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23.04.1999

Volksvermögen für die AHV

Gold-Initiative: Christoph Blocher will Goldreserven nicht der Solidaritäts-Stiftung geben Interview mit der Aargauer Zeitung vom 23. April 1999 Das Nationalbankgold will er nicht in die Solidaritätsstiftung einzahlen. Christoph Blocher, Zürcher SVP-Nationalrat, will mit einer von der Delegiertenversammlung abzusegnenden Volksinitiative dafür sorgen, dass dieses "Volksvermögen" beim Volk bleibt und in den AHV-Fonds fliesst. Mit Ihrer Initiative wollen Sie das Nationalbank-Gold zugunsten der AHV sichern. Wollen Sie damit die AHV sanieren, oder ist die Idee aus der Opposition gegen die bundesrätliche Solidaritätsstiftung geboren? Blocher: Ich will das Volksvermögen, das in der Nationalbank liegt, wieder dem Volk zuführen. Man könnte dieses Geld dem Volk auch direkt verteilen. Dann würde jeder Schweizer und jede Schweizerin vom Briefträger 3000 Franken erhalten. Wir möchten das Geld aber in den AHV-Fonds legen. Damit ist die AHV besser gesichert, und die Lohnabhängigen müssen weniger Lohnabzüge hinnehmen oder weniger Mehrwertsteuern bezahlen. Demzufolge stimmt der Vorwurf nicht, Sie würden die Initiative aus Opposition zur Solidaritätsstiftung lancieren? Blocher: Wir sind nicht für die Solidaritätsstiftung. Sie ist Ausdruck einer erpressten Situation. So verschleudert man Volksvermögen in eine Einrichtung, durch die man jedes Jahr neu unter Druck gesetzt werden kann. Die SP will das Nationalbank-Gold je zur Hälfte für die AHV und für die Solidaritätsstiftung verwenden... Blocher: Unsere Idee muss offensichtlich gut sein, sonst würden wir jetzt nicht von der SP kopiert. Allerdings machen sie es nur halbbatzig. Weshalb nicht alles Geld in die AHV - hat der AHV-Fonds denn zuviel Geld? Bei der 11. AHV-Revision will der Bundesrat auf 500 Millionen für eine grosszügige Renten-Flexibilisierung verzichten. Eilen Sie jetzt mit diesen Gold-Millionen wie der Ritter in strahlender Rüstung der angeschlagenen Sozialministerin zu Hilfe? Blocher: Selbst mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen 11. AHV-Revision hat der AHV-Fonds jetzt zuwenig Mittel, um die Renten auszuzahlen. Wir müssten diesen Fonds auch dann verstärken, wenn wir die AHV nicht revidieren würden. Je mehr Mittel wir aus den Goldreserven einlegen können, desto kleiner werden Lohnabzüge und Mehrwertsteuerprozente. Die AHV steht 1998 mit 1,4 Milliarden in der Kreide. Da reichen Ihre Goldmillionen zur Sanierung aber auch nicht aus? Blocher: Wir haben bei der Nationalbank zu hohe Goldreserven in der Höhe von über 20 Milliarden. Man könnte sogar noch weitere Milliarden, die nicht benötigt werden, in den AHV-Fonds legen. Wenn man aber diese 20 Milliarden klug anlegt, reicht das Geld aus, um den aktuellen Fehlbetrag von 1,4 Milliarden zu decken. Selbst wenn man diese 20 Milliarden in homöopathischen Dosen veräussert und den Erlös von 300 bis 400 Millionen in die AHV steckt? Blocher: Bei 20 Milliarden bleiben nicht nur 300 Millionen jährlich als Gewinn. Ein Blick auf die Renditen der letzten Jahre der Pensionskassen zeigt, dass daraus 1,5 bis 2 Milliarden jährlich resultieren könnten, wenn dieses Geld richtig angelegt ist. Das entspricht fast einem Lohnprozent. Wo und wie würden Sie die AHV sanieren, damit auch künftige Generationen ihren Rentenbatzen haben werden? Blocher: Wir müssen eine Wirtschaftspolitik betreiben, die zu einer hohen Beschäftigung in der Schweiz führen wird. Das heisst weniger Gesetze, Steuern, Abgaben und Gebühren. Dann wird die Schweiz sehr attraktiv, und sowohl Wirtschaft wie auch Bürger werden trotz tieferen Steuersätzen wieder mehr Steuern zahlen. Also nicht bei der AHV sparen... Blocher: Nein. Wir müssen die AHV, wie sie sich heute darstellt, konsolidieren. Wir dürfen sie aber nicht ausbauen, weil die Leute so etwas nicht bezahlen können. Ist nicht zu befürchten, dass neue Begehrlichkeiten geweckt werden, wenn plötzlich Jahr für Jahr Millionen auf dem Tisch liegen? Blocher: Natürlich; solche Begehrlichkeiten müssen jedoch strikte abgelehnt werden. Im Sozialversicherungsbereich sind gegenläufige Tendenzen auszumachen: Politiker fordern Einsparungen; faktisch werden die Leistungen aber in vielen Bereichen ausgebaut. Heizen Sie mit dieser Gold-Initiative letztere Tendenz nicht noch an? Blocher: Nein. Wenn man für die AHV kein Geld benötigen würde, müsste das überschüssige Nationalbankgold direkt an die Bürger verteilt werden. Das ist aber nicht der Fall. Wir müssen das grosse Loch im AHV-Fonds stopfen. Die Gefahr besteht hingegen tatsächlich dort, wo man Goldreserven bereits via Solidaritätsstiftung verteilt, bevor man sich darüber einig geworden ist, was man überhaupt damit machen soll. Nicht zuletzt deshalb hat man den amerikanischen Kreisen noch in derselben Nacht die Stiftungsidee in englischer Sprache mitgeteilt und so Begehrlichkeiten geweckt. Dagegen wehren wir uns. Das Volksvermögen gehört dem Volk. * * * Zur Sache: Die Volksinitiative der SVP "Die Schweizerische Nationalbank überträgt aus ihrem Bestand die für geld- und währungspolitische Zwecke nicht benötigten Währungsreserven, beziehungsweise deren Erträge auf den Ausgleichsfonds der Alters- und Hinterlassenenversicherung." Mit dieser Neuerung soll nach Ansicht der Schweizerischen Volkspartei (SVP) die Verfassung ergänzt werden. Dies einerseits, weil heute eine "erhebliche Kluft" zwischen festgeschriebener und tatsächlich gelebter Währungsordnung bestehe. Mit dem Bundesrat ist auch die SVP einig, dass die Goldbindung des Schweizer Frankens aufzuheben sei. Dadurch könnten 1300 Tonnen Gold neuen Verwendungszwecken zugeführt werden. Während der Bundesrat 500 dieser 1300 Tonnen in eine Solidaritätsstiftung investieren wollte, wurde auf Antrag der Zürcher SVP an einem Parteitag im Mai 1998 in Aarau beschlossen, dieses Geld der AHV zu erschliessen. An der Delegierten-Versammlung in Schwyz soll jetzt eine entsprechende Volksinitiative abgesegnet werden, nachdem die parlamentarischen Möglichkeiten ergebnislos ausgeschöpft wurden.

20.04.1999

Keine Kompromisse mehr nach links

Christoph Blocher zu den neuen Machtverhältnissen im Kanton Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 20. April 1999 Erdrutschartig haben sich die Gewichte im Kanton Zürich zugunsten der SVP verschoben. Mit 60 von 180 Kantonsratssitzen stellt die Partei die klar stärkste Fraktion und wird in den Kommissionen markant mehr Gewicht haben als heute. Die NZZ wollte von Parteipräsident Christoph Blocher wissen, wie die SVP in der neuen Position agieren wird und wie sie sich die Zusammenarbeit mit den anderen bürgerlichen Parteien vorstellt. Die Fragen stellte Lorenz Baumann. Herr Blocher, die SVP hat auf der ganzen Linie gesiegt. Worauf führen Sie diesen Erfolg zurück? Blocher: Wir stellen seit ungefähr einem Jahr einen Wandel in der Bevölkerung fest, vor allem auch bei den jungen Leuten. Man besinnt sich auf die Werte, die die Schweiz stark gemacht haben, und weiss, dass diese Werte erhalten bleiben müssen, wenn die Schweiz stark sein soll. Die Angst vor "Tabu-Themen" Wie stark ist Ihre Ausländerpolitik ins Gewicht gefallen? Blocher: Wir führten in den letzten Jahren einen mühsamen Kampf gegen Asylrechtsmissbrauch und illegale Einwanderung. Echte Flüchtlinge sollen aufgenommen werden, für die anderen darf die Schweiz nicht attraktiv sein. Flüchtlinge sind zu integrieren, die anderen aber auf die Rückkehr vorzubereiten. Wir haben dieses Thema zum Schwergewicht gemacht, weil wir wissen, dass hier ein ungelöstes Problem besteht. Dafür wurden wir von den andern Parteien getadelt, was uns genützt hat. Sie sagten am Sonntag nach den Wahlen, andere Parteien scheuten sich vor sogenannten Tabu-Themen. Weshalb gibt man der SVP dieses Feld preis? Blocher: Weil Ausländerpolitik unangenehm ist. Man wird von den Massenmedien und der classe politique hart kritisiert. Das Bundeshaus ist eine Gesellschaft für sich, abgeschottet von der übrigen Bevölkerung. Wenn Sie in diesen Kreisen einen Posten wollen - das Parlamentspräsidium oder ein Kommissionspräsidium -, dann dürfen Sie die Tabu-Themen nicht ansprechen. Die SVP hatte die Kraft, es trotzdem zu tun. Welche Politik vertritt die SVP im Kosovo-Konflikt? In welcher Form sollen die Schweiz und der Kanton Zürich helfen? Blocher: Sofern es notwendig ist, soll die Schweiz ihre Kräfte zur Verfügung stellen zum Bau und Betrieb von Flüchtlingslagern an Ort und Stelle. Wenn Flüchtlinge nach Zürich kommen und wir in Albanien Lager betreiben, müssen wir diese Leute sofort in diese Lager zurückschaffen. Solange die Lager nicht stehen, müssen wir auch hier Flüchtlinge aufnehmen, diese aber nicht integrieren, damit sie später wieder heimkehren. Gestärkte innerparteiliche Position Der Wahlerfolg gibt Ihnen Rückendeckung für die Auseinandersetzung mit anderen Kantonalparteien... Blocher: Die Ergebnisse in Zürich haben nicht nur Signalwirkung für die nationalen Wahlen im Herbst, sie sind auch wichtig für die innerparteiliche Auseinandersetzung. Es gab in den letzten Monaten einige Anpasser, die auf Ämter schielten und sagten, man solle eine andere Politik machen. Heute gibt es nichts mehr zu rütteln: Die Politik, die jetzt gewonnen hat, ist die richtige Politik der SVP. Alle andern Kantonalparteien werden merken, welche Politik von der Bevölkerung getragen wird. Das Verhältnis zur FDP Im Zürcher Kantonsrat stellt die SVP neu die stärkste Fraktion. Wie wird sich das Verhältnis der SVP zur FDP verändern? Blocher: Die bürgerlichen Parteien insgesamt sind dank unseren Gewinnen deutlich gestärkt worden. Es ist sogar so, dass FDP und SVP zusammen die absolute Mehrheit haben. Dieser Vorteil lässt sich aber nur ausspielen, wenn die FDP anders politisiert. Sie bekam einen Denkzettel, weil sie laviert hat. Die FDP hat Politiker, die nur auf sich schauen, Leute, die in Einzelfällen fanden, es sei lustiger, mit den Linken zu gehen und mit den Grünen eine Listenverbindung einzugehen. Es wird in Zukunft stark davon abhängen, wie die Freisinnigen politisieren. Wir hoffen, dass diese Partei endlich wieder - wie wir das früher mit Erfolg getan haben - mit uns politisiert, gegen eine sozialistische Politik. Die Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit wären gut. Die SVP ist nun im Übrigen in der Lage, alleine über ein fakultatives Referendum zu bestimmen. In der letzten Legislatur war es allerdings oft die SVP, die bremste, namentlich bei Reformvorhaben. Blocher: Reformen um der Reformen willen können wir nicht unterstützen. Wenn die Verwaltung ausgedehnt und das Recht des Bürgers geschwächt werden soll, machen wir nicht mit. Reformen müssen von einer Werteordnung ausgehen und ein Ziel haben. Im Kanton Zürich sind zu viele technokratische Reformbestrebungen im Gange. Welche konkret? Blocher: Nehmen wir die Verwaltungsreform: Wir müssen am Schluss eine billigere Verwaltung haben, eine effizientere Verwaltung und eine bürgernahe Verwaltung. Wenn nur Reformen kommen mit New Public Management, bei dem niemand weiss, was das ist, wenn die Regierung schlechter kontrolliert werden soll und das Ganze am Schluss noch teurer ist, dann sagen wir Nein. Droht stärkere Polarisierung? Empfindlich geschwächt wurden die Mitte-Parteien, verloren hat die Linke. Droht dem Kanton eine stärkere Polarisierung? Blocher: Wenn die linken Parteien merken, dass es einen Wechsel geben muss, dann werden wir keine Polarisierung machen. Wenn die Linke eine Polarisierung will, werden wir diese aber austragen. Wir sind nicht mehr bereit, Kompromisse nach links zu machen, nur weil man gerne Kompromisse hat. Wir wollen nicht noch mehr Staat, wir dulden den Asylrechtsmissbrauch nicht mehr, wir akzeptieren nicht, dass Rita Fuhrer sich von anderen Parteien abkanzeln lassen muss, weil sie bei den Bosnienflüchtlingen ihre Pflicht tut. Wir haben für unsere Politik vom Volk einen gewaltigen Auftrag bekommen. Der Erfolg in den Wahlen kontrastiert auffällig mit Misserfolgen in zahlreichen Abstimmungen, Stichworte: Lastenausgleich, Herrmann. Worauf führen Sie das zurück? Blocher: Das kann ich nicht sagen. Wir haben beim Lastenausgleich den Kampf nicht geführt, weil wir nicht alles bekämpfen können, das falsch ist, dazu fehlt uns die Kraft. Es ist eine Masche der Regierung, so viele Vorlagen zu bringen, dass der Stimmbürger darin ersäuft. Die Bürger merken später, dass Versprechungen bei Abstimmungen nicht gehalten werden. Solche Niederlagen haben uns glaubwürdiger gemacht. Wird sich die Art des Politisierens im Kantonsrat bei der SVP dank dem grösseren Einfluss in den Kommissionen ändern? Blocher: Mit einer so grossen Fraktion wollen wir früher Einfluss nehmen. Schon am Anfang eines Geschäfts müssen wir daran denken, ob wir ein fakultatives Referendum ergreifen wollen. Wir müssen die Fraktion wie die Partei gemäss unserem Auftrag anders führen. Wir brauchen einen stärkeren Führungsapparat. Unsere Art des Politisierens wird von den Mehrheiten abhängen. Wenn die FDP und die CVP weiterhin mit der SP liebäugeln, werden wir zum Nein-Sagen verdammt sein. Wenn nicht, dann wird die SP zur Nein-Sager-Partei. Kein Platz für Rechtsaussenparteien Wie gewichten Sie die Schlappe der Rechtsaussenparteien? Blocher: Man weiss nicht, welche Wähler von wem zu wem wanderten. 1995 hatten wir 600'000 Parteistimmen, jetzt etwa 900'000. Diese können nicht nur von diesen Parteien kommen. Allerdings: Die Freiheitspartei hat keine eigenen Themen mehr. Wenn die bürgerlichen Parteien richtig politisieren, darf es rechts von ihnen keine Partei geben. Die SVP betrieb vor vier und acht Jahren erfolgreich provokative Wahlkämpfe. Jetzt waren Sie zurückhaltender und noch erfolgreicher. Ein Wandel von Dauer? Blocher: Wir wählen den Stil, den die Zeit braucht. Vor vier und acht Jahren wollten wir schockieren, um ein Thema auf den Tisch zu bringen. Wir sagten: "Das haben wir den Linken und den Netten zu verdanken": den Messerstecher - das hat aufgerüttelt. Jetzt sind die Themen da, wir müssen nur noch argumentieren. Bei den Steuern sagen wir heute: "Steuern runter, damit deinem Schatz mehr zum Leben bleibt" - geradezu eine liebliche Sache. Wenn wir aber merken, dass wir mit dem Thema nicht durchkommen, werden wir wieder provokativ. Es ist alles genau berechnet. Manchmal sind wir auch zu besonderen Methoden gezwungen, weil die Medien die Anliegen eines grossen Teils des Volkes unterschlagen.

19.04.1999

Anker drückt eine tiefe Liebe zu den Menschen aus

Nationalrat Christoph Blocher zeigt zum ersten Mal seine Anker-Sammlung Interview mit der Schweizer Illustrierten vom 19. April 1999 Dass er Kunst sammelt, wussten bisher nur ein paar Eingeweihte. Jetzt tritt Christoph Blocher erstmals mit einem Teil seiner riesigen Kunstsammlung an die Öffentlichkeit. In Biel zeigt er 97 Bilder des beliebten Schweizer Malers Albert Anker (1831 bis 1910). Interview: Peter Rothenbühler Warum sind Sie plötzlich bereit, Ihre Anker-Sammlung der Öffentlichkeit zu präsentieren Christoph Blocher: Mehr der Not gehorchend als dem eigenen Triebe. Herr Gerhard Saner hat mich überzeugt, es zu tun. Aber eigentlich ist diese Sammlung noch gar nicht so weit, dass man sie als Gesamtheit zeigen könnte. Sie haben immerhin 130 Werke von Albert Anker und sind damit der grösste Anker-Sammler überhaupt. Blocher: Die Zahl allein ist nicht massgebend. Ein Sammler ist nie zufrieden. Was hatten Sie denn sonst vor mit der Sammlung? Blocher: Ich habe die Bilder alle bei mir aufgehängt, und ich freue mich jeden Tag daran. Ich habe ja auch die nötigen Wände dazu, zum Beispiel in unserem Schloss im Kanton Graubünden. Ich leihe einzelne Bilder auch für Ausstellungen aus Haben Sie Ihr neues Haus in Herrliberg auch um die Bilder herum gebaut? Blocher: Ja. Ich habe vor allem darauf geachtet, dass es viele Wände hat. Ein gutes Bild wird bei längerer Betrachtung immer schöner. Ich sitze gerne am Esszimmertisch und schaue das Bild an, das mir gegenüber hängt, den "Schulspaziergang". Ich entdecke noch jeden Tag Neues auf dem Bild. Wieviel Geld haben Sie schon in den Ankauf von Anker-Bildern gesteckt? Das müssen ja zig Millionen sein. Blocher: Ich weiss es nicht und will es auch nicht wissen. Wenn ich ein Bild habe, dann denke ich nicht mehr an den Preis. Aber solche Kunst ist auch eine gute Geldanlage. Blocher: Ich sammle nur aus Freude an der Kunst, aber als Unternehmer kann ich nur das Beste kaufen, denn eines Tages, wenn es schlecht gehen sollte und ich plötzlich das Geld im Unternehmen brauche, muss ich die Sammlung auch gut verkaufen können. Es ist doch sicher gut für Ihr Image, sich dem Volk als Kunstliebhaber darzustellen, der etwas Urschweizerisches wie Anker sammelt. Blocher: Hat jemand ein Ansehen, weil er Kunst sammelt? Ich bin bis jetzt immer wegen meiner Politik gewählt worden. Sicher wird auch darüber gelästert. Ich kann machen, was ich will, es wird mir immer eine böse Absicht unterschoben. Denken Sie daran, in dreissig Jahren mal ein Blocher-Museum zu machen? Blocher: Nein, nein, im Moment denke ich überhaupt nicht daran, was mit dieser Sammlung mal passieren wird. Das wäre doch ein schönes Denkmal für Sie? Blocher: Ich brauche kein Denkmal. Ich werde auch mal verlocht wie die anderen Leute. Ich wüsste nicht, wofür ich ein Denkmal bekommen sollte. Sie werden in die Schweizer Geschichte eingehen als der, der zu wichtigen Dingen nein sagte, die dann trotzdem gekommen sind. Das reicht nicht für ein Denkmal. Aber Ihre Kunstsammlung, die wird Bestand haben. Blocher: Mit dem Nein sagte ich gleichzeitig ja zu wichtigen Dingen. Und die werden erhalten bleiben. Ob es für mich mal ein Denkmal geben wird, kann man erst zweihundert Jahre nach meinem Tod entscheiden. Rennen Sie als Sammler eigentlich jedem Anker nach, der irgendwie in den Verkauf kommt? Blocher: Nein. Ich bin wählerisch. Es gibt hingegen Bilder, die ich jahrelang suche. Wenn ich ein solches finde, dann fiebere ich schon. Haben Sie auch schon ein Bild etwas teurer bezahlt, damit es nicht ins Ausland geht? Blocher: Nur einmal, weil ich wusste, dass es ein Japaner kaufen wollte. Ich habe gesagt, wir lassen dieses Bild doch nicht nach Japan gehen, was soll das dort? Aber eigentlich finde ich es nicht schlimm, dass die Kunst auf der ganzen Welt verstreut ist. Ich finde es nur schade, wenn sie in einem Safe verschwindet. Die Bilder von Anker haben viel mit dem zu tun, was Sie als Politiker vertreten: zurück zur heilen Welt. Dr Ätti sitzt auf dem Ofenbänkli, und ds Vreneli strickt fleissig einen Spenzer. Blocher: Wer das sagt, kennt Anker nicht. Anker ist kein Bluemete-Trögli-Maler. Nur Banausen denken so. Dass Anker heute allein aus künstlerischen Gründen weltweit hoch anerkannt ist, daran gibt es nichts mehr zu rütteln. Was die Sujets anbelangt, reiht sich Anker in eine Tradition von grossen Schweizer Künstlern am Ende des letzten Jahrhunderts ein, die alle ähnlich eingestellt waren. Denken Sie an Ferdinand Hodler, der mit Besessenheit unberührte Landschaften gemalt hat, ohne Fabriken, ohne Bauten, ohne Anzeichen der aufkommenden Industrialisierung. Auch ohne Eisenbahnen? Blocher: Ja, ohne Züge. Von Anker gibt es immerhin ein Bild von einem Geometer, der das Land für den Eisenbahnbau vermisst. Oder denken Sie neben Anker und Hodler an Segantini, der als Landschaften ebenfalls die unberührte Bergwelt gemalt hat. Diese Künstler waren alle so etwas wie Kulturkritiker: Sie haben bewusst im Zeitalter der Industrialisierung das Gegebene, das Gewachsene gemalt, das, was ohne Konstruktionen entstanden ist. Die Menschen, die Anker malte, waren doch recht arm. Wer Armut schön darstellt, kann damit auch andeuten, dass er an der Verbesserung der Zustände nicht interessiert ist. Und damit wären wir wieder bei Ihrer Politik. Blocher: Lassen wir diese Unterstellung. Auch dies könnten Sie bei Hodler und Segantini sagen. Anker kam aus einem gut-bürgerlichen Hause, der Vater war Kantonstierarzt in Neuenburg. Segantini und Hodler hatten eine ganz schlimme Jugend in grosser Armut. Segantini hat als Maler in seinen Landschaften auch die Armut dargestellt. Ich glaube nicht, dass er damit die Armut akzeptiert hat. Auch "Der Zinstag" von Anker ist doch eine traurige Szene, die die Abhängigkeit der armen Bauern darstellt. Aber selbst darin hat er das Schöne gesehen. "Die Kinderkrippe" ist ein erschütterndes Bild, aber Anker hat jeden kleinen Kerl mit viel Liebe schön gemalt, denn selbst in dieser Situation ist für jedes Kind Gnade gegeben. Er schreibt in einem seiner Briefe, er wolle bei jedem Menschen das Schöne darstellen. Er wollte das Schöne sehen, und er liebte den Spruch aus dem Buch Hiob: "Siehe, die Welt ist nicht verdammt!" In welchem Alter haben Sie gemerkt, dass Kunst Sie interessiert? Blocher: Das habe ich nie überlegt. Ich hatte schon als Kind immer Freude an Bildern. Noch heute, wo immer ich hinkomme, schaue ich zuerst die Bilder an. Das ist einfach so. Zu Hause hatten wir unter anderen Hodler, Anker und Segantini an der Wand. Natürlich nicht Originale, sondern Drucke. Die Zeitschrift "Beobachter" hat ja jahrelang Schweizer Kunst auf den Titelbildern reproduziert. Die hat mein Vater eingerahmt. Sobald ich etwas Geld hatte, fing ich an, Zeichnungen zu kaufen. Von wem? Blocher: Früher habe ich vor allem Holzschnitte gesammelt, die waren ja auch noch zahlbar. Dann kam ich auf Anker-Zeichnungen, Skizzen. Sehr früh hat mich dann vor allem das Porträt interessiert. Warum? Blocher: Weil in der Einzelfigur die Botschaft von Anker, dass im einzelnen die ganze Welt, der ganze Kosmos gezeigt werden kann, noch besser zum Ausdruck kommt. Die Porträtierung des einzelnen drückt auch die tiefe Liebe zum Menschen aus. Anker hat vor allem ganz junge und ganz alte Leute gemalt. Ich habe Bilder von Greisen, die kurz vor dem Tod stehen, die immer schön sind. Er hat auch Menschen auf dem Totenbett gemalt. Und keine im besten Mannes- oder Frauenalter. Blocher: Wenig. Das hat damit zu tun, dass ihn das werdende Leben und das vergehende Leben am meisten interessiert haben. Mit welcher Figur, die Anker gemalt hat, würden Sie sich persönlich am meisten identifizieren? Blocher: Mit dem Buben, der auf das Plakat kommt. Er hat ja ein Buch in der Hand, hat also alles, worauf man heute soviel Wert legt, Bildung und Studium und so. Aber er schaut misstrauisch über das Buch hinweg in die Welt hinaus. Ich war immer skeptisch gegen alles Dogmatische. Sie sind aber nicht gegen das Bücherlesen? Blocher: Nein, ich lese wahnsinnig viele Bücher, immerzu, vor allem nachts, wenn ich nicht schlafen kann, am liebsten Biographien. Ich lese gerade die Lebensgeschichten von Segantini und Hodler. Ich will herausfinden, in welcher Relation die Lebensgeschichte zum Werk der Künstler steht. Wie würden Sie in einem Kurzporträt die Persönlichkeit Albert Anker umschreiben? Blocher: Er stammte aus bürgerlichem Haus, war gebildet, war ein sehr ernster Mann, hatte einen Bart, stechende Augen, war ein guter Beobachter, er lebte im Sommer in Ins, im Winter in Paris. Er war sicher ein sehr rechtschaffener Mann, hat sich um seine Familie gekümmert und nie über die Schnur gehauen. Er sprach meistens französisch, weil er in Neuenburg aufgewachsen ist. Er hat in Deutschland studiert, war in Italien. Was gibt Ihnen die Kunst von Anker ganz persönlich? Blocher: Sehr viel Kraft. Sie gibt das Wissen, dass man in dieser Welt bestehen kann, die Gewissheit, dass man nicht untergeht, auch wenn es noch so schwierig wird. Das ist besonders heute wichtig, wo so viele behaupten, die Welt werde untergehen, wenn man nicht dieses oder jenes täte. Diesem Grössenwahn stellt Anker das "Siehe, die Welt ist nicht verdammt" gegenüber. Was empfehlen Sie den Besuchern der Anker-Ausstellung? Wie sollen sie die Bilder betrachten? Blocher: Es sollte jeder möglichst unvoreingenommen an die Bilder herangehen. Er soll sich keine Mühe geben, die Bilder schön zu finden. Wenn jemand ein Bild schön findet, umso besser. Ich will überhaupt nicht erzieherisch wirken. Kunst ist kein Buch, das man auswendig lernen muss. Mir gefallen auch die Titel von Anker, er will gar nichts Besonderes erzählen, er nennt sein Bild "Strickendes Mädchen" oder "Kaffee und Kartoffeln". Punkt. Entweder sieht jemand die Schönheit der Kaffeekanne und der Kartoffeln, oder er sieht sie eben nicht und sagt, wegen einer solchen blöden Kaffeekanne bin ich bis nach Studen gefahren. Warum haben die meisten Menschen auf Ankers Bildern eher traurige Augen? Blocher: Es gibt nur ganz wenige Bilder, auf denen Menschen lachen. Meistens sind es Kinder, wenn sie ein Bäbi oder eine Katze bei sich haben oder Schabernack treiben. Aber Leute, die allein sind und etwas tun, lachen nicht. Das entspricht auch der Wirklichkeit. Wir müssen immer "grinsen", vor allem für Fotos, aber eigentlich lachen wir doch nicht vom Morgen bis zum Abend, vor allem nicht, wenn wir allein sind. Kinder, die etwas tun, sind ganz konzentriert bei der Sache, machen ein ernstes Gesicht, wenn sie lismen, malen oder Aufgaben machen. Das ist ein wichtiges Thema bei Anker: Seine Leute sind bei der Sache. Im Gegensatz zu vielen "namhaften" Leuten. Die Manager rennen über Nacht aus der Bude raus, wenn es ihnen nicht mehr passt. In der Politik macht auch jeder etwas Neues: Ich habe ja in Bern gar keine Gegner mehr. Alle sind verreist. Der eine geht in den Walliser Staatsrat, dort ist er auch schon wieder draussen, der Ledergerber verschlauft sich im Zürcher Stadtrat, Jaeger, mit dem ich oft die Klinge gekreuzt habe, geht zurück an die Universität und verkündet dort plötzlich, was er früher bekämpfte. Haben Sie kein Interesse an moderner Kunst? Blocher: Ich will es so sagen: Ich habe es schwer mit nichtgegenständlicher Kunst. Ich schaue auch ein Bild von Max Bill sofort an, es gefällt mir auch in den Farben und Formen, aber ich könnte es nicht zu Hause aufhängen und dauernd anschauen. Wenn ich auf Geschäftsreisen in die Kunsthäuser gehe, interessiert mich alles, aber als Sammler habe ich mich auf die Schweiz des neunzehnten Jahrhunderts konzentriert, mit Anker als Schwergewicht * * * Die Fondation Saner befindet sich in Studen bei Biel, an der Autobahn Bern-Biel, Ausfahrt Studen. Die Ausstellung "Albert Anker - Sammlung Christoph Blocher" ist vom 25. April bis am 29. August 1999 zu folgenden Zeiten geöffnet: Freitag, 17.00 bis 20.00 Uhr, Samstag und Sonntag, 10.00 bis 17.00 Uhr. Gruppen nach Vereinbarung. Parkplätze sind vorhanden. Telefon 032 - 373 13 17, Fax 032 - 373 40 09.

15.04.1999

Wir müssen so viele Truppen schicken, wie es braucht!

Blocher bricht nach drei Abstimmungsniederlagen - LSVA, Neat-Finanzierung, Hauseigentümerinitiative - sein Schweigen. Interview mit der "Basler Zeitung" vom 15. April 1999 Nach einer Schweigepause meldet sich SVP-Nationalrat Christoph Blocher zurück. Er fordert den Schluss der Bombardements und einen Grosseinsatz von unbewaffneten Schweizer Hilfstruppen im Kosovo-Konflikt. Zugleich kritisiert er die Rettungsaktion von Ruth Dreifuss - und attackiert die geplante Solidaritätsstiftung aufs Gröbste. Interview: Catherine Duttweiler und Pierre Weill Herr Blocher, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Bilder der Kosovo-Flüchtlinge sehen? Christoph Blocher: Dieser Konflikt ist entsetzlich. Das kommt davon, wenn eine Seite einen Bodenkrieg und die andere Seite einen Luftkrieg mit sinnlosen Bombardierungen führt - dann fliehen die Menschen. Wie hätten Sie versucht, den Konflikt zu lösen? Blocher: Man hätte diese Bombardierungen nicht durchführen dürfen. Denn die Nato und die USA, die in der Lage wären, diesen Krieg zu führen, sind nicht wirklich bereit dazu. Ich verstehe dies, denn einen Krieg dort zu führen und zu gewinnen heisst, dass man unglaubliche Menschenopfer erbringen muss, und zwar auf beiden Seiten. Die Serben sind dazu bereit, aber die Nato-Staaten wollen diese Opfer nicht erbringen. Wenn man dazu nicht bereit ist, kann man eigentlich nur töten - wie dies jetzt der Fall ist. Sie würden die Bombardierungen also einstellen? Blocher: Es ist schwierig zu sagen, ob es jetzt richtig wäre, aufzuhören und einen Waffenstillstand zu schliessen. Ich würde meinen, ja. Man sollte Russland entgegenkommen, das Friedensbemühungen unternimmt. Die Amerikaner haben die Nato aktiviert, weil ein Vorstoss bei der UNO durch das Veto der Russen und der Chinesen blockiert worden wäre. Die USA haben Russland tief gedemütigt. Damit haben die USA den Russen gezeigt, dass ihr Land keine Weltmacht mehr ist. Einen Schwachen aber sollte man nie demütigen. Wo kann die Schweiz helfen, angesichts des riesigen Flüchtlingselends? Blocher: Noch nie ist in den letzten zehn Jahren die Neutralität so im Vordergrund gestanden. Diese wäre jetzt ganz wichtig. Leider werden wir als Neutrale nicht mehr ganz ernst genommen, weil der Bundesrat dauernd seine Sympathien in Erklärungen ausdrückt. Es gibt nichts als die humanitäre Hilfeleistung. Das heisst, man muss unverzüglich für die Kriegsflüchtlinge sorgen. Allerdings nicht, indem man sie hier integriert! Sondern? Blocher: Kriegsflüchtlinge müssen unverzüglich aufgenommen werden in Flüchtlingslagern. Für ihre primitivsten Bedürfnisse muss gesorgt werden: Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf. Wir verfügen in der Schweiz über Formationen, die derartige Hilfe leisten könnten, beispielsweise unsere Betreuungseinheiten. Die Schweizer Armee soll also ganze Einheiten ins Grenzgebiet entsenden, anstelle der drei Superpumas? Blocher: Jawohl, wenn es nötig ist. Wir müssen so viele unbewaffnete Truppen schicken, wie es braucht. Drei Pumas können nicht genügen. Katastrophenhilfe durch Truppen eines neutralen Staates ist glaubwürdig, denn es gibt immer Flüchtlinge auf beiden Seiten, auch bei den Serben. Sie beharren darauf, dass die Hilfstruppen unbewaffnet sind. Die Schweizer Festungswächter, die bereits im Krisengebiet weilen, sind zum eigenen Schutz leicht bewaffnet, aber Piloten und Mechaniker der Superpumas müssen von ausländischen Soldaten beschützt werden. Das ist doch absurd! Blocher: Nein. Was heisst Selbstschutz? Es ist eine romantische Vorstellung, wenn man glaubt, eine Pistole genüge. Wenn sie selber eine Pistole mitnehmen, dann hat der Angreifer schwere Waffen, dann müssen sie Schützenpanzer haben und so weiter. Die Amerikaner sagen heute eindeutig: "Humanitärer Einsatz und Intervention mit bewaffneten Truppen decken sich nicht." Was soll mit jenen Flüchtlingen passieren, die innerhalb der nächsten Wochen in die Schweiz einreisen, etwa weil sie hier in der Schweiz Verwandte haben? Blocher: Grundsätzlich sollen diese Flüchtlinge in Lagern untergebracht werden. Wenn man sie genau registriert und es wirklich Familien gibt, die sie privat aufnehmen wollen, wäre ich einverstanden, dass sie später privat untergebracht werden. Aber wir dürfen sie nicht integrieren! In der Schweiz glaubt man, wir müssten den Flüchtlingen in einer Woche Deutsch lehren und sie in die Schule schicken. Dabei dürfen wir keinerlei Anstrengungen unternehmen, dass diese Flüchtlinge hier bleiben. Laut der Asyl-Initiative, die Sie im Februar lanciert haben, müssten vorläufig aufgenommene Flüchtlinge, beispielsweise aus dem Kosovo, interniert werden. Sie würden also von ihren Familien getrennt. Diese Forderung finden wir angesichts des grossen Elends unhaltbar. Blocher: Überhaupt nicht. Es gibt einfach keinen Rechtsanspruch für Flüchtlinge und Asylsuchende, die aus sicheren Ländern kommen, aber Flüchtlingshilfe schliesst dies nicht aus. Die Kosovo-Albaner kommen nicht aus einem sicheren Land. Ziehen Sie Ihre Initiative zurück? Blocher: (lacht) Sie können ja schreiben, er lacht, aber er sagt nichts... Wieso wehren Sie sich so gegen die Einwanderung? Die Schweiz ist überaltert. Die AHV hat Probleme. Wäre es wirklich so katastrophal, wenn jetzt junge, gut ausgebildete Leute hierher kämen? Blocher: Ich kenne kein Land, das so viele Ausländer hat wie die Schweiz. Ich wehre mich gegen eine unkontrollierte Masseneinwanderung. Ich kenne Kleinbasel nicht, aber nehmen Sie zum Beispiel Zürich, den Schulkreis Limmattal. Da sind 75 Prozent der Schüler Ausländer und in gewissen Klassen werden acht, neun Sprachen gesprochen. Wenn viele Leute kommen, die nicht ausgebildet sind und aus völlig anderen Kulturen stammen, schafft das Probleme. Diese Last tragen nicht wir, die tragen andere - auch wenn Frau Dreifuss 20 Flüchtlinge mit in die Schweiz bringt. Ich habe gedacht, sie nähme sie wenigstens zu sich nach Hause. Das ist eine eigenartige Geschichte. Würden Sie denn in Ihrer Villa einige Zimmer für Flüchtlinge räumen? Blocher: Nein, aber ich habe keine zwanzig Flüchtlinge in die Schweiz mitgenommen und mache auch keine Propaganda damit. Das wäre ja widerrechtlich. Wieso widerrechtlich? Die symbolische Aktion der Bundespräsidentin war mit den Behörden abgesprochen. Blocher: Darf die Bundespräsidentin mehr als andere Menschen? Kann ich auch auf Staatskosten ein Lager anschauen und dann zwanzig Flüchtlinge mitnehmen - um zu zeigen, dass ich ein guter Mensch bin? Es geht doch gar nicht mehr darum, dass die Flüchtlingsfrage gelöst wird. Es geht nur um die eigene reine Weste, darum, dass man sagen kann: "Schaut her, ich habe geholfen." Deshalb schickt man lächerlicherweise auch drei Pumas. Aber diesen zwanzig Menschen hat Ruth Dreifuss wirklich geholfen. Ihnen geht es jetzt besser als vorher. Blocher: Zu Lasten von anderen. Von wem? Blocher: Von allen Schweizern. Ist das nicht kleinlich? Die Schweiz als reiches Land vermag doch wenigstens einer kleinen Gruppe zu helfen? Blocher: Natürlich. Ich habe nicht gesagt, dass wir es nicht vermögen. Es geht um die Haltung, die dahinter steckt, diese Wichtigtuerei. Dreifuss kann jetzt sagen, sie habe zwanzig Leute gerettet. Dabei hat sie keinen Streich dafür getan, nicht einmal das Flugticket hat sie selber bezahlt. Sie selber hatten nie das Bedürfnis, etwas für die Flüchtlinge zu tun? Blocher: Wichtig zu tun? Nein, Hilfe zu leisten! Blocher: Wichtigtuerei, darum geht es. Ob und wo ich Hilfe leiste, ist meine Privatsache, sonst würden Sie es auch an die grosse Glocke hängen (lacht). Die Betreuung der Flüchtlinge muss finanziert werden. Könnten Sie sich vorstellen, dass diese Gelder aus der geplanten Solidaritätsstiftung für die Hilfe verwendet würde? Blocher: Dafür brauchen wir keine Solidaritätsstiftung. Dies ist nur eine weitere Heuchelaktion. Man will solidarisch sein - indem man dem Volk ein paar Milliarden Franken wegnimmt. Man nimmt dem Volk nicht Geld weg, man fragt es. Blocher: Wie fragt man es? Jetzt haben sie schon mal einen Dreh gefunden, dass keine Verfassungsabstimmung über die Solidaritätsstiftung durchgeführt werden muss. Nein, für die Unterstützung von Flüchtlingen und Asylbewerbern brauchen wir keine Solidaritätsstiftung. Die Solidaritätsstiftung soll auch im Inland Arme und Jugendliche unterstützen. Sind Sie auch dagegen? Blocher: Ich kenne diese Mätzchen. Jetzt versucht man, die Stiftung dem Volk schmackhaft zu machen. Jetzt sagt man plötzlich, das hat alles nichts mit dem Zweiten Weltkrieg, dem Holocaust zu tun. Zudem wehre ich mich dagegen, dass man Geld verteilt, das dem Schweizervolk gehört. Falls aber das Schweizervolk in einer Abstimmung der Stiftung zustimmt, entfällt dieses Argument. Blocher: Natürlich. Wenn das Schweizervolk ja sagt, bekämpfe ich die Solidaritätsstiftung nicht mehr. Aber ich werde mich vorher mit Händen und Füssen dagegen wehren. Wenn wir diese Stiftung realisieren, wird die Schweiz jedes Jahr unter Druck gesetzt werden. Wie soll die Schweiz unter Druck gesetzt werden, und von wem? Blocher: So wie sie es bisher gemacht haben. Was wollen Sie damit sagen? Der Verwendungszweck der Gelder ist genau umrissen. Blocher: Diese Gelder wurden versprochen, als die Stiftung angekündigt wurde. In derselben Nacht wurde den amerikanischen Kreisen übermittelt, was wir tun werden. Der Vizepräsident der USA hat am Weltwirtschaftsforum in Davos auf diese Stiftung gepocht. Andere Kreise pochen darauf. Es sind die gleichen, die uns sagten, wir müssten für die Wiedergutmachung für den Zweiten Weltkrieg zahlen. Es sind die gleichen. Wer denn? Blocher: Es ist der Jüdische Weltkongress. Dieser kann gar nicht mehr klagen, denn er ist Teil der Globallösung, auf die sich die Banken mit den Sammelklägern und dem Jüdischen Weltkongress geeinigt haben. Alle Beteiligten sind verpflichtet, keine weiteren Klagen zu erheben. Blocher: Sie müssen nicht mehr klagen, Druck ausüben kann man immer. Und es können auch andere Kreise Appetit bekommen. Deshalb werden wir in zehn Tagen die Lancierung einer Volksinitiative beschliessen: Wir fordern, dass die überschüssigen Goldreserven der Nationalbank nicht in die Solidaritätsstiftung, sondern in die AHV geleitet werden. Warum sollen die Überschüsse ausgerechnet für die AHV verwendet werden? Ihr Vorschlag ist sicherlich populär, aber ordnungspolitisch völlig falsch: Sie betreiben damit reine Symptombekämpfung. Das strukturelle Defizit der AHV bleibt erhalten. Blocher: Ich habe nicht gesagt, dass wir damit sämtliche Probleme der AHV lösen. Tatsache ist, dass wir für die AHV entweder weitere Lohnabzüge oder zusätzliche Prozente bei der Mehrwertsteuer brauchen. Wenn Sie den Goldüberschuss in den AHV-Fonds einzahlen und nur die Erträge verwenden, sparen wir etwa 0,5 bis ein Lohnprozent ein. Man könnte das Geld aber auch noch anders zurückführen. Man könnte das Geld dem Volk verteilen: Jeder Schweizer würde 3000 Franken erhalten; doch dies könnte wegen der höheren Kaufkraft zu Inflationsproblemen führen. Man muss das Geld also so einsetzen, dass es allen zugute kommt. Beim AHV-Fonds ist dies so. Weshalb spielen Sie die beiden Vorschläge zur Verwendung des Goldes gegeneinander aus? Was spricht gegen den Kompromissvorschlag der SP, Nationalbank-Gold sowohl für die AHV als auch für die Solidaritätsstiftung zu verwenden? Blocher: Ja, die Linken waren sehr beunruhigt über meinen Vorschlag. Das habe ich bemerkt... Der Vorschlag, Nationalbank-Gold für die AHV zu verwenden, kommt ursprünglich von der SP selbst! Blocher: So, das ist mir neu. Warum aber nur ein Teil dessen, was dem Volk gehört, diesem zukommen lassen? Sie scheinen wenig kompromissbereit. Sie lancieren ihre Initiative gegen die Solidaritätsstiftung, weil Sie dringend ein populäres Wahlkampfthema suchen - denn mit Ihren bekannten Positionen in der Europa- und Asylpolitik sind derzeit nicht allzu viele Stimmen zu holen. Blocher: Woher nehmen Sie das? Ich führe jetzt seit 22 Jahren die Zürcher SVP, und ich muss Ihnen sagen, wir haben weit unten angefangen. Wir legen alle vier Jahre zu. Wir haben mit vier Zürcher Nationalräten angefangen, heute haben wir neun, und es sieht nicht so aus, als würden wir nächsten Sonntag die Zürcher Kantonswahlen verlieren... Wir reden nicht vom Kanton Zürich, wo Sie zweifellos Erfolge vorzuweisen haben. Wir reden von der nationalen Ebene. Also: Lancieren Sie Ihre seit eineinviertel Jahren gut gelagerte Initiative erst jetzt, weil Sie AHV und Solidaritätsstiftung zum Thema im Nationalratswahlkampf machen wollen? Blocher: Nein. Wir haben zuerst den parlamentarischen Weg ausgeschöpft, daher die Verzögerung. Aber offenbar haben wir ein gutes Thema gewählt, wenn Sie es für wahlkampfwürdig halten (lacht). Uns fällt auf, dass Sie in letzter Zeit auf der nationalen Ebene kaum präsent waren. Es ist beispielsweise bekannt, dass Sie gegen die neue Bundesverfassung sind - aber aus dem Abstimmungskampf haben Sie sich völlig herausgehalten! Blocher: Das ist nichts Neues. Es fällt in letzter Zeit nur mehr auf, weil bei jeder Vorlage darauf geachtet wird, wo der Blocher steht. Ich war im Laufe meiner Zeit bei Dutzenden von Vorlagen anderer Meinung als der Bundesrat, ohne den Kampf überall zu führen. Man muss wissen, was wesentlich und wichtig ist. Beim Kernthema Ihrer Politik, der Europafrage, haben Sie sich aber ebenfalls um eine Stellungnahme gedrückt: Sie haben sich noch immer nicht festgelegt, ob Sie die bilateralen Verträge mit einem Referendum bekämpfen wollen! Blocher: Das sage ich, wenn es soweit ist! Die Vernehmlassungsfrist ist am Dienstagabend abgelaufen. Blocher: Ich lasse mir Zeit bis im Herbst, bis die Vorlagen im Parlament verabschiedet sind. Es gibt Dinge, die ich sehr früh einleite. Bei der Frage der Entsendung von bewaffneten Truppen ins Ausland etwa engagiere ich mich frühzeitig. Dieser Kampf muss an vorderster Front geführt werden - in einer Volksabstimmung. Das Gesetz, welches bewaffnete Truppen im Ausland vorsieht, ist dem Volk vorzulegen. Bei den bilateralen Verträgen aber verschiesse ich doch nicht das Pulver, bevor ich überhaupt weiss, was im Detail darin steht. Es kommt ja jeden Tag etwas Neues hervor. Dass das schlechte Verträge sind, ist mir klar. Aber es könnte ja sein, dass man auch schlechte Verträge schlucken muss! Beim EWR haben Sie nicht so lange zugewartet... Blocher: ...weil die Sache eindeutig war. Wir sagten damals: Entweder wir erhalten ein Vetorecht, oder der EWR wird bekämpft... ...und diesmal ist Ihr Spielraum für einen Abstimmungskampf viel kleiner. Der Bundesrat ist geschickt vorgegangen und kann beim heikelsten Dossier, dem Personenverkehr, nochmals Stellung beziehen, bevor die Personenfreizügigkeit in die entscheidende Phase tritt. Ihnen sind die Hände gebunden! Blocher: Mir sind nirgends die Hände gebunden! Sie haben in letzter Zeit mehrere Niederlagen an der Urne einstecken müssen, während der Bundesrat die letzten zehn Volksabstimmungen gewonnen hat. Am Sonntag werden Sie mit Ihrer Opposition gegen die neue Bundesverfassung vermutlich erneut unterliegen. Sind Sie deshalb so schweigsam geworden? Blocher: Ja, die Bundesverfassung, das ist schon eine traurige Angelegenheit (grinst). Ich muss Ihnen sagen, ich habe, seit ich Nationalrat bin, zu achtzig Prozent Niederlagen eingesteckt. Auch wenn Sie diese scheinbar locker wegstecken: Sie haben in letzter Zeit wenig Erfolg gehabt. Auch Ihre "Jubiläumsspende" ist gescheitert: Anstelle von 50 Millionen Franken sind nur 3,5 Millionen zusammengekommen. Blocher: Das war zumindest eine der wenigen echten solidarischen Aktionen im Jubiläumsjahr! Dann ist es also aus einem anderen Grund in letzter Zeit so ruhig geworden: Sie haben eine Kunstpause eingelegt - um danach wieder umso wirkungsvoller ins Rampenlicht zu treten! Blocher: Ich lege hier gewiss nicht meine Taktik offen. Aber vielleicht liegen Sie gar nicht so falsch.

15.04.1999

«Dieser Krieg beseitigt das Elend nicht»

Streitgespräch mit Nationalrat Andreas Gross in der Weltwoche vom 15. April 1999 Wie weiter im Kosovo-Konflikt? Militärkritiker Andreas Gross (SP) begrüsst das Nato-Bombardement, Oberst Christoph Blocher (SVP) ist dagegen. Gespräch: Martin Furrer und Martin A. Senn Irritiert nehmen wir zur Kenntnis, dass der Pazifist Andreas Gross den Krieg der Nato gegen Serbien befürwortet, während Oberst Christoph Blocher ihn ablehnt. Andreas Gross: Mich einen Befürworter des Nato-Krieges zu nennen wäre zu dick aufgetragen. Es gibt berechtigte Argumente für diese militärische Intervention. Sie ist völkerrechtlich zwar illegal, aber legitim. Legitim? Gross: Ja. Zehn Jahre lang hat der Westen auf dem Balkan Fehler gemacht und viele Zeichen ignoriert. Jetzt blieb keine andere Möglichkeit mehr, als zwischen zwei Übeln zu wählen, nämlich den serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic gewähren zu lassen oder alles zu tun, um das Massaker an der kosovo-albanischen Bevölkerung selbst mit Gewalt zu verhindern. Die Intervention der Nato, das ist für einen Pazifisten eine so grausame wie wahre Erkenntnis, ist nötig. Christoph Blocher: Einen Krieg zu führen, um Völkermord zu verhindern, ist ein berechtigtes Motiv. Nur muss man das Ziel auch erreichen. Die Nato will dem Westen weismachen, sie könne diesen Krieg ohne eigene Verluste führen. Es kommt mir vor, als würde dort Krieg als Computerspiel betrieben. Hier wollen Politiker ihr Gesicht wahren. Ich höre, dass die amerikanischen Militärs den Politikern von einer Bombardierung Serbiens abgeraten hatten. Zu Recht. Krieg darf nur führen, wer ein klares Ziel hat und bereit ist, das Leben zu opfern. Sonst muss man es unterlassen. Beides kann ich auf Nato-Seite nicht erkennen. Wenn Sie, Herr Gross, behaupten, dieser Krieg sei gerechtfertigt, wissen Sie nicht, was Sie sagen. Würden Sie als Regimentskommandant, Herr Blocher, den Einsatz von Bodentruppen befürworten? Blocher: Dieser Krieg lässt sich ohne Bodentruppen nicht gewinnen. Aber die Nato-Staaten sind nicht bereit, Opfer zu bringen. Ich habe dafür Verständnis. Dieser Krieg beseitigt das Elend nicht, das er bekämpfen will. Die Nato-Bomben haben das Flüchtlingschaos vergrössert, ohne Aussicht auf Besserung. Das Sagen haben die Militärs. Wie könnte das Politische wieder die Oberhand gewinnen? Blocher: Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Ob Krieg geführt wird, müssen die Politiker bestimmen, und sie haben es auch getan. Gross: Das eigentliche Problem ist aber, dass gigantische politische Fehlleistungen vor zehn Jahren die jetzige Situation geschaffen haben. So hat der Westen unterschätzt, dass die ethnischen Säuberungen von Anfang an das Hauptziel Milosevics gewesen sind. Die Vertreibung der Kosovo-Albaner hat schon vor dem Nato-Einsatz eingesetzt. Tragisch ist, dass die Kosovo-Albaner, die jahrelang eine gewaltlose Strategie eingeschlagen hatten, von der internationalen Völkergemeinschaft nicht ernst genug genommen wurden. Noch im Dayton-Abkommen war das Kosovo bloss ein Pfand, das man Milosevic überlassen konnte. Blocher: Für die aktuelle Situation spielt die Frage, was man früher hätte besser machen sollen, keine Rolle. Es ist von den Tatsachen auszugehen. Gross: Doch, für die Beantwortung der Frage, ob und warum die Politik abgedankt habe, ist das wichtig. Blocher: Ich meine auch nicht, dass die Politik abgedankt hat. Tragisch ist aber, dass es letztendlich der Nato nur noch darum geht, das Ansehen zu wahren. Um so mehr erstaunt mich, dass der einstige Armeeabschaffer Gross jetzt dem Krieg applaudiert. Gross: Von Applaus kann keine Rede sein, höchstens von bitterem Realismus. Ich will im Gegensatz zu Herrn Blocher nicht den kleinen Feldherrn spielen, der aus der sicheren Schweiz heraus der Welt erklärt, was zu tun sei. Blocher: Das ist ein billiger Vorwurf. Auch Sie kritisieren ja die anderen. Gross: Ich sage nur meine Meinung. Blocher: Ich auch. Sie sprechen von Fehlern, die 1989 gemacht worden seien. Sie scheinen vieles besser zu wissen. Gross: Wenn wir über die Legitimität dieses Krieges sprechen, müssen wir die Frage nach der Verhältnismässigkeit des Vorgehens stellen. Die Gefahr, dass dieser Krieg eskaliert, ist sehr gross. Man sollte darum auch dem Gegner immer wieder die Chance geben, einen Waffenstillstand schliessen zu können. Sie übersehen, Herr Blocher, dass es beim Krieg auf dem Balkan auch um den fundamentalen Selbstwert der europäischen Kultur geht: Die Muslime gehören zu Europa, es ist die Aufgabe Europas zu verhindern, dass sie aus ihrer Heimat vertrieben werden. Zweitens muss Europa Russland helfen, seine Rolle als Brückenbauer in diesem Konflikt spielen zu können. Blocher: Dieser Konflikt darf nicht zu einem Dritten Weltkrieg eskalieren. Entweder man führt ihn mit klarem Ziel und unter grossen Opfern, oder man lässt die Finger davon. Ob ein Waffenstillstand jetzt richtig ist, weiss ich nicht. Vielleicht. Für Sie, Herr Blocher, ist der Genozid im Kosovo kein Interventionsgrund? Blocher: Doch, aber nur, wenn weitere Gewalt damit verhindert wird. Durch die Luftangriffe wird das Elend noch vergrössert… Gross: …nein, auf keinen Fall. Das ist eine Ignorierung und Verharmlosung dessen, was vorher war… Blocher: …doch, im Moment richten sie mehr Schaden an als Nutzen. Übrigens gilt es zu bedenken, dass in der Vergangenheit auch die Serben Opfer von ethnischen Säuberungen geworden sind. Beide Seiten haben Grausamkeiten begangen. Gross: Europa hat sich zu rasch der Logik der ethnischen Säuberungen unterworfen. Die Schweiz und Deutschland haben Kroatien und Slowenien zu schnell anerkannt. Man hat zu lange mit Milosevic verhandelt, die Schweiz hat die serbischen Oppositionellen zuwenig unterstützt. Jetzt eint die militärische Intervention Serbien. Die Schweiz leistet humanitäre Hilfe vor Ort und wartet auf die Flüchtlinge. Auch sie ist ohnmächtig. Gross: Es gibt immer wieder Situationen im Leben, wo man zur eigenen Ohnmacht stehen muss. Verheerend an der militärischen Logik ist, dass sie vorgibt, die Ohnmacht sofort überwinden zu können. Blocher: Aktivismus muss oft die Tatsache verdecken, dass jemand machtlos ist. Als Unternehmer muss ich manchmal auch auf Aktivitäten verzichten, weil die Kräfte dazu fehlen. Gross: Europa kann in seiner Südosteuropa-Politik nicht zehn Jahre lang Fehler begehen und meinen, diese im elften vergessen machen zu können. Unter Aussenminister Flavio Cotti wollte sich die Schweiz vermehrt aussenpolitisch engagieren. Blocher: Engagement als solches sagt noch gar nichts. Es gibt gescheites und dummes Engagement. Aktivität als solche kann kein Ziel sein. Bundesrat Adolf Ogi hat gesagt: Wir müssen zur Krise gehen, sonst kommt die Krise zu uns. Das leuchtet doch ein. Blocher: Das sind Werbesprüche für den Einsatz bewaffneter Truppen im Ausland. In Tat und Wahrheit müsste der Satz lauten: Gehen wir zur Krise, dann haben wir sie auch bei uns. Der Schweiz ist es gelungen, dank ihrer bewaffneten Neutralität den Krieg während zweihundert Jahren von ihrem Territorium abzuwehren. Wenn ich sehe, wie leichtfertig gewisse Militärs heute den Gegner ausserhalb der eigenen Grenzen schlagen wollen, verwundert mich das darum sehr. Gross: Adolf Ogi hat wie meist das Herz auf dem rechten Fleck. Aber manchmal greift er in seinen Aussagen zu kurz. Die Schweiz muss künftig Krisen verhindern helfen. Sollten sie nicht zu verhindern sein, muss sie wenigstens mithelfen, deren Konsequenzen zu lindern. Das heisst Engagement vor Ort und Solidarität in der Flüchtlingspolitik. Blocher: Gegen Flüchtlingspolitik hat niemand etwas einzuwenden. Gerade für einen neutralen Staat würde sich hier ein offenes Feld ergeben. Dadurch könnte viel zur Konfliktverminderung beigetragen werden. Doch der Bundesrat hat, indem er den Einsatz der Nato gegen Serbien unnötigerweise offiziell begrüsst hat, leider viel Goodwill verspielt. Wer in einem Krieg Stellung nimmt, ist Partei! Wie könnte die Schweiz ihrer Rolle gerecht werden? Sie ist als Vermittlerin gerade in diesem Konflikt nicht gefragt. Blocher: Woher wissen Sie das? Die Schweiz kann Lager für Kriegsflüchtlinge errichten… Gross: …Lager? Die Unterbringung bei Verwandten ist viel sinnvoller… Blocher: …und diese Lager baut man am besten vor Ort. Nur für den Neutralen ist Hilfe auf beiden Seiten möglich. Es gibt ja fast nur noch parteiische Staaten. An sich wäre ja die Uno zuständig, doch im Uno-Sicherheitsrat wäre der Truppeneinsatz durch ein Veto Russlands und Chinas verhindert worden. In dieser Situation sollte der Kleinstaat Schweiz nicht auch noch Partei nehmen und mit einem Nato-Beitritt liebäugeln. Gross: Wenn Herr Blocher und ich übereinstimmend feststellen, die Schweiz sei ohnmächtig, so deshalb, weil wir beide nicht so anmassend sind zu glauben, das Desaster auf dem Balkan hätten wir als Schweizer verhindern können. Kann die Schweiz zur Verhinderung künftiger Konflikte etwas beitragen? Gross: Ja, indem sie es gemeinsam mit allen anderen versucht in der Uno, der EU, mit der OSZE, sogar in Absprache mit der Nato. Jetzt stellt sich die Frage: Was können wir tun, damit ein Waffenstillstand zustande kommt? Und? Gross: Die Schweiz ist zwar nicht mehr so archaisch neutral, wie das Herr Blocher gerne hätte, aber auch nicht direkt Partei. Unter der Obhut von Russland, Österreich, Schweden oder der Schweiz könnte eine Konferenz zur längerfristigen Befriedung der Völker auf dem Balkan und zur Festigung der Grenzen aufgebaut werden, so wie das die KSZE 1973 in Helsinki versucht hat. Und die Schweiz könnte sich an einer Schutztruppe für den Kosovo unter Obhut der Uno beteiligen. Bewaffnet oder unbewaffnet? Gross: Ohne Bewaffnung zur Selbstverteidigung wäre diese Beteiligung entweder verantwortungslos, oder wir würden die Drecksarbeit andere machen lassen. Blocher: Hört, hört! Gross: Darüber hinaus müsste sich die Schweiz an einer Art Marshall-Plan für Osteuropa inklusive Russland beteiligen. Es braucht überall zivile ökonomische Investitionen; die Schweiz kann ihren Beitrag dazu leisten. Blocher: Ich habe nichts gegen Marshall-Pläne, das heisst einen Aufbau der Wirtschaft mittels Darlehen im Kosovo. Doch das kommt nach dem Krieg. Der Bundesrat hat drei Superpuma mit bewaffnetem Personal zum Selbstschutz ins Krisengebiet geschickt. Blocher: Selbstverständlich habe ich nichts gegen Superpumas einzuwenden, doch die Frage ist, was sie nützen. Gross: Woher soll man wissen, dass etwas Nutzen bringt, bevor man es gewagt hat? Blocher: Ich glaube, ein Grosseinsatz der Schweiz beim Bau von Flüchtlingslagern bringt mehr für die Menschen als alles andere. Wenn der Bundesrat die Superpuma-Besatzung zur Selbstverteidigung bewaffnet, hat er das Wesen des Krieges nicht begriffen. Gegen den Einsatz von unbewaffneten Einheiten habe ich nichts. Bewaffnete Truppen ins Ausland zu schicken heisst aber, sich früher oder später in den Krieg zu verstricken. Humanitäre Hilfe kombiniert mit militärischer Intervention ist unvereinbar. Herr Gross, Sie werden nächste Woche als einziger Schweizer Parlamentarier zum 50-Jahr-Jubiläum der Nato nach Washington reisen. Sind Sie für den Nato-Beitritt der Schweiz? Gross: Sicher nicht. Die amerikanische Regierung hat mich vor drei Monaten als engagierten Politiker eines Mitgliedstaates der Nato-Partnerschaft für den Frieden eingeladen. Es geht darum, anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens kritisch über die Nato nachzudenken. Blocher: Kritisch nachdenken? Sie sind doch blauäugig, Herr Gross. Die Nato, das ist heute Amerika. Es ist verständlich, dass Amerika die Schweiz in der Nato haben möchte. Militärisch wird die Nato von den USA bestimmt. Gross: Unsinn. Die Amerikaner schätzen kritisches Denken und den Widerspruch manchmal sogar noch mehr als gewisse Schweizer. Herr Blocher, Sie betonen, ein neutraler Staat dürfe sich aussenpolitisch nicht einmischen. Unsere europäischen Nachbarn bringen jedoch Opfer, während die Schweiz Symptombekämpfung betreibt. Blocher: Die Schweiz hat mit ihrer Armee Gewaltanwendung von aussen zu verhindern. Die Nato-Staaten wollen das gleiche für sich, aber in der Nato. Ich habe Respekt davor, wenn die Amerikaner neben der Verteidigung ihrer eigenen Interessen auch das Unrecht der Welt bekämpfen. Doch das geschieht ja derzeit auf dem Balkan nicht, im Gegenteil: Die Bombardierung erzeugt erst recht menschliches Leid. Einzig der Uno-Sicherheitsrat hätte Amerikas Interventionsdrang zurückbinden können. Was haben Sie also gegen die Uno als völkerrechtliches Regulativ? Blocher: Die Uno, das beweist der Kosovo-Konflikt, kann solche Probleme eben gerade nicht lösen. Der Uno-Sicherheitsrat hätte nein gesagt. Streng genommen ist das Vorgehen der Nato völkerrechtlich gesehen illegal… Gross: …einverstanden… Blocher: …und zweitens handeln die Vereinigten Staaten nur über die Uno, wenn sie damit - wie im Irak-Krieg - Aussicht auf Erfolg haben, und sie operieren via Nato, wenn ihnen das gelegener kommt. Eben gerade deshalb muss die Schweiz doch ein Interesse an völkerrechtlichen Mechanismen haben, mit denen eine Weltmacht rechtlich in die Schranken gewiesen werden kann. Blocher: Ich habe nichts gegen solche Mechanismen, aber man hüte sich vor Illusionen. Gross: Uno-Generalsekretär Kofi Annan ist sich seiner Machtlosigkeit bewusst und zeigte trotzdem Verständnis für das Vorgehen der Nato. Bei Ihnen, Herr Blocher, spüre ich einen Grundpessimismus; Sie haben wohl wenig Glauben daran, dass sich die Welt zum Besseren entwickelt. Ich bin überzeugt, dass es sogar im Interesse der Vereinigten Staaten ist, wenn die Uno wieder die Rolle spielen kann, die jetzt Amerika zum Teil übernommen hat. Uno und Völkerrecht werden sich gerade wegen des Jugoslawien-Krieges weiterentwickeln. Blocher: Dass die Welt immer besser werde, Herr Gross, ist leider blauäugiger Idealismus. Es ist eine Tatsache, dass China im Uno-Sicherheitsrat ebenso ein Vetorecht hat wie Russland, England oder Frankreich. Auch Grossmächte wollen ihre Interessen wahren. Das ist Realität. Die Uno ist keine gemeinnützige Gesellschaft. Gross: Doch, das ist sie, und sie kann es noch weit mehr werden. Blocher: Sie ist es zumindest nicht nur. Auch dort wird Interessenpolitik betrieben unter dem Deckmantel schöner Erklärungen für den Weltfrieden. Herr Blocher, eine Rückkehr der vertriebenen Kosovo-Albaner ist nur unter dem Schutz einer bewaffneten internationalen Truppe möglich. Wenn sich die Schweiz an solchen Operationen beteiligen will, ist das dann für Sie eine Teilnahme an einem kriegerischen Konflikt? Blocher: Ja, und wir sind fast schon soweit. Gross: Nein, nein. Blocher: Doch. Wer bewaffnete Truppen, unter welchem Vorzeichen auch immer, ins Ausland schickt, läuft Gefahr, in den militärischen Konflikt hineingezogen zu werden. Wer etwas anderes behauptet, beschönigt. Gross: Entscheidend ist doch die Frage der Autonomie. Diese gibt es nur in einer Demokratie. Gegen eine Demokratie militärisch zu intervenieren wäre unzulässig. Milosevic aber ist ein Diktator und Kosovo keine autonome Republik mehr. Künftig wird es darum gehen, nicht nur ein im alten Rahmen autonomes, sondern ein eigenständiges, neues Kosovo aufzubauen. Das wäre eine Aufgabe für die neue KSZE-Konferenz für Südosteuropa. Wenn die Kosovo-Vertriebenen in ihre Heimat zurückkehren sollen, geht das nicht ohne die Obhut bewaffneter Schutztruppen. Daran muss sich die Schweiz auch beteiligen. Blocher: Würde die Schweiz da mitmachen, müsste sie sich sofort einem der Machtblöcke anschliessen. Es geht darum, wer die "bewaffnete Autonomie" im Gebiet Kosovo-Albanien wahren soll. Gross: Milosevic ist kein Machtblock, sondern ein Kriegsverbrecher. Es geht doch um die Frage, wer in Zukunft die Rolle des Weltpolizisten spielen soll. Die Amerikaner? Das wünschen Sie und ich nicht. Nur die Uno kann diese Rolle übernehmen. Blocher: Soll in dieser Welt tatsächlich jemand die Rolle des Weltpolizisten spielen? Der Weltpolizist hat keine Kontrolle über sich, und das ist gefährlich. Gross: Die Uno wird in den nächsten Jahren ihr Gesicht verändern. Sie gehen ein Risiko ein, Herr Blocher, das Sie als Unternehmer nie wagen würden, nämlich trotz veränderter Rahmenbedingungen zu lange an Vergangenem festzuhalten, bloss weil es sich bewährt hat. Sie laufen Gefahr zu übersehen, dass sich vielleicht die Umstände derart verändert haben, dass auch aus Bewährtem ein Irrtum wird. Blocher: Ich halte nicht aus Tradition an bewaffneter Neutralität fest, sondern weil sie immer wichtiger wird. Nicht der Beweis, sondern ein Indiz für ihre Richtigkeit ist, dass sie sich zweihundert Jahre lang bewährt hat. Gross: Die grösste Herausforderung ist es, im Erfolg zu lernen. Die Schweiz war vielleicht bis zum Zweiten Weltkrieg ein Erfolgsmodell. Doch dann hat sie zu lange stagniert. Blocher: In Frage stellen darf man immer, aber ändern um der Änderung willen, das nicht. Gross: Richtig. Aber wenn man der Politik ihre Gestaltungsmacht zurückgeben will, muss man sie supranational neu verankern. Ich frage Sie, Herr Blocher: Ist es Ihnen egal, wenn die Politik weiter Macht verliert? Blocher: Politik als Abstraktum sagt mir gar nichts. Gross: Ich verstehe darunter gesellschaftliche Handlungsmacht. Politik ist Ausdruck der Macht einer Mehrheit von Menschen, das Leben selbstbestimmt zu gestalten. Blocher: Daran glaube ich nicht. Ein Staat braucht immer auch eine Gewaltenkontrolle. Wenn die Welt von einer Weltregierung beherrscht wird, ist Gewaltenkontrolle ausgeschlossen, am Schluss befiehlt nämlich der Stärkere. Das macht mir angst. Gross: Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Blocher, traue ich den Menschen Lernfähigkeit zu. Sie sind ein abgrundtiefer Pessimist. Herr Blocher, die SVP lanciert demnächst eine neue Asylinitiative. Wollen Sie stattdessen nicht lieber eine Nato-Beitrittsinitiative lancieren, um krisenpräventiv agieren zu können? Blocher: Denken Sie, ich hätte über Nacht meinen gesunden Menschenverstand verloren? Es ist nötig, den Asylrechtsmissbrauch zu unterbinden. Aber auch die Neutralität zu wahren und der Nato nicht beizutreten. Herr Gross, sind Sie noch immer ein Pazifist? Gross: Ja, gewiss. Pazifist sein heisst, Gewalt zu verhindern, und wenn man dabei scheitern sollte, mit möglichst wenig Gewalt auszukommen. Blocher: Das ist eine ganz neue Definition von Pazifismus. Dann bin ich schon lange Pazifist, denn für uns war die Armee nie etwas anderes als das letzte Mittel. Gross: Umso besser.