Es gibt Leute, die Ihren Auftrag nicht kennen
Bundesrat Christoph Blocher hält es für möglich, dass das Bankgeheimnis bei den Verhandlungen mit der EU geritzt werden könnte, stellt Schengen erneut in Frage und will den Namen jener Person öffentlich machen, die für eine Indiskretion in der Bundesverwaltung verantwortlich ist.
29.04.2004, Schaffhauser Nachrichten/Thurgauer Zeitung (Beni Gafner)
Herr Blocher, gehen Sie immer noch – wie zu Beginn Ihrer Amtszeit – im Departement herum und fragen Ihre Mitarbeiter nach deren Auftrag?
Ich gehe diesbezüglich nicht gezielt im Departement herum. Aber immer, wenn jemand etwas will und deswegen einen Antrag stellt, will ich den Auftrag erfahren. Für die Führung ist es zentral zu wissen: Was ist mein Auftrag? Das ist für mich etwas Selbstverständliches und ich war schon erstaunt, dass man dies in der Verwaltung zuerst sagen musste. Es gibt auch Leute, die ihren Auftrag nicht kennen. Das gibt es immer wieder, auch in der Industrie. Kennt jemand seinen Auftrag nicht oder hat er ihn falsch verstanden, ist die Gefahr gross, dass er in die falsche Richtung läuft. Um dies zu verhindern, kontrolliere ich die Aufträge meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmässig. Daran halte ich fest.
Fragen Sie auch Ihre Bundesratskollegen nach ihrem Auftrag?
Wenn wir im Plenum ein Problem diskutieren, stelle ich oft die Frage: Was ist hier eigentlich unser Auftrag? Im Staat ist dies dann meist die Frage nach den gesetzlichen Grundlagen, denn der Staat darf ja nur dort etwas machen, wo dies das Gesetz vorsieht. Ist dies nicht gegeben und sagt jemand einfach, es wäre aber trotzdem gut, wenn wir dies oder jenes machen würden, so geht das nicht. Übrigens stelle ich auch mir selbst dauernd die Frage nach meinem Auftrag.
Wie lautet dieser?
Die Frage stelle ich mir jeweils bei spezifischen Problemen. Im Grundsatz ist er aber klar: Mein Auftrag lautet, mein politisches Gedankengut im Bundesrat zu vertreten und mich dafür einzusetzen, dass Lösungen resultieren, die diesem Gedankengut entsprechen – ausser, ich komme zur Überzeugung eine solche Lösung wäre falsch. Und zweitens habe ich mein Departement zu führen und dort die Hauptprobleme wahr zu nehmen und zu lösen.
Welches sind diese Hauptprobleme?
Es sind drei: Erstens eine völlig unbewältigte Asylpolitik. Das muss korrigiert werden. Im Detail präsentiert sich mir hier das Problem vertiefter und schwieriger als ich es vorher als Parlamentarier wahrgenommen habe. Das zweite Problem ist der grosse Misstand bei der illegalen Einwanderung und der Kriminalität. Und drittens: Die neuen Herausforderungen bei der Bekämpfung des Terrorismus. Mein Auftrag ist es, hier Lösungen aufzuzeigen und – nachdem sie von Bundesrat und Parlament beschlossen wurden – umzusetzen.
Anlässlich Ihrer 100-Tage-Medienkonferenz bemängelten Sie, die Verantwortlichkeiten seien bis in den Bundesrat hinein nicht klar geregelt. Was löste diese Aussage in Verwaltung und Regierung aus?
Für diese war meine Aussage nicht neu, weil ich dies intern immer wieder thematisiere. Es gibt Bereiche, wo zwei oder drei Bundesräte zuständig sind. Dies ist kein Problem, so lange es gut läuft. Sobald es jedoch schlecht läuft, funktioniert es nicht mehr. Das sind die tieferen Ursachen, weshalb auch schon gravierende Fehler passierten, etwa als die Schweiz wegen den Zahlungen aus dem Zweiten Weltkrieg von den USA unter Druck gesetzt wurde oder bei der Swissair. Gerade bei plötzlich auftretenden Problemen muss ein einziger Bundesrat gegenüber dem Gremium verantwortlich sein und nicht zwei oder drei. Ist letzteres der Fall, ist bei Fehlern schliesslich niemand verantwortlich und wenns gut geht, sind es alle gewesen. Beides ist schlecht. Wir sind hier noch weit weg von diesem Gedankengut, weil man es gut findet, wenn mehrere verantwortlich sind. Es handelt sich hier um idealistische Vorstellungen, die bis weit in die Bundesverwaltung hineinreichen.
Weshalb tragen Sie diesen Umstand in die Öffentlichkeit?
Es handelt sich hier um ein Hauptprinzip erfolgreicher Führungstätigkeit. Ich sage dies öffentlich, weil wir es hier auch mit einer Zeiterscheinung zu tun haben, an der die Gesellschaft krankt. Dieses Problem muss bewusst gemacht werden. Aus der Bundesverwaltung werden ja viele Dinge bekannt. Das war auch hier der Fall. Werden aber die dahinterliegenden Motive nicht dargelegt, resultiert daraus ein verzerrtes Bild: Zum Beispiel ein Bundesrat Blocher, der planlos durch seine Verwaltung geht und die Leute nach ihrem Auftrag befragt – wie eine Nähschullehrerin, die fragt, hast Du die Maschen richtig gemacht. Wenn man den Hintergrund erklärt, begreifen es die Leute auch.
Klare Verantwortlichkeiten nützen wenig, wenn es bei Versagen keine Konsequenzen gibt. Gibt es hier Mängel?
Ja. Es zeigt sich hier die Fragwürdigkeit des Personalrechts in der Bundesverwaltung. Es ist äusserst schwierig, dass jemand Konsequenzen tragen muss, wenn etwas schief gelaufen ist. Im Staat gibt es ein relativ grosses Begründungspotenzial, weshalb man nichts dafür kann – eben weil die Verantwortlichkeiten nicht klar geregelt sind.
Was machen Sie dagegen?
Ich bin der Meinung, dass das Bundespersonalgesetz geändert werden muss. Mit dem bestehenden Gesetz kommen wir auf die Länge gesehen nicht durch. Ich bin noch nicht so weit, arbeite aber immerfort an notwendigen Änderungen.
Arbeiten Sie immer noch 20 Stunden am Tag?
Nein, das war die ersten drei Monate so. Auf Dauer kann das niemand. Sie müssen sehen, wenn Sie ein Departement neu übernehmen, kennen Sie niemanden und Sie wissen nicht, welches die Stärken und Schwächen Ihrer Mitarbeiter sind. Sie müssen alles erfragen und viel zuhören, auch um Abläufe kennen zu lernen. Um sich ein taugliches Bild machen zu können, müssen Sie dafür tief in die Verwaltung hinein gehen. Jetzt im vierten Monat sehe ich vieles wesentlich klarer als noch zu Beginn.
Wie viele Stunden sind es heute?
Ich zähle sie nicht. Aber ich habe ab und zu freie Abende. Ich bin ja jetzt hin und wieder unterwegs, halte auch Vorträge oder mache Besuche.
Das sind dann freie Abende?
Frei nicht gerade, aber mindestens bin ich in dieser Zeit nicht eingebunden im engeren Departementsbereich. Es tut mir gut, wenn ich zur Abwechslung raus kann ins Leben, raus aus den Amtsstuben. Ich habe mich die ersten drei Monate ja praktisch eingeschlossen wie ein Mönch. Ich musste den Betrieb und die Verfahren kennen lernen und Dossiers studieren, musste mit Direktoren und Mitarbeitern ein neues Bundesgerichtsgesetz erarbeiten, was ja nicht gerade in meinem beruflichen Erfahrungsbereich lag.
Die bilateralen Verträge II stehen kurz vor Abschluss. Werden Sie am angekündigten hohen Ministertreffen neben Frau Calmy-Rey und Herrn Deiss teilnehmen?
Ich weiss noch nicht, ob meine Anwesenheit notwendig und erwünscht ist. Ich muss das noch prüfen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man keine Ministerrunde machen soll, ohne dass zuvor auf Diplomatenebene alle strittigen Details bereinigt wurden. Es ist ausserordentlich gefährlich, wenn die höchste politische Stufe noch verhandeln muss. Das geht nie gut, wie wir schon zwei, drei Mal erlebt haben. Der Ausgang dieser aktuellen Frage ist noch offen.
Im Bundesrat besteht jedoch der Wunsch, dass sie an der Abschlussrunde teilnehmen?
Das wurde geltend gemacht, aber nicht entschieden.
Der Bundesrat handelt hier aber doch wohl als Gesamtbehörde und nicht mit sieben unabhängigen Ministern.
Ja, natürlich. Wir haben an der Bundesratssitzung die Meinung geteilt, dass auf der unteren Verhandlungsebene Einigkeit herrschen müsse. Der Bundesrat will deshalb das Verhandlungsergebnis nochmals prüfen, bevor die Minister zusammentreten.
Sie waren vor Ihrer Wahl in den Bundesrat ein Kritiker des Schengenabkommens. Dies hat sich wohl seit dem 1. Januar nicht geändert. Welche Kritikpunkte stehen für Sie im Vordergrund?
Wenn der Bundesrat eine Position beschlossen hat, ist klar, dass ich mich nicht für eine andere einsetze. Der Bundesrat hat die Vor- und Nachteile abgewogen. Der Vorteil dieses Abkommens im Sicherheitsbereich ist das Schengener Informationssystem. Das könnte Verbesserungen bringen, die allerdings nicht überbewertet werden sollten. Der Nachteil ist, dass wir nicht wissen, welche Folgen die Abschaffung der Personenkontrollen an der Grenze hat. Wir wissen nicht, ob die Einbindung der Schweiz in das Sicherheitssystem Europas eine Verbesserung oder eine Verschlechterung bedeutet. Schengen wurde ja nicht aus Sicherheitsgründen geschaffen. Die Schengenländer mussten die Polizeikorps beachtlich aufstocken, um die Sicherheit trotz freiem Grenzverkehr noch gewährleisten zu können. Dieses Problem würde sich uns auch stellen. Zudem müssten wir das künftige EU-Recht in diesem Bereich übernehmen, ohne dass wir mitentscheiden können.
Und das Bankgeheimnis?
Das Bankgeheimnis muss bestehen bleiben. Ob dies gelingt, muss die Schlussfassung zeigen. Vermutlich geht es nicht ganz ohne Konzessionen.
Aber genau das will der Bundesrat nach eigenem Bekunden nicht.
Der Bundesrat hat gesagt, dass es keinen Schengenvertrag gibt, ohne dass das Bankgeheimnis gesichert ist. Man wird nach den Verhandlungen beurteilen müssen, ob dies tatsächlich so ist. Die Krux – auch in der Volksabstimmung – wird die Unterscheidung zwischen direkten und Indirekten Steuern sein, die Europa verlangt. Insgesamt ist der Bundesrat jedoch bis heute der Meinung, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen.
Ist denkbar, dass der Bundesrat nach abgeschlossener Verhandlung sagt, das Bankgeheimnis sei gerettet, in Tat und Wahrheit ist es aber geritzt?
Die Gefahr besteht bei solchen Verträgen immer. Aber das Volk und die Wirtschaft werden dies überprüfen können. Es ist ja nicht so, dass alles, was der Bundesrat sagt, sakrosankt ist.
Für Wirbel sorgte ein geheimer Mitbericht, den jemand in der Verwaltung veröffentlichte. Sie verlangten darin die Reduktion der Bundesförderung für Schweiz Tourismus auf einen symbolischen Franken. Hat Sie diese Veröffentlichung überrascht?
Ich habe nichts geschrieben, von dem ich erwartete, dass es eine Katastrophe gibt, wenn es bekannt wird. Es war aber eine ganz neue Erfahrung für mich. Vieles im Bundesrat, vor allem die Bundesratssitzungen, ist vertraulich und geheim. Auch vom Bundesrat darf niemand wissen, wie er verhandelt. Und trotzdem wird immer wieder vieles publik, vielfach versehen mit Halbwahrheiten. Es gibt da zweifellos etwas Intrigenhaftes. Deshalb habe ich vorgeschlagen,- wenn man die Geheimhaltung schon nicht garantieren kann – dass der Bundesrat öffentlich verhandelt. Dann kennt man wenigstens die Realität. Die Bevölkerung ist meiner Meinung nach schlecht informiert, weil – gerade auf diese Weise – nur selektiv informiert wird. Das ist unbefriedigend.
In dieser Sache hat die Bundesanwaltschaft den Beamten ermittelt, der Ihren Mitbericht herausgegeben hat. Was passiert nun?
Die Bundesanwaltschaft hat dem Bundesrat ihren Bericht abgeliefert und benötigt jetzt eine Ermächtigungsverfügung, damit der Fall an den Untersuchungsrichter weitergeleitet werden kann. Nach Meinung des Bundesrats muss ich nun diese Ermächtigung erteilen, ausser der Betreffende wird durch seinen Departementschef genügend disziplinarisch gemassregelt.
Was erwarten Sie?
Ein Verweis würde wahrscheinlich nicht genügen. Es müsste ein deutliches Zeichen gesetzt werden, damit die Indiskretionen aufhören. Im Falle meiner Ermächtigung an die Bundesanwaltschaft müsste in jedem Fall bekannt gegeben werden, um welche Person es sich handelt und welche Massnahmen getroffen wurden. Sonst wirkt das nicht vertrauensbildend.
Sie haben sich von allen Ämtern Ihrer früheren Firma EMS Chemie getrennt. Hat sich dies bewährt?
Ja, es geht erstaunlich gut. Wir haben letztes Jahr die Kosten im Rahmen einer grossen Übung gesenkt. Dies muss sich dieses Jahr auswirken. Ich habe bisher – von aussen – einen guten Eindruck.
Fragen ehemalige Mitarbeiter noch hin und wieder um Rat?
Nein. Am Anfang kam das vor, was nach der langen Zusammenarbeit auch verständlich ist. Ich habe sie aber jeweils an meine Tochter verwiesen, die das Unternehmen jetzt führt. Ich habe mich vollständig vom Unternehmen getrennt. So habe ich das Geschäftsergebnis der ersten drei Monate erstmals der Zeitung entnommen. (lacht)
Haben Sie diese Trennung auch emotional vollzogen?
Das dauert wohl noch eine Weile. Ich fuhr diese Woche auf einer Reise ins Bündnerland an meinem ehemaligen Werk vorbei. Das hat mich berührt, ich verspürte etwas Heimweh. Wissen Sie, wenn man ein Unternehmen in der Krise übernommen hat und dieses zum Erfolg geführt hat, ist das, wie wenn man ein schwieriges Kind pflegt, betreut und dieses auf einen guten Weg gebracht hat. Das wächst einem ans Herzen, da kann man nicht einfach am 31. Dezember « adios » sagen und es am 1. Januar nicht mehr kennen. Das ist nicht möglich. Aber jetzt gibt es für mich nichts anderes. Mit jedem Arbeitstag in Bern binde ich mich zudem emotional stärker an meine neue Aufgabe und ich löse mich somit immer mehr von der früheren.