«Jetzt predigen Sie wieder den Untergang»
Streitgespräch im Tages-Anzeiger vom 16. Februar 2001
Christoph Blocher im Streitgespräch mit den Initianten Stefan Läubli und Thomas Christen über die Schweiz und die Europäische Union
Von Luciano Ferrari
Herr Blocher, müssten Sie im Grunde nicht für die Initiative « Ja zu Europa » sein?
Christoph Blocher: Wer, ich?
Ja, denn gemäss Bundesrat Couchepin ist das Schlimmste, was passieren kann, ein Ja zur Initiative: Dann müsste bereits in 3 bis 4 Jahren über den EU-Beitritt abgestimmt werden, was gemäss Couchepin unweigerlich zu einem Nein führen würde.
Blocher: Es wird so viel Taktisches dahergeredet. Richtig ist: Die Initiative muss abgelehnt werden. Sie will die Schweiz in einem Verfassungsartikel verpflichten, « den Beitritt zur Europäischen Union anzustreben ». Das heisst, die Befürworter der Europa-Initiative wollen in die EU und zwar sofort. Selbst wenn sie dann hinzufügen, man könne am Ende doch wieder Nein zum Beitritt sagen, dieser Artikel bliebe in der Verfassung.
Es geht doch aber zunächst darum, Verhandlungen aufzunehmen. Die Initiative verlangt nicht den EU-Beitritt.
Blocher: Doch. Jemand der den EU-Beitritt anstrebt, soll nicht in die EU wollen? Ich verstehe nicht, dass es immer noch Leute gibt, die auf so eine Argumentation hereinfallen. Es ist mir auch nicht klar, weshalb die Initianten nicht dazu stehen, dass sie möglichst schnell der EU beitreten wollen.
Stefan Läubli: Wir sagen ganz offen: Wir sind für die EU und wollen ihr auch langfristig beitreten. Wenn man das aber will, muss zuerst verhandelt werden, innere Reformen sind nötig. Das alles braucht Zeit. Mindestens fünf Jahre, wenn nicht noch länger. In dieser langen Zeit können wir noch genauer herausfinden, warum wir – auch Sie – dafür oder dagegen sind, und dann das Volk in Kenntnis der Tatsachen entscheiden lassen.
Blocher: Es gibt mit der EU gar nicht viel zu verhandeln. Man kann nur ganz beitreten oder nicht. Man kann über Übergangsfristen oder über die Kommissions-Zusammensetzung reden, aber das ist nicht entscheidend. Wesentlich ist: Ein Beitritt der Schweiz zur EU heisst, den Acquis Communautaire, das heisst das europäische Recht – das heutige und das künftige – zu übernehmen. So steht zum Beispiel fest, dass die Schweizer eine Mehrwertsteuer von mindestens 15 Prozent zu bezahlen haben werden.
Thomas Christen: Herr Blocher, Sie reden immer von der Mehrwertsteuererhöhung. Die andere Seite der Medaille aber erwähnen Sie nicht. Die Finanzordnung des Bundes läuft 2006 aus. Auf diesen Termin hin soll es ohnehin zu einer Verschiebung der direkten zur indirekten Bundessteuer kommen. Sie müssen doch konsequent sein und sagen, es wird zu einer Erhöhung der Mehrwertsteuer kommen, aber sie kann sozial verträglich kompensiert werden, etwa durch eine Verminderung der Bundessteuer. Wieso betonen Sie immer nur die Nachteile?
Blocher: Wollen Sie denn wirklich, dass die Mehrwertsteuer verdoppelt und die Bundessteuer gesenkt wird? Da würde ja der grösste Teil der Bevölkerung mehr Steuern bezahlen. Zudem glauben Sie doch nicht wirklich, dass diese Mehrwertsteuererhöhung kompensiert würde. Wir müssten ja auch noch jährlich 5 bis 7 Milliarden EU-Mitgliederbeiträge eintreiben. Das sind über 10 Prozent vom heutigen gesamten Bundeshaushalt zusätzlich.
Läubli: Richtig ist, dass wir rund 3 Milliarden Franken zahlen müssten.
Blocher: Schon 1992 hat der damalige Bundesrat Otto Stich 5 Milliarden berechnet. Heute, neun Jahre später, dürften es mehr sein – wohl eher 7 Milliarden.
Läubli: Der Bundesrat kommt im Integrationsbericht auf einen Nettobetrag von 3,125 Milliarden Franken, und es ist klar, dass man in den Verhandlungen über diesen Preis reden müsste – übrigens nur ein Beispiel dafür, dass in Verhandlungen durchaus wichtige Punkte zur Diskussion stehen. Sie betonen aber dauernd die Kosten des Beitritts. Wir müssen doch auch sehen, was die EU in Europa erreicht hat. Die Versöhnung von Frankreich und Deutschland, die Aufnahme von Spanien, Portugal und Griechenland: Das hat zu Wirtschaftswachstum und zu einem generellen Stabilitätsgewinn in Europa geführt, von dem auch wir profitieren.
Blocher: Ob der Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg durch die EU gewährleistet wurde, da mache ich gewaltige Fragezeichen. Der Frieden wurde durch die grosse Aufrüstung des Westens gesichert. ich will aber die EU nicht in Frage stellen. Die Mitgliedländer können machen, was sie wollen. Der Fortschritt in Spanien und Portugal ist durch die Demokratisierung und den Fall der Diktaturen ermöglicht worden. Aber auch die Schweiz hat eine Erfolgsgeschichte, die aus der direkten Demokratie und einer eigenen Wirtschaftsordnung besteht, die sie bei einem Beitritt preisgeben müsste. Dazu gehört zum Beispiel der Zinsvorteil gegenüber den anderen europäischen Staaten. Das hiesse heute etwa 2 Prozent höhere Hypothekarzinsen.
Christen: Erstens hat sich die Zinsdifferenz zwischen den EU-Ländern und der Schweiz in den letzten Jahren immer mehr angeglichen. Dieser Trend dürfte sich fortsetzen. Zweitens können weder wir noch Sie heute sagen, was für eine Zinsdifferenz im Jahr 2006 herrschen wird, dem frühestmöglichen Zeitpunkt für einen Beitritt. Aber selbst wenn dann noch eine Zinsdifferenz besteht, gibt es immer Verlierer und Gewinner. Von einem Zinsanstieg könnten alle Sparer, wie etwa die grossen Pensionskassen, profitieren. Auch hier fokussieren Sie auf ein Thema, aber die grossen Zusammenhänge schieben sie einfach ab.
Läubli: So profitieren wir schon heute von den Errungenschaften der EU, ohne einen Beitrag zu zahlen. Diese auf das Nehmen beschränkte Haltung aber führt zu einer schleichenden Isolierung der Schweiz und schadet unserem Wirtschaftsstandort. Gerade Sie wissen doch, wie wichtig heute die Netzwerke in Europa sind. Die Schweiz ist nicht mehr gut eingebunden. Ich erinnere etwa an die nachrichtenlosen Vermögen, ans Bankgeheimnis oder an die verzögerte Ratifizierung der bilateralen Verträge.
Wenn man wie Sie an die Stärke der Schweiz glaubt, Herr Blocher. Wieso dann diese grosse Angst, sich selbstbewusst in diese Gemeinschaft einzubringen?
Blocher: Wir leben ja nicht auf dem Mond in der Schweiz. Das Erfolgsgeheimnis der Schweizer Aussenpolitik ist doch, mit allen Staaten wirtschaftlich, politisch und kulturell freundschaftlich eng zu verkehren. Aber eines dürfen wir nicht tun: die Entscheidungsfähigkeit aus der Hand geben. Die Schweiz kann nur selbstbewusst sein, so lange sie selbst entscheiden kann. Herr Christen, die Hochzinsen führen zu Rezessionen, Wirtschaftseinbrüchen, Arbeitslosigkeit. Der höhere Wohlstand ist weit gehend auch die Folge des Selbstständigseins. Sie sind beides junge Leute: Auch für Sie ist entscheiden können, bestimmen können, zentral. Wären wir in der EU, könnten wir in wesentlichen Sachen nicht mehr selbst entscheiden. Vielleicht können der Bundesrat, Beamte und Diplomaten mitreden. Entscheiden kann, aber sicher nicht das Volk.
Christen: Sie sagen, man dürfe die Entscheidungsfähigkeit nicht aus der Hand geben. Aber gerade deshalb muss man dort mit entscheiden können, wo die für uns wichtigen Fragen gelöst werden.
Blocher: In Europa mitreden – um in der Schweiz nicht mehr entscheiden zu können!
Nehmen wir die Aufhebung des Bankgeheimnisses oder die Sanktionen gegen Österreich: Hätte die Schweiz diese Beschlüsse nicht beeinflussen können, wenn sie EU-Mitglied gewesen wäre?
Blocher: Wissen Sie, was im Fall Österreich passiert wäre? Die Schweiz hätte auch mitgemacht. Es ist ja für einen Schweizer unerträglich, wie hier die demokratische Entscheidung missachtet wurde: Da haben die EU-Staaten den Österreichern gesagt: « Diese Regierung dürft ihr nicht einsetzen, sonst boykottieren wir euch. » Das tönt doch nach « Kauft nicht bei Juden ». Wäre die Schweiz Mitglied gewesen, so hätte bestimmt auch der Bundesrat mitgemacht. Er hätte nicht die Kraft gehabt, sich zu widersetzen. Genauso, wie die Dänen diese Kraft auch nicht hatten. Sie wussten genau, wenn sie nicht mitmachen würden, wären sie an einer anderen Stelle zur Kasse gebeten worden. Denn in der EU geht es permanent um « Kuhhändel ».
Christen: Zu Österreich gilt es festzuhalten, dass es doch problematisch ist, wenn jemand an die Macht kommt, der mehrmals die nationalsozialistische Politik verharmlost hat. Das schieben Sie immer zur Seite. Mit dem Vorgehen der 14 EU-Staaten waren hingegen auch wir nicht einverstanden, befanden uns aber in sehr guter Gemeinschaft mit den Institutionen der EU. Sowohl die Kommission als auch das EU-Parlament haben von Anfang an gesagt, das Vorgehen sei falsch.
Blocher: Nicht die EU-Gremien, sondern die EU-Staaten haben Österreich boykottiert, weil zu einem solchen EU-Beschluss Einstimmigkeit nötig gewesen wäre. Österreich hätte ja in den EU-Gremien selbst auch zustimmen müssen. Das Vorgehen ist undemokratisch. Sie sind ja gar keine Demokraten mehr, wenn Sie so etwas in Schutz nehmen.
Christen: Diesen Vorwurf kann ich nicht auf mir sitzen lassen.
Blocher: Bringen Sie den Gegenbeweis.
Christen: Als Demokrat will ich doch dort mitbestimmen, wo die wichtigen Entscheide gefällt werden. Ich begreife nicht, dass Sie diese Ebene einfach ausschliessen. Durch die Globalisierung sind die Probleme so gross geworden, dass sie eben nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene gelöst werden können. Deshalb lösen die EU-Staaten diese Probleme gemeinsam, und die Schweiz, mitten drin, muss dann einfach nachziehen. Wir werden fremdbestimmt.
Läubli: Wir sehen dies doch jetzt bei der zweiten Runde der bilateralen Verträge. Da hat die EU in den Bereichen organisierte Kriminalität, Flüchtlingsströme und Asylpolitik in den Verträgen von Schengen und Dublin eine Lösung gefunden. Jetzt muss die Schweiz darum betteln, dass Sie diese fixfertigen Lösungen übernehmen kann. Hat so unser Volk noch einen Einfluss?
Blocher: Ja, sie ist entwürdigend, diese Bettelei. Aber wir sind nicht gezwungen nachzuziehen. Erst wenn wir in der EU sind, werden wir fremdbestimmt. Das Schengener Abkommen wäre schlecht für die Schweiz. Wir können die Probleme im Flüchtlingsbereich ohne weiteres allein lösen. Dort, wo die Schweiz versagt hat, ist sie selber schuld. Wenn Politiker ein Problem nicht lösen können oder wollen, schieben sie es einfach auf die EU. Ich freue mich zwar über Ihre Schwärmerei, ich war nach dem Krieg auch ein grosser Anhänger dieser Einigungsbewegung, nur hatte ich natürlich ein anderes Europa vor mir. Heute erklärt Kommissionspräsident Romano Prodi, die EU müsse eine Grossmacht werden. Die Schweiz ist in ihrer Geschichte immer gescheitert, wenn sie sich einer Grossmacht anschliessen wollte.
Christen: Jetzt predigen Sie wieder den Untergang der Schweiz. Sie sagen, Sie hätten sich die europäische Einigung anders gewünscht und stilisieren die EU zu einer undurchsichtigen Grossmacht herauf. Es ist doch eine Tatsache, dass zumindest die Gründerstaaten der EU seit fast 50 Jahren zusammenarbeiten, und ein Italiener immer noch ein Italiener ist, ein Deutscher immer noch ein Deutscher. Es ist wie 1848, als die Kantone sahen, dass sie die Probleme nicht mehr allein würden lösen können. So entstand die Schweiz, und ein Thurgauer blieb ein Thurgauer, ein Berner ein Berner. Man beschloss einfach, diejenigen Probleme, die man nicht für sich lösen konnte, gemeinsam, auf Bundesebene anzugehen. Jetzt steht nichts anderes zur Diskussion, als eine weitere, europäische Ebene anzufügen, ohne dabei die Schweiz als Staat in Frage zu stellen.
Blocher: Damit geben Sie die Selbstbestimmung unseres Landes weit gehend auf. Wenn Sie wollen, dass die Schweiz ein Kanton der EU werden soll, dann sagen Sie das. Wer will die Kompetenzen, die die Kantone an den Bund abgegeben haben, an Brüssel abgeben? Die Schweizer Kantone waren damals – nach einem Bürgerkrieg – nicht überlebensfähig. Die Schweiz aber kann überleben, sie ist wirtschaftlich und freiheitlich sehr gesund. Da geht man doch nicht hin und sagt, wir geben uns auf und werfen uns in die Arme derer, die eine ganz andere Konzeption haben als wir.
Darf man ein Nein zu dieser Initiative als Nein zum EU-Beitritt interpretieren oder muss man nicht fairerweise sagen, dass ein Teil des Neins sich nur gegen die sofortige Aufnahme von Verhandlungen richtet?
Blocher: Ich hoffe, dass auch viele grundsätzliche EU-Befürworter Nein stimmen werden, wie dies ja auch Bundesrat und Parlament empfehlen. Wichtig ist, dass die Europa-Initiative am 4. März abgelehnt wird. Sicher wird dann das Ergebnis verschieden interpretiert. Die Europa-Initiative will einen sofortigen EU-Beitritt. Wird sie abgelehnt, ist der Beitritt für die nächsten Jahre vom Tisch.
Läubli: Richtig, Herr Blocher, wenn die Initiative abgelehnt wird, ist der EU-Beitritt vorerst vom Tisch. Aber die Diskussion über das Verhältnis der Schweiz zur EU wird unweigerlich weitergehen – weil sich zeigen wird, dass sich eine Isolierung der Schweiz nicht auszahlt.
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