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Économie

07.06.2012

Wir benötigen keine neuen Abkommen

Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 7. Juni 2012 mit Herrn Simon Gemperli Herr Blocher, Sie haben sich im Abstimmungskampf über die Staatsvertrags-Initiative der Auns bisher kaum zu Wort gemeldet. Weshalb halten Sie sich zurück? Diesen Abstimmungskampf muss die Auns führen. Wer eine Initiative macht, ist auch für den Abstimmungskampf verantwortlich. Wo ich gefragt werde, spreche ich für diese wichtige Vorlage - zum Beispiel jetzt. Sie stehen aber hinter der Initiative „Staatsverträge vors Volk“? Voll und ganz. Das schweizerische Recht wird zunehmend unter Berufung auf internationales Recht ausgehebelt. Vor allem der Souverän - d.h. die Bürger - werden immer mehr umgangen. Nehmen wir den Internationalen Währungsfonds (IWF) als Beispiel. Das Parlament hat letztes Jahr den Beitritt zu den geänderten Neuen Kreditvereinbarung (NKV) beschlossen, und 15 Milliarden bewilligt. Für die Rettung von Griechenland. Weitere 10 Milliarden, für welche die Schweiz bürgt, sind versprochen! Bei Annahme der Initiative "Staatsverträge vors Volk," könnte das Schweizervolk abstimmen. Aber ein IWF-Darlehen ist kein Staatsvertrag. Es würde durch die Initiative gar nicht erfasst. Das bestreite ich! Wer jemandem unter Bedingungen 10 Milliarden bezahlt, oder Bürgschaft leistet, schliesst einen Vertrag. Die Initiative verlangt bei völkerrechtlichen Verträgen ein obligatorisches Referendum bei neuen einmaligen Ausgaben von mehr als 1 Milliarde Franken oder bei neuen wiederkehrenden Ausgaben von mehr als 100 Millionen. Die Schweiz wird immer mehr unter Druck gesetzt. Die Gefahr ist gross, dass auch die Schweiz in die Schuldenkrise gezogen wird. Hier sind Barrieren einzubauen. Die Initiative sieht das obligatorische Referendum für Staatsverträge in «wichtigen Bereichen» vor. Was heisst das? Das geltende Recht sagt, dass der Bundesrat völkerrechtliche Verträge selbständig abschliessen kann, soweit diese von "beschränkter Tragweite" sind. Wie "wichtige Bereiche" ist auch dieser Begriff auslegungsbedürftig. Wenn man z. Bsp. vereinbart, die Signalisation auf Autobahnen mit andern Staaten zu vereinheitlichen, so ist das vermutlich kein wichtiger Bereich. Wenn aber ein Staatsvertrag eine automatische Rechtsübernahme in Zukunft verlangt, so ist dies sicher ein "wichtiger Bereich." Auch andere Kriterien im Verfassungstext sind auslegungsbedürftig. Hätte es keinen prägnanteren Verfassungstext gegeben? Die Verfassung ist das Grundgesetz. Die Konkretisierung basiert im Gesetz. Die Verfassung vertraut dem Gesetzgeber. Heute bin ich zwar nicht mehr sicher, ob das richtig ist. Weshalb? Mein Vertrauen, dass Bundesrat, Verwaltung und Parlament die Verfassung ernst nehmen, ist gesunken. Die deutlich angenommene Ausschaffungsinitiative soll gemäss Bundesrat so angewendet werden, dass 84 Prozent der kriminellen Ausländer, die gemäss Verfassungsbestimmung ausgeschafft werden müssten, im Land bleiben können. Wie sollte der Initiativtext denn besser lauten? Wenn man dem Gesetzgeber nicht mehr trauen kann, müsste das detaillierte Gesetz in die Verfassung aufgenommen werden. Das ist widerlich. Es gibt ein fakultatives Staatsvertragsreferendum. Wie bei Gesetzesvorlagen sind 50 000 Unterschriften zu sammeln. So wird nur über das abgestimmt, was auch wirklich wichtig ist. Ist das nicht eine sinnvolle Lösung? Nein. Wichtige Dinge sollte man nicht dem Zufall überlassen. Referenden sind zudem mühsam und teuer. Schikanen sind viele: Nehmen wir die Verträge mit Deutschland und Grossbritannien über die Abgeltungssteuer. Nach der Schlussabstimmung nächste Woche bleiben 100 Tage Zeit, um die Unterschriften zu sammeln. Mitten in den Sommerferien. Kaum sind die Unterschriften abgeliefert, kommen schon die Abstimmungscouverts. Wann findet ein seriöser Abstimmungskampf statt? Auns-Präsident Pirmin Schwander hat bereits das Referendum angekündigt. Ich weiss nicht, ob die Auns das Referendum ergreift. Wenn sie es tut, muss sie sich überlegen, ob sie Zeit, Kraft und Geld hat, dann auch den Abstimmungskampf zu führen. Die SVP und die Auns wären doch ein schlagkräftiges Duo. Die Sache ist verzwickt. Der SVP geht es darum, den inländischen Finanzplatz Schweiz zu retten, während die Bankmanager sich vor möglichen Strafverfolgung in Sicherheit bringen wollen. Darum sind sie für die Vorlage. Im Abstimmungskampf würde die SVP und die AUNS für den Finanzplatz Schweiz und die Grossbanken - wohl mit Millionen - gegen uns kämpfen. Ein solche Kampf ist kaum zu gewinnen. Das wäre aber bei einem obligatorischen Referendum nicht anders. Doch. Es wird nicht eine Sache von Abstimmungslagern. Man redet über eine Vorlage und nicht über die Referendumsführer. Sie haben 1992 den EWR erfolgreich bekämpft – allein gegen die Wirtschaft. Und jetzt, beim Bankgeheimnis, soll es nicht reichen? Damals ging es um die Unabhängigkeit der Schweiz - letztlich um den EU-Beitritt. Die Abstimmung war obligatorisch. Heute würde das Parlament wahrscheinlich solche Verträge nicht einmal dem Referendum unterstellen. Zudem waren damals auch einzelne FDP und CVP-Parlamentarier dabei. Jetzt haben Sie die SP auf Ihrer Seite. Kaum. Die Opposition der SP ist l'art pour l'art. Die SP will das Gegenteil der SVP. Sie will den Bankenplatz Schweiz schwächen oder sogar zerstören. Was passiert, wenn die Steuerabkommen abgelehnt werden? Zunächst nichts. Es geht weiter wie bisher. Man droht uns ja immer mit der OECD, die dann den automatischen Datenaustausch verlangen würde. Aber dies wird nie geschehen. Die USA z. Bsp. werden niemals in einen automatischen Datenaustausch einwilligen. Und ohne die schweizerische Stimme kann die OECD nicht beschliessen. Aber es werden wieder die Steinbrücks kommen, und es wird CDs mit gestohlenen Kundendaten geben. Das müssen wir aushalten. Und dafür sorgen, dass keine CD's gestohlen werden. Die EU schliesst seit fast fünf Jahren keine Abkommen mit der Schweiz ab und pocht auf die Übernahme des EU-Rechts in vertraglich geregelten Bereichen. Kommission, Parlament und Rat in Brüssel verschärfen laufend den Ton. Beunruhigt Sie das nicht? Nein, wir benötigen auch keine zusätzlichen Abkommen. Wo ich in der EU hinkomme, beglückt man die Schweiz für ihre Selbständigkeit. Aber die Schweiz will etwas von der EU, sie braucht Zutritt zum Binnenmarkt. Den Zutritt haben wir. Gegenseitig! Beamte suchen aber mit der Lupe nach Möglichkeiten, ein neues Abkommen zu schliessen. Nicht die Schweiz, sondern die EU ist der "demandeur." Da und dort muss man ihr vielleicht etwas entgegenkommen; aber dann muss sie auch uns etwas geben. So will z. Bsp. die EU, dass wir unsere Steuergesetze ändern. Sie behauptet, dass unsere Holdingbesteuerung nicht mit dem Freihandelsabkommen zu vereinbaren sei und eine indirekte Wettbewerbsverzerrung darstelle. Das ist zwar etwas gesucht. Aber diskutieren muss man es wohl. Aber sollte die Schweiz darauf eingehen? Es geht um Gesellschaften, deren Erträge aus dem Ausland bevorzugt besteuert werden. Die Kantone suchen hier von sich aus eine Lösung. Der Bundesrat möchte mit der EU ein Stromabkommen aushandeln, das die Übername des EU-Rechts regelt und als Referenz für weitere Abkommen dienen soll. Werden Sie in diesem Fall das Referendum ergreifen? Sicher. Das wird die wichtigste Volksabstimmung dieser Legislatur. Dieser Mustervertrag, der eine automatische Rechtsübernahme und eine fremde Gerichtsbarkeit enthalten soll, wäre ein Mustervertrag werden für alle kommenden bildenden Verträge. Das wäre ein Kolonialvertrag. Ein EWR plus! Aber die Schweiz übernimmt ja heute schon laufend EU-Recht. Leider. Und oft auf verschlungenen Wegen. Darum sollen Verträge vermehrt vor's Volk! Schon Schengen hätte man dem obligatorischen Referendum unterstellen sollen. Auch dort sind wir jetzt eingeklemmt. Das sehen sie in der Ausländer- und Asylpolitik, sowie in der Zunahme der Kriminalität. Ob Schengen oder Energieabkommen, die Schweiz übernimmt das EU-Recht nur, wenn sie zustimmt. Nein. Es ist wieder der EWR-Mechanismus. Wir haben zwar ein Mitspracherecht. Und theoretisch können wir nein sagen, aber dann fällt der ganze Vertrag dahin. Man ist in der Willensäusserung nicht mehr frei. Das haben wir bei der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die osteuropäischen Staaten gesehen. Das bedeutet, dass Sie lieber auf neue Verträge mit der EU verzichten? Manövriert sich die Schweiz nicht ins Abseits? Ich habe nichts gegen Verträge. Aber die Staatssäulen - Unabhängigkeit, Neutralität, direkte Demokratie, die eigene Gerichtsbarkeit, - kurz die Selbstbestimmung darf nicht angetastet werden. Denen verdankt die Schweiz ihre Freiheit und Wohlfahrt! Ein Stromabkommen ist nicht unerlässlich. Die Stromwirtschaft sieht das anders. Interessenvertretern muss man klar sagen, dass wir nicht die Grundpfeiler der Eidgenossenschaft auf den Kopf stellen können, um etwas leichter mit Strom zu handeln. Die schweizerische Stromwirtschaft hat einen grossen Standortvorteil: Die Schweiz ist das Wasserschloss Europas, und die EU hat ein Interesse an Pumpspeicherwerken. Die Branchen können untereinander Stromverträge abschliessen. Aber ein Abkommen zur Übernahme des künftigen Energierechts der EU brauchen und wollen wir nicht.

11.05.2012

Der schwarze Montag

Zitate von Herr Dr. Blocher für ein Interview mit der Handelszeitung … Im Verlauf des Tages war durch eine Indiskretion bekannt geworden, dass der Bundesrat an einer Sitzung beschlossen hatte, bei der Europäischen Union (EU) ein Gesuch um die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu stellen. Christoph Blocher: «Damit hat die Landesregierung offen ausgesprochen , dass der Beitritt zum EWR nur ein erster Schritt auf dem Weg zur EG-Mitgliedschaft sein könnte. Otto Fischer und ich sahen plötzlich eine geringe Chance, dass Volk und Kantone den EWR-Beitritt ablehnen könnten». …. Unbestritten ist, dass der EWR/EU-Beitritt den Aufstieg der SVP in den 1990er Jahren massiv gefördert hat. «Damit war klar: Man hatte über die Unabhängigkeit unseres Landes abzustimmen », sagt Christoph Blocher. Nur wie ist die Rekordstimmbeteiligung vom 6. Dezember 1992 zu erklären. Mit ihrem Widerstand sei es der SVP gelungen, sich gerade in den konservativen Kantonen der Innerschweiz und der Ostschweiz, wo sie bis dahin praktisch nicht existent war, als die Partei zu profilieren, «welche für die Erhaltung der schweizerischen Souveränität kämpft».

07.05.2012

Die Schweiz als Kolonie der EU

Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 7. Mai 2012 mit Herrn Michael Schönenberger Die bürgerliche Zusammenarbeit liegt im Interesse der SVP, sagt Christoph Blocher. Kompromissbereiter will er aber nicht werden. Der Kurs sei zu halten. Herr Blocher, die bürgerliche Zusammenarbeit besteht nur noch auf dem Papier. Dadurch kommt es im Parlament oft zu anderen Mehrheiten. Wann ändert sich das wieder? In Bern regiert jetzt Links! Wir sind an einer Zusammenarbeit mit mehr oder weniger Gleichgesinnten interessiert. In der Asyl- und Ausländerpolitik sieht es momentan etwas besser aus, auch in der Sozialpolitik. Aber in der EU-Politik erkenne ich noch keinen Durchbruch. Vor den Wahlen sprachen sich FDP und CVP zwar gegen den EU-Beitritt, gegen die automatische Rechtsübernahme und gegen eine europäische Gerichtsbarkeit aus. Bei der Legislaturplanung letzte Woche zeigte sich das Gegenteil: Nur die SVP anerkennt noch die Unabhängigkeit der Schweiz und die eigene Gerichtsbarkeit als Schranke in der Aussenpolitik. 
Nicht einmal die Verluste in den Wahlen haben Sie nachdenklich gestimmt? Doch schon. Aber auch wenn die SVP etwas weniger provokativ sein sollte, wird sie die Schweiz nicht opfern. 
Kommen wir also zur Sachpolitik. Die Schweiz ist international unter Druck. Müsste sie nicht den Ausgleich suchen? In untergeordneten Dingen ja, bei den Staatssäulen nein. Dem Druck ist zu widerstehen, denn es geht um Freiheit und Unabhängigkeit: Die Schweiz braucht mehr Selbstbestimmung, und nicht mehr Integration in die EU, so insbesondere bei der Personenfreizügigkeit, Schengen, der Wahrung des Bankgeheimnisses und der Steuersouveränität. Der dauernde Bückling führt dazu, dass die Säulen, die unser Land stark gemacht haben, eingerissen werden. Bereits wollen die inländischen Steuervögte die Privatsphäre der Bürger unterlaufen. Die SVP wird dies alles nicht zulassen können. Die EU will keine weiteren sektoriellen Abkommen schliessen. Die SVP bietet keine Lösung für dieses Problem. Oh doch! Wir brauchen zur Zeit keine neuen Abkommen mit der EU. Auch das Stromabkommen ist nicht überlebenswichtig. Massgebend ist aber eine sichere, kostengünstige, bedarfsgerechte Energieversorgung. Die angesagte „grüne Energiepolitik“ führt die Schweiz wirtschaftlich ins Nichts. Ohne Kernenergie wird es nicht gehen. 
Für die Wirtschaft sind funktionierende Verträge mit der EU zentral. Soweit sie zentral sind, haben wir sie. Sie sind auch in höchstem Interesse für die EU. Leider verteidigen auch die Wirtschaftsverbände die für die Wirtschaft bedeutende Unabhängigkeit und Freiheit nicht mehr. Sie denken wie Manager und nicht wie Unternehmer. Sie sehen nur die nächsten fünf Jahre, nicht die Schweiz als solche. 
Dann lehnt die SVP auch den sogenannten Mustervertrag ab? Musterverträge, die auf die automatische Rechtsübernahme und fremde Richter fixiert sind, sind abzulehnen. Denn de facto machen sie die Schweiz zur Kolonie der EU, d.h. die Schweiz würde sich selbst abschaffen.

29.04.2012

Die Neutralität des Gutachtens ist zu prüfen

Interview mit der «Basler Zeitung» vom 29. April mit Herrn Thomas Lüthi BaZ: Die zuständige Kommission des Nationalrates gewährt Ihnen die Immunität für die Zeit nach Ihrer Vereidigung am 5. Dezember 2011. Sind Sie damit zufrieden? Christoph Blocher: Soweit schon, aber die Kommission hat auch entschieden, dass die Immunität erst mit der Vereidigung gilt. Das ist eine Abkehr der bisherigen Auffassung. Diese sagt, dass die Immunität mit der rechtsgültigen Wahl eintritt. Wer sagt das? Es gibt niemanden in der gesamten Literatur, der das Gegenteil vertritt. Neben anderen Wissenschaftlern, die ich ab heute Sonntag auf www. blocher.ch aufführe, hat auch Staatsrechtsprofessor Thomas Fleiner gerade kürzlich erklärt,  dass die Immunität ab der rechtsgültigen Wahl gelten soll. Ab diesem Zeitpunkt ist der Gewählte ein Ratsmitglied. Das würde bedeuten, dass abgewählte oder nicht mehr zur Wahl antretende Parlamentarier gleich nach der Wahl nicht mehr Ratsmitglied sind. Der Amtswechsel träte also nicht mit Beginn der Legislatur ein, sondern mit dem Wahltag. Das folgt daraus nicht. Aber warum wurde ich als neues Ratsmitglied bereits vor dem 5. Dezember entschädigt, z. Bsp. für die Teilnahme an der Fraktionssitzung? Dies neben den bisherigen Mitgliedern, die noch bis zum 4. Dezember auch entschädigt werden. Ein Rechtsgutachten der Parlamentsdienste kommt zum Schluss, die Immunität beginnt erst mit der Vereidigung, also am 5. Dezember 2011. Ich kenne dieses Gutachten nicht. Ich werde es noch anfordern und m.E. sollte es auch veröffentlicht werden. Die Immunität bedeutet ein Schutz für den Parlamentarier, damit er seine Aufgabe wahrnehmen kann. Wenn ein gewählter Nationalrat sich aber nicht mehr – wie im aktuellen Fall - durch Bürger orientieren lassen kann, um dann als Nationalrat zu handeln ohne befürchten zu müssen, mit Strafklagen eingedeckt zu werden, hindert dies die Parlamentarier ihre Pflicht zu tun. Sie geniessen Immunität für ihre Zeit nach der Vereidigung am 5. Dezember 2011. Die Immunitätskommission des Nationalrates hat dies mit 5:4 Stimmen ziemlich knapp entschieden. Ich kenne die Stimmenden nicht. Aber dass die SP-Mitglieder gegen mich stimmen werden, wusste ich von Anfang an. Das sind schon drei. Warum sollten Ihre politischen Gegner Sie schonen? Sie gehen ja auch nicht zimperlich mit ihnen um. Es geht doch nicht um den Schutz von mir. Wie bitte? Sie verkennen: Bei der Immunität geht es um eine Institution, die dafür sorgt, dass Parlamentarier –gerade solche, die Misstände auf-decken – nicht mit Strafanzeigen eingedeckt werden. Darum kann man ja auch nicht auf die Immunität verzichten. Keine Immunität gewährte Ihnen die Kommission für die Zeit vor der Vereidigung. Das Treffen vom 3. Dezember 2011 mit dem Thurgauer Rechtsanwalt und SVP-Kantonsrat Hermann Lei und dem Datendieb Reto T. bei Ihnen in Herrliberg kann die Staatsanwaltschaft weiter untersuchen. Was heisst das jetzt? Auch dieses Treffen stand in unmittelbarem Zusammenhang mit meinem Nationalratsmandat. Nur weil die Informanten glaubten, dass ich als Nationalrat helfen könne, die schwerwiegenden Misstände zu beseitigen, waren sie bei mir. Und wenn Sie zu diesem Zeitpunkt nicht schon Nationalrat gewesen wären? Was hätten Lei und T. dann gemacht? Sie wären gar nicht zu mir gekommen. Ich fragte die beiden, weshalb sie ausgerechnet zu mir gekommen sind. Sie sagten: Wir wollten zu einem Nationalrat, weil ein solcher etwas tun könne, wenn er seine Pflicht wahr nimmt. Und warum sind die beiden nicht zu einem anderen Nationalrat gegangen? Man geht zu jemanden, den man kennt. Hermann Lei ist SVP-Kantonsrat im Kanton Thurgau und kennt mich. Hätte ich etwa sagen sollen, ich empfange dich nicht? Oder ich unternehme nichts? Das wäre eine Variante gewesen. Ach ja? Stellen Sie sich vor, es wäre erst Jahre später ausgekommen, dass der Nationalbank-Präsident mit Devisen spekuliert und ich hätte das Jahre vorher als gewählter Nationalrat gewusst.  Verheerend! Nein, keine Variante! Die Ständeratskommission wird Ende Mai über Ihre Immunität befinden. Deren Grundlage ist auch das Rechtsgutachten der Parlamentsdienste. Dazu kann ich nicht Stellung nehmen, denn ich kenne dieses Gutachten nicht. Die Qualität und die Neutralität des Gutachtens ist zu überprüfen. Insbesondere gilt es abzuklären, ob die Staatsanwaltschaft Zürich vor der Hausdurchsuchung mit den Parlamentsdiensten Kontakt hatte. Woher wollen Sie wissen, dass die Parlamentsdienste der Staatsanwalt gesagt haben, sie könne die Hausdruchsuchungen machen? Richtigerweise hätte es für die Hausdurchsuchung eine Bewilligung durch den National- und den Ständeratspräsidenten gebraucht. Ein entsprechendes Gesuch ist aber den beiden weder gestellt, noch durch diese bewilligt worden. Aber der leitende Staatsanwalt erklärte, dass man dies in Bern abgeklärt hätte. Bei wem? Was erwarten Sie, wie sich die Ständeratskommission entscheiden wird? Ich gehe immer vom schlimmsten Fall aus, dass sie meine Immunität aufheben oder sie entscheiden wie die Immunitätskommission des Nationalrates. Im letzteren Fall könnte die Staatsanwaltschaft nur noch wegen des Verdachts ermitteln, Sie hätten am 3. Dezember 2012 geholfen, das Bankgeheimnis zu verletzen. Welche Strafe droht Ihnen? Die Wahrscheinlichkeit ist sehr klein, dass ich verurteilt werde. Aber, ob es eine Geldstrafe gibt, für etwas das ich nicht kenne, weiss ich nicht. Meine Schuld wäre aber grösser, hätte ich nichts unternommen und Hildebrand würde weiter mit Devisen spekulieren. Denn wichtig ist: Heute ist die Führung der SNB wieder glaubwürdig.

28.04.2012

Ein Freispruch ist mir lieber als die Immunität

Interview mit der «Berner Zeitung» vom 28. April 2012 mit Bernhard Kislig