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Federal Councillorship

06.06.2004

Rede von Bundesrat Christoph Blocher zum 25. Nordostschweizerischen Jodlerfest

06.06.2004, Appenzell Es gilt das gesprochene Wort Liebe Jodlerinnen und Jodler Liebe Alphornbläser und Fahnenschwinger Liebe Festgemeinde Sie haben zum Fest geladen. Und wiederum sind Tausende Freunde des Jodelgesangs der Einladung gefolgt. Zum 25. Mal findet das Nordostschweizerische Jodlerfest statt, heuer im schmucken Landstädtchen Bülach. Ein Zusammentreffen für freundschaftlichen Wettkampf und unbeschwerte Geselligkeit. - Beeindruckende 492 Konzertvorträge sind angemeldet. - Fast 3000 aktive Teilnehmer zählt das Verbandsfest. - In 25 Wirtschaften und 6 Verpflegungsständen können sich die Besucher erholen und erlaben. - Über 600 freiwillige Helferinnen und Helfer machen einen solchen Anlass überhaupt erst möglich. Meine Damen und Herren, diese paar Angaben aus Ihren Veranstaltungs-unterlagen sagen es bereits: Das 25. Nordostschweizerische Jodlerfest bietet Substanz, Inhalt und steht stellvertretend für das vielfältige Kulturleben unseres Landes. Solche Feste bilden das Rückgrat einer gesunden Lebensgemeinschaft. Das Nordostschweizerische Jodlerfest gibt die Traditionen weiter und stärkt den Gemeinsinn - zum 25igsten Mal! Ich glaube, solche Zusammenkünfte werden immer wichtiger: Je mehr die hohe Politik von Globalisierung schwärmt, je mehr das Heil in nicht fassbaren und nicht überschaubaren supranationalen Organisationen gesucht wird, umso mehr sehnen sich die Menschen nach Halt, nach Tradition und Heimat - denn dort ist der Ort des Vertrauten und des Überschaubaren. Was wären wir ohne all die Vereine, ohne die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer, ohne die Volksfeste wie dieses heute? Was wären wir ohne Sängerinnen, Sänger, Jodlerinnen und Jodler, Alphornbläser und Fahnenschwinger? Arm wären wir! Wir wären Menschen in einer leeren, einsamen, grauen Welt. Vorbildlichkeit Sie bieten uns nicht nur Freude. Es ist imposant zu sehen, wie ein so grosser Anlass so hervorragend organisiert wird. Und nicht weniger beispielhaft ist, wie hier seriös budgetiert und in Eigenverantwortung abgerechnet wird. Dies müsste sich der Staat, der ja über ganz andere Mittel verfügt, zum Vorbild nehmen: Die letzte "grössere" Festveranstaltung, die über den Bund organisiert worden war, trug zwar einen kürzeren Namen als das "Nordost-schweizerische Jodlerfest", dafür wies die "Expo" ein paar Nullen Defizit mehr aus. Über eine Milliarde Franken kostete uns die "Expo". Da hätten Sie hier vergoldete Gratisbratwürste verteilen können. Festumzug Für den Nachmittag ist ein grosser Festumzug angekündigt. Auch dieser verheisst Beeindruckendes: - 70 Nummern bilden den Umzug - dazu kommen 5 Blasmusikkorps - 17 Kühe Die letzteren fühlten sich wahrscheinlich eingeladen durch den wunderschönen Kinderchor, der vorher inbrünstig sang: "Gang rüef dä Bruune, gang rüef dä Gäle, sie söölid allsam nach Bülach cho." (Das wäre vielleicht auch eine Werbeidee für unseren Fremdenverkehr - und erst noch billiger als die 200 Steuermillionen für die staatliche Tourismus-förderung). Zum Volkslied Ich war das 7. von 11 Kindern. Meine Mutter hat eine Fülle von Volksliedern am Klavier begleitet und uns so gelehrt. Die meisten kann ich heute noch auswendig und singe sie auch (am liebsten im Badezimmer, weil dort die Akustik die falschen Töne überschallt). Den tieferen Sinn dieser Lieder habe ich allerdings erst im Erwachsenenalter entdeckt. Wir finden darin all das Schöne, Lustige, aber auch Schwierige und Widrige des Lebens. In vielen dieser Weisen liegen versteckte Weisheiten. Es lohnt sich, etwas genauer hinzuhören. Das ist auch der Grund, warum ich in meinen Reden häufig aus einem Volkslied zitiere. So war einmal das Volkslied "Chumm Bueb und lueg dis Ländli aa!" das Leitmotiv einer wichtigen Rede. Ja, die Schweiz ist ein kleines Land, aber ein reizvolles Land. Nur tüchtige Menschen konnten daraus etwas machen. Ich weiss auch, dass besonders viele Jodler aus Bauernfamilien stammen. Wer "üses Ländli aaluegt", und zwar mit offenen Augen, der erkennt, dass es gerade der Bauernstand ist, der für diese schönen Landschaften sorgt. Zu diesem "Ländli" wollen wir Sorge tragen, dass es auch weiterhin in Freiheit seine Zukunft bestimmen kann. Nach meiner Rede "Chumm Bueb und lueg dis Ländli aa!" meldeten sich - wie immer - die Kritiker und sagten: Wieder typisch, der Blocher redet nur von den Bueben und vergisst die Frauen. Ein Jahr später, es war der Januar des letzten Jahres, sprach ich von den kommenden Wahlen und endete optimistisch mit den Worten: "Ich glaube, es beginnt zu tagen. Wer nicht gerade in die Niederungen der hohen Politik schaut, sondern hinausblickt ins Land und zum Volk, wer hinaufblickt zum Souverän, der wird mit Zuversicht erfüllt. Man fühlt sich an das alte Volkslied erinnert: "Es taget vor dem Walde, stand uuf Kätterlin!". Und wenn ich in die Festrunde schaue, "nicht nur der Bueb luegt sis Ländli a", sondern auch die "Kätterlin isch ufgschtande". Aber weder der Bueb noch das Kätterli wollen Politiker, die wie Windfahnen politisieren. Auch die Fahnenschwinger, die hier auftreten, können ihre Fahnen nicht einfach in den Himmel werfen und dann schauen, wohin sie gerade fallen. Unser Land braucht Verlässlichkeit. Ein Volkslied hat aber auch an jene gedacht, die heute nicht wissen, was sie gestern sagten und was sie morgen denken. Diese spezielle Hymne ist der Refrain von "Es Puurebüebli man i nit": "Mal ufe mal abe, mal rächts, mal links, mal hindere mal füre, mal rächts mal links...", was nur für das Volkslied lustig ist. Ich wundere mich immer über jene Leute, die in der ganzen Welt herumreisen und dann von den dortigen Kulturen schwärmen, aber dem einheimischen Brauchtum keine Beachtung schenken. Der Jodelgesang, das Alphornblasen und das Fahnenschwingen ist eine solche Volkskultur. All denen, die glauben, die eigene Heimat sei zu wenig, hilft ein anderes Volkslied weiter: "...und zeigt üs d'Wält au allerlei: channsch nur ein Heimat gfindä". (Uf em Heiwäg, Text: Karl Spring, Melodie: Jean Clémençon). Sie, - meine Damen und Herren, - besingen in Ihren Liedern unsere Heimat. Und Sie tun das in den verschiedenen Dialekten und Sprachen. Das grosse Palaver ist nicht Sache des Schweizers. Wir haben es gern kurz und bündig und weniger gerne schwülstig und ausführlich. Deshalb entspricht der Naturjodel so ideal dem Eidgenössischen Wesen. Auf zum Feste Also, auf zum Fest! Ich rufe auf zum Dank! Ich danke für die Tausenden Stunden Freiwilligenarbeit, ich danke den 3000 Jodlerinnen, Jodlern, Alphornbläsern und Fahnenschwingern, ich danke dem Fest mit seinen 156 Chören, dem üppigem Blumenschmuck, den 17 Kühen, den 4 Sanitätsposten und nur einem Bundesrat. Geniessen Sie das noch verbleibende Fest und tragen Sie weiterhin Sorge zu unserem Brauchtum. Damit wir auch in Zukunft eine Heimat in uns finden. Ich freue mich, speziell auf den angekündigten Appenzeller Naturjuiz.

05.06.2004

Eröffnung des Schweizerischen Militärmuseums Full

Rede von Bundesrat Christoph Blocher 05.06.2004 Es gilt das gesprochene Wort Die Festung Full-Reuenthal steht an der Landesgrenze und hatte den klaren Auftrag, jeden feindlichen Eindringling fern zu halten. Die Schweiz, eine Nation, zu deren Geschichte das Militärische untrennbar gehört, kommt endlich zu einem schweizerischen Militärmuseum! Die Aufopferung Tausender und Zehntausender von Freizeitstunden, von Zehntausenden und Hunderttausenden von privaten und kommunalen Franken hat möglich gemacht, was wir hier in Full um uns herum sehen. Einmal mehr hat dieses Land gezeigt, dass seine wirkliche Kraft, seine eigentliche Qualität in der Initiative und in der Ausdauer seiner Bürgerinnen und Bürger liegen. Um dafür im Namen des Bundesrates herzlich zu danken, bin ich heute zu Ihnen gekommen. Full-, Reuenthal oder Röilete - wenn ich die Dialektaussprache des Namens richtig zustande bringe - das sind Worte, die unauslöschlich zur Geschichte der Schweiz angesichts der realen Bedrohung durch die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts gehören. Der Ort erinnert an die schwierigen Jahre des Zweiten Weltkrieges. Ein ganzes Land stand auf Bewährungsprobe und die bange Frage lautete: Wird die Schweiz aus eigener Kraft ihre Eigenständigkeit bewahren können? Ja, die Schweiz widerstand dem totalitären Zeitgeist jener Jahre. Das ist eine historische Leistung, an der es nichts zu rütteln gibt. Unsere Vorfahren wussten, was eine Grenze ist und warum es Grenzen bedarf. Was sagt uns Reuenthal ? Reuenthal sagt uns: Wer diese Grenze nicht respektiert, so das unmissverständliche Signal, wird ein entschlossenes Volk vorfinden, welches seine Freiheit und Selbstbestimmung zu verteidigen weiss. Bundesrat Hermann Obrecht, ein aufrechter Mann seiner Zeit, erklärte am 15. März 1939: "Das Ausland muss es wissen: Wer uns ehrt und uns in Ruhe lässt, ist unser Freund. Wer dagegen unsere Unabhängigkeit und unsere politische Unversehrtheit angreifen sollte, dem wartet der Krieg. Wir Schweizer werden nicht zuerst ins Ausland wallfahrten gehen." Die Mahnung Obrechts galt nach innen wie nach aussen. Die Landesgrenze und damit unsere Freiheit wurde für unantastbar erklärt. Diese deutlichen Worte waren an die totalitären Regime - braune und rote - gerichtet, die alle Grenzen und alle Freiheit mit Füssen traten. Seine Worte waren aber ebenso an die einheimische Elite gerichtet: Denn das Volk war damals weit widerstandswilliger und verteidigte die Souveränität weit entschlossener als viele Leute in führenden Kreisen. Auch dieser Umstand zeigt die Überlegenheit des Milizsystems. Warum, so dachten viele führende Leute, soll sich die kleine Schweiz gegen eine solch erdrückende Übermacht behaupten können? Es war diese anpasserische und resignative Haltung, die den Willen zur Eigenständigkeit von innen her zu zerfressen drohte. Darum mobilisierten verantwortungsbewusste Bürger nicht nur die Waffen, sondern auch die demokratische Überzeugungen. So etwa der Zeichner Carl Böckli, der im Nebelspalter spitze Karikaturen mit klugen Kommentaren veröffentlichte. Böckli, weit bekannter unter seinem Kürzel "Bö", schuf zu Beginn des Zweiten Weltkrieges die Figur des Jeremias Jammermeier. Ein noch heute weit verbreiteter Typus, der auf Vorrat vor dem scheinbar Übermächtigen kapituliert. Im August 1940 lässt "Bö" den Jeremias Jammermeier seufzen: "Hä wie chönd jetzt au d'Soldate Mit em Gwehr und mit em Schpate Immer na go tue wie wild? S'nützt ja nüt. Ich bi im Bild, Mir gönd under und verlore, Hetted mir nu nie nüt gschwore." "Hetted mir nu nie nüt gschwore". Ich rufe in Erinnerung, noch heute schwört jedes Regierungsmitglied auf die Verfassung und damit auf die Souveränität der Schweiz. Geschichte von Full - Reuenthal Gewiss, bereits die Römer versuchten am Rhein durch ein durchgehendes System von Wachttürmen und Kastellen die Barbaren draussen zu halten. Sicher, auch Zwingli bezeichnete den Rhein als die Letzi der Eidgenossenschaft. Die zentrale schweizergeschichtliche Bedeutung Full-Reuenthals aber geht zurück auf den 9. Juli 1933, als Bundesrat Rudolf Minger, der Vorsteher des Eidgenössischen Militärdepartements, im Amphitheater von Vindonissa erklärte: "Niemals lässt sich das Schweizer Volk eine Gleichschaltung nach deutschem Muster gefallen." Damals brauchte es noch Mut, so etwas zu sagen, Adolf Hitler war erst rund ein halbes Jahr im Amt und seine grössten Verbrechen lagen noch vor ihm, wenn auch Minger und Menschen vergleichbaren Weitblicks sahen, wohin die Reise führte. Ein Jahr danach (im Juli 1934) schrieb der Arzt und Kommandant der Infanteriebrigade 12, der nachmalige Oberstdivisionär und Nationalrat Eugen Bircher dem Eidgenössischen Militärdepartement, man solle in Bundesbern die Errichtung eines "kleineren Forts in der Gegend Reuenthal - auf dem Strick" prüfen. Dies war militärisch nötig, weil über das Wehr des im Januar 1934 in Betrieb genommenen Kraftwerks Albbruck-Dogern rasch eine grosse Truppenzahl über den Rhein geworfen werden konnte, was es zu verhindern galt. Sie spüren: Auch hier ging, wie fast immer in der Schweiz, die Initiative von einem Privaten, im vorliegenden Fall von einem Milizoffizier aus. Gegen amtlichen Unverstand, welcher eine Zeitlang selbst im damaligen Büro für Befestigungsarbeiten zu finden war, setzte sich Birchers Idee nach einem weiteren Jahr durch, so dass schliesslich am 1. März 1937 die Aushubarbeiten beginnen konnten. Dank diesem und vergleichbaren Werken entlang der Landesgrenze, dank einem Minimum militärischer Vorsorge, war das Land nicht nackt, als die Bundesversammlung Henri Guisan 1939 zum Oberbefehlshaber wählte. So war es einer Generation möglich, welche ganz anders geprüft wurde, als wir alle jemals geprüft worden sind, den Leuchtturm der Freiheit und der Demokratie inmitten eines totalitären Kontinents zu behaupten. Der Bau von vielen Festungen in unserem Land ging von Privaten aus und beweist beispielhaft, wie sehr unsere Vorfahren das Milizsystem verinnerlicht hatten. Mit nachdenklichem Schmunzeln habe ich Ihren Unterlagen entnommen, dass auch heute diese Festungsanlage gewissermassen privatisiert wurde. Der Verein Festungsmuseum Reuenthal hat die Liegenschaft von der Gemeinde erworben und erhält damit ein wichtiges Denkmal- und Mahnmal schweizerischer Landsverteidigung. Beeindruckendes Zeugnis des Milizsystems Viele von Ihnen haben Dienst geleistet in der Milizarmee. Viele von Ihnen haben sich ein Leben lang engagiert zu Hause, in Vereinen, in der Politik und als wache Bürgerinnen und Bürger. Und jetzt haben Sie wiederum einen eindrücklichen Beweis erbracht, zu was Menschen fähig sind, die aus sich heraus den gemeinsamen Willen schöpfen, etwas zu erreichen. Sie haben es fertig gebracht, dass hier und heute das Museum eröffnet wird und so die Erfolgsgeschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und die vergleichbare Leistung vorher und nachher, im Kalten Krieg, nie vergessen wird. Darum bin ich Ihnen so dankbar. Ich danke Ihnen für Ihren unermüdlichen Einsatz. Ich danke Ihnen, dass Sie uns dieses Mahnmal geschaffen haben.

05.06.2004

Der Zoo feiert seinen 75. Geburtstag!

Rede von Bundesrat Christoph Blocher zum Jubiläumsanlass des Zoo Zürich 05.06.2004, Zürich Es gilt das gesprochene Wort Von Königen und Untertan Der Zürcher Zoo feiert dieses Jahr seinen 75jährigen Geburtstag. Ich darf Ihnen im Namen des Bundesrates die besten Glückwünsche überbringen. Zum Jubiläum schenken Sie uns allen und nicht zuletzt den Löwen selbst ein neues Gehege. Neu kann jeder die Tiere beobachten - bei der Futtersuche, beim Fressen, beim Ruhen, Spielen und im Kreise der Familie. Dabei hält der Besucher - wie es sich bei einem König der Tiere gebührt - würdigen Abstand, um den Löwen in seinen Geschäften nicht zu stören. Der Schweizer hat ja ein seltsames Verhältnis zu Königen. Er respektiert eigentlich bloss einen und den nur auf Zeit - nämlich den Schwingerkönig. Aber auch als gute Demokraten wollen wir den Löwen allein dank seiner majestätischen, kraftvollen Gestalt anerkennen. Der Löwe als Faszination in Literatur und Politik Der Löwe, der "König der Tiere", dient seit dem Altertum als Sinnbild herrschaftlicher oder göttlicher Macht. Darum ziert der Löwe zahlreiche Wappen des Ostens, wie auch des Abendlandes, obschon es hier keine frei lebenden Löwen gibt. Dass das indische Staatswappen gleich vier Löwen trägt, ist verständlich. Aber auch der Kanton Thurgau schmückt sein Wappen mit zwei Löwen, worin wohl der Grund liegt, warum der Thurgau im Volksmund Indien genannt wird, nämlich Mostindien. Und das Zürcherwappen, in dessen Kanton ja das neue Gehege entsteht, hält sich den Löwen immerhin als Schildträger - den "Zürileu". Selbst Bundesräte tragen seinen Namen, um ihren politischen Löwenmut zu unterstreichen. Denken Sie an Leon Schlumpf oder meinen lieben Zürcher Kollegen Moritz Leuenberger und seine ihm angetraute Gret Löwensberg. Die Faszination für den Löwen reicht weit zurück bis in die mythologischen Ursprünge Europas. Herakles hat Löwenmut bewiesen, indem er den Nemäischen Löwen bezwang. Nach vollbrachter Tat zog er das Fell an und verlieh sich so die Kräfte des überwundenen Gegners. Schon früh hat der griechische Dichter Äsop mit Fabeln dem Löwen ein durchaus zwiespältiges Denkmal gesetzt. In einer dieser Geschichten gingen ein Löwe, ein Fuchs und ein Esel miteinander auf die Jagd, nachdem sie vorher einig geworden waren, den Raub ganz gleich unter sich zu verteilen. Ihre Beute war gross. Der Esel erhielt vom Löwen den Befehl zur Teilung, die er auch so gewissenhaft als möglich veranstaltete, und bat dann den Löwen, zu wählen. Allein, der ergrimmte Löwe zerriss den Esel und übertrug dem Fuchs eine neue Teilung. Dieser häufte alles zusammen, legte den Esel obenauf, gab praktisch alles dem Löwen und erbat sich ein kleines bisschen davon. "Schön, mein Freund", sagte der Löwe, "sage mir doch, wer hat dich so schön teilen gelehrt?" "Das Schicksal des Esels", war seine Antwort. Die Macht neigt zur Willkür. Der Löwe hält sich nicht an die Gesetze, weil ihn niemand in die Schranken weisen könnte. Da nützen alle guten Absichten und schönen Vereinbarungen nichts. Wenn der Löwe will, dann schlägt er seiner Natur gemäss zu. Macht geht vor Recht. Das zeigt uns auch die Weltpolitik immer wieder. Und die Gutgläubigkeit - davon ist man geneigt beim Esel zu sprechen - kann verhängnisvoll sein. Bleibt der Fuchs. Er überlebt. Weil er schlau genug ist, sich anzupassen und unauffällig für sich zu schauen. Damit holt er beim Publikum keine Sympathien. Aber: Er überlebt. Ich muss Ihnen auch sagen: ich habe in der Politik weit weniger mit kraftvollen Löwen als mit Füchsen zu tun. Der Löwe ist vom Aussterben bedroht, doch die Füchse übervölkern bereits unsere Städte. Hoffentlich gilt dies nicht auch für die Politik. Löwenanteil Äsops Fabel "Der Löwe, der Esel und der Fuchs" mit dem sprichwörtlichen "Löwenanteil", das heisst dem unverschämt grossen Anteil, den sich der Stärkere Kraft seiner Macht zuteilt, findet auch in der Jurisprudenz seinen Niederschlag. Aufgrund dieser Fabel nannte der römische Rechtsgelehrte Cassius Longinus (1. Jh. v. Chr.) in seinen "libri juris civilis" einen Vertrag, wonach der eine Teilnehmer allen Nutzen zieht, der andere aber alle Nachteile, eine "societas leonina". Eine Vereinbarung nach dem Muster des Löwen könnte man sagen. Wäre ich jetzt nicht als Bundesrat hier, sondern als gewöhnlicher Politiker, so würde ich etwa aus Sicht der Zürcher das Deutsche Luftabkommen mit seinen Südanflügen als einen solchen "contractus leonina" bezeichnen. Der Löwe im Christentum Das Christentum kennt andere Geschichten. Der heilige Hieronymus gewann sich einen Freund, indem er einem Löwen einen Dorn aus der Pranke zog. Das Alte Testament erzählt die Geschichte von "Daniel in der Löwengrube". Darin kommt auch die gerechte Seite des Löwen zum Ausdruck: Aufgrund einer Verleumdung wurde Daniel in die Löwengrube geworfen, aber er überstand die Nacht unversehrt, weil er unschuldig war. Am nächsten Morgen, als der König den Irrtum bemerkte, holte er sich jene Potentaten, die Daniel verleugnet hatten und warf sie selbst in die Löwengrube. Das ist natürlich auch heute noch keine brauchbare Alternative, die Schuldigen den Löwen zum Frass vorzusetzen. Nur zeigt diese Geschichte in alttestamentarischen Bildern, dass der Übeltäter bestraft werden soll und nicht der Unschuldige. Ein Grundsatz, der nicht nur den Justizminister eines Landes überzeugen sollte. An anderer Stelle in der Bibel spricht Jesaja prophetisch vom dereinst erlösten Jerusalem, in dem Wolf und Lamm einträchtig Gras fressen und der Löwe Stroh wie ein Rind. Doch diese Zeit scheint noch nicht angebrochen zu sein. Mindestens rate ich davon ab, in Ihrem Gehege dem Löwen bereits heute nur noch Stroh vorzuwerfen. Meine Damen und Herren Sie sehen: Der Bundesrat ist dankbar, dass der Zürcher Zoo dem Löwen ein neues naturnahes Gehege widmet und vor allem vielen Menschen Freude und Beziehung zur Natur bietet. Gerne hätte ich Ihnen einen Obolus der Eidgenossenschaft an Ihr neues Löwengehege überreicht. Verdient hätten Sie es beileibe. Doch leider sind die Kassen der Eidgenossenschaft leer und sie werden immer leerer. Zudem investiert der Bund eben nicht in den Löwen, sondern in den Luchs. So bleibt mir also nichts anderes übrig, als Ihnen hier einen Obolus in meinem eigenen Namen zu entrichten. Dieses Couvert soll ein kleiner persönlicher Beitrag an Ihr Löwengehege sein. Als Zürcher darf ich das ja wohl tun. Dass ich diesen Betrag aus meiner Kasse bezahlen kann, liegt daran, dass ich als Unternehmer mit dem Geld sorgsamer umgegangen bin als es die Eidgenössische Politik gegenwärtig tut. Ich freue mich, dass das jetzt auch den Löwen zugute kommt.

27.05.2004

Bedrohungen und Sicherheit – Rolle und Bedeutung der Polizei

Rede von Bundesrat Christoph Blocher an der Delegiertenversammlung des Verbandes Schweizerischer Polizei-Beamter vom 27. Mai 2004 in Zürich 27.05.2004, Zürich Es gilt das gesprochene Wort Herr Präsident Herr Generalsekretär Sehr geehrte Damen und Herren Lassen Sie mich, bevor ich von Sicherheit und Bedrohungen am Beispiel von Terrorismus und Gewalt spreche, einige grundsätzliche Punkte betonen: - In unserem Staat liegt die Polizeihoheit bei den Kantonen. - Die Überprüfung des Systems der Inneren Sicherheit hat dies bestätigt, belegt aber auch eine Lücke von mehreren Hundert Beamten in den Polizeikorps. Ich weiss von Ihrer chronischen Arbeitsüberlast und danke Ihnen für Ihre enorme Leistung. - Es gibt keine Alternativen zur Polizei: Weder private Sicherheitsdienste noch die Armee können die Rolle der Polizei übernehmen. Das Aufkommen privater Sicherheitsdienste müssen wir mit kritischem Blick begleiten, weil das Gewaltmonopol beim Staat bleiben muss. Die Armee erfüllt nun zwar dauernd und subsidiär Aufgaben, entlastet damit die Polizei, kann aber natürlich ihre Rolle nicht übernehmen. - Die kantonale Polizeihoheit hat auch bei der Terrorismusbekämpfung einen Vorteil: Die Kleinräumigkeit ermöglicht eine wirkungsvolle Überwachung. In der globalisierten Welt schützt uns auch die Neutralität in gewissem Mass vor Terrorismus. Auch nach den Anschlägen von Madrid haben wir keine konkreten Hinweise, dass die Schweiz ein direktes Angriffsziel der Terroristen ist. Aber: Wir sind im Gefahrenfeld und haben uns entsprechend vorzubereiten. Den Terroristen geht es um Aufmerksamkeit. Brutalität ist ein Mittel dazu. Terroristen greifen deshalb sogenannt weiche Ziele an, die in ihrer Gesamtheit nicht zu schützen sind. Wir müssen uns darauf konzentrieren, Terrorakte zu verhindern und Terrornetze aufzuklären und so die Terroristen und ihre Unterstützer zu ermitteln. Verhaftungen in der Schweiz und mit Schweizer Hilfe belegen hier Erfolge. Bei der Terrorbekämpfung geht es nicht nur darum zu verhindern, dass die Schweiz zur Zielscheibe von Terroristen wird. Die Schweiz soll auch nicht von Terroristen für ihre Zwecke benutzt werden können: - Verschiedene Terrorgruppierungen haben die Schweiz als Beschaffungs- und Ruheraum missbraucht. - Ebenso wurde die Schweiz von verschiedenen Gruppen als Transitroute und Unterstützungsraum missbraucht. - Die Schweiz soll auch kein Finanzierungszentrum des Terrorismus werden. Bisher sind noch keine grossen Finanzströme über Schweizer Finanzinstitute in direkten Zusammenhang mit Terrorgruppen oder Terrorakten gebracht worden. Das soll auch so bleiben. - Von der Schweiz aus werden auch Propagandaaktionen zugunsten terroristischer und gewaltextremistischer Gruppen durchgeführt. Terrorismus ist international - auch seine Bekämpfung kann deshalb nur in internationaler Zusammenarbeit erfolgen. Vonnöten sind sowohl repressive wie vor allem präventive Massnahmen. So hat die Schweiz auch nach den Anschlägen von Madrid konkrete Massnahmen getroffen, ohne sie jedoch an die grosse Glocke zu hängen. Aber auch nach den Anschlägen von Madrid gilt: Wir dürfen nicht in ungezielten Aktionismus verfallen. Zur Rolle der Polizei gehört es, professionell zu handeln und auch in gefährlichen Zeiten das Augenmass nicht zu verlieren. Dies sichert Ihnen auch das Vertrauen der Bevölkerung! Ich spreche damit auch ein grundsätzliches Problem an: das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. Wir dürfen keine überstürzten Massnahmen treffen. Es gilt hier, eine genaue Güterabwägung durchzuführen. Auch daran arbeiten wir gegenwärtig, und ich bin überzeugt, dass es uns gelingen wird, die Balance zu finden. Auch wenn wir zum Schluss kommen sollten, dass die Behörden weitere Kompetenzen zur Gefahrenabwehr erhalten müssen, werden wir weiterhin Extremisten und Terroristen deutlich voneinander unterscheiden müssen. Extremisten sind keine Terroristen. Sie lehnen die freiheitlich-demokratische Ordnung ab und missbrauchen die staatlich garantierte Freiheit. Sie stehen sowohl links wie rechts; sie sind Schweizer oder Ausländer. Immer mehr ist die Gewalt ein Ausdrucksmittel: - Die Schweizer Linksextremisten sind wegen ihrer Gewaltbereitschaft im Lager der Globalisierungsgegner zunehmend isoliert. Diese Isolation könnte eine weitere Radikalisierung bewirken. Vor allem Ihnen, der Polizei, gegenüber ist der Schwarze Block gewalttätiger geworden, etwa wenn Aktivisten hoch konzentrierte Schwefelsäure gegen Beamte einsetzen. - Zunehmende Gewalt gegen die Ordnungskräfte ist auch bei den Rechtsextremisten zu verzeichnen. Diese versuchen zudem, die Hooligans für ihre Zwecke einzuspannen. - Ruhig, aber gespannt ist die Lage beim Ausländerextremismus. Einige Gruppen sind gewalttätig oder gewaltbereit. Sie führen von der Schweiz aus die Konflikte in ihrer Heimat oder unterstützen eine Konfliktpartei. Unsere Aufgabe ist es auch hier zu verhindern, dass die Sicherheit anderer Staaten vom Schweizer Territorium aus gefährdet wird. Ich will abschliessend nochmals die Bedeutung der Polizei unterstreichen: - Sicherheit wird gewährleistet durch Professionalität. Und Professionalität ist die Stärke der Polizei - Ihre Stärke. - Sie, die Polizei, geniessen - und das ist mit Umfragen belegt - von allen Schweizer Behörden das höchste Vertrauen in der Bevölkerung. Ich danke Ihnen!

03.05.2004

Unser Asylwesen hat langfristig keine Zukunft

03.05.2004, Basler Zeitung (Niklaus Ramseyer) Herr Bundesrat Blocher, wohin würden Sie gehen, wenn Sie flüchten müssten? Auf jeden Fall in ein reiches Land - am ehesten wohl nach Kanada. Im Bundesrat sind Sie nun für die Flüchtlingspolitik zuständig. Haben Sie merken müssen, dass diese komplizierter ist, als sie es früher etwa in Referaten vor der Auns dargestellt haben? Nein. Wenn ich die Flüchtlingspolitik als Politiker früher thematisiert habe, dann ging es mir vor allem um die Darstellung der Zustände. Und jetzt stelle ich nach eingehender Analyse fest, dass es zum Teil schlimmer ist, als ich gemeint hatte. Dass die Suche nach Lösungen im Staat kompliziert ist, das habe ich hingegen immer gewusst. Trotzdem nehme ich die dringensten Probleme jetzt auf und biete Lösungen. Und welches sind die wichtigsten Lösungen, die Sie nun in der Sondersession durchbringen wollen? Da ist vor allem die neue Drittstaatenregelung, gemäss der wir auf Gesuche von Leuten, die aus sicheren Drittstaaten zu uns kommen gar nicht mehr eintreten müssen. Dann das Beschwerdeverfahren an den Empfangsstellen und an Flughäfen und dort auch die Ausschaffungshaft. Schliesslich die Nothilferegelung nach Nichteintretensentscheiden, wie wir sie seit dem 1. April haben. Das sind alles nur weitere Verschärfungen des Gesetzes. Was bringen Sie eigentlich wirklich Neues? Ich frage meistens nicht, ob etwas neu sei oder nicht. Ich frage ob es etwas bringt. Und die Änderungen, die ich genannt habe,, würden die Situation schon ziemlich verbessern, wenn sie in der Sondersession nun durchkämen. Neu ist immerhin, dass man die Probleme offen auf den Tisch legt. Für die Kantone ist zudem wichtig, dass Bern ihre Sorgen ernst nimmt, und dass wir etwas machen wollen. Für mich ist vor allem aber die Erkenntnis neu, dass das Asylsystem, wie wir es jetzt haben, langfristig keine taugliche Lösung ist. Das gilt es mal offen einzugstehen. Und dann kann man neue Lösungen suchen. Sie sind also der dezidierten Meinung, dass das Schweizer Asylwesen nur vorübergehend noch verbessert werden kann, dass aber später ein ganz neues System kommen müsste. Ja. Nur heisst vorübergehend nicht einfach für die nächsten paar Monate. Was mir vorschwebt braucht eher Jahre, bis es umgesetzt ist. Und vorab müssen wir es mit anderen Ländern, vor allem mit unseren Nachbarländern, absprechen und koordinieren. Vorderhand verbessern wir darum dennoch das bestehende System, von dem ich aber überzeugt bin, dass es auf längere Sicht keine Zukunft haben kann. Haben Sie diese Position mit dem Gesamtbundesrat abgesprochen? Nein. Das sind nur erste Ideen, die ich jetzt in die politische Debatte werfe. Ich hoffe dabei, dass seriöse Kritik zurückkommt, oder dass sogar bessere Ideen kommen. Wie sieht denn Ihr grundlegend neues System aus? Ich gehe davon aus, dass wir heute fast eine Milliarde Franken im Jahr für ein bürokratisches System ausgeben, das nicht notwendig wäre, um 1000 Flüchtlinge bei uns zu beherbergen. Und es ist klar, dass wir für einen Bruchteil dieses Geldes ein Mehrfaches an echten Flüchtlingen aufnehmen oder direkt in Krisengebieten betreuen und unterstützen könnten. Die Schweizer Hilfe direkt vor Ort in den Krisengebieten wird aber keinen einzigen jener Asylbewerber, die individuell über die grüne Grenze kommen, daran hindern können. Darum gäbe es dann nur noch eine Asylpolitik für individuelle Flüchtlinge aus angrenzenden Ländern, direkt vor Ort, oder für Kontingente echter Flüchtlinge aus Krisengebieten. Ist dieses grundlegend neue Asylwesen ein grosses Ziel, das Sie sich als Bundesrat gesetzt haben, wie etwa damals Frau Dreifuss mit ihrer Mutterschaftsversicherung? Ja. Eine neue Asylpolitik zu erschaffen, die verstärkt den wirklich Verfolgten zu Gute kommt, und den teuren bürokratischen Leerlauf eindämmt und alle Asylsuchenden ohne Asylgründe abhält, das ist schon mein Ziel. Und wie sieht Ihr Zeithorizont aus? Zunächst muss ich mich jetzt mit den Verbesserungen an den bestehenden Regelungen auf das praktisch rasch Machbare konzentrieren. Gleichzeitig verfolge ich die Reaktionen auf meine langfristigen Vorschläge. Vielleicht kommen auch neue, bessere Ideen. Und dann werde ich eine kleine Gruppe einsetzen, die in aller Freiheit über das alles hinaus denkt. So bis Ende 2005 denke ich, sollten wir dann erste spruchreife Vorschläge haben. So dass man noch in dieser Legislatur etwas machen könnte.