Massnahmenvollzug aufgrund der neuen Strafgesetzgebung

Rede von Bundesrat Christoph Blocher an der Feier zur Eröffnung des Massnahmenzentrums Bitzi, 23. März 2007, Mosnang SG

23.03.2007, Mosnang

Mosnang. Anlässlich der Eröffnung des Massnahmenzentrums Bitzi in Mosnang ging Bundesrat Christoph Blocher auf die Grundfrage ein, welches Ziel mit der Strafe verfolgt werde. Gemäss neuem Strafgesetzbuch habe der Strafvollzug das soziale Verhalten des Gefangenen zu fördern, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu leben. Ein Massnahmenzentrum biete die Möglichkeit, Täter mit psychischen Störungen zu therapieren.

Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.

Anrede

Lassen Sie mich mit einer Grundfrage beginnen, welche die Menschheit seit Jahrhunderten beschäftigt.

Sinn und Zweck der Strafe

Was ist Sinn und Zweck der Strafe? Wozu dient die Strafe?

Liegt der Sinn der Strafe in der Vergeltung, der Rache? Der Abschreckung, der Prävention? Der Wiedereingliederung in die Gesellschaft oder dem Schutz der Gesellschaft?
Nach heutigem Verständnis haben Strafen ihren Zweck einerseits in der Vergeltung und in der ausgleichenden Gerechtigkeit, andererseits aber auch in der Verhinderung von künftigen Straftaten.

Das neue Strafgesetzbuch hält fest: Der Strafvollzug hat das soziale Verhalten des Gefangenen zu fördern, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu leben. (Art. 75 Abs. 1 StGB).
Der Förderung des sozialen Verhaltens, dem Gedanken der späteren Wiedereingliederung in die Gesellschaft wird also grosse Bedeutung beigemessen.

Was allerdings kein wirklich neuer Ansatz ist, und zudem ein Ansatz, den wir mit nötigen Fragezeichen zu versehen haben. Da alle Straftäter früher oder später aus dem Strafvollzug entlassen werden, ist es sicherlich vernünftig, die Strafe möglichst so zu gestalten, dass der Wiedereintritt des Straftäters in die Gesellschaft einigermassen reibungslos verlaufen kann.

Aber: Weder während des Strafvollzuges noch nach dem Strafvollzug darf der Täter eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen! Dieser Gedanke ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten eindeutig zu kurz gekommen. Es mussten erst grausame Verbrechen von Freigängern geschehen, bis der Strafvollzug den Schutz der Bevölkerung wieder ins Zentrum stellte. Dazu musste auch das von den 68ern geprägte Prinzip der „Resozialisierung“ korrigiert werden.
Über Jahrzehnte gerieten Rechtssprechung und Strafvollzug ins Fahrwasser einer Ideologie, die im Straftäter in erster Linie ein Opfer der Gesellschaft, des „Systems“ sah. Mit entsprechenden Folgen für die Strafmasse und den Strafvollzug.

Warum braucht es Massnahmenzentren wie Bitzi?

Umstritten bleibt die Frage, wie man soziales Verhalten fördert und erreicht. Damit beschäftigen sich im ganzen Land über einhundert Gefängnisse und Strafanstalten, in denen Gerichtsurteile vollzogen werden. Sie unterscheiden sich bezüglich Grösse, Sicherheit, Unterbringung, Arbeits- und Bildungsangeboten, Geschlossenheit oder Offenheit. Eine Besonderheit stellen dabei die Massnahmezentren dar.

In einem Massnahmezentrum werden so genannte „Massnahmen“ vollzogen. Das heisst, in solchen Zentren werden Behandlungen ermöglicht für Täter, deren Tat auf eine psychische Abnormität, eine psychische Störung oder eine krankhafte Abhängigkeit zurückzuführen ist. Man versucht den Täter so zu therapieren, dass Rückfälle verhindert werden. In schweren Fällen ist dabei die Behandlung in einer geschlossenen Einrichtung unerlässlich.
Am besten geschieht dies in Massnahmezentren. Oft muss es auch in weniger geeigneten Strafanstalten geschehen.

Massnahmen haben also je nach Täter verschiedene Aufgaben zu erfüllen: Sie dienen der Besserung der Besserungsfähigen – oder der Einsprerrung der Unverbesserlichen.

Massnahmen in Gefängnissen oder psychischen Kliniken

Psychisch schwer gestörte Insassen in Gefängnissen bringen für den normalen Betrieb grosse Probleme mit sich. Der „normale“ Strafvollzug hat nicht die Mittel, die für diese Täter benötigt werden. Ihnen kann nur mit speziellen Behandlungsmethoden und Betreuungsprogrammen geholfen werden. Eben mit den so genannten Massnahmen. Dazu braucht es aber geeignete Gebäude und geschultes Personal. Schon seit vielen Jahren wird darauf hingewiesen, dass es nicht ausreichend Einrichtungen für die Behandlung von psychisch kranken Tätern gibt. Die psychiatrischen Kliniken können nur wenig beitragen. Sie sind für Straftäter schlecht eingerichtet und in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend offener geworden. Die Betreuung vom flucht- und gemeingefährlichen Straftäter ist dort unmöglich.

Genugtuung über die Eröffnung des Massnahmezentrums Bitzi

Mit der Eröffnung des Massnahmenzentrums Bitzi werden jetzt zusätzliche Plätze geschaffen. Von allen Strafurteilen, die im letzten Jahr in der Schweiz gefällt wurden, betraf zwar lediglich ein Prozent eine so genannte Massnahme. Aber im Strafvollzug sind Prozentrechnungen nur bedingt eine Richtgrösse. Heute bestehen in der Schweiz Massnahmezentren wie St. Johannsen im Kanton Bern, La Pâquerette im Kanton Genf, Schachen im Kanton Solothurn und jetzt neu Bitzi im Kanton St. Gallen.

Massnahmenvollzug nach dem neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches

Mit dem neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches wurde bei den Massnahmen eine Reihe von Neuerungen eingeführt.

Es sind neu Grundsätze für die Anordnung von Massnahmen festgelegt worden.
So beispielsweise das Prinzip der Verhältnismässigkeit, die notwendige Begutachtung und die Möglichkeit eines vorzeitigen Massnahmenantritts.

Die stationäre Behandlung von psychischen Störungen soll wenn nötig in einer geschlossenen Einrichtung durchgeführt werden können. Alle fünf Jahre muss sie – falls notwendig – durch ein Gericht verlängert werden.

Ebenfalls neu geregelt ist die Entlassung aus einer stationären Massnahme: das entscheidende Kriterium für eine bedingte Entlassung ist eine ausreichend gute Bewährungsprognose.

Wichtig ist, dass auch klar definiert ist, wer letztlich eine Entlassung anordnet und damit auch Verantwortung für diesen Entscheid zu übernehmen hat. Eine klare Zuteilung der Verantwortung ist wohl der beste Weg, die Bevölkerung vor Experimenten mit gemeingefährlichen Straftätern zu schützen.

Für schwere Straftäter, bei denen die Rückfallgefahr trotz Therapie nicht beseitigt werden kann, ist die nachträgliche Verwahrung ausdrücklich möglich.

Besonderheiten des Massnahmenzentrums Bitzi

Bitzi schafft hier neu 16 Plätze im geschlossenen Teil und 36 Plätze in der offenen Betreuungsabteilung.
Trotz dieses offenen Teils wird den erhöhten Ansprüchen an die Sicherheit genügt.
Die Aufteilung in kleine, überschaubare Einheiten lässt für die Zukunft Möglichkeiten offen, ohne grosse Zusatzinvestitionen angemessene Veränderungen vornehmen zu können.

In der Landwirtschaft, der Gärtnerei und der Schreinerei gibt es Arbeitsplätze, die den unterschiedlichen Fähigkeiten der Inhaftierten entgegenkommen. Es werden ihnen Entwicklungsschritte ermöglicht. Ich bin überzeugt, dass Lösungen für diese schweren Aufgaben gefunden werden können, wenn das klare Ziel immer vor Augen gehalten wird. Und dieses Ziel ist die Verbesserung des Verhaltens der Inhaftierten, der Schutz vor Rückfällen und damit: der Schutz der Gesellschaft.

Dank

Den Verantwortlichen und den Mitarbeitenden des Massnahmenzentrums Bitzi wünsche ich für die Zukunft viel Kraft und Erfolg. Sie haben eine schwierige Aufgabe, die Sie – auftragsgemäss – abgeschirmt von der Öffentlichkeit erfüllen. Trotzdem nehmen ich und viele andere wahr, wie wichtig Ihre Arbeit für uns alle ist. Dafür danke ich Ihnen. Und ich gebe meiner grossen Hoffnung Ausdruck, dass Sie die hohen Erwartungen, die mit dieser neuen Einrichtung an Sie gestellt werden, erfüllen; und dass somit diese Einrichtung als Ganzes die hohen Erwartungen, die die Gesellschaft zu Recht an den heutigen Strafvollzug stellt, erfüllen wird.

Dem Ostschweizer Konkordat danke ich für die Initiative und die Realisierung dieses Vorhabens!

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