Der hat das Kalb gemacht

Bundesrat Christoph Blocher äussert sich im Interview über papierlose Asylbewerber, Schengen, Kollegialität und die Auns.

03.04.2004, Bund (Christian Pauli)


«BUND»: Herr Bundesrat Blocher, Ihre Bilanz nach 100 Tagen im Bundesrat tönt sehr negativ. Haben wir wirklich einen so schlechten Staat?

CHRISTOPH BLOCHER: Ich bin nicht in den Bundesrat gewählt worden, um Lob zu verteilen. Dafür ist mein Lohn zu hoch. Ich bin hier, um zu schauen, wo die Probleme sind. Und unser Hauptproblem ist: Wir haben zu viel Staat. Da ist meine Meinung bestätigt worden.

Sie predigen Staatsabbau. Wir vermissen die konstruktiven Ansätze.

Die Benennung der Probleme ist die Voraussetzung für deren Lösung. Wir haben festgestellt, dass nur 14 Prozent der Asylsuchenden mit gültigen Papieren in die Schweiz kommen. Es ist sogar so, dass einer dumm ist, wenn er heute mit Papieren daherkommt. Diese neue Erkenntnis ist für uns ganz wichtig. Jetzt wissen wir, wo wir ansetzen müssen. Wir wollen jene begünstigen, die mit Papieren kommen.

Wie wollen Sie konkret Anreize schaffen, dass Asylsuchende sich wieder vermehrt mit Papieren präsentieren?
Ich habe Ideen, aber die sind noch nicht spruchreif. An der Grenzstelle von Kreuzlingen gab sich kürzlich einer den Namen des kantonalen Flüchtlingsdelegierten (lacht). Der hat doch einfach das Kalb gemacht. In einem solchen Fall sollten wir doch sagen: Geh wieder nach Hause!

Die St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter hat konkret die unbegrenzte Ausschaffungshaft gefordert. Was halten Sie davon?
Ich stehe diesem Vorschlag mit Sympathien gegenüber.

Diese Idee widerspricht völkerrechtlichen Auflagen.
Nicht, wenn dies periodisch überprüft wird. Selbstverständlich geht es mir nicht darum, dass einer lebenslänglich inhaftiert werden kann.

Die Bundeshausjournalisten haben Sie für Ihre Bilanzpressekonferenz auf den Polizeiwerkhof in Buchs bestellt. Wie wichtig sind Ihnen symbolische Aktionen?
Sehr wichtig. Manchmal ist das, was die Botschaft unterstreicht, wichtiger, als das, was gesagt wird. Selbstverständlich hätte ich das alles im Bundeshaus erzählen können. Ich bin aber sicher, dass auch die skeptischen Bundeshausjournalisten den Sinn dieser Aktion irgendwie begriffen haben.

Wieso haben Sie uns nicht in ein Asylzentrum bestellt?
Weil wir dort keine Probleme haben. Im Asylverfahren ist es heute so, dass die Aufnahme und Abwicklung eigentlich funktionieren, die Probleme sich aber bei der Ausschaffung stellen. Darum wollte ich keine Empfangsstelle und kein Asylzentrum besuchen, wo die Situation gut ist.

Beim eigentlichen Kernthema Ihrer Politik, in der EU-Frage, haben Sie im Bundesrat am Mittwoch eine deutliche Niederlage erlitten. Wann ist für den SVP-Bundesrat Blocher die Schmerzgrenze erreicht?
Man weiss ja schon lange, dass der Bundesrat nach Schengen will. Darauf habe ich mich einstellen können.

Aber als EJPD-Vorsteher müssen Sie das Dossier vertreten.
Ich bin nicht allein. Da gibt es noch andere, die das gerne tun, das EDA und das EVD.

Werden Sie im Abstimmungskampf auch gegen Ihre Partei, die SVP, antreten?
Der Partei ist es klar, dass ich im Kampf gegen Schengen ausfallen werde. Auf der anderen Seite werde ich mich aber auch nicht an vorderster Stelle für die Vorlage des Bundesrates engagieren müssen.

Sie schlagen vor, dass Bundesratssitzungen öffentlich abgehalten werden. Wollen Sie die Kollegialität beenden?
Ja, ich kann mir einen Systemwechsel tatsächlich gut vorstellen. Heute ist Regieren in der Schweiz geheim. Durch gezielte Indiskretion werden die Sitzungen aber ständig öffentlich gemacht, oder mindestens halböffentlich. Halbwahrheiten kursieren. Diese haben mit der Wirklichkeit oft nicht viel zu tun. Das ist nicht gut, vor allem gegenüber dem Volk. Solange die Kollegialität gilt, werde ich mich aber daran halten.

Wie erleben Sie das Klima im Bundesrat?

Was ich bisher erlebt habe, sind keine Aversionen oder Obstruktionen gegen mich. Und ich bin eigentlich mit mehr Anliegen durchgekommen, als ich erwartet hatte. Über einzelne Bundesräte äussere ich mich übrigens nicht öffentlich. Ich bringe meine Anliegen direkt an die Kollegen.

Mit dem Vorschlag, Schweiz Tourismus nur noch mit einem Franken zu unterstützen, haben Sie Ihre Kollegen provoziert.
Ja, und diese Provokation hat viel mehr bewirkt, als man sich vorstellt. Jetzt, wo die Aktion publik gemacht worden ist, kann ich Ihnen das auch erläutern. Ich wollte, dass man im Bundesrat über den Sinn und Unsinn dieser Unterstützung reden muss. Ich bin davon überzeugt, dass es für die Bergkantone sogar besser ist, wenn diese Staatsgelder nicht mehr fliessen. Abgesehen davon: Meine grundsätzliche Skepsis gegenüber Wirtschaftsförderung ist ja hinlänglich bekannt.

Wer verfasst eigentlich Ihre Vorstösse? Gemäss NZZ schreibt auch die Auns an Ihren Papieren.
Das ist blanker Unsinn. Offenbar können sich die Leute in der NZZ nicht vorstellen, dass ein Bundesrat selber schreiben kann. Mein Grundsatz ist, dass ich bei allen wichtigen Geschäften die Papiere selber aufsetze, und zwar mit Bleistift auf Papier. Die Sekretärin tippt es dann ab.

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