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Elections

29.04.2002

«Ich hoffe auf eine Einigung mit der FDP»

SVP-Präsident Christoph Blocher verlangt von der FDP ein klares Bekenntnis zu einer bürgerlichen Finanz- und Steuerpolitik. Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 29. April 2002 Mit Christoph Blocher sprachen Ruedi Baumann und Hans-Peter Bieri Sie wohnen und arbeiten in Herrliberg hoch über dem See, sind Milliardär, Patron eines Grossunternehmens, politisch einer der einflussreichsten Meinungsmacher in der Schweiz - was wollen Sie sich wieder in die Niederungen der Zürcher Politik stürzen und bei den nächsten Wahlen auch noch den Hosenlupf mit den Freisinnigen wagen? Blocher: Wir planen keinen Hosenlupf mit den Freisinnigen. Ich erfülle meine Aufgabe als Präsident der SVP. Als ich vor 25 Jahren die Führung dieser Partei übernommen hatte, war sie am Boden. Ich war damals der festen Überzeugung, dass es dringend eine bürgerliche Partei braucht, welche die Werte der SVP vertritt. Dann geht es den Zürcherinnen und Zürchern besser. Dieser Ansicht bin ich noch heute, und darum führe ich mein Amt weiter. Parteipräsident sollte nur jemand werden, der dieses Amt für sich selber nicht braucht. Wird dieses Amt nur als Sprungbrett benützt und um Karriere zu machen, so ergibt das keine nachhaltige Politik. Der gute Parteipräsident ist kein Durchlauferhitzer. Sie hatten in diesen 25 Jahren Erfolg, und die SVP hatte Erfolg mit Ihnen. Jetzt scheint es, dass die SVP auch im Regierungsrat mehr Macht anstrebt und mit einem dritten Sitz das bürgerliche Fünferticket sprengen möchte. Blocher: Ich bin nicht so sicher, ob ich Erfolg gehabt habe. Wir sind zwar viel stärker geworden, konnten in der Politik sehr viele Fehlentwicklungen verhindern und beispielsweise mehrere Steuersenkungen erreichen. Aber trotz diesem Druck zahlen die Bürger immer mehr Steuern. Allein von 1998 bis 2001 im Kanton Zürich 1,2 Milliarden mehr. Der Kantonsrat beschloss trotz heftiger Gegenwehr der SVP allein für 2002 ganze 8 Prozent mehr Ausgaben. Das sind 800 Millionen mehr oder allein für Mehrausgaben 26 Steuerprozente. Die Grundfrage der Politik ist stets: mehr Staat oder mehr Freiheit? Mehr für den Staat oder mehr für den Bürger? Erfolg ist, wenn es den Zürchern besser geht, und das ist nur mit einem liberalen Staat möglich. Wir haben in den letzten 25 Jahren mehr Staat bekommen, vor allem mehr Ausgaben und mehr Steuern, weniger Freiheit - also waren wir nicht erfolgreich. Trotz SVP/FDP-Mehrheit in Regierung und Parlament. Blocher: Ja, leider. Ich habe vergeblich erhofft, dass wir mit einer bürgerlichen Regierung und einer Mehrheit im Parlament in der Finanz- und Steuerpolitik den Durchbruch schaffen könnten. Wir wollen nicht mehr Macht, aber wir brauchen mehr Einfluss für diesen Durchbruch. Die SVP vertritt im Kanton Zürich etwa ein Drittel der Wählenden. Wen wunderts, dass die Basis nach einem dritten Regierungsrat ruft, um mehr Einfluss zu haben. Doch auch damit allein schafft man den Durchbruch nicht. Deshalb bin ich immer für ein starkes bürgerliches Fünferticket angetreten. Ein solches müsste eigentlich eine bürgerliche Politik garantieren mit weniger Staat, mehr Freiheit und tieferen Steuern. Tiefere Steuern könnten Sie wenige Kilometer von hier haben. Weshalb sind Sie nicht in den Kanton Schwyz gezogen? Blocher: Sie sehen, wie gerne ich den Kanton Zürich habe. Wenn ich von Herrliberg aus über den See nach Freienbach schaue, würde ich dort nur 30 Prozent meiner heutigen Steuern bezahlen, das heisst 5 statt 15 Millionen Franken pro Jahr. Aber den Wohnsitz nur nach der Steuerbelastung zu wählen, finde ich immer etwas eigenartig. Ich fühle mich mit diesem Kanton verbunden, bin Stadtzürcher und Meilemer Bürger und in Laufen am Rheinfall aufgewachsen. Meine Frau ist Zürcher Oberländerin. Persönlich ist mir also der Kanton Zürich 10 Millionen mehr Steuern wert. Als Unternehmer dürfte ich dies nicht zulassen und müsste den Sitz verlegen. Hohe Steuern im Kanton Zürich verhindern Arbeitsplätze, schaffen Arbeitslose und stossen gute Steuerzahler ab.SVP und FDP haben trotz klarer Mehrheit den finanzpolitischen Durchbruch nicht geschafft, weil sie nicht einig waren. Wie können Sie da weiter mit der FDP in den Wahlkampf ziehen? Blocher: Ich hoffe auf eine Einigung für die Zukunft; die FDP-Basis ist doch nicht für hohe Steuern. Ich möchte nichts beschönigen. In unserer Basis gibt es eine starke Strömung, die für einen Alleingang plädiert und sich an den Differenzen in der Regierung stört. In den entscheidenden Fragen hat sich die FDP leider in letzter Zeit unter dem Vorwand der Koalition der Vernunft auf die Seite der SP geschlagen, am deutlichsten beim letzten Budget. Wir stiessen bei der FDP auf taube Ohren. Am Schluss bewilligte die FDP sogar nochmals 25 Millionen Franken Mehrausgaben, um mit der SP den Kompromiss zu schliessen. Solls zu einem bürgerlichen Fünferticket kommen, muss sich die FDP entscheiden: zwischen der SVP, die sich für weniger Ausgaben und tiefere Steuern einsetzt, oder der SP, die das Gegenteil will. Dass sich die FDP beim Budget für die so genannte Koalition der Vernunft mit der SP entschieden hat, ist für uns unbegreiflich. Ebenso die Haltung der bürgerlichen Regierung. Da müssen auch bürgerliche Regierungsräte mitgemacht haben. Und heute pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass lediglich Christian Huber, Rita Fuhrer und Ernst Buschor gegen diese 800 Millionen Mehrausgaben waren ... ... obschon diese das Gegenteil behaupten und in der Regierung gar keine Schlussabstimmung durchgeführt wurde, weil niemand einen Ablehnungsantrag stellte. Blocher: Unsere Regierungsräte schweigen auch uns gegenüber pflichtgemäss. Wie die Schlussabstimmung war, weiss ich nicht, aber ich bleibe dabei: Ohne bürgerliche Regierungsräte wären diese Mehrausgaben nie durch die Regierung gegangen. Da zeigt sich das Problem: In einem Fünferticket müssten wir eigentlich die Mehrheit haben in der Regierung, doch ausgerechnet beim Budget funktionierts nicht. Das müsste für die SVP doch Verpflichtung sein, den Einfluss so zu vergrössern, dass sie eine wirkliche Mehrheit hat. Blocher: Diese Forderung höre ich auch von der Basis immer wieder. Unlogisch ist dies nicht. Doch da gibts auch noch eine andere Seite. Wenn wir tatsächlich mit drei SVP-Kandidaten antreten würden, dann könnte das - wenns dumm geht - die bürgerliche Vertretung schwächen. Möglich wäre, als wahrscheinlichster Fall, dass auch die CVP auf der Strecke bleibt und dafür ein zweiter Sozialdemokrat in die Regierung kommt. Wäre dies besser? Oder spielt es keine Rolle mehr? Doch wir möchten sehr ernsthaft mit den Freisinnigen über die künftigen Steuern diskutieren und zu einer Lösung kommen. Das ist für uns die zentrale Frage. Jetzt, wo die Steuererträge derart massiv angestiegen sind, hätte man doch die Steuern massiv senken können. Wenn man schon die Mehrausgaben für 2002 um 26 Steuerprozente in die Höhe treiben kann, dann müssten doch Steuersenkungen von 20 Prozent drinliegen. Bei den Steuern langt der Kanton Zürich zu fest zu. Zu diesem Themenkreis müssen bürgerliche Parteien und Regierungsvertreter eine gemeinsame Plattform erarbeiten. Nachdem eine gezielte Ausgabensenkung von der Regierung zurückgewiesen wird, können nur lineare Kürzungen weiterhelfen. Also Leistungen abbauen? Blocher: Das ist stets das Erste, was Politikern in den Sinn kommt: Kostenreduktion gleich Leistungsabbau. Wie phantasielos! Die erste Forderung heisst aber: gleiche Leistung bei tieferen Kosten, das heisst höhere Effizienz. In den Siebzigerjahren musste der Bund die Kosten linear um 10 Prozent senken, und niemand hat etwas davon gemerkt. Auch ich musste in meinem Unternehmen schon vielfach Kosten reduzieren - 8, 10 oder 20 Prozent. Mein Auftrag war immer: Kostenreduktion ohne Leistungsabbau. Stichworte sind Effizienz und das Ausschalten von Leerläufen. Das macht die Regierung schon, und auch Abbaumöglichkeiten will sie vorlegen. Blocher: (lacht) Ich kenne doch die Tricks. Man nennt dann die schrecklichsten aller Möglichkeiten, jene Leistungen, die den Bürger am meisten schmerzen. Zum Beispiel das Kantonsspital schliessen oder die Polizei abschaffen. Ich kenne das aus den Firmen. Wenn man Kosten senken will, ruft einer: "Gut, dann schliessen wir die Forschung." Und wie reagieren Sie? Blocher: "Vorher entlasse ich Sie." Kostensenkungsprogramme sind sehr anspruchsvoll, da braucht es viel Kreativität, Selbstdisziplin und Führungsstärke. Und das heisst im Hinblick auf die Wahlen? Blocher: Eine Reduktion der Staatsausgaben wird zur entscheidenden Frage, damit die Steuern gesenkt werden können. Die FDP muss sich einfach entscheiden, auf welche Seite sie sich schlagen will. Wenn die FDP die gleiche Steuer- und Finanzpolitik wie die SP betreiben will, dann muss die SVP halt ihren eigenen Weg gehen und wohl einen dritten Regierungsratskandidaten stellen. Wenn Sie so stark an der FDP und ihren beiden Regierungsräten zweifeln, wie wollen Sie sie dann auf Ihre Linie verpflichten? Blocher: Wir hoffen auf eine gemeinsame Lösung. Doch die Frage bleibt, ob Versprechungen nach den Wahlen auch noch gelten. Wir verlangen von den Regierungsräten ja keine Verträge. Doch wir sind am Erarbeiten von Gemeinsamkeiten. Denn ich glaube immer noch an eine gemeinsame Plattform. Obwohl unsere Basis stark in Richtung von drei SVP-Sitzen stösst, bremse ich diese Bewegung. Wichtig wäre vielmehr, dass sich die fünf Bürgerlichen durchsetzen können - auch inhaltlich. Aber gerade das tun sie nicht, zumindest nicht in Ihrem Sinn, und alles, was Sie nun gesagt haben, ist ein einziges Misstrauensvotum gegen die FDP und ihre Regierungsräte. Das macht ein Ticket sinnlos. Blocher: Misstrauen? Nein, es geht um eine politische Marschrichtung im Interesse der Bürger. Ich bin überzeugt, dass die FDP mit der Koalition der Vernunft einen falschen Weg eingeschlagen hat. Seit den Wahlen in der Stadt Zürich merkt das auch die FDP. Und auch ihre Basis honoriert das nicht. Wir möchten, dass die Bürgerlichen vor den Wahlen einen klaren Kurs bekannt geben und diesen Weg dann auch gehen. Also ein Fünferticket, weil Sie die Hoffnung haben, die drei anderen besser einbinden zu können. Blocher: Ich binde Leute nicht ein. Man sucht gemeinsam eine Lösung. Harte Verhandlungen sind wohl unumgänglich. Unsere Position ist klar: die Steuern um 17 Prozent senken. Sei es über den Steuerfuss und/oder das Steuergesetz. Die Staatsausgaben sind in zwei Schritten bis 2004 um 10% zu senken. Wenn wir die Position der FDP kennen, dann können wir verhandeln. Walter Frey ist als Stadtzürcher Präsident überraschend zurückgetreten und hat ein Vakuum zurückgelassen. Planen Sie Ihren Rücktritt besser? Blocher: Das weiss ich nicht. Wenn mich das Unternehmen plötzlich brauchen würde und meine volle Kraft gefordert wäre, müsste auch ich überraschend zurücktreten. Doch mein ordentlicher Rücktritt aus der Politik ist erst aufs Jahr 2027 geplant (lacht). Warum 2027? Blocher: Dann bin ich 87-jährig und damit genauso alt wie Konrad Adenauer bei seinem Rücktritt. Ist das eins Ihrer politischen Vorbilder? Blocher: Nicht Vorbild, aber einer, den ich von seinem Naturell her ausserordentlich schätze. Adenauer ist den Auseinandersetzungen nie aus dem Weg gegangen. Wie haben Sie den 25. Geburtstag als Zürcher Parteipräsident gefeiert? Blocher: Gar nicht. Natürlich habe ich eine persönliche Bilanz gezogen. Ich hätte nie gedacht, dass die SVP die wählermässig stärkste Schweizer Partei wird und dass die Zürcher Richtung die Partei so stark prägt. Doch es sind auch neue Schwierigkeiten aufgetreten. An derartige Reibereien mit der FDP hätte ich nie gedacht. 1975 plädierte ich in der SVP nicht für Grösse, sondern für eine klare liberal-konservative Linie. Ich sah uns als das Salz in der Politik. Die FDP hingegen öffnete sich derart, dass praktisch jedermann FDP-Mitglied werden konnte, links und rechts spielte fast keine Rolle mehr. Unter diesem Problem leidet die FDP heute. Interessanterweise wurde die SVP trotz des klaren Profils zur wählerstärksten Partei, die FDP wurde geschwächt, sie kann es heute niemandem mehr Recht machen. Profillosigkeit spielt für die CVP wegen ihrer religiösen Grundlage eine kleinere Rolle. Doch die FDP hat als Bindung vor allem ihr politisches Programm. Wie stark wünschen Sie sich die SVP im Jahr 2027? 95 Prozent Wähleranteil? Blocher: Wir sind bescheidene Leute. Mit 52 Prozent sind wir zufrieden.

03.04.2002

Goldinitiative ist die beste Lösung

Interview mit "Finanz und Wirtschaft" vom 3. April 2002 Interview: Peter Kuster Herr Blocher, vor einigen Tagen hat sich ein Komitee konstituiert, das für ein Nein zur Goldinitiative der SVP und zum Gegenvorschlag, d.h. für die Drittelslösung, wirbt. Die meisten Mitglieder sind freisinnige Parlamentarier; erstmals treten gewichtige Exponenten ausserhalb Ihrer Partei gegen die Drittelslösung an, deren Kernstück die Solidaritätsstiftung ist. Sollten Sie jetzt nicht die Goldinitiative zurückziehen, um mit vereinten Kräften die Solidaritätsstiftung zu bodigen? Christoph Blocher: Nein. Zum einen aus taktischen Gründen. Ein Rückzug unserer Initiative würde die Chancen des Gegenvorschlags erhöhen, nicht vermindern. Denn wahrscheinlich werden alle vier Bundesratsparteien unterschiedliche Parolen herausgeben - eine meines Wissens einmalige Konstellation in der Abstimmungs-Geschichte. Zum andern, und das ist der wichtigere Grund, bildet die Goldinitiative die beste Lösung. Sie überträgt das überschüssige Nationalbankgold - also rund 20 Mrd. Fr.-- oder dessen Ertrag dem Ausgleichsfonds der AHV. Wäre es denn nicht klüger, das ‹überschüssige› Gold für den Schuldenabbau zu verwenden, wie es das Komitee für ein doppeltes Nein empfiehlt? Blocher: Das Komitee will das Überschussgold dem Bund und den Kantonen zugute kommen lassen. Diese werden damit aber höchstwahrscheinlich nicht empfehlungsgemäss Schulden tilgen - sie werden das Geld ausgeben. Dadurch würde sich die Staatsquote erhöhen. Selbst wenn sie zuerst tatsächlich Schulden beglichen, wäre das Risiko, dass sie den neuen Spielraum bald für eine Neuverschuldung bräuchten, enorm. Mit der Goldinitiative sowie anderen Massnahmen stellen wir dagegen sicher, dass bis mindestens zum Jahr 2010 für die AHV mit gleichen Leistungen keine Erhöhung der Mehrwertsteuer nötig sein wird. So halten wir die Steuerquote stabil. Aber die strukturellen Probleme der AHV werden nicht gelöst. Blocher: Gelöst werden sie nicht, aber die Goldinitiative trägt dazu bei, die AHV-Leistungen zu garantieren, ohne die Mehrwertsteuer erhöhen zu müssen. Die Kantone, immerhin die Mehrheitsaktionäre der Nationalbank, gehen leer aus. Schadet die Goldinitiative nicht dem Föderalismus? Blocher: Der Verteilschlüssel für Kantone und Bund von zwei zu eins gilt nur für die Ausschüttungen der Erträge der Nationalbank, nicht aber für die nicht mehr benötigten Währungsreserven. Denn die Reserven wurden nicht von den Kantonen erschaffen, sondern vom Volk erarbeitet. Zudem sind die Kantone von Anfang an für die Solidaritätsstiftung eingetreten... ...und begründeten das mit "übergeordneten Interessen"... Blocher ...was selbstverständlich auch auf die AHV zutrifft. Die Nationalbank steht der Initiative skeptisch gegenüber, weil der Umfang der zu transferierenden Reserven nicht genau festgelegt wird. Gefährdet die Initiative die Selbständigkeit der Nationalbank? Blocher: Wir haben uns mit der Formulierung ‹für geld- und währungspolitische Zwecke nicht mehr benötigte Währungsreserven› an die Sprachregelung der Nationalbank gehalten. Die Volksinitiative enthält keine Aussage darüber, wer die Höhe der überschüssigen Reserven bestimmt und tastet somit die heutige Kompetenzregelung nicht an. Die Goldinitiative bezog sich ursprünglich nur auf das Überschussgold. Das Finanzdepartement hat vor kurzem mit der Nationalbank eine neue Vereinbarung ausgehandelt, gemäss der in den nächsten zehn Jahren nicht nur Gewinne, sondern auch ‹überschüssige› Währungsreserven von 13 Mrd.Fr. an Bund und Kantone verteilt werden. Widerspricht dies nicht dem Wortlaut Ihrer Initiative? Blocher: Sofern die Nationalbank tatsächlich Reserven und nicht Gewinne ausschüttet, gehören diese in die AHV. Werden Reserven durch eine Absprache zwischen Nationalbank und Finanzdepartement verteilt, wird es problematisch.

04.03.2002

«Ich muss nochmals antreten»

Interview mit der Berner Zeitung vom 4. März 2002 SVP-Nationalrat und Auns-Präsident Christoph Blocher gibt nicht auf. Nach der gestrigen Abstimmungsniederlage will er erst recht weiterkämpfen. Denn schon bald gehe es wieder um den EU-Beitritt. Interview: David Sieber Herr Blocher, haben Sie mit einer Niederlage bei der UNO-Abstimmung gerechnet? Christoph Blocher: Es ist weniger schlecht herausgekommen, als ich in den letzten Monaten befürchtet habe. Aber wir haben verloren, das ist betrüblich. Das heisst, die Schweiz hat verloren, weil die Schweiz geschwächt wird durch diesen Entscheid. Inwiefern? Blocher: Ein Beispiel: Ich habe auf CNN, dem weltgrössten Nachrichtensender, Berichte über die Schweizer UNO-Abstimmung gesehen. Und dort hat es geheissen, die Schweizer hätten über den UNO-Beitritt und damit über die Aufgabe ihrer Neutralität zu entscheiden. So wird das im Ausland gesehen. Das heisst im Klartext: Unsere Neutralität ist unglaubwürdig geworden. Da können wir noch lange daran festhalten. Abgesehen davon müssen wir uns nun Entscheiden des Sicherheitsrates beugen, darum sind wir faktisch nicht mehr neutral. Hinzu kommt, dass die Schweiz nun viel Geld bezahlen muss, das im Inland fehlen wird und dessen Verwendungszweck sie nicht kontrollieren kann. Auch wirtschaftlich wird das UNO-Ja Konsequenzen haben. Denn gerade die Unabhängigkeit und die Neutralität haben der Schweiz im internationalen Zinsgefüge grosse Vorteile verschafft. Ich würde mich nicht wundern, wenn sich bereits in den kommenden Wochen die langfristigen Zinssätze versteifen würden, weil die Schweiz nicht mehr als die verlässliche Partnerin gilt. Bedeutet das Ja zur UNO einen Paradigmenwechsel in der schweizerischen Aussenpolitik? Blocher: Das ist schwierig zu sagen. Der Bundesrat hat diese Frage verneint und erklärt, der Beitritt koste nichts und stärke die Unabhängigkeit. Ich persönlich meine, es ist einer. Wie erklären Sie sich Ihre Niederlage? Blocher: Ich wusste, dass es ganz schwer werden würde. Wir waren wenige. Nur noch ein Teil der SVP hat den Kampf geführt. Es gab ja leider auch Dissidente, die von den UNO-Befürwortern als Aushängeschilder benutzt worden sind. Wir haben unsere Kräfte auf jene Kantone konzentriert, wo wir etwas zu erreichen glaubten. Ich selber bin vor allem in Thurgau, St. Gallen und Aargau aufgetreten, aber auch in der Innerschweiz und in Luzern. Das ist missraten. Wir mussten zudem gegen eine Übermacht antreten, die den teuersten Abstimmungskampf der Geschichte geführt hat. Wir dagegen hatten nur wenig Geld zur Verfügung. Wie viel? Blocher: 2,5 bis 3 Millionen Franken ... ... die Sie aus Ihrem Sack bezahlt haben? Blocher: Nein. Ich decke, wie oft, bloss den Rest ab. Wie viel ist das in Franken und Rappen? Blocher: Das weiss ich noch nicht und werde es Ihnen auch nicht sagen. Was hat sich verändert seit der letzten UNO-Abstimmung 1986? Blocher: Vor allem hat sich die Wirtschaft verändert. Damals hiess es noch: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Anfang der Neunzigerjahre fand ein unglaublicher wirtschaftlicher Wechsel statt, der jetzt überall Schiffbruch erleidet. Nicht mehr klein und solid, sondern international und gigantisch wollten die Firmen sein. Aushängeschilder wie die Swissair und alle drei Versicherungsgesellschaften sind damit gescheitert. Dieses Denken hat politische Folgen. Deshalb sind Firmen mit solchen Konzepten - anders als 1986 - für die UNO und haben den Abstimmungskampf geführt und bezahlt. Aber es muss sich in den letzten 16 Jahren doch auch etwas in den Köpfen der Menschen verändert haben. Blocher: Also, diese Keckheit, die der Bundesrat an den Tag gelegt hat, indem er behauptete, wir können auch in der UNO noch neutral sein, die hatte er 1986 nicht besessen. Damals war er noch ehrlicher. Er sagte zwar schon, der Beitritt habe für die Neutralität keine schwerwiegenden Folgen, aber er sagte nicht, es werde keine Folgen haben. Zudem hat der Bundesrat sich dieses Mal zum Propagandainstrument der Befürworter machen lassen. Der zweite Verlierer des Abstimmungssonntages ist deshalb der Bundesrat. War das der letzte Kampf des Christoph Blocher? Blocher: Schön wäre es. Doch der Kampf geht weiter, denn der Bundesrat will nun den Schengen-Beitritt forcieren, dann soll die Mehrwertsteuer auf EU-Niveau angehoben werden, um die Beitrittshürden zu verkleinern, und schliesslich wird der EU-Beitritt wieder auf dem Tisch liegen. Dies wird bereits in der nächsten Legislaturperiode der Fall sein. Dieses Konzept entnehme ich einem Vortrag von Bundesrat Joseph Deiss. Sie werden also zu den Nationalratswahlen 2003 antreten? Blocher: Ich muss. Nach dieser Niederlage erst recht. Es gilt noch viel zu tun.

23.02.2002

Graubünden ist bis heute stets zur Schweiz gestanden

Die Schweiz und Graubünden würden mit einem Beitritt zur Uno nur verlieren: Nationalrat Christoph Blocher über die Neutralitätspolitik des Bundesrates, über drohende Verpflichtungen für die Schweiz bei einem Uno-Beitritt. Interview mit dem Bündner Tagblatt vom 23. Februar 2002 Interview: Claudio Willi Graubünden gilt neuesten Umfragen nach nicht mehr als Wackelkanton, sondern als zustimmender Kanton. Mit welchem Ausgang rechnen Sie in Graubünden? Christoph Blocher: Graubünden ist bis heute stets zur Schweiz gestanden. Graubünden kann kein Interesse haben, dass weiter Geld ins Ausland geschickt wird, in eine Uno als Fass ohne Boden. Das Geld wird im eigenen Kanton fehlen. Die SVP Graubünden hat die Ja- Parole gefasst - im Gegensatz zur Mutterpartei. Hat Sie das überrascht und / oder enttäuscht? Blocher: Überrascht leider nicht, aber enttäuscht. Die Basis denkt wohl anders als der Parteitag der Offiziellen. Das habe ich schon bei der Abstimmung für das Militärgesetz im Juni letzten Jahres beobachten können. Der Kanton Graubünden hat, wenn es um die Schweiz gegangen ist, stets Wert auf die Selbstbestimmung gelegt. Man vergleiche die letzte Uno-Abstimmung, die Abstimmung über den EWR und das Militärgesetz. Leider stand auch die Bündner SVP, wie auch die anderen Parteien nicht auf der Seite der Mehrheit. Der Bundesrat war bis 1980 auch gegen einen Beitritt zur Uno, nicht zuletzt aus Gründen der Neutralität. Was hat sich in der Zwischenzeit geändert? Blocher: Der Bundesrat und die Mehrheit des Parlamentes nehmen zunehmend Abschied von der Selbstbestimmung, der Neutralität und der Souveränität der Schweiz. Sie wollen zunächst in die Uno, dann in die EU. Das alles ist nicht zum Wohl der Schweizerinnen und Schweizer, davon profitieren Politiker und multinationale Grossfirmen, welche in der Schweiz nur noch eine kleine Basis haben. Die Schweiz müsste keine Truppen stellen, auch nicht als Vollmitglied. Das ist juristisch wasserfest. Blocher: Die Schweiz müsste einen Vertrag unterzeichnen, der die Schweiz verpflichtet, auf Ersuchen des Sicherheitsrates Streitkräfte zur Verfügung zu stellen, Beistand zu leisten und Erleichterungen einschliesslich des Durchmarschrechtes zu gewähren (Artikel 43 der Uno-Charta). Die Details (Zahl, Art der Streitkräfte, Bereitschaftsgrade und so weiter) müssten in einem Sonderabkommen geregelt werden, das nach Massgabe unseres Verfassungsrechtes ratifiziert würde. Die formaljuristische Behauptung des Bundesrates, dass man ein solches Abkommen einfach nicht unterzeichnen würde, halte ich für einen Trick, der die Schweiz grossem internationalen Druck aussetzen könnte. Die Uno ist keine Rechtsgemeinschaft, sondern eine Machtgemeinschaft. Da sollte man aufpassen, was man unterzeichnet. 60 der 189 Staaten mussten noch nie Truppen stellen. Blocher: In der Uno gibt es auch Staaten ohne Armeen und mit unbrauchbaren Armeen. Diese müssen keine Armeen stellen. Zahlen müssen allerdings alle an solche Kriege, auch wenn sie keine Armeen stellen, das gälte insbesondere auch für die reiche Schweiz! Andere neutrale Länder, wie Schweden und Finnland, sind auch Vollmitglieder der Uno, ohne dass ihr Status als neutraler Staat darunter leidet. Diese Länder haben keine umfassende Neutralität wie die Schweiz. Schwedens Regierung hat letzte Woche beschlossen, seine Neutralität ganz aufzugeben, weil man als Neutraler nicht in der Uno und der EU sein kann. Das Gleiche erklärt auch der österreichische Bundeskanzler. Was den Neutralitätsvorbehalt betrifft, hat der Bundesrat zuerst Nein gesagt, will nun aber in einem Brief etwas Entsprechendes nachliefern. Genügt dies? Blocher: Nein. Bundesrat und Parlament haben einen Vorbehalt abgelehnt, der die Schweiz berechtigt hätte, die Uno-Charta nur so weit erfüllen zu müssen, als es mit unserer selbst gewählten, dauernden, bewaffneten, bündnisfreien und umfassenden Neutralität nicht im Widerspruch steht. Der Bundesrat erklärt in seinem Beitrittsschreiben, er werde die Charta vollumfänglich erfüllen. Das wird die Neutralität beenden. Dass er im Begleitschreiben erwähnt, die Schweiz sei neutral, das kümmert niemanden. Wäre ein klarer Neutralitätsvorbehalt - wie ihn Ständerat Christoffel Brändli vorschlug - nicht besser gewesen? Hätten Sie bei einem Neutralitätsvorbehalt einem Uno-Beitritt zustimmen können? Blocher: Zumindest wären dann die schweren Bedenken betreffend die Neutralität beseitigt gewesen. Wäre es moralisch möglich, wirtschaftliche Sanktionen nicht mitzutragen, wenn die Völkergemeinschaft solche beschlossen hat? Blocher: Ist das, was der von den fünf Grossmächten dominierte Sicherheitsrat beschliesst, stets moralisch? Millionen von Menschen sind so ausgehungert worden. Unrecht wird nicht besser, wenn es alle miteinander tun wie die Wölfe in einem Wolfsrudel. Es bleibt auch dann unmoralisch, wenn sich alle beteiligen. Zugegeben, die Uno hat ein Demokratiedefizit. Die Grossmächte haben mehr zu sagen. Aber widerspiegelt dies nicht auch die Realitäten? Blocher: Diese Macht ist Realität. Ein Kleinstaat sollte sich nicht durch einen Vertrag blindlings diesen Machtspielen aussetzen. Der proklamierte "Schritt der Öffnung" hin zur Uno habe aber nichts mit einer Annäherung an die EU oder die Nato zu tun, sagt der Bundesrat. Bundesrat Deiss hat eine Woche nach Annahme der bilateralen Verträge erklärt, die erste Etappe sei für die Schweiz der Uno-Beitritt, dann müssten die "Beitrittshürden" für den EU-Beitritt beseitigt werden, zum Beispiel die Mehrwertsteuer auf das EU-Niveau von 15 Prozent angehoben werden, um dann der EU beizutreten. Sagt die Schweiz am 3. März Nein zum Uno-Beitritt, dann kann dieser Marschplan nicht eingehalten werden. Das muss vor allem der Kanton Graubünden gut bedenken. Die internationalen Organisationen werden für die Randgebiete sicher keine Vorteile bringen. Was wären die Folgen eines Beitritts, was die eines Nein zur Uno? Blocher: Würde die Schweiz der Uno beitreten, würde sie ihre Grundsäulen, die die Schweiz stark gemacht haben, schwächen. Souveränität, Völkerrecht, Neutralität würden verletzt. Dazu müsste die Schweiz Millionen ins Ausland schicken, denn die Uno ist ein Fass ohne Boden. Diese Millionen fehlten dann in der Schweiz. Sagt die Schweiz Nein, so könnte sie wie bisher wirtschaftlich erfolgreich und freiheitlich bleiben.

19.02.2002

Verträgt sich der UNO-Beitritt mit der Neutralität?

Streitgespräch in der Aargauer Zeitung / Mittelland Zeitung vom 19. Februar 2002 Das grosse UNO-Duell: Ständerat Thomas Pfisterer (FDP/AG) und Nationalrat Christoph Blocher (SVP/ZH) Mathias Küng, Jürgen Sahli Wie stehen Sie zur UNO? Erachten Sie sie als etwas Überflüssiges, fürchten Sie sie gar als eine Art "Weltregierung" oder ist sie eine Hoffnung für die Welt? Blocher: Wir stimmen am 3. März nicht darüber ab, ob es die UNO braucht oder nicht. Auch nicht darüber, ob sie gut oder schlecht ist. Seit Jahren sind wir bei praktisch allen Unterorganisationen dabei. Überall dort, wo es nicht um Krieg oder Frieden, das heisst um die internationale Sicherheit geht, sind wir dabei, also bei Flüchtlingsfragen, Entwicklungshilfe, Wirtschaftsfragen wie Weltbank oder Währungsfonds, Kulturellem usw. Diese Organisationen sind unbedenklich. Warum? Blocher: Diese UNO-Unterorganisationen sind zwar ineffizient und verschlingen viel Geld, aber sie können ja auch nur Empfehlungen beschliessen. Die Schweiz zahlt an diese Organisationen heute über 500 Millionen Franken pro Jahr. Doch Mitglied der politischen UNO sind wir nicht, weil sich die Schweiz nicht dem mächtigsten Organ der UNO - dem Sicherheitsrat - unterwerfen will. Dieser kann für die Mitgliedländer nämlich verbindliche Beschlüsse fassen. Dort geht es um Krieg und Frieden! Der Bundesrat hat schon nach der Gründung der UNO klar erklärt, dass sich ein Beitritt nicht mit der schweizerischen Neutralität vertrage. Auch hätte die Schweiz keinerlei Nutzen von einem Beitritt. Oder kann mir jemand sagen, welche Nachteile wir wegen der Nichtmitgliedschaft bisher hatten? Durch einen UNO-Beitritt der Schweiz wird die Welt nicht besser. Manche Politiker reden aber natürlich gern im UNO-Glaspalast über die ganze Welt. Das ist interessanter, als in der Schweiz selbst zum Rechten zu schauen. Pfisterer: Ich möchte voraus klarstellen: Wir zahlen nicht über 500, sondern 470 Millionen Franken jährlich. Auch das ist viel Geld, aber bleiben wir doch präzise, Herr Blocher. Blocher: Heute sind es über 500 Millionen, 470 Millionen zahlten wir 1999. Pfisterer: Ja, das ist die Zahl aus der bundesrätlichen Botschaft. Doch jetzt zur Grundidee der UNO: Die ist gut. Es ist genau dieselbe Idee, welche der Eidgenossenschaft zugrunde liegt. Es soll nicht mehr geschehen, dass das Opfer einem Angreifer allein ausgesetzt ist. Alle zusammen sollen sich gemeinsam für das Opfer und das Recht wehren. Diese Idee lag schon 1291 unserem Bundesbrief zugrunde. Doch jetzt entscheiden wir nicht über die UNO an sich... Sondern? Pfisterer: Sondern über die Frage, ob es für die Schweiz vernünftig ist, dort mitzumachen, wo sie ihre Interessen möglichst gut wahrnehmen kann. Das ist das entscheidende Kriterium. Wir diskutieren darüber, ob wir nur bezahlen oder auch mitbestimmen wollen. Derzeit sitzen wir nicht einmal auf der Reservebank. Von dort aus könnte man wenigstens manchmal ins Spiel eingreifen. Aber auf dem Zuschauerbänklein, wo wir jetzt sind, kann man nicht einmal das. Wir entscheiden am 3. März auch über die Frage, ob wir in Genf bloss den Hotelier spielen oder ob wir selbst auch an den Konferenzen teilnehmen und Respekt für unser Land gewinnen wollen. Wir sind schliesslich jemand in der Welt! Wir dürfen uns auch zeigen. Und jetzt tun wir dies nicht? Pfisterer: Es ist wichtig, dass man dorthin geht, wo man seine eigenen Interessen wahrnehmen kann. Ich habe dies in meiner Zeit als Mitglied der Aargauer Regierung immer wieder erlebt. Nehmen wir das Beispiel des Baregg-Tunnels. Da musste nicht nur im Aargau eine Mehrheit gefunden werden. Auch die Zürcher und "Bern" wollten überzeugt werden, der Bundesrat, diverse Ämter. Dasselbe gilt in der Aussenpolitik, zu einem guten Teil für New York. Man muss dorthin gehen, wo man die Interessen am besten wahrnehmen kann. Wer etwas verkaufen will, muss auf den Markt, nicht sich hinter dem Ofen verkriechen. Herr Blocher, wenn Sie die UNO als Ganzes ansehen, ist doch mehr gut als schlecht? Blocher: Ich streite nicht darüber. Ich könnte Ihnen Beispiele geben, wo auf der Welt aus Verschulden der UNO Millionen von Menschen verhungert sind. Sie werden umgekehrt gute Beispiele finden. Wir stimmen nicht darüber ab. Herr Pfisterer, überall dort, wo wir zahlen, reden und bestimmen wir voll mit, das heisst bei allen Spezial-Organisationen. Sie wollen doch nicht etwa behaupten, das Budget von Weltbank oder FAO werde in der UNO-Generalversammlung entschieden? Diese Entscheide fallen in den betreffenden Gremien selbst, wo wir dabei sind. Auch die Generalversammlung - wo jedes Land eine Stimme hat - kann nur Empfehlungen erlassen. Verbindliche Entscheide erlässt der 15-köpfige mächtige Sicherheitsrat. Ist dies Ihr wichtigstes Argument? Blocher: Das ist entscheidend. Es geht um Krieg und Frieden. Darüber entscheidet der Sicherheitsrat allein. Die Generalversammlung entscheidet in der Regel per Akklamation. Wenn Sie die Charta anschauen, die wir unterschreiben müssen, sehen Sie, dass der Grossteil davon vom Sicherheitsrat handelt. Dieser ist für die internationale Sicherheit zuständig. Darin sitzen die Grossmächte USA, Russland, China, England und Frankreich. Sie sichern sich ihre Souveränität mit ihrem Vetorecht. Die zehn wechselnden zusätzlichen Mitglieder des Sicherheitsrates sind weniger wichtig. Doch was der Sicherheitsrat entscheidet, müssen die UNO-Mitglieder umsetzen. Das gilt genauso für die Generalversammlung. Wenn der Sicherheitsrat ein sicherheitspolitisches Thema behandelt, darf die Vollversammlung nicht einmal darüber diskutieren. Darum ist die Schweiz nicht beigetreten. Darum hat der Bundesrat - bis er in die UNO und EU wollte - stets erklärt, die Schweiz könne der politischen UNO nicht beitreten. Herr Pfisterer, teilen Sie diese Bedenken? Pfisterer: Es stimmt nicht, dass die Generalversammlung eine Durchführungsbehörde gegenüber dem Sicherheitsrat ist. Die Generalversammlung fälllt Entscheide, zum Beispiel über die Finanzen. Sie hat sich schon mehrfach gegenüber dem Sicherheitsrat klar durchgesetzt. Sie hat in der Koreakrise einen wichtigen Beschluss gefasst, mit dem sie dem Sicherheitsrat für den Fall, dass er sich nicht einigen könnte, Beine gemacht hat. Dasselbe geschah in der Suezkrise 1956. Damals hat die Generalversammlung sogar eine Truppe auf die Beine gestellt, weil der Sicherheitsrat nicht aktionsfähig war. Es stimmt auch nicht, Herr Blocher, dass die Generalversammlung weniger Beschlüsse fasse. In den letzten zehn Jahren hat sie etwas über 3000 Beschlüsse gefasst, der Sicherheitsrat etwa 700. Das ist der Unterschied. Der Sicherheitsrat ist bewusst klein. Er muss rasch handeln können. Inwiefern nützt dies der Welt? Pfisterer: Nehmen wir die Bosnienkrise. Da war es auch für die Schweiz wichtig, dass rasch gehandelt wurde. Man konnte nicht auf die jährliche UNO-Generalversammlung im Herbst warten, etwa wenn Flüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien Richtung Schweiz aufbrechen; sonst stehen sie schon an der Schweizer Grenze. Zudem wird heute sowohl in der Generalversammlung wie auch im Sicherheitsrat im Konsensverfahren entschieden. Das läuft ähnlich wie in der Schweiz mit ihrem Referendumsrecht. Konkret sieht es so aus, dass so lange verhandelt wird, bis man zu einer Lösung kommt. Das ist die gutschweizerische Methode! Der Sicherheitsrat von heute bringt das zustande, also können auch die Kleinen mitreden. Er ist nämlich ein ganz anderer als derjenige von 1945. Blocher: Wenn Sie die UNO so idealisieren, bekomme ich geradezu Angst. Da erhält man den Eindruck eines friedlichen, feinen Klubs. Und wie ist die Realität? Auf der Welt herrschen 40 Kriege. Alle unter UNO-Mitgliedern. Es ist noch kein halbes Jahr her, dass die UNO selbst festgestellt hat, der Friede sei noch nie so gefährdet gewesen wie jetzt. Sehen Sie nicht, Herr Pfisterer, dass die Grossmächte mehr oder weniger machen, was sie wollen? Sie führen Krieg mithilfe der UNO - wenn sie mitmacht - oder allein, wenn die UNO nicht mitmacht. Die fünf Grossmächte beraten untereinander. Wenn einer bei einem Thema Opposition macht, tragen sie es schon gar nicht mehr in den Sicherheitsrat hinein. Die Bombardierungen im Kosovo waren keine UNO-Aktion. Das war die Nato unter Führung der Amerikaner. Den Krieg in Afghanistan haben die Amerikaner selbst unternommen. Die Russen waren sogar froh darüber, weil sie die Tschetschenen jetzt auch als Terroristen behandeln und machen können, was sie wollen. Pfisterer: Was bringt es der Schweiz, über den Sicherheitsrat zu jammern? Was ändert es, wenn wir draussen bleiben? Wir hätten weiterhin nichts zu sagen, welche Unvernunft! Herr Blocher, Sie sprechen von den vielen Kriegen, die es leider auf der Welt gibt. Die meisten bewaffneten Auseinandersetzungen finden innerhalb eines Landes statt. Das ist eine völlig andere Situation als im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie haben die Rolle von Amerika angesprochen. Selbstverständlich bereitet uns dessen Rolle Sorgen. Es ist als einzige ganz grosse Macht geblieben. Wer klopft ihr auf die Finger? Höchstens noch die UNO. Blocher: Glauben Sie das wirklich? Pfisterer: Ja, natürlich. Letztes Jahr sind die Amerikaner, weil sie immer noch Todesurteile fällen und vollstrecken, aus der Menschenrechtskommission rausgeflogen. Blocher: Wie wenn das den USA geschadet hätte... Pfisterer: Ja natürlich. Für die USA, die sich selbst als Hüterin der Menschenrechte verstehen, ist das eine äusserst peinliche Angelegenheit. Gegen den Willen der Amerikaner haben die Völker auch den Internationalen Strafgerichtshof durchgesetzt. Zu Afghanistan: Ja, die Amerikaner sind dort allein reingegangen. Man kann darüber diskutieren, ob das vernünftig war. Doch inzwischen setzt sich die UNO mit Afghanistan auseinander. Sie schickt Friedenstruppen und hat eine Friedenskonferenz auf die Beine gestellt. Herr Bundesrat Schmid (SVP) befürwortet den UNO-Beitritt. Er hat kürzlich in Lenzburg bestätigt, dass sich die Schweiz in Übereinstimmung mit unserer traditionellen Politik der Guten Dienste sehr für deren Durchführung in der Schweiz eingesetzt hat. Wir bekamen sie nicht, obwohl hier alles vorbereitet war. Herr Pfisterer spricht von Veränderungen. Was hat sich seit 1986 geändert? Blocher: Wir müssten den genau gleichen Vertrag unterzeichnen wie 1986. Schon damals argumentierte der Bundesrat, wir seien praktisch als einziges Land nicht dabei, und behauptete, ein Beitritt sei mit der Neutralität vereinbar. Doch das Volk lehnte ab. Mitte der 80er-Jahre begannen der Bundesrat und das Parlament die Neutralität und die Souveränität zu missachten. Sie wollten in die UNO (1986), in den EWR (1992) und reichten das EU-Beitrittsgesuch ein (1992). Man kann aber nicht neutral und UNO-Mitglied sein, nicht zu reden von der EU-Mitgliedschaft. Denn wenn wir diesen UNO-Vertrag unterschreiben, kann uns der Sicherheitsrat befehlen, Massnahmen gegen andere Länder durchzuführen. Sie sprechen jetzt von wirtschaftlichen Sanktionen? Blocher: Ich rede von allen Sanktionen, zum Beispiel, diplomatische Beziehungen abzubrechen. Man kann uns dann befehlen, mit anderen Ländern nicht mehr zu reden. Das ist ein kriegerischer Akt! Dasselbe gilt für die wirtschaftlichen Sanktionen. Da kann man befehlen, ganze Völker auszuhungern bis hin zum Bereitstellen von Truppen, wenn es der Sicherheitsrat wünscht. Kennen Sie ein Land, das ein solches Sonderabkommen unterschrieben hat? Blocher: Alle Länder, die Truppen sandten, haben ein solches Abkommen gemacht. Auch wenn "Bern" sagt, keines habe dies getan. Dies kann ja auch mündlich oder telefonisch sein. 110 Länder haben bereits Truppen zur Verfügung gestellt. Als UNO-Mitglied wäre die Schweiz verpflichtet, auf Ersuchen des Sicherheitsrates Streitkräfte zu stellen (Art. 43, Abs. 1) und über ein Sonderabkommen für die technischen Details zu verhandeln (Art. 43, Abs. 2). Der Bundesrat sagt, er werde dann einfach kein solches Abkommen abschliessen. Doch welchem politischen und moralischen Druck wären wir als UNO-Mitglied ausgesetzt! Das wäre ein Verstoss gegen die Neutralität und gegen die Souveränität. Wir würden uns zum ersten Mal einem ausländischen Staatenorgan unterstellen. Dieses würde für die Schweiz entscheiden. Doch die Neutralität wird auch in Zukunft für uns sehr wichtig sein. Wir wollen nicht in Kriege hineingezogen werden und Terrorismus zu uns holen. Die Neutralität schützt uns davor. Auch Sie wollen die Neutralität beibehalten, Herr Pfisterer. Teilen Sie Christoph Blochers Befürchtungen nicht? Pfisterer: Eine Vorbemerkung: Wir unterschreiben keinen Vertrag, sondern treten gleichsam einem "Verein" bei. Wirtschaftliche Sanktionen sind kein Krieg. Wir befolgen sie ohnehin. Der Sicherheitsrat darf nicht befehlen, dass ein Land Truppen bereitstellen muss. Wir stimmen am 3. März nicht über die EU ab, Herr Blocher. Ich bin letztes Jahr nicht vergebens etwa zwanzigmal angetreten, um die Initiative für die EU-Beitrittsverhandlungen zu bekämpfen. Uns stellt sich allein die Frage, wie wir unsere Interessen am besten wahrnehmen können. Zu diesem Zweck sagen wir Ja zum UNO-Beitritt, lassen uns aber gleichzeitig eine klare Versicherungspolice ausstellen. Womit? Pfisterer: Wir sichern unsere Neutralitätspolitik vierfach ab. Erstens geben wir gegenüber der UNO eine Neutralitätserklärung ab, wie das 1967 die Österreicher getan haben. Wenn wir diese vorbringen, wird niemand widersprechen, dann ist sie verbindlich. Aber sie bleibt in der Hand der Schweiz. Die Schweiz kann, wenn wieder ein Neutralitätsfall eintreten sollte, ganz allein entscheiden. Wenn wir eine "aktive" Garantie der UNO verlangen, liefern wir die Neutralität an die UNO aus. Zweitens ist die Neutralität durch Artikel 43 der UNO-Charta abgesichert. Ich komme darauf zurück. Drittens durch das Militärgesetz, welchem das Schweizervolk letzten Sommer zugestimmt hat. Das ist die Abstimmung, die Sie verloren haben, Herr Blocher. Dieses Gesetz macht klar, dass wir keine Truppen in bewaffnete Konflikte schicken dürfen. Viertens ist die Neutralitätspolitik in unserer Bundesverfassung als Aufgabe des Bundesrates und des Parlaments festgeschrieben. Er und das Parlament haben über die Einhaltung dieser Vorgaben zu wachen. Das werden wir auch tun. Wir behalten die Neutralitätspolitik als Notbremse in der Hand. Wenn dereinst alle Stricke reissen sollten, können wir aus der UNO austreten. So steht es geschrieben im Zusatzvertrag von San Francisco. Und wie steht es mit dem Artikel 43? Pfisterer: Kein UNO-Mitgliedsland ist verpflichtet, Truppen zu stellen. Sonst könnten ja über 60 Länder gar nicht Mitglied sein, weil sie kaum Truppen oder höchstens Polizei haben. Es ist noch nie vorgekommen, dass ein Land mit der UNO im voraus ein generelles Sonderabkommen geschlossen hat. Das wäre in der Schweiz auch gar nicht möglich, ohne Parlament und ohne dass dagegen das Referendum ergriffen würde. Blocher: Im Voraus und generell nicht, aber von Fall zu Fall ... Pfisterer: Das war die Frage, die Herr Küng gestellt hat. Die Antwort lautet: Das ist noch nie vorgekommen. Wenn in einem Einzelfall so ein Vertrag abgeschlossen wird, besagt die UNO-Charta klipp und klar, dass es für dessen Gültigkeit die Zustimmung des betreffenden Landes braucht, nach seinem eigenen Verfassungsrecht. Für uns heisst dies für ein einzelnes Abkommen minimal die Zustimmung des Schweizer Parlaments. Wir gehen kein Risiko ein. Die UNO ist keine Weltregierung. Sie darf es auch nicht werden. Herr Blocher, eine vierfache Absicherung müsste doch reichen? Blocher: Das ist "l´art pour l´art". Bundesrat und Parlament haben einen Neutralitätsvorbehalt abgelehnt. Wir haben verlangt, die UNO müsse bestätigen, wonach die Schweiz die Charta nur soweit zu erfüllen hat, als sie mit unserer freigewählten, dauernden, bewaffneten, integralen, bündnisfreien Neutralität nicht im Widerspruch steht. Bundesrat und Parlament haben dies abgelehnt, denn der entscheidende Satz im Brief des Bundesrates kommt am Schluss, wonach die Eidgenossenschaft die UNO-Charta anerkennt und willens ist, diese zu erfüllen - vorbehaltlos. Damit hat der Sicherheitsrat das Sagen. Die Grossmächte, welche darin sitzen, teilen die Welt untereinander auf. Deshalb geht in ihren Interessenzonen auch nichts. Die UNO ist keine Rechtsgemeinschaft, sie ist eine Machtgemeinschaft. Sie hat auch keine Möglichkeit, das Recht durchzusetzen. Zum Beispiel? Blocher: Die UNO hat schon mehrfach verlangt, Israel müsse seine Siedlungspolitik einstellen. Doch es passiert nichts, weil Israel in den Einflussbereich von Amerika gehört. Dasselbe geschieht mit Tibet im Einflussbereich Chinas. Und für Tschetschenien, weil es zum Einflussbereich Russlands zählt. Also kann die Charta nur für andere gelten. Folglich kann es für Bündnisfreie Länder gefährlich sein, einen solchen Vertrag zu unterschreiben. Deshalb hat der Bundesrat, als er noch zu unseren Werten stand, immer gesagt, das unterschreiben wir nicht. Nochmals zu Artikel 43: Wir unterschreiben eine grundsätzliche Verpflichtung. Und wir unterschreiben, dass wir auf Wunsch des Sicherheitsrates Verhandlungen führen. Herr Pfisterer, die 60 Staaten, die keine Armee haben, müssen keine Truppen stellen. Aber all diejenigen, die eine Armee haben, unterschreiben mit dem Beitritt, bereit zu sein, wenn der Sicherheitsrat will. Pfisterer: Das ist eine Halbwahrheit. Der Sicherheitsrat kann kein Truppenaufgebot befehlen und die Grossmächte schon gar nicht. Das Veto kann nur etwas verhindern, nicht anordnen. Blocher: Lassen Sie mich ausreden. Mit dem Vertrag geben wir unser grundsätzliches Ja für Sonderabkommen. Wir wären als Mitglied verpflichtet, solche auszuhandeln, sobald der Sicherheitsrat dies wünscht. Es kann sein, dass wir streng juristisch gesehen nicht unterschreiben müssten. Aber der Druck wird gewaltig sein. Und zahlen müssen wir für diese Kriege sowieso. Das ist nochmals ein Widerspruch zur Neutralität. Hat die UNO je ein Land gezwungen, Truppen zu stellen? Blocher: Vielleicht hat sie dies nicht tun müssen, weil bisher alle freiwillig Truppen gestellt haben. Wo ist das Problem, wenn andere Länder streiten, Truppen stellen zu dürfen? Blocher: Weil Sie eine Verpflichtung unterschreiben. Jetzt wird immer gesagt, die Welt ändere sich, sie sei ganz anders als vor 16 Jahren. Was glauben Sie denn, wie sie in weiteren 16 Jahren aussieht? Wir unterschreiben eine Verpflichtung, die wir als Kleinstaat ernst nehmen. Ist einmal unterschrieben, hätte das Volk in diesen Dingen nichts mehr zu sagen. Herr Pfisterer, haben Sie keine Angst, dass die Schweiz Scherereien bekommt, wenn sie als gewissermassen letztes Land der Welt der UNO beiträte? Pfisterer: Nein. Unsere Neutralitätserklärung enthält zwei Teile. Am Schluss steht die Verpflichtungsformel, die von der Charta vorgesehen ist. Im von Christoph Blocher zitierten Brief steht klar: "Die Schweiz bleibt auch als Mitglied der Vereinten Nationen neutral." Die einseitige Erklärung reicht. Das Parlament hat darüber diskutiert, ob wir mit der UNO einen Neutralitätsvertrag schliessen sollen? Nein! Die Schweiz soll selbst entscheiden können, wann die Neutralität anrufen will. Ich will nicht, dass jetzt die UNO über unsere Neutralität diskutiert und bestimmt, wie sie sie versteht und dereinst ein Bundesrat nach New York pilgern und fragen müsste, ob die UNO bereit wäre, die Neutralität anzuerkennen. Wir wollen es halten wie die Österreicher, die als UNO-Mitglied allein Herr und Meister über ihre Neutralität geblieben sind. Ein letztes. Die UNO ist auf dem Weg zu einer Rechtsgemeinschaft. Sie hat wesentlich mehr zustande gebracht als der Völkerbund. Denken wir ans Völkerrecht, das heute weitgehend durch die UNO initiiert worden ist. Wir als kleines Land, das für seinen Wohlstand auf das Wirtschaften in der ganzen Welt angewiesen ist, haben nur dann eine Chance, wenn Verträge eingehalten werden. Am ehesten Garant dafür ist die UNO. Darum wollen wir dazu beitragen, dass es in diese Richtung weiter geht. Blocher: Jetzt wird es aber ganz problematisch, Herr Pfisterer. Wenn Sie vom Völkerrecht reden, das gemäss neuer Bundesverfassung über unserem nationalen Recht steht, wird der Volkswille in einem unglaublichen Mass ausgeschaltet. Letzte Woche hat Schweden den Abschied von der Neutralität bekannt gegeben, weil sie mit dem UNO- und EU-Beitritt unvereinbar sei, und der österreichische Bundeskanzler will dasselbe tun. Es ist eben so: Man kann nicht neutral und gleichzeitig in der UNO und der EU sein. Sie sagen, es ändere sich nichts, wenn wir der UNO nicht beitreten. Doch, etwas ändert sich: Wir unterschreiben dann keinen Vertrag mit seinen vielen Risiken. Nur mit einem von der UNO akzeptierten Neutralitätsvorbehalt hätten wir diese Risiken ausschalten können. Jetzt aber müssten wir bei der UNO "Bittibätti" machen, wenn wir die Charta einmal aus neutralitätspolitischen Gründen nicht erfüllen wollen. Pfisterer: Durch den UNO-Beitritt wird kein einziges Volksrecht beeinträchtigt. Im Gegenteil. Unser Parlament hat in der Aussenpolitik sogar mehr Kompetenzen als andere nationale Parlamente. Es kann mehr als andere auf die Politik der UNO Einfluss nehmen. Wenn Sie, Herr Blocher, unsere Unabhängigkeit wahren wollen und gleichzeitig verlangen, dass die Schweiz die Neutralität einem Vertrag mit der UNO unterwirft, widersprechen Sie sich selbst. Dann fangen UNO-Generalversammlung und Sicherheitsrat an, über den Inhalt unserer Neutralitätspolitik zu diskutieren! Das wollen wir doch beide nicht! Ich will, dass die Schweiz jederzeit auf die Neutralität pochen und sie auch durchsetzen kann, wenn es der UNO nicht passt. Das ist unser Konzept, darüber stimmen wir ab. Eine weitere Frage ist die der Kosten für den UNO-Beitritt. Der Bundesrat veranschlagt 75 Millionen Franken jährlich. Blocher: Die UNO wird ein Fass ohne Boden. Sie hat zwar auf Druck der Amerikaner die Administrationskosten eingefroren. Doch seit 1998 sind die Gesamtkosten - ohne Unterorganisationen wohlverstanden - mit den so genannten friedenserzwingenden und - erhaltenden Massnahmen sowie den Sondergerichten von 2,1 auf 3,4 Milliarden Dollar geklettert. Die steigen weiter. Ein Fass ohne Boden, Herr Pfisterer? Pfisterer: Wir müssen die Dimensionen sehen. Die Generalversammlung legt die Kosten entsprechend der Wirtschaftskraft eines Landes fest. Die Schweiz hätte demzufolge 1,274 Prozent des Haushalts zu zahlen. Das ist pro Kopf der Bevölkerung etwas weniger als Holland, Luxemburg, Liechtenstein oder Deutschland zahlen. Wir sollten aber auch an den wirtschaftlichen Gewinn denken, der sich aus einem Beitritt ergäbe. Der UNO-Standort Genf bringt der Schweiz pro Jahr einen Umsatz von drei Milliarden Franken und ca. 240 Millionen Franken für Güter, die in der Schweiz jährlich gekauft werden. Im Raum Genf stellt die UNO zehn Prozent der Arbeitsplätze. Blocher: Ende März wird in Mexiko darüber beraten, ob eine UNO-Steuer eingeführt werden soll. Vielleicht kommt sie nicht. Aber wenn sie kommt, will ich sehen, wie der Bundesrat aussenpolitischem Druck standhält! Das ist ja nicht gerade seine Stärke. Dann gibt es den so genannten Brahimi-Bericht mit Empfehlungen für militärische Massnahmen. Der ist vernichtend. Er schlägt sogar eine UNO-Weltarmee vor, die man gleichzeitig in fünf Erdteilen einsetzen könnte. Ob sie kommt, weiss ich nicht. Aber es gibt in der Generalversammlung eine entsprechen-de Tendenz. Pfisterer: Die Mexiko-Konferenz ist ein reines Informationsaustausch-Gremium. Die UNO hat keine Kompetenz zum Erlass von Fiskalabgaben. Wenn sie es trotzdem täte, würde dies von einer der viel gescholtenen Grossmächte im Sicherheitsrat sicher blockiert. Der Brahimi-Bericht ist ein Stück Papier, genauso wie der Brunner-Bericht, an dem Sie, Herr Blocher, seinerzeit mitgearbeitet haben. Blocher: Halt, halt, der Brahimi-Bericht ist ein Bericht im Auftrage der UNO... Pfisterer: Es ist Papier auf der gleichen Ebene. Ihm wird es so gehen wie dem Brunner-Bericht. Das haben Sie vorausgesagt und haben damit Recht bekommen. Blocher: Es kommen noch mehr Kosten dazu: Der UNO-Generalversammlung liegt seit 1972 ein Vorschlag vor, die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts aufzustocken. Das würde für die Schweiz 1,6 Milliarden Franken ausmachen. Als erste Stufe sagt der Bundesrat, von derzeit 0,32 auf 0,4 Prozent hinaufzugehen. Da steigen die Kosten natürlich weiter. Wir haben bereits 110 Milliarden Franken Schulden. Jedes Mal vor der Abstimmung kostet es fast nichts und nachher kostet es immer viel mehr wie bei der Expo, der Swissair und so weiter... Pfisterer: Die Schweiz hat die 0,7 Prozent nie akzeptiert. Der Bundesrat spricht von einer Erhöhung auf maximal 0,4 Prozent bis ins Jahr 2010. Das muss durchs Parlament. Wenn wir nicht Ja und Amen sagen, kommt es nicht. Blocher: Ja, das kennen wir. Das Parlament wird leider nachgeben. Pfisterer: Wir können den Fünfer und das Weggli haben. Die Interessen besser wahrnehmen und die Neutralität als Versicherungspolice behalten.