Weniger neue Asylgesuche seit Fürsorgestopp

Bundesrat Blocher für bessere Integration der Flüchtlinge

18.11.2004, Neue Zürcher Zeitung (Beat Waber und Christoph Wehrli)

Der Ausschluss von Asylsuchenden mit Nichteintretensentscheid aus der Fürsorge – Beschränkung auf Nothilfe – ist nach wie vor umstritten. Bundesrat Christoph Blocher nimmt zur Kritik Stellung und legt dar, wie er die Zahl unbegründeter Asylgesuche reduzieren und die Aufnahme von Verfolgten verbessern will. Er äussert sich auch zu anderen aktuellen Fragen aus dem Bereich des Justiz- und Polizeidepartements.


Das Berner Verwaltungsgericht hat geurteilt, die Nothilfe an Personen, auf deren Asylgesuch nicht eingetreten worden ist, dürfe nicht an die Bedingung geknüpft werden, dass die Person bei der Beschaffung von Reisepapieren kooperiere. Hatten Sie das erwartet?

Nein. Doch es berührt unser Grundanliegen nicht. Es geht um Leute, die das Land verlassen müssen. Wir geben ihnen aber Nothilfe, die das überleben garantiert. Was das Gericht entschieden hat, ist nicht ganz unbedenklich. Die Praxis kann benützt werden für Missbräuche.

Die Berner Regierungsrätin Dora Andres sieht allerdings Handlungsbedarf.
Wir haben ein Problem mit den Leuten, die sich weigern, ihre Papier zu zeigen, um die Ausschaffung zu verhindern. Jetzt verstärkt sich die Tendenz, dass die Ausschaffungshaft unbefristet sein müsse. Da hat Frau Andres recht. Dies und die Durchsetzungshaft werden in der Asylgesetzrevision verstärkt aufs Tapet kommen. Der Bundesrt hat ja schon entschieden, dass die Dauer der Ausschaffungshaft zu verlängern sei.

Sie wollen die Nothilfe unattraktiv gestalten. Stellen Sie dieses Recht denn an sich in Frage?
Nein, wir lassen niemand verhungern. Aber wer illegal, ohne Aufenthaltsbewilligung da ist, muss nach Hause. Wenn sich jemand sagen kann, für mich wird gesorgt, selbst wenn ich stehle oder wenn ich meine Identität nicht preisgebe, dann wird es problematisch.

Von den Kantonen her verstärkt sich aber auch die Kritik, der Bund wälze die Probleme einfach auf sie ab. Was antworten Sie den Kantonen?
Wir decken den Kantonen die Kosten, die ihnen entstehen. Pro Nichteintretensentscheid zahlen wir 600 Franken. In den ersten drei Monaten machte dies eine Million Franken aus. Für die Nothilfe wurden effektiv nur etwa 160 000 Franken aufgewendet, dazu 450 000 Franken für Investitionen; wir wollen aber nicht, dass neue Infrastrukturen errichtet werden. Wir müssen die Leute, die illegal da sind, vielmehr zur Rückkehr veranlassen. Die Praxis hat es auch in anderen Ländern gezeigt: Wenn man mit den Leistungen an die abgewiesenen Asylsuchenden zurückfährt, gehen die Leute schneller nach Hause. Zudem wollen wir, dass weniger Leute ohne Asylgrund in die Schweiz kommen. Und in dieser Hinsicht steht die Schweiz wesentlich besser da als die anderen europäischen Länder. Die Zahl der Asylgesuche sank vom Frühjahr 2004 bis September 2004 um 29 Prozent, während in den anderen westeuropäischen Ländern in der gleichen Periode die Gesuche stabil geblieben oder gestiegen sind. Ein Grund dürfte sein, dass wir die blosse Nothilfe eingeführt und den Druck auf den Asylvollzug erhöht haben. Dänemark hat die Sozialhilfe für das ganze Verfahren der Asylsuche reduziert und hat seither 70 Prozent weniger Asylsuchende, und von denen, die noch kamen, waren der Grossteil echte Flüchtlinge – bei uns sind es lediglich 7 bis 8 Prozent.

 

Im Bericht über die ersten drei Monate wird festgehalten, es sei für ein Urteil noch zu früh. Dennoch will der Bundesrat das System der blossen Nothilfe auf alle abgewiesenen Asylsuchenden ausdehnen.
Das haben der Bundesrat und der Nationalrat bereits beschlossen. Die grossen Städte befürchten Kriminalität und Bettelei. Die Kantone sind nicht grundsätzlich gegen dieses System. Das Problem sind die Fristen und Beträge. Da müssen wir Anpassungen vornehmen. Wenn Asylsuchende jahrelang da sind, sind die vorgeschlagenen Fristen für die Ausreise zu kurz.

Und wie schätzen Sie die Gefahr der Kriminalität ein?
Die Städte waren immer gegen das Konzept; Sozialhilfe zu geben, ist eben auch einfacher. Von den Personen mit Nichteintretensentscheid fielen in den ersten drei Monaten (April bis Juni) 1,1 Prozent wegen Diebstahldelikten auf und 1,6 Prozent wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz, was eine tiefe Zahl ist. Von einer signifikanten Zunahme kann man keinesfalls sprechen.

Es ist anzunehmen, dass viele Weggewiesene in eines unserer Nachbarländer gehen. Das System von Dublin, dem sich die Schweiz anschliessen soll, erlaubt es, festzustellen, woher diese Menschen kommen. Ist nicht damit zu rechnen, dass sie hierher zurückgeschickt werden?
Gemäss Dublin müssten wir solche Personen zwar wieder zurücknehmen. Aber der Vorteil ist, dass wir Zweitgesuche auch abgeben können. Die internen Massnahmen der Staaten – das sagen mir auch alle, die bei Dublin schon dabei sind – sind allerdings viel wichtiger. Je weniger erstmalige Gesuche ein Land hat, desto weniger muss es allenfalls zurücknehmen.

Sie haben die Aufnahme echter Flüchtlinge erwähnt. Die Asylgesetzrevision sieht für Kriegsflüchtlinge und ähnliche die humanitäre Aufnahme vor. Sie waren dagegen, der Bundesrat hält aber daran fest. Werden Sie dafür kämpfen?
Gegen die humanitäre Aufnahme, wie sie der Nationalrat vorsieht, sind alle Kantone, weil sie nach sieben Jahren die Aufgenommenen in ihre Obhut übernehmen müssten. Ich war der Meinung, es handle sich hierbei nur um einen kleinen Teil der heute 23 500 vorläufig Aufgenommenen. Unterdessen habe ich bemerkt, dass 95 Prozent in die neue Kategorie fallen würden. Da kommt die Frage der Bezahlung auf, ebenso die des Familiennachzugs.

Die humanitäre Aufnahme soll aber gerade den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern und so die Fürsorgekosten vermindern.
Wir suchen jetzt mit den Kantonen eine Lösung, die sie tragen können. Es gibt verschiedene Möglichkeiten.

Ist es nicht ein Illusion, mit einer Rückkehr der Aufgenommenen in ihre Heimat zu rechnen?
Wenn jemand in einer Weise verfolgt ist, dass er nicht zurückkehren kann, müssen wir ihn wie einen Flüchtling behandeln. Das wäre konsequent, dafür setze ich mich ein. Aber es kommt noch etwas dazu. Heute haben wir Flüchtlinge in der Schweiz, die seit zwölf Jahren da sind und immer noch von Sozialleistungen leben. Wir sollten sie in kurzer Zeit ausbilden, damit sie möglichst rasch ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten können. Dabei wären sie den Einheimischen auf dem Arbeitsmarkt gleichgestellt.

Was haben sie konkret vor?
Ich habe für die gezielte Integration einen Projektauftrag erteilt. Wir haben ja auch viele Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die hier geboren sind und keine gute Ausbildung haben. Sie sind auf Stellen ausgerichtet, die mit den flankierenden Massnahmen wegrationalisiert werden dürften. Auch hier muss gezielt etwas geschehen.

Sollen auch Kriegsflüchtlinge für längere Zeit aufgenommen werden?
Ein Krieg ist kein Dauerzustand. Kriegsflüchtlinge sind nicht auf Dauer humanitär aufzunehmen. Nach dem Krieg müssen sie wieder zurückkehren. Nach dem Kosovokrieg war dies ja auch der Fall.

Wie sieht die weitere Zukunft aus?
Wir müssen den Zustrom von Leuten ohne Asylgründe zurückbinden und vor allem das Problem der Papierlosen bekämpfen. Von den anerkannten Flüchtlingen haben 70 Prozent Papiere, von den anderen haben 80 Prozent keine. Erste Massnahmen sind ergriffen worden: Asylsuchende ohne Ausweispapiere können zum Beispiel kein Handy kaufen und keinen Fahrausweis bekommen. Wenn wir die genannten Probleme im Griff haben, können wir eine Asylpolitik betreiben, die grösserflächiger ist. Denn das heutige Asylverfahren ist nicht für eine Massenwanderung gemacht.

Ein anderes Thema: die Einbürgerung. Sie haben einen Bericht in Auftrag gegeben. Und die Ständeratskommission hat gerade neue Vorschläge präsentiert. Wie stellen Sie sich dazu?
Bei der Bestandesaufnahme geht es zum Beispiel um die Frage der Moblilitätshindernisse und zunehmend auch um das Doppelbürgerrecht. Manche, speziell Muslime, können gar nicht auf ihr erstes Bürgerrecht verzichten. Da stellt sich die Frage: Wo liegt nun die Loyalität? Ich habe hier aber noch keinen Entscheid gefällt. Wir brauchen noch bis etwa Mitte des nächstens Jahres. Beim Verfahren bin ich für eine demokratische Einbürgerung. Es stellt sich aber die Frage, ob man mit einem Beschwerderecht noch voll demokratisch sein kann.

Kommt eine neue Einbürgerungsvorlage?
Nach drei Nein mit einer neuen Einbürgerungsvorlage zu kommen, wäre chancenlos und auch respektlos.

Sie haben kürzlich eine Revision des Staatsschutzgesetzes angekündigt, mit der präventive Telefonabhörungen möglich werden sollen. Weshalb erachten Sie dies als nötig?
Wir haben im Bundesrat den Grundsatzentscheid gefällt, aber noch nicht konkretisiert. Der Fall des mutmasslichen Terroristen Achraf hat erneut gezeigt, dass andere Länder weniger restriktiv sind. Spanien konnte verdächtigte Personen präventiv abhören, auch bei Telefongesprächen aus der Schweiz. Ich bin aber entschieden dagegen, zu weit zu öffnen und gleich jeden abhören zu lassen. Wir planen deshalb, nicht einen Leiter der Nachrichtendienste, der Bundeskriminalpolizei oder der Kantonspolizei zu präventiven Abhörungen zu ermächtigen, sondern zum Beispiel ein kleines Gremium, das zum Beispiel aus drei pensionierten Strafrichtern bestehen würde. Es sollen erfahrene Personen sein, es muss rasch gehen, und die Stelle muss nicht permanent besetzt sein, weil wir gar nicht Hunderte solcher Abhörungen wollen. Denkbar ist auch ein Entscheid auf Stufe Departement oder Bundesrat. Der Persönlichkeitsschutz muss auf jeden Fall gewährleistet sein.

Wo besteht überhaupt eine Lücke?
Bei Verdacht auf Vorbereitungshandlungen oder Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung greift ja bereits das geltende Strafrecht. Man braucht aber viel, um den Verdacht zu erhärten – etwas zu viel. Wir haben nach der Fichenaffäre die Behörden wohl etwas zu stark zurückgebunden. Jetzt müssen wir den richtigen Mittelweg finden. Wird jemand als gefährlich eingeschätzt – zum Beispiel gewaltbereite Extremisten oder aufgrund von Hinweisen ausländischer Behörden -, so stellt sich die Frage, ob man bereits mit der Abhörung einsetzen darf, auch ohne konkreten Verdacht auf eine Vorbereitung von Straftaten.

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