Umfragen sind oberflächlich – weder EU noch EWR hätten eine Chance

Interview mit den Obersee-Nachrichten (ON) vom 25. Juni 1998

Am 1. Juli spricht in Rüti jener Politiker, der, obwohl er nicht Bundesrat ist, in unserem Land die grösste Macht hat: SVP-Nationalrat Christoph Blocher: Die ON sprachen mit dem Volkstribun.

Interview: Peter Müller

Sie sprechen am 1. Juli in Rüti. Worüber?

Christoph Blocher: « Kann sich die Schweiz behaupten? »

Dieser Tage wurden die bilateralen Verhandlungen mit der EU auf Basis Chefunterhändler abgeschlossen. Was bedeutet das für Sie? Kennen Sie die Inhalte?

Blocher: Bei solchen Verhandlungen muss man darauf achten, dass man nicht bei jedem Treffen von Delegationen glaubt, dass es sich um abgeschlossene Verhandlungen handelt. Die Schweiz hat seit ein paar Jahren den Fehler gemacht, dass sie alle paar Monate von neuen « Durchbrüchen » gesprochen hat. Die Unterhändler haben auch jetzt gewisse technische Details neu geregelt und in gewissen Fragen eine Einigung erzielt. Beim Transitverkehr und beim freien Personenverkehr ist alles offen, die Konsequenzen noch nicht absehbar. Bevor die Verhandlungen nicht auf politischer Ebene, d.h. auf Ministerebene klar sind, kann das Ergebnis nicht beurteilt werden. Wenn das Resultat für unser Land untragbar ist, müsste das Referendum ergriffen werden, denn wir haben keinen Grund, alles zu akzeptieren.

Sie haben immer wieder von einem Referendum wegen der Freizügigkeit im Personenverkehr gesprochen. Kommt dieses wirklich?

Blocher: Auch das muss heute offen gelassen werden. Tatsache ist, dass ein freier Personenverkehr, wie ihn die EU für ihre Mitglieder vorgesehen hat, nicht in Frage kommt. Die Kosten für unser Land wären immens, was soziale Probleme und eine hohe Arbeitslosigkeit mit sich bringen würde. Wir können diese Freizügigkeit weder heute noch in späteren Jahren akzeptieren, ohne uns grosse Nachteile einzuhandeln. Ich denke dabei vor allem an die enormen Kosten für die Arbeitslosenversicherung, die unsere Bevölkerung zu tragen hätte. Das hängt damit zusammen, dass in den verschiedenen Ländern die Arbeitslosenkassen andere Leistungen erbringen. In Österreich beispielsweise kann ein Arbeitsloser im Laufe von zwei Jahren während maximal 100 Tagen eine Arbeitslosenentschädigung beziehen. In der Schweiz dagegen 520 Tage. In einer Rezessionszeit würden die Leute aus dem Ausland in der Schweiz Arbeit suchen. Wenn sie diese nach ein paar Monaten verlieren, könnten sie mit einer längeren Bezugsdauer rechnen.

Verschiedene Umfragen bringen immer wieder das Ergebnis, Herr und Frau Schweizer möchten in die EU. Wie sähe Ihrer Meinung nach heute ein allfälliges Abstimmungsresultat aus?

Blocher: Ich bin überzeugt, dass die Schweizerinnen und Schweizer einen EU-Beitritt heute massiv ablehnen würden. Man muss berücksichtigen, dass solche Umfragen oberflächlich sind. Vor einer Volksabstimmung erfolgt zuerst einmal ein in die Tiefe greifender Abstimmungskampf. Dann werden den Leuten auch die negativen Seiten eines EU-Beitritts bewusst.

Und wie, wenn es « nur » um den EWR ginge?

Blocher:
Auch der EWR hätte heute keine Chance. All die Schreckensszenarien, die von den EWR-Befürwortern noch 1992 vorgelegt wurden und der Schweiz praktisch den Untergang voraussagten, haben sich als völlig falsch erwiesen. Das weiss die Bevölkerung. Ich erhalte täglich zahlreiche Briefe von Leuten, die damals dem EWR zugestimmt haben und mir heute mitteilen, sie würden bei einem nächsten Mal ebenfalls dagegen stimmen. Dabei wäre bei einer EWR-Abstimmung mit den gleichen Problemen wie bei den bilateralen Verhandlungen beim Transitverkehr und beim Personenverkehr zu rechnen.

Als Verwaltungsratspräsident bei Netstal haben Sie sich für die Minderheitsaktionäre eingesetzt. Jetzt treten Sie zurück. Was wird mit der Firma passieren?

Blocher: Ich trete nicht freiwillig zurück. Der Hauptaktionär wird den Antrag stellen, mich abzuwählen. Dieses Vorhaben wird auch gelingen. Der Kampf hat sich insofern gelohnt, als der Hauptaktionär, welcher fast 90 % der Aktien besitzt, dem bisherigen Geschäftsleiter zugesichert hat, von der damals beabsichtigten massiven Einflussnahme abzusehen. Damit ist meines Erachtens eine gute Lösung für Netstal gefunden worden.

Sie vertreten eine Direktwahl des Bundesrates durch das Volk. Wird eine Ini- tiative lanciert?

Blocher: Diese Frage stellt sich heute noch nicht. Ich habe die Idee einmal in die leitenden Gremien der Schweizerischen Volkspartei hineingetragen und hoffe sehr, dass sie positiv aufgenommen wird. Wann und auf welchem Weg die Umsetzung erfolgt, ist noch offen.

Die SVP sorgt immer wieder für Schlagzeilen wegen Differenzen ihres Zürcher Flügels und Bundesrat Adolf Ogi. Vertritt er noch einen SVP-Kurs?

Blocher: Es ist die Aufgabe einer Partei, ihre Anliegen glaubwürdig, geradlinig und auch kompromisslos zu vertreten. Es ist unausweichlich, dass dies zu Differenzen mit Regierungsmitgliedern führt, namentlich mit solchen, welche in einer Mehrparteien-Regierung eingebunden sind, wie dies beim Bundesrat der Fall ist. Im Ganzen vertritt Bundesrat Adolf Ogi den SVP-Kurs, in aussenpolitischen Belangen allerdings ist er bedauerlicherweise davon abgewichen.

Das Thema Ausländer ist allgegenwärtig – die SVP hat die « Kosovo-Abstimmung » in Zürich gewonnen. Wie viele und welche Ausländer verträgt die Schweiz?

Blocher: Diese Frage ist falsch gestellt. Es ist eindeutig, dass unser Land zu viele illegale Einwanderer hat. Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass die Schweiz viel zu attraktive Bedingungen bietet. Hier muss eingegriffen werden.

Mark Kuster, Präsident der Jungen SVP, verkauft Hanfprodukte. Was halten Sie davon, haben Sie ihn deswegen schon gerügt?

Blocher: Davon weiss ich nichts. Sofern dies nicht illegal ist, gibt es hier auch nichts zu rügen.

Die SVP will sich noch weiter ausbreiten, so auch im Wallis, wo Sie sich selbst engagieren. Was ist für die SVP in der Schweiz möglich?

Blocher: Ich freue mich natürlich, wenn an möglichst vielen Orten und in möglichst vielen Kantonen neue SVP-Ortssektionen gegründet werden, die einen klaren Kurs verfolgen, wie die SVP des Kantons Zürich dies schon seit Jahren tut. Das ist dringend notwendig, damit die anstehenden Probleme in unserem Lande gelöst werden können. Probleme, welche die übrigen Regierungsparteien leider zum Teil weder anpacken noch lösen.

Und was erwarten Sie von den nächsten Nationalrats- und Ständeratswahlen?

Blocher: Wir hoffen selbstverständlich bei den nächsten National- und Ständeratswahlen weitere Wähleranteile zu gewinnen, um unseren politischen Lösungen zum Durchbruch zu verhelfen.

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