Die Kirchen reden schön, doch sie machen nichts
Das revidierte Asylgesetz ist unmenschlich und schafft mehr Sans-Papiers – sagen die Kirchen und opponieren vehement gegen die Vorlage. Das revidierte Asylgesetz verhindert Missbräuche und wahrt die humanitäre Tradition – sagt Bundesrat Christoph Blocher und bezichtigt die Kirchen der Heuchelei. Ein Gespräch.
25.07.2006, Saemann, Matthias Herren, Martin Lehmann
Herr Blocher, dem revidierten Asylgesetz erwächst grosse Opposition, gerade auch von Seiten der Kirchen. Sie sind Pfarrerssohn und Pfarrersbruder – ärgert Sie das?
Ich habe keine Mühe mit Menschen, die anderer Meinung sind als ich. Was mich hingegen erstaunt, ist die oberflächliche Opposition der Kirchen: Man bekommt fast den Eindruck, sie hätten das Gesetz gar nicht gelesen.
Wie kommen Sie denn darauf?
In einer kirchlichen Stellungnahme zum Asylgesetz war zu lesen, dass Asylsuchende ohne Reisedokumente inskünftig nicht mehr als Flüchtlinge aufgenommen werden. Das ist Blödsinn. Auch mit dem neuen Asylgesetz werden alle, die an Leib und Leben verfolgt sind, in der Schweiz aufgenommen – mit oder ohne Ausweis.
Die Kirchen machen sich im Asylbereich für den Schutz aller Menschen stark – sie setzen sich dafür ein, dass auch illegal Anwesende hier bleiben. Damit verunmöglichen sie, dass echte Flüchtlinge aufgenommen werden. Das ist heuchlerisch. Die Kirchen reden schön, doch sie machen nichts. «Christ sein heisst nicht christlich schwätzen», hat Zwingli gesagt.
Mit Verlaub, immerhin setzen sich die Kirchen an vorderster Front und ganz praktisch für Asylsuchende ein…
Dagegen habe ich nichts. Aber sie sorgen nicht dafür, dass in der Schweiz jene aufgenommen werden, die wirklich verfolgt sind – und die anderen gar nicht erst kommen. Wo ist da die Verantwortung?
Das ist aber bisweilen schwierig auseinander zu halten. Über die Aufgabe der Kirche hat ein Theologe einmal gesagt: «Lieber dreimal zu viel für die Schwachen eintreten als einmal zu wenig, lieber unangenehm laut die Stimme erheben, wo Recht und Freiheit gefährdet sind, als etwa angenehm leise.» – Wissen Sie, von wem das Zitat stammt?
Nein, doch es ist gut.
Es ist von Karl Barth, einem Theologen, der Ihnen, wie wir hören, sehr viel bedeutet.
Ich habe dem Satz nichts beizufügen und rufe die Kirchen auf, danach zu handeln.
Aber das tun sie doch gerade – z.B. mit ihrem Widerstand gegen das Asylgesetz: Sie stehen für die Schwachen ein.
Wer sind die Schwachen?
Unter anderen jene Menschen, die aus Ländern kommen, wo Not herrscht.
Dann müssten die Kirchen konsequent sein und für die Aufnahme aller plädieren, denen es schlechter geht als uns. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass das nicht geht.
Nicht einmal die Kirchen sind der Meinung, es solle kommen, wer wolle. Aber sie befürchten, dass mit den Verschärfungen die Menschenwürde mit Füssen getreten wird.
Von welchen Menschen?
Von jenen, die in der Schweiz ein Asylgesuch stellen…
…und keine Flüchtlinge sind.
Wie wollen Sie das wissen?
Behaupten Sie, dass der Staat Flüchtlinge zurückschickt? Seit 1964 haben wir 530000 Asylgesuche behandelt, 165000 Menschen wurden aufgenommen. Mir ist nur ein Fall bekannt, wo wir jemanden nicht hätten zurückschicken sollen. Er bekam bei der Rückkehr eine unverhältnismässige Gefängnisstrafe. Darauf haben wir die Rückführung in dieses Land eingestellt.
Menschenrechtsorganisationen haben weit mehr Fälle dokumentiert. Wie wollen Sie mit dem neuen, noch schärferen Gesetz garantieren, dass an Leib und Leben bedrohte Menschen auch weiterhin aufgenommen werden?
Wie gesagt: Mir sind keine anderen Fälle bekannt. Aber wo Menschen Verantwortung tragen, kann man nie ganz ausschliessen, dass Fehler passieren. Garantieren kann ich aber, dass es auch künftig nicht zu mehr Fehlentscheiden kommen wird. Auch im neuen Asylverfahren sind sehr viele Sicherungen eingebaut.
Sie verkaufen die Asylgesetzrevision als Stärkung der humanitären Tradition der Schweiz…
…ich verkaufe nichts – ich bitte Sie, die Ernsthaftigkeit dieser Vorlage anzuschauen! Das Ziel dieser Revision ist es, die humanitäre Tradition der Schweiz zu bewahren – und Missbräuche zu verhindern. Damit die Bevölkerung die Aufnahme von Flüchtlingen weiter unterstützt, müssen wir konsequenter gegen den Asylmissbrauch vorgehen – denken Sie an die Schlepper, an die Kriminellen. Das wird mit dem neuen Asylgesetz möglich.
Tatsächlich werden die Hürden massiv erhöht: Wer ohne Papiere einreist, auf dessen Asylgesuch wird gar nicht mehr eingetreten. Und reichte bislang ein Hinweis auf Verfolgung, muss sie neu glaubhaft belegt werden.
Nochmals: Ich bitte Sie, das Gesetz zu lesen! Echte Flüchtlinge erhalten weiterhin Asyl, mit oder ohne Papiere. Aber es ist heute so, dass ein grosser Teil jener Asylsuchenden, die keine Flüchtlinge sind, ihre Ausweise vernichten oder verstecken. Sie weigern sich, zu sagen, wer sie sind und woher sie kommen. Wer heute die Ausweise fortwirft, ist gegenüber Asylsuchenden mit Reisedokumenten sogar im Vorteil. Das ist nicht richtig, und das müssen wir ändern, um nicht diejenigen zu bestrafen, die zur Zusammenarbeit bereit sind. Übrigens haben von den anerkannten Flüchtlingen rund achtzig Prozent einen Ausweis. Bei den Nichtflüchtlingen ist es umgekehrt.
48 Stunden, um die Papiere zu beschaffen: Das ist sehr kurz – auch im internationalen Vergleich.
Wenn jemand seine Papiere wegwirft, reichen auch zwei Stunden. Und wenn einer glaubhaft erklären kann, warum die Papiere fehlen, kommt er weiterhin ins Verfahren – selbst dann, wenn Zweifel bestehen. Dieses Vorgehen gibt Gewähr, dass alle echten Flüchtlinge aufgenommen werden. Jeder Entscheid, ob Nichteintreten oder Abweisung, kann bei der Asylrekurskommission angefochten werden. Wer aber einen negativen Bescheid erhält, muss das Land verlassen, wenn er nicht vorläufig aufgenommen wird. Seit der Einführung des Sozialhilfestopps für Personen mit rechtskräftigem Nichteintretensentscheid im Frühjahr 2004 ist jedenfalls die Anerkennungsquote bei den Flüchtlingen von sieben auf fünfzehn Prozent gestiegen – weil weniger unechte Flüchtlinge und weniger illegale Einwanderer kommen.
Und der Prozentsatz jener, die untergetaucht sind? Kirchen befürchten, dass dieser steigt, Hilfswerke sprechen gar davon, das neue Gesetz sei eine «Sans-Papier-Fabrik», und neuerdings opponieren auch Stadtregierungen gegen die Vorlage.
Die Städte waren schon dagegen, als man beschloss, Leuten mit Nichteintretensentscheid nur noch die Nothilfe auszurichten. Die Ängste sind aber nicht gerechtfertigt. Die Ergebnisse aus dem Monitoring zeigen das Gegenteil: Nur rund ein Drittel aller Personen mit einem Nichteintretensentscheid haben Nothilfe bezogen, mehr als die Hälfte sind nie in Erscheinung getreten. Es konnte zudem weder eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit noch ein Anstieg der Kriminalität festgestellt werden. Personen mit einem Nichteintretensentscheid sind im Bereich der Kriminalität nicht problematischer als andere Personen aus dem Asylbereich.
Und wie erklären Sie sich das?
Wer hier mit Sozialhilfe einigermassen gut lebt, geht nicht gerne heim, das ist klar. Doch diese Leute müssen gehen, und darum bekommen sie nach dem ablehnenden Entscheid nur noch Nothilfe. Illegales Verhalten kann man nicht noch mit grosszügiger Sozialhilfe belohnen.
Warum ist eine weitere Verschärfung des Asylgesetzes überhaupt nötig? Wir stimmen über die nunmehr achte Revision ab, über ein Gesetz, das weiter geht als die 2002 abgelehnte SVP-Asylmissbrauchsinitiative, in einer Zeit, in der die Zahl der Asylgesuche kontinuierlich abnimmt – und sogar Sie reden von Erfolgen im Asylwesen.
Es gibt Erfolge, ja, aber es gibt immer noch grosse Probleme. Tausende weigern sich, ihre Identität offen zu legen, oder vernichten ihre Ausweispapiere. Dank einem strafferen Verfahren und dank der ruhigen Lage in Europa hatten wir teilweise Erfolg. Nach wie vor aber suchen wir die Papiere für 7000 Personen.
Schlussfrage, Herr Blocher: Angenommen, ein Pfarrer hat sich nach der Lektüre dieses Interviews von Ihrer Argumentation überzeugen lassen und möchte die Thematik auch im Gottesdienst aufgreifen – welchen Bibeltext würden Sie ihm für die Sonntagspredigt empfehlen?
Man findet für jede Situation und Argumentation einen passenden Bibeltext, da braucht es keine Empfehlung von mir.
Worüber würden Sie denn predigen?
Über die Verantwortung für die Gemeinschaft. Oder über die Nächstenliebe: Dass wir jemanden abweisen müssen, steht nicht im Widerspruch zur Nächstenliebe. Meinen Sie, eine Familie, die abgewiesen wird, aber lieber hier bleiben würde, tue mir nicht Leid? Es ist schwerer, Nein zu sagen; ich möchte die Leute auch lieber hier behalten. Aber wir dürfen den Blick aufs Ganze nicht verlieren, und darum muss man Verantwortung übernehmen und Menschen auch zurückweisen, wenn es nötig und zumutbar ist. Man tut es für diejenigen, die unsere Hilfe dringend brauchen!