozialhilfe sollen selbst Kinder, Kranke und Alte nicht mehr profitieren können. Ist das nicht sehr hartherzig? In der Praxis gibt es einigen Spielraum. Die Kantone sind frei, wie sie mit ihren Asylsuchenden umgehen. Es ist vorgesehen, dass die Kantone für jeden abgewiesenen Asylsuchenden einen Pauschalbetrag für die Nothilfe erhalten. Es ist aber ihre Sache, wie lange sie Nothilfe gewähren und wen sie mit welcher Härte behandeln. Wir wollen bloss verhindern, dass findige Anwälte hier wieder Ansprüche einklagen, indem sie sich auf irgendeinen Ausnahmepassus berufen. Jugendliche zwischen 15 und 18 sind zum Teil schon kräftige Burschen, aber ein dreijähriges Kind oder eine kranke Person wird sicher anders behandelt. Reicht der Pauschalbetrag, den der Bund den Kantonen bezahlt, aus? Da gibt es grosse Unterschiede. Kantone, die gut arbeiten haben unter dem Strich einen Ueberschuss, den anderen, die bei den Ausschaffungen trödeln, reicht es natürlich nicht. Welchen Kantonen reicht es nicht? Ich möchte keine Namen nennen. Die stadtbernische Regierung hat erklärt, sie sei gegen das Asylgesetz. Alle rot-grünen Regierungen sind dagegen. Das ist eine ideologische Frage. Kommt dazu, dass das Gesetz jenen, die untätig bleiben, tatsächlich Mehrkosten verursacht. Daraus schliessen wir, dass der Kanton Bern zu jenen gehört, denen das Geld nicht reicht. Das stimmt nicht. Der Kanton Bern steht nicht schlecht da, das muss ich sagen. Das Problem ist natürlich in den Städten akut und auch dies ist nicht nur deren Schuld. Die Ausgewiesenen zieht es in die Städte, sie haben dort mehr Möglichkeiten. Aus diesem Grund werden wir die Städte künftig auch besser entschädigen müssen, da reklamieren sie zu Recht. Aber ich bin dagegen, dass wir einfach so viel bezahlen, wie es sie kostet, wenn sie nichts tun. Wenn die rotgrünen Regierungen ihre Leute nicht zurückschicken wollen, müssen sie diese Kosten eben selbst bezahlen. Wie viele Menschen sind betroffen, wenn nach Annahme des Gesetzes die Sozialhilfe gestrichen wird? Im Moment leben über 9'000 Personen hier, die ausreisen müssten. Für über 6200 suchen wir die Papiere, weil wir ihre Identität nicht kennen. Alle diese Leute könnten nach Hause, wenn sie wollten. Die Botschaften geben ihnen Papiere. Sie müssen nur ihre Identität offenlegen. Beziehen über 9'000 Leute mit einem negativen Asylentscheid Sozialhilfe oder sind in dieser Zahl auch jene eingeschlossen, die nach einem Nichteintretensentscheid nur Nothilfe erhalten? Die sind nicht eingeschlossen. Wenn sie von 6200 Leuten keine Papiere haben, dann sind immer noch 3000, von denen sie vorhanden sind. Warum reisen diese Leute nicht aus? Sie sind einfach hier, weil es ihnen nicht schlecht geht, weil ihnen Zeit gelassen wird und sie heute Sozialhilfe beziehen können. Das hat unterschiedliche Gründe, warum die Kantone sie noch nicht ausgeschafft haben. Zum Teil sind sie schon jahrelang hier. Wird sich das von einem Tag auf den andern ändern, wenn das Gesetz angenommen wird? Nein. Es gibt Übergangsregelungen für Personen, die bereits einen rechtskräftigen negativen Entscheid haben. Wir müssen den Kantonen etwas Zeit geben, diese Menschen sind teilweise in festen Wohnungen eingemietet, haben Kinder in der Schule, da müssen wir etwas beweglich sein. Deshalb erhalten die Kantone auch eine höhere Entschädigung von 15'000 Franken. Auch bei der Einführung des Sozialhilfeausschlusses für Personen mit einem NEE hatten wir damals eine grosszügige Übergangsregelung vorgesehen: Der Bund bezahlte damals den Kantonen für diese so genannten Übergangsfälle noch während neun Monaten die ordentliche Sozialhilfe. Je nachdem wie schnell die Kantone das Gesetz vollziehen, reicht das Geld oder eben nicht. Dieses Modell ermöglicht es den Kantonen auch, Alte oder Kranke anders zu behandeln, als kräftige Junge. Sie stellen einfach den Geldhahnen des Bundes ab. Aber wenn ein Kanton mit einem besonders hohen Nein-Anteil zum Asylgesetz aus der eigenen Kasse einen weniger strengen Vollzug finanzieren will, dann kann er das? Jaja, aber das machen sie nicht, wenn sie es selbst bezahlen müssen. Das hat bisher noch kein Kanton gemacht. Mehrkosten verursacht aber auch die die Verlängerung der Ausschaffungshaft. Nein. Erstens sind das sehr wenige, schwierige Einzelfälle die so lange in Haft bleiben. Und zweitens werden es noch weniger werden, weil sie Angst haben, sie müssten 18 Monate bleiben. Falls Ihre Prognose nicht stimmt, wäre es aber günstiger, den Leuten Sozialhilfe zu bezahlen, statt sie einzusperren. Die Alternative ist nicht Sozialhilfe oder Ausschaffungsgefängnis. Die Alternative ist Sozialhilfe oder heimschicken. Das Gefängnis spielt erst eine Rolle, wenn die Massnahme anders nicht durchgesetzt werden kann. Gibt es andere europäische Länder mit ähnlich scharfen Gesetzen? Natürlich. Oesterreich macht gerade gute Erfahrungen mit einer Verschärfung, Holland, Dänemark, Norwegen, alle gehen in die selbe Richtung. In zahlreichen Ländern gibt es nach einem ablehnenden Entscheid überhaupt keine Entschädigung mehr für die Asylsuchenden - auch keine Nothilfe mehr. Die müssen wir nach dem Entscheid des Bundesgerichtes in der Schweiz weiterhin gewähren, sogar wenn jemand nicht einmal den Namen bekannt gibt. Auch bei der Ausschaffungshaft gibt es Länder, die überhaupt keine zeitliche Höchst-Limite kennen. Bei uns ist diese begrenzt. Spanien hat in mehreren Wellen den Aufenthalt sogenannter Sans-Papiers legalisiert. Warum nicht die Schweiz? Diese Leute sind nicht ohne Papiere da, wie man meinen könnte. Die sind einfach illegal hier, arbeiten irgendwo schwarz, aber sie kosten den Staat nichts und sind nicht kriminell. Deshalb bereiten sie uns auch keine grossen Sorgen. Aber sie haben keine Aufenthaltsbewilligung, bezahlen keine Sozialabgaben. Sie müssen das Land verlassen. Aber wenn man ihren Aufenthalt - wie in Spanien - legalisiert, dann kommen sie aus ihren Verstecken heraus, gehen zu einem wesentlich höheren Lohn in den allgemeinen Arbeitsmarkt. In die freigewordenen illegalen Arbeitsplätze rücken sofort neue Sans-Papiers nach. Das ist die Crux. Es bleibt dabei: Wer illegal hier ist, muss nach Hause.
31.08.2006