Unabhängigkeit von fremden Vögten immer wichtiger
Interview im „Regional“ vom 24. Juli 2008
Mit Andres Rothenbach
Regional: Am 1. August gedenkt man der Gründung der Eidgenossenschaft eine gute Gelegenheit, inne zu halten und das eigene Verhältnis zur Schweiz zu reflektieren. Hat sich Ihres nach Ihrer Abwahl als Bundesrat gewandelt?
Christoph Blocher: Nein im Gegenteil. Die Grundgedanken des Bundesbriefes von 1291: Keine fremde Obrigkeit dulden, an die eigene Obrigkeit hohe charakterliche Anforderungen stellen und die Bürger entscheiden lassen – das alles ist heute wichtiger denn je.
Sie finden also das Land nach wie vor gut, in dem es möglich ist, dass das Zugpferd des klaren Wahlsiegers von einer Koalition der Wahlverlierer aus der Regierung geworfen wird?
Das ist nicht ein Misstand des Landes, sondern der Politiker, die das getan haben. Dass es durch Intrigen geschehen ist, ist des Landes besonders unwürdig!
Eine der Eigenheiten der Schweizer ist wohl: Findet jemand Bescheidenheit keine Zier und ragt allzu sehr aus der Masse, wird er auf Durchschnitt zurechtgestutzt. Ist Ihre Abwahl so gesehen nicht typisch schweizerisch?
Es ist möglich in Verantwortung aus der Masse zu ragen und trotzdem bescheiden zu bleiben – bescheiden gegenüber dem eigenen Auftrag, nicht unbedingt gegenüber Personen – schon gar nicht gegenüber Personen, die nicht bei der Sache sind. Diese – nicht das breite Volk wollen herausragende Personen dann weghaben. Das ist verständlich!
Im Programm zur Bundesfeier sind Sie als «a. Bundesrat» angekündigt. Heisst das nun «alt» oder «abgewählter»?
« a. » kann tatsächlich beides heissen: « Alt-Bundesrat » ist die offizielle Bezeichnung. « Abgewählt » trifft die Sache genauer. Ich liebe genaue Bezeichnungen!
Nach welchen Kriterien wählen Sie die Ortschaften für Ihre Auftritte am Nationalfeiertag aus?
Ich erhalte jedes Jahr Dutzende von Anfragen. Es scheiden dann die Kantone aus, wo ich vergangene Jahre gesprochen habe. Letztes Jahr war ich weder im Kanton Appenzell – darum rede ich dieses Jahr am Vormittag in Urnäsch – noch im Kanton Schwyz – darum rede ich dieses Jahr am Nachmittag im Wäggital. Und am Abend spreche ich eben in Brugg-Windisch, weil ich letztes Jahr den Kanton Aargau nicht besucht hatte.
Wie ist Ihre Beziehung zum Aargau?
Der Aargau liegt mir nahe. Er ist einer unserer Nachbarkantone und ich war verantwortlich für die Feinchemiefabrik Dottikon. Heute gehört diese mehrheitlich unserem Sohn, der sie auch führt. Die Aargauer kenne ich gut – besonders die Freiämter vom Beruf her.
Wenn Sie «Brugg» oder «Windisch» hören, was assoziieren Sie damit? Ein Brainstorming dazu aus Ihrer Warte?
Bei Brugg denke ich an Königsfelden und an die Ermordung König Albrechts, die Wirren in der Eidgenossenschaft. Nicht weit davon die Urburg der Habsburger! Windisch: Römisches Reich usw. Etwas Geschichtsträchtigeres gibt es kaum. In der Neuzeit: Höhere technische Ausbildung für gute Berufsleute!
Früher fanden Gladiatorenkämpfe im Amphitheater Windisch statt. Das war eine echte «Arena». Da müssen Sie sich ja besonders wohlfühlen…
Eine echte «Arena» ist auch in der Politik wichtig, denn nur wo Meinungen ungeschminkt vertreten werden, finden gute Entscheide statt. Leider gibt es kaum mehr eine echte Arena. Vielleicht auch deshalb eine schlechte Politik.
Sie seien in der «Arena» kürzlich, berichteten die Medien, auf ureigenstem Terrain besiegt worden. Werden Sie nun in Ihrer Rede den politischen Gegner in der Windischer Arena umso ärger in den Schwitzkasten nehmen? Lassen Sie ein Feuerwerk der Worte steigen oder stimmen Sie versöhnliche Töne an?
Meine Reden zum 1. August waren stets feierliche Reden – eben Reden zur Bundesfeier. Alles hat seine Zeit: Der « Schwitzkasten » hat seine Zeit und die « Feierlichkeit » hat ihre Zeit!
Einige werden gerade wegen Ihnen an die Bundesfeier kommen, einige wegen Ihnen gerade nicht. Wie erklären Sie sich, dass sie nach wie vor derart polarisieren?
Starke Persönlichkeiten haben stets begeisterte Anhänger und erbitterte Gegner. Kalt lassen diese niemanden. Wer Erfolg hat, hat auch viele Neider. Doch es gilt: « Wer Neider hat, hat Brot – Wer keine hat, hat Not. »
Gemäss Ihrem Geschichtsbild standen die Eidgenossen von 1291 bis heute für Freiheit und Unabhängigkeit ein. Unabhängigkeit, ist das nicht ein wenig antiquiert? Sollte man sich in unserer globalisierten Welt nicht dort einbringen, wo die Regeln gemacht werden?
Unabhängigkeit von fremden Vögten, von fremden Herren wird immer wichtiger. In der globalisierten Welt gibt es kaum durchsetzbare Regeln. Die Zukunft muss lauten: Global denken aber lokal handeln, was nur bei Unabhängigkeit möglich ist.
Im Aargau ist die SVP ziemlich stark. Viele Leute hier machen sich Sorgen um den Zustand «Ihrer» Partei, bedauern, dass ihr Volkstribun so intellektuell und magistral geworden ist – und verstehen insbesondere
nicht, weshalb man sich nicht gegen die Personenfreizügigkeit mit Rumänien und Bulgarien wehrt.
Leider hat das Parlament einen echten Volksentscheid betreffend Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien verunmöglicht. Diese Totengräber der direkten Demokratie lassen nur eine verfälschte Stimmabgabe zu. Sie ducken sich vor der EU und tricksen das Volk aus! Traurig, aber wahr. Da können in Zukunft nur noch Wahlen helfen.
Die Personenfreizügigkeit allgemein wie auch jene mit Rumänien und Bulgarien sind riesige Liberalisierungsschritte, die in anderen EU-Ländern wohl kaum einer Volksabstimmung standhielten. Nun brachte die EU Europa aber wirtschaftliche Prosperität, Europa hat sich deutlich entwickelt. Ist es eben nicht manchmal besser, im politischen Prozess auf plebiszitäre Elemente zu verzichten?
Was die Bürgerschaft nicht trägt, wird auf die Dauer nicht halten. Das Volk ist nicht dümmer als die Schar der Politiker. Vielmehr lebt das Volk in den Alltagssorgen und kann über die eigenen Bedürfnisse besser entscheiden. Apropos Prosperität: Warum wollen so viele Menschen aus der EU in der Schweiz arbeiten? Weil es ihnen hier besser geht!
Zum Schluss: Welches sind in Zukunft die Chancen der Schweiz, welches die Risiken?
Die Chancen liegen in einem freiheitlichen, bescheidenen, direktdemokratischen Land mit vielen eigenverantwortlichen Bürgern und einem zurückhaltenden Staat. Die Risiken sind, dass die Schweiz all dies aufgibt – in Selbstgenügsamkeit der Bürger und im Grössenwahn der Politiker! Darum gilt es, Gegensteuer zu geben. Damit die Schweiz Schweiz bleibt.
Herr Blocher, besten Dank für das Gespräch.
Leider hat das Parlament einen echten Volksentscheid betreffend Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien verunmöglicht. Diese Totengräber der direkten Demokratie lassen nur eine verfälschte Stimmabgabe zu. Sie ducken sich vor der EU und tricksen das Volk aus! Traurig, aber wahr. Da können in Zukunft nur noch Wahlen helfen.
Die Personenfreizügigkeit allgemein wie auch jene mit Rumänien und Bulgarien sind riesige Liberalisierungsschritte, die in anderen EU-Ländern wohl kaum einer Volksabstimmung standhielten. Nun brachte die EU Europa aber wirtschaftliche Prosperität, Europa hat sich deutlich entwickelt. Ist es eben nicht manchmal besser, im politischen Prozess auf plebiszitäre Elemente zu verzichten?
Was die Bürgerschaft nicht trägt, wird auf die Dauer nicht halten. Das Volk ist nicht dümmer als die Schar der Politiker. Vielmehr lebt das Volk in den Alltagssorgen und kann über die eigenen Bedürfnisse besser entscheiden. Apropos Prosperität: Warum wollen so viele Menschen aus der EU in der Schweiz arbeiten? Weil es ihnen hier besser geht!
Zum Schluss: Welches sind in Zukunft die Chancen der Schweiz, welches die Risiken?
Die Chancen liegen in einem freiheitlichen, bescheidenen, direktdemokratischen Land mit vielen eigenverantwortlichen Bürgern und einem zurückhaltenden Staat. Die Risiken sind, dass die Schweiz all dies aufgibt – in Selbstgenügsamkeit der Bürger und im Grössenwahn der Politiker! Darum gilt es, Gegensteuer zu geben. Damit die Schweiz Schweiz bleibt.
Herr Blocher, besten Dank für das Gespräch.
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