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Mandat de Conseiller Fédérale

28.11.2007

Die Mitte zu schwächen, ist nicht Ziel der SVP

Bundesrat Blocher über den Ausgang der Wahlen, das Klima in der Regierung und zentrale politische Herausforderungen 28.11.2007, Neue Zürcher Zeitung, Martin Senti "Er bleibt auch vier Jahre nach seiner Wahl der umstrittenste Bundesrat. Grund genug, im Vorfeld der Bundesratswahlen vom 12. Dezember das Gespräch mit Christoph Blocher zu suchen. Wie kann die SVP den hohen Wähleranteil halten, ohne ihre Wahlversprechen preiszugeben? Wie beurteilt er die Stimmung im Bundesrat, welches wäre sein Wunschdepartement?" Herr Blocher, das vergangene Wahlwochenende hat einmal mehr gezeigt: Die SVP hat grosse Mühe, sich in Majorzwahlen durchzusetzen, wie erklären Sie sich das? Bei Majorzwahlen setzen sich nie profilierte Parteipolitiker durch. Kandidaten der SVP haben besondere Mühe, weil die Partei so erfolgreich ist. Vor den Grünliberalen hat in Zürich niemand Angst, eine 2-Prozent-Partei ist für die Konkurrenz keine Gefahr. Oder nehmen Sie das Beispiel St. Gallen: Hier haben sogar die Grünen in Briefen dazu aufgerufen, man möge doch die FDP und die CVP wählen. Eine wirklich absonderliche Situation. Dafür klappt es für die SVP ganz gut bei Proporzwahlen? Eine Partei gewinnt nicht, weil sie gut ist, sondern weil sie politisch besser ist als die anderen. Es ist sowohl gefährlich, allein im Hinblick auf Regierungs- und Ständeratswahlen bis zur Programmlosigkeit Abstriche zu machen, als auch, gar keine Konsensbereitschaft zu haben. Zur Durchsetzung der eigenen Politik sind doch aber Exekutivsitze unabdinglich? Ja. Für die SVP stellt sich die Frage: Wie kann sie auf diesem hohen Niveau politisieren, ohne die Wahlversprechen preiszugeben? Das ist die Frage, der sich die Partei in den nächsten Jahren stellen muss - zusammen mit den Kantonalparteien. Als Regierungspartei ist dies dringend anzugehen. In der Opposition wäre dies anders. Die SVP wurde in der Opposition weitermachen, wenn ihre Bundesratsvertreter nicht gewählt würden, was sich bei Proporzwahlen starken wurde. Für die Schweiz wäre das allerdings eine schwierige Situation, wenn eine Partei mit 29 Prozent in die Opposition gedrängt würde. Doch die Zukunft kann man nur beurteilen, wenn man weiss, was der politische Gegner macht. Im SVP-Wahlkampf wurde primär mit Problemen in der Sicherheit und mit der Ausländerkriminalität mobilisiert. Kaum aber waren die Wahlen vorüber, da gaben Sie an einer Pressekonferenz Entwarnung. Wie ist das zu verstehen? Ich war selber erstaunt, wie das von den Medien aufgenommen wurde. Mir ging es um eine Klarstellung in einer Zeit, in der in ausländischen Medien über die angeblich xenophobe Schweiz gelästert wurde. Ich stellte klar, dass wir die höchste Ausländerquote haben und zu den einbürgerungsfreundlichsten Ländern gehören, nach Kanada und Amerika. Und trotzdem haben wir keine Ghetto-Probleme oder fremdenfeindlichen Parteien. Aber, und dieses Aber hat man in den Berichten weggelassen: Wir haben eine verhältnismässig starke Ausländerkriminalität, eine hohe Arbeitslosigkeit unter den Ausländern und andere Sonderprobleme, die wir lösen müssen. Fehlende Partner? Die SVP ist in den vergangenen Jahren nicht zuletzt auf Kosten der FDP gewachsen. Was nützen Wahlerfolge, wenn die Allianzpartner fehlen? Es ist nicht sicher, ob die SVP den Freisinn schwächt. Verloren hat vor allem die SP. Die Verschiebungen sind nicht so klar erkennbar. Die Mitte zu schwachen, ist nicht Ziel der SVP, ihre Gegner sind die SP und die Grünen. Die Freisinnigen verlieren, weil sie sich seit den siebziger Jahren nach allen Seiten offnen wollten, also auch nach links. Ich glaube, die Wähler wollen keine Parteien, die allen alles recht machen wollen — Parteien bestehen nicht zum Selbstzweck. Dennoch: Sie haben politisch längst nicht so viel erreicht, wie Sie wollten. Ich bin jetzt seit vier Jahren im Bundesrat. Wir haben ein Asylgesetz durchgesetzt, das auf unserer Linie liegt und das durch Überzeugung von Bundesrat, Parlament und Volk mitgetragen wurde - Gleiches gilt für das Ausländergesetz. Wir haben viel erreicht, die wichtigen Gesetzesprojekte sind verabschiedet oder auf Kurs, die Justizreform und die Wirtschaftsreform-Vorlagen. Was noch kommt, ist das neue Aktienrecht. In der Finanzpolitik bin ich nicht durchgestossen mit meinen Maximalforderungen. Aber das Kostenbewusstsein ist klar gestiegen. Der Bundesrat hat zumindest das Ziel beschlossen, die Ausgaben um 20 Prozent zu reduzieren. Fehlt eigentlich nur noch die Umsetzung. Die grossen Ziele, wie radikal Ausgaben und Zwangsabgaben zu senken, sind nicht verwirklicht. Herr Merz hat versprochen, er bringe nach den Wahlen Projekte zur Ausgabensenkung, dann werden wir sehen. Ich habe in meinem Departement erlebt, dass man sparen kann, ohne Leistungen zu kürzen. Ich habe den gleichen Kosteningenieur geholt, mit dem ich während Jahren in der Firma gearbeitet habe - ein Halbjahres-Mandat. Die Zielsetzung von 20 Prozent wurde verwirklicht. Aber man muss professionell vorgehen mit Unterstützung von ganz oben. Bundesratsklima-Forschung Eine Frage zum Atmosphärischen: Wie beurteilen Sie die momentane Stimmung im Bundesrat? Die Stimmung ist offen, direkt - das heisst gut. Die Probleme werden ausdiskutiert. Es gibt auch nicht mehr diese Mimosenhaftigkeit, wie ich sie von früheren Bundesraten geschildert bekam. Aber da war doch von einem Komplott gegen Sie die Rede, das bis in den Bundesrat hineinreiche? Das war eine Ausnahmesituation in der Nervosität der Vorwahlzeit. Es war ein schwarzer Tag, der 5. September, für alle Gremien, für den Bundesrat, die GPK und die Bundesanwaltschaft. Man hat mich als Justizminister mit abstrusen Vorwürfen konfrontiert, nach einem einfachen Muster: Man verdächtigt jemanden, den man nicht mag, lässt aber den Beweis offen. Wären die Original-Unterlagen als Gegenbeweis nicht schon am anderen Tag auf dem Tisch gelegen, hätte ich das politisch kaum überlebt. Weil man ja von allem nichts weiss, wird man von solchen Anschuldigungen völlig überrascht. Nichts gewusst? Die SVP hat doch den Eklat mit Inseraten schon im Voraus angekündigt? Es war bekannt, dass ein GPK-Bericht kommt, auch dass er einseitig gefärbt sein würde. Aber ich habe nicht geahnt, was da wirklich gespielt wird. Das war keine saubere Sache, aber nun ist sie vorbei. Auch solches muss man wegstecken. Die Antwort des Bundesrats scheint vorzuliegen, wird er Sie nun von allen Vorwürfen entlasten? Ich weiss nicht, was der Bundesrat machen wird. Gewisse Dinge hat er aber schon längst entschieden. Es wird ein neues Gesetz geben, das die strittigen Fragen klären soll. Dieses ist jetzt in der Vernehmlassung. Die ganze Problematik ist letztlich auf die Doppelunterstellung der Bundesanwaltschaft zurückzuführen. Die Verantwortlichkeiten sind nicht geklärt. Sozialdepartement wurde ihn reizen Wenig Freude dürften einige Ihrer Bundesratskollegen über die Rücktrittsforderungen haben. Die SVP stellt sogar den eigenen Bundesrat Schmid zur Disposition, wie stehen Sie dazu? Es geht nicht gegen Herrn Schmid, sondern um die von der FDP aufgeworfene Frage einer Dreiervakanz. Ursprünglich wurde Samuel Schmid von der SVP nicht vorgeschlagen, aber bei der letzten Wiederwahl klar unterstützt. Trotz einigen Differenzen in der Sicherheitspolitik unterstützt die SVP-Fraktion Herrn Schmid. Man darf das alles nicht überbewerten. Letztlich steht dahinter doch der Wunsch nach einer grossen Departements-Rochade? Welches Departement würden Sie gerne übernehmen? Zunächst einmal: Wenn die Bundesräte auf ihren Departementen beharren, dann zementiert das die Politik; Rochaden schaden also nicht. Als ich gewählt wurde, hätte ich gerne das Finanzdepartement übernommen. Ich habe aber gewusst, dass ich es nicht bekomme. Alle wollen schliesslich Geld ausgeben, also gibt man die Finanzen nicht dem, der am wenigsten gern Geld ausgibt. Und welches wäre heute Ihr Wunschdepartement? Das Hauptproblem der nächsten zehn Jahre wird die Problematik der Sozialversicherungen und der Sozialleistungen und ihre Finanzierbarkeit sein. Wie bekannt, habe ich vorgeschlagen, ein Sozialdepartement einzurichten, in dem alle Sozialversicherungen - auch die Krankenversicherung - eingeschlossen sind; also alles, was zur Unterstützung von Leuten da ist, die nicht durch Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können. Die Aufgabe, diese Probleme zu lösen, würde mich reizen, auch wenn ich weiss, dass man sich sehr stark einbringen und exponieren müsste. Von der geplanten Departementsreform scheint aber nicht vie! übrig geblieben zu sein? Eine grundsätzliche Neuorganisation ist in weiter Ferne. Bezüglich des Sicherheitsdepartements - ich bin da zusammen mit Herrn Schmid involviert - werden wir wohl 2008 mit Vorschlägen kommen. Wobei ich politisch noch Fragezeichen mache: Armee und Polizei im gleichen Departement, das ist sehr heikel im Ernstfall. Offen ist auch die Frage, wo die Bildung hingehört, das kommt im Februar zur Sprache. Immerhin! Am 12. Dezember sind Bundesratswahlen. Befürchten Sie, nicht bestätigt zu werden? Das ist ohne weiteres möglich. Ich bin für alle Fälle gerüstet. Die Wahrscheinlichkeit einer Nichtwahl ist etwas kleiner geworden: Namentlich für die FDP und die CVP, aber auch für die SP ist eine SVP in der Opposition eine schlechte Lösung. Die SP scheint unterdessen gemerkt zu haben, dass es ein Fehler war, sich so stark auf meine Person zu fokussieren. Jedenfalls stellt sie offenbar keinen Gegenkandidaten auf. Werde ich abgewählt, dann gehen wir in die Opposition. Mit Christoph Blocher als SVP-Präsident? Das wäre eine Möglichkeit. Denkbar wäre auch, dass man Sie bei der Wahl für das Vizepräsidium des Bundesrats nicht berücksichtigt. Wie würden Sie das aufnehmen? Als Vizepräsident gewählt zu werden, heisst, man wird im kommenden Jahr Präsident. Man hat dann eine andere Aufgabe, man muss die Regierung vertreten. Das würde ich selbstverständlich tun, das traue ich mir zu. Eine Nichtwahl würde bedeuten: Wir wollen den schon als Bundesrat, aber wir wollen nicht, dass er die Regierung vertritt. Das gibt mehr Freiheit, mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Als Bundespräsident ist man noch stärker eingebunden, im Präsidialjahr fällt man politisch praktisch aus. Entweder will man Sie doch als Bundesrat mit den üblichen Regeln der Rotation, oder aber man will Sie nicht - alles andere wäre doch irritierend? Ja, ich fände das komisch. Es wäre ein Akt der Unüberlegtheit. Europa und Roma Es stehen in den nächsten Jahren wichtige Abstimmungen in der Europapolitik bevor. Wie halten Sie es mit der Bestätigung der Personenfreizügigkeit (Bilaterale I) und ihrer Ausweitung? Es gibt hier vorgefertigte Meinungen, und das finde ich gefährlich. Man sollte unvoreingenommen abwägen, was die Vor- und die Nachteile sind. Wir sollten frei sein in der Entscheidung. Natürlich wird man nicht mit einzelnen EU-Ländern die Personenfreizügigkeit haben können und mit anderen nicht. Also geht es jetzt darum, im Hinblick auf die Ausweitung auf Bulgarien und Rumänien zu verhandeln. Wir kämpfen um Übergangsfristen, das ist wichtig bei diesen Ländern. Und wir müssen das Problem der Roma lösen. Es kann doch nicht sein, dass wir aus einem Land, mit dem wir die Personenfreizügigkeit einführen wollen, immer wieder zahlreiche Asylsuchende haben. Hier muss eine Lösung gefunden werden. Noch zu zwei Themen, mit denen Sie in jüngerer Zeit Schlagzeilen gemacht haben: Was ist hinsichtlich des Verhältnisses von Völkerrecht und Landesrecht zu erwarten, und wie geht es weiter bei der Rassismusstrafnorm? Bei der Rassismusstrafnorm warten wir das Ende der Legislatur ab. Vielleicht gibt es ja einen neuen EJPD-Vorsteher, der hier keinen Handlungsbedarf sieht. Bleibe ich, dann werde ich Varianten aufzeigen. Zur Frage Völkerrecht und Landesrecht: Es freut mich, dass die ständerätliche Rechtskommission hier den Faden aufgenommen und eine Aussprache geführt hat. Der Bundesrat wurde aufgefordert, einen Bericht vorzulegen. Was stört Sie an der gegenwärtigen Situation? Die Hauptfrage, um die es hier geht, ist weniger die Zulässigkeit von Volksinitiativen als vielmehr die Frage: Wer ist eigentlich der Gesetzgeber? Wir haben keine Mühe mit dem zwingenden Volkerrecht, solange dieser Begriff nicht massiv ausgedehnt wird. Es gibt aber auch eine Reihe von Normen - namentlich im Menschenrechtsbereich -, welche die Gefahr von Widersprüchen in sich tragen. Ich denke etwa an die Stellvertreterehe oder an die Polygamie, die trotz Berufung auf den Schutz des Familienlebens in der Schweiz nicht anerkannt werden sollten. Was wäre hier Ihrer Meinung nach zu ändern? Mit Ausnahme des zwingenden Völkerrechts sollte nationales Recht Vorrang haben. Das Bundesgericht hat mit der Schubert-Praxis den Weg aufgezeigt. Zum Schluss eine Frage an den leidenschaftlichen Kunstsammler: Haben Sie schon ein Bild von Valentin Roschacher? Nein (lacht), ich sammle echte Hodler.

24.11.2007

90 Jahre Bierhübelirede

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der SVP-Informationsveranstaltung, 24. November 2007, Bern 24.11.2007, Bern Bern. In seiner Ansprache an der SVP Informationsveranstaltung gedachte Bundesrat Christoph Blocher der "Bierhübelirede" des Berner Bauern Rudolf Minger. Der spätere Bundesrat habe seine Rede in einer schwierigen Zeit gehalten, die dazu geführt habe, dass vor 90 Jahren der geistige Boden für die Gründung der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei - der heutigen Schweizerischen Volkspartei gelegt worden sei. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Die Zukunft der SVP Meine Damen und Herren Liebe Gäste Geschätzte SVP Bern Liebe Bernerinnen und Berner 1. Wo stehen wir, was ist allgemein gültig, woher kommen wir? Sie haben heute zu einem Gedenktag geladen. Wir gedenken hier der Rede vom 24. November 1917. Es ist die berühmte "Bierhübelirede", welche der Berner Bauer und spätere Bundesrat Rudolf Minger vor 90 Jahren gehalten hat. 1917 war ein schwieriges Jahr in einer schwierigen Zeit, besonders für die ländliche Bevölkerung: Mitten im 1. Weltkrieg (1914-1918) stehend, Krise des Bauernstandes mit Missernten, Importschwemme von ausländischem Getreide. Die sozialistischen Gewerkschaften organisieren sich. Oktober-Revolution in Russland. Immer mehr Menschen in unserem Land fühlen sich durch die Parteien nicht mehr vertreten. Es gärt von unten. All diese Erscheinungen mussten zu einer Neuorientierung führen. Diese "arglistige Zeit" (wie es damals hiess) führte dazu, dass vor 90 Jahren der geistige Boden für die Gründung der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei – der heutigen Schweizerischen Volkspartei gelegt wurde: Im Frühling des Jahres 1917 wurde in der Tonhalle die Bauernpartei des Kantons Zürich gegründet, welche noch im selben Jahr an den Kantonsratswahlen teilnahm und auf Anhieb 47 Mandate eroberte. Dies gab den Bernern den Mut, ein Jahr später, im Jahre 1918 eine eigene Partei zu gründen. Meine Damen und Herren, aus diesen "arglistigen Zeiten" also ging die heutige Schweizerische Volkspartei hervor. Und in diese politische Landschaft fielen die Worte des standhaften und selbstbewussten Bauern Rudolf Minger. Ein Jubiläum wie heute ist immer ein Anlass für einen Marschhalt. Oder wie es Ruedi Minger bereits anlässlich der Zwanzigjahrfeier der BGB sagte: Es ist der Moment, "um sich 1.Rechenschaft zu geben über die Wegstrecke, die man zurückgelegt hat. 2. Um festzustellen, wo man momentan steht, und 3. um den Kompass neu einzustellen für den Weitermarsch."1 Sie haben mich gebeten, hier die Gelegenheit zu ergreifen, "um den Kompass neu einzustellen für den Weitermarsch". Sie wollen etwas über die "Zukunft der SVP" erfahren. Ich bin skeptisch gegenüber Prognostikern und Prognosen. Das gilt nicht nur für die Politik, sondern auch für die Wirtschaft; vor allem für die eigenen Unternehmen. Wenn es um die Zukunftsbeurteilung geht, ist besondere Bescheidenheit gefragt. Wichtiger als Zukunftsprognosen sind Antworten auf die Frage, wo stehen wir, was ist das Fundament, und woher kommen wir. Die richtige Antwort auf diese Fragen gibt schon die wesentliche Richtung für die Zukunft vor. Dies können Sie an der eigenen Partei – der SVP – erkennen. In der grössten Krise der SVP, in den 70er Jahren, sprachen die Prognostiker bereits vom Auslaufmodell SVP, vom Untergang dieser Partei. Vor 12 Jahren sprachen die Prognostiker ebenso überzeugt davon, dass die SVP ihren Zenit längst überschritten habe. Und alle vier Jahre wiederholten die Professoren und Prognostiker: Die SVP hat ihren Zenit erreicht. Aber die SVP will sich einfach nicht an die Prognosen der Politologen und Professoren halten – und wächst und wächst und wächst. Heute sind wir so stark wie noch keine Partei seit Einführung des Proporzwahlsystems 1919. Bei den Parlamentswahlen 1919 holten die Freisinnigen 28,8 Prozent Wähleranteil und die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei 15,3 Prozent. 2007 kamen die Freisinnigen auf 15,6 und die Schweizerische Volkspartei auf 29 Prozent der Wählerstimmen. Niemand hätte dies vor 90 Jahren vorausgesagt! So kann ich Ihnen heute ebenso wenig sagen, wer in 90 Jahren die politische Führungskraft der Schweiz sein wird. Das wäre auch albern. Aber was wir tun sollten: Nach den Gründen fragen, warum die SVP heute da steht, wo sie ist. Denn der Erfolg einer Partei stellt sich nicht einfach so ein. Auch der Misserfolg hat Gründe. Diesen Gründen sollten wir nachgehen. Denn sie werden uns auch den Weg in die Zukunft der SVP weisen. 2. Der Erfolg hat viele Väter Haben Sie sich gefreut am 21. Oktober über den Wahlausgang? Die Berner SVP kann zwei zusätzliche Nationalräte ins Bundeshaus schicken. Ich gratuliere Ihnen. Ihre Sektion hat beim Wähleranteil kräftig zugelegt. Ich gratuliere Ihnen. Die SVP-Fraktion im Nationalrat umfasst neu 62 Mitglieder, sieben mehr als noch vor vier Jahren. Ich gratuliere. Über 100'000 neue Wählerinnen und Wähler haben sich für unsere Partei entschieden. Ich gratuliere. Der Vormarsch der SVP in der Romandie konnte nicht nur konsolidiert, sondern sogar ausgebaut werden. Ich gratuliere. Haben Sie sich gefreut am Wahlsonntag? Verspürten Sie eine gewisse Genugtuung, als die Gesichter der Journalisten und Politologen immer länger wurden? Es wurden Schultern geklopft, Hände geschüttelt, Zigarren angezündet. Es klimperten die Weissweingläser und es lachten die Gesichter. Allerdings lachten am Abend andere als am Mittag. All dies ist verständlich und erfreulich, aber auch sehr gefährlich. Der Wahlerfolg hat viele Väter. Der Wahl-Misserfolg ist stets ein Waisenkind. Der Erfolg ist für eine Partei so gefährlich wie gute Jahre für ein Unternehmen. Weil der Erfolg gerne in Selbstzufriedenheit umschlägt. Weil man die Gründe des Erfolges nicht mehr richtig analysiert und den Erfolg selbstverständlich bei sich selbst verbucht und den Misserfolg dem Gegner anlastet. Dabei ist es häufig gerade umgekehrt. Gefährlich ist es aber auch, weil der Erfolg träge macht. Gewählte, die auf dieser Erfolgswelle schwimmen, beginnen sich selbst zu erhöhen. Sie leben plötzlich nicht mehr für ihren Auftrag, d.h. nicht mehr für Land und Volk, sondern vom Land und Volk. Schon manchem Unternehmen geriet der Erfolg zum Verhängnis. Bei Parteien ist es nicht anders. Und die SVP stellt darin beileibe kein Sonderfall dar. Sie ist genauso anfällig. Wir hören schon die Stimmen innerhalb der Partei, die sagen, wir sollten bei den Medien etwas beliebter sein. Wie schnell ist man zum Konsens bereit, bevor man sich für eine Sache überhaupt richtig eingesetzt hat. Bereits hören wir Parlamentarier, die sich vom Stil der eigenen Partei distanzieren, um nicht standhalten zu müssen. Wir hören andere, die sich von den Machern der Partei, die ja die Hauptarbeit leisten, distanzieren. Aber ich rate Ihnen, diesen süssen Stimmen nicht zu folgen, und ich sage Ihnen auch warum: Wer unerbittlich für den richtigen politischen Kurs eintritt, wer unerbittlich für Volk und Land kämpft, und wer insbesondere den Irrwegen anderer Parteien entgegen tritt, kann nie beliebt sein! Aber genau weil wir uns gegen den Zeitgeist stellten, hat die SVP gewonnen. Dank der kritisierten Macher – und nicht dank der gelobten Meckerer! Damit ist ein wichtiger Wegweiser für die Zukunft gesetzt. 3. Grundsätze bleiben Grundsätze Es gibt einen ganzen Band mit Reden von Rudolf Minger. Ich habe darin gelesen und stelle fest: Rudolf Minger hat vierzig Jahre lang immer das Gleiche gesagt. Er hat eigentlich vierzig Jahre lang die gleiche Rede gehalten. Wer jetzt meint, das sei aber langweilig, der hat nichts begriffen. Rudolf Minger vertrat Grundsätze. Und Grundsätze bleiben Grundsätze, sonst sind sie keine Grund-Sätze. Richtige Grundsätze gehen nicht nur in den Grund – sie gehen in die Tiefe. Sie sind verwurzelt. Auf diese Wurzeln kommt es an. Das Blattwerk mag man jedes Jahr erneuern. Voraussetzung sind aber starke, tiefe, gesunde Wurzeln. Darum: Meine Damen und Herren, gilt es gerade in einer relativ oberflächlichen, schnelllebigen Zeit, die Treue zum Grund-Satz zu betonen. Wer auf soliden Grundsätzen baut, hat Erfolg in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik! Gefragt ist die Re-Formation, was wörtlich heisst – "die Wiederformung". Besinnung auf die Wurzeln, um darauf neues Blattwerk zu schaffen. Beim Misserfolg gilt es, das Verschüttete wieder hervorzuholen. Das haben die Neuerer der SVP nach der letzten Krise der Partei in den 70er Jahren getan. Man hatte sich auf das wahrhaft gute, solide, konservative Gedankengut besonnen. Diese Richtung setzte sich in der Partei nach heftigen Kämpfen schliesslich durch und brachte der SVP den Erfolg. 4. Grundsätze Mingers Welchen Grundsatz vertrat Rudolf Minger denn so vehement und über all die Jahrzehnte? Er trat ein für eine unabhängige Schweiz, für eine demokratische Schweiz, für eine neutrale Schweiz, die ihre Freiheit notfalls auch mit der Waffe in der Hand verteidigt. Diesen Grundsatz hat Minger 1917 vertreten anlässlich seiner denkwürdigen "Bierhübelirede". Das war noch während des Krieges, als jeder die Notwendigkeit der Landesverteidigung mit eigenen Augen begriff. Er hat aber die gleichen Grundsätze auch 1930 vertreten, als die Sozialdemokraten die Armee herunterrüsten wollten und weite Teile der Bürgerlichen diesen süssen Reden erlagen, als der Pazifismus, der Weltfrieden so gross in Mode war wie heute die Klimadebatte. In solchen Zeiten zeigt sich, was ein Grundsatz wert ist. Wer in solchen Zeiten widersteht, besitzt Rückgrat und Durchhaltevermögen. Und siehe da: Irgendwann holte die Wirklichkeit die Träumer wieder ein. Spätestens ab 1939, als der Zweite Weltkrieg losbrach, musste die Schweiz auf eine wehrhafte Armee zurückgreifen, mit einem wehrhaften Mann an der Spitze des Verteidigungsdepartements, mit Rudolf Minger, einem einfachen Mann mit einfachen, aber dauerhaften Grundsätzen. In Ruedi Mingers eigenen Worten – am 1. August 1935 – gesprochen: "Im allgemeinen steht der Schweizer auf dem gesunden Standpunkt: Wenn die Schweiz Jahrhunderte lang ihre Selbständigkeit bewahrt hat, so liegt der Hauptgrund dafür darin, dass unser Volk durchdrungen ist von seinem Drang zur Freiheit und zur Demokratie, dass wir die Geschicke unseres Landes selber bestimmen wollen."2 Meine Damen und Herren, ob im Ersten Weltkrieg, ob in den übermütigen Zwischenkriegsjahren, ob während des Zweiten Weltkrieges: Grundsätze sind gültig. Aber diese Grundsätze galten auch für die Schweizerische Volkspartei im Jahr 1992. Sie galten auch für die EWR-Abstimmung! Es war die Zeit, als die ganze Classe politique, die ganze Wirtschaft, alles was so genannt "Rang und Namen" hatte, bei der wichtigsten Abstimmung seit dem Zweiten Weltkrieg von diesen Grundsätzen abweichen wollte. Aber das gilt auch 2007 und das wird auch noch 2097 gelten. Dass die heutige Politik diesem Grundsatz nicht mehr nachlebt ist offensichtlich. Leider auch bis weit hinein in die eigenen Reihen. Zur guten Tätigkeit einer Partei gehört aber auch immer wieder der Kampf gegen den Geist – oder besser den Ungeist – der eigenen Zeit. Damit haben wir einen zweiten Wegweiser für die Zukunft. 5. Die Sache beim Namen nennen Es gibt aber noch einen dritten Punkt, der sich wie ein roter Faden durch die Politik und die Reden Mingers zieht. Rudolf Minger hat sich nie gescheut, die Dinge beim Namen zu nennen. Zum Beispiel 1934: "Was die kommunistische Partei anbelangt, so hat diese in unserem Lande jede Existenzberechtigung verloren.“3 Er hat auch jene beim Namen genannt, die mit ihrem linken Pazifismus unsere bürgerliche Armee abschaffen wollten. Er sprach unzweideutig von der "staatszersetzenden Sozialdemokratie"4. Und genauso widerstand Minger den totalitären Ideen und zwar durch sein Bekenntnis zur neutralen, freien, demokratischen Schweiz. Etwa an der 1. Augustfeier 1935 auf dem Münsterplatz in Bern: "Weder dem Faschismus noch dem Nationalsozialismus wird es je gelingen, unser Schweizervolk geistig auseinanderzutreiben."5 Viele würden heutzutage – wohl der ganze Mainstream – seine Aussagen als grob, hemdsärmelig, ja unanständig bezeichnen. Doch diesen Zeigefingern möge man entgegnen: Es ist oft unanständig gegenüber dem Unrecht anständig zu bleiben! Nehmen Sie auch dies als Wegweiser für die Zukunft mit! 6. Aufstieg der SVP Der Hauptaufstieg der SVP fiel in die 90er Jahre, nachdem die Partei den Mut aufbrachte – gegen den Zeitgeist und gegen alle anderen Parteien – anzutreten für eine unabhängige, freiheitliche dauernd bewaffnete neutrale Schweiz und somit den EU-Beitritt abzulehnen. Aber, was ist denn dieser Grundsatz anderes als das, was Rudolf Minger in all seinen Reden vertreten hat? Dieser Grundsatz wird uns auch in Zukunft vor Fehltritten schützen und ist einer der wichtigsten Grundsätze der Zukunftsgestaltung unseres Landes und damit ein eiserner Kompass für unsere Partei. Wer diesen Satz nicht unterschreiben kann, hat in der Schweizerischen Volkspartei auch nichts zu suchen. Leider glaubte 1992 – bedauerlicherweise – gerade die damalige Berner SVP, zum Glück weniger aus Überzeugung als vielmehr aus falsch verstandener Solidarität zur Obrigkeit – ihre Grundsätze verlassen zu müssen und sich dem damaligen Trend der EU-Beitrittsbefürworter anzuschliessen. Doch, meine Damen und Herren, glücklicherweise ist diese Zeit vorbei. 7. Zur Zukunft Meine Damen und Herren, Sie dürfen für die Zukunft den Kompass ruhig mit Minger einstellen und sein geistiges Erbe weiter tragen. Die freie, demokratische, neutrale Schweiz lässt sich mit einem EU-Beitritt oder einem Beitritt zum EWR nicht vereinbaren. Punkt. 8. Konsequenzen Ich zitiere Ihnen daher ein Flugblatt der neu gegründeten Zürcher Bauernpartei aus dem Jahre 1917(!): Ihr wollt arbeiten und leben; Ihr hasst das Saugen an der Staatskrippe. Ihr wollt ein einfaches, sittlich kräftiges Schweizervolk: Menschen mit eigener Arbeits- und Verantwortungsfreude! Ihr duldet das Verschleudern der Staatsgelder durch eine leichtsinnige Geldverteilerei und eine ruinierende Lohnpolitik nicht. Ihr fordert einen sparsamen Haushalt des Staates und des Bundes. Ihr verwerft das staatliche Eingreifen in Eure Betriebe, weil es den Bureaukratismus gross züchtet und die eigene Verantwortung lähmt.6 Meine Damen und Herren: Gibt es irgendein Wort, ein Buchstabe, ein Komma, das wir heute an diesem Flugblatt ändern müssten? Die Unabhängigkeit gegen aussen, die Freiheit, die Eigenverantwortung und die Sicherheit im Innern, wie dieses Flugblatt schon 1917, wie sie die Reden Mingers nach 1917 bis zu seinem Tode zum Ausdruck bringen, das ist der Weg in die Zukunft. Was uns genau die Zukunft bringen wird, das wissen wir nicht. Aber auf welchen Grundsätzen unsere Lösungen beruhen, das wissen wir! Ich weiss, dass uns die Arbeit nicht ausgehen wird. Wir schaffen es, wenn wir unseren Grundsätzen treu bleiben. Und, um auch seit 30 Jahren das Gleiche zu sagen: "Je weniger die Politiker an sich denken, desto mehr denken die Bürger an die Politiker!" Somit schliesse ich mit dem zukunftsweisenden Satz: "Die Zukunft wird unser Land vor die Lösung schwieriger Aufgaben stellen. Ich möchte nur erinnern an die Erneuerung der Handelsverträge, an die Sanierung unserer Finanzen, an die Lösung der Fremdenfrage, an die Einführung der Alters- und Invalidenversicherung." Nicht wahr, meine Damen und Herren, das ist doch wirklich ein moderner, geradezu wegweisender Satz, mit dem ich hier schliessen wollte. Nur: Ich will ehrlich sein, ich habe diesen Schlusssatz gestohlen. Ich habe ihn abgeschrieben. Nämlich aus Mingers "Bierhübelirede" vom 24. November 1917!7 1 Zwanzigjahrfeier der Bernischen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei. Ansprache vom 25. September 1938 in Burgdorf. Sämtliche Redezitate aus: Rudolf Minger spricht. 24 Reden ausgewählt und eingeleitet von Hermann Wahlen. Bern 1967. S. 163. 2 Zum 1. August 1935. Rede auf dem Münsterplatz in Bern. S. 145 3 Das Schweizervolk und seine Landesverteidigung. Vortrag vom 22. April 1934 in Rorschach. S. 108. 4 Ansprache Rudolf Mingers an die Abteilungschefs des Eidgenössischen Militärdepartements anlässlich des Amtsantritts als Bundesrat am 6. Januar 1930. 5 Zum 1. August 1935. Rede auf dem Münsterplatz in Bern. S. 146 6 Der Zürcher Bauer, Werbeflugblatt der Bauernpartei 1919, Nr. 82, 25. Oktober 1919. 7 Die wirtschaftliche Lage unseres Landes ("Bierhübelirede"). Vortrag vom 24. November 1917 in der Abgeordnetenversammlung des Verbandes landwirtschaftlicher Genossenschaft in Bern. S. 34. &a

15.11.2007

Kein Freipass für Suizidhilfe

Beitrag von Bundesrat Christoph Blocher in der Weltwoche vom 15. November 2007 15.11.2007, Beitrag von Bundesrat Christoph Blocher in der Weltwoche Wie muss dem Sterbetourismus in die Schweiz begegnet werden? Ein Aufsichtsgesetz löst nicht nur das Problem nicht, sondern birgt weitere Gefahren. Fest steht, Töten ist auch in der Schweiz verboten. Es ist strafbar gemäss Artikel 111 ff. des Schweizerischen Strafgesetzbuches, denn der Schutz des menschlichen Lebens gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Staates. Darum haben Bundesrat und Parlament bisher wohlweislich alle Vorstösse für eine Legalisierung der direkten aktiven Sterbehilfe abgelehnt. Liberale Regelung Rund 20% aller Suizide werden heute in der Schweiz mit Hilfe einer Suizidhilfeorganisation begangen. In etwa 7% aller Fälle handelt es sich um Personen mit Wohnsitz im Ausland. Der Grund liegt in der besonderen Regelung der Suizidhilfe, die die Schweiz seit Inkrafttreten des Strafgesetzbuches im Jahr 1942 kennt: Suizidhilfe ist dann - aber nur dann - straflos, wenn sie aus uneigennützigen Motiven erfolgt und nicht die Grenze zur aktiven direkten Sterbehilfe überschreitet. Wer hingegen Suizidhilfe leistet, um sich einen Vorteil zu verschaffen, zum Beispiel um ein Erbe anzutreten, macht sich in jedem Fall strafbar. Die umliegenden Länder haben dagegen ein absolutes Verbot der Suizidhilfe auch dann, wenn diese uneigennützig ist. Das ist der Grund, warum einzelne Sterbewillige die Suizidhilfe schweizerischer "Sterbehilfeorganisationen" in Anspruch nehmen, was dann als Sterbetourismus bezeichnet wird. Als die Väter des Strafgesetzbuches in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Suizidhilfe in Artikel 115 regelten, konnten sie die heutige gesellschaftliche Entwicklung nicht voraussehen. Mit der Entstehung der Suizidhilfeorganisationen und dem Aufkommen des Sterbetourismus haben zweifellos die Missbrauchsgefahren zugenommen. So stellt sich gerade bei besonders schutzbedürftigen Personen, insbesondere bei psychisch Kranken, die Frage, ob sie wirklich urteilsfähig sind und nicht durch Dritte beeinflusst werden. Weiter stellt sich etwa die Frage, ob Suizidhilfeorganisationen in jedem Fall uneigennützig tätig sind und nicht die Grenze zur verbotenen direkten aktiven Sterbehilfe überschreiten. Absolutes Verbot der Suizidhilfe? Was ist also angesichts dieser Missbrauchsgefahren zu tun? Möchte man jede Suizidhilfe unterbinden, müsste durch Änderung des Strafgesetzbuches auch die uneigennützige Suizidhilfe verboten werden. Bisher wurde in der Schweiz jedoch von keiner Seite eine Aufhebung dieser liberalen Regelung der Suizidhilfe gefordert. Es besteht vielmehr ein breiter Konsens, dass diese bewährte Regelung nicht angetastet werden soll. Bei konsequenter Anwendung bietet und gebietet das geltende Recht, insbesondere das Straf- und Gesundheitsrecht, den zuständigen Behörden in den Kantonen und Gemeinden die Kontroll- und Interventionsverpflichtung, wie dies der Bundesrat in seinem Ende Mai 2006 veröffentlichten Sterbehilfe-Bericht ausführlich dargelegt hat. Ein Aufsichtsgesetz? Immer wieder wird in der Öffentlichkeit ein Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung von Suizidhilfeorganisationen gefordert. Es ist verständlich, dass dies gewisse Ärzte, Strafvollzugsleute, aber auch Politiker fordern: Es entlastet von der persönlichen Verantwortung. Der Bundesrat lehnt hingegen die Schaffung eines Aufsichtsgesetzes ab, denn wer das Töten regelt, erlaubt es. Ein solches Gesetz ist auch unnötig, weil die ärztliche Tätigkeit - und damit ein zentraler Punkt der Suizidhilfe - bereits der staatlichen Aufsicht untersteht: Der Arzt muss den Patienten eingehend untersuchen und den Sterbewunsch eindeutig diagnostizieren, bevor er das tödliche Mittel verschreibt. Verletzt er seine Pflichten, hat die zuständige Gesundheitsbehörde die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, die bis zum Entzug der Berufsausübungsbewilligung reichen können. Ein Aufsichtsgesetz löst nicht nur das Problem nicht, sondern birgt zweifelsfrei grosse Gefahren für den Schutz des Lebens. Durch eine Regelung der Zulassung und Beaufsichtigung der Suizidhilfeorganisationen würde der Staat diese zusätzlich legitimieren und die Verantwortung für deren Tätigkeit übernehmen. Gerade dort, wo das bestehende Gesetz durch die Behörden heute schon mangelhaft durchgesetzt wird, verleitet ein solches Gesetz zweifelsfrei dazu, die einzelnen Fälle nicht mit der notwendigen Konsequenz und Gründlichkeit abzuklären. Die Organisation wäre gleichsam mit einem staatlichen Gütesiegel ausgezeichnet. Damit würde der Staat letztlich die organisierte Suizidhilfe allgemein sowie auch den Sterbetourismus fördern! Erfolgversprechender und unbestritten erscheint hingegen der Ausbau des Angebots der Palliativmedizin. Hier geht es um Unterstützung und Betreuung todkranker Patienten. Sie soll diesen Menschen ermöglichen, in Würde zu leben und zu sterben. Am Tötungsverbot sollte auch in der Schweiz nicht gerüttelt werden. Um das menschliche Leben zu schützen, ist es unbedingt nötig, die bestehenden Gesetze konsequent anzuwenden.

12.11.2007

Sprachgrenzen

Referat von Bundesrat Christoph Blocher im Institut National Genevois, Genf, 12. November 2007 12.11.2007, Genf Genf. Bundesrat Christoph Blocher sprach am Institut National Genevois zum Thema "Sprachgrenzen". Er zeigte in seinem Referat auf, wie - trotz vorhandener Sprachgrenzen - in der föderalistischen Schweiz die sprachliche Vielfältigkeit gelebt und auch geschützt wird. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Meine Damen und Herren 1. Persönliche Sprachgrenzen Ihr ehrwürdiges Institut hat mich eingeladen zum Thema "Sprachgrenzen" zu reden. Schon beim ersten Satz weiss ich, was es heisst, Sprachgrenzen überwinden zu müssen: Ich muss nämlich Französisch sprechen. Das ist nicht meine Muttersprache. Es ist nicht die Sprache, die man auf meiner Seite, sondern auf der anderen Seite der Sprachgrenze spricht. "Frontière" heisst auf Lateinisch "limes". Man könnte also auch sagen: Ich bin in meiner Ausdrucksweise limitiert. 2. Gegenseitige "Leihgaben" Nicht alle Grenzen sind überbrückbar. Sprachgrenzen jedoch sind es immer. Denn Sprachen kann man auch ausserhalb des Sprachgebietes lernen. Oft vermischen sich ferner die Wörter der eigenen Sprache mit der fremder Sprachen. Menschen kommen einander so näher. Dies kann bisweilen bedrohlich werden. So fragte einmal ein Franzose angesichts der vielen Anglizismen vorwurfsvoll: "Parlez-vous "franglais"?" So gibt es auch viele deutschschweizerische hochdeutsche Wörter, die den Deutschen fremd sind, weil die Romandie die hochdeutsche Sprache der deutschen Schweiz beeinflusst hat. Wenn etwa ein Deutscher auf "Gleis" 7 auf den Zug wartet und den "Schaffner" wegen seiner "Fahrkarte" anspricht, wartet ein Deutschschweizer – auch wenn er Hochdeutsch spricht – nicht auf dem "Gleis", sondern auf dem "Perron" und spricht nicht den "Schaffner", sondern den "Kondukteur" an. Und er fragt ihn nicht etwa wegen der Fahrkarte, sondern wegen des "Billets". Er sagt aber nicht "conducteur" – auf gut Französisch – sondern "Konduktör", und auch nicht "billet" wie der Welsche, sondern "Bilet" wie der Schweizerdeutsche. Daraus sieht man: Jede Nation schenkt der anderen einen Teil ihrer Sprache und damit einen Teil ihrer Kultur. So erfreut uns die französische Küche auch in verbaler Gestalt: "Sauce", "Baguette", "Bouillon", "Dessert", "Suppe", "Glacé" – wer möchte diese "Delikatessen" (ein französisches Lehnwort, das wir im Sinne von "comestibles de choix" benutzen) missen? Unser kulinarischer Beitrag Richtung Westen war da etwas bescheidener und rustikaler: "les Röstis" und "le Rollmops". Aber eben: La cuisine française setzt nicht nur bei den Zutaten, sondern auch bei der Zubereitung Massstäbe: ein "tranchiertes" Fleisch scheint einfach etwas Besseres zu sein als ein profan "geschnittenes". Was wir ja wörtlich wohl als "coupé" übersetzen würden. Zum Schluss noch ein Exportschlager aus jüngerer Zeit. In den 80er Jahren wurde das Wort "Waldsterben" geprägt und später durchaus passend ins Französische mit "le Waldsterben" aufgenommen: Schliesslich fand "le Waldsterben" tatsächlich in den deutschen Feuilletons und nicht in der Natur statt, was die französische Sprache anscheinend erkannte! Oder ein anderes aufschlussreiches Beispiel. So sprechen die Romands ebenfalls von "le Sonderfall" Schweiz. Will man damit auch verbal eine Distanz schaffen und "le Sonderfall" als Deutschschweizer Erfindung markieren? Warum soll die Schweiz kein "cas particulier" sein? Allerdings gehört mittlerweile auch in der französischen Schweiz der EU-Beitritt nicht mehr zum öffentlichen Glaubensbekenntnis. Insofern müsste auch "le Sonderfall" kein sprachlicher "Sonderfall" mehr sein. 3. Keine Sprachnation Wir haben von Grenzen und ihrer Überwindung gesprochen. In der Schweiz wurde die Sprache nie mystifiziert. Einen Satz wie "Die deutsche Sprache ist die Orgel unter den Sprachen" wäre bei uns undenkbar. Schliesslich definiert sich unser Staat weder über die Religion noch die Sprache, sondern über die gemeinsame Geschichte, den Freiheitskampf, die direkte Demokratie, den Willen zur Unabhängigkeit, die Neutralität. Die Schweiz soll auch keine Sprachnation sein. Wir sind darauf bedacht, dass sich vor allem die Sprachminderheiten gegenüber der deutschsprachigen Mehrheit nicht benachteiligt fühlen. Wir dürfen wohl sagen, dass wir solche Zerreissproben wie in anderen Staaten, ich nenne hier einmal Belgien, nicht kennen. Warum? Dort herrscht eine ziemlich scharfe kulturelle, aber auch politische Trennung zwischen den niederländisch sprechenden Flamen und den französischsprachigen Wallonen. Wobei im Norden die Separationstendenzen weit ausgeprägter sind, zumal von dort aus wesentliche Transferleistungen nach Wallonien geleistet werden müssen. 4. Föderalismus als Minderheitenschutz Die Schweiz wurde – wieder im Gegensatz zu Belgien – nie als Einheitsstaat konzipiert. Unser Land ist aus einer Vielzahl von Kleinstaaten zusammen gewachsen, ohne aber je deren Hoheit in wichtigen Fragen und Belangen zu zerstören. Ein zentralistisches System würde die Schweiz in ihrer Existenz gefährden. Auch wegen der drohenden Missachtung von Sprachgrenzen. Das muss in dieser Deutlichkeit festgehalten werden. Allerdings kennt die Schweiz auch kein übermächtiges Zentrum wie etwa in Belgien die Hauptstadt Brüssel. Genf und die Gegend am Lac Léman sind wirtschaftlich einer Region Basel oder Zürich ebenbürtig. Das Verwaltungszentrum in Bern – der Hauptstadt – hat dagegen keine überragende Bedeutung. Selbstverständlich erleben wir auch heute Gegensätze im Land. Gleichmacher und Harmoniesüchtige mögen dies bedauern. Ich meine zum Glück. Denn sie sind der Beweis für die Vielfältigkeit einer Nation. Gegensätze werden nur in Diktaturen ausgemerzt. Glücklicherweise verteilen sich aber in der Schweiz die Gegensätze so, dass sie sehr selten nur einer Sprachgemeinschaft angehören. Wir haben Sozialisten in allen Landesteilen und Bürgerliche, die deutsch oder französisch oder italienisch parlieren. Wir haben Katholiken und Protestanten hüben wie drüben! Katholische Fribourgeois und katholische Appenzell-Innerrhoder, reformierte Schaffhauser und Genfer Calvinisten. Die religiösen Unterschiede sind heute eher durch einen Stadt-Land-Gegensatz abgelöst worden, der sich wiederum nicht mit den Sprachgebieten deckt. Die Vielfältigkeit der Schweiz, die eben auch teilweise harte Gegensätze einschliesst und mögliche Konflikte nicht ausschliesst (und nicht ausschliessen soll), wird durch den Föderalismus und die direkte Demokratie aufgefangen. Der Föderalismus ermöglicht den Gemeinden und Kantonen weitgehende Autonomie und damit eben die eigene Sprache, Religion, Kultur und Wesensart. Kantonsgrenzen sind gerade hier nicht die Ursache, die zu Konflikten führen. Insbesondere nicht in der Frage der Sprache. Der Föderalismus ist vor allem ein Schutz für Minderheiten, während der Zentralismus als dominierende Kraft der Minderheit keinen Schutz geben kann. Das sollten wir nie vergessen, wenn wieder einmal das Klagelied über den "Kantönligeist" losbricht. Gerade Sie, als Bürgerinnen und Bürger einer Sprachminderheit, haben ein elementares Interesse an einem starken Föderalismus. Ich weiss nicht, ob die Minderheiten diesen Zusammenhang immer sehen. 5. Wenn die Politik sich einmischt Mit dem Föderalismus, mit der grundsätzlichen Frage nach dem Staatsaufbau, sind wir zwangsläufig bei der Politik angelangt. Auch Bundesbern – die Zentralgewalt – fühlt sich berufen, in die Sprachenfrage einzugreifen. Besonders umstritten ist der Punkt, welche Fremdsprache in der Primarschule unterrichtet werden soll. Frühenglisch? Frühdeutsch? Frühfranzösisch? Warum nicht Frühlatein? Oder vielleicht doch eher Frühchinesisch, schliesslich soll China die Supermacht von morgen werden? Wie auch immer: Es sollen die Kantone sein, die solche Fragen zu lösen haben. Warum dürfen die Urner, ans Tessin angrenzend, nicht zuerst Italienisch lernen? Was aber, wenn ein Kind von Uri in den Nachbarkanton Nidwalden umzieht, in dem Frühfranzösisch unterrichtet wird? Ich frage Sie: Geht deswegen die Welt unter? Müssen wir wegen möglicher Einzelfälle ein eigentlich gut funktionierendes System aufs Spiel setzen? Je konsequenter föderal wir sind, desto besser lösen wir die Probleme: Nämlich dort, wo sie drücken, viel näher bei den Menschen und den jeweiligen Gegebenheiten am besten angepasst. 6. Sprachgrenzen überwinden Es gibt Sprachgrenzen. Ob wir sie wollen oder nicht. Es gibt künstliche und natürliche Sprachgrenzen, nötige und überflüssige. Es gibt Sprachgrenzen, die wir zu respektieren haben und noch viel mehr solche, die wir überwinden können, ohne diese abzuschaffen.

17.10.2007

Ein schwarzes Schaf ist nun einmal schwarz!

«Christoph Blocher spaltet die Schweiz. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE wehrt sich der rechtskonservative Justizminister gegen den Vorwurf des Rassismus - seine Politik sei das Ergebnis direkter Demokratie.» 17.10.2007, Spiegel Online, Mathieu von Rohr Herr Bundesrat, der ganze Wahlkampf dreht sich nur um Ihre Person. Anhänger und Gegner - alle sprechen nur von Ihnen. So extrem personalisiert war die Schweizer Politik noch nie. Ich finde das auch nicht gut, dass ich so im Mittelpunkt stehe bei diesen Wahlen, aber dafür sind meine Gegner verantwortlich. Die haben jetzt vier Jahre lang massiv auf meine Person geschossen - wegen meiner Politik. Ihre Gegner kritisieren die Plakate der SVP als fremdenfeindlich. Eines zeigt drei weiße Schäfchen, die auf einem Schweizerkreuz stehen, und die ein viertes, schwarzes Schaf wegkicken - "für mehr Sicherheit". Sogar die Uno hat dagegen protestiert. Hat Sie diese Aufregung etwa verwundert? Am meisten hat mich verwundert, dass das Plakat vier Wochen hing, ohne dass es irgendjemand anstößig fand. Was sagen Sie zum Vorwurf des Rassismus? Den Ausdruck "Schwarzes Schaf" gibt es in jeder Sprache. Wie soll da jemand ernsthaft auf die Idee kommen, dass damit Afrikaner gemeint sein könnten? Alle wissen: Das "schwarze Schaf" sind die kriminellen Ausländer, die man ausschaffen muss. War denn die Anspielung schwarzes Schaf - dunkle Haut bei der Auswahl des Motivs nicht beabsichtigt? Nein, man hat damals überlegt, ob es diesen Anschein erwecken könnte. Jemand schlug vor, man könne ja das eine Schaf weiß machen und die anderen schwarz. Aber ein schwarzes Schaf ist nun einmal schwarz. Wissen Sie, das macht ja auch nichts, wenn das diskutiert wird. Das Plakat zeigt das Anliegen. Die politischen Gegner sprechen lieber über den Stil, als über den Inhalt. Ihre Gegner, allen voran die Sozialdemokraten, wollen erreichen, dass das neue Parlament Sie im Dezember aus der Schweizer Regierung, dem Bundesrat, wählt. Haben Sie Angst davor? Die Möglichkeit besteht theoretisch sehr wohl. Wenn Sie aber fragen, ob ich Angst habe oder ob es für mich eine Katastrophe wäre, abgewählt zu werden, dann nein, ich denke nicht jeden Tag daran. Es würde Sie nicht schmerzen, in die Opposition zu gehen? Wenn man mich abwählt, muss ich sofort in die Opposition gehen. Ich sähe in dieser Position heute viel mehr Möglichkeiten als früher. In der Schweiz ist die Opposition verlockend, weil man durch Referendum und Volksinitiativen Volksabstimmungen erzwingen kann. Der Wahlkampf war sehr hart, die gegenseitigen Angriffe heftig. Ihre Schweizerische Volkspartei (SVP) ist Teil einer gemeinsamen Regierung aller großen Parteien - die Sozialdemokraten, die auch daran beteiligt sind, rufen seit einem Jahr zu Ihrer Abwahl auf. Hat das traditionsreiche Schweizer Modell einer Konkordanz-Regierung noch eine Zukunft? Die Frage ist in der Tat, ob die Konkordanz hält. Wenn die Sozialdemokraten offen zu meiner Abwahl aufrufen, muss man diskutieren: Wer soll denn raus? Das kann die SVP sein. Aber es kann natürlich auch die SP sein. Ich glaube nämlich nicht, dass die Mitteparteien raus wollen. Aber die sind dann das Zünglein an der Waage. Möchten Sie also die Sozialdemokraten aus der Regierung werfen? Wieso glauben Sie das? Weil sie mehr vom Staat abhängig ist. Unser Hauptkampf ist die Limitierung der staatlichen Macht. Dazu müssen Sie nicht unbedingt in der Regierung sein. Aber die Sozialdemokraten, die für den Ausbau des Staates kämpfen - das ist natürlich schwierig, wenn man nicht in der Regierung ist. Ein Komitee, dem auch prominente Vertreter ihrer Partei angehören, möchte in der Schweiz den Bau von Minaretten verbieten und hat dazu ein Volksbegehren gestartet. Wie stehen Sie dazu? Blocher: Dazu kann ich mich nicht offiziell äußern, denn mein Departement wird diese Initiative rechtlich beurteilen müssen. Aber die Frage wird sein, ob ein Minarett zwingend zu einer Moschee gehört. Wenn nicht, worum handelt es sich dann? Wir werden dies zu prüfen haben. Außerdem kenne ich kein muslimisches Land, das Kirchtürme zulässt. Die Schweiz ist aber eine Demokratie, und es herrscht Religionsfreiheit. Wir müssen den Muslimen sagen - erstens: Wir sind eine Demokratie. Zweitens: Wir sind eine christliche Nation. Ihr hättet es doch auch nicht gern, wenn wir bei euch Kirchtürme bauen würdet. Sie sind ein umstrittener Politiker, aber Sie sind bei Ihren Anhängern enorm populär. Sie treten in großen Hallen auf, vor Hunderten Bürgern und sprechen über aktuelle Themen. Ich ernte oft Staunen von meinen europäischen Ministerkollegen, wenn ich ihnen von solchen Auftritten erzähle. Die Bürger kommen, um mir zuzuhören, und sie können Fragen stellen, ohne Zensur. Das ist der Wert der direkten Demokratie. In Europa haben viele Bürger ein Ohnmachtsgefühl angesichts der Politiker, die abgehoben weit oben agierten. Im letzten deutschen Wahlkampf habe ich die Hälfte der Politikeraussagen auch nicht verstanden. Darum muss ich mich anstrengen, so zu sprechen, dass die Leute mich verstehen. Aber ich habe die Leute gern und leide eher ein wenig unter dem Abgehobenen. Die Europäische Union streitet mit der Schweiz über Unternehmenssteuern. Die EU betrachtet die niedrigen Steuern für Holdinggesellschaften in einigen Kantonen als unerlaubte staatliche Beihilfen. Halten Sie es für möglich, dass die EU nach den Wahlen Sanktionen gegen die Schweiz ergreift? Blocher: Die Gefahr ist nicht abzuwenden. Die Schweiz hat natürlich auch Möglichkeiten. Aber ich würde jetzt nicht so weit gehen zu fragen, wer wem womit schaden kann. Ich glaube nicht, dass die EU das macht. Die Deutschen wollen es vielleicht, aber die anderen Staaten sind sich uneinig. Die haben kein Interesse daran, dass wir mit Sanktionen belegt werden, weil es sie früher oder später auch treffen müsste. Wird die Schweiz am Ende einen Kompromiss mit der EU schließen? Es ist zu befürchten, dass man wieder einen schließt.