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02.04.2012

Jean Ziegler wehrt sich für die parlamentarische Immunität seines Rivalen

Interview in der Schweizer Illustrierten vom 2. April 2012 mit Jean Ziegler Zwei Bücher hält Jean Ziegler, 77, in der Hand, als er in Genf das Restaurant Radio betritt: Es sind die Blocher-Biografie «Der konservative Revolutionär» und «Wie herrlich, Schweizer zu sein», eines seiner eigenen Werke. «Beide sehr lesenswert», sagt er. Zieglers Tatendrang ist ungebrochen: Noch immer ist er für die Uno tätig, schreibt Bücher und Kolumnen, in Paris betreut er an der Universität Doktoranden. Fit hält er sich – wer hätte das gedacht – mit Judo. «Ich trainiere zweimal pro Woche. Und wenn ich unterwegs bin, befolge ich streng ein Programm meines Trainers.» Jean Ziegler, soll man Christoph Blochers parlamentarische Immunität aufheben? Ganz sicher nicht. Die Immunität ist für einen Parlamentarier ein wichtiges Instrument. Weshalb? Die wohl wichtigste Aufgabe eines Parlamentariers ist die Aufsicht über den Staatsapparat. Um diese Pflicht auszuüben, braucht es zwingend die Immunität. Sie stehen in der Hildebrand-Affäre also hinter Christoph Blocher? Zu Blocher Folgendes: Sein Schweizbild stammt aus dem frühen Mittelalter. Wie bitte? Ja, der 6. Dezember 1992, als der EWR-Vertrag abgelehnt wurde, war eine absolute Katastrophe für die Schweiz. Heute sehen wir es ja, wir sind nur noch Hampelmänner von Brüssel, müssen alles nachvollziehen, was dort beschlossen wird. In der  Praxis sind seine Rezepte nichts wert. Zurück zur Hildebrand-Affäre. Christoph Blocher hat dem Land einen grossen Dienst erwiesen. Der Präsident der Nationalbank betrieb private Devisengeschäfte, kaum zu glauben! Und jetzt bekämpft man Blocher mit absurden Argumenten. Dabei müsste man in der Nationalbank aufräumen. Philipp Hildebrand hat die Reglemente nie gebrochen. Weil die Reglemente ein Skandal sind! Herr Ziegler, Sie reden wie ein SVPler. Nein, gopferdeckel, ich rede wie ein Links-Sozialist! Fragen Sie die Leute in dieser Beiz, ob es normal sei, dass der Nationalbank-Präsident private Devisengeschäfte durchführt. Jeder mit einem minimalen Gerechtigkeitsempfinden wird Ihnen das Gleiche sagen. Wieso sollte Blocher durch die Immunität geschützt sein? Er war nicht vereidigt, als er die brisanten Bankunterlagen erhielt. Das sind doch Spitzfindigkeiten. Blocher war gewählt und hatte das Mandat vom Volk. Ob er vereidigt war oder nicht, ist absolut sekundär. Seien wir froh, dass Blocher diese Dokumente erhielt, und Gott sei Dank war Micheline Calmy-Rey Bundespräsidentin. Sie erkannte sofort die Tragweite des Skandals. Eveline Widmer-Schlumpf hat ja alles gemacht, um die Geschichte unter den Teppich zu kehren. Sind Sie Blocher sogar dankbar? Ja. Seien wir doch froh, dass es ausgerechnet er war, der den Skandal ans Licht gebracht hat. Nur er hat das Gewicht, die Kraft und den Zorn, um eine solche Geschichte durchzustehen. Der Bankrat, dieser lausige Verein, hätte sonst alles vertuscht. Und nun geht man juristisch gegen Christoph Blocher vor. Was offensichtlich politisch motiviert ist. Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat nur selten einen Finger gekrümmt, wenn es um Geldwäscherei oder Fluchtkapital ging. Die Zürcher beten sowieso das Bankgeheimnis an, ihr Wallfahrtsort ist der Paradeplatz. Das steckt in der Zürcher DNA. Und jetzt versucht diese Staatsanwaltschaft mit einer absurden juristischen Konstruktion, Blocher zu Fall zu bringen. 1991 hob das Parlament wegen Ihres Buches «Die Schweiz wäscht weisser» Ihre Immunität auf. Wie stark hat Sie das getroffen? Es rollte eine Prozesslawine auf mich zu, die wahnsinnig viel Geld und Energie kostete. Mein Professoren-Lohn wurde gepfändet, ich habe heute noch mehrere Millionen Franken Schulden. Aufgehalten hat Sie das aber nicht. Die Beschimpfungen waren sehr unangenehm, die Drohungen gegen meine Familie und mich machten Angst. Aber die Angriffe haben mich auch angestachelt. Man spürt, dass man den Gegner getroffen hat, sonst würde dieser ja nicht so heftig reagieren. Das wird auch bei Blocher so sein. Es wird ihn doch nicht bremsen, im Gegenteil. Was passiert, wenn Blochers Immunität aufgehoben wird? Dann wird er strafrechtlich verfolgbar, wird sich allenfalls einem Gerichtsverfahren stellen müssen und wird im schlimmsten Fall verurteilt. Das kann ich mir aber nicht vorstellen. Ist er dann noch tragbar als Nationalrat? Aber sicher doch, ich bin neun Mal verurteilt worden! Dank der Uno geniessen auch Sie Immunität. Brauchen Sie diese, weil Sie sonst wieder zahlreiche Klagen am Hals hätten? Ohne die Immunität werde ich gejagt, das ist so. Ich brauche sie im Kampf gegen den Hunger auf der Welt. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren! Was hat das mit Ihrer Immunität zu tun? Mein neues Buch «Wir lassen sie verhungern», das im September bei Bertelsmann erscheint, ist ein Bericht über meine acht Jahre als Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung bei der Uno. Ich schreibe über einige fürchterliche Halunken, Präsidenten und Staatschefs, die ich getroffen habe, die mich anlogen, während ihr Volk draussen verhungerte. Und das können Sie dank der Immunität? Sie ist die Waffe, die es braucht für diesen Kampf. Und das Buch hat ja nur einen Sinn, wenn es die Leute aufrüttelt und mobilisiert. Auch Blocher beruft sich jetzt auf seine Immunität, obwohl gerade die SVP eine PUK und totale Transparenz forderte. Die Immunität ist sein Recht. Aber eine PUK hätte ich ebenfalls unterstützt. Gerade Ihre Partei, die SP, war geschlossen dagegen. Ach, die SP, die ist wie alle Parteien heute vor allem eine Wahlbürokratie. Sie hat wenig zu tun mit der sozialistischen Revolution, die nötig ist. Sie ist leider keine wirkliche soziale Bewegung mehr, die SVP ist die einzige soziale Bewegung, leider. Empfinden Sie Genugtuung über den Fast-Zusammenbruch des Bankensystems in den vergangenen Jahren? Es ist immer noch da, das System. Der Völkermord in der Dritten Welt läuft ebenfalls, und das Blutgeld zirkuliert immer noch. Hat sich nichts verändert? Doch, es herrscht mehr Transparenz, die Masken wurden runtergerissen, das Blut läuft die Fassaden runter. Die UBS wäre zusammengebrochen, wenn die Handlanger sie nicht in einer Nachtund-Nebel-Aktion gerettet hätten. Die Schweiz hat grossartige Landschaften und wunderbare Menschen. Aber wir sind total kolonialisiert von der Banken-Oligarchie. Sie definiert, wo es langgeht. Ist es nicht eine Ironie der Geschichte, dass Blocher ausgerechnet wegen Verdacht auf Bankgeheimnisverletzung von der Justiz gejagt wird. (Lacht laut.) Ja, diese Ironie, einfach herrlich. Aber ich bin trotzdem auf seiner Seite. Was ich an ihm schätze: Wenn der Blocher redet, dann redet der Blocher. Im Gegensatz zu vielen bürgerlichen Parlamentariern, die bloss Söldnertypen sind. Er ist kein Kaspar Villiger, kein Hans-Rudolf Merz, sondern er ist immer der Blocher … … authentisch. Bis zur Absurdität. Sie scheinen Blocher zu mögen. Jean-Paul Sartre hat gesagt: «Den Feind erkennen, den Feind bekämpfen. » Ich versuche, die Person Blocher zu verstehen. Denn für die Oligarchie ist er unbezahlbar. Er sterilisiert den politischen Diskurs auf absolut unbedeutende Probleme, deshalb wird bei uns nicht über die Umverteilung des Volksvermögens, über eine radikale Steuerreform oder die Verstaatlichung der Banken diskutiert. Aber geben Sie es zu: Wenn Sie eine Woche lang in eine einsame Berghütte gehen müssten, würden Sie Blocher dem SP-Bundesrat Alain Berset vorziehen? (Lacht laut.) Eine junge Frau würde ich vorziehen, gopferdeckel!

08.02.2012

Basler Fasnacht

Interview mit der Basler-Zeitung vom 8. Februar 2012 mit Herrn Dominik Heitz BaZ: Herr Blocher, Sie haben schon einige Male das Charivari besucht, bisher aber stets als Zuschauer. Was hat Sie bewogen, nun selber auf die Bühne zu gehen? Christoph Blocher: Die Organisatoren haben mich gefragt, ob ich komme; es sei jeden Abend ein Politiker anwesend. Zwar haben sie mir gesagt, die Bevölkerung wisse nicht, wer an welchem Abend komme. Aber jetzt habe ich das ja schon in der Zeitung gelesen. Zunächst möchte ich aber sagen: Ich bin ein grosser Freund der Basler Fasnacht; die anderen Fasnachten sagen mir eigentlich nichts. Was gefällt Ihnen denn an der Basler Fasnacht? Sie hat Besonderes: Drei Tage der Freude, an denen sich die Leute zeigen und über sich und ihre Verhältnisse so reden wollen, wie es ihnen beliebt. Witzig, kritisch nehmen sie andere und sich selber hoch. Und dass man das kann, ist befreiend. Zudem werden die Leute auf gute Art hoch genommen. Ich bin ja schon viele Male Sujet von Schnitzelbänken gewesen, ich habe aber noch nie einen erlebt, bei dem ich hätte sagen müssen: Das geht nicht, ich gehe nach Hause. Es war immer lustig und mindestens mit einem Körnchen Wahrheit. Ist Ihnen eine Bank, ein Spruch oder ein Laternenvers über Sie bis heute in Erinnerung geblieben? Nein, fällt mir gerade nicht ein. Aber ich höre mir gerne Schnitzelbänke an. Wenn ich Zeit habe, höre ich mir sie sogar am Radio an ­ eine der wenigen Sendungen, die ich mir am Radio anhöre. Ich habe Freude am Witz und an der Gestaltung der Bänke und auch an den Sujets: Erst in den letzten beiden Zeilen eines Verses muss das Sujet kommen, oder sogar erst in den letzten beiden Wörtern. Das ist eine Kunst! Im Charivari vor einem Jahr, glaube ich, sagte der eine zum anderen: Was, Schneider-Ammann? Wieso heisst er denn Schneider-Ammann? Ist er den Ammann? Da antwortet der andere: Nein, das ist der Name seiner Frau. Da fragt der erste zurück: Warum heisst er dann nicht Schneider-Am-Frau? In solchen Wortspielen sind die Basler Meister. Die Fasnacht hat natürlich auch etwas Provinzielles. Inwiefern? Es stehen sehr viele baslerische Eigenheiten zur Diskussion, die wir als Auswärtige nur schwer begreifen können. Das Drämmli zum Beispiel ist ein nie versiegendes Thema; man hat wirklich den Eindruck, die Basler seien in ihr Tram verliebt. Das hat doch auch etwas rührendes. Zurück zum Charivari: Was hat Sie bewogen, sich auf der Bühne zu exponieren? Ich bin angefragt worden, ob ich ans Charivari komme und auch bereit wäre, mitzumachen. Ich weiss bis heute nicht, was ich machen soll; ich habe noch nichts gehört. Es muss also eine Überraschung sein. Ich bin ja ein Thema in Basel - auch wegen der Basler Zeitung. Und da lernt man Basel auch von einer anderen Seite kennen. Und die ist nicht schön, - viel kleinkariertes und Untolerantes ­ zumindest bei einem gewissen Teil der Leute; ich bekomme ja Briefe von beiden Seiten. Und da ist es wohl am besten, wenn man sich zeigt ­ auch auf der Bühne. Wie oft sind Sie schon an der Fasnacht gewesen? Schon unzählige Male. Auch schon am Morgenstreich. Und einmal, als Adolf Ogi Bundesrat war, ging ich mit einer Ogi-Larve an die Fasnacht. Ich sagte Ogi, dass ich ihm nachher erzählen werde, wie die Basler über ihn spotten. Als ich dann mit der Ogi-Larve in eine Beiz ging, haben natürlich alle gegrinst - und erst recht, als ich die Larve auszog. Und einmal schaute ich mir auf der Rheinbrücke den Cortège an. Da kam ein Waggis daher und sagte: "Lueg doo, y haa dr es Dääfeli; kaasch jo nüt drfür, dass den uusgseesch wie dr Blocher." Das sind doch schöne Erinnerungen. Werden Sie dieses Jahr auch an die Fasnacht gehen. Ich habe im Sinn, das "Striggede-Fest" zu besuchen - den jährlichen Anlass und dafür habe ich auch diesmal eine Einladung bekommen. Ich muss noch schauen ob ich es hinkriege, aber wenn es sich irgendwie einrichten lässt, dann gehe ich. Mit Freuden!

21.01.2012

Wertezerfall im Schweizerland

Albisgüetli-Rede 2012

20.01.2012

Dégradation des valeurs en Suisse

Discours de l'Albisgüetli du 20 janvier 2012

02.01.2012

Würdigung grosser Zürcher Persönlichkeiten

Neujahrsanlass vom 2. Januar 2012 in Niederglatt Meine sehr verehrten Damen und Herren Liebe Frauen und Männer I. Einleitung Wir versammeln uns hier im Zürcher Unterland am "Bächtelistag" des Jahres 2012, um "Zürcher Persönlichkeiten" zu würdigen, die längst nicht mehr unter uns weilen. Das mag vielen Zeitgenossen eigenartig vorkommen. Tatsächlich, alle drei Persönlichkeiten – Alfred Escher (der Architekt der modernen Schweiz), Gottfried Keller (der bedeutendste Schweizer Dichter) und Rudolf Koller (der Künstler des schweizerischen Nationaltiers – der Kuh) sind vor über hundert Jahren gestorben. Alle drei sind "grosse Zürcher Persönlichkeiten", nicht des 21. Jahrhunderts, sondern des 19. Jahrhunderts. Trotzdem: Sie sollen heute gewürdigt und "ihre Bedeutung für die Schweiz" aufgezeigt werden. Allein, dass wir dies tun, beweist, dass es sich um besondere Menschen handelt. Wer würde sonst von ihnen reden? Denn die Zeit trennt das Wichtige vom Unwichtigen, das Bleibende vom Vergänglichen, das Wertvolle vom Wertlosen, das Werk von der Betriebsamkeit. In einer Zeit, in der der Mensch – wie der gegenwärtige Blick in die Welt und in die Vorgänge in Europa zeigt – das gross Angelegte, das abstrakt Konstruierte, das Grenzenlose, Unübersichtliche anstrebt, ist die Suche nach dem Allgemeingültigen und Dauerhaften von besonderer Bedeutung. Die Erkenntnis zeigt, dass es halt doch Persönlichkeiten und nicht Systeme sind, die das Wesen der Welt ausmachen. zum Video