Gerichtsurteile dürfen nicht zu Rechtsmissbrauch führen
Christoph Blocher über die Justiz und die Regelung des Nothilfebezugs von Asylbewerbern
17.04.2005, SonntagsZeitung (Christoph Lauener)
Nach dem Bundesgerichtsurteil hatten Sie erwogen, die Verfassung zu ändern, um die Nothilfe für renitente Asylbewerber streichen zu können. Warum krebsen Sie nun zurück?
Die Verfassungsänderung ist eine Variante. Sie ist aber nicht nötig. Wir sind nach dem 3:2-Entscheid des Bundesgerichts über die Bücher gegangen. Wir glauben, dass dem Rechtsmissbrauch beim Nothilfebezug auch mit einer Verfassungskonformer Gesetzeslösung entgegengewirkt werden kann.
Wie sieht diese Lösung aus?
Wenn die Notlage glaubhaft gemacht werden kann, wird der Staat die Nothilfe auch bei unkooperativem Verhalten ausrichten. Dieser neuen Variante hat der Bundesrat am Mittwoch bereits zugestimmt.
Nimmt diese Einschränkung der Massnahme nichts von ihrer starken Wirkung, die der Ständerat und Sie sich erhoffen?
Die Gefahr besteht. Aber wir werden einen gangbaren Weg finden müssen. Niemand versteht, dass Ausländer die ausreisen müssen und können und die nicht bereit sind, ihre Identität preiszugeben, dennoch vom Staat unterstützt werden. Auf der anderen Seite ist auch klar, dass wir in unserem Land niemanden verhungern lassen.
Genau das hat der Bundesgerichtspräsident Ihnen indirekt vorgeworfen: Sie liessen Leute verhungern, nur weil sie nicht mit dem Staat zusammenarbeiteten.
Das hat er mir nicht vorgeworfen. Aber etwas wird uns künftig noch stärker beschäftigen: Völker- und Menschenrechte werden oft zu Gunsten von Delinquenten so ausgedehnt, dass am Ende die Bürger den Eindruck gewinnen, ihre berechtigten Anliegen nach Schutz würden nicht mehr ernst genommen.
Gibt es konkrete Fälle?
Nehmen Sie den letzte Woche veröffentlichen Fall aus dem Kanton Zürich: Ein Asylbewerber, seit drei Wochen ausreisepflichtig, mehrmals vorbestraft, aus rechtlichen Gründen frühzeitig aus der Ausschaffungshaft entlassen, kann nicht ausgeschafft werden, läuft frei herum, bedroht eine Frau mit dem Messer, vergewaltigt sie…. Alle fragen: Wie kann es so weit kommen? Und die Behörden? Diese sagen: « Wir können nichts dagegen tun. Es fehlt die gesetzliche Handhabe. » Das darf doch nicht sein. Die Fachleute sagen mir: « Diesen Fall hätte man verhindern können, wenn es eine Durchsetzungshaft für solche Renitente gäbe. » Die Gegner dieser Haftform antworten: « Sie ist menschenrechtlich fragwürdig. » Spüren Sie das Problem?
In solchen Fällen sehen Sie gesellschaftlichen Sprengstoff?
Es bestehen in der Bevölkerung Misstrauen, dass das – oft schwammig definierte – Völkerrecht vorgeschoben wird, weil man etwas politisch nicht will. Hier gilt es, aufzupassen. Es besteht diesbezüglich ein Spannungsfeld.
Behandeln die Richter die Demokratie unter ihrem Wert?
Es ist nicht nur eine Gefahr bei Richtern, sondern in der Politik allgemein. Ich will den Richtern keine Empfehlung geben. Jurisprudenz und Politik neigen gelegentlich aus begreiflichen Gründen dazu, überstaatliche überlegungen über demokratische Entscheidungen zu stellen. Demokratie und Rechtsstaat sind aber aufeinander bezogen. Beide dürfen nicht aus den Angeln gehoben werden. Sie bedingen sich gegenseitig und sind gleichwertig. Zudem: Gerichtsentscheide haben oft grosse Wirkungen. Sie dürfen im Alltag nicht zu Rechtsmissbräuchen führen. Darum begrüsse ich die heutigen Diskussionen.
Und was sagen Sie den Richtern?
Ich versuche aufzuzeigen, dass Menschenrechte und Demokratie zwei Werte auf derselben Stufe sind. Natürlich ist die Volksstimme nicht Gottes Stimme. Und zwingendes Völkerrecht muss über der Verfassung stehen. Aber gerade weil dies so ist, muss auch die Demokratie ernst genommen werden. Sonst steuern wir auf Konflikte zu. Nicht nur der Schutz des Delinquenten, sondern auch der Schutz und die Rechte der Bürger haben ihren Wert. Ebenso der Schutz des Rechtsstaates und der Kampf gegen den Rechtsmissbrauch.
Überzeugen müssen Sie vorab die zuständige Nationalratskommission. Dort wirds schwieriger als im Ständerat.
Sie sprechen jetzt vom Asylrecht. Ja, das wird schwieriger sein. Allerdings ist die Behandlung in der nationalrätlichen Kommission gut angelaufen: Die Kommission hat am Donnerstag beschlossen, die Vorlage zu beraten. Und schlussendlich werden wir auch noch eine Volksabstimmung durchzustehen haben. Wenn wir beim derzeitigen konsequenten Konzept bleiben, ist sie zu gewinnen.
Während Sie sich im Bundesrat ziemlich wohl fühlen, hat Ihre Partei ganz andere Probleme. Wie werten Sie die Schlappe der Zürcher SVP bei den Regierungsratswahlen?
Wenn im Kanton Zürich zwei Kandidaten aus nicht linken Parteien antreten, gewinnt der, der die Unterstützung der Linken hat.
Sie sind ja immer noch Berater der Zürcher SVP: Was muss sie jetzt tun?
Nein, das bin ich nicht. Aber die Partei muss ihren Kurs selber fortsetzen: für sichere Arbeitsplätze sorgen und Zwangsabgaben senken, wie sie dies gesagt hat. Die Partei muss dies konsequent für die Bürger tun. Wenn man schwächer in der Regierung vertreten ist, dann halt ausserhalb. Zudem: Man darf die Parteien auf der eigenen Seite persönlich nicht allzu sehr verletzen Politiker sind empfindliche Menschen! Aber in der Sache muss man fest bleiben! Das ist stets eine Gratwanderung.
Hat die Zürcher Wahl nationale Ausstrahlung?
Kaum. Aber es zeigen sich Bewegungen in der Parteienlandschaft ab: Die Auseinandersetzung der Zukunft orientiert sich an den zwei grossen Grundsatzfragen: Sozialismus oder Liberalismus, mehr oder weniger Staat oder mehr Freiheit für die Bürger. Und die zweite Grundfrage betrifft die Wahrung der nationalen Souveränität. Die oberflächliche Betrachtung, welche Partei ein paar Prozente mehr oder weniger hat, wird so weniger wichtig.
Sehen Sie eine Zukunft für CVP und FDP?
Die SP und die SVP haben sich festgelegt: Die SP für mehr Staat und für den EU-Beitritt, die SVP für die Freiheit der Bürger und gegen den EU-Beitritt. Die CVP und die FDP müssen in diesem Spannungsfeld noch ihren Weg suchen. Sie sind daran.