Letztlich traut er nur einem – sich selbst
Artikel im « Tagesanzeiger » vom 30. Septemberl 2003
Christoph Blocher bestreitet seinen siebten nationalen Wahlkampf. Warum der SVP-Tribun kaum noch zu schlagen ist. Und was ihn diesmal antreibt.
Von Matthias Baer
Er könnte zufrieden sein. Doch Christoph Blocher wirkt skeptisch, fast misstrauisch, wie er an diesem Septembervormittag an einem überdimensionierten Konferenztisch sitzt – in seiner Villa ob Herrliberg, aus der er auch die Ems-Chemie dirigiert. « Es kann alles wieder ändern, der Erfolg ist nie sicher. » Auf die Freisinnigen, die ihm immer braver hinterhertrotten, baut er nicht. Vielleicht, argwöhnt er, haben diese « ihren Kurs bloss aus Opportunismus korrigiert ». Auch seiner eigenen Partei traut er nicht hundertprozentig. « Nehmen wir einmal an, wir verlören im Herbst die Wahlen. Dann würden viele Parteikollegen sagen, der Blocher-Kurs sei gescheitert, und sie würden zu wackeln beginnen. » Schon jetzt sorgt er sich über die vielen Mitläufer, die er « sehr genau » beobachten will. « Wären wir nicht erfolgreich, wären die nicht bei uns. » Es tönt fast drohend.
Gewiss, ein Paranoiker ist er nicht, der bald 63-Jährige, der als Alterspräsident die nächste Parlamentslegislatur eröffnen wird. Er registriert genau, wie perfekt es in diesem Wahlkampf für seine Partei läuft. So selbstbewusst sind die Volksparteiler inzwischen, dass sie – trotz einiger Ausreisser unter die Gürtellinie – weniger aggressiv werben als früher. In ihrer aktuellen Broschüre lassen sich die Zürcher Kandidaten wie Staatsmänner porträtieren. « Der Regierende hat einen anderen Stil als der Oppositionelle », sagt Blocher, « wir zeigen, dass wir uns auch in Bundesbern stärker an der Macht beteiligen können. »
Der vom Volk Erwählte
Doch trotz – oder vielleicht gerade wegen – dieses Rückenwindes traut Blocher nur sich selbst. Und seinem Rückhalt in der Bevölkerung. Hier, bei den « kleinen Leuten, die mich gerne haben », schöpft er seine Kraft. « Das Volk ist seine Drohmacht », sagt der Politologe Hans Hirter, « damit schüchtert er seine Gegner ein. » Blocher selbst reiht sich unbescheiden in die Aussenseiter der Schweizer Geschichte ein. Er verweist auf General Guisan, der die Nationalsozialisten weit entschiedener bekämpfte, als dies der schwankende Bundesrat tat. « In Notsituationen nahmen in diesem Land immer Leute aus dem Volk das Heft in die Hand », sagt er: « Die Bürger suchen sich Leute aus, denen sie vertrauen. »
An SVP-Veranstaltungen wird der protestantische Pfarrerssohn denn auch wie ein Erlöser gefeiert. Zum Beispiel bei einem « Puurezmorge » kürzlich in Zürich-Oerlikon. Nach seinem Referat umringen ihn Fans, die sich auf SVP-Prospekte Autogramme kritzeln lassen – darunter auffallend viele Frauen. « Sie müend z Bern usemischte » und « Nume Sie chönd d SVP im Bundesrat verträte », beschwören sie ihn. « Ich weiss », sagt Blocher, « dass ich gewisse Anhänger zu fast allem anstiften könnte. Es ist meine Verantwortung, dies nicht zu tun. » Gleich zweimal erwähnt er am « Puurezmorge », dass es in der Schweiz für « wahre Flüchtlinge » Platz haben müsse. Eine Leerformel, gewiss, aber eine, die ihm keinen Applaus einträgt.
Als Gegenmacht im Lande versteht sich Blocher durchaus. Nicht umsonst thront seine Villa, mit ihren Terrassen und Kandelabern, wie ein zweites Bundeshaus über dem Zürichsee. Er erzählt von amerikanischen Politologen, die ihn kürzlich besucht haben. « Sie wunderten sich, dass ich weder Präsident noch Minister sei. Denn überall, wo sie hinkämen, sprächen alle nur von diesem Blocher. » Er lacht sein spitzbübischstes Lachen. « Die Schweiz ist im Grunde genommen eine Art Anarchie. Die Regierenden sind nicht unbedingt die Einflussreichsten. » Eine Ausgangslage, die der Milliardär perfekt zu nutzen weiss.
Trotzdem ist Blocher nicht der Anführer einer unterdrückten Mehrheit, wie er sich selbst gerne sieht. Mit dem Nein zum EWR-Beitritt gewann er 1992 zwar eine der wichtigsten Abstimmungen der letzten Jahrzehnte. Doch seit Mitte der Neunzigerjahre verlor er beinahe alle Urnengänge, bei denen die SVP alleine gegen die übrigen Bundesratsparteien antrat – zentral jene über den Uno-Beitritt. Der Basler Historiker Georg Kreis kritisiert: « Wenn Blocher den Volkswillen generell für sich in Anspruch nimmt, geht er mit den Abstimmungsergebnissen manipulativ um. »
Traum von einer rechten Mehrheit
Solche Grenzen seiner Macht ärgern Blocher. Der amtsälteste Nationalrat verliert nur ungern, auch im Bundeshaus. « Wie die meisten Rechtsaussen-Politiker verachtet er das Parlament », vermutet FDP-Nationalrat Franz Steinegger. Und bestimmt widerstrebt ihm ein zentraler Wesenszug der schweizerischen Demokratie: die Politik des Interessensausgleichs und Konsenses. Von einem allfälligen zweiten SVP-Bundesrat fordert er einen harten Rechtskurs: « Er muss damit rechnen, wieder abgewählt zu werden. Ansonsten hat er seine Arbeit nicht richtig gemacht. » Ein neues Regierungsmitglied müsste von der Partei « sehr eng » begleitet werden. Das Vorbild ist pikanterweise Ruth Dreifuss, die als Innenministerin fast nur SP-Leute um sich scharte.
Was Blocher anstrebt, ist eine rechte Regierungsmehrheit – nicht alleine, das wäre unrealistisch, aber gemeinsam mit einem gleichgeschalteten freisinnigen Juniorpartner. Ob als Minderheit weiterhin zwei Genossen geduldet würden, ist dem Herrliberger egal. « Konkordanz- und Koalitionsregierungen haben Vor- und Nachteile, ich stehe fifty-fifty dazwischen. » Entscheidend sind die Mehrheitsverhältnisse. Solange ihm diese aber nicht passen, zieht er sich lieber auf seine Rolle als Volkstribun zurück. « Ich dränge schon deswegen nicht in den Bundesrat », sagt der gescheiterte Anwärter von 1999, « weil ich ausserhalb viel mehr Einfluss habe. »
Dort, im ausserparlamentarischen Raum, übernimmt er heute eine Funktion, die bis in die Neunzigerjahre hinein die Linke monopolisierte: die radikale Kritik an der Staatsmacht. Blocher zerrt ans Licht, was die Regierung lieber zudecken würde. Und er benützt – ganz im Sinne linker Systemkritik – Einzelprobleme, um die angebliche Morschheit des Ganzen zu beweisen. Etwa wenn er mit dem Zuwachs bei der Invalidenversicherung Stimmung gegen den Wohlfahrtsstaat macht. So sind es heute nicht mehr politisch engagierte Schriftsteller, die Pamphlete gegen die real existierende Schweiz verfassen, sondern der Politiker Blocher polemisiert. Einmal jährlich im Albisgüetli liest er dem Land die Leviten – in einer Rede, für die er jeweils an die zwanzig Entwürfe schreibt. Es könnte durchaus von Blocher stammen, was Peter Bichsel 1969 über die mangelnde eidgenössische Debattenkultur schrieb: « Die Opposition wird nicht einer Irrlehre oder eines Irrtums bezichtigt, sondern der Unanständigkeit. Mit dem Satz: ‹Das gehört sich nicht› richtet man gegen sie mehr aus als mit Argumenten. » Geisselte Bichsel einst die Ausgrenzung der Linken, wettert Blocher heute gegen den Moralismus der Anti-SVP-Front.
Natürlich wird dieses Land nicht von « Sozialisten » regiert, wie Blocher suggeriert – das zeigen schon die sozialpolitischen Rückschritte der ablaufenden Legislatur. Unbestreitbar aber ist, dass die Medien linksliberale Positionen freundlicher kommentieren als jene der SVP. Und ebenso stimmt, dass die Presse pfleglich mit dem Bundesrat umgeht – nicht, weil die Journalisten die Regierung über alles schätzten, sondern, weil sie nicht der SVP nützen wollen. Demokratiepolitisch dürfte dies die gravierendste Folge des EWR-Showdowns sein. Die damaligen Verlierer, Bundesrat und Medien, halten seither gegen den damaligen Sieger zusammen. « Wir überlassen Blocher das Monopol, heikle Seiten des multikulturellen Wohlfahrtsstaates aufzuzeigen », ärgert sich Franz Steinegger. Diese Funktion verleiht Blocher hohe Glaubwürdigkeit, obwohl er selten solide Gegenkonzepte liefert und bei seinen Kampagnen bisweilen grobe Schnitzer macht. Weil dies aber zur Opposition gehört – da waren auch die Marxisten der Siebzigerjahre keine Ausnahme -, schadet es Blocher nicht.
Vielleicht ist gerade dies das Bemerkenswerteste an der Karriere des SVP-Politikers, dass ihm heute kaum noch etwas gefährlich werden kann. Nicht nur die finanziellen Mittel nützen ihm.
Unschlagbare Vorteile
Die Geschlossenheit: In den letzten zwanzig Jahren hat Blocher erst die Zürcher, dann die eidgenössische Partei angetrieben, ihre Programmatik auszudiskutieren. « Das provozierte Streit, dafür haben wir heute eine klare Position. » Nämlich: Weniger EU, weniger Ausländer und weniger Staat. Flügelkämpfe liefert sich die SVP einzig in der Agrarpolitik. « Hier brauchen wir eine Klärung », sagt Blocher.
Der Pragmatismus: So sperrig sich der Herrliberger in seinen Kernforderungen gibt, so flexibel agiert er in vielen anderen Fragen. Damit vermindert er Angriffsflächen, etwa beim Service public. Der Staat, so Blocher, müsse die Grundversorgung zwar nicht selbst erbringen, aber garantieren. Es würde ihn auch nicht stören, wenn sich seine Basis für die linke Post-Initiative ausspräche, die in jedem Dorf eine Poststelle erhalten will. « Die absolut ideologische Position – alles privatisieren – teile ich überhaupt nicht. » Weniger stur als viele seiner Parteikollegen sei Blocher auch in der Ausländer- und Asylpolitik, urteilt SP-Nationalrat Rudolf Strahm. « In seinem Innersten ist er kein Xenophob. Das Schüren der Ausländerfeindlichkeit dient ihm zur Machtvermehrung. »
Das Handwerk: Blocher beherrscht das politische Metier wie wenige andere. Er spürt brisante Themen auf, weiss sie rechtskonservativ zu analysieren und mit einem Paukenschlag zu lancieren. Im politischen Schlagabtausch blüht er auf, wobei er weit lieber gegen Franco Cavalli oder Jean Ziegler antritt als gegen einen konturlosen Mittepolitiker. Bei all diesen Einsätzen kann er von seiner Erfahrung zehren. « Mit dem Alter wird man zwar körperlich schwächer, dafür macht man alles viel schneller. » Auch wenn SVP-Präsident Ueli Maurer sagt, Blocher sei für die Partei « heute nicht mehr so wichtig wie früher », ist er doch das alle überragende Animal politique. Freund und Feind wird er auch noch eine Weile erhalten bleiben. « Im Nationalrat höre ich 2027 auf. Dann bin ich genauso alt wie Adenauer, als er ging. » Er meint es nicht nur im Spass.
Der Patron: Anders als vielen freisinnigen Managern schadeten die Wirtschaftsskandale der vergangenen Monate Blochers Ansehen kaum. Zwar entlässt auch er Angestellte und streicht gleichzeitig Gewinne ein, doch gelingt es den Gewerkschaften nicht, dies zu skandalisieren. Er wirkt wie ein Patron, nicht wie ein kaltblütiger Unternehmer. Nicht einmal die Geschäfte mit dem gescheiterten Financier Martin Ebner belasten ihn. Erstens habe er die Beziehungen zu Ebner nie bestritten, ein Fehler, den Politiker häufig begingen. Zweitens sei Ebner bei den Kleinanlegern gar nicht so verpönt: « Er wird eher als tragischer Held gesehen. »
Der Dorfkönig: Sein Reichtum wird Blocher kaum je vorgehalten, diesem « Dorfkönig von helvetischem Format » (Georg Kreis). Ohne mit der Wimper zu zucken, bezahlt er in seiner Herrliberger Stammbeiz mit einer 1000er-Note. FDP-Ständerat Hans-Rudolf Merz sagt: « Wenn ich mich so wie er in einem Mercedes herumchauffieren lassen würde, wäre ich politisch erledigt. » Blocher, der es vom Bauernlehrling zum Milliardär geschafft hat, lässt man es durchgehen – vielleicht, weil er sich immer noch wie ein Bauer gebärdet.
Der Privatmann: Von Blocher sind keine Skandälchen zu berichten. Anders als rechtspopulistische Führer wie Le Pen oder Haider scheint er eine geerdete Persönlichkeit zu sein. Wenn er will, versprüht er Charme und Witz. Nicht einmal sein traditionelles Frauenbild kommt ihm im persönlichen Umgang in die Quere. « Auf dieser Ebene fühlte ich mich immer respektiert », sagt die ehemalige SVP-Generalsekretärin Myrtha Welti, die vor drei Jahren aus der Partei ausgetreten ist.
Warum bloss diese Skepsis?
So läuft für den SVP-Politiker alles bestens. « Der Wind im Land weht immer stärker von rechts, was auf Kosten der Solidarität geht », bestätigt Georg Kreis. Warum denn diese Skepsis in Blochers Gesicht? Im Rat oder im Fernsehen tritt er gelegentlich fahrig auf – als sei er es überdrüssig, stets das Gleiche zu sagen. « In den Sitzungen der Wirtschaftskommission », erzählt ein Nationalrat, « schwatzt es manchmal nur noch mit ihm, ziemlich autoritär. » Plagt ihn die Erfolglosigkeit an den Urnen, wo er nur noch Beinahe-Mehrheiten schafft? « Für die parteiinterne Motivation », sagt der Winterthurer SVP-Nationalrat Jürg Stahl, « brauchen wir wieder einmal einen Abstimmungssieg. » Oder realisiert er, dass der Aufstieg seiner SVP die bürgerlichen Koalitionspartner schwächte, während die SP stetig zulegte?
Er überlege sich oft, sagt Blocher, ob er mit einem konzilianteren Stil mehr erreicht hätte. « Seit der EWR-Abstimmung kam zwar die Partei voran, nicht aber die Schweiz. Der Bundesrat hielt am EU-Beitritt fest, wir kämpften dagegen an – dies hat das Land in vielen innenpolitischen Fragen blockiert. » Selbstverständlich gelangt er sogleich zur Einsicht, er habe richtig gehandelt, anders wäre es nicht gegangen. Trotzdem erstaunt dieses Fragende an einem, der sonst auf alles eine rechte Antwort hat. Nichts scheint ihm gesichert, auch nicht die Zukunft seiner SVP, wenn er dereinst abtritt. « Ich habe nie behauptet, diese Partei existiere ewig. Vielleicht kommen später andere Leute in anderen Parteien, oder es gibt eine neue Partei, die meine Anliegen vertritt. »
Blochers Redetricks
Zürich. – « Eigentlich macht Blocher beim Reden alles falsch », sagt SVP-Chef Ueli Maurer, « er verhaspelt sich, nestelt an seinem Veston herum. » Blocher selbst hat jedes Mal Lampenfieber: « Wenn ich nach vorne gehe, tragen mich manchmal meine eigenen Beine kaum. »
Wenn er aber zu reden beginnt, fesselt er seine Klientel. « Das Wichtigste », sagt Blocher, « ist nicht der Mund, sondern sind die Augen. Ich schaue die Leute an und merke sofort, ob meine Worte ankommen oder langweilen. » Blocher liest selten ab, sondern hat bloss einen Zettel mit dem Titel der Veranstaltung vor sich. Zudem benützt er eine einfache, bildhafte Sprache, was er jahrelang vor seinen vier Kindern eingeübt hat. « Als sie noch klein waren, trug ich ihnen meine Reden vor, und sie mussten aufstrecken, wenn sie etwas nicht begriffen hatten. » Dies sei meist dann der Fall gewesen, wenn er eine Sache nicht präzis genug durchdacht hatte. « Nur wer etwas im Kern begriffen hat, kann es einfach darstellen. » Ein brillanter Redner sei er nicht, sagt Blocher selber, doch beschäftige er sich ständig mit der Materie.
Dass eine einfache Sprache Differenzierungen erschwert, streitet er nicht ab. « Als Parteipolitiker darf ich parteiisch sein: Ich bin ja kein Richter, sondern ein Fürsprecher. Wenn ich zum Entscheid gelangt bin, dass 60 Prozent für eine Position sprechen, vertrete ich sie – zu 100 Prozent. » (bae)
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