«Ich bin für Verbote»

Nachdem er am Montag Bilanz gezogen hat, blickt Christoph Blocher im Interview nach vorn. Er äussert sich zur Sanierung von AHV und Staatshaushalt, kritisiert das CO2-Gesetz und plädiert für Verbote statt komplizierte Regulierungen. Sein Ziel? Ein «ökonomisches Wunderwerk».

22.12.2004, St. Galler Tagblatt (Heidi Gmür)

Das Jahr 2004 war für den Bundesrat ein relativ erfolgloses Jahr. Das Stimmvolk hat Avanti, Mietrecht, AHV-Revision und Steuerpaket abgelehnt. Ist der Aufbruch zur «bürgerlichen Wende», den sich die SVP nach Ihrer Wahl erhofft hat, schon gestoppt?
Die SVP sagte, dass die Wende nötig wäre. Ich habe nie an die Wende geglaubt, nur weil einer mehr von einer anderen Partei im Bundesrat ist. Die Frage ist, ob sich etwas zum Besseren gewendet hat.

Und, wurde es besser?
Es stimmt, das Volk hat relativ viele Vorlagen verworfen – aber sie stammten alle von der früheren Regierung und dem früheren Parlament. Vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, dass vorerst nichts geschieht. Die Schweiz ist in einer Umbruchsituation, das zeigt auch meine Wahl in den Bundesrat. Es ist wie bei einem Unternehmen, das in die falsche Richtung läuft. Da ist ein Marschhalt nötig, bis man weiss, wohin es geht.

Trotzdem: Das Steuerpaket und die AHV-Revision wurden im Mai von den Bürgerlichen als Aufbruch interpretiert. Wie wollen Sie nun die AHV sanieren?
Es ist schwer zu sagen, warum die AHV-Revision genau verworfen wurde. Vielleicht wollte man zuviel auf einmal, man könnte vielleicht Einzelteile bringen. Zum Beispiel das Rentenalter 65 für alle, da könnte man eine Mehrheit hinbringen.

Ein gestaffeltes Vorgehen also.
Ja, wenn man zehn Veränderungen bringt, ist die Gefahr grösser, dass es fällt.

Auch das Steuerpaket, für das Sie selber aktiv geworben hatten, wurde abgelehnt. Wie müsste hier eine neue Vorlage aussehen?
Hier gilt das gleiche. Wir haben verschiedene Dinge vermischt. Es gab Entlastungen der Familie und der Hauseigentümer, es gab aber auch Mehrbelastungen. Der Bundesrat hat jetzt von einem Marschhalt gesprochen, es soll eine Gesamtkonzeption geben. Das Dringlichste ist sicher die Unternehmenssteuerreform. Sie bringt Arbeitsplätze.

Sie glauben explizit nicht, dass es ein Votum gegen Sozialabbau und Steuersenkungen war?
Es war ein Votum gegen diese Steuersenkung und gegen diese AHV-Reform. Schauen Sie das Jahr 2003 an, da wurden alle sozialen Verbesserungen verworfen. Das war alles gegen links. Und nun war alles gegen rechts. Es ist eine gewisse Stillstandsituation eingetreten, weil man sagt, lieber machen wir nichts, als etwas Falsches.

Und was kommt nach dem Stillstand?
Auf parlamentarischer Ebene spricht man derzeit von Polarisierung, es heisst, man bringe nichts mehr zustande. Das wäre die einfache Schlussfolgerung. Aber ein Beispiel aus meinem Departement zeigt, dass es nicht so sein muss: Ich habe gesehen, dass man das Bundesgerichtsgesetz nicht durchbringen wird und habe es gestoppt. Jetzt hat das Parlament die neue Vorlage praktisch einstimmig gutgeheissen, ohne dass sie völlig anders wäre. Man kann die Polarisierung also auch überwinden, indem man das Gespräch mit den Parteien sucht. Zu oft aber hat der Bundesrat bisher isoliert beschlossen und gesagt: Vogel friss oder stirb!

Ihr Gegenrezept tönt simpel.
Es gibt sicher Fälle, wo das nicht möglich ist, dort muss man eben eine breite Koalition erreichen. Zum Beispiel in der Ausländer- und Asylpolitik. Da muss man fühlen, wo das Volk die Präferenz hat. Bei der Ausländerpolitik wird das eher eine bürgerliche sein, in anderen Fragen eher eine linke. Das wird das Vorgehen für die Zukunft sein. Ich sehe da nicht so schwarz.

Sie kritisieren die «Verregulierung» der Wirtschaft, die Wachstum verhindert. Warum sind Sie gegen Parallelimporte?
Weil es ein grosser Eingriff in die Eigentumsfreiheit ist. Wenn ich etwas entwickle und patentiere, darf ich doch sagen, wo man das verkauft. Ansonsten wird niemand mehr forschen.

Wo wollen Sie denn die Deregulierung ansetzen?
Ja, bauen Sie mal ein Haus, eine Fabrik! Da gibt es Vorschriften, Einsprachen, es ist unglaublich. Allein im Umweltbereich wird bis ins Detail reguliert. Oder stellen Sie privat eine Person an – und zwar legal, mit AHV, Pensionskasse und Ferienregelung. Das ist fast nicht möglich, das ist so kompliziert.

Es sind immerhin Vorschriften zum Schutz der Umwelt und zum Schutz der Arbeitnehmer.
Ja natürlich, es gibt immer etwas! Die Frage ist, kann man denn die Umwelt nicht einfacher schützen?

Wie?
Beispiel CO2-Abgabe: Da müssten sie mal sehen, was die Unternehmer alles machen müssen. Wir können das natürlich alles tun, aber man muss dann nicht klagen, wenn die Wirtschaft nichts wächst.

Sollen die späteren Generationen die schlechte Luft erben?
Nein. Aber ich bin natürlich für klare Grenzwerte oder Verbote.

Für Verbote?
Ja, man kann sagen, soviel darf man ausstossen und dann ist fertig. Ich war nie dagegen, dass man Autos mit Katalysatoren einführt, das ist eine kleine Regulierung. Autos ohne Katalysatoren sind verboten.

Das müssen Sie schon genauer erklären.
Also: Man kann sagen, du kannst da bauen, wenn du das bis ins Detail so machst und so machst und so weiter. Aber man könnte auch sagen: Wir haben hier ein Grundstück, hier die Abstände und die Höhe, darauf kannst du bauen. Punkt. Das wäre eine ganz einfache Regulierung.

Und bei den Schadstoffen?
Da kann man auch sagen: Diese Schadstoffe darfst du ausstossen, jene nicht. Das haben wir bei den Autos gemacht.

Am CO2-Ausstoss ändert dies allerdings nichts.
Nein, aber wenn Sie den nicht mehr wollen, dann sagen Sie es, dann darf man das eben nicht mehr machen. Aber es will ja niemand das Auto verbieten. Also haben Sie den CO2-Ausstoss.

Es geht um Anreize, damit weniger Auto gefahren wird.
Ja und wer profitiert davon? Der Zürcher, aber nicht der Münstertaler. Das CO2-Gesetz ist für die Industrie ein unglaubliches Beispiel für Regulierung, es ist ein Beraterfirma-Bürokratie-Gesetz. Das können wir tun, aber dann schwächen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit massiv.

Zurück zur Finanzpolitik: Auf Ihren Antrag soll der Bundesrat abklären, wie die Ausgaben um 40 Prozent gekürzt werden können. Das ist unrealistisch – was erreichen Sie damit?
Ich sage nicht, wer welche Anträge stellt. Aber ich würde das machen. Die Frage ist: Geben wir zuviel Geld aus? Ich bin der Meinung ja, darum brauchen wir so hohe Steuern und Abgaben und lähmen unsere Wirtschaft. Wenn Sie die nun senken wollen, müssen Sie fragen, was ist wichtig und was nicht. Und wie finden Sie das heraus? Indem Sie sagen, jetzt nehmen wir mal an, der Staat gäbe 30 oder 40 Prozent weniger aus und schauen, was dann passiert. Man kann sich dann immer noch mit 10 oder 20 Prozent begnügen.

Wo sind denn derart kräftige Ausgabenschnitte möglich?
Ich möchte die Frage nicht beantworten. Sie ist bereits falsch gestellt. Sobald einer ruft, das wäre die Lösung, ist die übung bereits gestorben. Sie müssen das Ziel sehen, den Prozess, und Varianten erarbeiten.

Sie reden von Sparen und zeigen keine Möglichkeiten auf.
Ja, diesen Vorwurf muss man halt ertragen. Ich habe aber in meinem Departement 10 Prozent als Vorgabe genommen – und musste keine wesentlichen Aufgaben streichen.

Die Vorgabe von 40 Prozent ist ein Tabubruch, wie Sie ihn bewusst gerne pflegen. Das löst vor allem Abwehrreflexe aus.

Zunächst natürlich schon. Aber sie müssen den Vorgang den Leuten eben auch begreiflich machen. Die Vorgabe muss einfach relativ hoch sein, damit am Schluss nicht einfach überall ein wenig gespart wird.

Wie müsste die Schweiz aussehen, damit Sie eines Tages mit Genugtuung zurücktreten könnten?
Das werde ich nie tun können. Ich war 30 Jahre Unternehmer und habe immer noch über die Probleme gesprochen, die wir haben und lösen müssen.

Wie sähe sie aus, damit Sie einigermassen zufrieden wären?
Wenn die Schweiz sagen könnte: Wir sind bereit, eine bessere, eine erfolgreichere staatliche Ordnung zu machen als alle anderen, indem wir weniger Geld ausgeben, dem Bürger mehr Freiheit gäben, eine höhere Selbstverantwortung und mehr Arbeitsplätze hätten. Ein ökonomisches Wunderwerk also. Zweitens, dass wir die direkte Demokratie beachten, sie nicht einschränken. Und drittens, dass wir die Kraft haben, unsere Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten und nicht in diese grossen Organisationen eintreten. Dann glaube ich, geht es der Schweiz gut.

Glauben Sie denn, dieses Bild eines florierenden Unternehmens, das sie von der Schweiz zeichnen, sei mit der direkten Demokratie kompatibel?
Durchaus. Viele sagen, es sei die direkte Demokratie die für die starke Regulierung verantwortlich sei, aber so einfach ist das nicht. Die Interventionisten sind in Bern viel zahlreicher als in der Bevölkerung.

Sie glauben also, das Volk für ihre Vision eines sehr schlanken Staates gewinnen zu können?
Ich sage nicht in allen Teilen. Der Schritt ist relativ gross, vor allem dort, wo die Leute auf etwas verzichten müssen. Sozial zurückzubuchstabieren ist schwierig, Nicht-Geben weniger. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass eine Mutterschaftsversicherung so viele Nein-Stimmen kriegt. Vor allem in der Deutschschweiz. Das zeigt, dass die Bevölkerung mit der Selbstverantwortung viel weiter ist als die Politiker in Bern.

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