Ein Nein am 25. September wäre negativ
Justizminister Blocher plädierte gestern mit den Bundesräten Deiss und Calmy-Rey für die erweiterte Personenfreizügigkeit. Sonst werde die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland schnell vorangehen, sagt Blocher.
05.07.2005, Berner Zeitung (Markus Brotschi)
Warum sind Sie für die Personenfreizügigkeit mit den neuen EU-Ländern?
Bundesrat Christoph Blocher: Es ist ein Wagnis, und die ganze Sache ist so gestaltet, dass man das Wagnis eingehen kann. Wir haben zahlreiche Schutzmassnahmen, um zu verhindern, dass die Arbeitslosigkeit steigt. Wir haben zunächst noch Kontingente, den Vorrang von Schweizer Arbeitskräften gegenüber den neuen EU-Ländern bis 2011 sowie das neue Ausländergesetz mit Restriktionen gegenüber Leuten von ausserhalb der EU.
Sind die Schweizerinnen und Schweizer so wagemutig, dass sie am 25. September ja stimmen?
Das wird man sehen. Die Weltwirtschaft ist in einer schwierigen Situation. Der Konkurrenzdruck ist enorm. Zum Beispiel sind die Löhne in Tschechien im industriellen Bereich tiefer als in Schanghai. Die Schweizer haben Angst, dass sie ihre Stelle verlieren könnten. Das muss man ernst nehmen.
Euphorisch stehen Sie nicht hinter der Vorlage.
Wer euphorisch hinter dieser Abstimmungsvorlage steht, macht einen Fehler. Er sagt etwas, das ohnehin niemand glauben kann. Wenn wir die Personenfreizügigkeit nicht vorsichtig handhaben werden wir in eine Situation geraten wie damals, als wir die volle Freizügigkeit mit allen Ländern der Welt hatten. Das war vor der so genannten Schwarzenbach-Initiative. Damals hat der Bundesrat eine vorsichtigere Ausländerpolitik beschlossen, und die war im grossen Ganzen auch erfolgreich. Dies wollen wir in Zukunft gegenüber den aussereuropäischen Ländern auch tun.
Es wäre für Sie keine Katastrophe, wenn am 25. September ein Nein heraus käme?
Eine Katastrophe ist es nicht. Wenn es das wäre, dürfte man gar nicht abstimmen. Man müsste bei einem Nein einen neuen Weg suchen. Das wäre schwierig. Ich bezweifle eine bessere Lösung als die Vorliegende.
Ein Nein wäre also keine Katastrophe, aber schlimm?
Es wäre negativ.
Werden Sie sich im Abstimmungskampf engagieren?
Ich bleibe meiner Auffassung treu, die ich schon vor meiner Wahl in den Bundesrat hatte. Der Bundesrat hat keine Kampagnen zu führen, ich werde mich auch in keine Kampagnen einspannen lassen. Aber ich werde, dort wo ich auftrete, die Situation darlegen und sagen, warum man es wagen sollte. Aber ich gehe an keine Podiumsgespräche und lasse mich nicht in Abstimmungskomitees einspannen.
Ist es für Sie schwierig, dass Ihre eigene Partei gespalten ist?
Nein, es ist eine natürliche Folge: Bei einem Wagnis gibt es Leute, die nein sagen und solche, die es wagen wollen. Das muss man ertragen können. Ich bin jetzt Bundesrat. Schlimm wäre es, wenn die Partei einzelnen Mitgliedern einen Maulkorb erteilen würde. Ich habe mich eigentlich gefreut, dass meine Partei das offen darlegt und beiden Seiten die Möglichkeit gibt, ihre Position offen zu vertreten.
Sie treten am Rütlirapport auf. Werden Sie dort zur Personenfreizügigkeit reden?
Warum auch? Der Rütlirapport erinnert an denselben vor 65 Jahren, ist ein festlicher Akt. Damals war beschlossen worden, die Verteidigung der Schweiz auf ihre stärkste Stelle zu konzentrieren. Es war erfolgreich, die Schweiz blieb selbständig, frei und demokratisch – ohne Krieg! Das ist denkwürdig.
Welche Branchen werden am stärksten von der Personenfreizügigkeit profitieren?
Die Wirtschaft erhält ein grosses Reservoir von Leuten, aus denen sie auslesen kann. Das dürfte sich für alle Gebiete bezahlt machen. Die Frage ist natürlich, ob das dann nicht zu mehr Arbeitslosigkeit führt. Das Arbeitsangebot in der Schweiz ist ja beschränkt. Wenn die Schweiz ein gutes Wirtschaftswachstum sowie gute Rahmenbedingungen hat etwa beim Steuerniveau, und die neuen EU-Länder so ein starkes Wirtschaftswachstum wie heute beibehalten – dann wird in den neuen EU-Ländern das Lohnniveau steigen und die Arbeitslosigkeit sinken.
Wie gross wird der Lohndruck durch Arbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern in der Schweiz werden?
Der Lohndruck wird dort, wo die flankierenden Massnahmen wirken, beschränkt sein. Es gibt ein gewisses Niveau, das nicht unterschritten werden kann. In anderen Berufsgattungen wird die Personenfreizügigkeit eher eine dämpfende Wirkung auf die Lohnsteigerung haben. Aber wenn wir die Personenfreizügigkeit nicht einführen, dann wird die Verlagerung von Arbeitsplätzen aus der Schweiz schnell vorangehen. Diese Entwicklung zeigt sich in Deutschland jetzt ganz enorm. Viele Firmen wandern ab in Billiglohnländer.
In welchen Bereichen wird es Lohndruck geben?
Jene, die über dem Lohndurchschnitt liegen, wird es mehr treffen als jene, die unter dem Durchschnitt liegen. Im Bereich der Banken, Versicherungen, der Chemie, qualifizierten Berufen, da wird das Angebot an Arbeitskräften relativ gross sein, denn in den neuen EU-Ländern gibt es gut ausgebildete Leute.
Wie schätzen Sie die Wirkung der flankierenden Massnahmen ein?
Das wird man sehen. Die können wirkungsvoll sein. Sie dürfen aber auch nicht zu starr sein, sonst haben wir einen regulierten Arbeitsmarkt und damit einen grossen Vorteil der Schweizer Wirtschaft Preis gegeben.
Wollen Unternehmer immer die günstigsten Arbeitskräfte einstellen?
Nein, die besten. Natürlich, wenn man die besten zu besseren Preisen bekommt, wird man nicht nein sagen. Aber die Qualität ist das wichtigere Kriterium als der Preis. Sonst könnten wir unqualifizierte Arbeitskräfte holen. Das wäre sicher billiger, aber sie wären vom Ausbildungsstand nicht einsetzbar.
Ist Ihr vorsichtiges Ja auch das Ja des Unternehmers Christoph Blocher?
Ich habe jetzt nur als Bundesrat zu sprechen. Aber ich bin Exportunternehmer gewesen und habe auch ausländische Arbeitskräfte eingestellt. Wir haben diese auch immer bekommen. Nur in der Überhitzungsphase von 1989/90 reichten die Kontingente nicht mehr aus.
Was sagen Sie Ihrem Parteikollegen Hans Fehr, der die Ängste vor Überfremdung schürt?
Ich muss ihm gar nichts sagen. Es hat doch jeder in diesem Land die Freiheit zu sagen, was er denkt.
Steht der Bundesrat diesmal – nicht wie bei Schengen/Dublin – einstimmig hinter der Vorlage?
Wir geben keine Stimmenverhältnisse bekannt.
Werden Sie in den nächsten Monaten doch noch bei den Gegnern auftreten und verklausuliert ein paar Statements gegen die Vorlage von sich geben?
Nein, das habe ich auch sonst noch nie gemacht und mache es auch in Zukunft nicht.