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Federal Councillorship

22.12.2004

Eine schonungslose Analyse ist nötig

«Die ungeschminkte Wirklichkeit zu sehen und anzuerkennen, ist Voraussetzung für gute Lösungen der Probleme», erklärt der Justizminister im Gespräch mit der «Südostschweiz». Die aktuelle Situation erachtet er als «für die Zukunft unseres Landes nicht sehr hoffnungsvoll». 22.12.2004, Südostschweiz (Flurina Valsecchi) Herr Bundesrat, wie steht es momentan um unser Land? Die Situation für die Zukunft unseres Landes ist nicht sehr hoffungsvoll. Unhaltbar ist besonders die die Situation der Staatsfinanzen, bei deren Sanierung wir kaum vorankommen. Wir sollten dringend die Steuern und Abgaben senken sowie Regulierungen abbauen. Auch die Verwaltung ist zu teuer und zu kompliziert. Was mein Departement betrifft: Die Asylpolitik ist zu verbessern. Es sind zu viele Personen hier, die keine Flüchtlinge sind. Diese Situation werden wir verbessern. Ein insgesamt recht düsteres Bild. Als Unternehmer bin ich gewohnt, Dinge anzusprechen, die nicht funktionieren und die zu verbessern sind. Es gibt aber auch viel Funktionierendes, doch das ist weniger wichtig. Wichtig ist es die Probleme in ihrer ganzen Tiefe und Schärfe zu erkennen. Wie würden Sie die Schweiz auf einer Skala von Null (schlecht) bis Zehn (hervorragend) bewerten? Ich gäbe der Schweiz eine Vier. Es besteht also Handlungsbedarf. Wie stark kann der Staat dabei nach unternehmerischen Prinzipien geführt werden? Sehr stark. Die Führungsgrundsätze sind stets die selben: Im Staat, im Unternehmen, im Militär oder in der Familie. Am Beginn steht die schonungslose Problemanalyse, und hier hapert es oft. Als Unternehmer ist man gezwungen, diese Analyse vorzunehmen und Lösungen zu suchen. Denn wenn sie es falsch machen, gehen sie unter. In der Politik aber war dieses schonungslose Hinterfragen des Ist-Zustands stets ein Problem. Winston Churchill war zum Beispiel in den dreissiger Jahren allein mit seiner Analyse, dass Deutschland einen Krieg entfachen würde. Er wurde ausgegrenzt und hat schliesslich doch Recht bekommen. Und am Schluss hat ihn das Volk abgewählt. Das macht nichts. Es kann ja nicht das Ziel sein, stets in der Gnade des Volks zu stehen. Hat denn das Volk damals falsch entschieden? Ja natürlich. Churchill hat Europas Freiheit gerettet und nach dem Krieg vor dem Kommunismus gewarnt. Das Volk hat also nicht immer Recht? Das habe ich nie behauptet. Wenn das Volk aber entschieden hat, dann gilt dieser Entscheid selbst wenn es sich irrt. Zur Zeit streben Sie im Volk einen «Mentalitätswandel» an. Was genau verstehen Sie darunter? Da ist im vergangenen Jahr bereits viel geschehen. Heute werden Probleme viel offener diskutiert als vor einem Jahr. Denken Sie an Tabu-Themen wie die Ausländerpolitik oder die IV-Problematik darüber schreiben auch die Medien offener als früher. Einen solchen Mentalitätswandel meine ich. Denn wenn Sie ein Problem, das die Leute beschäftigt, unter dem Deckel halten, erzeugt dies eine furchtbare Stimmung. Die ungeschminkte Wirklichkeit zu sehen und anzuerkennen, ist die Voraussetzung für gute Lösungen der Probleme. Und wie genau kam dieser Mentalitätswandel zu Stande? Das ist schwer zu sagen. Ich sage nicht, dass es so ist, weil ich nun Bundesrat bin. Aber die Tatsache, dass ich gewählt wurde, war bereits ein Zeichen für diesen Umbruch. Denn normalerweise wählt man solche Politiker wie mich nicht in den Bundesrat. Stehen Sie selbst am Anfang dieser Entwicklung oder sind Sie als Folge davon Bundesrat geworden? Vielleicht stehe ich am Anfang dieser Entwicklung. Die Frage bleibt aber dennoch schwierig zu beantworten. Vielleicht bin ich auch nur das Produkt dieser Zeit. Das ist die Frage nach dem Huhn oder dem Ei. Letztlich ist die Frage auch nicht so wichtig. Hauptsache ist, dass der Mentalitätswandel geschieht. Sie fordern, dass man ohne Tabus in alle Richtungen denken soll. Hat nicht besonders Ihre Partei viele Ideen und Utopien des politischen Gegners einfach a priori abgeblockt? Ich warne vor Utopien, bin aber dafür, verschiedene Lösungsansätze zu prüfen. Als Unternehmer weiss ich um den Wert kreativer Lösungsvorschläge. Ich bin zunächst offen nach allen Richtungen, mache sehr viel Brainstorming und lade die verschiedensten Gruppen zum Gedankenaustausch ein. Bei der Asylpolitik waren das unter anderem von der Flüchtlingshilfe und bis zum ehemaligen Flüchtlingsdelegierten Peter Arbenz alle. Als Bundesrat sind Sie also offener für andere Meinungen als Sie es als Parteipolitiker waren? Als Partei ist man immer parteiisch, das sagt bereits der Name. Meine Stärke war jedoch auch als Parteipolitiker, mir andere Meinungen anzuhören. Und auch da haben wir um Positionen gerungen. Wenn wir eine Lösung erarbeitet hatten, trugen wir diese jedoch viel massiver vor. Sie sprechen viel von «Realitätsverweigerern». Inwiefern nehmen Sie die Realität in allen Facetten wahr? Zum Beispiel auch die Realität, dass das Volk Nein sagte zur AHV-Revision oder zum Steuerpaket. Demokratie ist die Möglichkeit Nein zu sagen. Ich nehme diese Äusserungen des Volks sehr wohl zur Kenntnis. Vielleicht will man uns sagen: Wir haben genug von all diesen neuen Vorlagen, legt uns gescheiter mal nichts vor. Auch das könnte eine Interpretation sein. Auch für ein Nein zum Steuerpaket? Weshalb nicht? Das Volk hat sich mit seinem Nein gegen Steuersenkungen ausgesprochen. Bei der Mehrwertsteuer-Erhöhung zu Gunsten der AHV hat das Volk allerdings auch Nein gesagt. Realität ist trotzdem, dass Sie mit Ihren Ansichten einen sehr grossen Teil des Volks nicht repräsentieren. Das habe ich auch nie behauptet. Jeder Politiker vertritt bloss einen gewissen Teil des Volks. Auch wenn ich früher Abstimmungen gegen den Bundesrat gewonnen habe, stand auf der Gegenseite oft eine starke Minderheit. Das Volk war gespalten, und ich habe einfach eine Seite davon vertreten. Wie soll man denn mit solchen starken Minderheiten umgehen etwa nach einer Volksabstimmung? Viel muss man nicht sagen. Ich habe festgestellt, dass eine Minderheit, die wie der Bundesrat denkt, gepflegt wird. Wenn die Minderheit jedoch gegen den Bundesrat ist, dann wird sie überhaupt nicht beachtet. Zum Beispiel? Bei der Abstimmung zur Mutterschaftsversicherung gab es eine starke Minderheit. Da habe ich nichts davon gehört, dass man pfleglich mit dieser Minderheit umgehen soll. Vielmehr wurde das Volk für seine Reife gelobt. Hingegen war die Mehrheit bei den Einbürgerungsvorlagen auf der Seite der Regierung. Diese wurde dann sehr wohl "gepflegt". Da hat sich ein historisch tiefer Röstigraben aufgetan. Ist es nicht besonders heikel, wenn die sprachliche Minderheit auch an der Urne derart minorisiert wird? Die Deutschschweizer Kantone wurden am selben Sonntag bei der Mutterschaft überstimmt. Die könnten ja noch mehr aufbegehren, weil sie sogar als Mehrheit in diesem Land überstimmt wurden. Immerhin waren Zürich, Bern und Basel für die Mutterschaftsversicherung. Doch grundsätzlich: Bedarf denn der nationale Zusammenhalt nicht der besonderen Pflege? Was wollen Sie denn pflegen? Was wollen Sie denn sagen? Etwa, dass der Entscheid doch nicht so ganz gilt. Man muss einfach vorsichtig sein, dass man gegenüber einer Minderheit keine falschen Konzessionen macht. Die wichtigste Aussage ist, dass man den Volksentscheid respektiert. Wie sieht es mit dem Zusammenhalt zwischen den Regionen aus? Rein ökonomisch macht die Unterstützung der Randregionen keinen Sinn. Die Randregionen erhalten sich selbst. Wenn man Man muss mit weniger starren Vorgaben und steuerlichen Anreizen ideale Bedingungen schafft. Dann haben sie gute Chancen. Ein Qualitätstourismus auf hohem Niveau ist zum Beispiel eine ideale Option für die Randregionen. Trotzdem ist die ökonomische Situation vieler Randregionen besorgniserregend. So schlecht geht es den Randregionen nicht. Wenn der Leidensdruck grösser wäre, würden sie mehr unternehmen. Die Regionen müssen auf ihre eigenen Stärken setzen und nicht einfach den Bund um Geld angehen. Weshalb sind Sie denn gegen Naturpärke, damit könnten die Regionen voll auf ihre eigenen Stärken setzen? Ich glaube nicht daran, dass die Bewohner der Randregionen allesamt in Naturpärken leben wollen. Das wäre für die Entwicklung der Gebiete hinderlich. Vor Ort stossen solche Projekte jedoch auf Zustimmung. Wenn die Kantone das machen wollen, sollen sie es selbst tun. Wenn es aber nur darum geht, in Bern Geld abzuholen, ist das die falsche Strategie.

22.12.2004

Wenn die Schweiz unterginge, dann wäre sie selber schuld daran

22.12.2004, TagesAnzeiger (Verena Vonarburg und Iwan Städler) Herr Blocher, nachdem Sie am Montag Bilanz über Ihr erstes Jahr als Bundesrat gezogen haben, möchten wir mit ihnen in die Zukunft blicken: Wie sieht ihre Wunsch-Schweiz in zehn Jahren aus? Welche Aufgaben soll der Staat noch erfüllen, welche nicht mehr? Der Staat sollte sich auf das dringend Nötige beschränken und alles andere sein lassen. Zum Beispiel? Es gibt viele Beispiele. Die unzähligen Berichte, die vielen Kongresse, die vielen Reisen, das alles braucht es nicht. Der Staat muss aber vor allem dafür sorgen, dass das Land nicht immer mehr international eingebunden wird; sonst bestimmen andere über uns. Eine zentrale Staatsaufgabe ist auch die Garantie der Sicherheit und der Staat muss überdies mit Fürsorgeleistungen zu denjenigen schauen, die sich nicht selbst helfen können. Die Umverteilungen hingegen kann man zurücknehmen. An welche «Umverteilungen» denken Sie? Wenn ich zum Beispiel mit dem Zug von Zürich nach Bern fahre, subventioniert mich der Staat über jedes Billet mit etwa hundert Franken. Ist das nötig? Die SBB sollten sich so organisieren, dass das Billet ohne Staatsgeld vielleicht sogar billiger würde. Wo wollen Sie den Sozialstaat beschneiden? Die vielen Zwangsversicherungen, die wir abschliessen müssen, müssten nicht sein. Welche Zwangsversicherungen möchten Sie abschaffen? Die Krankenkasse sollte nicht obligatorisch sein. Ich sollte, wenn ich wollte, auch ohne Krankenkasse leben können. Nun müssen wir alle Jahre mehr zahlen. Je höher die Prämien sind, umso mehr gehen die Leute auch zum Arzt. Wir müssen die Selbstverantwortung der einzelnen wieder in den Vordergrund schieben. Nicht nur in diesem Fall. Auch bei der AHV? Die AHV ist keine schlechte Versicherung. Sie ist zwar eine Zwangsversicherung, aber jeder spart für sein Alter. Die AHV würde ich zuletzt antasten. Sie gerät in ein riesiges Defizit, weil die Gesellschaft immer älter wird. Wie wollen Sie dieses Problem lösen? Die Leute werden länger arbeiten müssen. Wenn sie so gesund sind wie heute, können sie dies auch tun. Ich kann mit 65 gut noch arbeiten, während viele in meinem Alter eigenartigerweise schon pensioniert sind. Sie wollen also das Rentenalter erhöhen? Ich spreche nicht von einem höheren Rentenalter im nächsten Jahr. Aber längerfristig wird es wahrscheinlich in diese Richtung gehen. Pascal Couchepin will zusätzlich die Einnahmen erhöhen. Ich nicht. Mehr Steuern sind gefährlich. Man könnte die AHV auch entlasten, indem man junge Ausländer in die Schweiz holt. Ich habe nichts dagegen. Aber wir müssen genügend Arbeitsplätze haben, sonst bringt das nichts. Wieviele Flüchtlinge und welche Art Ausländer soll die Schweiz in zehn Jahren aufnehmen? Diejenigen, die wir beschäftigen können. Und darüber hinaus die echt Verfolgten. Gewisse Ausländer lassen sich offensichtlich leichter integrieren als andere. Wollen Sie das steuern? Wenn man auswählen kann, nimmt man die Besseren. Welches sind die Besseren? Das ist eine sehr heikle Frage. Natürlich lässt sich ein Deutscher besser integrieren als ein Sudanese. In diese Richtung geht unsere Ausländerpolitik ja bereits: Wer von ausserhalb der EU kommt, muss gutqualifiziert sein. Solche Leute sind leichter zu integrieren. Wieviel Geld würde der Bund sparen, wenn Sie Ihre Wunsch-Schweiz verwirklichen könnten? Mindestens 30 Prozent. Das ist keine Utopie. Erinnern Sie sich an 1990? Damals war es auch schön, oder? Wenn wir heute 30 Prozent Staatsausgaben streichen, sind wir immer noch über dem Level von 1990! Aber leider ist die Frage müssig: Wir bewegen uns in die gegenteilige Richtung. Und das lähmt die Wirtschaft. Ihr Schloss steht in Rhäzüns. Wie wird dieses kleine Dorf in zehn Jahren aussehen? Hat es noch eine Post, einen Laden, eine Bahnstation? Es sieht hoffentlich noch gleich aus wie heute. Ob es noch eine Post gibt, kann ich nicht sagen. Wenn nicht, müssen die Leute eben nach Bonaduz oder Thusis. Schlimm wäre das nicht. Ist es eine Staatsaufgabe, Randregionen zu unterstützen? Ich würde den Randregionen vor allem möglichst viel Autonomie gewähren und mit dem Unterstützen aufpassen. Zu viel Unterstützung führt dazu, dass man nur auf das Geld wartet, statt sich auf seine eigenen Stärken zu besinnen. Glauben Sie tatsächlich, dass die Randregionen ohne jegliche Unterstützung überleben können? Es kann sein, dass man da und dort doch noch etwas an Unterstützung leisten muss. Aber wenn man die Regionen schon zum Vornherein unterstützt, kommt es nicht gut. Wie wird die Landwirtschaft in zehn Jahren aussehen? Die Landwirtschaftspolitik soll auch die Randregionen erhalten helfen, aber das heisst nicht einfach: Geld ausschütten. Aber ganz ohne Abgeltung geht es auch nicht. Die Landwirtschaft muss von vielen staatlichen Barrieren befreit werden, damit der Bauer freier handeln und günstiger produzieren kann. Und der Umweltschutz soll keine Rolle mehr spielen? Der Umweltschutz wird auch in zehn Jahren denselben Stellenwert haben wie heute. Man kann ihn aber übertreiben; hier sehe ich eine Gefahr. Wenn wir am Ende nicht mehr arbeiten können, weil der Umweltschutz alles behindert, dann ist das gefährlich. Welche Rolle spielt Ihre Wunsch-Schweiz in zehn Jahren mitten in Europa? Soll sie alle paar Jahre bilateral verhandeln? Man muss nicht ständig bilateral verhandeln. Wenn man Probleme hat, muss man diese miteinander lösen. Das halten wir seit 700 Jahren so. Es ist aber falsch, krampfhaft nach Themen zu suchen, worüber sich noch verhandeln liesse. Heute wird das in Bern leider so gemacht. Wir sollten aber als Hort der Selbstbestimmung und der direkten Demokratie am Wettbewerb der Systeme teilnehmen. Wenn sich alle zusammenschliessen, ist das nicht mehr möglich: Dann fehlt die Möglichkeit, es anders, besser zu machen. Und wenn die Schweiz als Kleinstaat gegen die grosse EU nicht bestehen kann? Wenn die Schweiz untergeht, wäre sie selber schuld daran, Wenn sie dann so geschwächt wäre, könnte sie immer noch beitreten.. Wir haben aber überaus grosse Chancen, wenn wir dies nicht tun. Wir sollten immer fragen: Wie können wir es besser machen als die EU? Im Moment haben wir leider wenig Selbstbewusstsein und fragen stattdessen ständig: Wie macht es die EU? Dann wollen wir es nachmachen. Das spüre ich überall in der Politik. Sie waren einst Oppositionsführer und sitzen jetzt im Bundesrat. Welche Rolle eignet sich besser, um Ihre Ziele zu erreichen? «Oppositionsführer» haben Sie gesagt. Ich habe mich nie so bezeichnet. Aber es stimmt, ich habe oft Opposition gemacht. Auf die Länge kann ich in der Regierung wohl mehr korrigieren. Erfreulicherweise wird nicht alles abgeblockt, was ich einbringe. In der Asylpolitik etwa konnte ich rasch auf die Gesetzgebung und den Vollzug einwirken. Das hätte ich als Oppositioneller nicht so tun können. Aber in den ganz grossen Fragen, in denen ich im Bundesrat unterliege und die vors Volk kommen, habe ich natürlich ein Handicap. Das ist die andere Seite. Wie setzt sich der Bundesrat Ihrer Wunsch-Schweiz zusammen? Ich würde nichts ändern. Wir haben uns nun einmal für die Konkordanz entschieden. Ein neues System drängt sich nur auf, wenn man sich gegenseitig völlig blockieren würde. Dann würde ich vorschlagen, dass die Linken regieren und die Rechten die Opposition bilden. In einem solchen Fall wäre die Opposition viel wirksamer als heute. Die Linke könnte dann nicht so links sein, wie sie möchte. Es gibt allerdings keine Anzeichen, dass es soweit kommt. Eigentlich hätte die SVP zusammen mit der FDP heute schon die Mehrheit im Bundesrat. Warum spielt dieser Bürgerblock nicht? Es gibt keinen solchen Block. Schauen Sie sich doch die Abstimmungen im Parlament an: Dei FDP stimmt bei weitem nicht immer mit der SVP. Auch im Bundesrat bilden die Bürgerlichen keine homogene Gruppe. Das Reden von einem Bürgerblock ist ein Ammenmärchen der Journalisten. Kandidieren Sie 2007 wieder als Nationalrat? Gewisse Kreise der SP, Grünen und der CVP sagen: 2007 wählen wir den Blocher als Bundesrat ab, dann sind wir ihn los. Wir haben ihn ja vor allem in den Bundesrat gewählt, damit er nicht mehr im Parlament ist. Auf diesen Angriff muss man gewappnet sein. Sie werden also erneut für den Nationalrat kandidieren, um sich für eine Abwahl abzusichern. Das müssen wir nicht jetzt entscheiden. Dafür haben wir bis 2007 Zeit.

22.12.2004

Ein Marschhalt ist nicht schlecht

22.12.2004, Der Bund (Patrick Feuz, Jürg Sohm) Das Jahr 2004 war für den Bundesrat ein relativ erfolgloses Jahr. Das Stimmvolk hat Avanti, Mietrecht, AHV-Revision und Steuerpaket abgelehnt. Ist der Aufbruch zur «bürgerlichen Wende», wie sich diese die SVP erhofft hat, schon gestoppt? In dieser Frage ist so viel falsch, dass man zuerst die Frage korrigieren müsste. Das mit der «bürgerlichen Wende» stammt jedenfalls nicht von mir. Aber von der SVP. Die SVP hat lediglich gesagt, die Wende wäre nötig. Ich selber habe nie daran geglaubt. Nur weil eine Partei einen Vertreter mehr in der Regierung hat, ist das noch lange keine Wende. Festzuhalten ist, dass das Volk ausnahmslos Vorlagen von der alten Regierung und dem alten Parlament abgelehnt hat. Die Vorlagen vom 16. Mai wurden von bürgerlichen Politikern durchaus als Aufbruch zu einer rechteren Politik aufgegleist und interpretiert. Sie haben Recht. 2003/2004 hat das Volk alle Vorlagen mit Veränderungen von links und rechts abgelehnt. Es könnte die Botschaft sein: Wir trauen neuen Lösungen nicht. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Die Schweiz ist in einer Umbruchsituation. In solchen Zeiten ist es es zunächst nicht so schlecht, wenn einmal vorerst nichts ändert. Wenn es einem Unternehmen schlecht geht und die Richtung nicht stimmt, ist auch ein Marschhalt nötig. Was kommt nach dem Marschhalt? Jetzt muss man die einzelnen Probleme isoliert anschauen und überlegen, wie man die Polarisierung überwinden kann. Der Bundesrat muss vermehrt das Gespräch mit den Parteien suchen. Natürlich bringt das nicht überall Erfolg. Bei der AHV gibt es dringenden Handlungsbedarf. Da kann man nicht allzu lange warten. Wie müsste eine mehrheitsfähige Vorlage aussehen? Ein Fehler war wohl, dass man zu viel auf einmal bringen wollte. Einzelteile wie zum Beispiel das AHV-Alter 65 für alle hätten vermutlich Chancen, angenommen zu werden. Also ein gestaffeltes Vorgehen? Ja.Wenn man zu viel in eine Vorlage packt, ist die Gefahr natürlich grösser, dass sie verworfen wird. Sie wollen den Druck aufrechterhalten, dass der Staat die Steuern senkt. Wie muss hier eine mehrheitsfähige Lösung aussehen? Hier gilt das gleiche wie bei der AHV. Die Entlastung der Familien und der Hauseigentümer - wobei es für bestimmte Gruppen auch Mehrbelastungen gegeben hätte - war vermutlich zu viel auf einmal. Am dringendsten wäre eine Unternehmenssteuerreform. Das brächte der Wirtschaft am meisten und würde Arbeitsplätze schaffen. Für sich allein wäre dies wahrscheinlich auch mehrheitsfähig. Sie beklagen die «Verregulierung» als Haupthindernis für das Wirtschaftswachstum. Warum aber wehren Sie sich gegen Parallelimporte etwa im Medikamentenbereich, also gegen eine Deregulierung? Weil dies ein grosser Eingriff in die Eigentumsfreiheit wäre. Ein Unternehmer muss bestimmen können, was mit seinen Produkten passieren soll. Wenn man den Patentschutz schwächt, wird niemand mehr forschen und entwickeln. Wo wollen Sie denn mit der Deregulierung konkret ansetzen? Bauen Sie einmal ein Haus oder eine Fabrik: Die Vorschriften, die Ihnen dabei gemacht werden, sind unglaublich. Oder schauen Sie einmal, was den Unternehmern im Umweltschutz alles auferlegt wird. Sie wollen die Umwelt nicht mehr schützen? Die Frage ist, ob man die Umwelt nicht einfacher schützen kann als mit solchen Regulierungen. Nehmen Sie die CO2-Abgabe: Da werden die Unternehmen mit einer gewaltigen Bürokratie konfrontiert. Wir können das alles machen, aber dann darf man sich nicht beklagen, wenn die Wirtschaft nicht wächst. Soll den späteren Generationen schlechte Luft zugemutet werden? Nein. Es braucht Verbote und Grenzwerte. Das ist einfacher. Verbote? Klar. Man kann festschreiben, wie viel CO2 ausgestossen werden darf. Ich war auch nie gegen die Katalysatorpflicht bei Autos. Das ist eine kleine Regulierung. Wir verstehen die Idee mit dem Verbot gegen schlechte Luft nicht. Sie können im Bauwesen jedes Detail vorschreiben und Einsprachen ermöglichen, oder Sie können einfach die Grenzwerte und Grenzabstände vorschreiben und fertig. Bei der schlechten Luft können Sie auch sagen, wieviel ausgestossen werden darf. Aber der CO2-Ausstoss ist doch nicht mit Verboten zu regulieren. Warum nicht? Vielleicht nicht mit Verboten im herkömmlichen Sinn. Aber man kann eine Ausstossmenge definieren und dann Anreize schaffen, dass mehr mit Klima schonendem Diesel statt mit Benzin Auto gefahren wird. Beim Auto haben wir die Schadstoffe durch die Katalysatorpflicht reguliert. Autos ohne Katalysator sind verboten. Das Ziel der CO2-Abgabe ist es, dass weniger Auto gefahren wird, weil das Benzin verteuert wird. Das ist auf den ersten Blick bestes liberales Verursacherprinzip. Erstens stimmt es aber wahrscheinlich nicht, dass dann weniger Auto gefahren wird. Und zweitens profitiert von dieser Lösung nur, wer in Zürich neben dem Hauptbahnhof wohnt. Der aus dem Münstertal ist der Dumme. Das CO2-Gesetz ist zudem ein gutes Beispiel für die unglaubliche Beratungsfirmen-Bürokratie in der Verwaltung. Auf dem Papier sieht alles schön aus. Aber für die Unternehmen ist dies hinderlich. Wir können es machen, aber dann schwächen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit. Auf Ihren Antrag hin will der Bundesrat abklären lassen, wie die Bundesausgaben um bis zu 40 Prozent gekürzt werden könnten. Was soll eine so realititätsfremde übung bringen? Wenn Sie die Staatsausgaben senken wollen, müssen Sie wissen, was im Staat wichtig ist und was nicht. Im Laufe der Jahre sammelt sich immer Unwichtiges an. Um das herauszufinden, müssen Sie mit einer hohen Sparvorgabe starten. Nur so gibt es den Zwang, die Kosten der einzelnen Aufgaben herauszufinden und diese Aufgaben dann zu bewerten und zu gewichten. Sie können dann immer noch sagen, wir begnügen uns mit Einsparungen von 20 oder 10 Prozent. Wo sehen Sie vertretbare, kräftige Schnitte? Ich will diese Frage nicht beantworten. Sobald einer ruft, das ist die Lösung, ist die Übung schon gestorben. Deshalb müssen Sie das Ziel vorgeben und in einem Prozess Varianten erarbeiten. Damit setzen Sie sich dem Vorwurf aus: grosse Sparsprüche, keine konkreten Vorschläge. Wer das Richtige will, muss diesen primitiven Vorwurf ertragen. Sie möchten am liebsten öffentliche Bundesratssitzungen. Mehr Transparenz in Ehren: Wenn alle Bundesräte einfach auf ihren Showpositionen beharrten, wäre konstruktive Regierungsarbeit viel schwieriger. Ich weiss natürlich, dass es kaum je öffentliche Bundesratssitzungen geben wird. Ich will mit dieser Forderung nur sagen: Es gibt nichts zu verbergen. Die heutige Praxis führt zu Indiskretionen, die nur die halbe Wahrheit enthalten und in der öffentlichkeit zu Fehlbeurteilungen führen. Eine Regierung, die öffentlich wäre, würde an Vertrauen gewinnen. öffentliche Positionen sind nicht Showpositionen. Die Bundesräte wären unter ständigem Druck ihrer Partei und Klientel und könnten viel weniger Hand bieten zu mehrheitsfähigen Lösungen. Der einzige Unterschied zwischen dem Bundesrat und Parlament liegt darin, dass der Bundesrat kleiner ist als das Parlament. Wie die Parlamentsfraktionen fahren auch die Bundesräte oft mit Maximalpositionen ein. Am Schluss geht es darum, einen Kompromiss zu haben. Die Bundesräte müssen genau wie die Parlamentarier Konzessionen machen. Die Positionen und ihre Verfechter darf man kennen, und auch die Abstriche an diesen Positionen sollten öffentlich sein. Sie sagen, bisher hätten die Parteien nicht die profiliertesten Köpfe in den Bundesrat geschickt. Sie sagen damit, Sie seien der einzige profilierte Kopf im Bundesrat. So einen Unsinn habe ich nie behauptet und werde es auch nie tun. Im Bundesrat sitzen heute sieben verschiedene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Positionen und unterschiedlichem Charakter. Das ist ein schwieriges Gremium. Das war schon immer so. Wir müssen jetzt nicht so tun, als seien früher sieben Gleichgesinnte Fritzen in einem Saal gesessen und hätten sich gegenseitig gelobt. Es gab schon früher Zeiten, da ging es im Bundesrat heftig zu und her und solche, da ging es weniger heftig zu - letztere waren nicht die besten Zeiten. Am Anfang meiner Bundesratstätigkeit gab es eine gewisse Reserve gegenüber einer harten Diskussion. Heute ist das nicht mehr so. Es wird gestritten und gerungen. Das ist gut und führt zu besseren Ergebnissen. Ihre Frau hat öffentlich die Idee lanciert, das Parlament solle eine rein bürgerliche Regierung wählen. Kann die Konkurrenz in der schweizerischen Referendumsdemokratie funktionieren? Natürlich kann sie funktionieren. Die Frage ist, ob man das will. Die Konkurrenz wie die Konkordanz haben ihre Vor- und Nachteile. Aber es ist langsam langweilig, dass wir immer wieder darüber sprechen. Die Frage wurde eigentlich bei den letzten Bundesratswahlen entschieden. Die SVP forderte damals zwei Sitze und sagte, andernfalls ginge sie in die Opposition. Die anderen wollten die SVP verständlicherweise nicht in die Opposition ziehen lassen, weil das für sie eine unangenehme Situation gewesen wäre. Wo liegen die Vorteile der Konkurrenz? Jene regieren, die gleicher Meinung sind - wenn sie es dann wirklich wären. Sie müssen ihre Entscheide dauernd an der Opposition messen. Diese starke Rücksichtnahme gibt auch gute Entscheide. Vor allem weiss man in der Konkurrenz, wer die Verantwortung trägt. Das ist heute nicht immer so klar. Später kann dann das Volk wenn nötig als Korrektiv wirken. Aber die Konkordanz hat natürlich auch grosse Vorteile: Die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Positionen findet schon im Bundesrat statt - wenn sie stattfindet. Man kann mit beiden Regierungsformen leben. Wären Sie persönlich als Bundesrat für eine Konkurrenzregierung zu haben? Jetzt nicht. Ich bin heute in der Konkordanz. Aber wenn das Parlament sich für die Konkurrenz entscheidet, würde ich sagen, dann bin auch ich dafür. Sei es in der Regierung oder in der Opposition. Das ist ja im Grunde das gleiche. Die Unterschiede sind nur graduell. Wer glaubt, die Arbeit in der Opposition sei ganz anders als in der Regierung, versteht weder die Opposition noch die Regierung. Die Opposition hat im Gegensatz zur Regierung weniger Verantwortung. Natürlich. Die Regierung trägt die Verantwortung. Darum sollte man die Opposition in die Regierung nehmen. Das macht man ja. Die Parteien haben es in der Opposition aber viel schwieriger als in der Regierung. Sie müssen alles selbst erarbeiten, haben keinen Zugang zum Verwaltungswissen und im Gegensatz zum Ausland keine eigenen Medien. In den letzten Jahren war die Presse auf jeden Fall immer auf Seite der Regierung. Wie müsste die Schweiz aussehen, damit Sie als Bundesrat eines Tages mit Genugtuung zurücktreten könnten. Ich werde wahrscheinlich nie mit Genugtuung zurücktreten können. Ich war 30 Jahre Unternehmer und bin nie mit Genugtuung vor die Presse getreten, sondern habe immer über Probleme gesprochen, die wir gelöst haben oder noch lösen mussten. Dann fragen wir so: Wie müsste die Schweiz aussehen, dass Sie wenigstens mit ein bisschen Genugtuung zurücktreten? Wenn die Schweiz sagen würde: Wir sind bereit, eine bessere und erfolgreichere staatliche Ordnung zu machen als die anderen Staaten. Das heisst weniger Geld ausgeben, den Bürgern mehr Freiheit geben, eine höhere Selbstverantwortung haben und damit ein höheres Wirtschaftswachstum und viele Arbeitsplätze erreichen - also ein ökonomisches Wunderwerk gegenüber den anderen Staaten schaffen, die immer noch regulieren und hohe Ausgaben machen. Diese Schweiz würde zweitens die direkte Demokratie beachten. Heute ist das nicht Mode. Gewisse Wirtschaftsleute wollen die Demokratie einschränken, und Herr Couchepin hat auch seine eigenen Demokratie-Ideen. Drittens müssten wir die Kraft haben, unser Land in Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten und nicht grossen Organisationen beitreten. Sie sagen, die direkte Demokratie sei kein Hindernis für eine florierende Wirtschaft. Gleichzeitig bekämpft die SVP das Verbandsbescherderecht. Es ist nicht die direkte Demokratie, die verantwortlich ist für die hohe Regulierung, wie das Wirtschaftsvertreter behaupten. Diese haben nicht erkannt, dass die Zahl der Interventionisten in Bern viel grösser ist als in der Bevölkerung. Das Volk hat zu vielen Interventionen gar nie etwas sagen können. Und viele Interventionen hat es verworfen, darunter manche Steuererhöhung. Das Verbandsbeschwerderecht ist kein Instrument der Demokratie. Sie glauben also, das Volk für Ihre Vision eines schlanken Staates gewinnen zu können? Sicher nicht in allen Teilen. Der Schritt, der zu tun wäre, ist relativ gross. Vor allem dort, wo die Leute auf etwas verzichten müssen. Es ist mir klar, dass es schwierig ist, den Leuten etwas wegzunehmen. Es ist aber schon gut, wenn wir nicht dauernd Neues verteilen.

22.12.2004

Das Regieren ist ihm zur Freude geworden

22.12.2004, Neue Zürcher Zeitung (Martin Senti) Herr Blocher, seit einem Jahr sind sie kein freier Unternehmer mehr sondern Mitglied der Kollegialbehörde Bundesrat, gefällt Ihnen Ihr neuer Job? Gefallen wäre etwas viel gesagt, aber es geht mir auf jeden Fall besser als am Anfang. Wenn man sich in die Arbeit vertieft und die Aufgabe ernst nimmt, dann wird sie auch interessant und man bekommt auch Freude daran. Lässt sich ein Departement wirklich wie ein Unternehmen führen? Grundsätzlich bleiben Führungsaufgaben immer die gleichen, ob in der Wirtschaft oder in der Politik. Doch wird in der Politik Vieles, das führungsmässig bewältigt werden sollte, fälschlicherweise politisch angegangen. In der Verwaltung fehlt der Bezug zur Realität: Man gibt sich rasch zufrieden oder glaubt, die Realität sei so, wie man sie gerne hätte. Eine gute Problemanalyse ist immer schon die halbe Problemlösung, erst bei der Umsetzung zeigt sichder Unterschied: Die Entscheidungswege in der Politik sind länger und komplizierter. Sie haben gestern an Ihrer Medienkonferenz in Biel die Verwaltung offen kritisiert, müsste man hier anders rekrutieren? Nein, ich spüre auch viel Lernfähigkeit. Wenn man die Leute richtig in die Führung einbezieht, erkennen Sie rasch den Ernst der Vorgänge. Ich verlange zum Beispiel stur in allen Fragen klar und kurz formulierte Anträge mit verschiedenen Lösungsvarianten. Sie haben eine neue Streitkultur in den Bundesrat getragen. Da ecken Sie auch an, provozieren vielleicht Retourkutschen, die gar nicht nötig wären. Sie haben selbst das Bild vom Fuchs im Hühnerstall genannt - führt das nicht zu unnötigem Wirbel, der Konstruktives auch verhindert? Streit sollte eben nicht bloss als Angriff verstanden werden. Streit muss nichts Schlimmes sein, er ist immer auch ein Zeichen dafür, dass man eine Sache ernst nimmt. Am Anfang hat man das im Bundesrat vielleicht nicht so empfunden, aber es hat sich gebessert. Ich bin jedenfalls nicht ausgegrenzt worden. Dieser Prozess der Anpassung war ja wohl ein zweiseitiger? Ich habe im Leben oft in verschiedenen Gremien gearbeitet. Man passt sich immer auch einem Gremium an, das ist eine Frage der Gruppendynamik. Man kennt sich jetzt auch besser. Ist Ihrer Meinung nach das Kollegialprinzip für das Funktionieren des Bundesrates noch wichtig? Die Kollegialität ist die Voraussetzung, dass der Bundesrat funktioniert. Aber was bedeutet sie genau? Ich bin der Auffassung dass die Kollegialität nur besagt, dass der einzelne Bundesrat eine Entscheidung, die einmal getroffen worden ist, nicht mehr bekämpft. Das heisst aber nicht, dass man auch die Begründung für eine Entscheidung vertreten muss oder gar Einschätzungen der Auswirkungen eines Entscheides. So weit darf man nicht gehen, sonst kann man keine Persönlichkeiten in ein solches Gremium wählen. Denn nur wer keine Meinung hat, kann alles vertreten. Sie halten mit eigenen Einschätzungen nicht zurück, etwa bei der Personenfreizügigkeit. Ich habe im Ständerat die Vorteile aufgezählt, habe aber auch gesagt, dass dies Druck auf die Löhne nach sich ziehen wird und eine höhere Arbeitslosigkeit. Am Nachmittag hat mir dann ein Ständerat gesagt, ich dürfe das nicht sagen, denn es stehe nicht in der Botschaft. So etwas finde ich Unsinn. Bei der Freizügigkeit haben Sie deutlich gemacht, dass Sie den Schritt wagen würden. Anders bei Schengen: Diesen Vertrag haben Sie vor der eigenen Partei klar abgelehnt. Das habe ich nicht. Ich habe einfach auch die Nachteile dargelegt, nachdem Botschafter Ambühl alle Vorteile blumig aufgezählt hatte. Man kannte meine Meinung zu Schengen schon vor meiner Wahl. Aber ich bekämpfe Schengen heute nicht mehr, ich nenne bloss auch die Schattenseiten und die Probleme, die wir zu lösen haben. Es stellt sich generell die Frage nach der Rolle des Bundesrates in Abstimmungskämpfen. Beim Steuerpaket waren Sie sehr aktiv, bei den Einbürgerungsvorlagen nicht. Wirkt das Engagement des Bundesrates so nicht etwas willkürlich. Ich finde das nicht so schlimm. Wenn ein Bundesrat von einem Geschäft überzeugt ist, das der Gesamtbundesrat vertritt, dann soll er auch sagen dürfen, wie er denkt. Und wenn er anderer Meinung ist, dann muss er halt auf den Mund sitzen. Vorträge halten habe ich nie als unerlaubte Propaganda des Bundesrates empfunden. Ich habe aber die überbordende Propagandatätigkeit der Verwaltung kritisiert. Und da hat der Bundesrat jetzt auch einen Riegel geschoben. In Ihrem Departement lobt man Sie dafür, dass Sie die Stäbe abgebaut haben, dass keine Entourage mehr als Filter wirkt - mit viel Einfluss aber ohne Verantwortung. Ich bin es gewohnt, direkt zu führen. Ich arbeite direkt mit den Amtsdirektoren, und diese haben dadurch mehr Arbeit und mehr Verantwortung. Sie müssen häufiger antreten, dafür können sie aber auch ihre Anliegen direkter vortragen als früher. Umgekehrt sehe ich auch direkter in die Amtsführung, denn der Filter wirkte auch von oben nach unten. Generell werden Entscheidungswege dadurch kürzer. Die vielen Anträge und Lösungsvarianten, die Sie verlangen bedeuten doch aber auch Mehraufwand. Man hört, dass sie alles ins Deutsche übersetzen lassen. Führt das alles nicht zu mehr Bürokratie? Also, das mit dem übersetzen ist ein Ammenmärchen. Klar, dass wichtige Anträge auch einmal übersetzt werden. Und es geht mir auch nicht um viel Papier. Die Arbeit besteht im Gegenteil darin, langfädige Berichte auf kurze Anträge zu reduzieren, die auf zwei Seiten Platz finden. Sie haben vor Ihrer Wahl angekündigt, Sie würden sich zu 50 Prozent mit departementsfremden Geschäften beschäftigen, tun Sie das? Ja, wenn ich das überschlage, dann sind das etwa 50 Prozent. Ich trage dabei aber nicht einfach Mitberichte aus der Verwaltung in den Bundesrat, sondern befasse mich gezielt mit Geschäften, die mich interessieren. Sie haben sich vor Ihrer Wahl für die Konkordanz ausgesprochen. Wie steht es heute? In Bezug auf die Frauenemanzipation bin ich natürlich meilenweit weiter als die NZZ vermutet (lacht): Ich habe da gelesen, Blocher lasse seine Konkordanzkritik via seine Frau ausrichten. Meine Frau denkt in dieser Beziehung etwas anders als ich - radikaler, wie Frauen eben radikaler denken. Und Sie, wie denken Sie? Wir haben uns vor den letzten Wahlen klar zur Konkordanz bekannt und zwar in einem Ausmass wie es keine andere Partei tat. Wir haben jetzt die Konkordanz, und es ist müssig, ständig ihre Vor- und Nachteile aufzuzählen. Die Voraussetzungen für die Konkordanz sind heute nicht schlecht. Man muss aber als Politiker für einen allfälligen Wechsel zum Oppositionsmodell bereit sein, sonst wird man abhängig. Wie steht es um das Verhältnis zu ihrer Partei? Dieses Verhältnis ist heute zu locker. Am Anfang habe ich mich ganz von der Partei gelöst. Ich bin heute aber der Auffassung, wir verkehren zu wenig mit den Parteien, nicht nur mit der eigenen, auch mit den andern. Immerhin beraten Sie Ihre Kantonalpartei in Personalfragen. . . Das war eine Sitzung (lacht). Ich nehme praktisch an keiner Parteileitungssitzung mehr teil. In der Zürcher SVP trägt man sich mit dem Gedanken, Sie wieder auf die Nationalratsliste zu setzen, was für einen Bundesrat nicht gerade üblich wäre. Würden Sie dazu Hand bieten? Das ist eine Frage, mit der ich mich nicht vor 2007 beschäftige. Die Idee ist aufgekommen, weil es im Parlament namhafte Exponenten gibt - vor allem in der CVP, die sagen, dass man den Blocher nächstes Mal mit Unterstützung der Linken aus dem Bundesrat wählen soll - damit er von der politischen Bühne weg ist, als Oppositioneller ohne Mandat. Deshalb die Idee. Ausschliessen würden Sie das also nicht? Ich möchte das jetzt weder aus- noch einschliessen. Das liegt in weiter Ferne.

22.12.2004

«Über Hirschhorn rede ich nicht»

Bundesrat Christoph Blocher will im neuen Jahr noch "mehr nach draussen gehen, ausserhalb vom Bundeshaus, wo das wahre Leben abläuft", wie er im Interview zum Theme "Ein Jahr Blocher im Bundesrat" sagt. Der Magistrat gesteht auch, es habe Situationen gegeben, "in denen ich gesagt habe: 'Ich mag nicht mehr'". 22.12.2004, Aargauer Zeitung (Martin Furrer) Wie wollen Sie am liebsten angesprochen werden: Als Herr Blocher oder als Herr Bundesrat? Eigentlich ist mir das gleichgültig. Ihre Kritiker sprechen Ihnen Bundesratsformat noch immer ab. Wann ist jemand ein richtiger Bundesrat? Das müssen Sie meine Kritiker selber fragen. Aber wie definieren Sie Ihre Rolle? Ein Bundesrat hat zu führen und zu regieren und nicht nur die Meinung der Verwaltung gegen aussen zu vertreten. Man soll seine eigene Meinung in die Regierung einbringen. Wer mir vorwirft, ich sei bloss Parteienvertreter, nimmt die Parteien nicht ernst. Ich vertrete nie eine Meinung, weil sie meine Partei vertritt, sondern weil es meine überzeugung ist. Sie haben in Ihrer Jahresbilanz am Montag erklärt, bisher seien stets Persönlichkeiten in den Bundesrat gewählt worden, die keinen allzu pointierten Standpunkt eingenommen hätten. Eine Kritik an ihren sechs Kolleginnen und Kollegen. Überhaupt nicht. Tatsache ist, dass in der Vergangenheit pointierte Persönlichkeiten, die ausgesprochene Parteiexponenten waren, nicht gewählt wurden. Wer zum Beispiel? Liliane Uchtenhagen. Umso erstaunlicher, dass das Parlament mich, den vielgescholtenen Oppositionsführer, gewählt hat. Sie haben auch gelobt, man gehe im Bundesrat den Problemen wieder auf den Grund. Musste erst jemand wie Sie in die Regierung gewählt, werden, damit die Gesprächskultur besser wird? Ich frage nicht immer, ob ich die Ursache für eine Entwicklung sei oder nicht. Mir sagen einfache einzelne Regierungsmitglieder, dass wieder wesentlich mehr diskutiert werde als vor meiner Zeit. Das ist sehr positiv. Denn das Ringen um Probleme und Lösungen ist eine der Voraussetzungen, dass etwas gut herauskommt. Es gehe an den Bundesratssitzungen mitunter lustig zu, sagten Sie. Ein Beispiel? Es gibt immer wieder lustige Argumente. Wir sitzen nicht griesgrämig am Tisch herum. Lustige Argumente - das meinen Sie natürlich ironisch. Keineswegs. Das Leben ist doch eine fröhliche Angelegenheit! Jetzt lachen wir beide. Sehen Sie, das ist ein gutes Zeichen. Pascal Couchepin war nicht zum Lachen zumute, weil Sie den Ausgang der Einbürgerungs-Abstimmung nicht kommentieren wollten. Er hat Sie als Gefahr für die Demokratie bezeichnet hat. Das klingt nicht gerade nach guter Stimmung. Pascal Couchepin legt Wert darauf, nicht gesagt zu haben, ich sei eine Gefahr für die Demokratie, sondern meine Auffassung von Demokratie sei gefährlich. Ich habe mit ihm deswegen auf der menschlichen Ebene keine Probleme. Er hat bloss seine Auffassung von Demokratie auf den Tisch gelegt, die ich für elitär halte. Schade, dass diese Diskussion nicht weitergeführt worden ist. Ihre Intervention hat nichts bewirkt: Die Bundesräte wollen Abstimmungsergebnisse weiterhin kommentieren. Warten Sie ab. Ich bin überzeugt, dass künftig das Volk nicht mehr als Dummkopf hingestellt wird, wenn es anders entschieden hat als vom Bundesrat gewünscht. Der Bundesrat will die Abstimmungsergebnisse ja nur analysieren ... ... Sie meinen "Kaffeesatz lesen" ... ... und werten, weil in der vielschichtigen Schweiz auch die Meinung der unterlegenen Minderheit wichtig ist ... ... und ich bleibe dabei: Wenn das Volk etwa bei den Einbürgerungen gegen den Mainstream von Parlament, Bundesrat und Medien votiert hat, ist das zu akzeptieren. Punkt. Man muss das Volk ernst nehmen. Ich bin übrigens auch dagegen, dass man das Volk lobt, wenn es einer Vorlage zugestimmt hat. Man beleidigt es, wenn sich die Regierung zum Massstab aller Dinge nimmt. Sie plädieren weiterhin für öffentliche Bundesratssitzungen. Meinen Sie das ernst? Es ist eine provokative Forderung, die vermutlich nie verwirklicht wird. Aber grundsätzlich wüsste ich nicht, was wir zu verbergen hätten. Heute ist die Bevölkerung sehr schlecht informiert über die Vorgänge im Bundesrat. Darum muss sie von Indiskretionen leben, also von gezielten Halbwahrheiten. Das ist ärgerlich. In der Ems-Chemie wären Sie auch nicht auf die Idee gekommen, Verwaltungsrats-Sitzungen auf dem Marktplatz der öffentlichkeit abzuhalten. Die Ems-Chemie ist kein öffentliches Unternehmen, und es gab dort auch keine Indiskretionen. In der Politik hat die Bevölkerung grösseren Anspruch darauf zu erfahren, was sich in der Regierung abspielt, als in einem Unternehmen. In der Presse erhielten Sie gestern nach Ihrer Bilanz tendenziell positivere Noten als nach den ersten hundert Amtstagen. Und im Parlament anerkannte sogar die Linke, dass Sie zentrale Themen wie den freien Personenverkehr oder Schengen/ Dublin gemäss Bundesrat vertreten haben. Geht die Rechnung Ihrer Gegner, Sie einzubinden, langsam auf? Davon merke ich nichts. Haben Sie das Gefühl, ich sei eingebunden und könne keine eigenen Gedanken mehr entwickeln? Das fragen wir Sie. Eingebunden wäre ich erst dann, wenn ich hinstehen und das Gegenteil dessen erklären würde, was ich früher vertreten habe. So ist es natürlich nicht. Man kritisiert mich ja im Gegenteil nach wie vor, weil ich Mühe hätte, die Meinung des Bundesrates als meine eigene auszugeben. Das haben Sie auch. Stimmt. Wenn ich etwas innerlich nicht tragen kann, merkt man das. Dies ist ein Zeichen von Glaubwürdigkeit. Nur jemand, der keine Meinung hat, kann alles vertreten. Sie lobten auch die Vorteile der Konkordanz. Erstaunlich: Als Befürworter von klaren Verhältnissen müssten Sie doch für das Konkurrenzmodell mit klaren Regierungsmehrheiten sein. Sie unterstellen mir etwas. Die Frage Konkordanz oder Opposition beschäftigt mich seit Jahren. Beide Systeme haben Vor- und Nachteile. Jetzt haben wir die Konkordanz, und es ist müssig, immer wieder zu spekulieren, ob das Oppositionsmodell besser wäre. Machen wir jetzt das beste aus der Konkordanz. Erst wenn wir sehen, dass sie nicht mehr funktioniert, weil wir uns gegenseitig blockieren, müsste man erneut darüber diskutieren. Ihre Frau hat öffentlich Sympathien für das Konkurrenzmodell geäussert. Das stimmt. Frauen sind oft radikaler. Ihre Frau ist radikaler als Sie? Frauen sind konsequenter, und wenn meine Frau sagt, dass es sinnvoller sei, wenn Leute zusammen regieren, welche die gleiche politische Meinung haben, weil sie dann eher zu Entscheiden kommen, ist das nicht falsch. Aber der Nachteile ist, dass Dritte von der Macht ausgeschlossen werden. Das ist nicht nur gut. In Ihrem Büro hängt das berühmte Bild des Holzfällers von Ferdinand Hodler. Könnten Sie verstehen, wenn es vielleicht auf gewisse Betrachter ebenso bedrohlich wirken würde wie eine Installation von Thomas Hirschhorn? Über Herrn Hirschhorn rede ich nicht. Hodlers Bild drückt Kraft aus, Lebensfreude, Ursprünglichkeit. Das gefällt mir. Herr Hirschhorn kann ausstellen, was er will. Kunst muss frei sein. Wenn der Staat aber dafür Geld gibt, beginnt er sich wie kürzlich einzumischen. Darum bin ich gegen staatliche Kulturförderung. Ferdinand Hodler wurde aber auch gefördert. Ja, durch Mäzene. Ich bin sehr für das private Mäzenatentum. Die USA beispielsweise fördern das Mäzenatentum, indem sie dafür steuerliche Erleichterungen vorsehen. Also auch eine indirekte staatliche Subventionierung von Kunst. Wenn der Staat einem nichts wegnimmt, ist das noch lange keine staatliche Förderung. Sie schlagen ein hohes Tempo an und schlafen wenig. Keine Angst, einmal ausgebrannt zu sein? Es gab auch schon Situationen, in denen ich gesagt habe: Ich mag nicht mehr. Aber ich habe eine kurze Regenerationszeit. Ihr Rezept gegen Burnout? Vierzig Jahre lang ging ich jeden Morgen um halb sechs auf meine fünfeinhalb Kilometer lange Joggingstrecke. Jetzt in Bern ist das nicht mehr so oft möglich, aber zuhause jogge ich weiterhin. Es ist schon fast eine Sucht. Ich bin gern draussen in der Natur. Was wünschen Sie der Schweiz und sich selber zum neuen Jahr? Der Schweiz mehr Selbstbewusstsein. Und mir die Möglichkeit, noch mehr nach draussen zu gehen, ausserhalb vom Bundeshaus, wo das wahre Leben abläuft.