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Federal Councillorship

26.01.2006

Gedanken über das Verhältnis von Bürger und Staat am Vorabend von Mozarts 250. Geburtstag

Rede von Bundesrat Christoph Blocher bei der Schaffhauser Vortragsgemeinschaft am 26. Januar 2006 in der Rathauslaube, Schaffhausen Schaffhausen, 26.01.2006. In seiner Rede bei der Schaffhauser Vortragsgemeinschaft rühmte Bundesrat Christoph Blocher Mozart für seine positive Art, zu fühlen und zu denken, und nannte Mozart einen Menschen, der bedingungslos dem Leben zugewandt gewesen sei. Letzteres sei das Ziel – auch und gerade in der Politik. 26.01.2006, Schaffhausen Es gilt das gesprochene und das geschriebene Wort Sehr geehrte Damen und Herren I. Von Grundsätzen Ihr Schaffhauser Vortragszyklus hat sich viel vorgenommen: Die Veranstalter wollen grundsätzliche Gedanken hören und fragen nach dem Verhältnis von Bürger und Staat. Dies vorneweg: Ich bin ein Freund von Grundsätzen. Denn wer das Grundsätzliche nicht geklärt hat, kann im praktischen Fall nicht reüssieren. Er reagiert wie ein Fähnchen auf den kleinsten Windstoss und folglich nach allen Seiten. Das gilt übrigens nicht nur in der Politik, sondern überall: in der Unternehmensführung, im täglichen Leben, in der Erziehung von Kindern, bis hin zu den eigenen Sorgen und Schwierigkeiten. Ich verehre nicht viele Menschen über alle Massen. Aber Mozart gehört dazu. Zufälligerweise fiel die heutige Veranstaltung auf den Vorabend seines 250. Geburtstages. Diese Terminierung hat niemand so beabsichtigt. Darum nehme ich sie besonders ernst. Denn gerade diese Konstellation könnte Ausgangspunkt von ein paar – im besten Sinne – „abwegigen“ Gedanken sein. II. Was hat dies mit Mozart zu tun? Der Vortragszyklus fragt nach dem Verhältnis von Bürger und Staat: Was hat dies mit Mozart zu tun? Der Salzburger Musiker – so denken Sie wohl – ist doch ein völlig unpolitischer Mensch. Immerhin: Auch Mozart ist Bürger. Auch Mozart musste sich mit den staatlichen Gegebenheiten seiner Zeit abfinden. Schliesslich befanden sich sowohl der Bürger Mozart wie der Staat, in dem er damals lebte, in einem Spannungsverhältnis. Und in welchem Spannungsverhältnis! Viele der adeligen Regenten hielten sich ein paar begabte Menschen, die mit ihren Kunstwerken vor allem für eines sorgen sollten: den Glanz mehren; den Glanz der Fürsten und Bischöfe, den Glanz der Repräsentanten des Staates und der Macht. Nun, Sie sind ja nicht hierher gekommen, um über das Verhältnis von Bürger und Staat im 18. Jahrhundert belehrt zu werden. Doch Mozart ist eben Mozart. Seine Bedeutung ist heute noch überragender als damals! Seine Musik birgt auch eine grundsätzliche Botschaft über die Bürger und ihren Staat. Wie könnten wir ihn einfach ignorieren? Mozarts erster, längerer Arbeitgeber war der Erzbischof seiner Geburtsstadt Salzburg. Heute sind Salzburg und Mozart synonym geworden. Die Stadt ist stolz auf ihren berühmten Bürger. Doch trotz der heutigen Schwemme von Mozartkugeln und anderer verkaufbarer Devotionalien muss der Redlichkeit erwähnt werden, dass Mozart Salzburg und seine Bewohner von Herzen hasste! Er war froh, nach Wien entrinnen zu können und entsprechend aufschlussreich beschreibt Mozart in einem Brief am 9. Juni 1781, wie ihn ein Vertreter der Kirche mit einem Fusstritt aus dem Audienzsaal befördert hat, nachdem er um Entlassung aus den Diensten des damaligen Erzbischofs Colloredo gebeten hatte. III. Mozart und der Absolutismus Mozart lebte in einem absolutistischen Staat, insofern war er auch ein Kind des Absolutismus – was ihn für das heutige Vortragsthema so interessant macht. Denn in historischen Kategorien betrachtet, nimmt der moderne Staat seine Anfänge im Zeitalter des Absolutismus. In einer Epoche also, wo sich der Herrscher uneingeschränkte Macht anmasst und losgelöst von allen Gesetzen –„legibus absolutus“ – regiert. Der absolute Monarch verlangt nach einem starken Staat. Dies findet Ausdruck in einer Berufsarmee (die es zuvor nicht gegeben hat) und in den ersten Ansätzen einer modernen Verwaltung, die allerdings schon damals auf ihr – offenbar universales – Ziel ausgerichtet ist: Geldquellen erschliessen, Geld eintreiben, Geld verwalten, Geld umverteilen, Geld ausgeben. Dafür sorgen Beamte und dafür soll auch eine zunehmend dirigistische Wirtschaftsform sorgen. Ein solcher Staat braucht Geld. Viel Geld. Der ganze Apparat verschlingt Unsummen. Die Ausgaben explodieren: Innerhalb von neun Jahren steigt der französische Haushalt von 70 Millionen Livres (1669) auf 129,5 Millionen (1678). Wahrscheinlich denken Sie jetzt, solche Exzesse wären heute nicht mehr möglich. Da täuschen Sie sich: 1970 betrugen die Ausgaben des Bundes niedliche 8 Milliarden Franken. 1980 sind es bereits 17,8 (eine Verdoppelung in zehn Jahren!), 1990 31,6, 2000 47,1 Milliarden. Faktor sechs in nur dreissig Jahren. Der starke Staat kann nie so viel Geld bei den Bürgern holen, wie er ausgeben möchte und letztlich auch ausgibt. Das absolutistische Frankreich wird in Glanz und Gloria und Millionenschulden untergehen. Die Französische Revolution fegt die Monarchie weg. Mozart ist Zeitzeuge dieser Vorgänge. Mehr allerdings nicht. Der scheinbar desinteressierte Bürger Mozart stellt die Monarchie als solche nicht in Frage. Äusserlich! Wer Mozarts Musik hört, weiss: Innerlich – und bei der durch sie ausgelösten Resonanz zwangsläufig auch äusserlich - allerdings schon. Und in einer Wirksamkeit, die stärker und andauernder ist, als die der lautstarken Revolutionäre! Dies geschieht durch sein Leben und sein Talent selbst: In einer ständischen Gesellschaft, wo Ansehen und Stellung sich allein von der Geburt ableiten, verdankt er seinen Ruhm einzig und allein seinem Talent. Darin ist er wahrhaftig revolutionär. Oder um den Begriff Revolution in ein deutsches Worte zu fassen: ein Umwälzer. Mozarts Genie überwindet Standesgrenzen, denn für diese göttlichen Gaben darf es keine weltlichen Schranken geben. Und indem wir uns dem Menschen Mozart annähern, werden wir uns nicht nur der politischen Dimension, seiner Musik, sondern auch seinem Leben annähern - denn trotz der fast überirdischen Fähigkeiten bleibt Mozart Mensch. IV. Das Geheimnis Mozarts Welches ist das Geheimnis der in diesem Jubiläumsjahr so vielberufenen ‚Genialität’ Mozarts? Antwort kann uns nur seine Musik selbst geben. Hören wir zunächst den wohl bedeutendsten Theologen des letzten Jahrhunderts. Ich lesen Ihnen einen Satz vor, den Karl Barth 1956, also 200 Jahre nach dessen Geburt auf Erden – an Mozart im Himmel’ geschrieben hat: „Wenn immer ich Sie, lieber Mozart – höre, sehe ich mich an der Schwelle einer Welt versetzt, die bei Sonnenschein und Gewitter, am Tag und bei Nacht eine gute, geordnete Welt ist, und finde mich jedes Mal mit Mut (nicht mit Hochmut!), mit Tempo (keinem übertriebenen Tempo!), mit Reinheit (keiner langweiligen Reinheit!), mit Frieden (keinem faulen Frieden!) beschenkt. Mit Ihrer musikalischen Dialektik im Ohr kann man jung sein und alt werden, arbeiten und ausruhen, vergnügt und traurig sein, kurz: leben!“ „Kurz: leben!“ Merken Sie, dass uns Mozart jetzt unversehens schon dicht an das vorgegebene Vortragsthema herangeführt hat? Wenn es nicht nur in der Musik Mozarts, sondern auch – vielleicht erst recht? – im Staat und seiner Politik darum geht, dass man als Bürger leben kann? V. Fragen stellen Aber gemach! Ich will Mozart nicht verlassen. Irgendwo habe ich einmal gelesen, die entscheidende Triebfeder Mozarts sei seine ausgesprochene Neugierde gewesen (auch die Neugierde ist ein Impuls des Lebens und des Lebendigen); überall, wo Musik erklang, habe er wissen wollen, was es sei und warum es so sei und was darin noch alles stecken möge. Alles, was in seiner Zeit musikalisch zur Verfügung stand, hat Mozart unablässig in Frage gestellt. Spätestens jetzt merken wir, wie politisch Mozart ist! ‚In Frage stellen’ – ‚alles in Frage stellen’: Das haben Vorgesetzte – vor allem Politiker – normalerweise nicht gerne. Es ist höchst unbequem. Weil das dauernde in Frage stellen auch zur Zerstörung, zur Destruktion führen kann. Doch Mozarts ständige Infragestellung traditioneller Gegebenheiten hat alles andere als einen Trümmerhaufen angerichtet. Warum? Das liegt an seiner durch und durch positiven Art, zu fühlen und zu denken. Das eigentliche Motiv liegt nicht im Zersetzen-Wollen, sondern im genauen Gegenteil: Mozart gräbt die verborgenen Fälle aus und bringt sie zur Entfaltung. Das ist die Triebfeder seines kompositorischen Handelns. Das hat man sich als Politiker hinter die Ohren zu schreiben: Mehr Mut (keinen Missmut und keinen Hochmut), mehr Freude (keine läppische Ausgelassenheit), mehr Kraft (keine Kraftmeierei), mehr Reinheit (kein erstickender Purismus), ein besseres Tempo (kein übertriebenes Tempo) und ein besserer Friede (kein fauler Friede). Das lässt Mozarts Musik erklingen. Darin war seine Infragestellung eine schöpferische Tat! Warum soll das nicht für alle Lebensbereiche gelten können? Warum nicht insbesondere für das Verhältnis von Bürger und Staat? (Es ist wie bei einer Schülerprüfung durch den Lehrer. Die einen Lehrer stellen Prüfungsfragen, um die Schüler zeigen zu lassen, was sie wissen und können – die andern wollen in einer Prüfung sehen, was ihre Schüler nicht wissen und nicht können, also Versager sind. Das sei – so lehrt die biblische Theologie – der Unterschied zwischen der göttlichen Prüfung und der satanischen Versuchung. Es wäre wohl auch und gerade in der Politik auf diesen fundamentalen Unterschied aufmerksam zu machen!) Zum Seitenanfang Zum Seitenanfang VI. Genau soviel wie nötig! Nochmals sei die Frage nach dem Motiv von Mozarts Tätigkeit gestellt. Nach der Uraufführung des Singspiels ‚Die Entführung aus dem Serail’ soll der Kaiser Joseph ll. bemängelt haben, es habe in dieser Musik ‚etwas gar viele Noten’, worauf Mozart ihm geantwortet habe: ‚Majestät, es sind genau so viele wie nötig.’ Mozart hätte auch die Achseln zucken können und irgend etwas von ‚künstlerischer Freiheit’ oder von modernen Usancen, wohl gar von Anti-Sparprogrammen, von persönlicher Entfaltung und anderem ideologischem Unrat reden können. Er aber sprach von dem, dem er Zeit seines Lebens treu geblieben ist, ‚bis in den Tod’: seinem Auftrag! – Ich meine: Bei Mozart darf man dies heute wohl sagen: seinem göttlichen Auftrag. Da kann keine Note zu viel sein. Diese Bestimmung und Bestimmtheit musste unweigerlich in einem schweren, bitteren Konflikt enden: dem Kampf der sachgemässen Auftragserfüllung gegen alles nur Prestigemässige, das der Auftragserfüllung immer radikal und erbittert im Wege steht. Mozart hat den Kampf verloren. Er ‚reüssierte’ nicht, starb an Überforderung und fand nur ein bald vergessenes Grab. VII. Auf der politischen Bühne Meine Damen und Herren, Was einem da im Blick auf die politische Bühne in den Sinn kommt, ist so massiv, dass sich jetzt der Stau nicht mehr zurückhalten lässt. Bürger und Staat haben mir fast mein ganzes Leben lang zu denken gegeben und ich habe dabei häufig und intensiv Mozart gehört. Jetzt, am Vorabend seines 250. Geburtstags, will ich, was ich politisch denke, im Lichte Mozarts sagen: 1. Der entscheidende Lebensbezug: Auf das Leben (die Wirklichkeit) kommt alles an! Denn nur das Leben selbst ist unser Auftrag! Gleichzeitig heisst dies Absage an alle Ideologien, Visionen und dergleichen mehr! 2. „Prüfet alles, das Gute behaltet“ (1. Thessalonicher 5,21) 3. Mit dem Auftrag anfangen, beim Auftrag bleiben, mit dem Auftrag aufhören. 4. Prestigefragen aller Arten sind ohne jeden Belang. 5. „… und setzt ihr nicht das Leben ein: nie wird euch das Leben gewonnen sein!“ Das, meine Damen und Herren, verkündet uns Mozarts Musik in einer beängstigenden Kraft – auch noch nach 250 Jahren! Nehmen wir Mozarts Botschaft als Bürger und Staat ernst und folgen wir seinem Anspruch. Zum Seitenanfang Zum Seitenanfang VIII. Das Leben Auf das Leben (die Wirklichkeit) kommt alles an! Denn nur das Leben selbst ist unser Auftrag! Versuche zeigten: In U-Bahnhöfen sank die Verbrechensrate mit der „Kleinen Nachtmusik“! Nachweislich – (solchen Statistiken glaube ich gerne). Man mag zu Mozart nicht stehlen, prügeln oder gar morden. Woher kommt das Lebendige, Sprühende, Überschäumende? Vater Leopold tingelte mit dem kleinen Mozart durch halb Europa und präsentierte ihn als musizierendes Wunderkind. Irgendwann war das Wunder weg und es blieb das Kind. Seine Schwester schrieb: „Ausser Musick war und blieb er fast immer ein Kind; und dies ist ein HauptZug seines Charaktes auf der schattigten Seite.“ Vielleicht gäbe es ohne seine kindliche Sorglosigkeit dieses überwältigende Werk nicht. Mozart erfreut sich am Leben wie ein Kind. Im Kind und im Kindlichen pflanzt sich das Leben fort. IX. Prüfet „Prüfet alles, das Gute behaltet“ (1. Thessalonicher 5,21) Ein Umstürzler – wie gesagt – ist Mozart nicht. Auch kein Traditionsfresser oder Verächter des bereits Geschaffenen, Erhabenen, Schönen. Warum auch? Hätte er Grund gehabt, Bach zu verachten? Was er tat: Er hat das Bestehende erweitert. Die Französische Revolution hat Mozart nie selber kommentiert und wohl auch nicht begrüsst. Dazu widerstrebte ihm die Gottlosigkeit der Revolutionäre zu sehr. Nicht wenige seiner schönsten Werke huldigten keiner weltlichen Macht, sondern dienten einzig der Lobpreisung des Allerhöchsten. Allerdings entsprach ihm der aufklärerische Drang nach Freiheit. Er befreite sich immer wieder. Von Salzburg. Von allzu engen Konventionen der Kompositionslehre. Vom Vater. In seinen letzten Jahren blieb ihm sogar mehr Freiheit, als ihm lieb sein konnte: Aber einer Freiheit, die sich stets aus der Konsequenz seines Auftrages ergab. Es gehört ja zur bewunderten Tragik seines Lebens, dass er als ein in Freiheit verarmter Künstler endete. Als Mozart Salzburg endlich hinter sich lassen konnte, beschimpfte er den Erzbischof wenig zurückhaltend als „unthier“ und „erzlimmel“. Wobei auch der so beleidigte Geistliche durchaus auszuteilen wusste. Mozart sei ein „liederlicher Kerl“, ein „Lump“ und „Lausbub“. Ein „Lump“? Vielleicht. Ein „liederlicher Kerl“? Wahrscheinlich. Ein „Lausbub“? Ganz bestimmt. Noch in späteren Jahren bewahrte sich Mozart etwas Kindliches, manchmal auch Infantiles. Seine oft ins Obszöne kippende Sprache enthüllt diese pubertäre Lust, etwas Verbotenes zu tun oder zu sagen. X. Auftrag oder Prestige Mit dem Auftrag anfangen, beim Auftrag bleiben, mit dem Auftrag aufhören. Prestigefragen aller Arten sind ohne jeden Belang. Wer den Auftrag lebt, folgt eben nicht den Gesetzen der persönlichen Karriereplanung. Laut Mozarts Biographen Wolfgang Hildesheimer forderten Mozart „Amt und Rang und Titel nicht den geringsten Respekt“ ab. Was ihn interessiert, ist allein die Musik – und diese so erklingen zu lassen, wie sie erklingen musste. Soll denn das alles nur für die Musik gelten? Nein: grundsätzlich. Eben auch und vor allem für Bürger und Staat. XI. Und setzt ihr nicht das Leben ein… „… und setzt ihr nicht das Leben ein: nie wird euch das Leben gewonnen sein!“ Ja, Mozart stirbt im 35. Lebensjahr. Er eilte voran, als ob er insgeheim von seinem jungen Tod schon wüsste. In eine Zeit geboren, wo nicht Leistung, Talent und Fähigkeiten zählten, sondern Herrschergunst, Heuchelei und Servilität musste Mozarts Lebensführung scheitern. Er, der so unverstellt war und so vertrauensselig bis zur Naivität sein konnte. Dafür gewann er Unsterblichkeit. Heute ist im Hinblick auf Mozarts Geburtstag Vorabend – also kein „Mozarttag“. Auch das will beachtet sein. Ich will nämlich nicht etwa sagen, Mozart sei unser ‚Vorbild’ – auch nicht, er solle es sein. Dazu ist er zu ‚jenseitig’, als dass er von uns wie ein Vorbild ‚nachgemacht’, abgebildet werden könnte. (Schon gar kein „haushälterisches“ Vorbild. Er hat zwar gutes Geld verdient. In heutigen Massstäben ein Jahreseinkommen von mehreren hunderttausend Franken. Doch Mozart lebte gern und verschwenderisch, so dass er immer in Geldnöten steckte.) Aber das will ich sagen: Er ist unser Ziel – auch und gerade in der Politik! Er ist unser Ziel als Mensch, der bedingungslos dem Leben zugewandt ist. Damit klärt sich das Verhältnis von Bürger und Staat. Mozart ist unser Ziel, meine Damen und Herren! Und niemand tröste sich, es genüge, sich immer strebend zu bemühen – also immer ‚auf dem Wege’ zu sein. Niemand soll glauben, es genüge, sich mit einer reinen Weste stets in Sicherheit zu bringen! Niemand rühme sich, er sei ‚unterwegs’ und also eigentlich schon am Ziel! Denn es heisse doch, der Weg sei das Ziel… Ich sage Ihnen mit Nachdruck: Nicht der „Weg ist das Ziel’ – sondern das Ziel ist das Ziel!

21.01.2006

Haus bauen, Kind zeugen, Baum pflanzen… (… und tausend Vorschriften beachten)

Rede von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich des SVIT-Immobilien 21.01.2006, Pontresina Pontresina, 21.01.2006. Anlässlich des SVIT-Immobilien Forums referierte Bundesrat Christoph Blocher über Eigentum und Freiheit. Der Staat habe primär den Auftrag, Privateigentum zu schützen, da dieses die Voraussetzung für Wohlstand sei. Die im Referatstitel formulierten Lebensziele eines Mannes seien als generelle Aufforderung zu verstehen, etwas im Leben zu leisten. Eigentum und Freiheit Sie kennen alle die Geschichte von „Wilhelm Tell“. Von jenem rebellischen Bergbauern und Gebirgsjäger, der sich gegen die habsburgische Tyrannei auflehnte, bis er schliesslich den Reichsvogt Gessler ins Jenseits beförderte und damit seinen Landsleuten die Freiheit wieder brachte. Sie werden sich jetzt vielleicht denken, was hat Schillers Drama mit der Immobilienwirtschaft, dem 21. Jahrhundert und dem heutigen Forum zu tun. Mehr, als Sie auf den ersten Blick vermuten würden. Wie alle guten Geschichten kann man den „Tell“ ganz verschieden lesen: Einmal als eine kluge Studie darüber, dass Freiheit sich immer auch über die Eigentumsfrage definiert. Dass Freiheit eben auch den freien Zugang zu Eigentum meint und jeder ohne Einschränkungen über sein Eigentum verfügen kann. Es gibt aber auch Eigentum jenseits des profanen Materiellen. Im ausgehenden 13. Jahrhundert nahmen die neuen Herrscher den Eidgenossen ihre alten Rechte und beraubten sie damit ihrer Selbstbestimmung. Der Rechtsstaat stellt selber so etwas wie ein gemeinsamer Besitz dar, den sich die Bürgerinnen und Bürger eines Staates geben und gegenseitig schützen. Der zweite Diebstahl oder zumindest der zweite versuchte Diebstahl im „Tell“ lautet: Mit dem Gesslerhut, den jeder zu grüssen hat, will man den Eidgenossen noch zusätzlich ihre Würde nehmen. Ein Volk aber, das ohne eigene Rechte (also ohne Selbstbestimmung) und ohne Würde (also ohne Selbstachtung) dasteht, ist kein freies Volk mehr, sondern eine willfährige Masse im Spiel fremder Mächte. Was Sie als Vertreter der Immobilienwirtschaft vielleicht erstaunen mag, es geht im „Tell“ auch um die freiheitliche Garantie des Grundeigentums bzw. des Hauseigentums. Der brutale Herrscher Gessler kann die durch das Hauseigentum geschaffene Unabhängigkeit nicht dulden! Noch im ersten Akt des Stücks erzählt der angesehene Schwyzer Landmann Werner Stauffacher, der zufrieden vor seinem schönen, selbst erbauten Haus sitzt, seiner Frau Gertrud eine kleine Begebenheit: „Vor dieser Linde sass ich jüngst wie heute, Das schön Vollbrachte freudig überdenkend, Da kam daher von Küssnacht, seiner Burg, Der Vogt mit seinen Reisigen geritten. Vor diesem Hause hielt er wundernd an, Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig Wie sich’s gebührt, trat ich dem Herrn entgegen, Der uns des Kaisers richterliche Macht Vorstellt im Lande. ‚Wessen ist dies Haus?’, Fragt’ er bösmeinend, denn er wusst es wohl. Doch schnell besonnen ich entgegn’ ihm: ‚Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers und Eures und mein Lehen’ – da versetzt er: ‚Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt, Und will nicht, dass der Bauer Häuser baue Auf seine eigne Hand, und also frei Hinleb’, als ob er Herr wär in dem Lande, Ich wird mich unterstehn, euch das zu wehren.’ Dies sagend ritt er trutziglich von dannen, Ich aber blieb mit kummervoller Seele, Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.“ Der Vogt will nicht, dass der Bürger ein eigenes Haus errichtet und folglich so lebt, „als ob er Herr wär in dem Lande“. Was uns auffällt an dieser kleinen, scheinbar nebensächlichen Szene: Jede Zwangsherrschaft zu jeder Zeit hat es auf das Eigentum der Bürger abgesehen. Die hier beschriebene Begegnung zwischen Landesherr und Untertan zeigt die feudale Struktur des Hochmittelalters, wo adelige Geschlechter die ehemals freien Bauern in ihre Abhängigkeit brachten. Doch selbst die französischen Revolutionäre, die ja unter dem Banner von Freiheit und Gleichheit ebendiese feudale Gesellschaftsordnung pulverisieren wollten, enteigneten im grossen Stil: Schon gut drei Monate nach dem Sturm auf die Bastille wurde das gesamte Kirchengut zum „Nationalbesitz“ erklärt. Durch den Verkauf dieser Güter wollten die Jakobiner eine Umschichtung des Landbesitzes erreichen – wobei am Ende die Kleinbauern trotzdem leer ausgingen! Halbtax-Sozialismus Das zwanzigste Jahrhundert wird den Totalitarismus auf die Spitze treiben. Wobei dem gesellschaftlichen Umbau immer ein radikaler Verlust von Eigentum und Eigentumsrechten voranging. Die Nationalsozialisten enteigneten die Juden und nannten diesen Raubzug beschönigend „Arisierung“. Der Sozialismus weitete die Enteignung auf sämtlichen Privatbesitz aus. Es ist nicht zufällig, dass Karl Marx in seinem „Kommunistischen Manifest“ die Enteignung des Grundeigentums als oberste und wichtigste „Massregel“ notierte. Sie ist Voraussetzung seiner sozialistischen Utopie – und ihr barbarisches Ziel zugleich. Woher kommt diese fast instinktive Feindseligkeit gegenüber dem Eigentum? Offensichtlich verschafft Eigentum dem Eigentümer ein Mass an Unabhängigkeit, das sich der staatlichen Bevormundung konsequent entziehen kann. Wer über die Bürger folglich uneingeschränkt herrschen will, muss sie in seine Abhängigkeit zwingen – indem er den Einzelnen seiner materiellen Freiheit beraubt. Das geschieht nicht notwendigerweise gewaltsam, sondern – noch viel öfter – schleichend, durch Gewöhnung, durch falsche Anreize, durch den steten Ausbau der staatlichen Tätigkeit, die sich in einer schlichten Zahl – der Staatsquote – ablesen lässt. Der Sozialismus strebt eine Staatsquote von hundert Prozent an. In der perfekten sozialistischen Gesellschaft gibt es keinen Privatbesitz mehr, weil jegliches Eigentum, ja jeder Lebensbereich staatlich organisiert ist. So sähe der Extremfall aus. Das Heimtückische am Sozialismus freilich ist, dass er sich auf leisen Sohlen, in kleinen, stetigen Prozentschrittchen auszubreiten vermag. Darum heisst die korrekte Frage nicht: Leben wir in einem sozialistischen Land? Sondern: Wie viel Sozialismus haben wir bereits verwirklicht? Heute verfügt der schweizerische Staat über fünfzig Prozent Ihres privaten Einkommens. Oder anders ausgedrückt: Wir haben einen Halbtax-Sozialismus. Das ist weniger lustig, als es klingen mag. Die direkten Steuern machen dabei nur einen relativ geringen Anteil aus. Indirekte Steuern, Zwangsabgaben, Prämien, Gebühren – ich nenne als Beispiel die Abgaben für Sozialversicherungen und Krankenkasse – sie bilden die grossen Brocken. Natürlich sind nicht alle indirekten Abgaben zwangsläufig. Sie könnten etwa ihren Konsum einschränken oder aufs Auto verzichten, dann sparen Sie auf alle Güter und Artikel die Mehrwertsteuer oder objektbezogene Sondersteuern. Wohin aber eine konsumkritische bis konsumscheue Haltung führt, sehen wir in Deutschland, wo schon seit Jahren ein Angstsparen die Binnenkonjunktur lähmt. Wenn Söhne zu Kindern werden… „Haus bauen, Sohn zeugen, Baum pflanzen“, so heisst eine alte, aufmunternde Redewendung. Ich habe diese als Titel meinem heutigen Referat vorangestellt. Es ist eine altmodische Aufforderung an den Mann, was er in seinem Leben erschaffen sollte. Doch der ursprüngliche, in dem Sinne auch originale Satz, hat die emanzipatorische Schleuse meines Sekretariats nicht unbeschadet überwunden. Im „Zuge der Gleichberechtigung“ – so der Antrag der Dame, die das Referat überarbeitete, lautet der offizielle Titel: Haus bauen Kind zeugen (statt Sohn) Baum pflanzen… (…und tausend Vorschriften beachten). Wenn schon die zeitgemässe Emanzipation einen zwingt, dieses alte Sprichwort abzuändern, habe ich mir erlaubt, eine ebenfalls zeitgemässe – und leider auch realitätsbezogene – Ergänzung anzubringen: „…und tausend Vorschriften beachten“. Meine Überlegung dazu: Wer auch immer diese Aufforderung beherzigt, merkt in unserer durchreglementierten Zeit sehr schnell, dass es gar nicht mehr so einfach ist, ein Haus zu bauen, selbst wenn man es wollte. Denn die Auflagen und Vorschriften, die dabei zu beachten sind, könnten einem die Lust auf ein Eigenheim gründlich vergällen. Wer schon gebaut hat, fragt sich, wer eigentlich wichtiger ist: der Architekt oder der Anwalt? Über die Vorschriftenwut im Bauwesen brauche ich Sie nicht im Detail aufzuklären. Ich will Ihnen ja nicht die Wochenendlaune und das schöne Engadin verderben. Grundsätzlich aber gilt: Der Ausbau von Regel- und Gesetzeswerken geht notwendigerweise einher mit der Beschränkung des freien Umgangs mit Eigentum. Das Eigentum an einem Grundstück würde ja insbesondere das Recht beinhalten, dieses Grundstück zu bebauen, zu verkaufen, anderen Recht daran teilhaben zu lassen, es zu vererben. Dieses auch vom Staat zugesicherte Recht wird aber gerade durch den Staat selber wieder nahezu marginalisiert: Mit dem offenbar uferlosen Ausbau von Vorschriften und Auflagen. Jedes Gesetz hat die Tendenz Freiheits- und Eigentumsrechte zu beschneiden. Darum ist die politische Grundausrichtung so folgenschwer. Der gute Politiker stellt die Freiheit ins Zentrum und damit das Interesse der Bürger: Denn diese sollen selber so weit wie möglich über ihr Leben verfügen – wovon sich aber auch immer eine Verpflichtung ableiten lässt: Freiheit fordert Eigenverantwortung. So sieht das Fundament einer liberalen Gesellschaft aus. Staat und Politik sind für den Bürger da und nicht umgekehrt. Grundeigentum sichert Grundrechte Eigentum ist wichtig für die Gesellschaft als Ganzes und den Einzelnen im Besonderen. Die Wichtigkeit für den Einzelnen wird auf Anhieb einleuchten. Warum aber auch für den Staat – die Gesellschaft als Ganzes? Weil: je mehr Eigentum vorhanden ist, desto grösser wird der gemeinsame Wunsch nach Stabilität, nach Rechtssicherheit, nach der Verlässlichkeit von Verträgen, nach demokratischen Verhältnissen. Wer etwas hat, kann auch etwas verlieren. Wenn viele besitzen, können auch viele ihren Besitz verlieren. Damit steigt das vereinte Interesse an einer funktionierenden Rechtsordnung. Das biblische „Du sollst nicht stehlen“ muss ergänzt werden: Auch Du, Staat, sollst die Bürger nicht bestehlen. Der Staat hat also primär den Auftrag das Privateigentum zu schützen und nicht, möglichst raffinierte Mittel und Wege zu finden, wie er dem Bürger das Eigentum wieder abluchsen kann. Wo sich jemand nicht an die biblischen Gebote hält – und wir können davon ausgehen, dass dies ab und zu vorkommt… – ist wiederum der Staat bzw. Polizei und Justiz gefordert, das Delikt zu ahnden. Es gibt keine intakte Rechtsordnung ohne Garantie des Eigentums. Je breiter Eigentum möglich ist, desto breiter ist der Konsens, das Eigentum durch einen demokratischen Rechtsstaat zu schützen. Privat-Eigentum ist die Voraussetzung für Wohlstand. Sie können weltweit leicht erkennen, welche Staaten erfolgreiche Volkswirtschaften gebildet und auf diesem Weg Wohlstand für einen grossen Teil ihrer Bevölkerung geschaffen haben und welche nicht. Erfolgreiche Staaten schützen und fördern das Eigentum und die Freiheit aller. Eigentum als Selbstvorsorge Warum ist das Eigentum für den Einzelnen so wichtig? Das Eigentum dient der Selbstvorsorge. Eigentum schafft persönliche Sicherheit. Eigentum führt zum mündigen, weil unabhängigen Handeln der Bürger. Man darf diesen Punkt nicht unterschätzen: Die materielle Unabhängigkeit kann – muss aber nicht – die geistige und politische Unabhängigkeit eines Menschen unterstützen. Das ist übrigens auch der Hauptgrund, warum wir in der Schweiz auf jeden Fall an einem Milizparlament festhalten sollten. Wir gehen doch von einer ganz anderen Voraussetzung aus, wenn Politiker von ihrem Amt nicht existenziell abhängig sind. Ein Politiker wird nur dann ohne Scheu Missstände anprangern, wenn er für die Politik lebt. Ich überlasse es Ihnen, zu untersuchen, wie viele von der Politik leben. Aufbauen – weiterbauen So ganz wörtlich sollte man Redensarten nie nehmen. Die im Referatstitel formulierten Lebensziele eines Mannes (Haus bauen, Kind zeugen, Baum pflanzen) sind als generelle Aufforderung zu verstehen, etwas im Leben zu leisten. Ich persönlich habe sehr spät ein eigenes Haus gebaut. Weil ich zuvor das ganze Eigentum in mein Unternehmen investierte. Was das Kind zeugen betrifft, habe ich die Aufforderung allerdings wörtlich genommen: Wir haben es sogar auf vier Kinder gebracht, die heute alle in der Wirtschaft arbeiten. Jedes wohnt in einer Mietwohnung, weil auch sie unternehmerisch tätig sein müssen. Die Geschäftsleitung meines ehemaligen Chemieunternehmens hat übrigens meine älteste Tochter inne (soviel zum Thema „Emanzipation“). Ein anderes Werk führt mittlerweile mein Sohn. Einen Baum gepflanzt habe ich für mich persönlich nie. Als ehemaliger Bauernlehrling jedoch schon. In meinem Bundesratsbüro hängt dafür das bekannte, monumentale Hodlerbild „Der Holzfäller“. Keineswegs (nur) zur Einschüchterung gedacht. Es zeigt aber, dass Führen und Entscheiden auch Kraft braucht! Wie der Holzfäller, nur in ganz anderen Zusammenhängen. Wer diese Kraftanstrengung scheut, hat noch nie wirkungsvolle Führungsverantwortung wahrgenommen – oder er wird längerfristig in seiner Funktion scheitern. Auch in der Funktion als Beschützer von Privateigentum; wie auch in der Funktion als Erzieher von Kindern, die in Freiheit und Selbstverantwortung aufwachsen sollen. Wohlstand schaffen Ja, ich strebe eine Gesellschaft an, welche wieder Respekt vor Leistung und Erfolg bezeugt. Darum auch mein Bekenntnis zur Freiheit und zum Eigentum. Beide sind Grundlage und Ausdruck einer leistungsorientierten Gesellschaftsordnung. Der Aufbruch der Schweiz zur Freiheit und Selbstverantwortung hat im 19. Jahrhundert aus einem an Ressourcen armen Land einen Staat mit allgemeinem Wohlstand geschaffen. Dass Wohlstand satt macht, dass ererbter Reichtum immer wieder neu erworben werden muss, zeigt ein anderes einfaches, aber nicht minder wahres Sprichwort aus Schottland: „Grossvater kauft. Vater baut. Sohn verkauft. Enkel geht betteln.“ Für die Schweiz sage ich es milder: Die erste Generation erschafft das Vermögen, die zweite Generation verwaltet es und die dritte studiert Kunstgeschichte. Ich hoffe, dass meine Nachkommen wenigstens als Ausnahme die Regel bestätigen. Uns Sie alle hier im Saal auch! Schaffen wir eine Ordnung, die jede Generation neu anspornt, unser Land aufzubauen und weiterzubauen – auf der Grundlage der Freiheit, der Selbstverantwortung, des Schutzes der Privateigentümer und persönlicher Leistung!

20.01.2006

Agenda 2006

Rede von Bundesrat Christoph Blocher, anlässlich der 18. Albisgüetli-Tagung der Zürcher SVP am 20. Januar 2006 im Schützenhaus Albisgüetli, Zürich 20.01.2006, Zürich Zürich, 20.01.2006. An der diesjährigen Albisgüetli-Tagung sprach Bundesrat Christoph Blocher über drei Vorlagen, die das Innerste unseres Staatsverständnisses beträfen: das revidierte Ausländergesetz, das Asylgesetz und die Swisscom. Er rief die Zuhörer auf, für alle drei Vorlagen die Ja-Parole im Interesse von Land und Volk und im Interesse einer verantwortungsvollen Politik zu vertreten. Statement von Bundesrat Christoph Blocher vom 29. März 2006 zur Aufregung um die Abligsgüetlirede 2006 (s. unten schriftliche Fassung): "Es geht um eine kurze Passage in meiner Albisgüetlirede 2006. In der schriftlichen Fassung wurden zwei Albaner korrekterweise als schwerer Verbrechen Angeklagte bezeichnet. In der mündlichen Fasssung habe ich an einer einzigen Stelle statt von mutmasslichen Kriminellen von Kriminellen gesprochen. Das war ein Fehler, der mir leid tut. Es war ein sprachliches Versehen. Nie war es meine Absicht, die Albaner als verurteilte Kriminelle hinzustellen." I. Die Albisgüetli Tagung Als vor bald zwanzig Jahren die Albisgüetli-Tagung geschaffen wurde, dachten die Gründer nie daran, dass diese politische Veranstaltung in der Schweiz eine solche Bedeutung bekommen würde. Der Skeptiker waren viele: Man dachte schaudernd an Wahlveranstaltungen mit Politikern, an denen manchmal mehr Podiumsteilnehmer als Zuhörer zugegen waren. Doch alles kam anders: Die Albisgüetli-Tagung ist heute eine landesweit bekannte, politische Institution im besten Sinne des Wortes. Sie darf sich auch dieses Jahr wieder rühmen, wie mir die Organisatoren mitteilten, bereits am ersten Tag sämtliche 1’400 Sitzplätze ausverkauft zu haben. Trotz eines stolzen Eintrittspreises von siebzig Franken. II. Die Anliegen von Volk und Land im Mittelpunkt Was dient dem Land und Volk? Was beschäftigt die Bürgerinnen und Bürger? Was erwarten die Menschen zu Recht von der Politik? Diesen Fragen haben wir uns stets neu zu stellen. Wir wissen heute aus dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten, dass die sozialistische Politik Wohlstand und Beschäftigung zerstört. Wir wissen aber auch, dass der Sozialismus ein süsses Gift ist und sich schleichend wieder breit macht. Auch in den westlichen Industriestaaten. Auch in der Schweiz. Der Sozialismus ist das Gegenteil von Eigenverantwortung und Eigeninitiative. Er behindert die Wirtschaft und zerstört damit Arbeitsplätze. Darum ist die Ordnungspolitik so wichtig: Weniger Regulierungen, weniger Steuern, weniger Abgaben und Gebühren! Das muss im Mittelpunkt stehen. Kämpfen Sie standhaft gegen den überbordenden Staatshaushalt und dessen Folgen. Staatseingriffe führen immer zu höheren Steuern und Abgaben, und darin liegt der Hauptgrund, wenn Arbeitsplätze vernichtet werden. Was wünschen sich die Schweizerinnen und Schweizer von der Politik? Zum Beispiel Sicherheit. Auf der Strasse. In der Schule. Sie fordern auch ein Ende der illegalen Einwanderung und der allgegenwärtigen Missstände in unserer verbürokratisierten Asylpolitik. Sie wollen Schutz vor der daraus resultierenden Kriminalität. Die Unternehmen, die Klein- und Mittelbetriebe, ächzen unter den staatlichen Auflagen, unter den Regulierungen, unter den Gebühren und Steuern. All diese Sorgen und Probleme haben wir in den Mittelpunkt unserer Politik zu stellen. Seien es wir Bundesräte, seien es andere Politiker, oder seien es Sie als Partei. Jeder ist an seinem Ort und auf seine Weise verpflichtet, Volk und Land zu dienen. Da das Albisgüetli immer eine Veranstaltung zum Jahresauftakt ist, sind wir jeweils aufgefordert, in die Zukunft zu schauen. So will ich denn, meine Damen und Herren, auch heute wieder fragen: Was wird uns in diesem neuen Jahr vor allem beschäftigen? Im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung dürften im Wesentlichen zwei grosse Themen stehen: Zum einen das neue Ausländergesetz und das revidierte Asylgesetz, zum andern die Verselbständigung der Swisscom. Für alle Vorlagen sind Referenden angekündigt. Alle Vorhaben werden grosse, grundsätzliche Auseinandersetzungen auslösen. III. Das neue Ausländergesetz Die Ausländer- und Asylpolitik beschäftigt die Schweizerinnen und Schweizer seit Jahren. Nicht die zahlreichen ausländischen Arbeitskräfte, welche in der Schweiz ordnungsgemäss eine Aufenthaltsbewilligung erhalten haben, nicht die Aufnahme von echten Flüchtlingen sind Stein des Anstosses: Nein, all jene, die sich ungerechtfertigt oder gar illegal in unserem Land aufhalten, mit schlimmen Belastungen für Bund, Kantone und Gemeinden. Zeit, Kraft, Geld werden verbraucht. Behörden, Gerichte, soziale Dienste unnötig stark belastet. Das soll sich ändern. Es ist das Anliegen jedes Staates, für seine Bürger zu sorgen. Darum bestimmt heute auch jede Regierung auf dieser Welt, wann Ausländer eine Aufenthaltsbewilligung erhalten – und wann eben nicht. Die Schweiz hat mit einem Ausländeranteil von 21,7 Prozent (Ende 2004) einen der höchsten Ausländeranteile unter den westeuropäischen Staaten! Trotzdem kennt unser Land keine gettoähnlichen Vorstädte mit schwerwiegenden Ausschreitungen und fremdenfeindlichen Übergriffen. Das verdanken wir vor allem einer funktionierenden Wirtschaft, welche es fertig bringt, überhaupt so viele Menschen zu beschäftigen und damit auch zu integrieren. Trotz des hohen Ausländeranteils blieb die Arbeitslosigkeit in der Schweiz in den letzten Jahren eine der niedrigsten in Europa. Daneben gehören das Lohnniveau und die Kaufkraft zu den höchsten weltweit. Zu dieser hervorragenden Bilanz beigetragen hat die seit den 70er Jahren bewährte restriktive Ausländerbestimmung, die einerseits den Inländern Vorrang zugestand und – namentlich in Zeiten wirtschaftlicher Überhitzung – die Höchstzahl neuer ausländischer Arbeitskräfte beschränkte. Nach dem Ja zum freien Personenverkehr mit den EU-Staaten werden nach Ablauf einer besonderen Schutzklausel die EU-Bürger bezüglich des Arbeitsmarktes weitgehend den Schweizer gleichgestellt. Die Folgen dieser Personenfreizügigkeit sind noch ungewiss. Die Chancen und Risiken wurden im Abstimmungskampf dargelegt. Dieses Jahr stimmen wir nun über ein neues Ausländergesetz ab. Dieses regelt im Wesentlichen, unter welchen Voraussetzungen die nichteuropäischen Bürger eine Arbeitsbewilligung beantragen und unter welchen Voraussetzungen sie den Familiennachzug geltend machen können. Ebenso soll mit neuen Regelungen die illegale Einreise wie auch der illegale Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern bekämpft werden. Eigentlich ist es doch für jedermann verständlich, dass die Schweiz ihre Grenzen nicht für alle Menschen aus der ganzen Welt offen halten kann. Nach der sehr grosszügigen Lösung gegenüber den EU-Bürgern (450 Mio. haben theoretisch die Möglichkeit hier zu wohnen und zu arbeiten) versteht es sich doch von selbst, dass völlig offene Grenzen gegenüber allen Staaten der Welt nicht in Frage kommen können, wie dies die SP und die grünen Parteien wollen. Sie bekämpfen deshalb das neue Ausländergesetz. Sie plädieren somit für eine totale Personenfreizügigkeit. Eine solche globale Öffnung würde unser ganzes Sozialsystem kollabieren lassen. Die SVP hat zusammen mit einer Mehrheit von FDP und CVP hier eine verantwortungsvolle Lösung gefunden: Die Bewilligung soll sich bei den aussereuropäischen Ländern vor allem auf Hochqualifizierte und Spezialisten beschränken und äusserst restriktiv gehandhabt werden. IV. Zum revidierten Asylgesetz Einen anderen Bereich regelt das ebenfalls zur Abstimmung kommende revidierte Asylgesetz. Die Schweiz hat nie nur jenen Menschen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt, nach denen unser Arbeitsmarkt verlangte. Wir haben stets auch Leute aufgenommen, die in ihrem eigenen Land an Leib und Leben verfolgt waren. Natürlich gab es früher für diese Menschen keine Sozialleistungen oder andere Unterstützungen durch den Staat. Aber man liess sie einreisen und sie wurden von Privaten beherbergt und haben sich dann schnell selbst zu helfen gewusst. Denken Sie an alle die Glaubensflüchtlinge in der Reformationszeit, etwa die Hugenotten. Es waren tüchtige Leute. Auf sie gehen ganze Industriezweige der Schweiz zurück. Ein weiteres Beispiel: 1871 fanden 87'000 Soldaten der geschlagenen Bourbaki-Armee Zuflucht in der Schweiz, womit die Einwohnerzahl unseres Landes innerhalb von drei Tagen um drei Prozent anstieg! Auch im Zweiten Weltkrieg gewährte die Schweiz Verfolgten Schutz. Trotz Unzulänglichkeit der Behörden hat kein Staat der Welt im Krieg mehr Flüchtlinge pro Kopf aufgenommen als unser Land. Später kamen Menschen aus den kommunistischen Staaten. Ich verweise auf die Ungarn, die vor 50 Jahren in der Schweiz Zuflucht fanden. Auch heute nimmt die Schweiz jährlich etwa 1'500 an Leib und Leben verfolgte Flüchtlinge aus der ganzen Welt auf und gewährt rund 4'000 konkret gefährdeten Personen eine vorläufige Aufnahme. Unsere humanitäre Tradition gegenüber Flüchtlingen bestreitet keiner. Und das soll und wird auch so bleiben. Aber, meine Damen und Herren, was wir nicht gelöst haben, sind die enormen Missbräuche, die im Bereich Asylwesen wuchern. Über 85 Prozent aller Asylsuchenden sind keine politischen Flüchtlinge. Viele davon möchten vom hohen Lebensstandard in der Schweiz profitieren. Sie leben von der Sozialhilfe und sind nicht selten in einträgliche Schleppergeschäfte und die organisierte Kriminalität, namentlich in den Drogenhandel, verwickelt. Das ist Asylrechtsmissbrauch. Nichts anderes. Bis vor zwei Jahren wurden diese Missbräuche von vielen Politikern rundweg bestritten – und noch heute gibt es Kreise, die diese unschöne Wirklichkeit leugnen oder verdrängen. Doch diese Probleme müssen ernsthaft angegangen werden, wenn man die Flüchtlingstradition wahrnehmen will. Erste Erfolge konnten bereits durch eine konsequente Praxis erzielt werden. So ist die Zahl der neuen Asylgesuche im vergangenen Jahr um mehr als 29 Prozent zurückgegangen; ein stärkerer Rückgang als in vergleichbaren Staaten der EU. Viel zu hoch ist der Bestand allerdings im Vollzugsprozess. Die bereits erreichte Reduktion um ebenfalls rund 29 Prozent reicht nicht. Das Hauptproblem ist nach wie vor: Der Grossteil der Asylsuchenden kommt ohne gültige Reisepapiere. Es sind nicht in erster Linie die echten Flüchtlinge, die an Leib und Leben bedroht sind, die keine Papiere auf sich tragen, sondern vor allem diejenigen, die keine echten Asylgründe haben. Sie haben ihre Pässe oft versteckt, weggeworfen oder vernichtet. Warum? Weil im heutigen Asylverfahren derjenige, der seine Papiere versteckt oder vernichtet, gegenüber demjenigen, der sich korrekt verhält und seine Papiere vorweist, im Vorteil ist. Wird auf das Gesuch nämlich nicht eingetreten oder nach einer materiellen Prüfung abgelehnt, bleibt die Person häufig doch im Land, da sie in der Regel nicht freiwillig zurückreist und die Behörden sie wegen der fehlenden Dokumente nicht in ihr Heimatland zurückführen können. Dumm sind nicht diejenigen, die dieses System ausnützen, sondern diejenigen, die dieses System zur Verfügung stellen! Meine Damen und Herren, ohne Gesetzesänderung kann der politischen Forderung „Schutz den Flüchtlingen – Verminderung von Missbräuchen“ nicht Nachachtung verschaffen werden. Darum müssen wir die gesetzlichen Grundlagen ändern. Darum sagt das neue Gesetz: Art. 32 Abs. 2 Bst. a sowie Abs. 3 AsylG 2 Auf Asylgesuche wird nicht eingetreten, wenn Asylsuchende: 1. den Behörden nicht innerhalb von 48 Stunden nach Einreichung des Gesuchs Reise- oder Identitätspapiere abgeben; 3 Absatz 2 Buchstabe a findet keine Anwendung, wenn: 1. Asylsuchende glaubhaft machen können, dass sie aus entschuldbaren Gründen nicht in der Lage sind, innerhalb von 48 Stunden nach Einreichung des Gesuchs Reise- oder Identitätspapiere abzugeben; 2. auf Grund der Anhörung sowie gestützt auf die Artikel 3 und 7 die Flüchtlingseigenschaft festgestellt wird; oder 3. sich auf Grund der Anhörung erweist, dass zusätzliche Abklärungen zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft oder eines Wegweisungsvollzugshindernisses nötig sind. Sie sehen: Auch Asylsuchende, die keine Papiere auf sich tragen, können in Zukunft als Flüchtlinge angenommen werden. Aber Papiervernichtung darf nicht mehr zur Belohnung führen! Ist es denn zu viel verlangt, dass jemand – sei er Flüchtling oder nicht – sagt, wie er heisst und woher er kommt? Was soll da gegen die „humanitäre Tradition“ verstossen? Es geht nicht gegen echte Flüchtlinge, aber gegen Asylsuchende, die keine Asylgründe in unser Land führen, vielmehr unter Anleitung von Schleppern ihre Papiere vernichten, verstecken oder absichtlich nicht vorweisen. Um Leute, die ihren Namen, ihren Wohnort, ihr Heimatland und ihr Alter fälschen oder verheimlichen. Meine Damen und Herren, auch das geänderte Asylgesetz gewährleistet und garantiert selbstverständlich den Schutz für echte Flüchtlinge in unserem Land, aber ebenso entschieden sollen damit die eklatanten Missstände im Asylwesen beseitigt werden. Nur diese Kombination verschafft uns eine glaubwürdige und vertretbare Flüchtlingspolitik. Sie alle kennen aus den Medien Berichte von besonders krassen Beispielen. Etwa der Fall der Roma-Familie aus Rüschlikon. Mehrfache schwere Gewalttaten, Kosten in Millionenhöhe, negativer Asylentscheid – und trotzdem lebt die Familie noch immer hier. Warum? Dieser Fall lag jahrelang bei der Asylrekurskommission. Sie haben es gehört, diese Woche wurde endlich entschieden. Der Vater und der volljährige Sohn müssen gehen, die anderen dürfen einstweilen bleiben. Die Asylrekurskommission ist eine so genannt „selbständige“ Kommission. Das heisst, sie entscheidet „unabhängig“ und lässt sich dabei nicht in die Karten blicken. Es ist gut, dass jetzt ein Urteil vorliegt, aber es ist natürlich schlecht, dass dies so lange gedauert hat. Die Asylrekurskommission gehört ab 2007 zum Bundesverwaltungsgericht. Hoffen wir, dass dieses neue Gericht neben der rechtlichen Verantwortung auch an die Folgen denkt, welche immer wieder hinausgeschobene Entscheide für unser Land bedeuten. V. Am Ort des Nichtgeschehens Ich bin es mir als Unternehmer gewohnt, den Sachen im Alltag nachzugehen. So besuche ich ab und zu auch Aussenstellen und Empfangszentren; jene Orte also, wo die Asylsuchenden eintreffen und erste Abklärungen getroffen werden. Ich pflege dort jeweils unangemeldet aufzutauchen. So begab ich mich vor einem Jahr zur Asylunterkunft am Flughafen Zürich. Die dort anwesende Leiterin schaute mich mit ziemlich grossen Augen an, weil der Besuch eines Bundesrates doch eher ungewöhnlich ist. Normalerweise erscheint dort kein Justizminister. Ich fragte die Frau, wie es so gehe. Sie gab mir zunächst ausweichend Antwort, und ich hakte nach, ob sie sehr viel zu tun hätte. Die Frau meinte, eben nicht: „Wir verzeichneten in den letzten Tagen eigentlich wenig Neueingänge.“ – „Sie brauchen gar nicht so betrübt zu schauen“, antwortete ich, „das sind keine schlechten Nachrichten.“ Aber, schob sie dann nach, gerade heute morgen seien sieben Tamilen angekommen und die hätten gleich sechs weitere für den kommenden Montag angekündigt. „Ja, kommen denn jetzt wieder Tamilen? Aber warum denn?“ So weit ich wisse, gäbe es zurzeit in Sri Lanka keine politischen Verfolgungen mehr. Sie kenne die genauen Gründe auch nicht, meinte die Dame. Jedenfalls befänden sich die sieben Gesuchsteller gleich im ersten Stock in einer Befragung. Es war kurz vor Mittag, ich stieg die Treppe empor und ging unangemeldet in das betreffende Zimmer. Die sieben Männer hatten den Raum bereits verlassen, doch die Sachbearbeiter waren noch da. Ich sprach mit ihnen und fragte, woher die sieben Männer denn genau herkämen. „Sie sind von Colombo nach Warschau geflogen und heute mit der Swiss in der Schweiz gelandet. Alle ohne Papiere.“ – „Keine Papiere? Wie konnten sie dann fliegen? In Polen werden sie wohl noch mit Dokumenten umgestiegen sein.“ Da trat ein Herr vom Nebenraum hinzu und zeigte eine Schale voller verschnitzelter, zerfetzter Pässe. Ich fragte: „Woher haben Sie denn diese Papiere?“ – „Die hat uns eben eine Putzfrau aus den Toiletten des Flughafens gebracht.“ Sie denken vernünftigerweise, die jungen Männer müssten folglich unverzüglich wieder nach Colombo zurückfliegen. Der neben mir stehende Polizeiverantwortliche sagte, das wäre an sich keine Sache, auch würden die Behörden die Personen ohne Weiteres zurücknehmen, selbst ohne Pässe, nur würde das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge einer sofortigen Rückführung wohl nicht zustimmen. Jeder Gesuchsteller müsse zuerst in ein Empfangszentrum überführt und dort das ordentliche Asylverfahren durchlaufen. Jemand der Anwesenden fügte noch hinzu, dieses Prozedere führe dazu, dass diese sieben Männer wohl monatelang hier bleiben würden, auch wenn sie keine Flüchtlinge sind. Ich fragte, wo sich die Tamilen jetzt aufhalten würden. Sie seien eben in die Schlafräume gegangen. „Kann ich sie mal sehen?“ Man bejahte und ich stieg in den Schlafraum hinauf mitsamt meinem Weibel in seiner ordnungsgemässen grünen Uniform. Kaum öffneten wir die Türe, sprangen alle sieben unverzüglich von ihren Pritschen auf und stellten sich wie eine Gruppe junger Soldaten in Reih und Glied auf, da sie im Weibel wohl einen Polizisten vermuteten. Prächtige Burschen, wahrscheinlich fleissige Kerle. Ich fragte, ob sie etwas Englisch verstünden. Der erste bejahte. Ich fragte, woher sie kämen? Aus Colombo. Dann wollte ich wissen, warum sie in die Schweiz geflohen seien. Da riefen alle sieben gemeinsam: "Tsunami, Tsunami, Tsunami". Interessant, fand ich, nur der Tsunami wütete doch an der Ostküste Sri Lankas. Colombo befindet sich genau auf der gegenüber liegenden Seite. Wenn Leute aus Colombo aufgrund des Tsunami um Asyl fragen, ist das etwa ähnlich absurd, wie wenn nach einer Überschwemmung im Tessin plötzlich die Zürcher Oberländer bei ihrer Versicherung Schadensfälle anmelden. Als ich die Gruppe auf diese Absurdität ansprach, verstand keiner mehr Englisch… Ich bin diesem Asylgesuch im Verlaufe des Jahres systematisch nachgegangen, weil mich interessierte, wie ein solch offensichtlicher Missbrauch konkret abläuft: Bei sechs von diesen sieben Asylsuchenden sind die Verfahren abgeschlossen worden. Das Asylgesuch ist abgelehnt, bei der siebten Person ist noch ein Rekurs bei der ARK hängig. An sich wäre das speditive Verfahren als Erfolg zu werten. Die Gesuchsteller, die den negativen Entscheid erhalten haben, sind in der Zwischenzeit untergetaucht, so dass wir keine geordnete Rückführung nach Sri Lanka vornehmen konnten. Meine Damen und Herren, solche und ähnliche Dinge passieren täglich. Tausende im Jahr. Wir haben heute rund 50'000 Personen im Asylprozess. Letztes Jahr haben rund 10'000 Personen ein neues Asylgesuch gestellt. Von ihnen haben 1'497 Personen oder 13,6 Prozent den Flüchtlingsstatus erhalten, während weitere 4'436 Personen eine vorläufige Aufnahme erhalten haben. Die anderen müssen unser Land wieder verlassen. Und zwar möglichst rasch. Es gibt heute nicht genügend gesetzliche Grundlagen, um solche Leerläufe zu beseitigen und in Zukunft wirkungsvoll zu handeln. Aber unsere Rechtsordnung darf keine Plattform bieten für systematische Missbräuche und Missstände. Neben einer unsinnigen Bürokratie bedeutet die bestehende Gesetzgebung auch eine enorme finanzielle Belastung für den Bund, die Kantone und die Gemeinden und damit für die Bevölkerung. Wenn wir die Gesamtkosten im Asylwesen auf die tatsächliche Zahl der anerkannten Flüchtlinge herunterrechnen, kostet ein rechtmässiger Flüchtling eine Million Franken. Ist das „humanitär“? Ist das intelligent? Ist das der Bevölkerung noch weiter zuzumuten? Auch die letztlich in der Presse eingehend dargestellten Fälle müssen zu anderen Lösungen führen. Hier ein letztes Beispiel: Zwei international gesuchte Albaner stellten 2004 ein Gesuch um Asyl. Der eine wird beschuldigt, fünfzehn Überfälle begangen, zwei Menschen ermordet und ein Kind entführt zu haben. Ausserdem soll er an mehreren tödlichen Attentaten beteiligt gewesen sein. Sein Asylkumpane wird der Beteiligung an immerhin fünf Raubüberfällen verdächtigt. Das Bundesamt für Flüchtlinge entschied umgehend: Die Asylanträge wurden abgelehnt. Das Bundesamt für Justiz verfügte – nach einer ordentlichen Überprüfung der Anschuldigungen – die Auslieferung der beiden Albaner. Ein klarer Fall? Ja. Aber nicht für die Asylrekurskommission: Sie heisst eine Beschwerde der Albaner gut. Beide erhalten Asyl. So wurden aus zwei schwerer Verbrechen Angeklagten zwei Flüchtlinge. Um die Geschichte noch zu vervollständigen: Der Entscheid war letztinstanzlich, auch das Bundesgericht verfügte die Freilassung und liess die Kosten für Anwalt, Dolmetscher, Übersetzung erstatten und sprach zudem eine Haftentschädigung zu. Auch wenn das neue revidierte Asylgesetz durch das Volk bestätigt wird, geht unsere Arbeit weiter. Denn es bleiben noch einige Mängel im Asylrecht, wie dieses Beispiel eindringlich zeigt. VI. Gebt dem Staat nur, was dem Staat gehört Neben dem Asyl- und Ausländergesetz werden wir uns 2006 noch mit einer Vorlage ganz anderer Art zu befassen haben. Es geht um die Frage, wie viel Staat ein Unternehmen im freien Wettbewerb erträgt oder ob der Staat seine Verantwortung als Unternehmer im freien Wettbewerb wahrnehmen kann. Ich rede von der Swisscom und damit von einem scheinbar privatisierten Betrieb, der aber noch immer zu zwei Dritteln dem Bund gehört. Im November stand die Swisscom kurz vor der Übernahme einer irischen Telekomgesellschaft, was den Bundesrat zu einigen grundsätzlichen Entscheiden veranlasste. Der Bundesrat war der Meinung, dass dieses Auslandengagement zu risikoreich sei und darüber hinaus Folge einer falschen Strategie. Zudem forderte der Bundesrat die Swisscom auf, das überschüssige Kapital an die Aktionäre abzuführen. Damit würde künftig das Geld für solche Abenteuer fehlen. Drittens will der Bundesrat dem Parlament möglichst bald eine Vorlage unterbreiten, die die Entflechtung von Staat und Swisscom vorantreibt. Als privatisiertes oder privates Unternehmen kann die Swisscom frei handeln. Die Grundversorgung ist durch das Gesetz gewährleistet. Die Parallelen zur ehemaligen SWISSIAR sind eklatant. Auch die Swisscom kommt wie die frühere SWISSAIR aus einem mehr oder weniger regulierten Markt heraus. Dieser vormals geschützte Heimmarkt beginnt zu bröckeln und wächst nicht mehr. Noch stimmen die Erträge. Noch scheint der Erfolg gesichert. Doch die Firma stagniert auf ihrem gesättigten Heimterrain. Nun kommt die Versuchung, im Ausland Unternehmen hinzuzukaufen. So wird die Firma zwar grösser, doch die Probleme bleiben die gleichen. Im Gegenteil: Die Risiken nehmen zu. Denn die Telekommunikationsunternehmen im Ausland kranken alle am gleichen Problem: Auch sie können nicht wachsen. Auch sie werden bedrängt von neuen Kommunikationstechnologien und anderen Wettbewerbern. Wenn Sie ein Unternehmen mit den gleichen Problemen kaufen, an denen auch Ihr eigenes leidet und meinen, damit die Lösung gefunden zu haben, hat das mit der Hoffnung auf ein Wunder zu tun. Minus mal minus gibt nur in der abstrakten Welt der Mathematik plus. In der Geschäftswelt gehen Sie unter. Die Swisscom versuchte schon vor zehn Jahren sich im Ausland zu etablieren – und scheiterte jedes Mal: In Indien, Malaysia, Tschechien, Ungarn und Österreich. Bei der deutschen Debitel setzte die Unternehmensleitung sogar 3,3 Milliarden Franken in den Sand. Statt die Strategie zu ändern wurde als Nächstes eine Fusion mit der österreichischen Tele Austria angestrebt. Was zum Glück schon vor der Unterschrift scheiterte. Und nun sollte es plötzlich die hoch verschuldete Eircom sein, beziehungsweise die dänische Gesellschaft TDC. Der Bundesrat hat deshalb am 23. November 2005 einen wichtigen Entscheid gefällt und diesen Weg unterbunden. Eine Swisscom kann – so lange der Staat Mehrheitseigentümer ist – solche Risiken nicht eingehen. Das lässt die Verantwortung gegenüber unserem Volk nicht zu! Fehlentscheide, Misserfolge im Ausland würden nicht nur zu einer Krise des Unternehmens selbst führen, sondern eine Staatskrise auslösen. Denn die Schweiz müsste nicht nur wie gewöhnliche Aktionäre haften, sondern wäre als Mehrheitsaktionär und Staat zu einer Haftung weit darüber hinaus verpflichtet. VII. Unternehmen in freiem Wettbewerb gehören nicht dem Staatsbesitz In einem freien Wettbewerb darf der Staat nicht als Unternehmer auftreten. Er ist grundsätzlich der falsche Eigentümer. Erst recht, wenn damit eine internationale und damit zwangsläufig risikoreiche Tätigkeit verbunden ist. Es kann doch nicht Aufgabe des Staates Schweiz sein, in Tschechien, Ungarn, Österreich, Malaysia, Indien und nun neuerdings auch in Irland und Dänemark den Service Public zu garantieren. Oder stellen Sie sich vor, das Schweizer Fernsehen würde plötzlich ins Ausland expandieren und den „Samschtig Jass“ in Irland und Malaysia programmieren. Und Sie würden diesen Flop durch ihre Gebühren finanziell mittragen. Der Bundesrat ist eine politische Behörde und nicht dafür gewählt, Unternehmen zu führen. Trotzdem trägt er die Verantwortung für die dem Staat gehörenden Unternehmen. Diese Verantwortung nicht wahrzunehmen – sei es aus Unfähigkeit, Furcht oder Schlamperei – das geht nicht. Darum hat der Bundesrat entschieden. Spät zwar, aber gerade noch rechtzeitig und richtig. Es gibt keinen Grund mehr, warum die Schweiz Eigentümerin der Swisscom sein soll. Das war zur Zeit der PTT noch sinnvoll und richtig, als diese den ganzen Fernmeldebereich abdeckte. Das ist heute nicht mehr so. Die Grundversorgung ist auf jeden Fall durch das Gesetz gewährleistet, auch wenn die Swisscom verselbstständigt würde. Telekommunikationsunternehmen reissen sich in der Schweiz um die Erlaubnis, diese Grundversorgung übernehmen zu dürfen. Bis 2007 ist dieses Privileg der Swisscom zugesprochen. Dann muss dieser „Grundversorgungsauftrag“ – so heisst die letzte Meile fälschlicherweise noch immer – neu ausgeschrieben werden. Was lehrt uns diese Swisscom-Geschichte? Anders als Philosophen müssen Politiker nicht schöne Theorien verkünden und Visionen verfolgen, sondern konkrete Probleme lösen. Der Bundesrat hat die Gefahren erkannt, schnell und wirksam gehandelt. VIII. Schlusswort Meine Damen und Herren, Wir stehen am Anfang des politischen Jahres 2006. Die drei genannten Vorlagen – das revidierte Ausländergesetz, das Asylgesetz und die Swisscom – gehen weit über simple rechtliche Fragen heraus. Alle drei Vorlagen betreffen das Innerste unseres Staatsverständnisses. An der Albisgüetli-Tagung 2006 rufe ich Sie auf, für alle drei Vorlagen die Ja-Parole im Interesse von Land und Volk und im Interesse einer verantwortungsvollen Politik zu vertreten. Sie haben richtig gehört. Ich habe drei Mal Ja gesagt. In den vergangenen Jahren musste die SVP oft NEIN sagen im Interesse von Land und Volk, weil Lösungen angeboten wurden, welche die SVP nicht mitragen konnte. Man hat uns lange als „Nein-Sager-Partei“ tituliert. Ich habe darauf immer entgegnet: Man stellt uns halt die falschen Fragen. 2006 werden die Fragen richtig gestellt: Wollen Sie ein wirksames Asylgesetz gegen den kostspieligen und ärgerlichen Asylrechtsmissbrauch? Wollen Sie ein Ausländergesetz, das die Zuwanderung auf sinnvolle Weise regelt, damit wir die Zahl der Illegalen eindämmen können? Wollen Sie die Swisscom in die unternehmerische Freiheit entlassen, ohne dass deswegen irgendjemand auf seine Telefonleitung verzichten muss und ohne, dass das Schweizer Volk Milliarden verliert? Heute kann ich Sie als Bundesrat aufrufen, bei drei wichtigen Regierungsvorlagen JA zu sagen und für dieses gemeinsame Ja zu kämpfen! Weil die Vorlagen gute Lösungen beinhalten! Das heisst aber nicht, dass Sie bis in alle Zukunft zu jeder Bundesratsvorlage nur noch Ja und Amen sagen müssen…

12.01.2006

Eine gefährliche Situation

«Christoph Blocher glaubt, dass der jetzige Bundesrat besser entscheidet als der vorherige. Der Justizminister über Freundschaft in der Regierung, praxisferne Konzernchefs, Fehler der Linken und den Fluch, wieder Unternehmer sein zu müssen.» 12.01.2006, Facts, Othmar von Matt Herr Blocher ... nein. Entschuldigung. Herr Bundesrat... (Lacht) Danke vielmals, ich hatte es ganz vergessen. Hört sich für Sie «Bundesrat Blocher» noch aussergewöhnlich an? Nein. Ich bin Bundesrat, und in diesem Amt fest zuhause. Ein wenig aussergewöhnlich war es die ersten Tage. Mussten Sie auch selbst einmal über den «Bundesrat Blocher» lachen? Nein, ich hatte nie eine andere Vorstellung von einem Bundesrat. Ich wusste: Ich habe ein neues Amt. Jetzt heisst es halt «Herr Bundesrat», zuvor hiess es «Herr Nationalrat». Welche Phasen haben Sie erlebt in Ihren zwei Jahren als Bundesrat? In der ersten Phase schloss ich mich für drei Monate ein. Die Leute fanden es komisch, dass ich nicht kommunizierte, aber ich musste sehen, was mich erwartet. Ich arbeitete zwanzig Stunden pro Tag, vertiefte mich in alle Probleme. Dann wusste ich, was ich mache. Ich musste viele Vorlagen ändern. Welche Phasen kamen dann? Ich musste den Weg suchen, mich durchsetzen. Das war nicht einfach. Vorallem auch gegen die Verwaltung. Jetzt kenne ich die Leute, die Mitarbeiter. Seit einem Jahr bin ich gut installiert. Dann wurde die Arbeit auch im Bundesrat intensiver. Zu Beginn hatte ich dafür nicht so viel Zeit und Kraft. Sie mischen sich stark ein. Ich rede nicht in andere Departemente hinein. Aber ich sehe mir alles sehr genau an, was wir im Bundesrat beschliessen. Und ich beurteile es. Das betrachte ich als meine Aufgabe. Ich trage Mitverantwortung. Wie charakterisieren Sie Ihre Stellung im Bundesrat heute? Ich bin einer von sieben. Es ist nicht so, dass ich eine dominante Stellung einnehme. Aber ich trage, wie jeder, ein besonderes Spektrum in diesen Rat - vielleicht das Unternehmerische, Wirtschaftliche, Finanzielle. Und man merkt, dass heute zwei SVP-Leute im Bundesrat sitzen. Die SVP-Politik wird stärker vertreten als früher. Mit Ihnen in der Leaderrolle? Nein. Ich muss alles über die Überzeugung schaffen, nicht, weil ich ein Leader bin. Nach aussen hin rumpelt das ein bisschen, das spürt man. Es gibt natürlich Erschütterungen, wenn jemand, der zuvor in der Opposition war, seine Ideen stark in der Regierung einbringt. Aber wir haben eine gute, sehr zielgerichtete Diskussion im Bundesrat. Sie loben die SVP-Vertretung. Das heisst: Samuel Schmid ist für Sie inzwischen kein «halber Bundesrat» mehr? In der Grundausrichtung decken wir uns. Obwohl natürlich nicht jeder in jedem Geschäft dieselbe Auffassung hat. Wie hat sich der Bundesrat verändert, seit Sie dabei sind? Bundesräte, die schon vor 2003 dabei waren, sagen mir, man diskutiere viel intensiver. Zudem haben wir keine schwerwiegenden Fehlentscheide getroffen. Wir gründeten keine Swiss, schafften keinen Solidaritätsfonds und keine Expo mit Milliardenverlusten. Das ist schon viel. Prästieren das die Bundesräte gut? Ich habe das Gefühl, ja. Auch Moritz Leuenberger? Das müssen Sie ihn fragen. Wir haben verschiedene Auffassungen, er ist ein Sozialdemokrat, ich bin ein Bürgerlicher. Ich entscheide nicht im Bundesrat. Es wird abgestimmt. Zwischen Ihnen und Leuenberger herrscht auch persönlich nicht gerade tiefe Freundschaft. Freunde waren wir nie. Das müssen wir aber auch nicht, um im Bundesrat zu sitzen. Auch mit den anderen war ich nie befreundet. Es wäre auch nicht gut, wenn dies sieben Freunde wären. Ich halte nichts von Kameraderie. Hass und Verachtung ist aber nicht vorhanden. Was hat Sie in diesen zwei Jahren im Bundesrat am meisten überrascht? Dass ich Anträge einbringen konnte - und mit vielen durchdrang. Das hätten Sie nicht erwartet? Ich kam von aussen, hatte den Bundesrat oft kritisiert. Es hätte sein können, dass sich die Bundesräte sagen: Jetzt zeigen wir es ihm, hören ihn nicht an, diskutieren nicht mit ihm, lehnen jeden Antrag von ihm ab, jede Vorlage. Phasenweise geschah das. Es gab einzelne Entscheide, bei denen ich das spürte. Gesamthaft gesehen war das aber nicht der Fall. Einzelne Bundesräte machten das vielleicht, die Mehrheit aber nicht. Ich kann keinen wesentlichen Antrag aus dem eigenen Departement nennen, mit dem ich deswegen gescheitert wäre. Dieser Bundesrat entscheidet besser als der vorangegangene. Warum? Geheimes, Hinterrückiges, Hinterhältiges ist viel grausamer als es offene Diskussionen sind. Ich habe mit früheren Bundesräten über Interna gesprochen. Wer sagt, damals sei alles wunderbar gewesen, täuscht sich. Es gab Zeiten, in denen es im Bundesrat Tränen absetzte. Das gab es in den letzten zwei Jahren nie. Hier ist etwas geschehen. Oft erfährt man heute das Abstimmungsresultat im Bundesrat. Das ist unkorrekt, aber mehr Transparenz könnte nützen. Natürlich muss man aufpassen, dass das System nicht zu sehr belastet wird. Hat der Bundesrat entschieden, darf man nicht mehr gegen diesen Beschluss antreten. Daran halte ich mich. Ganz am Anfang war es ein wenig schwierig, weil ich Vorlagen meiner Vorgängerin vertreten musste. Das waren Übergangsschwierigkeiten, die es bei einem Politiker mit einer starken Meinung geben darf. Sie sind mit dem Bundesrat zufrieden - und sogar SVP-Präsident Ueli Maurer ist es. Das heisst: Die Politik läuft nach Ihrem Gusto. Wenn man so tut, als ob dieser Bundesrat nicht funktionsfähig sei, dann kennt man die Fakten nicht. FDP-Präsident Fulvio Pelli sagt aber, der Zufall regiere die Schweiz. Das ist halt in der direkten Demokratie so. Das ist das Resultat eines Kräfteverhältnisses. Und das ist gar nicht so schlecht - und ist nicht neu, war immer so. Viele ausländische Politiker können es fast nicht verstehen, dass die Schweiz so funktioniert. Der Beweis ist, dass es funktioniert. Sie steht sogar besser da als die meisten Länder mit sauber strukturierter Regierung und Opposition und einem starken Präsidentensystem. Die Bürger haben zudem mehr Freiheiten als in anderen Staaten. Ist das jetzt ein klares Bekenntnis zur Konkordanz? Wir haben sie. Sie hat Vor- und Nachteile. Hätten wir die direkte Demokratie nicht, wäre ich aber nie für die Konkordanz. Dann fehlte uns die Opposition. Unsere Opposition ist eigentlich das Volk, es ist der Richter. Deshalb funktioniert die Konkordanz. Und dafür bin ich. Ein Plädoyer für zwei Sozialdemokraten in der Regierung? Solange es die Konkordanz gibt, zählt die Grösse der Partei. Die SP-Bundesräte bleiben in der Regierung. Dagegen habe ich nie etwas eingewendet. Die «SonntagsZeitung» schrieb aber, Sie arbeiteten an einem Hinauswurf der SP-Bundesräte. Warum sie dies schreiben, ist mir schleierhaft. Ich wüsste nicht, wo ich das gesagt haben sollte. Ich arbeite nicht darauf hin. Komischerweise sagt niemand, dass die Sozialdemokraten dies tun. Sie wollen Blocher und die SVP aus der Regierung haben, und erklären dies. Suchen Sie die bürgerliche Vorherrschaft? Nein. Aber jeder, der eine Meinung und eine Überzeugung hat, will diese durchsetzen. Natürlich will ich etwas durchsetzen, wenn ich überzeugt bin davon. Welche längerfristigen Ziele haben Sie mit der Schweiz? Es ist nicht so, dass wir schon sehr viel erreicht haben. Wir haben zwar Projekte, die das Aufgabenwachstum bremsen sollen. Aber im Moment stecken wir in einer gefährlichen Situation. Der Wirtschaft geht es viel besser. Dies gibt höhere Einnahmen. Trotzdem haben wir eine grosse Überschuldung. Und sehen wir uns die finanzielle Situation ausserhalb des Bundeshaushaltes mit den grossen Pensionskassen an, wird klar: Wir haben noch vieles vor uns. Damit die Schweizer Wirtschaft konkurrenzfähig bleibt, wir Vollbeschäftigung und Arbeitsplätze halten können, müssen wir sehen, dass der Staat weniger reguliert. Da stehen wir noch am Anfang. Was muss geschehen und wie lange dauert es? Das kann ich nicht sagen. Ich spüre, dass die Einsicht wächst. Immer mehr Leute sind von der Selbstverantwortung überzeugt. Ein Wandel hat vor allem bei den Jungen eingesetzt. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass wir Boden fassen. Wie wichtig das ist, zeigt das Beispiel Deutschland: Man kann ein Schiff kaum mehr wenden, ist es zu lange in die falsche Richtung gefahren. Früher haben Sie selbst einen deutschen Kanzler als Vorbild erwähnt: Konrad Adenauer, der 14 Jahre im Amt blieb. Ihnen verbleiben also noch zwölf Jahre - bis 2017. Was liegt da noch drin? Ich sagte, mein Rücktritt sei aufs Jahr 2026 vorgesehen. (Lacht) So alt war Adenauer, als er zurücktrat. Damit hätten Sie eine deutlich längere Regierungszeit als Adenauer. Ja, aber Adenauer war Kanzler. Das zählt doppelt. Sie benötigen länger? Ja, weil ich nur Bundesrat bin. Wichtig ist, dass man sein Gedankengut einbringt. Man muss gar nicht immer ein klares Projekt haben. Gedanken sorgen für ein Umdenken, hin zu den Eigenschaften, die die Schweiz stark gemacht haben. Sie war ein ökonomisch armes Land, das reich wurde. Die Schweiz hat mit ihrer direkten Demokratie einen hohen Freiheitsgrad. Und es gibt Kreise, die die direkte Demokratie zerstören wollen. Sie finden, Demokratie sei nicht zeitgemäss. Diese Ideen kommen nicht nur von den Linken, die in die EU und damit alles aufgeben wollen. Diese Ideen kommen vor allem aus der Wirtschaft und von Avenir Suisse. Ja. Die Kreise, die das denken, sind weit weg von der Praxis. Dahinter stecken auch Topmanager von globalen Konzernen. Ja, das stimmt. Ich sage nicht, dass wir auf die Knie sinken sollen, sobald Manager aus globalen Konzernen einen Gedanken äussern. Natürlich höre ich in wirtschaftlichen Dingen stark auf sie, doch in Sachen direkter Demokratie liegen sie falsch. Sie glauben, ohne direkte Demokratie werde ein Staat liberal, habe eine kleinere Ausdehnung. Direkte Demokratie aber bremst den Staat tendenziell. Wie soll die Schweiz aussehen, wenn Sie zurücktreten - 2017 oder 2026? Das weiss ich nicht. (Lacht). Soweit muss ich jetzt nicht denken. Das ist Ihnen egal? Nein, egal ist es mir nicht. Aber ich kann nicht sagen, wie sie zu jenem Zeitpunkt genau aussieht. Was soll denn einst im Geschichtsbuch über Sie stehen? Das kann man sowieso erst in 150 Jahren beurteilen. Ich arbeite nicht an meiner Geschichtsschreibung. Eine Schweiz als unabhängiges, freiheitliches Land, das nicht jeden Trend im Ausland mitmacht, hat grosse Chancen. Diese Chancen nehmen zu, das spürt man. Die Vereinheitlichung, die die EU als Ziel hat, ist nicht die Lösung. Auch das spürt man immer mehr. Es ist enorm wichtig, dass alle Bürger an der Staatsgestaltung mitwirken. Ich bin davon überzeugt, dass man dem Staat wenig Macht geben soll, damit sich der Bürger entfalten kann. Ich hoffe, die Situation ist bei meinem Rücktritt besser, als sie es 2003 war, als ich Bundesrat wurde. Hat sie sich seither gebessert? Sie ist schon besser. Wenig nur. Aber sie ist besser. Lässt sich das jetzt mit fünf multiplizieren in der Ära Blocher? Das hängt nicht von einer Person ab, sondern von der Zeitströmung, der geistigen Verfassung, der Diskussionskultur. Deshalb lege ich solchen Wert auf Auseinandersetzungen, Transparenz und Wettbewerb der Ideen und Grundauffassungen. Kommen Ihnen die Zeiterscheinungen entgegen? Sie ändern sich in meine Richtung. Man ist skeptisch gegenüber dem Anspruch, der Staat solle alles regeln. Die Leute realisieren, dass das auf die Dauer nicht geht. Deshalb die unglaubliche Nervosität der Sozialdemokraten und der Grünen. Sie realisieren, dass ihnen die Felle davonschwimmen. Nur machen Sie einen Fehler: Sie fokussieren auf mich. Sie geben mir viel zu viel Macht und Bedeutung. Sie stellen Ihr Licht jetzt unter den Scheffel. Man kann mir den Vorwurf machen, dass ich meine Ideen konsequent vertrete. Aber eine Person alleine kehrt ein Land nicht. Schon gar nicht in der Schweiz. In Ihrem Büro soll eine Karikatur von Raymond Burki hängen. Sie zeigt Sie auf einem Wagen, mit der Peitsche in der Hand, wie Sie den Bundesrat dirigieren. Sie ist zwar jetzt nicht zu sehen... (zeigt nach rechts, wo die Karikatur hängt) Doch, diese da. Er hat sie gezeichnet, als ich Bundesrat wurde. Und sie wurde mir geschenkt. (Ein schelmisches Lachen überzieht sein ganzes Gesicht). Diese Karikatur gefällt Ihnen offensichtlich sehr gut. Ja. Es gibt ein Anker-Bild, auf dem sieben Kinder mit diesem Wagen zu sehen sind. Burki hat die Kinder durch Bundesräte ersetzt und sagte, ich soll den Fuhrmann spielen. Aber ich hätte sie auch aufgehängt, wenn er mich anders dargestellt hätte. Er hat Sie nun einmal in einer sehr dominanten Rolle gezeichnet. Ja, ja. Ich komme sogar zweimal vor. Als Blocher, der auf dem Bild ist und als Blocher, der das Bild zeigt. Sehen Sie, am unteren Rand: Da zeige ich die Karikatur. Das beweist: Diese Rolle gefällt Ihnen sehr. Nein. (Überlegt) Nein. Nein. Da haben Sie nicht recht. Ich wäre zufrieden, müsste ich im Bundesrat nichts sagen. Wie bitte? Liefe es, wie ich es für richtig halte, würde ich lieber nichts sagen. Reagieren andere, mache ich nichts. Machen andere nichts, reagiere ich. Aber ich muss mich zwingen. Jedesmal. Schon wieder muss ich etwas machen. Gopfnomal. Ich spiele keine Rolle. Ich muss mich wehren gegen diese Rolle. Und der Fluch lastet auf mir, hier wieder Unternehmer sein zu müssen. Ich wäre froh, es nicht mehr sein zu müssen. Immerhin schreiben Sie zu allem und jedem Mitberichte. Ja. Aber nicht aus Lust. Sondern aus Pflicht. Aber ich bin froh, wenn ich etwas nicht entscheiden muss. In der Schweiz sind grosse Ängste vorhanden vor dem Kurs der Regierung mit Ihnen. Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss sagte in FACTS: «Blocher macht mir Angst. Ich fürchte, dass er unsere Institutionen gefährdet.» Vor einem Gegner hat man halt Angst. Ich hatte auch Angst vor Frau Dreifuss, gottvergessene Angst davor, was sie alles kaputt machte mit ihrer Politik. Selbst der frühere Präsident der Freisinnigen Franz Steinegger sagt inzwischen, die Rechtsbürgerlichen suchten nicht mehr den Konsens. «Sie wollen die neoliberale Revolution.» Steinegger machte mir auch Angst, wie er die Dinge schleifen liess. Er scheiterte ja als Präsident der FDP. Dabei hätten wir diese Partei benötigt. Haben Sie selber auch Ängste? Natürlich. Ich habe immer Ängste, schon immer gehabt. Das ist in der Verantwortung so. Ich habe aber nicht mehr schlaflose Nächte, als ich sie als Unternehmer hatte. Da stand ich alleine, war verantwortlich für 3000 Familien. Dies ist im Bundesrat anders. Hier trage ich nur einen siebtel der Verantwortung. Angst darf man haben. Es gibt keinen angstlosen Zustand, wenn man in der Führung steht. Macht Angst Sinn? Angst bewahrt vor Fehlentscheiden und vor leichtfertigem Handeln. Angst ist ein gutes Hindernis dafür, sich zu stark nach aussen zu wenden. Aber Angst ist nichts Angenehmes. Finanzielle Ängste habe ich heute nicht mehr, ich bin als ehemaliger Unternehmer ja vermögend. Aber ich habe Angst, dass im Land etwas schief geht. Dass die Konkurrenz für dieses Land zu gross wird. Dass wir Fehlentscheide treffen. Das ist der normale Zustand.

24.12.2005

«Meine Freunde sind entäuscht von mir»

Was er auch tut, er macht es mit Herzblut. Mit einem inneren Feuer. Und mit messerscharfem Verstand. Christoph Blocher bewegt. Nicht nur die Politik. Sondern auch die Menschen. Sie hassen oder lieben ihn – etwas dazwischen gibt es kaum. Als Oppositioneller schaffte er vor zwei Jahren den Sprung in den Bundesrat. "Und ich bin froh, dass ich mich für dieses Amt entschieden habe", sagt der 65-Jährige heute. Seine Bilanz der ersten 24 Monate fällt positiv aus. Die Regierungskollegen hätten ihn weder ausgegrenzt noch blockiert. "Ich konnte viel erreichen, sogar mehr als ich erwartet habe." 24.12.2005, Schweizer Illustrierte, Christine Zwygart Christoph Blocher ist Unternehmer. Und wie ein Wirtschaftsboss führt er auch seine Polizei- und Justizdirektion. Die reduzierte die Kosten um jährlich 80 Millionen Franken, "und zwar ohne Leistung abzubauen". Und auch im Asylwesen habe er viel bewirkt: Dank dem neu revidierten Asylgesetz könne die Schweiz die gravierenden Missbräuche beseitigen. Und: "Der Bundesrat hat in den letzten zwei Jahren keine Dummheiten beschlossen", betont Blocher. Sicher sei nicht alles so entschieden worden, wie er es gern gehabt hätte. "Aber grosse Böcke wie damals die Milliarden für die Swiss und die Expo – solche Sachen haben wir uns nicht geleistet." Der Blick zurück lässt viele Momente wieder aufleben. Auch seinen Wahltag im Dezember 2003. "Ich hoffe, dass Gott hilft, dass es gut herauskomme", sagte Blocher damals. Hat Gott geholfen? "Ja natürlich!" Sie haben vor zwei Jahren orakelt, dass Sie Freunde enttäuschen werden. Haben sich Ihre Befürchtungen bewahrheitet? Ja natürlich. Als Bundesrat muss ich manchmal Entscheide vertreten, die ich persönlich nicht teile. Meinen Freunden muss ich zumuten, dass ich nicht mehr auf ihrer Seite kämpfe. Tut das weh? Das tut mir manchmal leid. Denn ich merke, dass sie enttäuscht sind und mühe damit haben. Aber ich muss ihnen das halt einfach zumuten. Sie spalten die Schweiz. Man liebt oder hasst Sie – egal sind Sie niemandem. Damit lebe ich schon seit über 30 Jahren. Persönlichkeiten haben eben eine starke eigene Meinung. Die einen können sich damit identifizieren, andere nicht. Wie jeder Mensch möchte ich geliebt und nicht gehasst werden. Aber ich gehe meinen Weg. Denn nur wer keine Meinung hat, ist bei allen ein bisschen beliebt. Aber solche Menschen werden dafür nicht respektiert. Als was fühlten Sie sich mächtiger: Als Bundesrat oder zuvor als Nationalrat? In den ganz grossen Fragen und Auseinandersetzungen hatte ich als Nationalrat mehr Gewicht. Das Nein zum europäischen Wirtschaftsraum EWR – die wichtigste Abstimmung der letzten 50 Jahre – hätte ich als Bundesrat wohl nicht erkämpfen können. Auf der anderen Seite habe ich in den letzten zwei Jahren viel in die Regierung hineintragen können. Es ist also eine durchzogene Bilanz. Trotzdem bin ich mir heute sicher, dass meine Position im Bundesrat stärker ist. Hand aus Herz, Sie wünschten sich manchmal doch auch, Sie hätten die Wahl in den Bundesrat nie angenommen. Natürlich. Mehr als einmal. Aber ich verscheuche den Gedanken. Ich habe mich dafür entschieden, und ich wäre ein Feigling nun zu sagen, anderswo wäre es schöner. Da gebe ich mit jeweils einen Schubs und sage zu mir selber: Frage Dich nicht was schöner wäre, sondern mach was wichtig ist. Christoph Blocher ist Kunstsammler. Und sein Büro im Bundeshaus eine Offenbarung. Der Holzfäller von Ferdinand Hodler, ein Werk („Im Schneesturm“) von Rudolf Koller und zwei Stilleben von Albert Anker – letztere aus Blochers Privatbesitz. "Ich habe doch das schönste Büro der ganzen Eidgenossenschaft", sagt der Bundesrat und lacht. Landschaften sammelt er leidenschaftlich. Eben erst wurde das Hodlers Werk „Eiger, Mönch und Jungfrau über dem Nebelmeer“ für 4,8 Millionen Franken versteigert. Ob er wohl… "Das ist mir zu teuer gewesen. Obwohl es in zehn Jahren vielleicht einen Wert von 20 Millionen hätte." Das wisse man bei der Kunst eben nie.Sein Lieblingsbild ist im Moment ein Werk von Albert Anker, das einen Grossvater mit seinen beiden Enkeln zeigt. " Ein grosartiges Bild, das die Bedeutung des Alters und der Jugend phantastisch gegenüber stellt", schwärmt der Bundesrat. Immer wenn er in seine Villa nach Herrliberg ZH zurück kommt, stellt er sich zuerst vor dieses Bild – weil es so etwas tröstliches habe, sagt der vierfache Grossvater.   Haben Sie noch Zeit für Ihre Familie und Ihre Enkel? Wenig, aber die Sonntage halte ich mir in der Regel immer frei. Es ist wenig Zeit, die wir miteinander verbringen. Aber meine Kinder sind ja auch schon gross und brauchen mich nicht mehr jeden Tag. Dafür geniessen wir dann jede gemeinsame Minute. Sie gehen sonntags oft spazieren. Was machen Sie sonst zum Entspannen? Ich bin ein grosser Musikliebhaber. Wenn ich nachts nicht schlafen kann stehe ich auf und höre Mozart oder Mendelsson. Das sind jeweils wunderschöne Stunden. Ich habe aber auch Zeit zum Lesen, denn ich schaue kein Fernsehen und höre kein Radio. Morgens gehe ich laufen und joggen. Mit zunehmendem Alter zwar immer ein bisschen langsamer, ich geniere mich auch nicht zwischendurch zu gehen. Sie feierten Ihren 65. Geburtstag. Und Sie wollen 2007 nochmals bei den Wahlen antreten. Haben Sie Angst vor dem Ruhestand? Ich habe gar nicht das Gefühl, dass ich schon 65 Jahre alt bin. Mein Temperament und meine Kraft erlauben es mir, immer noch etwas zu leisten. Den meisten bin ich ja sogar viel zu aktiv! Man könnte also nicht meinen, ich sei der Älteste hier im Betrieb. Heute brauche ich aber mehr Ruhezeit, ganze Nächte ohne Schlaf durcharbeiten wir früher kann ich nicht mehr. Dafür verfüge ich heute über eine grosse Erfahrung, und vieles geht mir leichter von der Hand.   Christoph Blocher ist Politiker. Durch und durch. Die Wahl in den Bundesrat hat sein Leben verändert. Aber einiges ist doch gleich geblieben. "Ich hätte meine Arbeit nicht gut gemacht, wenn mir die Linken und Grünen heute applaudieren würden", sagt er. Respekt genüge, Liebe sei nicht notwendig. Und auch die jüngste Umfrage, wonach nur 37 Prozent des Volkes ihn in die Regierung wählen würde, nimmt er gelassen. "Immerhin steht ein guter Drittel noch hinter mir. Ich habe so manches angerissen – da ist dieses Resultat doch eigentlich ganz gut." Er könne nicht jeden Tag seine Beliebtheit abfragen, sondern müssen ein Departement führen und konsequent seinen Weg gehen.   Seit zwei Jahren leben Sie unter der Woche in Bern. Wie gefällt es Ihnen? Meine schönste Zeit in Bern ist früh am Morgen. Dann gehe ich zu Fuss von meiner Wohnung in der Altstadt ins Büro. Und unterwegs treffe ich immer wieder die gleichen Menschen. Die Frau, die in der Bäckerei die Regale auffüllt. Die Lieferanten, die Ware bringen. Die Mann, der vor seinem Laden die Laube wischt. Die Marktfrauen, die den Tag vorbereiten. Wir grüssen einander, wechseln auch mal ein Wort. Das ist für mich eigentlich der erholsamste Teil des Tages. Der Kontakt mit dem Leben. Sie sagen selber, Sie hätten kaum noch Kontakt zu den Menschen. Gerade das war jedoch immer Ihre Stärke. Ich bin im Bundeshaus, in meinem Büro, schon ein bisschen abgeschirmt. Ich sage immer, hier ist meine geschützte Werkstatt, abgeschottet von der Aussenwelt. Und das finde ich nicht so gut. Ich frage mich immer wieder, wie ich diese Kluft überwinden kann. Wenn ich heute irgendwo als Bundesrat hinkomme, haben die Leute sofort Hemmungen mich anzusprechen. Auf der anderen Seite ist es aber auch schön, ihre Dankbarkeit zu sehen. Ich sage meinen Amtsdirektoren immer wieder, dass wir näher ans Leben heran gehen müssen. Haben Sie einen Herzenswunsch? Ich wäre schon froh, wenn man mich irgendwann in der Politik nicht mehr braucht. Dann würde ich wandern und mich meiner Kunst widmen. Aber das Paradies ist uns ja leider verwehrt. Und vielleicht sind paradiesische Sachen plötzlich auch nicht mehr so schön, wenn man sie immer hat.