Die Kursfrage ist definitiv geklärt
Christoph Blocher über den Wahltriumph der SVP und die Zukunft der Zauberformel
Interview mit der Zürichsee-Zeitung vom 26. Oktober 1999
Die Debatte um den Kurs der SVP ist mit den Wahlen definitiv geklärt: Gewonnen hat die SVP-Politik nach Zürcher Art, wie der Dominator vom Wochenende, Christoph Blocher, gegenüber dieser Zeitung erklärt. Nun nimmt er die Zusammensetzung des Bundesrats ins Visier – und schont, eher überraschend, Adolf Ogi.
Mit Christoph Blocher sprach Luzi Bernet
Haben Sie gut geschlafen?
Blocher: Ja, danke. Ich bin zwar etwas später als üblich zu Bett gegangen…
…weil Sie üppig gefeiert haben.
Blocher: Es geht. Die zahlreichen Medienauftritte haben mich stark absorbiert. Nur zwischen acht und halb neun Uhr war ich kurz bei der Partei. Erst gegen elf Uhr kehrte ich zurück, um bis etwa ein Uhr noch etwas zu feiern. Sie ziehen sich ja bekanntlich nach Siegen eher zurück. Auch diesmal? Das ist diesmal anders als beim EWR, der ja viel wichtiger war als die gestrigen Wahlen. Ich bin Unternehmer, und als solcher muss ich im November nach Asien fahren. Das ist fällig, und meine Präsenz hier ist ja auch nicht mehr so wichtig. Diese Woche allerdings ist jetzt noch wichtig, damit die Weichen innerhalb, aber auch ausserhalb der Partei richtig gestellt werden. Wir haben einen Wählerauftrag erhalten, über dessen Erfüllung wir zu diskutieren haben.
Was darf man von dieser Woche an Entscheidungen konkret erwarten?
Blocher: Zunächst steht die Analyse der Wahlresultate an. Allmählich sehen wir etwas klarer, weil die Namen der Gewählten vorliegen.
Was fällt Ihnen da auf?
Blocher: Bis jetzt hat man immer von einer Blocher-SVP bzw. einem Zürcher Flügel gesprochen. Diese Bezeichnung steht für eine konsequente Parteilinie, die nun in alle Kantone ausgestrahlt hat – auch in jene Kantone, deren SVP-Sektionen bisher eine weniger konsequente Haltung gepflegt haben. Die Zurückhaltung der Parteispitze führte im Kanton Bern leider zu einer Stagnation. Bereits drei Prozent hätten in Bern für einen Mandatsgewinn gereicht, und insofern ist das dortige Resultat enttäuschend. Aber immerhin zeigt sich bei den Gewählten im Kanton Bern ein erfreuliches Bild. Alle, die auf unserer Linie liegen, haben nämlich gut abgeschnitten. Damit ist für die SVP die Kursfrage definitiv geklärt.
Hat sich gegenüber Ihren ersten Stellungnahmen Ihre Einschätzung des Wahlresultats verändert – auch nach Vorlage der Zürcher Zahlen?
Blocher: Nein. Das Zürcher Resultat kommt einem Erdbeben gleich. 13 Sitze sind ein grosses Mandat. Hingegen war die Aufteilung in zwei SVP-Listen unglücklich (Ost und West). 1991 waren die Listen noch ausgeglichen, 1995 betrug das Verhältnis fünf (Ost) zu vier (West), und jetzt beträgt das Verhältnis neun zu vier. Viele Leute haben wegen der Namen « Blocher » und « Maurer » einfach die Liste Ost gewählt und die Liste West gar nicht beachtet. Das müssen wir beim nächsten Mal ändern. Vielleicht kommen wir nur mit einer Liste, oder wir bilden eine Stadt- und eine Landliste. Die gewählten Zürcher SVP-Vertreter fahren alle einen sehr profilierten Kurs, wie zum Beispiel Christoph Mörgeli, der die eigentliche Überraschung ist und trotz der Tatsache, dass er praktischen keinen Wahlkampf geführt hat, gewählt wurde. Insgesamt verfügen wir über eine beruflich und fachlich sehr breit abgestützte Zürcher SVP-Vertretung in Bern.
Wie verstehen Sie den Auftrag der Wähler? Wollen Ihre Anhänger eine Oppositions- oder eine Regierungspartei?
Blocher: Wir haben ein klares Programm vorgelegt mit konkreten Vorschlägen zur Eindämmung des Asylmissbrauches, mit der Absicht, das Nationalbankgold für die AHV zu verwenden, mit dem Anliegen, die Bundessteuer um zehn Prozent zu senken und mit dem Bekenntnis gegen einen EU-Beitritt usw. Diese Forderungen wollen wir durchsetzen – innerhalb der Regierung, wenn man uns einen zweiten Sitz im Bundesrat eingesteht, oder mit der Verstärkung der Opposition, wenn uns der zweite Sitz vorenthalten bleibt. Mit anderen Worten: Die Form hängt von den Mitteln ab, die man uns gibt.
Das bedeutet, dass Sie Ihre Rolle als Opposition zurücknehmen, wenn Sie zwei Bundesräte haben?
Blocher: Selbstverständlich. Mit zwei Vertretern in der Regierung werden wir uns bereits im Bundesrat besser durchsetzen können. Wir haben nie Opposition als Selbstzweck betrieben, sondern nur wenn es notwendig war.
Aber Sie haben Stimmen in Kreisen gemacht, die eindeutig Protestwähler sind und von Ihnen Opposition erwarten?
Blocher: Weil ihre Forderungen nicht erfüllt wurden, zum Beispiel die Freiheitspartei. Übrigens sind das alles ehemals freisinnige Wähler.
Immerhin hat sich der Freisinn gehalten und nicht mehr viele Wähler nach rechts verloren.
Blocher: Im Kanton Zürich ist die Position des Freisinns unklar. Aber in den anderen Kantonen haben jene Freisinnigen gewonnen, die einen ähnlichen Kurs wie wir fahren (Aargau, Schaffhausen zum Beispiel). In Zürich dürften viele Landesring-Wähler zur FDP gegangen sein. Dass die FDP trotzdem nicht zulegen konnte, ist ein Zeichen dafür, dass viele Freisinnige heute in Zürich nicht mehr FDP wählen. Übrigens auch in den ehemals freisinnigen Hochburgen am Zürichsee.
Zur Zauberformel. Wenn Sie zwei Sitze beanspruchen, dann sind damit zwei Vertreter gemeint, die Ihren Kurs fahren.
Blocher: Eindeutig. Wir akzeptieren kein Feigenblatt.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle Bundesrat Ogi?
Blocher: In Wirtschafts- und Steuerfragen haben wir wie übrigens auch in Sachen Expo, Solidaritätsstiftung und Verkehrspolitik mit Bundesrat Ogi einen sicheren Wert in der Regierung. Es bestehen hingegen grosse Differenzen in der Aussen- und Neutralitätspolitik. Hier wird Adolf Ogi Korrekturen seiner Position vornehmen müssen.
Glauben Sie ernsthaft daran, dass Ogi seine Positionen aufgibt? Und wenn nein, muss er dann gehen?
Blocher: Nein. Exekutivmitglieder stimmen ja in der Regel nicht in allen Fragen mit der Parteimeinung überein. Wir werden Ogi sicher wieder aufstellen und auch unterstützen.
Wer könnte denn neben ihm stehen?
Blocher: Für diese Entscheidung bleibt noch viel Zeit. Es bleibt vor allem einmal abzuwarten, wie sich die anderen Parteien entscheiden.
Im Klartext: Eine Änderung der Zusammensetzung der Landesregierung würde eine Abwahl eines bisherigen Bundesrats bedeuten.
Blocher: Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder zieht die kleinste Partei – die CVP – einen ihrer Vertreter zurück, oder aber die SP gibt einen Sitz her. Im ersteren Fall spielt die Konkordanz, wonach die grossen Parteien zwei und die kleinen einen Sitz beanspruchen. Im anderen Fall würde das ein Bekenntnis der CVP und der FDP zu einer Mitte-Rechts-Politik bedeuten. Es entscheiden also die Mittelparteien.
Welche Variante würden Sie vorziehen?
Blocher: Nun, unsere Gegner sind die Sozialdemokraten, also würde ich die zweite Variante mit nur einem SP-Vertreter bevorzugen. Aber natürlich kann ich auch mit einem Konkordanzmodell leben.
Glauben Sie daran, dass das funktionieren könnte – zumal nach einem Wahlkampf, in dem sich die Parteien gegenseitig nicht geschont haben?
Blocher: Selbstverständlich. Wir regieren ja nicht, um gleiche Meinungen zu haben, sondern obwohl wir verschiedene haben.
Sie könnten also auch mit den bisherigen SP-Bundesräten zusammenarbeiten?
Blocher: Ja. Ich selber hätte damit keine Mühe, obschon es nicht meine Freunde sind, aber ich wäre gezwungen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Wir würden aber selbstverständlich unsere Meinung dezidiert einbringen.
Glauben Sie, dass angesichts des Systems der Referendumsdemokratie ein Regierungs- / Oppositionsmodell funktionieren könnte?
Blocher: Ja, das hat auch früher schon funktioniert, vor der Zauberformel.
Aber Sie könnten doch mit Ihrem Referendumspotenzial eine Regierung blockieren.
Blocher: Nicht komplett, aber in den wichtigen Fragen hätte das Volk das letzte Wort und würde entscheiden.
Wie interpretieren Sie das Wahlergebnis der SP?
Blocher: Schauen Sie: Vor vier Jahren hat die SP ein künstliches Resultat erzielt. Mit den Restmandaten einerseits und anderseits mit dem Paukenschlag des Rücktrittes von Bundesrat Otto Stich. Das war der ganze Triumph. Aber der war nicht langlebig. Namentlich langjährige SP-Wähler (Angestellte, Arbeiter) wählen heute SVP. Die SP ist zu einer Partei der gut verdienenden Staatsangestellten geworden. Die wirklichen Arbeiter der Privatwirtschaft beklagen sich ebenso über die steigende Abgaben- und Steuerlast und finden damit bei der SP kein Gehör mehr.
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