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Federal Councillorship

29.08.2004

Bundesräte haben immer wieder Unhaltbares versprochen

Justizminister Blocher über Glaubwürdigkeit, Asylgesetze und das Kollegialitätsprinzip 29.08.2004, SonntagsZeitung (Denis von Burg und Andreas Windlinger) Herr Bundesrat Blocher, mit distanzierten Auftritten zu Schengen haben Sie Schlagzeilen gemacht. Warum sind Sie so erstaunt, dass man Ihnen den Bruch mit der Kollegialität vorwirft? Ich bekämpfe Schengen nicht. Das sähe anders aus. Ich informiere über die Vorlage. Und damit halte ich mich an den Beschluss des Bundesrates, wonach eine beschlossene Vorlage von Bundesräten nicht bekämpft werden darf und glaubwürdig zu vertreten ist. Ihr Auftritt vor Ihrer Partei wurde als Anti-Schengen-Werbespot interpretiert. Ich bitte Sie! Man hat im Interesse der Glaubwürdigkeit davon zu sprechen, dass sich durch den Abbau der Grenzkontrolle Sicherheitsfragen stellen. Wir müssen aufpassen: Das Kollegialitätsprinzip darf nicht zum Alibi dafür werden, dass wir uns nicht mehr mit den Problemen unserer Vorlagen auseinandersetzen müssen. Wenn ein Bundesrat seine Dossiers nur halbherzig vertritt, wird es schwierig Abstimmungen zu gewinnen. Das Problem mit den Abstimmungen ist ein anderes: Die Leute haben das Gefühl, man versuche sie zu manipulieren, indem man nur die positiven Aspekte einer Vorlage präsentiert und die Nachteile verschweigt. Deshalb hat die Politik die Glaubwürdigkeit verloren. Das kommt daher, dass Bundesräte und Bundesämter immer wieder Propaganda und unhaltbare Versprechungen gemacht haben. Das ist zu ändern. Wo zum Beispiel? Die Behauptung, mit den Schengen- und Dublin-Abkommen würden wir im Asylwesen 100 Millionen sparen, ist nicht zu belegen. In Wahrheit weiss heute niemand, ob die Schweiz mit diesen Abkommen wirklich mehr Asylbewerber abgeben kann als sie zurücknehmen muss. Glaubwürdigkeit erreichen wir nur, wenn wir dem Volk die Vor- und Nachteile von Vorlagen darlegen. Ich werde nie Propagandasprüche machen, nur weil eine Bundesratsvorlage vor der Abstimmung steht. Auch wenn sie dereinst Ihre Asylvorschläge vor dem Volk vertreten müssen? Ich werde keine Kampagne machen, keine Steuergelder einsetzen und auch keine Meinungsumfragen durchführen, die dann erst noch geheimgehalten werden. Dafür rufen Sie nach Niederlagen im Bundesrat zur Opposition auf. Ihnen ist es im Bundesrat nicht gelungen, die humanitäre Aufnahme aus der Asylgesetzrevision zu streichen, im Bundesrat unterlegen. Darauf haben sie den Ständerat aufgefordert, dies zu korrigieren. Davon weiss ich nichts. Die meisten Kantone sind gegen die humanitäre Aufnahme, weil die Aufgenommenen nach sieben Jahre in ihre Obhut übergehen und ihnen damit zusätzliche Kosten verursachen können. Ich befürchte, dass die Kantone in einer Volksabstimmung die Asylgesetzrevision deshalb wohl bekämpfen würden. Darum hoffe ich, dass der Ständerat eine mehrheitsfähige Lösung finden wird. Früher haben Sie von einem grundlegend falschen System in der Asylpolitik gesprochen. Wo bleibt jetzt der grosse Wurf? Kurzfristig lässt sich das Asylproblem nur über die laufende Asylgesetzrevision entschärfen. Aber wenn die Revision über die Bühne ist, muss man das Problem grundlegender und auf internationaler Ebene angehen. Es darf doch nicht sein, dass jährlich zwischen 20'000 und 25'000 Asyl Suchende in die Schweiz einreisen, deren Gesuche dann jahrelang geprüft werden und von denen am Schluss dann etwa 2000 bleiben dürfen. Derweil muss man den grossen Teil der abgewiesenen Aslybewerber mühsam ausser Landes schaffen und hat insgesamt Kosten von fast einer Milliarde Franken pro Jahr. Das geht nicht. Dafür will ich Lösungen suchen. Und wie würde die Alternative aussehen? Wenn ich dann noch im Justizdepartement bin, werde ich mich für eine Kontingentslösung einsetzen. Über die Uno könnten die echten Flüchtlinge auf die Staaten aufgeteilt werden. Ein direktes Asylrecht wie bisher gäbe es nur noch gegenüber den Nachbarländern. Was würde dies für die Schweiz bedeuten? Die Schweiz könnte so doppelt so viele Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen wie bisher - also rund 4000 - und hätte trotzdem viel weniger Asyl Suchende im Land als heute. Zudem gibt es die Möglichkeit einer Betreuung der Flüchtlinge in den Krisenregionen. Als neutraler Staat hätten wir hiermit eine unglaubliche Chance. Mein Departement, die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und die Armee könnten gemeinsam Flüchtlingslager in den Krisenregionen auf die Beine stellen. Sie sind für Auslandeinsätze der Armee? Ich war nie dagegen, nur gegen solche mit Bewaffnung. Die Armee könnte Leute so ausbilden, dass sie innerhalb weniger Tage in der Lage wäre, in einer Krisenregion solche Aufbauarbeiten zu leisten. Mit dieser Idee bin ich nicht alleine: Der deutsche Innenminister Schily hat kürzlich ebenfalls vorgeschlagen, Flüchtlingslager in Afrika einzurichten. Sparen ist Ihr zweites grosses Thema. Als Mitglied des Bundesratsausschusses für die Verwaltungsreform haben Sie jetzt die Möglichkeit dazu. Braucht es Massnahmen beim Bundespersonalrecht? Sagen Sie nicht sparen: Es geht darum, Kosten zu senken, Defizite zu vermindern und Schulden abzubauen. Das unflexible Bundespersonalrecht ist ein ganz grosses Problem bei den Bestrebungen, die Kosten zu senken. Bisher sind in meinem Departement einige Leute freiwillig gegangen, und ich habe freie Stellen nicht mehr besetzt. Aber abbauen kann man so nicht. Was ist Ihre Lösung? Ich meine, die Bundesangestellten sollten privatrechtliche Arbeitsverträge haben. Bei der Abschaffung des Beamtenstatus auf Anfang 2002 hat man nur die Pflichten gestrichen, die Rechte sind weit gehend geblieben. Es ist heute sehr schwierig, Angestellte, die den Anforderungen nicht genügen, zu entlassen. Das muss möglich werden. Auch Abgangsentschädigungen in der Höhe von bis zu zwei Jahresgehältern müssen abgeschafft werden. Welches sind für Sie die weiteren Eckpunkte der Verwaltungsreform? Wir haben vielerorts einen Wildwuchs. Zum Beispiel gibt es heute ein Eidgenössisches Personalamt. Daneben hat jedes Departement und jedes Bundesamt nochmals eigene Personalabteilungen. Ein Beispiel: Gegenüber der Ems-Chemie gibt es beim Bund pro Angestellten sechsmal mehr Personalverantwortliche. Gleiche Probleme gibts bei den Informatikabteilungen, den Informationsdiensten oder den Finanzen. Da stimmt doch etwas nicht. Solche Doppelspurigkeiten muss man abbauen. Inwiefern? Beim Bund sollte die Vollkostenrechnung eingeführt werden. Heute tragen die Departemente ihre Kosten nur zum Teil selbst. Beispielsweise laufen die Mietkosten nicht über die Rechnung der einzelnen Departemente. So gibt es überhaupt keinen Anreiz, für leer stehende Büroräume andere Mieter zu suchen oder einen bescheideneren Standard zu wählen. Nur ein Beispiel in meinem Departement: Das Verwaltungsgebäude des Bundesamtes für Flüchtlinge gleicht dem Head-Quarter einer amerikanischen Grossbank. Mit diesen Vorschlägen riskieren Sie eine weitere Polemik. Ist jede Idee eine Polemik? Wir haben doch schwerwiegende Missstände. Ohne neue Vorschläge lassen sich diese nicht beseitigen. Das sind meine persönlichen Ideen. Der Bundesrat muss dann entscheiden, ob er diese Ideen weiterverfolgen will. Ich bin in den Bundesrat gewählt worden, um die Probleme zu benennen und zu lösen, nicht um sie zu ignorieren.

23.08.2004

Referat von Bundesrat Christoph Blocher zum neuen Einbürgerungsrecht

Medienkonferenz vom 23. August 2004 über die eidgenössische Volksabstimmung zum neuen Einbürgerungsrecht 23.08.2004 Es gilt das gesprochene Wort Sehr geehrte Damen und Herren Wer soll unter welchen Voraussetzungen den Schweizer Pass erhalten? Die Einbürgerung ist in der Schweiz zu Recht eine seit langem intensiv diskutierte Frage. Das Schweizer Bürgerrecht ist wegen der direkten Demokratie mit besonderen Rechten verbunden. Wer das Schweizer Bürgerrecht besitzt, kann nicht nur alle vier Jahre einen Wahlzettel ausfüllen. Schweizer Bürgerinnen und Bürger können zudem mehrmals pro Jahr an der Urne abstimmen über konkrete Sachgeschäfte in Bund, Kanton und Gemeinde. Dies ist einzigartig auf der Welt. Deshalb muss die Erteilung des Schweizer Bürgerrechts sorgfältig geregelt werden. Schauen wir auf frühere Volksabstimmungen zur erleichterten Einbürgerung zurück: 1983 schlugen Bundesrat und Parlament erstmals ein erleichtertes Einbürgerungsverfahren für ausländische Jugendliche der 2. Generation vor. Damals war zusätzlich eine erleichterte Einbürgerung für anerkannte Flüchtlinge vorgesehen. Die Vorlage wurde mit 55 Prozent Nein-Stimmen und der klaren Mehrheit der Kantone abgelehnt. Gut zehn Jahre später, am 12. Juni 1994, folgte der zweite Versuch. Wieder wollten Bundesrat und Parlament Jugendliche, die hier aufgewachsen sind, erleichtert einbürgern. Anders als heute lag das Ausführungsgesetz zum Zeitpunkt der Verfassungsabstimmung noch nicht vor, doch hatte der Bundesrat im Parlament und in den Abstimmungserläuterungen angekündigt, dass die Erleichterungen für gut integrierte Jugendliche gelten sollten, die mindestens fünf Jahre der obligatorischen Schulzeit in der Schweiz verbracht hatten. Diese Vorlage erreichte zwar 53 Prozent Ja-Anteil, doch die knappe Mehrheit der Kantone sagte Nein. Seither haben zahlreiche Kantone von sich aus Einbürgerungserleichterungen für Jugendliche eingeführt. Heute kennen 14 Kantone spezielle Verfahren für Jugendliche - allerdings mit grossen Unterschieden von Kanton zu Kanton. Deshalb nehmen Bundesrat und Parlament einen neuen Anlauf und schlagen erneut ein erleichtertes Einbürgerungsverfahren für ausländische Jugendliche der 2. Generation vor. Im Gegensatz zu 1994 wurde das Ausführungsgesetz bereits im Voraus verabschiedet, sodass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger genau wissen, wie die Vereinfachungen konkret ausgestaltet würden. Gegen dieses Gesetz könnte im Falle einer Annahme der Verfassungsabstimmung das Referendum ergriffen werden. Zusätzlich schlagen Bundesrat und Parlament eine zweite Einbürgerungs-vorlage vor, nämlich den Bürgerrechtserwerb durch Geburt für die dritte Generation. Über die beiden Vorschläge wird getrennt abgestimmt. Wer soll künftig eingebürgert werden und wie soll das Prozedere aussehen? Die Definition der Generationen hat im Vorfeld zu einiger Verwirrung geführt. Ich möchte Ihnen deshalb kurz darlegen, wie Bundesrat und Parlament diese Begriffe definiert haben. Die erste Generation sind Personen, die als Erwachsene in die Schweiz eingewandert sind oder Jugendliche, die weniger als fünf Schuljahre in der Schweiz verbracht haben. Die zweite Generation sind die Kinder der Eingewanderten, die entweder hier geboren sind oder wenigstens die Mehrheit ihrer obligatorischen Schulzeit in der Schweiz verbracht haben. Die also hier geboren sind oder als Kinder einwanderten und ihre Jugend in der Schweiz erlebt haben. Die dritte Generation ist in der Schweiz geboren und hat mindestens einen Elternteil, welcher der zweiten Ausländergeneration angehört. Diese Definitionen finden Sie auch in den Abstimmungserläuterungen des Bundesrates. Eine spezielle Problematik der Einbürgerung besteht im Doppelbürgerrecht. Dieses ist in der Schweiz seit 1992 erlaubt. Aus dem Doppelbürgerrecht ergeben sich Rechte und Pflichten gegenüber mehreren Staaten. Diese sind allerdings mit internationalen Verträgen weitgehend geregelt, zum Beispiel was den Militärdienst betrifft. Seit der Einführung 1992 sind in der Schweiz keine Probleme mit dem Doppelbürgerrecht aufgetreten. Vorstellbar ist allerdings, dass sich im Konfliktfall zwischen zwei Staaten Probleme ergeben könnten, weil Doppelbürger zwei Staaten gegenüber verpflichtet sind. Bundesrat und Parlament werden sich mit dieser Frage noch zu beschäftigen haben. Wie wirkt sich die vorgeschlagene Revision des Einbürgerungsrechts zahlenmässig aus? Heute leben in der Schweiz rund 116'000 ausländische Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren, die in der Schweiz geboren sind oder zumindest fünf Jahre der obligatorischen Schulzeit hier verbracht haben. Diese Jugendlichen hätten mit der neuen Regelung die Möglichkeit, ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung zu stellen, sofern sie gut integriert sind und keine Straftaten begangen haben.Über die Hälfte dieser Jugendlichen lebt in Kantonen, die schon heute ein erleichtertes Einbürgerungsverfahren kennen. Ingesamt rechnet das IMES damit, dass mit dem neuen Einbürgerungsrecht jährlich rund 5000 - 10'000 zusätzliche Einbürgerungen erfolgen könnten. Dazu kommen jährlich rund 2500 bis 5000 Kinder in dritter Ausländergeneration, die das Schweizer Bürgerrecht durch Geburt erhalten würden. Insgesamt hätte die Revision des Einbürgerungsrechts also zur Folge, dass jährlich bis zu 15'000 Personen zusätzlich das Schweizer Bürgerrecht erhalten würden. Im vergangenen Jahr wurden rund 37'000 Ausländerinnen und Ausländer eingebürgert. Insgesamt leben heute rund 1,5 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz. Die Berner Regierungsrätin Dora Andres wird Ihnen nun erläutern, welche Erfahrungen der Kanton Bern mit Einbürgerungserleichterungen für Jugendliche gemacht hat. Anschliessend wird IMES-Direktor Eduard Gnesa die beiden Abstimmungsvorlagen vom 26. September näher erläutern.

01.08.2004

Zur 1. Augustfeier 2004 – (200 Jahre nach der Uraufführung Willhelm Tells in Weimar)

Rede von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Bundesfeier 2004 in Herrliberg 01.08.2004, Herrliberg Es gilt das gesprochene Wort Wir Schweizer feiern auch dieses Jahr den Geburtstag unseres Landes. Nicht an einem zentralen Ort, sondern im ganzen Land verstreut; draussen, in den Dörfern, Quartieren, in Familien und unter Freunden. Darum rede ich - um das zu unterstreichen - heuer in meiner Wohngemeinde. Hier, an diesem prächtigen Ort, mit Blick über den See, hinaus ins Limmatthal bis zum Jura, hinüber in die Innerschweiz, hinein in die Berner Alpen, aufwärts zum Tödi und die Ostschweiz wollen wir die Bundesfeier begehen. Fahrt aufs Rütli Die Schweiz feiert heute ihren 713. Geburtstag. Da sind ein paar Jahre zusammen gekommen. Aber veraltet ist unser Land deswegen noch lange nicht. Die Idee einer freien Schweiz ist nämlich zeitlos. Und nicht nur eine Idee, sondern eine Tatsache, die man gar nicht genug feiern kann. Der 1. August ist wichtig. Vor allem für uns Politiker, damit wir wenigstens einmal im Jahr an unsere Geschichte und den gar nicht selbstverständlichen Freiheitskampf erinnert werden. Drei kleine Talschaften - Uri, Schwyz und Unterwalden - schlossen im August 1291 einen Bund, weil sie sich der Willkür eines fremden Herrn nicht weiter beugen wollten. Weil sie ausgenützt wurden. Weil sie wieder frei sein wollten wie ihre Väter. Daran sollten wir Politiker denken, wenn wir wieder einmal in Versuchung geraten, die Interessen des Staates den Interessen seiner Bürger vorzuziehen. Ich bin diese Woche aufs Rütli gefahren, um mir den Wilhelm Tell von Friedrich Schiller anzuschauen. 1804 - exakt vor 200 Jahren - wurde dieses Stück in Weimar uraufgeführt. Schiller hat - ohne je in der Schweiz gewesen zu sein - die Entstehungsgeschichte unseres Landes für dieses Freiheitsdrama gewählt. Ich ging tief beeindruckt vom Ort des Geschehens und dachte mir: Tells Geschichte ist unvergänglich. Die Freiheit - sei es 1291, sei es 1804, sei es heute - muss immer wieder neu erkämpft werden. Ob weise und abgeklärt, wie der alte Attinghausen in Schillers Drama oder rebellisch wie Willhelm Tell: Dieser Freiheitskampf muss dauernd neu geführt werden. Der Freiheitsrebell Die rebellische Haltung macht den Kern des Freiheitskampfes aus. Tell ist ja im Grunde ein unpolitischer Mensch, also auch kein Revolutionär, der seiner Welt eine bestimmte ideologische Prägung verpassen will. Er möchte ganz einfach in Ruhe gelassen werden und seine eigenen Wege gehen - und gesteht dieses Bedürfnis auch allen anderen zu. Ein wortkarger Bergbauer, der gegen seinen Willen zum Freiheitshelden wird, weil er innerlich zur Tat gedrängt wird: "Was ich mir gelobt in jenes Augenblickes Höllenqualen, ist eine heil'ge Schuld, ich will sie zahlen." Sein Gegenbild im Schauspiel ist der "weltoffene" Schwätzer, der junge Rudenz, der seinem Onkel, dem Freiherrn von Attinghausen zusetzt, sich nun endlich dem grossen, strahlenden Habsburgerreich anzuschliessen: "Vergebens widerstreben wir dem König, die Welt gehört ihm, wollen wir allein uns eigensinnig steifen und verstocken, die Länderkette ihm zu unterbrechen, die er gewaltig, rings um uns gezogen?" Wie Sie wissen, Habsburg ist mit Glanz und Gloria untergegangen - die kleine Schweiz nicht. Nun hat kürzlich ein Professor für mittelalterliche Geschichte festgehalten, der Tell sei eine erfundene Gestalt und historisch "nicht nachweisbar". Das ist keine besonders neue Erkenntnis und letztlich eine unbedeutende Frage. Ansonsten halten wir uns an die Verse Gottfried Kellers über das freiheitliche Wagnis der Tellenschüsse: "Ob sie geschehen? Das ist hier nicht zu fragen; Die Perle jeder Fabel ist der Sinn, Das Mark der Wahrheit ruht hier frisch darin, Der reife Kern von aller Völker Sagen." Tell hat die Fantasie der Menschen auch so beflügelt. Sein Freiheitsdrang beseelte die Generationen aller Jahrhunderte. Sei es um 1500, als die Eidgenossenschaft auf dem Höhepunkt ihrer Macht stand, oder im 20. Jahrhundert, als sich in den dreissiger Jahren die Frage nach Anpassung und Widerstand unter ganz dramatischen Vorzeichen erneut stellte. Ich habe diese Woche auf dem Rütli erleben dürfen, dass auch die heutige Generation sich der Kraft dieser Geschichte nicht entziehen kann. Nicht nur Schweizer haben sich für diese Figur entflammt. Viele, die sich gegen Unterdrückung und Zwang wehrten, sahen in Tell ein Vorbild und Geistesverwandten. So beschreibt auch der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti seine Begeisterung, wie er als Elfjähriger die Geschichtsbücher von Öchsli verschlingt. Dies geschah mitten im Ersten Weltkrieg. Der Knabe war mit seiner Mutter von Wien nach Zürich geflohen und er las die Schweizer Geschichte ganz unter dem Eindruck seines persönlichen Schicksals. Canetti schreibt: "Die Freiheit der Schweizer erlebte ich als Gegenwart und empfand sie an mir selber: weil sie über sich bestimmten, weil sie unter keinem Kaiser standen, hatten sie es fertig gebracht, nicht in den Weltkrieg hineingezogen zu werden." Und kam zum Schluss: "Es war möglich, einen Kaiser loszuwerden, man musste um seine Freiheit kämpfen." Freiheitskampf mit sich selber Es ist schon so: die Freiheit fällt einem nicht einfach zu. Sie muss stets neu errungen werden. Der Kampf für die Freiheit beginnt zuallererst im Kampf mit sich selber. Schillers Stauffacher ringt innerlich um den Wert der Freiheit. Dann bringt ein Gespräch mit seiner Frau Gertrud seinen Unmut und seine Sorgen zutage. Sie bestärkt Stauffachers inneren Aufstand und gibt ihm den Mut, etwas für die Freiheit des Volkes zu unternehmen. Erst jetzt begibt er sich nach Uri, um mit Gleichgesinnten zu beraten, wie man die Freiheit gegen die Obrigkeit verteidigen könnte. Auch der bittere Monolog Tells in der Hohlen Gasse zeugt von inneren Kämpfen. Hier ist nichts von kommenden Triumphgefühlen zu spüren. Tell vollendet, was ihm Gessler mit seinem Verhalten aufgezwungen hat: Er wehrt sich für die Familie, tötet den Tyrannen und befreit so das Land von seinem Unterdrücker: "Ich lebte still und harmlos - Das Geschoss war auf des Waldes Tiere nur gerichtet, meine Gedanken waren rein von Mord - Du hast aus meinem Frieden mich heraus- geschreckt... Wer sich des Kindes Haupt zum Ziele setze, der kann auch treffen in das Herz des Feinds." Friedrich Schiller schrieb diese Zeilen vor gut zweihundert Jahren. Von Krankheiten geplagt, trotzte er sich den Stoff in seinen letzten Lebensjahren ab. Er wusste sehr wohl um die Sprengkraft seines Stücks und fürchtete deshalb eine Aufführung, weil sie "politisch anstössig" sein könnte. Der Tell wird dann 1804 doch noch in Weimar inszeniert. Im gleichen Jahr krönt sich Napoleon zum Kaiser der Franzosen, kurz bevor er seine Armeen nach Osten, nach Deutschland, nach dem russischen Zarenreich führte. Jede Zeit hat ihre "Kaiser" Napoleon wollte Europa die französischen Ideale "Freiheit und Brüderlichkeit" schenken. Aber zu welchem Preis? Er nahm dafür den Völkern ihre Selbstbestimmung und stürzte seine Nachbarn in einen blutigen Bruderkrieg. Das war vor zweihundert Jahren. Jede Zeit hat ihre selbst ernannten Kaiser, die man loswerden möchte. Jede Zeit hat ihre "Visionäre", die den Menschen ihre Selbstbestimmung, ihre Freiheit rauben um ihrer vollmundigen "Visionen" willen. Jede Zeit hat "Kaiser", die verführerisch mit Ansehen, Ruhm, Ämtern und Geld winken. Und jede Zeit braucht widerständige Rebellen, die sich keinem Diktat und keiner Versuchung von aussen beugen. Auch dies lehrt uns der Nationalfeiertag, der im Gedenken an den Bundesbrief von 1291 entstanden ist. Welcher "Kaiser" regiert denn unsere Zeit? Das Streben nach Grösse und Anerkennung, der Wunsch, auch dazuzugehören, der Glanz der Macht, vordergründiges Ansehen - dafür werden viele Kniefälle gemacht, im privaten wie im öffentlichen Leben - auch heute. Ich überlasse es Ihnen - liebe Mitlandsleute - die Augen offen zu halten. Als Bundesrat kann ich nicht alles sagen, was ich denke, also denken sie ruhig alles, was ich Ihnen jetzt nicht sage. Schiller hat den ewigen Konflikt - zwischen standhafter Freiheit und übereifriger Anpassung - in zwei Personen verdichtet, im alten Attinghausen und seinem jungen Neffen Rudenz, der sich bereits herausputzt wie ein Habsburger. Einer, der die einfachen Landsleute verachtet und von der grossen neuen, kommenden Zeit träumt, die da am Hofe Österreichs entstehen solle. In diesem Sinne klagt Rudenz seinen Onkel an: "Habt Ihr nicht höheren Stolz, als hier, Landammann oder Bannerherr zu sein Und neben diesen Hirten zu regieren?" ... Und es folgen weitere verführerische Worte: Rudenz bezichtigt seinen Onkel, er und seine Mitstreiter handelten egoistisch, sie seien "verstockt" und selber schuld an der Not, die doch so schwer auf den Menschen laste. Ein Wort nur würde genügen und sie fänden Gnade "wie ringsum alle Lande", die auf Habsburg geschworen haben und nun bei den "Edelleuten" sitzen dürfen. Doch der alte Attinghausen widerspricht energisch: "Wirf nicht für eiteln Glanz und Flitterschein Die echte Perle deines Wertes hin - ." Rudenz wird sich am Ende für seine Landsleute, für die Freiheit und gegen Habsburg entscheiden. Auch hier gab eine Frau den Ausschlag, nämlich die von Rudenz geliebte Bertha von Bruneck. Und so schwören schliesslich auf dem Rütli die einfachen Landsleute gegen die verlockenden Herrenbänke, gegen die Unterdrückung und für die Freiheit. Dichterisch - aber in Übereinstimmung mit dem alten Bundesbrief - tönt dies so: "Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern In keiner Not uns trennen und Gefahr. Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, Eher den Tod, als in der Knechtschaft leben Wir wollen trauen auf den höchsten Gott Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen." Was heisst Freiheit? Friedrich Schiller hat ein eindrückliches Schauspiel geschrieben, das zumindest mir unter die Haut geht. Als hauptsächlichen Zeugen aus jener Zeit gilt der Bundesbrief von 1291. In diesem stehen die Eidgenossen ein für Freiheit und für Wohlergehen. Ja, für das Wohlergehen des ganzen Völkleins. Und dazu gehört eben auch die Verantwortung. Zuallererst die Verantwortung für sich selbst, so wie Tell es bei Schiller ausspricht: "Ein jeder zählt nur sicher auf sich selbst". Es heisst sicher auch Verantwortung tragen für den Rest des Volkes. Im Bundesbrief wird wenig geregelt, nur das Nötigste: Keine fremden Mächte im Land, nur selbst gewählte Richter und gegenseitige Hilfe. Und sonst gilt die Freiheit Was heisst Freiheit für den Bürger, was für den verantwortungsvollen Politiker? Zum Beispiel für einen Bundesrat? Freiheit heisst Vertrauen in den einzelnen Bürger: Mach, was Du für richtig hältst. Gestalte Dein Leben selber. Der Staat muss sich nicht als Schulmeister aufführen, der die Menschen wie unmündige Zöglinge anweist, was sie zu tun haben, welchen Genüssen sie wo, wie lange frönen dürfen, der sie im Denken kontrolliert, ihre Meinungen vor Gericht zerrt, fünfzig Prozent ihrer privaten Einkünfte wegsteuert, das Schützenwesen kriminalisiert, das Rauchen verbietet, die Werbung beschränkt, das Kinderkriegen zum Politikum macht, die Erziehung verstaatlicht, den Verkehr auf die Schienen zwingt, die Volksrechte an Behörden delegiert, das Gesundheitswesen dem Markt entzieht, sich ungefragt in ausländische Konflikte mischt, kurz: die Freiheit seiner Bürger dermassen einengt, dass sich jeder vorkommt, als ob er in einer verordneten Zwangsjacke leben müsste. Wenn es schon keine leichte Sache ist, die Freiheit zu erkämpfen, so erscheint es noch viel herausfordernder, die Freiheit mit ihrer ganzen Last der Verantwortung zu tragen und zu erhalten. Sie wird bedroht, nicht bloss von fremden Mächten und Armeen, nein, vielmehr von der eigenen Bequemlichkeit und dem Drang, sich in die Arme eines vermeintlich Grösseren oder Stärkeren zu begeben. Freiheit heisst auch die Absage an eine staatliche oder politische Ideologie. Freiheit heisst eben auch Freiraum für verschiedenste Lebensformen. Der eine mag es gemütlich, der andere wild. Der eine mag Erdbeeren mit, der andere ohne Schlagrahm. Der eine geht in die Berge wandern, ein anderer reist nach Südfrankreich und ein Dritter zieht eine Schifffahrt auf dem Rhein vor. Der eine mag den 1. August nicht und bleibt zu Hause, der andere kommt sogar nach Herrliberg und sei es nur um eine gute Bratwurst zu erhalten. Die Höhenfeuer Meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger, so werden wir jetzt dann das Höhenfeuer entfachen und viele Höhenfeuer werden in allen Himmelsrichtungen als Zeichen der Verbundenheit grüssen und unser Feuer wird die anderen Dörfer grüssen. Die Landeshymne wird uns daran erinnern, dass - wer einen 713. Geburtstag feiert - wohl nicht nur die Verdienste auf sich selbst nehmen kann. Wer hier hinausblickt in den Sommerabend, wird erkennen: "Denn die fromme Seele ahnt, Gott im hehren Vaterland." Dankbarkeit ist Inhalt jeder Geburtstagesfeier. Dankbar, dass wir es weitergebracht haben. Trotz vieler Schwächen und Versagen. Auch wir haben heute Grund zu danken! So wollen wir zuversichtlich ins nächste Lebensjahr schreiten. Ich bin überzeugt, dass wir - wenn wir unseren Werken treu bleiben - auch die Geburtstage der kommenden Jahre in Dankbarkeit feiern dürfen.

30.06.2004

«Straffällige Ausländer müssen raus!»

30.06.2004, Blick (Georges Wüthrich und Urs Moser) Herr Bundesrat, haben wir ein Ausländerproblem? Ja, das haben wir. Vor allem halten sich zu viele Ausländer in der Schweiz auf, die gar nicht hier sein dürften. Und wir haben einen hohen Anteil an Ausländerkriminalität. Obwohl der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung bis 20 Prozent beträgt, lag der Ausländeranteil bei Verzeigungen im letzten Jahr bei rund 55 Prozent. Welches Ist Im Moment das dringendste Problem? Wir haben Mühe, Ausländer, die illegal da sind und zum Teil straffällig geworden sind, auszuschaffen. Was unternehmen Sie dagegen? Leider genügen die Verschärfungen im neuen Asyl- und Ausländergesetz nicht. Wir brauchen, nicht zuletzt auch auf Druck der Kantone, mehr Zwangs-Instrumente gegen renitente Ausländer. Die bisherige Ausschaffungshaft genügt bei weitem nicht. Deshalb braucht es eine neue Durchsetzungshaft, die länger dauert. Und was ist mit den Papierlosen? Wir haben jetzt einige Missstände unterbunden. Ohne Vorweisen rechtsgültiger Papiere dürfen künftig keine Prepaid-Karten mehr für Handys verkauft werden. Papierlose erhalten keinen Lernfahr- oder Führerausweis mehr. Der Asylausweis genügt nicht mehr. Es braucht gültige Papiere. Das hat der Bundesrats bereits beschlossen. Was kommt noch nach? Wir werden vorschlagen, dass Papierlose längere Arbeitsverbote haben als jene, die gültige Papiere vorweisen können. Auch der Familiennachzug soll für Papierlose erschwert werden. Diese Vorschläge gehen zur Konsultation an die Kantone, dann muss der Bundesrat entscheiden, ob wir sie dem Ständerat als Zusatzanträge einreichen. Für dieses Vorgehen ernten Sie bereits Kritik auf breitester Front... Ich habe die Sache im Nationalrat angekündigt, der Bundesrat weiss es und die Kommission des Ständerates hat signalisiert, dass wir so verfahren können. Glauben Sie im Ernst, dass Sie mit solchen Anträgen durchkommen? Sie müssen schon froh sein, wenn ihnen der Bundesrat grünes Licht gibt. Wenn ich mich ständig fragen würde, ob ich mit Vorschlägen durchkomme, könnte ich keine Probleme lösen. Bis jetzt habe ich keine Hinweise, dass der Bundesrat nicht zustimmt. Im Parlament haben Sie doch keine Chance. Die Linke tobt jetzt schon... Da bin ich nicht so sicher. Die Linke kann doch ihren Wählern nicht verkaufen, dass es gut ist, so viele Illegale und Kriminelle im Land zu haben, die wir nicht mehr loswerden. Vorstossen solche drastischen Massnahmen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention? Nein, sonst würde ich sie nicht vorschlagen. Sie reden jetzt viel von «Kriminaltouristen». Das grössere Problem bei der Ausländerkriminalität sind Leute, die bei uns einen ordentlichen Wohnsitz haben. Im Kanton Zürich, beispielsweise, sind beinahe 30 Prozent aller ausländischen Straftäter Illegale oder Asylsuchende. Das ist viel. Aber Sie haben Recht:. Wir müssen auch dort den Hebel ansetzen. Ich sage ganz klar, wer als Ausländer in der Schweiz straffällig wird, sollte keine Aufenthaltsbewilligung mehr erhalten. Wir arbeiten an einem neuen Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit. Mein Ziel ist, die Schwelle für den Entzug von Bewilligungen bewusst tief anzusetzen. Also: Jeder Ladendieb muss raus? Nein, Ladendiebstahl ist zwar auch nicht in Ordnung, aber ich rede hier von schweren Vergehen. Hat die Schweiz wegen der Ausländerkriminalität ein Sicherheitsproblem? Ja, das hat sie. Dazu tragen aber auch Schweizer Straffällige bei. Die schweren Straftaten nehmen zu, das muss man verhindern. Die Schweiz ist sonst kein sicheres Land mehr. Wird es mit dem Schengen-Abkommen besser oder schlechter? Es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Der Wegfall von Grenzkontrollen bedeutet im Prinzip einen Abbau von Sicherheit. Entscheidend ist, wie stark wir im Gegenzug die Sicherheitskräfte und Kontrollen im Hinterland ausbauen. Das braucht mehr Personal. Das müssen wir mit den Kantonen zusammen regeln. Und was bringt das Dubliner Asylabkommen? Das Dubliner Abkommen besagt, dass man Asylbewerber einem anderen Land übergeben kann, wenn sie dort bereits ein Asylgesuch gestellt haben. Ob das Abkommen einen Vorteil bringt, hängt also ganz einfach davon ab, ob man mehr Asylbewerber aus Drittländern zurücknehmen muss oder abgeben kann. Wenn das Abkommen spielt, sollte es Verbesserungen geben. Aber man löst mit Dublin das Asylproblem nicht. Wir haben selbst etwas zu tun. Bundespräsident Joseph Deiss hat Sie öffentlich gerüffelt, weil Sie nicht klar zur Position des Bundesrates in Sachen Schongen und Dublin stehen. Wenn Bundespräsident Deiss an meiner Haltung etwas auszusetzen hat, kann er mir das direkt sagen. Ich führe mit ihm keine Diskussion über die Medien. Wir sehen uns schliesslich regelmässig, und jetzt gehen wir ja dann zwei Tage miteinander wandern. Stehen Sie nun zu den bilateralen Verträgen mit der EU und vertreten Sie sie auch in der Öffentlichkeit? Selbstverständlich, das ist meine Aufgabe. Ich muss erklären, warum der Bundesrat für Schengen ist. Genauso wie es meine Aufgabe ist, zusammen mit den Kantonen dafür zu sorgen, dass wir auch mit dem Sehengen-Abkommen die Sicherheit im eigenen Land wahren. Und bei den Einbürgerungsvorlagen im September, treten Sie da in den Ausstand? Nein, warum auch? Jedermann weiss, was ich als Nationalrat vertreten habe. Jetzt bin ich Bundesrat, jetzt zählt das nicht mehr. Ich habe kein Problem damit, wenn ich über Bundesrats-Beschlüsse informieren muss, über die ich anders gedacht habe. Schadet das auf Dauer nicht der Glaubwürdigkeit? Auch der Glaubwürdigkeit Ihrer Partei? Meine Partei hat eine Aufgabe und ich habe als Bundesrat einen anderen Auftrag, das muss man trennen. Nicht akzeptabel wäre, wenn ich im Bundesrat plötzlich etwas ganz anderes vertreten würde, als ich vor der Wahl versprochen habe. Aber dafür sehen Sie wohl kaum Anzeichen, oder? Stimmt jetzt die Geschichte, dass Sie 2007 für den Nationalrat kandidieren wollen, falls Sie davon ausgehen müssen, dass man Sie wieder aus dem Bundesrat rauswirft? Wir haben dieses Szenario tatsächlich vor den letzten Wahlen durchgedacht. Aber wirklich nur für den Fall, dass die anderen Parteien planen, Blocher als Bundesrat abzuwählen, damit er endlich von der politischen Bühne verschwindet.

10.06.2004

Ein Bundesrat ist doch kein Schauspieler

Interview mit der Basler Zeitung im Rahmen der Generalversammlung der Handelskammer der beiden Basel, an der Bundesrat Blocher als Gastredner eingeladen war. 10.06.2004, Basler Zeitung (Tobias Bossard, Pierre Weill) Bundesrat Blocher ist der Sprung vom Unternhemer zum Bundesrat nicht leicht gefallen. Jetzt gefällt ihm aber der Job, wie er im Interview erklärt. «Aber ich habe Mühe, wenn man mir sagt, ich müsse bei einer Sache persönliche Begeisterung ausstrahlen.» Herr Bundesrat Blocher, was ist einfacher: ein Bundesrat zu sein oder ein Unternehmer? Als Unternehmer verliert man alles, wenn man seine Sache schlecht macht. Das Risiko als Unternehmer ist deshalb viel grösser als jenes eines Bundesrats. Ein Unternehmer kann aber auch viel mehr bewirken. In Bern muss man zuerst immer viele Gremien und Leute von einer Sache überzeugen. Das ist schwieriger, auch weil neben den sachlichen Aspekten noch sehr viele politische Erwägungen eine Rolle spielen. Dafür ist die Arbeit weniger risikoreich. Im Bundesrat sind Fehler möglich, ohne dass man gleich bestraft wird. Oder denken Sie an die 130 Mrd. Fr. Bundesschulden, deswegen verliert niemand seinen Job. Sie sind seit fünf Monaten im Bundesrat. Wie haben Sie sich eingelebt? Die erste Zeit war sehr schwierig, der Wechsel enorm. Mittlerweile kenne ich die Leute und Themen und sehe die Probleme und Lösungsmöglichkeiten. Aber gefällt es Ihnen im Bundesrat? Das ist nicht der Punkt. Die Frage ist: Kann ich meine Anliegen verwirklichen oder nicht? In vielen Bereichen ist das möglich, ohne dass man es merkt; bei anderen nicht. Viele haben den Eindruck, Sie fühlen sich in Ihrer Rolle nicht immer wohl. Ich fühle mich sehr wohl. Schon als Unternehmer hatte ich Momente, die nicht immer lustig und fröhlich waren. Insgesamt habe ich aber Freude an meinem Job, sogar immer mehr. In der Basler Zeitung sagte der Basler FDP-Nationalrat Johannes Randegger, dass Sie im Bundesrat Ihr «Format als Staatsmann erst noch finden» müssen. Mir hat er das nicht gesagt. Was ist das überhaupt, «Format als Staatsmann», das müsste er mir zuerst erklären. Einige sagen auch, ein Bundesrat muss seine ihm zugeordnete Rolle übernehmen. Was ist denn das für eine Auffassung? Ein Bundesrat ist kein Schauspieler, sondern hat zu sagen, was er denkt. Einzig über die Dinge, die im Bundesrat diskutiert werden, kann er nicht öffentlich seine Meinung sagen. Sie hätten Bundesrat Moritz Leuenberger zum Rücktritt aufgefordert, sickert zu den Medien durch. Wie gehen Sie mit solchen Indiskretionen um? Ich lasse die einfach laufen und schaue zu. Zum Rücktritt aufgefordert habe ich ihn sowieso nicht, das liegt nicht in meiner Kompetenz. Was aber genau war, darüber spreche ich nicht, es ist ja auch nichts passiert. Wir hatten eine gute Diskussion. Ich muss darüber lachen, was alles geschrieben wird, und staune, was die Leute in der Bevölkerung wissen, obwohl ich dazu noch nie etwas gesagt habe. Am Dienstag habe ich zum ersten Mal seit fünf Monaten Fernsehen geschaut und bin ausgerechnet beim «Zischtigsclub» gelandet, in dem fünf Leute über die Vorgänge imBundesrat diskutiert haben, die noch nie im Bundesrat waren. Das war eine Diskussion über eine Fata Morgana. Wie gehen Sie damit um, dass Sie als Bundesrat Dinge vertreten müssen, von denen Sie früher eine andere Meinung hatten - etwa beim Schengen-Dossier der Bilateralen II? Damit habe ich keine Mühe. Mühe macht mir nur, wenn Leute meinen, ich müsse Argumente vortragen, die es gar nicht gibt. Ich habe auch Mühe damit, wenn man mir sagt, ich müsse bei einer solchen Sache persönliche Begeisterung ausstrahlen. Aber ich kann doch sagen, wo die Vor- und Nachteile bei einer Sache liegen, und warum der Bundesrat findet, die Vorteile überwiegen. Für meine Partei ist das vielleicht ein Problem, aber wir haben dies von Anfang an besprochen, dass ich in solchen Angelegenheiten für einen Kampf ausfalle. Aber gerade bei Projekten wie Schengen ist es wichtig, dass die Leute wissen, worum es geht. Wenn ich Nachteile aufzähle, verletze ich das Kollegialitätsprinzip nicht. Das wäre der Fall, wenn ich Schengen bekämpfen würde. Sehen Sie als ehemaliger Unternehmer Möglichkeiten, die Regierungsarbeit effizienter zu gestalten, wie die Schaffung eines stärkeren Präsidentenamtes oder höhere Hürden für Referenden? Nein, dies ist nicht nötig. Wir brauchen eine andere Politik. Wir müssen nicht die Volksrechte einschränken. Derartige Schritte würden am wahren Problem vorbeizielen. Doch wieso lehnt das Volk Reformen ab, die viele als nötig empfinden? Das Volk hat bis jetzt keine wahren Reformen abgelehnt. Das Elektrizitäts-marktgesetz habe ich selbst im Parlament noch abgelehnt, weil ich der Ansicht war, dass dies gar keine Liberalisierung ist. Es war eine verdeckte Verstaatlichung. Dann habe ich gesagt, es ist doch weniger schlimm als jetzt. Wenn man derartige Reformen vorlegt, die schwer verständlich sind oder eine Verschlechterung bringen, ist es nicht erstaunlich, wenn das Volk Nein sagt. Die 4,9 Mrd. Fr. zusätzliche Mehrwertsteuer hat das Volk abgelehnt. Welche Wirtschaftsreformen sind notwendig, um die Wachstumsschwäche der Schweiz zu beheben? Die dramatische Lage der Bundesfinanzen müssen wir korrigieren. Diese lähmen die schweizerische Wirtschaft. Deshalb wächst die Wirtschaft nicht. Wir sollten nichts anderes machen als den Haushalt in Ordnung zu bringen und das Wachstum zu fördern. Doch der Bund ist noch nicht so weit. Das ist tragisch. Es besteht die Gefahr, dass wir die gleichen Probleme wie Deutschland bekommen werden oder wie England, bevor Margaret Thatcher Regierungschefin wurde. Damals war das Bruttoinlandprodukt von Grossbritannien geringer als jenes der DDR. Es wäre schade, wenn wir so tief fallen müssten, bevor wir die nötigen Reformen einleiten. Das EWR-Nein von 1992 schätzen Sie als Erfolg ein ... ... ja, als gewaltigen Erfolg... ... aber seither ist die Schweiz von allen OECD-Staaten am langsamsten gewachsen. Besteht ein Zusammenhang? Keinesfalls. Aber die Liberalisierung des Binnenmarktes ... ... meinen Sie, wir hätten liberalisiert, wenn wir EU-Mitglied wären? Deutschland ist schon lange in der EU Das Problem ist, dass wir von allen Industriestaaten in den vergangenen zehn Jahren unsere Fiskalquote am stärksten erhöht haben. Unsere Schulden sind bei Bund, Kantonen und Gemeinden auf 300 Mrd. Fr. angestiegen, deshalb geht es nicht vorwärts. Es ist nicht wahr, dass nicht liberalisiert wurde. Ich nehme die Handwerker in Schutz. Sie sind einem starken Wettbewerb ausgesetzt. Die Landwirtschaft ... ... die Landwirtschaft ist nicht in der freien Marktwirtschaft zuhause. Sie ist in keinem Land der Marktwirtschaft ausgesetzt. Aber man könnte das auch anders machen. Ich habe bereits Vorschläge gemacht, bevor ich im Bundesrat war. Jetzt muss ich mit Vorschlägen etwas vorsichtiger sein. Wenn wir in der EU wären, ginge es diesem Land miserabel. Wir hatten nur ein kleinesWachstum, aber wir haben noch immer ein relativ hohes Pro-Kopf-Einkommen, wir haben relativ wenig Arbeitslose und tiefe Zinsen, was ein Wettbewerbsvorteil ist. Das alles ist so, weil wir nicht in der EU sind. Und das weiss heute übrigens auch die Wirtschaft. Welchen Einfluss nehmen Sie heute noch auf ihren ehemaligen Konzern, die Ems Chemie? Gar keinen. Muss ich auch nicht. Ich bin nicht mehr daran beteiligt und sehe, dass es gut läuft. Beraten Sie auch nicht die heutige Konzernchefin, Ihre Tochter Magdalena Martullo, wenn Sie sich treffen? Wenn mich meine Tochter mit den Enkeln besucht, frage ich schon, wie es geht. Ist dies verboten? Aber in den Zeitungen verfolgen Sie das Unternehmen intensiv? Die Zeitungen lese ich generell intensiv, aber nicht speziell mit Blick auf die Ems Chemie. Sie haben Ihren Anteil an der Ems Chemie Ihren Kindern teilweise verkauft und teilweise verschenkt. Wie habenSie Ihr Vermögen jetzt angelegt? Das sage ich Ihnen, wenn alle Bundesräte bekannt geben, wo sie ihr Geld angelegt haben. Ich bin aber an keinem Unternehmen massgeblich beteiligt.