EU und Bundesrat haben schon früher gedroht
Interview mit der «Mittelland Zeitung» vom 20. Juli 2010 zum verschärften Ton der EU
Herr Blocher, die EU verschärft den Ton. Ist der bilaterale Weg am Ende?
Christoph Blocher: Nein. Schon im Vorfeld der EWR-Abstimmung 1992 haben die EU und der Bundesrat gedroht, es gäbe keine bilateralen Verträge mehr, wenn die Schweiz den EWR ablehne. Doch diese Drohungen blieben leer. Im Gegenteil: Wir haben heute eher zu viele solcher Verträge abgeschlossen.
Sie haben den bilateralen Weg mit dem Nein zum EWR doch letztlich initiiert.
Blocher: Es ist seit 700 Jahren so: Wenn ein Staat wie die Schweiz mit einer Staatengemeinschaft wie der EU ein Problem hat, dann löst man dies mit einer Vereinbarung. Eben bilaterale Verträge. Leider haben die Verwaltung und der Bundesrat aber stets auch Verträge abgeschlossen, die darauf hinzielen, EU-Recht zu übernehmen, um die Schwelle zu einem Beitritt zu senken.
Sie wischen die Drohungen der EU, die der Schweiz keine Extratouren mehr gestatten will, einfach beiseite. Ist das nicht fahrlässig?
Blocher: Zum einen; Die Schweiz braucht jetzt keine neuen bilateralen Verträge mit der EU, die für uns lebensnotwendig wären. Aber Forderungen stehen stets Gegenforderungen gegenüber. Die EU will uns mit ihren Drohungen zum Beitritt zwingen. Zum anderen: Bern muss endlich damit aufhören, Brüssel auf den Knien um bilaterale Verträge zu bitten. Denn die EU hat mindestens so viele Anliegen an die Schweiz wie umgekehrt.
Wie beurteilen Sie den Auftritt von Doris Leuthard am Montag in Brüssel?
Blocher: Es war der typische Auftritt einer Bundespräsidentin, die eine Verwaltung und eine Regierung vertritt, die in die EU will, das aber nicht offen äussern kann, weil das Schweizervolk das Gegenteil will. Ihr Problem ist: In der Schweiz darf sie nicht sagen, dass der EU-Beitritt das Ziel ist, weil die Bevölkerung dagegen ist, und in Brüssel will man nicht offen zugeben, dass die Schweiz weder in die EU darf noch kann. Mir macht der Bundesrat nicht den Eindruck, als würde er gegenüber der EU die Schweiz als gesunden, lebhaften Staat vertreten. Er wirkt eher wie das Kaninchen vor der Schlange. Wobei die EU mit der Euro-Krise und den bankrotten Staaten schwer krank ist.
Das ist ungerecht gegenüber Leuthard. Immerhin hat sie klargestellt, dass für sie die automatische Übernahme von EU-Recht nicht denkbar sei.
Blocher: So weit – so gut: Aber wann endlich kommt die klare Antwort, die Schweiz wolle ein unabhängiger Staat bleiben. Das kann man aber in Brüssel nicht sagen, weil die Schweiz noch immer ein Beitrittsgesuch bei der EU liegen hat, und man dieses nicht zurückziehen will. Ich wäre für eine baldige EU-Abstimmung, dann hätten wir die Frage rasch geklärt. Die Bevölkerung will nichts wissen von einem EU-Beitritt – doch die Classe politique mag darauf nicht hören.
Jetzt soll eine Arbeitsgruppe bestehende Probleme klären. Was halten Sie davon?
Blocher: Es ist zu befürchten, dass es bei dieser Arbeitsgruppe in Wahrheit darum geht, Wege zu finden, wie man die Schweiz so schnell wie möglich in die EU bringen kann – ohne dass es die Schweizer Bevölkerung merkt. Angestrebt wird vorerst die erleichterte Übernahme von EU-Recht, namentlich ohne Volksabstimmung.
Leuthard hat im Widerspruch zu Ihrer These am Montag die Souveränität der Schweiz betont.
Blocher: Man höre gut zu: Beide Seiten wollen « die Souveränität berücksichtigen », nicht etwa wahren! Die Diplomatie hat ihre Sprache. Jene, die auf Seiten der Schweiz mit der EU aus der Bundesverwaltung verhandeln, setzen sich nicht für die Unabhängigkeit der Schweiz ein. Das sind Spitzenbeamte verschiedener Departemente, die der Union beitreten wollen.
Sie verteufeln die EU. Doch es gibt auch Argumente, die für eine weitere Annäherung der Schweiz sprechen. Denken Sie nur an die Libyen-Krise oder an den erleichterten Zugang zu neuen Marktsegmenten.
Blocher: Es gibt in jedem Verhältnis positive Aspekte. Ich finde es beispielsweise wichtig, dass wir gut mit den USA verkehren. Doch es käme mir deswegen nie in den Sinn, Amerika beitreten zu wollen. Die Schweiz kann mit ihrer Verfassung gar nicht Mitglied der EU werden. Wir müssten den Föderalismus, die direkte Demokratie und die Neutralität preisgeben. Wir sind doch nicht bereit, unseren Staat auf den Kopf zu stellen, nur weil einige behaupten, dass es wirtschaftlich und aussenpolitisch einfacher würde mit einem Beitritt. Zudem: Ich betrachte die EU als eine « intellektuelle Fehlkonstruktion ». Die jetzige EU-Krise beweist das erneut.