Blocher erwägt Rückkehr in den Bundesrat
Interview mit der « Neuen Luzerner Zeitung » vom 29. April 2008
Von Jürg Auf der Maur und Noemie Schafroth
Christoph Blocher hat seine Ambitionen auf eine Rückkehr in den Bundesrat noch nicht begraben. Wenn der Sessel des jetzigen Bundespräsidenten Pascal Couchepin frei wird, hält er eine Kandidatur für möglich.
Es sei wichtig, dass alle bedeutenden Volksgruppen in der Regierung vertreten seien, sagte der alt Bundesrat im Interview mit der «Neuen Luzerner Zeitung». «Jetzt hat man die grösste Partei – die SVP – ausgeschlossen!»
Blocher hält eine eigene Kandidatur für denkbar. Es sei aber auch möglich, dass jemand anders portiert werde: «Das wird sich weisen. Das entscheiden wir dann, wenn es soweit ist.»
Die SVP-Initiative will, dass Gemeinden abschliessend über Einbürgerungen bestimmen. Damit wird der Willkür wieder Tür und Tor geöffnet.
Christoph Blocher: 150 Jahre lang haben die Gemeinden verantwortungsvoll eingebürgert bis 2003 plötzlich das Bundesgericht die bewährte Praxis umstiess. Ohne Verfassung oder Gesetz zu ändern, machte das Gericht die Einbürgerungen aus einem politischen zu einem Verwaltungs-Akt. Damit bekommt der Ausländer neuerdings ein Recht auf Einbürgerung.
Das heisst?
Blocher: Das hat schwerwiegende Folgen. Darum sollen Bürgerrechtsverleihungen wieder die Gemeinden vornehmen. Sie können über Einbürgerungen besser entscheiden als ferne Gerichte.
Es muss eine Rekursmöglichkeit geben.
Blocher: Der Entscheid der Gemeinde war vordem stets endgültig. Bei politischen Entscheiden gibt es keine Rekurse. Wer nicht in die Schulbehörde gewählt wird, kann auch keinen Rekurs machen.
Bei Einbürgerungen ist es anders. Ihr Vorschlag widerspricht der Verfassung und internationalen Konventionen.
Blocher: Das trifft nicht zu. Dann hätten wir die letzten 150 Jahre verfassungswidrig eingebürgert. Aber mit der Einbürgerungsinitiative ist dies in einem Verfassungsartikel neu ausdrücklich festgehalten. Im Rahmen der neuen Bundesverfassungsrevision wurde ausdrücklich festgehalten, dass die lang bewährte Einbürgerungspraxis nicht gegen Völkerrecht verstosse.
Bei anonymen Urnenentscheiden kommt es zu unfairen Entscheiden. Leute werden anonym abgelehnt, nur weil sie einen Namen auf -ic haben.
Blocher: Bei sehr grossen Gemeinden sind Urnenabstimmungen wegen der grossen Zahl schwer praktikabel. Aber die Gemeinden können auch andere Organe bestimmen. Dass nach den bisherigen Erfahrungen die Stimmbürger bei gewissen Volksgruppen etwas vorsichtiger sind, ist begreiflich. Der Einbürgerungswillige kann ja nochmals antreten. Die Integrationsbemühungen müssen dann etwas intensiver sein.
Nochmals: Bei einer Annahme der Initiative drohen Prozesse vor Bundesgericht und dem Menschenrechtshof.
Blocher: Sicher weniger als heute. Es kann nur noch wegen Verletzung von Verfahrensfehlern rekurriert werden. Inhaltlich, also auch an einem ablehnenden Einbürgerungsentscheid, kann das Gericht dann nicht mehr rütteln. Aber wenn jeder Ausländer, dessen Einbürgerungsgesuch abgewiesen wird, vors Gericht gehen und das Gericht die Gemeinde zwingen kann, diesen gegen den Willen der Gemeinde einzubürgern, wird man im Zweifel leichtfertiger einbürgern.
Und?
Blocher: Damit will man wieder eine erleichterte Einbürgerung, was das Schweizer Volk schon drei Mal an der Urne verworfen hat. Wird die Einbürgerungsinitiative abgelehnt, so führt dies zu Masseneinbürgerungen mit Begleiterscheinungen wie Kriminalität von Eingebürgerten und Sozialmissbrauch.
Sie haben als Justizminister immer wieder das Bundesgericht kritisiert. Sie wollen doch mit der Initiative die Gerichte aushebeln.
Blocher: Ich habe auf negative Folgen von Gerichtsurteilen hingewiesen vor allem im Asyl- und Ausländerbereich. Mit der Initiative, über die wir jetzt abstimmen, müssen die Bürger entscheiden, ob sie bei Einbürgerungen einen Bürgerstaat oder einen Richterstaat wollen.
Der Gegenvorschlag des Ständerates kommt der SVP doch weit entgegen. Die Gemeinden können einbürgern, aber es braucht einen rekursfähigen Entscheid.
Blocher: Auch beim Gegenvorschlag entscheiden letztendlich nicht mehr die Gemeindebürger, was ins Gemeindebürgerrecht aufgenommen werden soll. Die neue Praxis führt zu Masseneinbürgerungen. Das ist zu vermeiden.
Das ist übertrieben. Die Gerichte haben auch schon abgewiesene Einbürgerungsgesuche gestützt.
Blocher: Nur der Nichteingebürgerte kann vors Gericht. Ein Stimmbürger, der fordert, eine Einbürgerung sei zu unrecht erfolgt, kann nicht rekurrieren. Die Gemeinden wissen das und werden einbürgern, damit es nicht zu einem Gerichtsfall kommt. Das fördert Masseneinbürgerungen.
Ist es in Ihren Augen fair, wenn man anonym jemanden abweist?
Blocher: Nochmals: Wenn ich nicht in die Schulpflege gewählt werde, mag ich das als unfair empfinden. Aber die Stimmbürger entscheiden und das gilt. Ich habe kein Recht darauf. Und es soll auch kein Recht auf Einbürgerung geben. Es ist ja nicht so, dass Abgewiesene für ihr Menschsein schwerwiegende Nachteile erfahren. Sie haben das Bürgerrecht ihres Heimatstaates, aber sie können hier wie Schweizer leben, nur das Stimmrecht und den Schutz vor Ausweisung haben sie nicht.
In Emmen, wo alles begann, arbeitet jetzt eine Kommission mit der SVP erfolgreich an den Einbürgerungen.
Blocher: Da hat ja niemand etwas dagegen. Bei der Annahme der Einbürgerungsinitiative bestimmt die Gemeinde, ob dies so gemacht werden soll. Aber auch der Entscheid auf Ablehnung soll dann gelten, darum steht auch die SVP Emmen voll und ganz hinter der Einbürgerungsinitiative.
Der Vorstand der Berner SVP solidarisiert sich mit den Bündnern und will diese nicht ausschliessen. Reicht es zur Zweidrittelmehrheit?
Blocher: Das dürfte der Fall sein. Es war immer klar, dass die Berner und Bündner eine andere Meinung vertreten.
Und die Solidarität für Frau Widmer-Schlumpf lässt Sie kalt? 12000 demonstrierten in Bern, über 120000 unterschrieben eine Petition?
Blocher: Und gleichzeitig sind über 13 000 der SVP beigetreten. Die SVP zählt auf die Stimmbürger.
Sie leben ja tatsächlich gut von der Kontroverse. Es gibt einen «Blocher»-Effekt.
Blocher: Viele Stimmbürger wehren sich gegen Intrigen und hinterhältige Spiele bei Bundesratswahlen. Dies haben sie im Dezember 2007 gesehen und erlebt. Jetzt folgt die Reaktion.
Konkret: Heisst das, Sie treten an, wenn Bundespräsident Pascal Couchepin zurücktritt? Wollen Sie den dritten SVP-Sitz?
Blocher: Dann hätten wir wenigstens einen Sitz, jetzt haben wir ja keinen. Es ist aber wichtig, dass alle bedeutenden Volksgruppen in der Regierung vertreten sind. Jetzt hat man die grösste Partei – die SVP – ausgeschlossen!
Sie treten also an?
Blocher: Ich oder jemand anders. Das wird sich weisen. Das entscheiden wir dann, wenn es so weit ist.
Was hat im Bundesrat im ersten Quartal 2008 geändert?
Blocher: Eine weitere Abwendung von der Neutralität. Das hat Folgen: Dass sich die Aussenministerin auf ihrer Iran-Reise mit Schleier so aufdringlich präsentiert und ablichten lässt ist unnötig. Das hat prompt zu heftigen Reaktionen von den USA und von Israel geführt.
Die Pilatus-Werke leiden unter einer Praxisänderung.
Blocher: Auch diesen Entscheid verstehe ich nicht. Man hat dem Druck der Linken einfach nachgegeben. Das ist die klare Folge einer Mitte-Links-Regierung. Dieser Beschluss trifft doch die Pilatus-Werke in ihrem Kern, weil mit der neuen Bestimmung direkt der ausländischen Konkurrenz in die Hand gespielt wird.
Der Bundesrat ist doch bürgerlich dominiert?
Blocher: Wie kommen Sie darauf? Ich wurde ja abgewählt, um den bürgerlichen Kurs zu brechen. Die grosse bürgerliche SVP ist nicht mehr in der Landesregierung vertreten.