Die Bedeutung von KMU in Randgebieten
Referat von Bundesrat Christoph Blocher am Wirtschaftsforum der Sarganserländischen Industrie- und Gewerbeausstellung, 3. Mai 2007, in Mels
Bern. Bundesrat Christoph Blocher erörterte in seinem Referat am Wirtschaftsforum der Sarganserländischen Industrie- und Gewerbeausstellung in Mels die Rolle der KMU in der Schweiz und hielt fest, dass diese kleinen und mittleren Betriebe der wichtigste Bestandteil des Wirtschaftsstandortes Schweiz sind. Darum plädierte er im Anschluss für eine KMU-freundliche Politik, welche mit wenigen Gesetzen und tiefen Steuern die Unternehmen entlasten soll.
03.05.2007, Bern
Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.
1. Über die Bedeutung von „Randgebieten“
Eine Industrie- und Gewerbeausstellung ist immer eine stolze Leistungsschau der lokalen Wirtschaft. In diesem Jahr sollen sich über 300 Betriebe aus dem Sarganserland angemeldet haben. Das wäre ein Rekord. Sie haben mich gebeten, über „die Bedeutung der KMU in Randgebieten“ zu sprechen. Wenn wir diese Ausstellung abschreiten, erübrigt sich eigentlich eine Antwort: Die Bedeutung der kleineren und mittleren Unternehmen für die Schweizer Wirtschaft ist unbestritten. Das gilt natürlich auch für die Region Sargans, die in diesem Referatstitel etwas despektierlich als „Randgebiet“ bezeichnet wird. Diese Einschätzung hängt jedoch immer davon ab, wo man steht: Für einen Sarganserländer ist das Sarganserland der Mittelpunkt, und Zürich würde zum „Randgebiet“. Ich habe aber auch ein persönliches Interesse, dass das Sarganserland kein Randgebiet ist.
Sie wissen ja, dass ich auch ein Leben vor dem Bundesrat hatte – ich führte ein Unternehmen, die EMS Chemie. Ich kann da nur sagen, wenn Sargans ein Randgebiet ist, dann liegt Domat/Ems, der Hauptsitz meines früheren Unternehmens, am Ende der Welt. Ich habe übrigens die Lage nie als Nachteil empfunden. Denn wer nur die Nachteile sieht, erntet auch nur Nachteile. Ich weiss von verschiedenen Gewerbetreibenden, dass sie in den ländlichen Gebieten vor allem die Fähigkeiten der Arbeitnehmer schätzen: Ihren Fleiss, ihr Qualitätsbewusstsein, ihre handwerkliche Begabung. Das war für uns in Domat/Ems genauso.
Wir können also festhalten: Die Bedeutung der KMU gilt für die ganze Schweiz. Das verdeutlichen auch folgende Zahlen:
* 99,7 Prozent aller Betriebe in der Schweiz sind kleine und mittlere Unternehmen.
* Rund zwei Drittel aller Beschäftigten arbeiten gesamtschweizerisch in KMU-Betrieben. In der Region Sargans werden es noch wesentlich mehr sein.
* Die KMU sind der wichtigste Berufsausbildner für junge Menschen. Ich komme noch darauf zu sprechen.
* Die KMU bilden den heimischen Mittelstand und sind also auch jene Gruppe, die das Steuersubstrat wesentlich erbringt. Oder anders gesagt: Es sind gerade die Leistungsträger aus dem Mittelstand, die vom Staat besonders gemolken werden.
2. Das Märchen von der KMU-freundlichen Politik
Wenn wir uns diese Fakten vor Augen halten, dann müsste eigentlich jedem in der Politik klar sein: Die KMU bilden das Rückgrat der Schweizer Volkswirtschaft. Die KMU und ihre Angestellten machen den Schweizer Mittelstand aus. Wir tun also gut daran, die Bedingungen für die KMU optimal zu gestalten. Nun wird Ihnen jeder Politiker diese Sätze unterschreiben. Interessant wird es erst dann, wenn die Sache konkret wird. Alle Politiker fordern im Grundsatz weniger Bürokratie – und die Realität? Jede Gesetzesrevision läuft in der Regel darauf hinaus, dass das neue Gesetz mindestens dreissig Prozent umfangreicher als das bisherige wird. Also forsten die gleichen Politiker, die den Papierkram sonst wortreich beklagen, den Bürokratiedschungel ungerührt auf.
Mit entsprechenden Folgen: Jedes der über 300’000 Schweizer KMU ist heute durchschnittlich während 650 Stunden pro Jahr (1986: noch 370 Stunden) einzig und allein mit der Erledigung des staatlich verordneten Papierkriegs beschäftigt. Der staatlich bedingte Administrativaufwand (Umweltschutz, Statistiken, Sozialversicherungen, Lehrlinge, Militär, ausländische Arbeitskräfte, betriebsbezogene Auflagen, handelsrechtliche Auflagen, direkte Steuern, MWSt-Abrechnung usw.) verursacht Kosten in der Höhe von 7 Milliarden Franken jährlich. Auf einen KMU-Betrieb heruntergerechnet sind das gut 20’000 Franken im Jahr. Hunderte Stunden unproduktiver Arbeit, die in den Kleinstbetrieben meist der Chef selbst erledigen muss.
Eine Abnahme dieses Aufwandes ist nicht abzusehen – im Gegenteil. Jedes Jahr kommen neue Gesetze und akribisch detaillierte Verordnungen und Vorschriften der Ämter hinzu. Seit den neunziger Jahren läuft die Gesetzesmaschinerie so richtig auf Hochtouren: 3400 Seiten im Jahresdurchschnitt. Jüngstes Beispiel dieser ungebremsten Entwicklung ist der neue Lohnausweis, der gerade in der KMU-Wirtschaft weitere hohe Kosten verursacht und noch mehr Zeit für Papierkrieg in Anspruch nimmt. Sie sehen: Es besteht ein eklatanter Widerspruch zwischen den Absichten und den Ergebnissen in der Politik.
3. Gute Lösungen sind einfache Lösungen
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch, wenn es um die Forderung nach mehr Wirtschaftswachstum geht. Wachstum heisst mehr Wohlstand, heisst gesicherte Sozialwerke, heisst weniger Arbeitslosigkeit, heisst neue Ausbildungsplätze für junge Menschen. Auch in dieser Frage hören sie von Politikern aller Parteien nur Zustimmung. Aber wie sorgen wir für mehr Wachstum? Durch eine geschickte Steuerpolitik. Während die Linke auf staatliche Wirtschaftsprogramme setzt (dass mit diesem Prinzip der ganze Osten Europas Bankrott ging, interessiert offenbar keinen mehr) setzt bürgerliche Politik auf das private Unternehmertum. Und je weniger die KMU mit Steuern und anderen Auflagen behindert werden, desto mehr Mittel haben sie zur Verfügung, um zu investieren, um zu entwickeln, um schliesslich mehr Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen.
Das klingt alles so furchtbar einfach, finden Sie? Meine jahrzehntelange Arbeit in der Politik und der Wirtschaft haben mich eines gelehrt: Gute Lösungen sind immer einfache Lösungen. Sie wollen Beweise? Nehmen wir als Beispiel ein anderes sog. „Randgebiet“ der Schweiz, den Kanton Obwalden. (Nur eine kleine „Randbemerkung“: Die wichtigen wirtschaftpolitischen Impulse kommen heute aus den „Randgebieten“ der Schweiz, aus den kleinen Kantonen der Ost- und Zentralschweiz). Obwalden gehörte jahrelang zu jenen Kantonen mit extrem hohen Steuersätzen. Trotzdem reichte das Geld hinten und vorne nicht aus, worauf der Steuersatz jeweils wieder erhöht wurde. Mit dem gleichen Ergebnis und ohne Erfolg auf Besserung. Nun hat Obwalden vor zwei Jahren einen radikal anderen Weg begangen und die Steuern massiv gesenkt. Heute gehört der Kanton zu den Top-Fünf-Adressen in ganz Europa, was die Unternehmenssteuern betrifft! Obwalden hat die Regierung verkleinert, die Ämter reduziert, die Ausgaben eingefroren, die Schulden abgebaut. Einfach so? Aus Plausch? Aus Neugier? Nein. Weil es der richtige Weg ist, den schon andere Kantone beschritten haben (etwa Zug, Nidwalden, Appenzell). Aber auch, weil ihnen eine Partei im Nacken sass, die diesen Richtungswechsel konsequent einforderte. Eine Partei, die mit Erfolg eine Verkleinerung der Regierung per Volksinitiative durchsetzte. Meine Bescheidenheit und mein Amt als Bundesrat verbieten mir jetzt, den Namen dieser Partei zu nennen, sonst würde man mir Wahlkampf vorwerfen.
4. Entlastung, Entlastung, Entlastung
Wer also Wirtschaftswachstum will, muss die Unternehmen entlasten. Und zwar radikal. Wer Wirtschaftswachstum will, darf Arbeit nicht mit Sondersteuern belegen. Die Linke will beispielsweise die IV-Sanierung mit Lohnprozenten finanzieren. Die Arbeit verteuern, heisst aber nur, dass die Unternehmer gezwungen werden, irgendwo wieder Kosten zu senken, was leider oft auch durch Entlassungen geschieht. Wer also glaubt, die Invaliden-versicherung sanieren zu können, indem er die Arbeit verteuert, verstärkt nur das Problem. Denn auch die Arbeitgeber haben allzu lange ihre schwierigen Fälle in die IV abgeschoben.
In diesem Frühjahr hat das Parlament einer Unternehmenssteuerreform zugestimmt. Sie hat zum Ziel, die wirtschaftliche Doppelbelastung von Unternehmergewinnen zu beseitigen. Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen erst den Gewinn versteuern muss und dann nochmals die Dividenden als Einkommen der Aktionäre. Diese Doppelbesteuerung trifft vor allem die vielen kleineren Firmen, wo Unternehmer und Besitzer in einer Person agieren. Es darf doch nicht sein, dass jeder Erfolg doppelt besteuert, also doppelt bestraft wird. Dass nun ausgerechnet jene, die sich sonst gerne als Anwälte der „Steuergerechtigkeit“ ausgeben, dieses offensichtlich ungerechte Konstrukt beibehalten wollen, spricht Bände. Dieses Mal gebietet mir nicht nur mein Bundesratsmandat, sondern auch die Höflichkeit, den Namen der verantwortlichen Partei zu verschweigen.
5. Die beste Förderung ist die Nicht-Behinderung.
Was hat die Politik zu tun? Die beste Förderung der Wirtschaft besteht immer noch darin, sie nicht unnötig zu behindern in Form von Vorschriften, Regulierungen, Eingriffen, Steuern und Abgaben.
Was können wir festhalten?
Was wir anstreben, ist eine freiheitliche Wirtschaftsordnung: Die freie Marktwirtschaft erscheint nur dem denkfaulen Beobachter brutal. Denn die Geschichte beweist das Gegenteil: Es ist einzig die Marktwirtschaft, die so viel Wohlstand unter so viel Menschen gebracht hat, und es ist einzig die Marktwirtschaft, in der sich der Tüchtige dank seiner Tüchtigkeit durchsetzen kann – ungeachtet seiner Hautfarbe, Religion oder Herkunft.
Die Neigung der Politik, und namentlich der Politiker, in die Marktwirtschaft einzugreifen, war und ist gross. Immer wieder und überall versucht man diesen Markt zu „gestalten“, zu formen, zu bemuttern. Diese Eingriffe werden meistens für besonders „sozial“ oder „gerecht“ erklärt – aber wir haben es in Wahrheit nur mit besonders sozialem Geschwätz zu tun.
Darum lautet die letzte und wichtigste Schlussfolgerung: Die beste Förderung der Wirtschaft ist ihre Nichtbehinderung durch den Staat.
Ein freier Wettbewerb ist immer die fairste Form des Wettbewerbs. Weil alle sich den gleichen Bedingungen stellen müssen. Darum lautet die Devise für die Politik: möglichst wenig Behinderungen und staatliche Eingriffe. Die Marktwirtschaft organisiert sich selber. Qualität und Preis setzen sich immer durch. So will es der Kunde. So will es der Konsument. Und an diesen haben sich die Marktteilnehmer zu richten. Auf dass der Bessere, Günstigere und Tüchtigere gewinne.
6. Ausbildung und Integration
Zum Schluss noch eine Klammer zwischen meiner Arbeit als Verantwortlicher für die Justiz und dem Thema dieses Referats: Die nicht zu unterschätzende Bedeutung der KMU besteht auch in der Ausbildung und damit in der Integration von Jugendlichen.
Als Verantwortlicher für die Migration bin ich stark konfrontiert mit den Integrationsproblemen junger Ausländer. Jugendkriminalität, das erschreckende Anwachsen der Gewalt, vor allem der Brutalität der Taten, Vergewaltigungen von Jugendlichen verübt an jungen Mädchen, massive Bedrohungen und Einschüchterungsversuche, chaotische Zustände in den Schulen – das sind alles keine Einzelerscheinungen, sondern eine sich verstärkende Entwicklung. Was mir auffällt: Kaum wird ein Vorfall publik, setzt sich ein Heer von Sozialarbeitern, Psychologen, Mediatoren, Pädagogen, Krisenmanager usw. in Bewegung. Ich will hier nicht urteilen – aber als Unternehmer bin ich gewohnt, die nackten Ergebnisse zu beurteilen. Und diese überzeugen nicht. Wir Bürgerlichen haben zugelassen, dass es so ausschaut, als ob Integration eine Monopolaufgabe von Fachleuten wäre. Wenn ich aber sehe, wo junge Menschen sich einfügen können und eine Richtung im Leben erhalten, so geschieht das in der Freizeit und in der Arbeitswelt. Es sind also namentlich die kleineren Gemeinschaftsverhältnisse und das Leben am Arbeitsplatz, die von Bedeutung sind. Die Arbeitgeber – und hier wieder die kleineren und mittleren Betriebe, wo noch patronale Verhältnisse herrschen – leisten vorzügliche Arbeit. Hier sind die wahren Integrationsfachleute! Dafür möchte ich Ihnen speziell danken und meine Anerkennung aussprechen.
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